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Elftes Kapitel.

Aus dem Zimmer der Königin verfügte sich Lady Lochleven in ihre Gemächer, wohin sie den Hausmeier zu führen befahl. Er kam, wie immer, mit dem Schwert und dem Dolch an der Seite ...

»Sind Dir die Waffen nicht genommen worden?« fragte sie ihn.

Der alte Griesgram antwortete: »Nein! Wie hätte jemand Grund dazu gehabt? Eure Gnaden haben, als sie mich in den Turm schickte, nichts davon gesagt, daß ich die Waffen abzutun hätte. Da wird sich wohl schwerlich einer Eurer Diener an Kaspar Dryfesdale mit solcher Zumutung herangetrauen! Befehlen Euer Gnaden es jetzt? viel Wert haben die beiden Dinger jetzt nicht mehr, aber gefochten haben sie mal ehrlich für Euer Haus.«

»Dryfesdale! Ihr habt ein Verbrechen geschmiedet, auf dem Todesstrafe steht: Ihr habt einer Euch anvertrauten Person mit Gifte nach dem Leben getrachtet.«

»Einer mir anvertrauten Person? Hm, wie Eure Gnaden die Sache auffassen, weiß ich ja nicht; aber die Leute draußen meinen, die Moabiterin sei Euch anvertraut worden; und zwar in eben dieser Absicht. Da wäret Ihr doch gut aus der Affäre gekommen, es mochte' gehen, wie es wollte ohne alles Dazutun, und auch ohne alles Dawidertun!«

»Elender!« rief die Lady, »und so dumm wie schlecht, die ersonnene Tat nicht einmal ausführen zu können.«

»Ich tat, was ich tun konnte,« erwiderte Dryfesdale, »und wenn ich von der Hexe und Papistin, an die ich mich wandte, kein Gift bekommen habe, weil es vom Schicksal anders bestimmt war, nun, so hab ich es doch eben versucht. Indessen läßt sich, sofern Ihr es wünschet, dem halbgeführten Streiche immer noch nachhelfen.«

»Bösewicht! ich will gerade einen besondern Boten an meinen Sohn abschicken, seinen Befehl einzuholen, was mit Dir zu geschehen habe. Bereite Dich zum Tode, sofern Du dessen fähig bist.«

»Und wen wollt Ihr mit diesem Auftrage beehren?« fragte der Hausmeier trocken.

»Es wird nicht fehlen an Boten,« sagte die Lady.

»Hm, am Ende doch,« erwiderte Drysesdale keck, »viel Mannschaft in Anbetracht der Posten, die um Eures Gastes willen ausgestellt werden müssen, ist im Schloß nicht vorhanden. Dem Turmwart und den beiden andern habt Ihr den Laufpaß gegeben, weil sie zu dem jungen Herrn hielten. Nun ist Wache von nöten für den Turm, für die Warte, für die Bastei: fünf Mann müssen sie beziehen; die andern müssen zumeist in ihren Kleidern schlafen. Wollt Ihr nun noch einen davon wegspedieren, so riskiert Ihr, daß Euch die Wache grillig wird; denn zu Tode quälen läßt sich doch nun einmal so leicht niemand. Ich erblicke bloß einen Ausweg: ich übernehme die Botschaft an Sir William selbst.«

»Das wäre allerdings ein Ausweg; aber an welchem Tage in den nächsten zwanzig Jahren würde die Botschaft dann ausgerichtet werden?« fragte Lady Lochleven.

»So schnell es Roß und Mann im stande sind,« antwortete Drysesdale; »mir ist an meinem Dienstmannsleben schon lange nicht mehr viel gelegen,« erwiderte der Hausmeier, »und lange drauf zu warten, wem von beiden mein Hals gehört, mir oder dem Henker, hätte wahrlich keinen Zweck.«

»So wenig gilt Dir Dein Leben?« fragte die Lady.

»Sonst hätt ich doch wohl das Leben andrer höher geachtet,« antwortete der Fatalist, »was ist denn Tod? ein Aufhören des Lebens. Und was ist Leben? die ermüdende Wiederkehr von Tag und Nacht, von Schlafen und Wachen, von Nahrung und Hunger und Durst. Wer tot ist, braucht für Licht und Feuer, für Krug und Bett nicht mehr zu sorgen, und der Kasten, den ihm der Schreiner fertigt, dient ihm als Wams für alle Ewigkeit.«

»Unglücklicher! und Du glaubst an keinen Tag eines letzten Gerichts?« rief die Lady.

»Meine gnädige Gebieterin!« antwortete der Fatalist, »Eurem Diener stände es schlecht an, Eure Worte zu bestreiten; aber, mit Verlaub, mir hat der Nikolaus Schöffernach, ein tüchtiger Kerl, dem der blutige Bischof von Münster den Kopf abschlagen ließ, den Beweis dafür erbracht, daß wer bloß Vorausbestimmtes ausführt, sich keiner Bestrafung zu ... –«

»Schweig, Elender!« verwies ihn die Lady, »verschone mich mit Deinen Lästerungen! aber da Du so lange Jahre der treue Diener unseres Hauses warest, will ich Dein Anerbieten annehmen. Hier ist der Brief. Ich will nur noch den Beisatz machen, daß mir mein Sohn zur Ergänzung meiner Mannschaft ein paar getreue Diener hersenden solle. Bist Du klug, dann machst Du Dich nach Lockerbie auf und davon, sobald Du drüben auf dem Lande bist, und sorgst, daß ein anderer den Brief besorgt. Das ist Deine Sache. Ich verlaß mich drauf, daß der Brief richtig besorgt werde.«

»Ich war, gnädige Frau, von Kindesbeinen an im Hause der Douglas,« versetzte Dryfesdale, »und werde in meinen Tagen nicht zum Rabenboten werden. Eure Botschaft an Euren Sohn soll im Gegenteil so prompt bestellt werden, als drehte es sich nicht um meinen, sondern um eines andern Hals dabei. Ich verabschiede mich daraufhin.«

Als der Hausmeier im Dorfe ankam, wurden ihm, trotzdem sich das Gerücht von seiner Ungnade schnell dorthin verbreitet hatte, auf Weisung des Kämmerers Pferde besorgt, und er machte sich in Gesellschaft des Fuhrmanns Auchtermuchty, da die Straßen nach Edinburg durchaus nicht für sicher galten, auf den Weg. Die nächste Dorfschenke war aber für alle Fuhrleute und Reitersleute damaliger Zeit ein so beliebtes Absteigequartier, daß keiner gern daran vorbeizog, ohne bei dem gemütlichen Keltie, dem Wirte, auf einen Trunk oder einen Happen oder beides vorzusprechen. So ging es auch Dryfesdale und Auchtermuchty, dem Fuhrmanne. Keltie führte beide vergnügt in sein Haus, ohne sich daran zu kehren, daß Dryfesdale in der allgemeinen Wertschätzung, seitdem er nicht mehr Hausmeier war, erheblich zurückgegangen war. Indessen schien es dem letztern selbst nicht so recht zu passen, sich in der Wirtsstube sehen zu lassen; er begab sich, während Wirt und Fuhrmann sich an einem Schnäpschen labten, mißmutig nach der Küche, worin sich bloß ein einziger Gast befand: einer, der kaum über das Knabenalter hinaus sein mochte, von schmächtiger Figur und in Pagenkleidung, der sich aber ein so keckes, gewichtiges Aussehen zu geben wußte, daß Dryfesdale daraus auf einen vornehmen Rang hätte schließen müssen, wäre ihm nicht aus Erfahrung bekannt gewesen, daß sich gar oft in Schottland Diener und Knappen mit solch übermütigen Mienen herausputzten.

»Ein Pilger wünscht Euch guten Morgen, Alterchen,« sagte der Jüngling, »Ihr kommt wohl aus Schloß Lochleven? Nun, wie geht's denn unsrer schönen Königin?«

»Wer von Lochleven spricht und von den Leuten, die dort hinter Schloß und Riegel sitzen,« antwortete grämlich Drysesdale, »der tut's auf seine Gefahr, denn er spricht von Dingen, die nicht ihn, sondern die Douglasse angehen.«

»Redet Ihr so aus Furcht vor ihnen, Alterchen, oder gelüstet's Euch um ihretwillen nach Händeln? Ich dächte, Euer Alter müßte nun Euer Blut langsam abgekühlt haben.«

»Noch lange nicht, so lange noch in der Welt dumme Laffen herumlaufen, die dafür sorgen, daß es nicht kalt wird.«

»Mein Blut hält der Anblick grauer Haare kalt,« erwiderte der Jüngling und setzte sich wieder.

»Dein Glück, Musje, sonst hättst Du Bekanntschaft machen können mit der Reitgerte da,« erwiderte grämlich der Hausmeier; »bist wohl gar einer von den jungen Eisenfressern, die Streit in Wirtshäusern suchen, den Glauben Babylons wieder ins Land und die moabitische Madam wieder auf den Thron setzen möchten?«

»Bei Sankt Benedikt, dem Schutzpatron der Seytons,« rief aufspringend der Jüngling, »ich haue Dir eine Ohrfeige, Du Lästermaul von sündigem Ketzer!«

»Sankt Benedikt und Schutzpatron der Seytons? das hört sich ja nett an! Sankt Benedikt ist ein schmucker Gewährsmann, und die Seytons sind ja noch schmuckere Raubvögel! In Haft werde ich Dich nehmen lassen, als Verräter am König Jakob und an unserm braven Regenten. Heda, Wirt! Hilfe gegen einen Königsschänder!«

Mit diesen Worten packte er den Pagen beim Kragen und zog sein Schwert. Der Wirt aber hielt sich in weiser Ferne. Es kam zum Handgemenge, in welchem der Page, in Wut versetzt durch Drysesdales Grobheit und Stärke, den Dolch zog und mit Blitzesschnelle ihm drei Wunden in Brust und Unterleib versetzt hatte, von denen die letzte unbedingt tödlich war. Stöhnend sank der Greis zu Boden, der Wirt aber stimmte ein klägliches Gejammer an.

»Still, Du Kläffer!« fuhr ihn der Hausmeier an, »sind sterbende Männer und Dolchstiche in Schottland solche Rarität, daß Du blökst, als wenn Dir Deine Bude überm Kopfe zusammenstürzte? ... Komm her, Du junger Fant, ich verzeih Dir die rasche Tat; was Du getan, hab ich manch anderm auch getan ... darum also keine Feindschaft! es ist ja doch alles Vorausbestimmung ... wenn Du aber tun willst, woran Du mich verhindert hast, und was Du mir also schuldig bist, so trage diesen Brief hier zum Ritter William Douglas nach Edinburg. Sorge auch dafür, daß mein Nachruf nicht leide, denn ich war, wie Du siehst, besorgt darum, den Auftrag, der mir gegeben worden, noch im letzten Augenblicke meines Lebens zu erfüllen.«

Der Zorn des Jünglings war verraucht, und er wollte eben zu dem alten Manne treten, als die Tür aufging und ein andrer Mann in die Küche trat. Kaum hatte er einen Blick auf den Greis geworfen, als er ausrief: »Was Drysesdale? Ihr hier, und in den letzten Zügen?«

»Ja,« erwiderte Drysesdale, »und mir wär's lieber, ich wär schon tot, statt die Stimme jenes einzigen Douglas hören zu müssen, der falsch und untreu gewesen! Tretet zurück, Ihr alle, vor allem Du, mein Mörder, dem ich jetzt Dank weiß für seinen guten Stoß, und laßt mich mit diesem Abtrünnigen seines Geschlechts reden! Junker Georg! kniet nieder hier an meiner Seite! Es ist Euch zu Ohren gekommen, daß mein Anschlag gegen die Moabiterin fehlschlug. Es ist mir nicht geglückt, diesen Stein des Anstoßes für Schottland mit seinem Drumunddran von Diener- und Genossenschaft aus dem Wege zu räumen. Aber diesen Anschlag, wenn ich auch Deiner Mutter andre Gründe nannte, hab ich einzig und allein gemacht aus Liebe zu Dir!«

»Elender Giftmischer! aus Liebe zu mir!« rief Georg Douglas; »Du wolltest solchen grausen Mord begehen und dabei meines Namens erwähnen?«

»Ei, und warum nicht, Georg?« erwiderte Drysesdale; »es bleiben mir bloß ein paar Atemzüge noch, aber ich will sie zu nichts anderm brauchen als hierzu: hast Du Dich nicht, zuwider der Ehre Deines Namens, der Treue gegen Deinen König zum Trotz, durch die Reize dieser Zauberin in Fesseln schlagen lassen? .. Wolltest Du ihr nicht beistehen zur Flucht? wolltest Du ihr nicht helfen, daß sie wieder auf ihren Thron gelange, den sie zu einer Stätte der Unzucht und des Greuels gemacht hat? .. Nein! nicht hinweg von mir! meine Hand, wenn sie auch schon erstarrt, hat noch Kraft genug, Dich zu halten, daß Du mich zu Ende hörst! War's nicht gar Deine Absicht, diese Hexe von Schottland zu heiraten? Na. Georg! kannst ja am Ende Glück damit haben, oft genug schon ist wenigstens ihre Hand wohlfeiler weggegangen als für den Preis, den Du dafür zahlen wolltest! Eine lumpige Unze Rattengift hätte Dich aber von diesem Elend, diesem Jammer frei gemacht!«

»Dryfesdale,« erwiderte Georg Douglas, »denk an Deinen Gott und sprich nicht weiter solch greuliche Worte! Kannst Du's, dann bereue Deine Tat! kannst Du es nicht, so schweige wenigstens! Komm, Seyton, hilf mir, dem Elenden in seinen letzten Augenblicken beizustehen, daß ihm bessre Gedanken kommen.«

»Seyton!« lallte der Sterbende, »Seyton? durch eines Seytons Hand falle ich endlich? Nun, darin liegt ein Grad Wiedervergeltung, denn seine Sippe hätte durch meinen Anschlag um ein Haar ein Glied, wenn auch ein weibliches nur, verloren!« Er richtete den Blick auf den Jüngling ... »wahrlich! fast ganz dieselben Züge! ganz das gleiche Aussehen! Jüngling, tritt näher, und laß mich Dich genau ansehn ... wenn wir uns in jener Welt treffen, dann möcht ich Dich nicht verkennen, denn wir Mörder gehören dort zu ein und derselben Gilde. Ich hab auch gemordet, aber nicht so jung angefangen wie Du, mein Junge, um so eher aber wirst Du am Ende Deiner Bahn sein ... seltsam! daß sich unser Wille doch immer den gewaltigen, unlenkbaren Wogen des Schicksals entgegenstemmt! warum kämpfen wir immer an gegen den Strom, statt uns von ihm treiben zu lassen? Ach, mein Kopf wird schwach und versagt mir den Gehorsam, diesen Dingen weiter nachzuforschen ... schade, daß mein alter Freund Schöfferbach nicht da ist. Georg Douglas, gehab Dich wohl! ich sterbe als treuer Diener Deines Vaters.«

Nach diesen Worten verfiel er in Zuckungen und verschied. Seyton und Douglas standen noch lange und blickten auf den Sterbenden. Dann verfügten sie sich zum Zweck ernster Betrachtungen in ihre Stube hinauf, wo sie aber bald durch den Eintritt des Wirtes gestört wurden, der Georg Douglas fragte, was mit der Leiche geschehen solle.

»Binde ihm einen Stein um den Hals,« sagte Seyton, »und wirf ihn in den Cleishersee! Dort mag er sehen, ob er Grund findet.«

»Nein,« sagte Douglas, »Keltie, Du bist mein alter Gönner! schaff ihn nach der Kirche von Bellingry, und erzähl irgend ein Märchen, daß er im Streit mit Gästen bei Dir umgekommen sei ...«

»Nicht doch, wenn es so sein soll, dann mag er die Wahrheit sagen, daß er im Kampfe mit Heinrich Seyton gefallen ist. Mir liegt kein Pfifferling dran, ob ich wegen dem Kerl Streit bekomme oder nicht.«

»Ein Streit mit Douglas war aber niemals etwas Geringes,« versetzte Georg, indem sich Unmut zu seinem Grolle gesellte.

»Nicht, wenn der beste des ganzen Geschlechts auf meiner Seite steht!«

»Wir wollen den Pater Ambrosius zu Rate ziehen,« sagte hierauf Douglas, »wir reiten ja doch noch heute abend nach Kinroß.«


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