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Zweites Kapitel.

Roland Gräme stellte sich in einer Ecke des Vorzimmers hinter das Fenster und sah zu, wie die Lords einstiegen und abstießen, nachdem sie sich von Lady Lochleven höflich verabschiedet hatten. Als die Dame mit ihrem Sohne zum Schlosse zurückkehrte, konnte er die folgende Zwiesprach zwischen Großmutter und Enkel erlauschen:

»Also hat sie ihren Sinn doch gebeugt, sich auf Kosten ihrer königlichen Würde das Leben zu erhalten?« sagte die Lady.

»Das Leben, gnädige Frau Großmutter?« versetzte Georg; »ich wüßte nicht, wer es anzutasten im Schlosse meines Vaters wagen sollte. Hätt ich solche Absicht hinter dem Besuch der Lords vermutet, so hätt ich die drei Herren mitsamt ihrem Gefolge wieder über den See gejagt.«

»Nicht von Mord spreche ich, Sohn, sondern von öffentlichem Anklageverfahren, Prozeß, Urteil und Hinrichtung. Denn damit ist sie bedroht worden. Aber flösse nicht mehr Guisen- als Schottenblut in ihren Adern, so hätte sie ihnen ins Angesicht Trotz geboten. Bei ihr stimmt eben alles zusammen, und Niederträchtigkeit ist die natürliche Gefährtin der Verworfenheit, Ich bin für heut abend der Beschwerde ihrer Gesellschaft entbunden. Geh also Du, mein Sohn, und erfülle beim Abendtisch die notwendigen Höflichkeitspflichten gegen die Dame, die hinfort nicht mehr Königin für uns sein wird.«

»Mit Verlaub, Frau Großmutter, mir ist an ihrer Gesellschaft nicht sonderlich gelegen.«

»Recht so, mein Sohn, darum vertrau ich auch Deiner Klugheit. Immerhin möchte es sich mit unsrer Ehre nicht vereinbaren, sie in unserm Hause eine Mahlzeit einnehmen zu lassen, ohne daß jemand von uns mit bei Tische wäre. Sie könnte sterben, sei es durch höheres Gericht, oder weil der Böse Macht über sie gewänne in ihrer Verzweiflung, dann möchte es sich mit unsrer Ehre nicht vereinbaren, könnten wir nicht nachweisen, daß ihr im Hause und bei der Tafel gute Behandlung und alle geziemende Höflichkeit zu teil geworden sei.«

Da fühlte Roland sich durch einen derben Klaps auf die Schulter im Lauschen gestört. Er drehte sich um, innerlich fest überzeugt, daß er den Klaps von dem Pagen bekommen habe, der ihn in dem Gasthofe zu Sankt-Michael, als er mit Woodcock dort nächtigen mußte, aufgesucht hatte. Und wirklich sah er Katharina Seyton vor sich stehen.

»So, schöner Page,« sagte die Maid, »horchen ist wohl eine Haupttugend von Euch?«

»Schön Schwesterchen,« versetzte Roland, »sind gewisse unsrer Freunde mit den andern Geheimnissen unsers Dienstes ebenso gut vertraut wie mit Ausspionieren, Verkleiden ec., dann brauchen sie keinen Pagen der Christenheit um Einsicht in seine Bestallung zu bitten.«

»Was Ihr mit diesen Worten meint, schöner Page, weiß ich nicht,« sagte die Maid, »aber wir haben jetzt keine Zeit mehr zu Disput. Das Essen kommt. Tut was Eures Amtes, Herr Page.«

Vier Diener erschienen mit Schüsseln, ihnen voraus schritt der alte, grämliche Hausmeier, den Roland schon bei der Ueberfahrt gesehen hatte, hinterher Georg Douglas, der in Abwesenheit des Schloßherrn, seines Vaters, das Amt eines Seneschalls versah. Die Arme über der Brust verschränkt und die Blicke zu Boden haltend, trat er zu der Tafel heran, auf der mit Rolands Hilfe das Essen aufgetragen wurde. Darauf verneigten sich Hausmeier und Seneschall tief, wie wenn die königliche Gefangne schon an der Tafel Platz genommen hätte. Nun tat sich die Tür des anstoßenden Schlafgemachs auf. Georg Douglas sah sich schnell um, richtete den Blick aber gleich wieder zur Erde, als er sah, daß bloß das ältere Kammerfräulein eintrat.

»Ihre Gnaden wollen heut abend nicht bei der Tafel erscheinen,« sagte Lady Maria Fleming.

»Dann wolle es gnädigem Fräulein belieben zu beobachten, wie wir unseren Obliegenheiten nachkommen,« erwiderte Douglas.

Er winkte dem Hausmeier und dieser schnitt von jeder Speise ein Schnippelchen ab und reichte es Douglas zur Vorprobe, damals bei herrschaftlichen Tafeln allgemeine Sitte wegen der vielen Vergiftungsversuche, die gemacht wurden.

»Die Königin wird also wirklich nicht erscheinen?« fragte Douglas noch einmal.

»Sie hat so beschlossen,« erklärte die Fleming.

»Dann ist unsre weitre Gegenwart von Ueberfluß. Wir wünschen gute Nacht.«

Langsam wie er gekommen war, den Blick nach wie vor zu Boden gerichtet, entfernte er sich, und die Dienerschaft folgte ihm. Die beiden Fräuleins setzten sich zu Tische und Roland wartete ihnen auf, ganz wie wenn auch die Königin an der Mahlzeit teilgenommen hätte. Katharina Seyton sah, nachdem sie dem Pagen einen Blick unvergleichlicher Schalkheit zugeworfen hatte, still und artig da, während sich die gesetztere Gefährtin jetzt an Roland wandte und ihm einen Platz am untern Ende der Tafel anwies.

Roland, der den ganzen Tag noch keinen Bissen zu sich genommen hatte, denn Lord Lindesay und seinen Reitern schienen menschliche Bedürfnisse abhanden gekommen, gehorchte gern, beobachtete aber, all seines Appetits ungeachtet, Anstand und Mäßigkeit teils aus angebornem Taktgefühl, teils weil er sich das Vergnügen, Katharina zu bedienen, nicht rauben lassen wollte ... Mit Anstand und Geschick schnitt er die Scheiben zurecht und legte den Damen, wie es sich schickte, die besten Stücke vor, sprang auf, sobald er nur den leisesten Wunsch vermutete, schenkte Wein ein, mischte ihn mit Wasser, wechselte die Teller und versah den Tafeldienst mit allem Eifer des gewandtesten Junkers. Als er sah, daß die Damen aufstehen wollten, beeilte er sich, ihnen in der silbernen Kanne Wasser, Waschbecken und Handtuch zu reichen. Die ältere Zofe dankte mit einem freundlichen Blick, die jüngere aber, ob aus Schalkheit oder aus Ungeschick, spritzte dem diensteifrigen Pagen beim Waschen ein paar Tropfen ins Gesicht, ohne Verdruß darüber, daß die ältere sie ob ihres Ungeschicks tadelte.

»Du hattest recht, Katharina,« sagte dann Lady Fleming, »als Du mir sagtest, unser neuer Kamerad in diesem mühelosen Dienst sei von edler Geburt und guter Erziehung. Ich will ihn nicht eitel machen, aber er überhebt uns der Dienste dieses Douglas, der doch immer, wenn die Königin nicht anwesend ist, stolz tut wie ein Pfau.«

»Ich sollte im Gegenteil meinen, Georg Douglas sei der artigste Junker im Reich; es ist doch eine Freude, ihn in diesem düstern Lochleven zu sehen. Wer hätte gedacht, daß dieser lustige, flotte Junker sich zum Gefangnenwärter über ein paar hilflose Weiber hergeben würde?«

»Vielleicht geht's ihm wie uns, er mußte,« versetzte Lady Fleming. »Indessen scheinst Du Deinen kurzen Aufenthalt bei Hofe recht gut wahrgenommen zu haben, wenn Du zu solchen Unterschieden und Vergleichen Zeit fandest.«

»Ich hab die Augen offen gehalten,« versetzte Katharina, »und dazu war ich, meines Wissens, bei Hofe. Hier wird's freilich nicht der Mühe lohnen, die Augen zu brauchen. Das war ja schon im Kloster so. In Lochleven muß man sich eben gewöhnen, sie bloß für sein bißchen Handarbeit zu brauchen.«

»Und solche Worte führst Du, nachdem Du kaum ein paar Stunden hier im Schlosse bist? Ist dies das Mädchen, das im Kerker leben und sterben wollte, wenn es ihr bloß vergönnt wäre, ihre gnädige Königin zu bedienen?«

»Fleming, wenn Ihr im Ernste scheltet, dann ist mein Scherz zu Ende,« sagte Katharina. »Ich möchte an Treue und Anhänglichkeit nicht meiner armen Frau Pate nachstehen, die doch die weisesten Sittensprüche auf der Zunge und die steifste Halskrause unter dem Kinne hat. Das wißt Ihr, Fleming, und doch tut Ihr mir immer weh durch Eure Reden.«

»Du bist ein gutes Ding, Katharina, aber dem Manne, der Dich einmal bekommt, gratuliere ich, denn wenn es kaum ein reizenderes Ding geben kann zu seiner Freude, so doch auch kein mutwilligeres zu seiner Qual. Ich glaube, Du könntest ein ganzes Dutzend um ihr bißchen Verstand bringen.«

»Sprecht doch nicht so, Fleming,« sagte Katharina, die nun ihre unbefangne und heitre Laune wiederfand, »der müßte ja doch schon ganz von Sinnen sein, der mich für so etwas sich aussuchte! Aber es freut mich, Fleming, daß Ihr mir nicht ernstlich böse seid,« und bei diesen Worten fiel sie der altern Freundin in den Arm, »Ihr wißt doch, ich hab mit meines Vaters unbändigem Stolze und mit dem hohen Edelsinn meiner Mutter zu ringen. Möge der liebe Gott sie in seinen gnädigen Schutz nehmen! ... aber mehr als die beiden edlen Eigenschaften haben meine lieben Eltern nicht auf mich zu vererben, denn was an Geld und Gut da war, haben die Wirren im Reiche verschlungen, und was noch da ist, wird den gleichen Weg wohl gehen ... und so bin ich das eigenwillige kecke Ding geworden, das ich bin. Aber laßt mich acht Tage hier in Lochleven sein, dann werde ich wohl ganz ebenso kleinlaut sein wie Ihr!«

Aus dem Schlafzimmer der Königin klang ein Ruf, Maria Fleming verschwand hinter der Tür, und Katharina und Roland blieben allein zurück. Eine Weile lang saßen sie einander still gegenüber, bis endlich die junge Zofe das Schweigen brach.

»Darf ich bitten, junger Herr, mir zu sagen,« fragte sie ganz ehrbarlich, »was Ihr in meinem Gesichte findet, daß Ihr es so unverwandt anstarrt? Meines Wissens sah ich Euch doch erst zweimal im Leben.«

»Und welches waren diese beiden glücklichen Anlässe?« fragte Roland.

»Im heiligen Katharinenkloster,« erwiderte die Zofe, »zum erstenmal, und bei dem Ueberfall, den Ihr in meines Vaters Hause auszuführen beliebtet, zum andernmal. Ein Wunder, wenn man den rasch auflodernden Zorn der Seytons kennt, daß Ihr da mit heiler Haut weggekommen seid! Uebrigens mir sehr leid,« setzte sie spöttisch hinzu, »daß für solch wichtige Vorgänge mein Gedächtnis treuer zu sein scheint als das Eurige.«

»So ganz tadellos ist die Treue Eures Gedächtnisses doch nicht, holde Kallipolis,« sagte Roland lächelnd, »denn ich sehe, Ihr habt das Zusammentreffen Nummer drei im Wirtshause Sankt-Michael vergessen, wo Eure Reitgerte so lose war, daß mancher an den Seytonschen Zorn hätte erinnert werden können,«

»Schöner Page,« versetzte Katharina, »hat Euch nicht Euer schöner Verstand hier im Stiche gelassen, so bin ich außer stande, zu raten, was Ihr meint.«

»Meiner Treu, auch ich vermöchte den Traum, den Ihr mir vorgaukelt, nicht zu enträtseln. Hab ich Euch nicht verwichne Nacht im Wirtshause Sankt-Michael gesehen? Habt Ihr mir nicht das Schwert gebracht, mit dem Geheiß, es nicht zu ziehen außer auf Geheiß meines angestammten Fürsten? Und hab ich nicht getan, wie Ihr befahlet?«

»Wenn Eure Augen Euch niemals bessre Dienste taten als in dem genannten Gasthause,« sagte die Zofe, »dann werden Euch die Raben keinen sonderlichen Schaden zufügen, wenn sie Euch die Dinger aus dem Schädel Picken. Aber horch, die Glocke! wir werden unterbrochen!«

Die Zofe hatte recht. Die Tür flog auf, und der Hausmeier mit seinem strengen Blick, seiner goldnen Amtskette und seinem weißen Amtsstabe trat herein, und ihm folgte dieselbe Dienerschar, die Tafel aufzuräumen, die sie zuvor gedeckt hatte. Starr wie eine Bildsäule, stand der Hausmeier da, und als die Tafel wieder leer war, hob er, ohne sich an jemand im besonderen zu wenden, im Ton eines Herolds, der einen Aufruf zur Verlesung bringt, an und kündete:

»Meine edle Gebieterin, Frau Margarete Erskine, verehelichte Douglas, gibt der Lady Maria von Schottland und ihrem Gefolge bekannt, daß ein Diener der reinen Lehre, ihr ehrwürdiger Kaplan, heut abend wie gewöhnlich predigen und katechisieren wird, gemäß evangelischem Brauch.«

»Mein bester Herr Dryfesdale,« nahm Katharina das Wort, »diese Verkündigung ist eine Förmlichkeit, die alle Abende sich wiederholt, wie ich gewahr werde. Nun wollet doch aber, bitte, bemerken, daß Lady Maria Fleming und ich, denn Eure dreiste Einladung geht, wie ich hoffe, bloß uns an, den Pfad Sankt Peters zum Himmel erkoren haben, es bleibt also für Eure gottselige Vermahnung bloß der junge Page noch übrig, der, als in Händen Satans befindlich, freilich besser tut mit Euch Andacht zu halten, als uns durch sein Fernbleiben von unsern bessern Andachtsübungen zu belästigen.«

Der Page war zwar nahe daran, diese kecke Behauptung in Abrede zu stellen, erinnerte sich aber noch rechtzeitig der zwischen ihm und dem Regenten vorgefallenen Dinge und beherzigte deshalb den Wink, den ihm Katharina durch Aufheben ihres Zeigefingers erteilte. Wie schon in Avenel, so übte er auch hier wieder die Rolle eines Glaubensleugners und folgte dem Hausmeier in die Schloßkapelle, wo er der Abendandacht beiwohnte, die hier vom Schloßkaplan Elias Henderson, einem geistlichen Herrn in der Vollkraft des Alters und ausgestattet mit guten, durch sorgfältige Erziehung ausgebildeten Gaben der Natur, gehalten wurde.

So verstrich der erste Tag im Schlosse Lochleven, und die folgenden hatten eine Zeitlang den gleichen, wenn nicht noch eintönigeren Charakter.


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