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Fünftes Kapitel.

Lukas Lundin war aus der benachbarten Grafschaft Fife gebürtig, stand mit dem den Lochlevens befreundeten Geschlechte der Lundins in entfernter Bluts- oder Seitenverwandtschaft und hatte sich dem Studium der Heilkunde zugewandt, aber nicht mit dem gewünschten Erfolg. Er war deshalb froh gewesen, die behagliche Anstellung eines Kämmerers in der Lochlevenschen Güterverwaltung zu bekommen. In den unruhvollen Zeiten waren die Kämmerei-Einkünfte aber auch zurückgegangen, und er hatte sich nebenher wieder zu seiner frühern Kunst gewandt, und nun hatte man in der Herrschaft Kinroß bald die Erfahrung gemacht, daß die Bewohnerschaft es in der Zwangsmühle des Barons nicht schlechter gehabt hatte als jetzt, wo sie von dem Doktor und Kämmerer gezwungen wurde, sich mit allen möglichen Arzneien und Mixturen vom Leben zum Tode zu kurieren; und wehe dem reichen Landbauern, der es sich herausnahm, ohne einen Paß vom Doktor Lundlin aus dem Leben zu scheiden!

In seiner doppelten Bedeutung, als Arzt und als Amtsperson, und eingebildet auf die gelehrten Brocken, mit denen er seine Rede so spickte, daß sie fast unverständlich wurde, hieß er den Pagen, der auf ihn zutrat, willkommen,

»Der Morgen spende Euch Kühlung, schöner Herr! Ihr seid gewiß hierher gesandt, um Euch zu erkundigen, ob ich die mir übertragne Ordnung auch angemessen aufrecht erhalte. Ihre Gnaden wünschen ja alle abergläubischen Observantien und Zeremonien bei diesem unserm Fest aufgehoben zu sehen. Aber wie ich die Ehre hatte, ihr aus den Büchern des gelehrten Hercules Saxo auseinanderzusetzen, daß omnis curatio est vol canonia vol coacta, was soviel heißt, schöner Herr, denn Samt und Seide haben selten ihr Latein ad unguem , jede Kur muß durch Kunst und Anwendung der Regeln oder mit Gewalt bewerkstelligt werden; und der weise Arzt zieht das erstere vor. Da Ihre Gnaden solchem Grund ihre Anerkennung nicht versagten, habe ich mir die veniam genommen, Unterweisung und Vorsicht mit gaudium zu vermischen, so daß ich dafür bürgen kann, daß das Volksgemüt durch die gebrauchten Medikamente von veralteten päpstlichen Torheiten gereinigt und ausgefegt werden dürfe, tuto, cito, jucundo .

»Doktor Lundin,« antwortete der Page, »ich habe keinen Auftrag.«

»Nennt mich nicht Doktor,« antwortete der Kämmerer, »denn ich bin doch im wesentlichen jetzt auf das weltliche Geschäft der Kämmerei beschränkt, wenn Ihr auch in meiner Wohnung, wohin ich Euch jetzt geleite, gut tun werdet, nicht über Retorten zu stolpern.«

Dort angelangt, fand der Page freilich allen Grund, vorsichtig zu sein, denn neben ausgestopften Vögeln, Eidechsen, Schlangen in Spiritus, Kräuterbündeln und andern zum Trocknen ausgebreiteten Ingredienzien, wie sie sich auf dem Warentische eines Spezereihändlers befinden, lagen und standen auch Berge von Holzkohle, Schmelztiegel, Kohlenbecken und allerhand andres Zubehör einer chemischen Werkstätte herum.

Doktor Lundin war Philosoph und war unordentlich wie ein Philosoph, und die alte Wirtschafterin, die, wie er sagte, über dem Nachräumen dessen, was er verlege und verkrame, ihr Leben hinbringe, hatte sich heut schon beizeiten auf den Weg nach dem Tanzboden gemacht. Es dauerte also geraume Zeit, bis der Doktor aus all seinen Glasbeständen zwei Gläser herausgefunden hatte, die geeignet waren, solch schmuckem Gaste etwas zum Trinken vorzusetzen, und nicht minder lange dauerte es, bis er aus seinen anderen Vorräten dasjenige herausgefunden hatte, was er solchem Gaste als Herzstärkung vorsetzen durfte. Aber endlich war ihm beides gelungen, und nun mußte sich Roland dazu bequemen, von dem in allen Tonarten gepriesenen Getränk seines Wirtes zu kosten; aber er fand das Zeug so abscheulich bitter, daß er gern aus der ärztlichen Werkstatt in den Hof hinaus geschlüpft wäre, um ein Glas Wasser zu trinken. Aber sein redseliger Wirt wollte ihn nicht von sich lassen, sondern schwatzte ihm die Ohren voll mit allerhand Geschichten von Kuren und Mixturen, bis Roland endlich die Geduld riß und er dem Doktor erklärte, er wolle unbedingt keine Zeit weiter verstreichen lassen, sondern sich das Fest ansehen.

»Ein passabler Vorschlag,« stimmte der Doktor bei, »und ich täte auch gut, mich auf dem Festplatze sehen zu lassen. Ueberdem erwartet uns das Schauspiel, junger Mann, denn heute spielt totus mundus histrionem .

So machten sie sich beide auf den Weg. Das Erscheinen des Kämmerers erregte großen Jubel, denn nun ließ sich annehmen, daß es mit dem Beginn des Schauspiels nicht mehr lange dauern werde. Alles andre, was auf dem Feste geboten wurde, war jüngern Datums, aber das dramatische Spiel fesselte noch immer die Aufmerksamkeit am meisten. Im Nu wurden alle andern Belustigungen unterbrochen, der Tanz um den Maienbaum wurde eingestellt, und Tänzer wie Tänzerinnen sprangen zur Waldwiese, wo die Bühne aufgerichtet war. Der große braune Bär und die drei bis vier Bullenbeißer, die zur Augenweide des Publikums einen grimmigen Kampf ausfochten hatten, wurden von einem halben Dutzend Bauernburschen im Verein mit dem Bärenführer mit Stangen auseinander gebracht. Der Bänkelsänger sah sich grade bei der interessantesten Stelle seines Liedes von seinem ganzen Publikum verlassen und merkte zum lebhaftesten Verdrusse, daß er den günstigen Moment zum Einsammeln seines Spielhonorars verpaßt hatte, schob seine dreisaitige Fidel mit verdrossnem Gesicht in ihr Futteral und folgte mit einem Gebrumm, wie es keine Baßgeige kräftiger hätte herausbringen können, dem Volke zu jener andern Vorführung, die die seinige so schmählich in den Hintergrund gedrängt hatte. Der Taschenspieler gab es auf, Feuer zu schlucken und Drachen zu speien, und machte es wie sein Kollege der Bänkelsänger.

Wollte man an die theatralische Vorstellung, die hier geboten wurde, den Maßstab von heute legen, so würde man freilich weit neben das Ziel schießen, denn wahrscheinlich waren die Bühnen im alten Griechenland gegenüber denen im alten Schottland noch großartig zu nennen. Von Kulissen, Maschinenwerk, Logen und Parterre ec. war nichts zu erblicken, der grüne Rasen war die Bühne, und Rasenbänke waren für die Zuschauer die Sitze, die um drei Vierteile des Platzes herum liefen, während das letzte Viertel offen gelassen war für die Schauspieler zum Auf- und Abtreten. Auf diesen Rasenbänken saß nun das kritische und unkritische Publikum, allen voran der Kämmerer als die vornehmste Standesperson, der den Platz in der Mitte einnahm.

Die Schauspieler, die hier auftraten, waren dieselben, wie auf all den frühern Volksbühnen der Kulturvölker: greise Männer und Weiber, die von ihren Kindern ausgebeutet und ausgeplündert werden, ein großmäuliger Kriegsmann, ein pfiffiger Ablaßkrämer, ein Tolpatsch von Bauer und eine Zierpuppe von Stadtmadam. Daneben der lose Narr mit der Pritsche, der Don Juan der spanischen Bühne, u. s. w.

Das Stück war eine Komödie gegen den katholischen Glauben, das keine geringere Person als den Doktor Lundin zum Urheber hatte, allerhand scharfe Spitzen gegen die Geistlichkeit und die Klöster ec. enthielt; und wenn eine besonders saftige Stelle zum Vortrag kam, so ermangelte er nicht, Roland mit dem Aermel anzustoßen, und wenn auch Roland nicht lachte, so unterließ er das doch nie selbst und klatschte wohl auch in die Hände, um die allgemeine Stimme seinem Werke recht günstig zu machen. Die Handlung drehte sich um das uralte, ewig neue Thema des Liebeshandels zwischen Mann und Weib, wobei eine wundertätige Reliquie ihre wirksame Rolle spielte. Mit entsprechenden Grimassen und Hanswurstereien wurde die Reliquie allen Darstellerinnen reihum präsentiert, von denen aber keine, wenn es an die Keuschheitsprobe ging, bestehen konnte oder wollte. Endlich drohte die Geschichte langweilig zu werden, und der Reliquienkrämer wollte ein andres Stück an die Reihe bringen, als der Narr unvermutet einem jungen Frauenzimmer, das in der vordersten Reihe der Zuschauer stand, ein schwarzes Tuch vor dem Gesicht hatte und sich grade mit den Vorgängen auf der Bühne schärfer als vorher befaßte, ein Fläschchen unter die Nase hielt. Infolge des scharfen Geruchs, den das Fläschchen ausströmte, mußte das Frauenzimmer heftig niesen und geriet darüber in solchen Zorn, daß es dem Narr eine Ohrfeige versetzte, so derb, daß derselbe ins Gras purzelte.

Darüber nun großer Lärm. Alles schrie der couragierten Person Beifall zu, aber der Narr erhob sich langsam und fing an zu wimmern und seine Backe zu streicheln, und da schien es, als wenn die Stimmung des Publikums umschlagen wollte. Den Kämmerer verdroß es aber, daß gegen den Narren solche Selbstjustiz von solchem jungen Dinge geübt worden war, und er beorderte zwei von seinen Hellebardierern, die schuldige Person vor sein Tribunal zu führen. Das Mädchen aber widersetzte sich trotzig den beiden Dienern der kämmerlichen Hermandad, und schon schickten diese sich an, Gewalt zu brauchen, als das Mädchen nach kurzem Besinnen in bescheidner jungfräulicher Sitte ihren Mantel um die Arme schlug und sich zum freiwilligen Mitgehen anschickte. Leicht und in natürlicher, ungezwungner Anmut schritt sie über den Rasenplatz, bewacht von ihren beiden Trabanten, und ließ ihr blitzsaubres, rotbraunes Mieder sehen mit dem Röschen von rotbrauner Farbe und dem niedlichen Füßchen darunter. Das Tuch verhüllte ihr Gesicht, aber der Doktor, der es sich trotz alles wissenschaftlichen Ernstes nicht nehmen lassen mochte, ein guter Kenner weiblicher Schönheit zu sein, meinte genug gesehen zu haben, um von dem wenigen, was er sah, einen befriedigenden Schluß auf das Ganze zu machen.

»Was hast Du zu Deiner Entschuldigung vorzubringen, Du naseweises Ding, das mich hindern könnte, Dich in den See zu tauchen zur Strafe dafür, daß Du Dich an einem Manne vergriffen hast?« fragte der Doktor.

»Weil ich, beim Himmel, meinen sollte, daß Eure Würden bei dem Unfall, der mich betroffen hat, auch noch ein kaltes Bad für notwendig erachten werden, möchte ich mich der Antwort entschlagen,« versetzte das Mädchen.

»Eine verteufelte Schwerenöterin,« flüsterte der Doktor dem neben ihm sitzenden Roland zu, »und ganz gewiß, wie ich wetten möchte, ein sehr liebes Kind ... Mein Kind, Du zeigst von Deinem Gesichtchen recht wenig. Möchtest Du nicht so freundlich sein, das Tuch abzubinden?«

»Hoffentlich wird Eure Würden mir vergönnen, damit so lange zu warten, bis wir näher bekannt sind. Ich möchte wenigstens nicht als das arme Ding im Lande bekannt sein, mit dem der alberne Mensch seinen Jux getrieben hat.«

»Sei unbesorgt um Deinen Ruf,« erwiderte der Doktor, »denn so wahr ich Kämmerer von Lochleven, Kinroß usw. bin, selbst die keusche Susanne hätte an diesem Elixir nicht riechen können, ohne zu niesen, da es pures Extraktum von Sonnenessig war, von mir speziell gebraut. Und da Du Dich bereit erklärst, über den Vorfall Dich gebührlicher Reue und Buße nicht zu verschließen, so befehle ich Dir, für den Augenblick alles beim alten zu lassen, wie wenn keinerlei Unterbrechung und Störung dieser Art sich bei diesem spectaculo ereignet hätte.«

Das Mädchen verneigte sich vor Ihren kämmerlichen Würden und verfügte sich an ihren Platz zurück. Das Spiel nahm seinen Fortgang, aber der Page fühlte keinerlei Interesse mehr daran.

Was ihm seltsame Gedanken machte, war der Umstand, daß dieses Mädchen eine gewisse Aehnlichkeit mit Katharina Seyton aufwies. Stimme und Gestalt, auch Nackenbildung und Lockenhaar erinnerten unmittelbar an die geliebte Erscheinung, daß es ihm wirklich zu Mute war, als habe er sich im Irrsal eines seltsamen und staunenerregenden Traumes befunden. Der merkwürdige Auftritt im Wirtshause trat ihm mit all seinen merkwürdigen Umständen wieder vor die Seele. Waren in diesem seltsamen Geschöpf von Mädchen all die Märchen, wie man sie in Gedichten vorfand, in die Wirklichkeit getreten? war Katharina im stande, sich aus dem festen Schlosse Lochleven, das doch von dem breiten See umgeben war, – nach welchem er sich jetzt umsah, wie wenn er sich vergewissern wollte, ob er auch wirklich noch da sei – hierher zu begeben? konnte sie all diese Hindernisse besiegen, um an einem Feste in solchem Dorfe wie Kinroß teilzunehmen? und konnte sie sich hier so weit hinreißen lassen, daß sie in Händel mit der Ortspolizei geriet? War das möglich? Ließ sich das annehmen? Roland konnte zu keiner bestimmten Meinung gelangen, ob er sich irrte oder nicht; aber soviel mußte er sich sagen, daß sie sich zu einem Geschöpf entpuppen würde, für das dem gewöhnlichen Menschenkinde die Begriffe fehlten, wenn sie die Mühen und Anstrengungen im Verein mit den mannigfachen Gefahren wirklich überstanden hätte, um ihre Freiheit zu gewinnen, und wenn sie diese Freiheit in der Tat dazu wahrnähme, sich den Genuß solcher Feste zu verschaffen!

In diesen Betrachtungen wurde er gestört durch seinen Gefährten Doktor Lundin.. »Ihr dürftet,« meinte dieser, indem er Roland ziemlich unsanft in die Rippen stieß, wahrscheinlich weil er schon mehrfach auf zartere Weise versucht haben machte, die Aufmerksamkeit des jungen Pagen für sich zu gewinnen, »doch vielleicht Lust zu einem Tänzchen haben? Die Spielleute fangen an aufzuspielen, und über Eure Tänzerin seid Ihr wohl nicht im Zweifel? Discernit sapiens res, quas cofundit asellus .

Kaum hörte der Page diese Mahnung des Kämmerers, als er auch schon auf den Beinen war, drei bis vier Bauernburschen den Rang abzugewinnen, die die muntre kleine Schlägerin ebenfalls aufs Korn genommen hatten. Keiner von ihnen verstand die rechten Worte für seine Absicht zu finden, der Page meldete aber in wohlgesetzter Rede, daß er im Auftrage oder doch wenigstens als Abgesandter des Kämmerers komme, ihre Hand zu einem Tänzchen zu erbitten.

»Der würdige Kämmerer,« versetzte sie, »indem sie ihm ihre Hand reichte, »ist ganz gescheit, sein Vorrecht auf einen Tanz auf solche Weise geltend zu machen. Die Vorschriften auf diesem Tanzboden möchten eine andre Wahl für mich wohl auch ausschließen.«

»Vorausgesetzt, schönes Fräulein, bemerkte der Page, »daß Euch die Wahl des Ersatzmanns nicht durchaus mißfällig sei.«

»Darauf, schöner Herr,« antwortete die lose Maid, »möcht ich Euch antworten, wenn wir den ersten Gang auf diesem Turnier hinter uns haben.«

Katharina Seyton besaß, wie wir wohl schon einmal bemerkt haben, eine bewunderungswürdige Grazie ihrer Bewegungen und eine außerordentliche Gewandtheit. Sie war von ihrer königlichen Herrin oft gebeten worden, ihr etwas vorzutanzen, und dann war Roland Gräme immer ihr Partner gewesen. Infolgedessen kannte er ihre Art beim Tanzen genau, und machte jetzt die Wahrnehmung, daß die lose Maid, die er zum schottischen Bauerntanze aufführte, Katharinen wohl an Munterkeit und Grazie glich, aber hier auf dem Rasenturnier eine stärkere Hand erforderte als die kunstreichen Pas, Touren und Wendungen im kleinen Gemache der Königin. Aber die vielen Dinge, die bei solch naturwüchsigem Tanze Beobachtung heischen, ließen ihm keine Zeit zum Nachdenken und noch weniger Zeit zum Plaudern. Als aber ihr Pas-de-deux zu Ende getanzt war, und das ganze Landvolk, das solch kunstvolle Ausführung wohl noch nie gesehen haben mochte, in lautes Klatschen und Jubeln ausbrach, da nahm er diesen Zeitpunkt wahr, ein Gespräch mit seiner Schönen anzuknüpfen.

»Holde Kallipolis,« hub er an, »darf ich nicht bitten um den Namen derjenigen, die mir solch hohe Gunst gewährte?«

»Das dürft Ihr schon,« antwortete sie, »was anders aber ist's, ob ich's Euch sagen werde.«

»Und warum solltet Ihr nicht wollen?«

»Weil niemand was gibt für nichts und wider nichts!« versetzte die Schöne. »Und Ihr könnt mir nichts sagen von allem, was ich gern hören möchte.«

»Könnt ich nicht meinen Namen und meine Verwandtschaft sagen im Austausch?« fragte der Page.

»Nein, denn Ihr wißt von beidem wenig!« sagte die Maid.

»Wieso?« fragte der Page verstimmt.

»Seid nicht grillig darüber,« antwortete das Mädchen, »ich will's Euch auf der Stelle zeigen, daß ich von Euch mehr weiß, als Ihr selber von Euch bislang wohl gehört habt!«

»Das wäre!« erwiderte Roland Gräme, »für wen haltet Ihr mich wohl?«

»Für den Nestfalken, den ein Windspiel in der Schnauze ins Schloß trug – für den Sperber, den man nicht von der Leine lassen mag, damit er den Fang nicht im Stich lasse und auf Aas stoße, und dem man die Kappe nicht abnehmen darf, bis seine Augen hell genug geworden sind, Gutes von Bösem zu unterscheiden.«

»Nun, sei es so,« erwiderte Roland Gräme, »ich errate einen Teil Eures Gleichnisses, schöne Herrin, und vielleicht weiß ich von Euch so viel wie Ihr von mir und kann der Auskunft, mit der Ihr so spröde tut, entbehren.«

»Nun, so beweist's,« versetzte das Mädchen, »und ich will Euch gern scharfsinniger halten, als Euer Gesicht erraten läßt.«

»Ich will sofort damit dienen,« erwiderte Roland, »Euer Name fängt an mit einem S und schließt mit einem N.«

»Trefflich geraten,« sagte die Tänzerin, »weiter, bitte!«

»Heut paßt's Euch, Haube und Schürze zu tragen,« sagte Roland, »und morgen sieht man Euch wohl vielleicht in Hut und Feder, Wams und Beinkleid?«  – »Fein gezielt! Aufs Haar getroffen!« rief die Maid, mit Mühe ein herzliches Lachen unterdrückend.

»Ihr könnt Männern die Augen ausschlagen und Herzen aus dem Busen reißen!« fuhr Roland fort, aber wenngleich er diese letzten Worte so leise sagte, daß er meinte, sie müßten zum Herzen gehen, so minderten sie doch die Lachlust der muntern Dame nicht, sondern mehrten sie nur und Zwar in einem Maße, daß Roland sich schrecklich dumm vorkam.

»Hättet Ihr meine Hand,« sagte die Maid, »für so schlimm erachtet, dann hättet Ihr sie wohl kaum so derb angefaßt! Aber ich sehe schon, Ihr kennt mich so aus dem FF, daß gar kein Grund für mich vorliegen kann, Euch mein Gesicht zu zeigen.«

»Schöne Katharina,« erwiderte der Page, »der wäre wahrlich nicht würdig, Euch je gesehen zu haben, der so lange unter einem Dach mit Euch gelebt, so lange Eure Grazie bewundert, Eure Mienen studiert, Euer Ebenmaß angestaunt hätte und Euch nicht überall erkennen sollte, wo ihm das Glück, Euch gegenüber zu treten, zu teil wird? Und wer mit Stumpfsinn geschlagen wäre, müßte Euch erkennen; was aber mich angeht, holde Kallivolis, dann könnt ich wohl auf diese Locke schwören, was hinter diesem Tuche sich birgt!«

».. und auf das Alltagsgesicht, das dieses Tuch verhüllt,« sagte das Mädchen, indem sie es zurückschob, aber im nämlichen Augenblick wieder darüber zu ziehen suchte. Es waren Katharinens Züge, aber ein eigentümlicher Grad von Ungeduld und Zorn zuckte darin auf, als es ihr nicht gelingen wollte, das mit der Eleganz und Gewandtheit zu tun, die ein auszeichnendes Moment für die Modedamen der damaligen Zeit war.

»Der Teufel soll den Fetzen in Stücke reißen,« rief das Fräulein, während das Tuch ihr um die Schultern wehte, in solch resolutem und zornigem Tone, daß der Page stutzig wurde. Er blickte ihr von neuem ins Gesicht, aber er sah in den Augen nichts anders als bisher. Dann half er ihr, das Tuch zu ordnen, und dann schwiegen beide eine Weile, Das Fräulein begann die Unterhaltung zuerst wieder, denn Roland war außer stande, sich die Widersprüche, die er im Aeußern und im Charakter bei Katharina entdeckte, zusammenzureimen.

»Was Ihr hier hört und seht,« sagte das Mädchen, »verwundert Euch? Aber der Lauf der Zeit, der aus Weibern Männer macht, ist am wenigsten geeignet, daß aus Männern Weiber werden; und doch steht Ihr, scheint's, in Gefahr einer solchen Metamorphose.« »Ich stünde in Gefahr, zu einem Weibe zu werden?« fragte Gräme.

»Ei freilich, trotz aller Keckheit, mit der Ihr antwortet! ..« erwiderte das Fräulein. »Zu einer Zeit, da Ihr festhalten solltet an Eurem Glauben, weil er bedrängt wird von allem möglichen verräterischen Ketzergesindel, laßt Ihr ihn Euch aus dem Herzen entwinden wie Wachs! Ist das nicht weibisch? ... Und was besticht Euch dazu? Feile Hoffnung auf Gewinn und irdische Auszeichnung! Ist das nicht weibisch? ...Und wenn Ihr Euch wundert, daß ich eine Drohung ausstoße oder einen Fluch über die Lippen gelangen lasse, solltet Ihr nicht vielmehr Euch wundern über Euch selbst, daß Ihr beim Vorhandensein eines Anspruchs auf edlen Namen und bei dem Streben nach Ritterswürde, das Euch doch beseelt, so feige, so töricht und so selbstisch sein könnt!«

»Ich wollte, solchen Vorwurf machte mir ein Mann!« rief der Page, »er sollte gewahren, ob er Ursache habe, mich der Feigheit zu zeihen, noch ehe er um eine Minute älter geworden wäre.«

»Seht Euch vor ob solcher stolzen Worte!« versetzte das Mädchen. »Ihr sagtet noch eben erst, ich trüge zuweilen Wams und Beinkleid.«

»Aber Ihr bleibt immer Katharina Seyton, und wenn Ihr sonst was tragt,« antwortete der Page, indem er von neuem versuchte, sich ihrer Hand zu bemächtigen.

»So gefällt es Euch, mich zu nennen,« entgegnete das Mädchen, seine Absicht vereitelnd, »doch führe ich daneben noch andre Namen!«

»Und wolltet auf den nicht hören, unter dem Ihr alle Schönen ganz Schottlands an Schönheit überstrahlt?« rief der Page.

Sein Lob bestach sie nicht, denn sie hielt ihn noch immer von sich fern, und unter mutwilligem Lachen hub sie an, aus einer Ballade die Strophe zu trällern:

»Der eine Herzliebste, der ruft mich Hans,
Und der andre bald Roland, bald Will.
Doch reite ich nüber nach Holyrood,
Dann bin ich der Willy Will.«

»Sagt lieber, der Eigenwill oder Hansdampf in allen Gassen,« rief Roland bitter, »denn ein trügerisches, luftigeres Gebilde hat's wohl nie gegeben!«

»Wenn ich's bin,« erwiderte das Mädchen, »so mach ich's doch keinem Narren zur Bedingung, mir nachzulaufen! und wenn er's tut, so tut er's aus eigner Lust und Freude, und muß auch die eigne Gefahr drum leiden!«

»Aber, holdeste Katharina, seid doch bloß mal einen einzigen Augenblick ernsthaft!« sagte Roland Gräme.

»Wollt Ihr mich Eure holdeste Katharina nennen,« sagte das Fräulein, »da ich Euch doch die Wahl ließ unter so mancherlei Namen, möchte ich Euch doch fragen, wie Ihr so grausam sein könnt, mir während der paar vergnügten Augenblicke, die ich seit Monden vielleicht genieße, zuzumuten, daß ich ernst sein solle? vorausgesetzt natürlich, daß Ihr die Vermutung, festhaltet, ich sei dem Turm dort drüben auf ein paar Stunden entronnen!«

»Aber, schöne Katharina, es gibt doch Augenblicke im Leben voll so tiefen und warmen Gefühls, daß sie Jahre aufwiegen! und solcher Augenblick war gestern für mich, als Eure Lippen..«

»Was?... meine Lippen?« fragte hastig das Fräulein.

»Als Ihr Eure Lippen zum Zeichen des Kreuzes so nahe brachtet, das Ihr mir auf die Stirn machtet!«

»Heilige Gottesmutter!« rief in noch stolzerm Tone und mit noch männlicherer Weise als bisher das Fräulein, »Katharina Seyton hätte ihre Lippen der Stirn eines Mannes genähert, und dieser Mann wärst Du? ... Sklave, Du lügst!«

Roland erstaunte. Als er aber erkannte, daß er das Zartgefühl des Mädchens durch diesen Hinweis auf einen Augenblick schwärmerischer Begeisterung gekränkt habe, bemühte er sich, ein paar Worte der Entschuldigung oder Rechtfertigung zu stottern, und seine Gefährtin ließ, ob sie schon aller gebührlichen Form ermangelten, sie doch gelten, zumal ihr Unwille sich bereits wieder gelegt hatte.

»Reden wir nicht weiter drüber,« sagte sie, »sondern scheiden wir! denn unsre Unterhaltung möchte zuletzt noch Aufmerksamkeit wecken, und die taugt vielleicht für uns beide nicht.«

»Erlaubt mir wenigstens, Euch nach einem abgeschiedenen Platze zu folgen!« sagte der Page,

»Das wagt Ihr doch nicht!« sagte das Mädchen.

»Ich sollte mich dorthin nicht getrauen, wohin Ihr geht?« fragte der Page.

»Ihr fürchtet Euch vor einem Hansdampf in allen Gassen,« sagte das Fräulein; »wie, wenn nun gar ein feuriger Drache käme, der eine Zauberin auf seinem Rücken trüge?«

»Wie Zauberer Merlin am Artushofe?« rief Roland; »gibt's solche Wunderdinge hier zu sehen?«

»Ich geh zur Mutter Rieneven, und die weiß mit der Wünschelrute fein Bescheid!«

»Dorthin will ich Euch folgen,« erwiderte Roland.

»Doch nur in gewissem Abstande!« erwiderte das Mädchen.

Geschickter als zuvor hüllte sie sich in ihren Mantel, mischte sich ins Gedränge und ging nach dem Dorfe zu, während Roland ihr behutsam, um keinerlei Aufmerksamkeit zu wecken, in einiger Entfernung folgte.


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