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Sechstes Kapitel.

Als das Fräulein in die Haupt- oder einzige Straße einbog, die Kinroß besaß, drehte es sich um, wie wenn es sich überzeugen wolle, daß er die Spur auch nicht verloren habe. Dann bog sie plötzlich in ein schmales Seitengäßchen ein, das von einer kleinen Reihe armseliger, baufälliger Hütten gebildet wurde. Vor der Tür solcher elenden Wohnstatt blieb sie noch einmal stehen und blickte wieder die Gasse hinauf nach dem Pagen, dann griff sie nach der Klinke, machte die Tür auf und verschwand ... So geschwind auch der Page hinter ihr her war, so verursachte doch der besondre Kniff, der beim Druck auf die Klinke von nöten war, und der Druck gegen die Tür, die auch nicht sogleich nachgab, eine Verzögerung von einigen Minuten. Ein räucheriger Gang führte, wie in allen schottischen Bauerhütten, zu dem sogenannten »Hallan«, der das Innere solcher Behausung von der Außenwelt scheidenden Lehmwand. Am Ende des Ganges führte eine Tür in dieser Scheidewand nach dem »Ben« oder innern Stäbchen der Hütte, und als Roland den Drücker faßte, da sprach eine weibliche Stimme:

Heil, wer im Namen des Herrn, wehe, wer im Namen des Feindes kommt!

Als er in das Zimmer eintrat, erblickte er vor einem niedrigen Herde eine Gestalt. Sonst war der Raum leer. Roland Gräme sah sich darin um, verwundert über Katharinas Verschwinden, ohne des alten Weibes zu achten, bis sie durch den Ton ihrer Stimme von neuem seine Aufmerksamkeit fesselte.

»Was suchst Du hier?« fragte sie.

»Ich suche ... ich suche...« stotterte verlegen der Page.

Aber er stockte, denn das alte Weib zog mit einem grimmigen Blicke, der ihre Stirn in tausend Falten legte, die hohen, grauen Brauen finster zusammen, stand auf, richtete sich zu voller Höhe auf, ritz das Tuch vom Haupte, nahm Roland beim Arm und führte ihn mit zwei Schritten quer durch das Zimmer vor ein kleines, schmales Fenster, das volles Licht auf ihr Gesicht warf und dem verdutzten Jünglinge die Züge von Magdalena Gräme zeigte ...

»Ja, Roland,« sagte sie, »Deine Augen betrügen Dich nicht, sie zeigen Dir die Züge derjenigen, die Du betrogen haft, deren Wein Du in Galle, deren Brot Du in Gift, deren Hoffnung Du in Verzweiflung verwandelt hast! ... Magdalena Gräme ist es, die jetzt an Dich die Frage richtet: Was suchest Du hier? – Das Weib, dessen einzige Sünde war, daß es Dich liebte über alles, mehr als das Heil der ganzen Kirche liebte, sie richtet jetzt an Dich die Frage: was suchest Du hier?« ... Und ihre großen schwarzen Augen hafteten auf dem Antlitz des Jünglings mit dem Ausdruck, den das Auge eines Adlers zeigt, der im Begriffe steht, seine Beute zu zerreißen.

Roland fühlte sich im Augenblick unfähig, zu antworten oder zu entrinnen. Die wunderliche Schwärmerin hatte von jenem Ansehen, das sie während seiner Kindheit über ihn gewonnen hatte, noch manches behalten. Außerdem war er sich der Leidenschaft und Unduldsamkeit gegen Widerspruch noch recht gut bewußt und ahnte, daß, er mochte antworten, was und wie er wollte, sich ganz sicher annehmen ließe, daß sie in maßlose Wut geraten werde. Darum schwieg er, und Magdalena Gräme fuhr mit steigender Begeisterung fort:

»Noch einmal, falscher Knabe, was suchest Du hier? Doch nicht die Ehre, auf die Du verzichtetest, den Glauben, den Du verlassen, die Hoffnungen, die Du zertrümmert hast? ... oder suchtest Du mich, die einzige Beschützerin, die einzige Verwandte, die sich Deiner angenommen hat in Deiner Jugend? vielleicht um mein graues Haar unter Deine Füße zu treten, wie schon die liebsten Wünsche meines Herzens?«

»Verzeiht mir, Mutter,« erwiderte jetzt Roland Gräme, »Euren Tadel verdiene ich gewiß nicht. Bin ich nicht von allen, und vor allen andern von Euch, verehrte Großmutter, behandelt worden wie einer, dem es an den gemeinsten Gaben eines freien Willens und einer richtigen Ueberlegung fehlte? Bin ich nicht in ein Land versetzt worden, rings umgeben von Zauberei? Ist mir nicht alles verkleidet entgegengetreten? hat nicht alles in Bildern zu mir gesprochen? daß ich befangen war wie in einem schweren Traume? ... Und nun scheltet Ihr mich, ich besäße nicht Beharrlichkeit? ich wäre nicht wie ein verständiger Mensch, der wisse, was er tue, und warum er es tue? ... Wenn ein Mensch mit Vermummten und mit Gespenstern umgehen muß, als wären es Erscheinungen und keine Wirklichkeit, so muß das den festesten Glauben erschüttern und den klügsten Kopf in Verwirrung setzen. Wen ich suchte, so fragt Ihr? Nun, dieselbe Katharina Seyton suche ich, mit der Ihr mich zusammengeführt habt! die ich hier in Kinroß traf, ohne daß ich mir zu erklären vermag, wie sie hierher gekommen sein soll, nachdem ich sie vor wenigen Stunden im Schlosse Lochleven verließ? die ich hier sehe in tollster Ungebundenheit, während ich sie verlassen habe als trübsinnigste Zofe einer gefangenen Königin? ... Sie habe ich gesucht, und Euch treffe ich an ihrer Statt? Euch, meine Mutter, und in noch seltsamerer Verkleidung!«

»Und was hast Du zu schaffen mit Katharina Seyton?« fragte die Greisin mit strenger Betonung; »ist das eine Zeit oder eine Welt, den Dirnen nachzulaufen oder um einen Maienbaum zu tanzen? da doch die Kriegstrompete jeden treugesinnten Schotten zur Fahne seines rechtmäßigen Fürsten ruft? Und da findest Du Zeit am Putztische eines Weibes zu vertrödeln?«

»Beim Himmel, nein!« erwiderte Roland Gräme, »weder Zeit für den Putztisch eines Weibes noch Zeit zur Haft in den alten Mauern einer Inselburg! Ich wollte, die Trommeten erklängen jetzt, denn kein schwächerer Schall wird, fürchte ich, die Geister bannen können, von denen ich zurzeit umgeben bin.«

»Zweifle nicht, er wird ertönen,« sprach die Greisin, »und so fürchterlich wird er durch Schottland schmettern, durch Berg und Tal, daß Schottlands Volk wähnen wird, den Posaunenlärm des jüngsten Gerichts zu vernehmen! ... Unterdes aber, mein Roland, sei brav und bleibe standhaft, diene Gott und ehre Deine Fürstin! und beharre bei Deinem Glauben! ... ich kann und will nicht fragen, ob die schrecklichen Gerüchte, die mir zu Ohren gekommen sind über Deinen Abfall von der alleinseligmachenden Kirche, wahr sind; ich traue mich nicht, danach zu fragen! ... Geh, wenn Du anfingst, diesen Weg des Fluches zu wandeln, nicht weiter! und Du kannst, selbst zu dieser späten Stunde noch, werden, was ich vom Sohne meiner Hoffnung erhoffte, ... was sage ich: meiner Hoffnung? von Schottlands Hoffnung, Schottlands Stolz und Schottlands Ruhm! ... Selbst Deine närrischen Wünsche können sich erfüllen! aber soviel merke Dir, Roland! Katharina Seyton wird ihre Liebe nur dem schenken, der ihre Gebieterin in Freiheit setzt. In Deiner Gewalt wird es also liegen, dieser glückliche Liebhaber zu werden! ... Hinweg also mit Furcht und Zweifel! bereite Dich zu dem, was die Religion von Dir erwartet, wozu die Religion Dich auffordert! ... bereite Dich zu dem, was Dein Vaterland von Dir erwartet, was Deine Untertanenpflicht von Dir fordert, was Deine Pflicht als Diener Deiner Königin Dir auferlegt! ... Und wenn Du hierin treu bist, dann werden sich, des sei überzeugt, Deine Hoffnungen am ehesten erfüllen, am schnellsten und leichtesten erreichen lassen!«

Sie hörte auf zu sprechen. Ein zweimaliges Klopfen erschallte an der Tür. Schnell rückte die Greisin ihr Tuch wieder zurecht, nahm ihren Platz am Herde wieder ein und fragte, wer da sei?

» Salve in nomino sancto! « ertönte es von draußen.

» Salvete et vos! « lautete die Antwort der Greisin.

Ein Mann trat ein. Er trug die gewöhnliche Tracht eines Reisigen im Gefolge eines Edelmanns und am Gürtel das Schwert und die Tartsche.

»Ich suchte Euch, Mutter,« sagte der Mann, »und den jungen Mann, den ich bei Euch sehe,« hierauf wandte er sich an Roland Gräme: »Solltest Du nicht ein Päckchen besorgen von Georg Douglas?«

»Das Päckchen habe ich,« sagte der Page, sich plötzlich dessen erinnernd, was ihm an diesem Morgen von dem Enkel der Lady Lochleven übergeben worden war. »Aber nicht jedem darf ich es ausfolgen, nur dem, der sich durch ein Zeichen als berechtigt ausweist, es mir abzufordern.«

»Ihr habt recht,« antwortete der Reisige und flüsterte ihm ins Ohr: »Was ich von Euch fordere, ist der Wochenbericht an Georg Douglas' Vater. Ist das genug als Ausweis?«

»Es ist genug,« erwiderte der Page. Hierauf nahm er das Päckchen aus seinem Busen und übergab es dem Manne.

»Ich kehre augenblicklich wieder,« sagte der Reisige und verließ die Hütte.

Roland Gräme hatte sich von dieser neuen Ueberraschung bald hinreichend erholt, um seine Großmutter zu fragen, warum er sie in solch seltsamer Vermummung und an solchem doch gewiß nicht ungefährlichen Orte treffe.

»Welchen Haß die Lady Lochleben gegen alle hegt, die Eures oder vielmehr unsers Glaubens sind, kann Euch nicht unbekannt sein, Großmutter,« sagte er, »und Eure jetzige Verkleidung setzt Euch mancherlei Argwohn andrer Art aus, der nicht minder verhängnisvoll werden kann, sei es als Katholikin oder als Zauberin oder als Parteigängerin der unglücklichen Königin, die sich innerhalb des Grenzbereiches Douglasscher Macht befindet. Und an dem Lochlevenschen Kämmerer dürftet Ihr wohl auch keinen Freund haben.«

»Nein,« rief die Greisin mit blitzenden Augen, »das weiß ich freilich, daß der auf seine Mixturen versessene Narr wie der Teufel mich haßt, seitdem ihm zu Ohren gekommen ist, daß die Heiligen mein Gebet gesegnet haben, daß Reliquien aus meinem Schrein bessere Heilung brachten als seine Arzneien. Aber der Magd des Herrn wird kein Leid geschehen, bis des Herrn Werk vollbracht ist. Und wann diese Stunde schlägt, dann mögen sich die Schatten der Nacht unter Blitz und Ungewitter auf mich niedersenken, und willkommen soll die Zeit mir sein, die meine Augen befreit vom Anblick der Sünde und meine Ohren vom Hören der Lästerworte. Aber Du sei standhaft und spiele Deine Rolle, wie ich die meinige gespielt habe und spielen werde, und Erlösung wird mir winken wie dem gebenedeiten Märtyrer, den die Engel des Paradieses willkommen heißen mit Psalmen und Lobgesängen, unter deren Schall der Hohn und die Verwünschungen der Erde ersticken.«

Als sie geendigt hatte, trat der Reisige wieder in die Hütte und sagte: »Es ist alles gut, die Zeit ist festgesetzt auf morgen nacht.«

»Welche Zeit ist festgesetzt? und was ist festgesetzt?« rief Roland, »ich habe doch hoffentlich Douglas' Auftrag an keinen Unrechten besorgt?«

»Seid ohne Sorge, junger Mann,« versetzte der Reisige, »Ihr habt mein Wort und mein Zeichen.«

»Vom Zeichen weiß ich nicht, ob es das rechte ist, und auf das Wort eines Fremden lege ich keinen besondern Wert,« erwiderte der Page.

»Und hättest Du auch den Auftrag eines Meuterers gegen die Königin einem getreuen Untertan in die Hände gespielt, so brauchte das Versehen Dich nicht zu grämen, Roland Gräme!«

»Beim heiligen Andreas!« rief da Roland, »das wäre freilich ein erbärmlicher Irrtum; denn treu meinem Worte zu sein, liegt auf dieser ersten Stufe des Rittertums mir ob als heiligste Pflicht. Und hätte mir der Teufel in Person einen Auftrag erteilt und mein Wort für die Besorgung in Händen, so verriete ich seinen Anschlag an keinen Engel!«

»Ha, erwürgen konnte ich Dich mit eigner Hand, bei der Liebe, die ich einst für Dich empfunden!« sprach die Greisin, »höre ich Dich faseln von einer Treue, die Du Ketzern und Empörern schuldig zu sein meinst, wenn es sich um das Heil Deiner Kirche und Deiner Fürstin handelt.«

»Seid ruhig, liebe Schwester,« sagte der Reisige, »ich will ihm Gründe namhaft machen, die seine Zweifel beseitigen werden. Die Gesinnung, die ihn dazu bestimmt, ist löblich, wenn auch hier vielleicht zur Unzeit angebracht ... Folgt mir, junger Mann!«

»Ehe ich mit diesem Manne gehe, mich zu überzeugen von der Nichtigkeit seiner Worte, eine Frage noch, Mutter: kann ich nichts tun zur Erleichterung Eurer Lage?«

»Nichts, mein Sohn, außer was Dich zur Ehre führen wird!« sprach die Greisin streng – »wandle den Pfad des Ruhms, der Dir vorgezeichnet ist, und gedenke meiner als einer Person, die sich freuen wird, Gutes von Dir zu hören! Und nun geh und folge dem Fremden! er hat Nachricht für Dich, wie Du sie kaum erwartet haben wirst!

Mit raschen Schritten ging der Fremde voraus und aus der Hütte, dem Gäßchen entlang, und nun bemerkte Roland, daß sich bloß auf der einen Seite desselben Hütten befanden, und daß die andre Seite von einer alten, hohen Mauer eingeschlossen war, über die ein paar Bäume ihre Zweige reckten. Nach einem kurzen Stück Wegs kamen sie an eine niedrige Tür. Der Fremde blieb ein paar Augenblicke stehen, sich umzusehen, ob er nicht beobachtet werde, dann zog er einen Schlüssel aus der Tasche, öffnete die Tür und trat über die Schwelle, dem Pagen winkend, ihm zu folgen. Dann schloß der Fremde behutsam die Tür wieder ab.

Roland sah sich um und bemerkte, daß er in einem kleinen Baumgarten sich befand. Der Fremde führte ihn durch eine Reihe von Gängen in eine Laube und forderte ihn auf, sich auf eine Rasenbank zu setzen, während er selbst an einen Pfosten sich lehnte. Nach kurzem Schweigen begann er:

»Ihr verlangtet Gewähr von mir, daß ich von Georg Douglas beauftragt sei, das Euch anvertraute Paket an mich zu nehmen?«

»Ja,« versetzte Roland, »und sollte mir hier ein Irrtum unterlaufen sein, so muß ich zusehen, alles zu tun, was in meinen Kräften steht, den Schaden wieder gut zu machen.«

»Ihr meint, ich sei Euch völlig fremd,« erwiderte der Mann. »Ei, so seht Euch doch mein Gesicht einmal näher an!«

Roland sah den Fremden aufmerksam an, konnte aber in seinen Zügen nichts entdecken, was ihn an frühere Bekanntschaft erinnerte.

»Nun, mein Sohn,« sagte der Fremde, seine Verlegenheit wahrnehmend, »den Ihr vor Euch seht, ist Pater Ambrosius, der einst wähnte, Euch für seinen Glauben gewonnen zu haben, jetzt aber einen Abtrünnigen in Euch beklagen muß.«

Seinen ehemaligen Lehrer und geistlichen Führer in solcher kläglichen Lage, als gemeinen Reisigen, zu sehen, ging Roland, dessen Herzensgüte seiner Lebhaftigkeit um nichts nachstand, so nahe, daß er auf die Kniee sank und laut aufschluchzte.

»Durch welches Verhängnis,« rief der Page – »und doch,« unterbrach er sich selbst, »was brauche ich zu fragen? hat mich doch Katharina Seyton schon vorbereitet ... aber daß ein so gänzlicher Umsturz, ein so völliger Wechsel der Verhältnisse ...«

»Mein Sohn, was sollen diese Tränen?« erwiderte der Abt; »sollen sie bezeugen, daß Du Deiner Abtrünnigkeit Dich schämst, dann ist es ein Erguß, Gott und den Heiligen wohlgefällig – aber nicht vergieße sie um meinetwillen! Freilich siehst Du das Oberhaupt des heiligen Marienklosters in der Kleidung eines armen Knappen, aber solches ist den Zeitumständen angemessen und steht einem Prälaten der streitenden Kirche ebensogut an wie Bischofsstab und Inful zurzeit, da die Kirche als triumphierende erscheint.«

»Und Euer Bruder, der Ritter von Avenel, konnte denn er nichts tun zu Eurem Schutze?«

»Er ist selbst in Verdacht geraten bei den Mächtigen im Lande,« sagte der Abt, »denn sie beweisen sich ebenso ungerecht gegen ihre Freunde wie grausam gegen ihre Feinde. Nicht könnte es mich betrüben, wenn ich hoffen dürfte, es werde ihn ablenken von der betretenen Bahn des Irrtums, doch besorge ich bei Halberts Denkungsweise eher, es werde ihn spornen zu Taten, noch verderblicher für die Kirche, noch mißfälliger in den Augen des Herrn, den Feinden Gottes und der Kirche zum Zeugnis dafür, wie treu er ihrer Sache anhängt ... Ich bin sicher, es wird Euch genügen, daß das Paket, vor kurzem noch in Euren Händen, von Georg Douglas für mich bestimmt war.«

»Dann also ist Georg Douglas –« Hub der Page an, und der Abt ergänzte seine Worte: »Ein Freund seiner Königin, Roland, dessen Augen, so hoffe ich, bald sich öffnen werden über die Irrtümer seiner sogenannten Kirche!«

»Was aber ist er dann seinem Vater, was der Lady Lochleven gegenüber, die ihm so viel gewesen ist wie eine Mutter?« fragte der Page voll Ungeduld.

»Der beste Freund ist er beiden, in Zeit sowohl als in Ewigkeit,« erwiderte der Abt, »wenn er zum glücklichen Werkzeug wird, das Böse gut zu machen, das sie schaffen und schufen.«

»Aber, mein Vater,« machte Roland geltend, »ist solch Verhalten eines Mannes wie Douglas nicht eben das, was unsre Gegner uns zur Last legen? wenn sie sagen, daß wir handelten nach dem Lehrsätze, der Zweck heilige die Mittel?«

»Die Ketzer haben bei Dir, mein Sohn, ihre gewöhnlichen Mittel angewendet,« versetzte der Abt, »uns möchten sie gern des Rechtes berauben, klug und versteckt zu handeln, obgleich ihre Ueberlegenheit an irdischer Macht uns verbietet sie zu bekämpfen ... Doch darüber ein andermal mehr. Jetzt, mein Sohn, befehle ich Dir auf Dein Gewissen, mir aufrichtig zu bekennen, was Dir begegnet ist, seit wir voneinander geschieden wurden, und wie der gegenwärtige Zustand Deines Herzens beschaffen ist. Die Großmutter Gräme ist eine eifrige Dienerin Gottes und der Kirche, aber ihr Eifer ist nicht immer mit Klugheit verbunden. Darum, mein Sohn, möcht ich Dich gern selbst befragen und selbst auch beraten.«

Mit aller seinem Lehrer gebührenden Ehrerbietung erzählte Roland die unsern Lesern bekannten Ereignisse und unterließ auch nicht von dem Eindrucke zu sprechen, den Katharina Seyton auf sein Gemüt gemacht hatte.

»Zu meiner Freude bemerke ich, mein lieber Sohn,« entgegnete der Abt, daß ich noch grade zeitig genug komme, Dich am Rande des Abgrundes aufzuhalten, in den Du zu versinken drohtest. Dem Unkraut, das in fettem Boden aufschießt und das der Landmann mit gar emsiger Hand ausrotten muß, sind die Zweifel Deiner Seele zu vergleichen. Aber Du darfst nicht hoffen, diese Lockungen des Bösen durch die Vernunft allein zu besiegen. Versenke Deine Gedanken in die Anbetung der heiligen Gottesmutter, wenn Dir der Erzketzer die Ohren zu füllen sucht und es die Umstände Dir nicht gestatten, Dich seiner Gesellschaft zu entziehen. Und wenn Du Deine Gedanken nicht fest auf himmlische Dinge lenken kannst, dann denke lieber an Deine irdischen Freuden, als daß Du Gott und die Heiligen in Versuchung setzest dadurch, daß Du der Irrlehre Dein Ohr leihst. Der Himmel fördert seine Ratschlüsse auch durch die Torheit der Menschen, und die ehrgeizige Neigung, die Douglas beherrscht, wird nicht minder als die, welche Dich so völlig gefangen hält, das Ziel erringen helfen, das uns vorschwebt.«

»Wie, mein Vater,« rief der Page, »so ist es also wahr, daß Douglas liebt ...«

»Douglas liebt, und seine Liebe hat sich ein ebenso verkehrtes Ziel gesucht wie Deine Liebe ... doch nimm Dich vor ihm in acht und tritt ihm nicht in den Weg!«

»Er mag zusehen, daß er mir nicht in den Weg trete!« rief der Page heftig, »denn nicht einen Zoll werde ich ihm weichen, und hätt er den Mut von jedem Douglas im Leibe, der seit den Zeiten des Graumännchens gelebt hat.«

Da näherte sich ein alter Mann, wie ein Bauer gekleidet, der Laube und grüßte den Abt.

»Ich komme Euch zu melden, daß der junge Mensch vom Kämmerer Lundin gesucht wird, und daß er gut täte, sich gleich zu ihm zu verfügen. Heiliger Franciscus, wenn seine Hellebardiere den Weg hierher fänden, die richteten doch mein ganzes Gärtchen zu grunde!«

»Schicken wir ihn fort, Bruder,« sagte der Abt, »aber wie können solche geringen Dinge im Augenblick der schwersten Entscheidung, die uns bevorsteht, die Schottland bevorsteht, Dein Gemüt beschäftigen?«

»Ehrwürdiger Vater,« sagte der Eigentümer des Gartens, denn er war es, »wie oft muß ich Euch noch bitten, Eure hehren Ermahnungen an Gemüter zu richten, die Euch gleichgestimmt sind? ... Was habt Ihr von mir begehrt, das ich Euch nicht gewährt hätte, wenn auch schweren Herzens?«

»Eins begehren möchte ich von Euch und muß ich von Euch, daß Ihr Euch selber treu seid, daß Ihr nicht vergeßt, wer Ihr gewesen seid, und wozu frühere Gelübde Euch verbanden!«

»Vater Ambrosius,« erwiderte der Gärtner, »durch die Proben, die Ihr meiner Geduld stelltet, wäre unsrer sämtlichen Heiligen Geduld erschöpft worden. Daran, was ich gewesen, ist nichts gelegen, und niemand weiß besser als Ihr, worauf ich in der Hoffnung auf Ruhe in meinen letzten Tagen Verzicht leistete, und niemand weiß besser als Ihr, wie meine Freistatt überfallen, meine Obstbäume vernichtet, meine Blumen zertreten, meine Ruhe erschüttert, ja aller Schlaf mir geraubt wurde, seit die Königin, der unser lieber Herrgott seinen Segen geben möge, nach Lochleven gebracht wurde ... Ich schelte sie nicht und tadle sie nicht. Sie sitzt in Gefangenschaft, und daß sie wünschen mag, solch niedrer Haft zu entkommen, ist menschlich begreiflich, ist doch dort drüben in dem alten Steinloch kaum Raum für einen Garten, denn die Dünste, die aus dem Wasser aufsteigen, sollen, wie ich gehört habe, jede Knospe im Keime ersticken. Aber warum mußte man mich in dieses Komplott mit einbeziehen? warum meine harmlosen Lauben, die ich mit eigner Hand gepflanzt, zu Sammelplätzen für die Verschwörer machen? warum meine Anlände, die für meinen kleinen Kahn von mir gezimmert wurde, zu einem Hafen für geheime Einschiffungen machen? ... warum mußte, mit einem Worte, ich in einen Plan verwickelt werden, der menschlichem Ermessen nach mit nichts anderm als Schafott und Galgen enden kann?«

»Bruder, Ihr seid verständig, Ihr solltet wissen ...« sagte der Abt.

»Nein, ich bin nicht verständig, keine Bohne Verstand hab ich, kein Krümelchen Witz hab ich,« versetzte ärgerlich der streitbare Gärtner, sich die Ohren mit den Fingern zuhaltend, »Verstand hat man mir immer bloß eingeredet, wenn man mich zu einer Dummheit verleiten wollte!«

»Aber, mein lieber Bruder in Christo,« hub der Abt wieder an.

»Ich bin kein lieber Bruder,« versetzte der Gärtner, »hätt ich Verstand gehabt, hätt ich Euch hier nicht aufgenommen, und wäre ich ein lieber Bruder, dann hätt ich Euch mit Eurem Komplott zur Störung des Friedens im Lande Gott weiß wohin geschickt! Was soll uns und dem Lande dieser Streit zwischen König und Königin nützen? Können wir Menschen denn nicht friedlich beieinander wohnen? sub umbra vitis? und wenn ich ein verständiger Mensch wär und ein lieber Bruder, dann tät ich das auch! Aber so bin ich lieber Bruder bloß in dem Sinne, daß Ihr mir aufhalsen könnt, was Euch gefällt! Komm also mit mir, junges Bürschchen! mein Bruder in seiner Tracht als Knappe wird mir wenigstens insoweit recht geben, daß Du nun lange genug hier gewesen bist.«

»Folge meinem frommen Bruder,« sagte der Abt zu Roland, »und bleib eingedenk meiner Worte! Der Tag ist nahe, an dem sich die Treue Schottlands erproben wird ... mag Dein Herz sich bewähren so fest wie der Stahl Deines Schwertes!«

Der Page verneigte sich, und sie schieden. Der Gärtner führte den Pagen zu einer andern Tür, als durch die er gekommen war. An der Schwelle blieb er stehen und machte das Zeichen des Kreuzes. Dann sprach er zu Roland:

»Jüngling, laß Dir raten von einem alten Manne, von einem, der lang in der Welt gelebt hat und auf höhern Posten, in höhern Aemtern gesessen hat, als Du erhoffen kannst... Laß Dir raten und krümme Dein Schwert zu einer Gartenhippe, aus Deinem Dolch aber mach ein Gartenmesser! Dir wird's dann, rückst Du in höhere Jahre auf, nur um so wohler sein. Hilf mir in meinem Garten, ich will Dir die französischen Pfropfweisen beibringen, das ist besser für Dich als in Kriegsfehde ziehen. Es wird ein Wirbelsturm über unser Land hinbrausen, und bloß solche werden ihm entgehen, die niedrig genug stehen, daß der Sturm ihre Aeste nicht fassen kann!«

Dann sprach er das Benedicite und kehrte, nachdem er die Pforte fürsorglich verschlossen hatte, brummend in den Garten zurück.


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