Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Drittes Kapitel

Die Lebensweise, zu der sich Maria Stuart und ihr Gefolge verurteilt sahen, war im höchsten Grade einsam und abgeschieden, und bloß wenn das Wetter einen Spaziergang im Garten oder auf den Schloßzinnen gestattete, kam eine geringe Abwechslung in das ewige Einerlei. Für Roland war die Zeit, die er in Gesellschaft der Damen zuzubringen hatte, noch am angenehmsten, denn dann befand er sich doch in der Nähe der muntern Katharina Seyton, für deren unvergleichlichen Witz und herrliche Gabe, ihre Gebieterin aufzuheitern, er immer große Bewunderung fand.

Sie tanzte, sang, erzählte Märchen und Geschichten, trieb allerhand Spaß und Kurzweil, ja zeigte zuweilen eine so übertriebne Lustigkeit, wie sie sich besser für ein Dorfkind, die Königin beim Maienfeste, geschickt hätte als für die Tochter eines altadligen Hauses. Wenn sich die ernstere Gefährtin bei solchen Anlässen mit Vorhalt und Tadel gegen sie kehrte, dann verglich die Königin sie einem abgerichteten, dem Käfig entflohenen Singvögelchen, das in der Wonne der Freiheit und im unbeschränkten Besitze waldigen Grüns all die Lieder und Weise anstimmt, die es während seiner Gefangenschaft gelernt hat.

Die wenigen Augenblicke, die der Page in der Nähe dieses bezaubernden Wesens zubringen durfte, eilten ihm zuvor wie Blitze vorüber, aber sie schufen ihm doch reichliche Entschädigung für die ermüdende Langweile des ganzen übrigen Tages, selbst wenn es ihm auch nie wieder vergönnt war, allein mit ihr zu sprechen oder gar zusammen zu sein. Ob der Grund zu dieser Absperrung in besondrer Vorsicht auf den Haushalt der Königin lag oder ob sie zu solchen Bestimmungen durch ihre Begriffe von Anstand und Schicklichkeit überhaupt veranlaßt wurde, oder ob die eigentliche Triebfeder hierzu mehr die ältere Zofe Maria Fleming war, darüber sich genauen Einblick zu verschaffen, wollte ihm nicht gelingen, so wenig wie es ihm glückte, genauere Nachforschungen über die geheimnisvolle Pagen-Erscheinung im Sankt-Michaels-Gasthofe anzustellen.

So schlichen langsam die Wintermonate hin, und der Frühling war bereits wieder eingekehrt, als Roland Gräme in dem Verhalten seiner Mitgefangnen langsam eine gewisse Veränderung wahrzunehmen meinte, und bald gewann er die Ueberzeugung, daß unter ihnen etwas im Werke war, das sie nicht zu seiner Kenntnis gelangen lassen mochten, daß Königin Maria durch Mittel und Wege, in die er keinen Einblick gewinnen konnte, einen Briefwechsel mit Personen außerhalb der Schloßmauern unterhielt und sich mit Fluchtgedanken trug. Nicht immer konnte sie es ganz verbergen in den Gesprächen, die sie mit ihren Damen führte, daß sie von den Dingen, die sich in der Welt zutrugen, Kenntnis hatte. Er machte die Beobachtung, daß sie sich weniger mit ihrer Stickerei als mit Briefschreiben befaßte, und daß sie auch, wahrscheinlich um jeden Argwohn in Schlummer zu wiegen, ein weniger schroffes Wesen gegen Lady Lochleven an den Tag legte, daß sie mehr ein Benehmen zeigte, als fange sie allmählich an, sich in ihre Lage zu schicken.

»Die Damen müssen grade denken, ich sei blind,« sprach er bei sich, »und scheinen zu meinen, ich verdiene ihr Vertrauen nicht, vielleicht weil sie mich noch zu jung halten oder weil mich der Regent hergeschickt oder weil ich bei dem Kaplan den Gottesdienst anhöre? aber dazu haben sie mich doch selbst veranlaßt!« indessen hatte Roland hiermit wahrscheinlich das Richtige getroffen und zwar darum mochte man gegen ihn eingenommen sein, weil er dem Kaplan den Wunsch ausgesprochen hatte, sich über verschiedne religiöse Themata mit ihm in besondrer Weise zu unterhalten, und ihm offen bekannt hatte, daß er ein gewisses Bedürfnis nach seinem Unterricht in seinem Herzen fühle.

Der Kaplan, der mit dem Plan im Herzen nach Lochleven gekommen war, unter der Dienerschaft der Königin Proselyten zu machen, nahm die Gelegenheit, die ihm Roland Gräme bot, gern wahr, und Lady Lochleven erschloß ihm zufolge seines frommen Eifers ihr Herz so weit, daß sie ihm ein paarmal, wenn auch mit aller Vorsicht, Erlaubnis erteilte, nach Kinroß, einem über dem See gelegnen Dorfe, hinüber zu fahren, und für seine Herrin einige unbedeutende Besorgungen zu machen. Aber zu seinem Leidwesen machte er die Wahrnehmung, daß er im selben Verhältnis, wie er bei Lady Lochleven in der Gunst stieg, bei der Königin und ihren beiden Damen in der Gunst sank, und immer deutlicher wurde es ihm, daß er von ihnen für einen Aufpasser angesehen wurde, vor dessen Ohren man sich zu hüten habe. Mit diesem Schwinden des Vertrauens trat auch eine Veränderung in dem Benehmen gegen den Pagen ein: die Königin, die ihn früher oft einmal durch eine Artigkeit ausgezeichnet hatte, würdigte ihn jetzt noch kaum eines Wortes, Lady Fleming zeigte bloß durch allgemeine Bemerkungen noch, daß sie von seiner Anwesenheit Kenntnis hatte, und Katharina wurde schnippisch, herb und grillig bei dein geringsten Anlaß, der sich ihr bot, dem Pagen ein Wort zu sagen. Am meisten aber verdroß es ihn, daß sich zwischen Georg Douglas und Katharina Seyton freundlichere Beziehungen in die Wege zu leiten schienen. Mit einem Worte, Rolands Situation wurde von Tag zu Tag unbehaglicher, und es war nur begreiflich, daß sich sein Herz gegen solch ungerechte Behandlung empörte, daß er die Königin sowohl als Katharina Seyton, denn die Meinung des Fräuleins Fleming war ihm gleichgültig, einer Ungereimtheit beschuldigte, wenn sie ihm gram sein sollten um seines Verhaltens willen, das doch einzig und allein die Folge einer von ihnen selbst gegebnen Weisung war. Warum hatten sie ihn geheißen, den Gottesdienst dieses gewaltigen Streiters vorm Herrn, der nun einmal Kaplan Henderson war, zu besuchen? was konnte er dafür, daß Kaplan Henderson ein unendlich eifrigerer Gottesmann war als der greise Heinrich Worden auf dem Schlosse Avenel? daß er ganz anders zu predigen, dem Worte Gottes viel faßlichere, weit mehr zum Herzen gehende Auslegungen zu geben verstand als jener?... »Aber ich will dieses Leben nicht länger mehr ertragen,« sprach Roland bei sich; »denken die Damen am Ende, ich werde meine Gebieterin deshalb verraten, weil mir Gründe aufsteigen, an der Religion zu zweifeln, an die sie glauben?« In einer schlaflosen Nacht reifte der Entschluß in seinem Herzen, sich gegen Georg Douglas auszusprechen, am Morgen aber wurde er wieder wankend, und da traf es sich, daß er an diesem Tage zu einer frühern Stunde als sonst zur Königin beschieden wurde. Da er sich vorgenommen hatte, mit Douglas angeln zu gehen, trug er die Angelrute in der Hand, als er der Königin gegenübertrat.

»Katharina muß wohl oder übel auf andern Zeitvertreib sinnen,« sagte die Königin zu Maria Fleming, »denn unser fürsorglicher Page hat schon über seine Zeit für heute verfügt.«

»Ich sagte ja gleich, daß Eure Gnaden nicht zu sicher auf einen jungen Menschen rechnen dürften, der so manche Bekanntschaft unter Hugenotten hat und infolgedessen über weit mehr Mittel, sich Unterhaltung zu schaffen, verfügt als wir.«

»Ich hätt nichts dawider,« rief Katharina, und ihr geistvolles Gesicht errötete vor Verdruß, »wenn er sich mit seinen Kumpanen auf und davon machte, und statt seiner ein Page den Weg hierher fände, der treu zu seiner Königin und seinem Glauben hielte.«

»Eure Wünsche, mein gnädiges Fräulein, können zu gewissem Teil Erfüllung finden,« erwiderte Roland, außer stände, über die Behandlung, die ihm von den Damen widerfuhr, seinen Unmut länger zu verbergen, und wollte grade noch beifügen, daß er dem Fräulein von Herzen einen andern an seiner Statt zur Gesellschaft wünsche, der besser imstande sei, Weibermucken zu ertragen, ohne sie sich zu Heizen zu nehmen wie er ... da besann er sich aber noch rechtzeitig auf die Reue, die er empfunden hatte, als er sich bei einer ähnlichen Veranlassung von seinem Temperament hatte fortreißen lassen, und biß sich auf die Lippen, daß ihm die Worte auf der Junge erstarben, die in Gegenwart einer Königin noch um so ungeziemender gewesen wären.

»Warum steht Ihr da wie an den Boden gewurzelt?« fragte die Königin.

»Ich warte auf die Befehle von Euer Gnaden,« erwiderte der Page.

»Ich hab keine Befehle für Euch – schert Euch!«

Auf dem Weg nach dem Boote hörte er noch deutlich die Worte der Königin zu einer ihrer Zofen: »Da seht Ihr, in welche ärgerliche Situation Ihr uns gebracht habt!«

Dieser kurze Auftritt war bestimmend für Rolands Entschluß, den Aufenthalt in Lochleven so viel wie möglich abzukürzen und noch heute mit Douglas darüber zu sprechen, wie er am schnellsten in dieser Hinsicht zum Ziele kommen könne. Douglas saß wie immer still und schweigsam in dem kleinen Kahne, den sie auf ihren Angelfahrten benützten, Roland stieg mit ein und sie ruderten nun ein Stück weit in den See hinaus.

Da sagte Roland zu Georg Douglas:

»Ich möchte gern mit Euch über etwas sprechen, Douglas, wenn's Euch recht wäre.«

Der schwermütige Zug in dem Gesichte des jungen Mannes wich unvermutet dem scharfen Blick eines auf seiner Hut befindlichen Herrn, der einer wichtigen Nachricht beunruhigenden Charakters entgegensieht.

»Mir ist der Aufenthalt in diesem Schlosse bis in den Tod zuwider,« sagte Roland.

»Weiter nichts?« versetzte Douglas. »Ich wüßte niemand im Schloß, dem's nicht ebenso ginge,«

»Mag sein, aber ich bin weder hier geboren, noch sitze ich hier in Gefangenschaft; deshalb darf ich wohl vernünftigerweise den Wunsch hegen, Lochleven zu verlassen.«

»Euer Wunsch möchte an Vernunft kaum einbüßen, wenn eins von beidem der Fall wäre,« erwiderte Douglas. »Ich habe aber nicht bloß das Leben hier satt, sondern will fort von hier,« sagte Roland Gräme.

»Leichter gesagt als getan,« sagte Douglas,

»Leicht getan, wenn's Euch und Eurer Frau Mutter recht ist,« sagte Roland.

»Ihr seid im Irrtum, Roland,« erwiderte Douglas, »und werdet bald erkennen, daß hierzu die Einwilligung von zwei andern Personen nicht minder unerläßlich ist, und zwar einerseits der Lady Maria, Eurer Herrin, anderseits des Regenten, meines Oheims, der Euch an diesen Platz beorderte und es schwerlich angemessen finden dürfte, daß die Lady so schnell mit ihrem Diener wechselt.«

»So müßte ich bleiben, auch wider meinen Willen?« fragte der Page, ziemlich betroffen über eine Auffassung, die ihm, wäre er erfahrener gewesen, selbst hätte kommen müssen.

»Wenigstens werdet Ihr so lange bleiben müssen, bis es meinem Onkel passen wird, Euch gehen zu lassen.«

»Offen gestanden,« sagte der Page, »sollte ich mich hier als Gefangnen anzusehen haben, so sage ich Euch als einem Edelmann, den ich keines Verrats für fähig halte, daß mich weder Ringmauern noch Fluten lange in meinem Kerker halten sollten.«

»Offen gestanden,« erwiderte Douglas, »könnt ich Euch solchen Versuch auch nicht verdenken. Aber bei dem allen würde Euch sowohl mein Vater, als mein Onkel, Graf Morton und jeder meiner Brüder, wie jeder königliche Diener, dem Ihr in die Hände gerietet, aufknüpfen lassen wie einen gemeinen Hund oder wie eine Schildwache, die von ihrem Posten gelaufen ist. Und entkommen dürftet Ihr ihnen schwerlich, darauf geb ich Euch Brief und Siegel ... Aber haltet dort auf die kleine Insel zu. Dort gelingt uns sicher ein guter Fang. Haben wir uns mit Angeln eine Stunde die Zeit vertrieben, dann wollen wir über das, was Ihr angeregt habt, uns näher besprechen.«

Als die von Douglas gesetzte Zeit verstrichen war, nahm er das Ruder und gab Roland das Steuer. Mittwegs zwischen Insel und Landungsplatz ließ er die Ruder ruhen und sagte, sich behutsam umsehend, zu seinem Gefährten:

»Ich könnt Euch was mitteilen, aber es ist ein so tiefes Geheimnis, daß ich es selbst hier zwischen Himmel und Flut, wo niemand uns belauschen kann, nicht auszusprechen wage.«

»Zieht Ihr die Ehre dessen, der allein Euch hören kann, in Zweifel, dann laßt's ungesprochen,« erwiderte Roland. »Nicht Eure Ehre ziehe ich in Zweifel, doch Ihr seid jung, unbedacht, wankelmütig,« sagte Douglas.

»Wer hat Euch gesagt, ich sei wankelmütig!« fragte Roland.

»Jemand, der Euch vielleicht besser kennt als Ihr Euch selbst!«

»Vermutlich Katharina Seyton,« sagte der Page mit klopfendem Herzen, »aber sie ist selbst fünfzig mal wetterwenderischer als die Wasserfläche, über die wir jetzt fahren.«

»Katharina Seyton, junger Freund, ist ein Fräulein von edler Abkunft, über das man so leichthin sich nicht äußern darf,« sagte Douglas.

»Herr Georg Douglas,« versetzte Roland, »es scheint, als solle etwas, was wie Drohung aussieht, Euren Worten Nachdruck leihen, ich mochte aber zu bemerken bitten, daß ich mir aus einer Drohung nicht mehr zu machen pflege wie aus einer Forellenflosse, und nebenbei muß ich sagen, daß ein Kämpe, der sich um jedes vornehmen Fräuleins willen, das die Männer eines veränderlichen Sinnes zeiht, in die Gefahr eines Zweikampfes stürzen wollte, bald alle Hände voll zu tun haben dürfte.«

»Still, still,« sagte der Seneschall, doch in gutgelauntem Tone, »Ihr seid ein wunderlicher Kauz, mit dem sich darüber reden läßt, wie man ein Netz wirft oder einen Falken steigen läßt, aber über nichts andres.«

»Dreht sich Euer Geheimnis um Katharina Seyton,« sagte der Page, »so läßt es mich kalt, und Ihr dürft's ihr ruhig sagen, wenn's Euch beliebt. Ich weiß ja, sie findet schon Gelegenheit mit Euch zu sprechen.«

Die jähe Röte, die Douglas in die Wangen schoß, verriet dem Pagen, daß er richtig geraten, wenn er auch nur auf den Strauch geschlagen hatte, aber die Ueberzeugung, daß es so war, fuhr ihm wie ein Dolchstich durch das Herz, Sein Kamerad griff wieder, ohne weitere Erwiderung, zu den Rudern und setzte sie erst wieder ab, als sie zum Schloß und Eiland gelangt waren. Hier nahmen die Diener die gewonnene Beute in Empfang, die beiden Angler aber verfügten sich jeder in seine Stube,

Eine Stunde lang mochte Roland in seinem Grolle gegen Schloß und Menschen dagesessen haben, als ihn sein Dienst zur Tafel der Königin rief. Verdrießlich kleidete er sich um und verdrießlich stellte er sich hinter dem Stuhle seiner Gebieterin auf; sie mochte es bemerken und wahrscheinlich zu der altern Zofe ein paar Worte darüber äußern, denn diese lachte, während Katharina sie halb lächerlich, halb empfindlich aufzunehmen schien. Da aber Roland seine Miene nicht änderte, schien die Königin sich anders zu besinnen, es schien ihr leid zu tun, daß sich das junge Blut grämte, und sie machte nun mit dem ihr eignen Zartgefühl, das kein Weib in höherm Grade besessen haben dürfte als sie, das Unrecht wieder gut, indem sie erst die Fische lobte, die er gefangen, und die ihr zum Fasttage eine so herrliche Speise gebracht hätten, dann die schönen Farben der Fische lobte, dann von dem Fangorte, über die Größe und Schmackhaftigkeit, zuletzt über die Vorzüge plauderte, die den im Gebirgswasser gefangnen Forellen gegenüber den See-Forellen zuzusprechen seien ... und Rolands Mißmut schwand wie Schnee vor der Sonne, er pries die Herrlichkeiten von Schottlands Bergen und Tälern, er erzählte von den prächtigen Forellen im Tale des Nith und von der ganz eigentümlichen Art, die im Schloßsee von Lochmaben gefangen werde, und er geriet in solches Feuer, daß seine schwärmerische Begeisterung die Königin ansteckte. Ihr Lächeln schwand, und nicht lange, so standen ihr Tränen in den Augen. Und da hielt er plötzlich inne und fragte bewegt, ob er, ohne sein Wissen, etwas gesagt habe, das ihr Kummer bereitet habe?

»Nicht doch, mein Knabe,« sagte die Königin mild, »Eure Schilderungen der Flüsse und Seen meines schönen Landes weckten die Sehnsucht in meinem Herzen, und da spielte mir meine Phantasie einen Streich und riß mich hinaus in das malerische Tal des Nith und zu den majestätischen Türmen Lochmabens. O du liebliches Land, über das meine Ahnen so lange Jahrhunderte herrschten! Dem ärmsten Bettler ist's vergönnt, was Deiner Königin verwehrt ist, Du kannst mit Deinem Stab in der Hand von einem Platz zum andern ziehen, und ich, ach, ich, muß mein Leben vertrauern in diesen kalten finstern Mauern!

»Eure Hoheit,« sagte Lady Fleming, »möchten gut tun, sich zurückzuziehen.«

»Gewiß, Fleming, komm mit,« sagte die Königin, »wie sollte ich so jugendliche Herzen wie diese beiden durch meinen Gram vergiften!«

Mit einem Blicke inbrünstiger Schwermut verließ sie Roland und Katharina.

Eine Weile lang saß das junge Paar schweigend einander gegenüber. Der Page fühlte sich wundersam beklommen, während Katharina gleich einem zögernden Geiste, der sich der Furcht bewußt ist, die er dem armen Sterblichen einflößt, ihm aber Zeit läßt, sich zu sammeln, eine geraume Zeit vergehen ließ, ehe sie es aufgab zu warten, daß er spreche, und selbst die Unterhaltung eröffnete.

»Glaubt mir, Roland, alle, die Euch wohlwollen, sind recht besorgt um Euch,« sagte sie.

»Ich glaube, ihre Zahl ist ziemlich beschränkt, und ihre Besorgnis wird schwerlich tiefer liegen, als daß sie nicht binnen zehn Minuten zu heilen wäre.«

»Die Zahl ist größer, als Ihr meint,« versetzte Katharina, »mancher aber scheint sich um Euch zu sorgen, ohne damit recht zu tun, wißt Ihr doch, Euch am besten selbst zu beraten. Wenn Ihr der Ehre und Pflicht und dem Glauben Eurer Väter Gold und Kirchengüter vorzieht, warum sollte da Euer Gewissen Euch stärkere Fesseln anlegen als andern?«

»Sei mir der Himmel Zeuge!« rief Roland, »daß, wenn ich Zweifel bezüglich der Religion hege, diese Zweifel aus Ueberzeugung meines Herzens, zufolge der Stimme meines Gewissens, hervorgegangen sind!«

»Zufolge der Stimme Eures Gewissens?« wiederholte sie mit Nachdruck. »Gewiß, Euer Gewissen ist Euch Deckmantel, ein gar bequemer Deckmantel, wie ich gern gelten lasse, birgt er doch die schwere Last eines der schönsten Lehen der Abtei des heiligen Marienklosters von Kennaqhyeir, jüngst unserm Königlichen Krongut anheimgefallen durch ihren Abt und ihre Brüder, und nun übertragen durch den großmächtigen Murray, den Verrätergraf, dem lieben Frauenritter Roland für seine Dienste als Hilfsspion und Vize-Kerkermeister seiner rechtmäßigen Fürstin Maria.«

»Ihr verkennt mich grausam,« erwiderte der Page, »Gott ist mir Zeuge, daß ich diese arme Dame schützen und retten möchte mit Leibes- und Lebensgefahr! aber was kann ich, was irgendwer zu ihrer Rettung tun?«

»Tun läßt sich vieles! genug, alles, wenn Männer sich treu und ehrenhaft bewähren wie in den Tagen eines Bruce und eines Wallace. Ach, Roland, welchem Unternehmen entzieht Ihr Euch, entzieht Ihr Eure Hand und Euer Herz aus bloßem Wankelmut und aus Mangel an Feuergeist!«

»Wie kann ich mich einem Unternehmen entziehen, das mir noch gar nicht bekannt ist?« fragte Roland. »Hat die Königin, habt Ihr, hat sonst jemand einen Dienst von mir begehrt, dessen ich mich geweigert hätte? Habt aber nicht vielmehr Ihr mich ferngehalten von all Euren Beratungen, als sei ich ein treuloser Kundschafter?« »Wer sollte dem Freunde, Schüler und Genossen eines Ketzerpriesters wie Henderson vertrauen? Wahrlich, einem bessern konntet Ihr Euch nicht zuwenden an Stelle des edlen Paters Ambrosius, der jetzt von Haus und Hof gejagt ist, wenn er nicht irgendwo im Kerker schmachtet, weil er den Schergen des Grafen Morton sich widersetzte, an dessen Bruder die irdischen Besitztümer des hehren Gotteshauses gegeben worden sind.«

»Ist das möglich? in solcher Not befände sich Pater Ambrosius?« fragte der Page.

»Das solltet Ihr nicht wissen?« fragte Katharina, »da Ihr doch geschlürft habt von dem Gifte, das Ihr von den Lippen schleudern solltet? Oder stellt Ihr's in Abrede? Ist Euer Glaube nicht im Wanken, wenn nicht gar schon unterlegen? Rühmt sich nicht dieser ketzerische Mucker schon Eurer Eroberung? stellt Euch die ketzerische Schloßherrin nicht andern schon als Muster auf? Glauben nicht die Königin und Lady Fleming an Euren Abfall? Und gibt's wohl jemand außer einer einzigen Person – nun, warum soll ich's nicht unumwunden sagen? ... gibt's außer mir wohl jemand noch, der auch nur die schwächste Hoffnung noch besäße, daß Ihr Euch noch so bewähren möchtet, wie alle einst von Euch erwarteten?«

»Ich weiß nicht,« sagte darauf Roland, in großer Verlegenheit darüber, was man von ihm erwartet hatte, nach den Reden einer Person, an der sich sein Interesse durch den langen gemeinschaftlichen Aufenthalt im Schlosse Lochleven ganz sicher nicht verringert hatte ... »ich weiß nicht, was man von mir erwartet hat oder von mir fürchtet. Ich bin hierher gesandt worden zum Dienst bei der Königin Maria und gelobe ihr Dienerpflicht auf Leben und Tod. Hat sich jemand andrer Dienste von mir gewärtig gehalten, dann bin ich nicht tauglich gewesen, sie zu leisten. Zu den Lehren der reformierten Kirche bekenn ich mich weder, noch verwerfe ich sie ... Soll ich Euch sagen, wie ich in dieser Hinsicht denke und meine? Mir will es vorkommen, als sei die katholische Geistlichkeit durch gewisse Schlechtigkeiten selbst schuld an diesem Strafgericht, das über sie hereingebrochen ist; und meinem Dafürhalten nach kann solches Strafgericht nur beitragen zu ihrer Besserung ... Was aber den Verrat betrifft an dieser edlen Königin, so bin ich, Gott sei Dank! frei von jeglichem Gedanken daran. Und dächt ich schlimmer über sie als ich vom Standpunkt eines Dieners aus möchte und von dem eines Untertans aus dürfte, so würde ich selbst dann nicht zum Verräter an ihr werden...« »Genug! genug!« rief Katharina und klatschte in die Hände, »Du verläßt uns also nicht, wenn sich Mittel und Wege zeigen sollten, unsrer Gebieterin den Weg zur Freiheit zu zeigen, Mittel und Wege zur Beilegung des Zwistes zwischen ihr und ihren meuterischen Untertanen?«

»Ja, aber, Holdeste der Holden,« warf der Page ein, »hört doch, bitte, was der Regent zu mir sagte, als er mich hierher sandte!«

»Hört lieber, was der Teufel sagte!« rief erbittert Katharina, »statt daß Ihr hört, was solch ein falscher Untertan und Bruder und Freund und Berater gesagt hat! Von einem armseligen, auf kleinen Gnadengehalt gesetzten Subjekt durch die Großmut seiner Schwester emporgehoben zum Verweser, der wie ein Pilz aufgeschossen und gewachsen ist einzig durch die Wärme schwesterlicher Gunst, und der nun zum Dank hierfür Ränke gegen sie spann, durch die sie den Weg hierher in dieses Kerkerloch gefunden hat, durch die er sie gezwungen hat zur Entsagung, zum Verzicht auf Thron und Land – O, ermorden ließe er sie, wenn er es wagte um der andern Höfe, um Schottlands, um ihrer letzten Anhänger willen!«

»So schlecht denke ich nicht vom Grafen Murray,« erwiderte Roland Gräme, »und grade heraus gesagt, holde Kallipolis, einiger Bestechung wäre es nun doch wohl nötig, um mich zu einem festen, verzweifelten Entschluß zwischen den beiden Parteien zu bringen.«

»Nun, wenn es bloß darauf ankommen soll,« rief Katharina in begeistertem Tone, »so werden Euch die Gebete unterdrückter Untertanen, die Gebete einer beraubten Geistlichkeit, eines verhöhnten Adels, die Segnungen kommender Geschlechter, die Dankbarkeit der Zeitgenossen, Ruhm auf Erden und Seligkeit im Himmel wohl ein genügendes Entgelt sein können, aber Euer Vaterland, Eure Königin werden Euch danken, die Männer werden Euch ehren, die Frauen Euch preisen, und ich, durch frühern Schwur schon an Euch gebunden zur Befreiung der Königin, werde Euch herzlicher lieben als eine Schwester je den Bruder liebte.«

»Weiter – Weiter!« flehte Robert, indem er sich auf ein Knie niederließ und ihre Hand ergriff, die sie im Feuer ihrer Rede nach ihm ausgestreckt hatte.

»Nein!« sagte sie und tat sich Einhalt ... »zuviel ... viel zu viel habe ich gesprochen, wenn ich als Siegerin hervorgehe ... und viel, viel zu wenig, wenn ich nicht als Siegerin hervorgehe. Aber ich habe gesiegt,« sprach sie weiter, denn sie sah, daß sich in den Mienen des Jünglings das Feuer ihrer Begeisterung spiegelte, »ich siege, oder vielmehr, die gute Sache siegt durch eigne Kraft – und so weihe ich Dich dieser unsrer guten, unsrer heiligen Sache!«

Und indem sie so sprach, machte sie mit ihrem Zeigefinger über der Stirn des in Staunen versunkenen Jünglings das Zeichen des Kreuzes, neigte ihr Antlitz zu ihm hernieder und schien dem leeren Raume, innerhalb dessen sie dieses Sinnbild gezeichnet hatte, einen Kuß zu spenden. Dann richtete sie sich auf und eilte in das Zimmer der Königin.


 << zurück weiter >>