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1843 und später.

Lieder und Gesänge. – Concertouverturen für Orchester. – Symphonieen für Orchester. – Antonio Bazzini. – Etuden für Pianoforte. – Kürzere Stücke für Pianoforte. – Concerte und Concertstücke für Pianoforte mit Orchester. – Lieder und Gesänge. – Kürzere Stücke für Pianoforte. – Zwei Preissonaten. – Aphoristisches. – Die Sommernachtstraummusik. – Niels W. Gade. – Theaterbüchlein. – Musikalische Haus- und Lebensregeln.

Lieder und Gesänge.

Theodor Kirchner, zehn Lieder für eine Singstimme mit Pianoforte.

Werk 1.

Im jüngsten deutschen Sängerwald möchten diese ersten Blüthen eines noch sehr jugendlichen Compositionstalents mit zu den charakteristischsten gehören. Und erhalten wir nicht lauter Eigenes, so scheint doch Alles aus so innerer Fülle geflossen, daß wir der Hoffnung vertrauen, der Frühling halte noch lange an und es werde ihm ein fruchtbringender Sommer nachfolgen Zwei Hefte sehr genialer Klavierstücke, die so eben (1852) erschienen, haben die Prophezeiung wahr gemacht.. Im Zusammenhange mit der fortschreitenden Dichtkunst ist der Franz Schubert'schen Epoche bereits eine neue gefolgt, die sich namentlich auch die Fortschritte des einstweilen weiter ausgebildeten Begleitungsinstruments, des Claviers, zu Nutze machte. Der Componist nennt seine Lieder auch »Lieder mit Pianoforte«, und es ist dies nicht zu übersehen. Die Singstimme allein kann allerdings nicht Alles wirken, nicht Alles wiedergeben; neben dem Ausdrucke des Ganzen sollen auch die feineren Züge des Gedichts hervortreten, und so ist's recht, wenn darunter nicht der Gesang leidet. Darauf hat nun freilich auch dieser junge Componist zu achten. Seine Lieder erscheinen häufig als selbstständige Instrumentalstücke, die oft kaum des Gesanges zu bedürfen scheinen, um eine vollständige Wirkung zu machen; sie sind oft nur wie Uebersetzungen der Gedichte für das Clavier, gewissermaßen Lieder ohne Worte, aber durch Worte angeregt; der Gesang in ihnen erscheint daher oft wie ein leises Hinlispeln der Worte, und der Hauptausdruck liegt meistens in der Begleitung. Daß es dem Componisten an melodischer Kraft fehle, wird Niemand sagen können, aber sie stützt sich noch zu sehr auf die Harmonie, und die Führung der Stimme trägt einen noch zu sehr instrumentalen Charakter. Wo aber überall so viel Talent, wirklich poetische Anlage hervorblickt, da ist nicht zu fürchten, daß der Componist stehen bleibe. Schon in den ersten Versuchen Talentvoller läßt sich eine gewisse Bildungsfähigkeit erkennen, die auch einen stärkeren Druck der Kritik nicht scheut, und diese Fähigkeit, wie die Bescheidenheit ein Zeichen wahren Talentes, scheint auch unserm Liedercomponisten inne zu wohnen, die er sich denn immer erhalten möge.

Der vorherrschende Charakter der Lieder ist der des Schwärmerischen, Sehnsüchtigen, die Wahl der Gedichte (von Heine, C. Beck, I. Mosen) eine dem entsprechende. Das süße Wühlen in Frühlingsgedanken, das sehnende Gefühl des Weiterschweifenwollens über Berg und Thal, wie es unsere Dichter so oft, so schön ausgesprochen, – darin ergeht sich auch der junge Musiker am liebsten; solche Gedichte gelingen ihm am besten. Zum Vortrag der Lieder gehören geübte Hände und Stimmen, namentlich erstere, eben weil der Hauptausdruck meist in der Begleitung liegt, und auch die Fertigkeit wird's nicht allein ausmachen, sondern die Zartheit, der Schmelz der Schatten und Lichter. Für die bedeutendsten Stücke halten wir die Heine'schen; sie sind vorzugsweise schwärmerisch und mit Liebe componirt, namentlich die beiden Frühlingslieder Nr. 4 und Nr. 6. In anderen, wie in Nr. 9, stören einige etwas weit hergeholte Modulationen, wo es dem Componisten vielleicht gerade recht überschwänglich zu Muthe war, aber zum Schaden der sichern schönen Form, die er nicht mehr zu beherrschen wußte. Möchte denn die Zukunft den wohlwollenden Sinn dieser Zeilen bestätigen, die Anerkennung wird nicht ausbleiben, und man schreibe sich schon jetzt den Namen dieses talentvollen Musikers zu denen, die einen guten Klang in der Folge zu bekommen verheißen.

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Concertouverturen.

Julius Stern, geistliche Ouverture.

Werk 9. Partitur.

Das Titelblatt besagt, daß der Componist für diese Ouverture von der Akademie der Künste in Berlin die große Compositionsmedaille erhalten hat. Man darf mithin etwas erwarten. Aber es scheint, die musikalische Section jener Akademie hat kein Glück mit ihren Preisen; es sind sogar Schnitzer in der Ouverture stehen geblieben, – so S. 7 Tact 6 die Octaven zwischen der ersten Violine und Baß, ebenda Tact l2 in denselben Stimmen –, auf die die Prüfenden doch wenigstens vor dem Drucke aufmerksam machen mußten, vom Geiste der Erfindung gar nicht zu reden. Denn wo sollte dieser auch herkommen bei einem Thema wie dem, das dem Componisten aufgegeben wurde. Gegen den letzteren haben wir nichts; er hat sein Talent in mancher anmuthigen Gesangscomposition schon bethätigt; aber gegen die Akademie, die ein solches Thema aufgab und einer solchen in jedem Falle mit Unlust gemachten Bearbeitung eine öffentliche Anerkennung ertheilte. Wie gesagt, die Ouverture ist nichts als eine ganz mechanisch gemachte Variation eines abgedroschenen Fugenthema's, wie sie jeder halbweg vorgerückte Schüler in jeder Stunde schreiben muß. Im kleinsten Liede des Herrn Stern steckt mehr Grund zu einer Medaille, als in dieser ganzen Ouvertüre. –

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P. Lindpaintner, kriegerische Jubelouverture.

Werk 109. Partitur.

Was man von ihr zu erwarten hat, spricht der Titel aus. Es ist ein Gelegenheitsstück zur 25jährigen Regierungsfeier des Königs von Würtemberg componirt und tritt mit allem möglichen Pomp auf, wie er bei solcher Gelegenheit an Ort und Stelle ist. Weber gab für diese Gattung den Ton an; seine Jubelouverture ist noch nicht übertroffen worden. Das God save the king benutzte, wie schon Weber, dann Marschner, Leibrock u. A., so auch Lindpaintner. Dazwischen bringt er aber Kriegsgetümmel und Siegesmarschähnliches an, wodurch sich diese Ouverture von ähnlichen unterscheidet. Man kann glauben, daß ein so gewandter Instrumentator, als welcher Lindpaintner bekannt ist, zu solchem Bild die rechten Farben zu nehmen verstanden. Ein großer Effect kann nicht ausbleiben. Auf dem Clavier nimmt sich das Stück gar nicht aus, es ist als wenn man nach einer großartigen militairischen Revue sich eine Schachtel Soldaten aufstellen wollte. –

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Julius Rietz, Ouverture zu Hero und Leander für das Pianoforte zu vier Händen.

Werk 11.

Ein schönes bedeutendes Werk. Die neue Zeitschrift, scheint uns, hat ein Unrecht gegen diesen würdigen Künstler gut zu machen: wir finden nämlich die frühere Ouverture desselben in einem früheren Jahrgange in unerschöpfender und zu wenig anerkennender Weise besprochen, wovon die Schuld allerdings sein mag, daß dem damaligen Referenten nur der Clavierauszug vorlag, und daß er sie noch nicht vom Orchester aufführen gehört hatte. Wir müssen dies aber hier anführen, weil uns jene erste Ouvertüre die glückliche Vorgängerin der zweiten scheint, weil, was dort fruchtbarer Keim, sich hier zu reiferer Entfaltung bereits entwickelt hat, weil, wenn schon dort ein höchst bedeutendes Streben, von einem nicht minder bedeutenden Talente getragen, sich geltend machte, dies von der späteren andern Ouverture in noch größerem Maaße zu sagen ist. In der That, eine Zeit, die solche Werke hervorbringt, solche tüchtige Talente aufzuweisen hat, wie Rietz u. A., braucht vor einer entschwundenen großen Periode nicht zu sehr zu erröthen, wie einige Zurückgebliebene uns so gern einreden möchten, und darf auch mit Zuversicht auf eine noch ergiebigere Zukunft hoffen. Talent und Kenntniß reichen sich in diesem Werke die Hand zum schönen Bunde; es ist kaum ein unkünstlerischer Tact in ihm, wenn wir einige leise Anklänge an bekannte Werke ausnehmen. Hätte der Componist diese letzteren zu tilgen gesucht, wir würden ihm die Ouverture, wie sie jedenfalls das Beste ist, was er bis jetzt gegeben, auch als sein ganz und gar ihm zugehöriges Eigenthum anrechnen. Namentlich die Stelle zu Ende der zehnten und elften Seite störte uns, als zu Mendelssohn'isch; viel weniger einige andere, die an Stellen der Coriolanouverture und der neunten Symphonie von Beethoven erinnern, aber mehr im verwandten Charakter, als wie dort in der melodischen Führung. Diese einzelnen Tacte abgerechnet, haben wir allen Respect vor der Composition. Die Beherrschung der Form, die er vorzugsweise breit anlegt, die Erfindung, Bedeutsamkeit und Schönheit der einzelnen Motive, die äußerst edle Haltung des Ganzen, das Alles ist gern und freudig anzuerkennen. Und daß wir die Hauptsache nicht vergessen, die Instrumentation, die uns bis auf einzelne etwas dichte, vielleicht noch zu lichtende Stellen, ganz meisterhaft und im Einzelnen ganz originell dünkt. Wir haben die Ouverture zweimal hier in Leipzig gehört; sie hat beidemal diesen schönen Eindruck auf uns gemacht, und wir zweifeln nicht, daß sich dieser, je mehr das Orchester sie kennen lernt, noch steigern wird, wie dies bei der ersten Ouverture von Rietz schon der Fall war. Denn schwer ist sie, sehr schwer, in den einzelnen Instrumenten wie im Ensemble aller. Sorgfältig einstudirt, mit Liebe und Verständniß ausgeführt, wird und muß sie aber auch einen lohnenden Erfolg bringen.

Wir haben noch nichts über das Sujet gesagt; aber wer kennt jene rührende Sage nicht, die uns schon der alte Musäos in so anmuthiger Weise erzählte? Im Uebrigen gestehen wir, in Verlegenheit zu sein, wenn wir dem Schluß eine Auslegung geben sollten. Ist es die letzte Nacht der Liebenden, die der Tondichter schildern wollte, oder schwebte ihm nur das glückliche Liebespaar vor? Wir wissen's nicht: aber eine so freudige Erhabenheit erklingt aus dem Schluß, daß wir weiter nicht nachgrübeln und dem Künstler nur noch die Versicherung unserer Hochachtung aussprechen wollen, und im Speciellen unsern Dank für den reizenden Flötenlaufer, für den rührenden Gesang der Clarinette gleich im Anfange, für die brausenden Violoncells in der Einleitung, für die Trompeten am Schlusse, wo es D dur wird, und für so Vieles, was ihm im Innern lebendig erklungen, auch in Allen, die ihm nachzufühlen verstehen, lebendig wiedererklingen muß. –

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Symphonieen für Orchester.

Der letzte Bericht der Zeitschrift über neu erschienene Symphonieen reicht bis zum Januar 1841. Den wenigen, die seitdem gedruckt worden, ist der heutige gewidmet; ihre Componisten sind: R. Schumann, F. Müller (in Rudolstadt), W. Attern, Spohr, Mendelssohn.

Von der Symphonie des Ersteren erwähnen wir nur historisch, daß sie in Orchesterstimmen und vierhändigem Clavierauszug erschienen ist und in B dur steht. Von der des Zunächstgenannten können wir, da uns keine Partitur im Augenblick vorliegt, nur aus der Erinnerung anführen, daß sie das Werk eines praktisch routinirten Musikers, klar und fleißig gearbeitet ist und manche Anklänge an die Art und Weise älterer Meister, wohl auch an Spohr zu Gehör bringt. In diesem Sinne wurde sie schon früher nach ihrer ersten Aufführung in Leipzig besprochen.

Von der Symphonie von W. Attern (Werk 16) liegt uns, außer den bei Mompour in Bonn gestochenen Stimmen, auch die geschriebene Partitur vor. Es ist die zweite des Componisten; ein Urtheil über dessen erste steht Bd. XIII Nr. 45, das wir beinahe wörtlich auch für die zweite abschreiben möchten. Sie hat, wenn wir nicht die Verbindung der Einleitung, die aus H moll geht, mit dem Allegrosatze, der wie die andern Hauptsätze in D dur componirt ist, ausnehmen, fast gar nichts Auffallendes an sich, so wenig wie etwa ein Bach, der durch stille Wiesen hinfließt; wir ergötzen uns, so lange wir ihn sehen; mit andern tieferen Eindrücken verschwindet natürlich der leichtere. Das Idyllische, Beschränkte und Genügliche des Werkes liegt im Vorigen genugsam angedeutet. Zu loben hätten wir nur noch den Musiker, der sein Material klug verwendet und zierlich und reinlich zu instrumentiren versteht. Die mitwirkenden drei Posaunen scheinen uns, dem ganzen Charakter der Symphonie nach, allein überflüssig; wo Flöten und Hoboen ausreichen, einen Gedanken auszusprechen, da können jene Instrumente sogar verderben. Bescheidenen Ansprüchen, wie man sie etwa in kleineren Städten hat, wie sie kleinere Orchester zu erfüllen vermögen, genügt denn diese freundliche Symphonie vollkommen. Wohl dem, der seine Kräfte kennt; er wirkt im engen Kreise dasselbe, was der Höherbegabte in weiten. Der Componist ist in dem Falle; bleibe er auch nicht stehen und bilde sich in steter Progression weiter; die Achtung der Welt wird ihm nicht entgehen.

Von Spohr liegen uns zwei neue Symphonieen vor, die in dem Zeitraume von kaum drei Jahren erschienen. Die erste (von den sieben, die er geschrieben, die sechste) wurde schon nach ihrer ersten Aufführung in Leipzig in diesen Blättern ziemlich ausführlich besprochen; es ist seine historische (Werk 116). Wir wüßten dem früher Gesagten kaum etwas zuzusetzen. Es hieß dort u. A.: »Eine merkwürdige Erscheinung bleibt es gewiß, daß in unserer Zeit schon mehre Versuche gemacht wurden, uns die alte vorzuführen etc. Man kann nichts dagegen haben; die Versuche mögen als Studien gelten, wie ja die Gegenwart neuerdings ein Wohlgefallen am Rococo-Geschmack zeigt. Aber daß gerade Spohr auf die Idee fällt, Spohr, der fertige abgeschlossene Meister, er, der nie etwas über die Lippen gebracht, was nicht seinem eigensten Herzen entsprungen, der immer beim ersten Tone zu erkennen, – dies muß wohl Allen interessant erscheinen. So hat er denn auch die Aufgabe gelöst, wie wir beinahe erwarteten; er hat sich in das Aeußere, die Form verschiedener Style zu fügen geschickt; im Uebrigen bleibt er der Meister, wie wir ihn lange kennen und lieben; ja es hebt gerade die ungewohnte Form seine Eigenthümlichkeit noch schreiender hervor, wie denn etwa ein irgend von der Natur Ausgezeichneter sich nirgends leichter verräth, als wenn er sich maskirt. So ging Napoleon einstmals auf einen Maskenball, und war kaum einige Augenblicke da, als er schon – die Arme ineinander schlug. Wie ein Lauffeuer ging es durch den Saal: »der Kaiser!« Aehnlich konnte man bei der Symphonie in jedem Winkel des Saales den Ausruf »Spohr« und wieder »Spohr« hören. – Diesen Worten, die unmittelbar nach dem zuerst empfangenen Eindrucke niedergeschrieben wurden, wüßten wir, wie gesagt, auch jetzt, wo wir das Werk in der gedruckten Ausgabe kennen gelernt, nur wenig hinzuzufügen, Einzelne feine schöne Züge entdecken sich natürlich in jedem Werke Spohr's, je mehr man mit ihm vertraut wird, und so möchten wir auch an dem früher ausgesprochenen Urtheile über den letzten Satz der Symphonie Einiges mildern, dem wir damals eine ironische Absicht unterlegten, während wir jetzt dies Spiegelbild der Gegenwart weniger grell finden. Hat sich übrigens nicht schon in den letzten drei Jahren Manches geändert? Würde Spohr jetzt nicht Manches anders schreiben? Ja, wir hoffen's, den Lebensabend des würdigen Meisters werden noch die ersten Strahlen einer besseren Zeit umleuchten, als er sie in dem Schlußsatze seiner Symphonie charakterisirte. Am besten aber widerlegte sich Spohr selbst durch seine neueste Symphonie, der wir noch einige Worte zu widmen haben, wenige, – denn wer könnte noch etwas zu seinem Lobe sagen, das nicht schon gesagt worden! Das Werk ist aber in vieler Beziehung merkwürdig und läßt sich in der Eigenthümlichkeit seiner Entstehung, Form und Ausdrucksweise nur mit der früheren Spohr's, der »Weihe der Töne« vergleichen. Wie dort, wählte er sich auch hier ein Thema, das er mit der etwas allgemein gesagten Hauptüberschrift »Irdisches und Göttliches im Menschenleben« bezeichnete und in drei Sätzen ausarbeitete, von denen jeder wieder ein besonderes Motto hat. Mit andern Worten, der erste Satz schildert die Kinderwelt, der zweite die Gefahren des Jünglings-, wohl auch des Lebens des Mannes, der dritte endlich den Sieg des Guten über das Böse. Wir gestehen, ein Vorurtheil gegen diese Art des Schaffens zu haben, und theilen dies vielleicht mit hundert gelehrten Köpfen, die freilich oft sonderbare Vorstellungen vom Componiren haben und sich immer auf Mozart berufen, der sich nichts bei seiner Musik gedacht haben soll. Wie gesagt indeß, das Vorurtheil haben wohl manche, auch Nicht-Gelehrte, und hält uns daher ein Componist vor seiner Musik ein Programm entgegen, so sag' ich: »vor allem laß mich hören, daß du schöne Musik gemacht, hinterher soll mir auch dein Programm angenehm sein«. Es ist eben ein Unterschied, ob ein Goethe nach aufgegebenen Endreimen einmal dichtet, oder ein anderer. Drum wird auch Niemand der Spohr'schen Symphonie ihre Schönheiten wegphilosophiren können, eben weil es etwas Anderes ist, wenn er sich ausnahmweise eine Aufgabe stellt, oder ein Anfänger der Kunst. Ueber all' dieses ist schon bei der »Weihe der Töne« hin und her geredet worden, und der Kampf fängt schon wieder an aufzulodern über das Etwas-sich-nicht-denken-sollen beim Componiren und das Gegentheil. Die Philosophen denken sich die Sache auch wohl schlimmer als sie ist; gewiß sie irren, wenn sie glauben, ein Componist, der nach einer Idee arbeite, setze sich hin wie ein Prediger am Sonnabend-Nachmittag und schematisire sein Thema nach den gewöhnlichen drei Theilen, und arbeite es überhaupt gehörig aus; gewiß sie irren. Das Schaffen des Musikers ist ein ganz anderes, und schwebt ihm ein Bild, eine Idee vor, so wird er sich doch nur erst dann glücklich in seiner Arbeit fühlen, wenn sie ihm in schönen Melodieen entgegenkommt, von denselben unsichtbaren Händen getragen, wie die »goldenen Eimer«, von denen Goethe irgendwo spricht. Drum, behaltet euer Vorurtheil, zugleich aber prüft und laßt die Pfuschereien des Schülers nicht den Meister entgelten.

Sagen wir's denn kurz, es liegt über dieser neuesten Symphonie Spohr's ein Zauber ausgegossen, wie kaum über einer anderen. Wir könnten nicht sagen, daß uns besonders große, neue Gedanken aus ihr entgegenklängen, andere, als wir schon von Spohr gehört; aber diese Reinheit und Verklärtheit des Klanges findet man nicht leicht wo anders. Den Zauber des Colorits zu erhöhen, kam dem Componisten freilich zu Statten, daß er sich zwei Orchester zu seiner Verfügung stellte, und das ist auch eine von den Ideen, auf die nicht Jeder fällt, oder fällt er darauf, sie fahren läßt aus Gründen. Denn gehört schon zur Beherrschung eines Orchesters in der Partitur ein Meister, ein wie viel größerer, wenn er mit zweien zu thun hat. Viel Nachahmung wird denn das Unternehmen schwerlich finden, und sie ist in anderem Sinne auch nicht einmal zu wünschen. Interessant wäre es hier, die Frage zu beantworten, was wohl Beethoven aus einer solchen Idee gemacht haben würde. Sollte man nicht das Ungeheuerste von ihm erwarten? – Wir glauben, er hätte sie nicht einmal benutzt, und sie liegt vielmehr im Charakter des Meisters im Zarten und Feinen, wie Spohr, als in dem des gewaltigen Beethoven. Spohr war es wohl auch, der das erste Doppelquartett schrieb, wie schon in diesen Blättern ausgesprochen wurde.

Zwei Orchester sind denn in der Symphonie thätig, von denen das eine einen mehr obligaten Charakter hat und (ohne die starken Messing- und Schlaginstrumente) nur einfach besetzt werden soll, das andere aber, bis etwa auf die Hoboen und Fagotten, die immer einstimmig spielen, die gewöhnliche starke Besetzung verlangt. Daß diese ungewöhnliche Art der Instrumentation der Aufführung an manchen Orten hinderlich sein wird, ist natürlich; im Uebrigen halten wir die Symphonie für nicht so schwierig, wie z. B. die »Weihe der Töne«.

Weicht denn die Symphonie in Vielem vom Herkömmlichen ab, so auch in der Form, in der Folge der Sätze; der erste, ein Gemälde seligen Kinderlebens, ist nach einer langsamen Einleitung ein Allegretto; wir möchten ihm den Preis geben; grüne Matten breiten sich vor uns aus, und unter einem wolkenlosen Himmel spielen die Kinder zu Schaaren; dazwischen sieht man wohl auch das wehmüthig lächelnde Auge des Meisters selbst, und wie er sich gern seiner eigenen Kinderzeit erinnern mag.

Den Charakter des zweiten Satzes haben wir schon oben nach dem Inhalte des Motto's bezeichnet. Er schildert gut, was er will; dem dumpfen, zweifelnden Anfange folgt ein leidenschaftliches Allegro; auch hier sieht überall der edle Meister selbst durch, der die Verirrungen seines Lieblings (einen Helden der Symphonie angenommen) gleichsam selbst mit zu beklagen scheint.

In diesem Satze ist mir eine einzige Stelle aufgefallen, von der mir scheint, daß sie vielleicht nicht ganz die Wirkung macht, die sich der Componist davon versprochen; es ist dies das Solo der Violine des ersten Orchesters, die gegen die Massen des andern nicht aufkommen kann und zu dünn klingt. Eine Verstärkung wäre natürlich sehr leicht zu erreichen gewesen; aber es scheint, der Componist lege Gewicht darauf, daß ein Einziger sie spiele, und wir glauben seine Idee zu verstehen. So wäre denn von einstudirenden Dirigenten darauf zu sehen, daß das zweite Orchester mit seiner Stärke möglichst an sich halte.

Im dritten Satze sehen wir den Dichter nun ganz auf seinem Felde; der Böse entflieht und die Kraft des Guten siegt. In der Erfindung der Thema's erinnert dieses an Anderes von Spohr, namentlich auch an den letzten Satz des ungefähr in gleicher Zeit geschriebenen Trio's in E moll, und auch der Schluß erinnert an den der »Weihe der Töne«, ohne deshalb einen schönen erhebenden Eindruck zu verfehlen.

So schließt der Meister. Laßt uns ihm folgen, in der Kunst, im Leben, in seinem ganzen Streben. Der Fleiß, der aus jeder Zeile der Partitur hervorgeht, ist wahrhaft rührend. Er sei uns mit unsern größten Deutschen ein leuchtendes Vorbild! –

Auf die neue Symphonie von F. Mendelssohn Bartholdy Werk 56. waren wohl Alle, die die glänzende Bahn dieses seltenen Gestirns theilnehmend bisher verfolgt, auf das Höchste gespannt. Man sah ihr wie gleichsam seiner ersten Leistung auf dem symphonistischen Gebiete entgegen; denn seine wirklich erste Symphonie in C moll fällt beinahe in die früheste Jugendzeit des Künstlers, seine zweite, die er für die philharmonische Gesellschaft in London schrieb, ist durch den Druck nicht bekannt worden; die Symphoniecantate endlich, der »Lobgesang«, kann nicht als eine rein instrumentale Arbeit betrachtet werden. So fehlte im reichen Kranze seiner Schöpfungen, die Oper ausgenommen, nur noch die Symphonie: in allen andern Gattungen hatte er sich schon fruchtbar gezeigt.

Wir wissen's durch dritte Hand, daß die Anfänge der neuen Symphonie zwar auch in eine frühere Zeit, in die von Mendelssohn's Aufenthalt in Rom fallen; die eigentliche Vollendung geschah aber erst in jüngster. Zur Beurtheilung ihres ganz besondern Charakters ist dies gewiß interessant zu erfahren. Wie wenn wir aus einem alten verlegten Buche plötzlich ein vergilbtes Blatt herausziehen, das uns an eine entschwundene Zeit erinnert, und diese nun in ganzer Helle wieder auftaucht, daß wir die Gegenwart vergessen, so mögen wohl auch die Phantasie des Meisters, als er jene alten im schönen Italien gesungenen Melodieen wieder in seinen Papieren fand, holde Erinnerungen umspielt haben, so daß, bewußt oder unbewußt, endlich dieses zarte Tongemälde entstand, das Einen wohl, wie etwa die italienische Reisebeschreibung in Jean Paul's Titan, die Trauer, jenes gesegnete Land nicht gesehen zu haben, auf eine Weile vergessen machen könnte. Denn daß durch die ganze Symphonie ein eigenthümlicher Volkston weht, ist schon mehrfach ausgesprochen worden, – ein ganz phantasieloser Mensch nur wird dies nicht merken. Das besondere reizende Colorit ist es denn auch, was, wie der Franz Schubert'schen Symphonie, so der Mendelssohn'schen eine besondere Stelle in der Symphonieliteratur sichert. Das herkömmliche Instrumentalpathos, die gewohnte massenhafte Breite trifft man in ihr nicht, nichts was etwa wie ein Ueberbieten Beethoven's aussähe, sie nähert sich vielmehr, und hauptsächlich im Charakter, jener Schubert'schen, mit dem Unterschiede, daß, während uns die letztere eher ein wildes, zigeunerisches Volkstreiben ahnen läßt, uns die Mendelssohn's unter italienischen Himmel versetzt. Darin liegt zugleich ausgesprochen, daß der jüngeren ein anmuthig gesitteterer Charakter innewohnt und daß er uns weniger fremdartig anspricht, indeß wir freilich der Schubert'schen wieder andere Vorzüge, namentlich den reicherer Erfindungskraft zusprechen müssen.

In der Grundlage zeichnet sich die Symphonie Mendelssohn's noch durch den innigen Zusammenhang aller vier Sätze aus; selbst die melodische Führung der Hauptthemas in den vier verschiedenen ist eine verwandte; man wird dies auf eine erste flüchtige Vergleichung herausfinden. So bildet sie denn mehr als irgend eine andere Symphonie auch ein engverschlungenes Ganze; Charakter, Tonart, Rhythmus weichen in den verschiedenen Sätzen nur wenig von einander ab. Der Componist wünscht auch selbst, wie er in einer Vorbemerkung sagt, daß man die vier Sätze ohne lange Unterbrechung hinter einander spiele.

Was das Rein-Musikalische der Composition anlangt, so ist wohl über deren Meisterlichkeit Niemand in Zweifel. An Schönheit und Zartheit des Baues im Ganzen und der Bindeglieder im Einzelnen stellt sie sich neben seine Ouverturen; an reizenden Instrumentaleffecten ist sie nicht minder reich. Wie fein M. einen älteren Gedanken wiederzubringen, wie er einen Rückgang zu schmücken versteht, daß uns das Frühere wie in neuer Beleuchtung entgegentritt, wie reich und interessant das Detail ohne Ueberladung und philisterhafte Gelehrtthuerei, davon gibt jede Seite der Partitur neue Beweise.

Die Wirkung der Symphonie auf das Publicum wird zum Theil mit von der größeren oder minderen Virtuosität des Orchesters abhängen; dies ist freilich immer so, hier aber, wo weniger die Kraft der Massen, als die ausgebildete Zartheit der einzelnen Instrumente in Anspruch genommen wird, doppelt der Fall. Vor allem verlangt sie zarte Bläser. Am unwiderstehlichsten wirkt das Scherzo; es ist in neuerer Zeit kaum ein geistreicheres geschrieben worden; die Instrumente sprechen darin wie Menschen.

Der Clavierauszug ist vom Componisten selbst und mithin gewiß das treueste Abbild, das sich gedacht werden kann. Trotzdem läßt er oft nur die Hälfte der Reize der Orchesterwirkungen ahnen.

Der Schluß der ganzen Symphonie wird widerstreitende Meinungen hervorrufen, es werden ihn manche im Charakter des letzten Satzes erwarten, während er, das Ganze gleichsam kreisförmig abrundend, an den Anfang des ersten erinnert. Wir können ihn nur poetisch finden, er ist wie der einem schönen Morgen entsprechende Abend. –

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