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Ueber einige muthmaßlich corrumpirte Stellen in Bach'schen, Mozart'schen und Beethoven'schen Werken.

Wüßte man alle, so ließen sich vielleicht Folianten darüber schreiben; ja ich glaube, die Meister müssen jenseits manchmal lächeln, wenn von ihren Werken einige mit allen den Fehlern hinüberklingen, wie sie Zeit und Gewohnheit, wohl auch ängstliche Pietät hat stehen lassen. Es war längst mein Vorsatz, einige in bekannteren Werken der obengenannten Meister zur Sprache zu bringen, mit der Bitte an alle Künstler und Kunstfreunde, sie zu prüfen, womöglich durch Vergleichung mit den Originalhandschriften festzustellen. Oft irren freilich auch diese, kein Componist kann darauf schwören, daß sein Manuscript ganz fehlerfrei wäre. Wie natürlich auch, daß sich unter den hunderttausend hüpfenden Punkten, wie er sie oft in unglaublich kurzer Zeit schreibt, ein Dutzend zu hoch oder zu tief gekommener einschleichen müssen: ja die tollsten Harmonieen schreibt ein Componist zuweilen.

Immerhin bleibt die Originalhandschrift die Autorität, die am ersten gefragt werden muß. Möchten daher alle, die die zu besprechenden verdächtigen Stellen in den Handschriften der Componisten besitzen, das Gedruckte mit dem Geschriebenen vergleichen und das Resultat mitzutheilen so freundlich sein. Zur Feststellung einiger davon bedarf es wohl nicht einmal der Herbeischaffung des Originals, so deutlich springt der Irrthum in die Augen.

Die meisten Fehler finden sich wohl in den Ausgaben Bach'scher Werke, namentlich in den älteren. Es wäre eine verdienstliche, aber freilich sehr zeitraubende Arbeit, übernähme es ein mit Bach völlig vertrauter Musikkenner, alles bisher irrig Gedruckte zu berichtigen. Einen schönen Anfang hat die Peters'sche Musikhandlung in Leipzig gemacht; er beschränkt sich aber zunächst auf die Claviercompositionen. Eine Kritik allein des wohltemperirten Claviers mit Angabe der verschiedenen Lesarten (Bach soll selbst viel geändert haben) würde ein ganzes Buch füllen können. Seien zuerst hier einige andere Fälle erwähnt.

In der großen herrlichen Toccata mit Fuge für Orgel bewegen sich die beiden Stimmen im Manual über den Orgelpunkt in streng canonischer Folge. Sollte man für möglich halten, daß dies vom Corrector übersehen werden konnte?

[Fußnote aus technischen Gründen im Text wiedergegeben. Re] Toccate et Fugue pour l'Orgue (Leipzig, Peters) mit dem Anfange:

Er hat eine Menge Noten stehen lassen, die sich aus dem Canon als falsch erklären. Im Verlaufe des Stückes bei der Parallelstelle auf S. 4 und 5 kommen ähnliche Versehen vor. Wenn sich dies mit leichter Mühe corrigiren ließ, so möchte die Aufklärung einer andern Stelle in demselben Stücke von größerer Schwierigkeit sein. Man erinnert sich wohl des grandiosen Pedalsolo's; bei einer Vergleichung mit der Parallelstelle in der Unterquart ergibt sich indeß, daß sich hier eine Menge Fehler eingeschlichen. S. 4 zwischen Tact 3 und 4 fehlen zwei Tacte gänzlich, die bei der Transposition S. 5 Syst. 6 im zweiten und dritten Tacte stehen etc. Hier könnte nur die Originalhandschrift den Ausschlag geben. Besitzt sie vielleicht Hr. Hauser in Wien, so sei er um eine Vergleichung gebeten. Daß man aber ein so außerordentliches Stück, wie diese Composition, in seiner echtesten Gestalt zu besitzen wünscht, möge doch Niemand als gering achten. Es wäre wie ein Riß in einem Bilde, wie ein fehlendes Blatt in einem Lieblingsbuche, wenn wir's hingehen ließen.

Ein anderer sonderbarer Fall, über den ebenfalls nur Bach's Handschrift Aufschluß geben könnte, findet sich in der Kunst der Fuge. Die ganze XIVte vier Seiten lange Fuge kommt nämlich schon in der Xten einmal vor; vergl. die Peters'sche Ausgabe S. 30 Syst. 5, vom zweiten Tact an. Wie ging dies nun zu? Bach wird doch ohnmöglich in einem und demselben Werke vier Seiten lang Note für Note abgeschrieben haben! In der Nägeli'schen Partitur stehen die beiden Fugen übrigens ebenfalls so abgedruckt, und es ist nur aus der Gleichheit der Tonart und des Thema's, die durch das ganze Werk geht, zu erklären, daß die Wiederholung so lange unbemerkt bleiben konnte.

Wer aber, wenn er in Bach'schen Harmonieen schwelgt, denkt auch immer an alles und an Fehler? So habe ich einen jahrelang nicht gemerkt in einer mir sehr bekannten Bach'schen Fuge, bis mich ein Meister, der freilich auch ein Adlerauge hat, darauf aufmerksam machte. Die Fuge ist in E moll über ein wundervolles Thema und steht in der Haslinger'schen Ausgabe als sechste. Man schalte dort zwischen dem dritten und vierten Tact die einzige Note

noten

ein, alsdann wird's richtig. Hier ist wohl kein Zweifel.

Wir kommen jetzt auf einige den Lesern vielleicht noch interessantere Fälle in Werken, die sie wohl unzähligemal gehört und gespielt, ohne Verrath zu merken. Ich bitte sie aber, die Partituren in die Hand zu nehmen, da die Stellen ganz abdrucken zu lassen, zu viel Platz wegnehmen, ein Urtheil aber ohne die genaueste Einsicht in die Stellen selbst nicht möglich sein würde.

Die erste verdächtige ist in Mozart' s G moll-Symphonie, einem Werk, in dem jede Note klares Gold, jeder Satz ein Schatz ist, und doch, sollte man es glauben, haben sich im Andante vier ganze Tacte eingeschlichen, die nach meiner festen Ueberzeugung nicht hinein gehören. Vom neunundzwanzigsten Tacte an (das Achtel Auftact ungerechnet) kommt nämlich eine viertactige von Des dur nach B moll hinleitende Periode, die in den folgenden vier Tacten nur mit vereinfachter Instrumentation wiederholt wird; es kann nicht sein, daß Mozart dies gewollt hat. Am ersten erhellt dies aus der gänzlich un-Mozart'schen, ja unmeisterhaften Verbindung des zweiunddreißigsten mit dem dreiunddreißigsten Tact, die gewiß auch jeden Musiker nur bei oberflächlichem Anhören frappirt hat. Es fragt sich nun, welche der viertactigen Perioden wäre auszuscheiden – die erste oder die zweite? – Bei flüchtigem Anblicke möchte man sich vielleicht für Beibehaltung der ersten erklären: das allmählige Hinzutreten der Blasinstrumente, die sich bis zum Forte steigern, ist nicht ohne künstlerischen Sinn. Viel natürlicher aber in der Stimmenführung, klarer, einfacher, und doch auch nicht ohne Steigerung, scheint mir die andere Lesart, nach der der neunundzwanzigste bis mit dem zweiunddreißigsten ausfielen, wo dann alle Instrumente in klarer Steigerung sich im Forte vereinigen. Dieselben vier Tacte zuviel finden sich nun auch bei der Wiederholung im zweiten Theile, wo dann der achtundvierzigste bis mit dem einundfunfzigsten Tacte dieses Theiles ausfallen müßten. Wie sich nun dieser Fehler eingeschwärzt, müßte auch die Originalpartitur nachweisen, die sich wohl in den Händen des Hrn. Hofrath André befindet. Das Wahrscheinlichste ist, daß Mozart die Stelle erst gehabt, wie wir glauben daß sie sein müsse, – daß er sie dann voller instrumentirt in die Partitur eingetragen, – daß er aber später, wieder zu seinem ersten Gedanken zurückgehend, vergessen hat, die zweite Lesart zu streichen. Möchten sich doch auch andere Musiker über diese wichtige Stelle aussprechen und nach allgemeiner Uebereinkunft dazu beitragen, daß das Andante dann immer in der angedeuteten Weise überall aufgeführt werde. Die Verleger aber würden wir bitten, die vier Tacte in der Partitur einzuklammern und den Grund, warum, in einer kurzen Bemerkung beizufügen. Man hat mir übrigens gesagt, daß das Andante im Pariser Conservatoir mit beidesmaliger Auslassung der vier Tacte gespielt wird. Auch Mendelssohn hat sich längst dafür ausgesprochen.

Endlich erwähne ich noch einige Stellen in Beethoven'schen Symphonieen, die sich fast auf den ersten Anblick als Fehler des Copisten ergeben. Die eine erwähnte ich schon früher einmal; sie steht zum Schluß des ersten Satzes der B dur-Symphonie; von den drei Tacten ff acht Tacte vor dem Ende) ist offenbar einer zuviel. Das Versehen war wegen der vollkommenen Aehnlichkeit der Noten in allen Stimmen leicht zu begehen. Beethoven könnte es sogar selbst begangen haben.

Daß wir aber in der Pastoralsymphonie jahraus jahrein folgende Stelle, wie sie auch in der Partitur steht, mit angehört, ohne nicht hell aufzufahren, wäre kaum zu erklären, wenn nicht dadurch, daß uns ja der Zauber Beethoven'scher Musik so umstrickt, daß wir Denken und Hören dabei vergessen können.

Im ersten Satz (Partitur S. 35 von Tact 3 an) heißt es genau so:

noten

(Alle anderen pausieren)

noten

Wie nun, wenn wir statt der plötzlichen Pausen in den ersten Violinen Simili-Zeichen ( noten) machten? Klänge dies nicht besser und anders? Ergibt sich dies nicht schon aus der Umkehrung von Tact 5 an, wo die Bratschen haben, was erst in den ersten Violinen lag? Gewiß, es ist so. Der Notenschreiber hat die Simili-Zeichen für Pausen genommen oder irgend ein neckischer Kobold war im Spiel. Ries erzählt, wie Beethoven einmal wüthend geworden über eine Stelle in der heroischen Symphonie, die Ries in bester Meinung geändert hatte. Ich glaube, hätte Beethoven jene Stelle in der Pastoralsymphonie einmal wirklich gehört, es würde dem Orchester oder dem Dirigenten nicht besser als Ries'en ergangen sein.

Für diesmal genug; möchten obige Fälle von recht Vielen in Betracht genommen werden! Wie könnten wir unsere Verehrung für unsere großen Meister besser bethätigen, als daß wir aus ihren Werken zu entfernen trachten, was Irrthum oder Zufall daran beschädigt? Nur in diesem Sinne wurden diese Zeilen geschrieben. –

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