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Erinnerung an eine Freundin.

Von Eusebius.

– Im Künstlerkreise, der sich im Anfang des Jahres 1834 in unserer Stadt zu bilden anfing, nahm Henriette Voigt, unsere jüngst entschlafene Freundin, eine besondere Stellung ein; es sei ihrer mit einigen Worten in diesen Blättern gedacht, die jenem Vereine ihre Entstehung verdanken, an denen die Hingeschiedene das lebhafteste Interesse nahm. Dies hauptsächlich durch Ludwig Schunke's, ihres Lehrers und Freundes, Mitwirkung. Bis zur Bekanntschaft mit diesem theuren Künstler war Henriette Voigt vorzugsweise der ältern Schule zugethan. Eine Schülerin von Ludwig Berger in Berlin, spielte sie besonders dessen Compositionen mit begeisterter Vorliebe, außerdem nur von Beethoven. Wir wußten das, und wie nun Florestan sogenannte »Beethovenerinnen« nur mit Mühe ansprechen kann, so währte es lange, ehe er, zugleich mit Schunke, ein Verhältniß anknüpfte, das später eine Menge so freundlicher Erlebnisse zur Folge hatte. Nur einen Schritt in ihr Haus gethan und der Künstler fühlte sich heimisch darin. Aufgehängt waren über dem Flügel die Bildnisse der besten Meister: eine ausgewählte musikalische Bibliothek stand zur Verfügung; der Musiker, schien es, war Herr im Haus, die Musik die oberste Göttin; mit einem Wort, Wirth und Wirthin sahen an den Augen ab, was Musikers Wünsche sein mochten. In diesem Sinne wird noch mancher fremd und unbekannt Hergekommene des gastfreien Hauses gedenken. Schunke wohnte sich bald ein; durch ihn wurde Henriette auch auf die neueren Richtungen aufmerksam, die nach Beethoven's und Weber's Tod sich geltend gemacht. So wurde Franz Schubert vorgenommen, und versteht es Jemand musikalische Sympathieen anzufachen, so ist er es durch seine vierhändigen Compositionen, die schneller als Worte die Gemüther zusammenführen. Daneben waren Mendelssohn und Chopin aufgetaucht; der Meisterzauber des ersteren hatte die Frau bis zur Verehrung eingenommen, während sie die Compositionen des andern lieber spielen hörte als selbst spielte. Ein anderer hochgeschätzter Gast des Hauses war Hofrath Rochlitz, der sich gern von der Freundin vom Leben und Weben der jüngern Künstler erzählen, von ihren Leistungen sich durch ihr Spiel unterrichten ließ. Dazu stand sie mit vielen namhaften Künstlern in lebhaftem Briefwechsel, daß auch der Auswärtigen mit Theilnahme gedacht wurde. Diesem regen Leben wurde leider und zu früh gerade der entrückt, der es zum größten Theil hervorgerufen. Ludwig Schunke's Krankheit nahm im Verlauf des Jahres 1834 eine immer drohendere Gestalt an. Eine treuere Pflegerin konnte er nicht leicht finden, als unsere Freundin, und könnten Menschenhände den Tod abwenden, so müßten es ihre vermocht haben, aus denen er Trost und Ermuthigung bis zum letzten Athemzuge empfing. Er starb, jung, als Künstler vor seinem Ziel, aber unvergessen und geliebt von Vielen. Seitdem klopfte wohl noch mancher andere Künstler an das bekannte gastfreundliche Haus an, bildeten sich neue Verhältnisse; zu solch' innigem und bedeutendem Ganzen wollte sich aber keines mehr gestalten; die zerrissene Saite klang noch lange nach. Bald fünf Jahre später starb die Freundin an derselben Krankheit, jener verzehrenden, die die Natur dem Siechenden so gütig zu verbergen weiß, daß er von Tag zu Tag an Kräften zuzunehmen glaubt, und so seltsam täuschte sich die Kranke – die doch eines Tages von den trübsten Ahnungen ergriffen wurde –, daß sie sich eben deshalb und weil Schwindsüchtige nur selten an Tod glauben, gerade mit jenen Ahnungen zu neuen Lebenshoffnungen tröstete. Bis zum letzten Augenblicke behielt sie aber dieselbe Liebe zur Musik, dieselbe aufopfernde Anhänglichkeit an ihre Meister, und zeigte sie es in so kleinen Zügen, wie daß sie oft selbst Blumen und Früchte einkaufte, es einem verehrten Künstler heimlich oder offen zuzuschicken. So ließ sie noch oft Schunke's Grab bekränzen, auf dem sie schon vorher einen Denkstein hatte setzen lassen. So steuerte sie überall bei, wo es Musik und Musiker galt, wozu ihr äußere günstige Verhältnisse und ein ihren Lieblingsgedanken nirgends verwehrender Gatte freundlich zur Seite standen.

Vorzügliche Sorgfalt verwendete sie auf ihr Album; es war ihr Theuerstes, das sie nicht für Juwelen hingegeben hätte; auch finden sich fast alle ausgezeichneten Musiker der Gegenwart darin. Mit ungewöhnlicher Leichtigkeit und Anmuth schrieb sie auch Briefe; diese und die Antworten darauf geben eine interessante Sammlung, aus der wir indeß, da sie meist noch zu nahe Zustände berühren, etwas mitzutheilen verhindert werden. In ihren Tagebüchern wechselt Prosa und gebundene Rede, meistens auf Kunst und Künstler Bezügliches aussprechend; ihr Geist rastete selten; etwas wenigstens mußte jeden Tag fast der geliebten Musik gethan werden. Dabei war sie musterhafte Hausfrau und Mutter.

Ihr Clavierspiel hatte die Vorzüge, die L. Berger's Schule eigen; sie spielte correct, zierlich, gern, doch nicht ohne Aengstlichkeit, wenn Mehre zuhörten. Den Grundsätzen ihrer Schule hing sie lange und mit Strenge an, so daß sie z. B. nur mit Mühe zum Gebrauche des belebenden Pedals zu bewegen war. Nie aber hörten wir jemals eine schlechte Composition von ihr spielen; nie auch munterte sie Schlechtes auf; als Wirthin vielleicht genöthigt, es hinnehmen zu müssen, zog sie dann lieber vor zu schweigen, trotz aller Aufmerksamkeit für die Person des Künstlers im Uebrigen.

Noch im Winter 1836 machte ihr L. Berger die Freude, sie zu besuchen und in ihrem Hause zu wohnen. Der Anmeldebrief möge hier als charakteristisch eine Stelle finden.

 

Dresden, 24. Oct. 1836.

Mein theures, bestes Jettchen, nach langem Aufschub erscheint endlich der Prüfungstag auch für Sie! Sehen Sie ihm mit ruhiger christlicher Ergebung entgegen; niemand kann seinem Schicksale entgehen. –

Noch in dieser Woche, etwa Donnerstag, Freitag, wird plötzlich jemand bei Ihnen anpochen und um einige Tage und Nächte Herberge und homöopathische Aetzung bitten, der Küchenzettel ist nicht schwierig: »Suppe und Fleisch«! – Sein Treiben oder Vorhaben: Nächst einigen männlichen Bekannten und Freunden, die Frauen Voigt und Lipsia zu sehen. Dann möchte er einige seiner eigenen Kinder – übel- oder wohlgerathene – dort verkaufen. Aus gesetzmäßiger oder wilder Ehe – sie sind ziemlich, ja manche unziemlich herangewachsen und sollen ihren Weg unter den Menschen nun selbst finden lernen. Ein Paar davon führt er mit sich, die übrigen werden im Sacke verkauft, oder mit der bekannten weiland Müncheberger Thorkeule erschlagen? –

Nun liebes Jettchen, fürchten Sie sich nicht. Besser, Sie, Ihr lieber Herr und Hausvoigt nebst Frl. Tochter freuen sich einigermaßen im Voraus auf den Besuch Ihres alten Freundes und rufen freundlich und muthig ihm entgegen: Herein! herein! lieber guter Freund! Sei'n Sie uns herzlich willkommen und nehmen Sie mit einfachen, stillen Leuten vorlieb, Sie bester, alter

Freund Berger
aus Berlin.

 

Er ging seiner Schülerin nur wenige Monate voraus, im Februar dieses Jahres. Es findet sich in Henriettens Tagebüchern ein Gedicht über den Todesfall, und darin folgende Stelle:

Immerdar künd' ich mit Lust, was Du uns als Denkmal gelassen,
Was Du begeistert schufst, was Du, ein Künstler, uns gabst.
Höheren Strebens erfüllt, blieb fremd Dir das Niedre, Gemeine,
Was aus der Brust dir quoll, mahnt an die bessere Zeit,
Wo noch die heilige Kunst, veredelnd die Herzen der Menge,
Nicht nur durch äußeren Glanz Sänger und Hörer verband.
Schmerzlich erfüllt uns das Bild, auch Du zur Ruhe gegangen,
Einer der Wenigen noch, die da geschützet ihr Recht – –

Am 24. Febr. 1839.

Besser als ich vermag, charakterisirt sie sich selbst in ihren Tagebüchern.

31. August 1836. – Ich kann mir nicht helfen – ich sehe das jetzige Treiben und Schaffen der Musik nur als eine Durchgangsperiode an (Ausnahmen lasse ich gelten), woraus sich noch Besseres und Klareres entwickeln muß – es ist ein Kämpfen und Ringen, aber der Sieg liegt wohl noch weit. –

10. September 1836. – Warum erlernt man heut zu Tage so viele Sprachen? wahrlich um mit vielen Zungen dieselben Fadaisen zu reden – wenn doch Jeder erst seine Muttersprache richtig spräche und schriebe! –

13. Septbr. – Gestern war Chopin hier und spielte eine halbe Stunde auf meinem Flügel – Phantasie und neue Etuden von sich – interessanter Mensch, noch interessanteres Spiel – es griff mich seltsam an. Die Ueberreizung seiner phantastischen Art und Weise theilt sich dem Scharfhörenden mit: ich hielt ordentlich den Athem an mich. Bewundernswürdig ist die Leichtigkeit, mit der diese sammtenen Finger über die Tasten gleiten, fliehen möcht' ich sagen. Er hat mich entzückt, ich kann es nicht leugnen, auf eine Weise, die mir bis jetzt noch fremd war. Was mich freute, war seine kindliche, natürliche Art, die er im Benehmen wie im Spiele zeigte. –

10. Oct. – Sonderbar, wie mancher Hang, der sich schon in der Kindheit offenbart, bis in späte Jahre an uns haften bleibt, so auch das Gegentheil – jegliches Widerstreben. – Von jeher fühlte ich Abneigung gegen alle Seiltänzergeschichten, Bereiterkünste u. dergl. – so hat sich diese Ansicht ganz unbewußt in die Kunst hinübergeschlichen, und wenn ich auch für den Augenblick mich zum Staunen hinreißen lasse, so kehrt bald mein angeborner Widerwille zurück. – Nur keine Seiltänzereien in der Musik – wie wird dies Heiligthum dadurch profanirt. – Künstelei ist ja keine Kunst – wie oft wird das heut zu Tage verwechselt. Alles muß die Natur zur Grundlage haben: wenn auch die jüngere, weiter strebende Schwester, die Kunst, höher hinauf in geistige Sphäre treibt, die Grundlage hat sie doch von der älteren Schwester – denn gäbe es ohne Natur wahre Kunst, ohne Gott eine Welt? und doch wird diese mehr angestaunt und der Gott oft darüber vergessen! –

20. Oct. – Welche reine Freude genoß ich heute durch den Blick in eine ausgezeichnete, hochgebildete Seele: – ich las einen Aufsatz von Moscheles über Schumanns Sonate – er ist ein Meisterstück voller Einsicht, Klarheit – er trifft immer das Wahre und sagt uns durch ein Paar Worte das vollständigste Urtheil. – Wie wohl thut es, solche goldene Früchte zu erblicken in einer Zeit, wo das geistige Obst meist unreif abgenommen wird. – Moscheles, hätte er mich gesehen, hätte mich um meine Freude über seine Worte beneiden müssen. –

21. Oct. – Wie paßte heute des Altvaters Haydn kostbare B dur-Symphonie zu Moscheles Aufsatz – diese Sonnenklarheit! – Himmlischer Wohllaut liegt in diesen Klängen, die nichts von Lebensüberdruß merken lassen, die nichts erzeugen als Frohsinn, Lust am Dasein, kindliche Freude über Alles, und – welch ein Verdienst hat er dadurch noch um die jetzige Zeit, diese krankhafte Epoche in der Musik, wo man so selten innerlich befriedigt wird. –

3. Nov. – Heute spielte Mendelssohn das G dur-Concert von Beethoven mit einer Meisterschaft und Vollendung, die Alle hinriß. – Ich hatte einen Genuß wie selten im Leben und ich saß da, ohne zu athmen, ohne ein Glied zu rühren, aus Furcht vor Störung. – Die Angst nun, nach dem Ende mit den Leuten sprechen zu müssen, schiefe Urtheile und Bemerkungen zu hören! – ich mußte den Saal verlassen und in die frische Luft. –

20. Febr. 1837. – Nie betete ich das Vaterunser frommer, als heute, vor dem Bette meines Kindes knieend, mit einer Inbrunst, als wäre es Gott selbst, vor dem ich in Andacht niedersänke. –

11. Juni. – Ich begreife nicht, wie so viele Mütter (und ich erfahre es täglich im Leben) ihre Kinder fortschicken können, um freier zu athmen – ich athme nur frei, wenn mein Kind bei mir ist, sonst läßt es mir nirgends Ruhe – und wie kann man sich des Genusses berauben, es so lange und so oft als nur möglich zu sehen? –

13. März 1838. – Mendelssohn's Paulus ist ein Normalwerk, und wird eine seiner Compositionen ihn unsterblich machen, so ist es, dünkt mich, dies Oratorium. Ich sagte es bald nach den ersten Proben, die ich mitsang, da mir Alles daraus gleich so klar in Ohr und Herz drang, und jetzt bestätigt es die Aufnahme, die diese Schöpfung überall findet. Wie glücklich wir, die wir es unter des Meisters eigener Leitung hören und ausführen dürfen! –

12. April. – Welch eine traurige Empfindung es allemal in mir zurückläßt, eine Virtuosenfamilie zu hören! – Wenn das ganze Leben eines Menschen nur auf Mechanik gerichtet ist, so wird schon das Dasein des Geistes schwer vergeudet! – Nun höre man die Leistungen solcher von früh an zur Musik gepeitschten Kinder, dieses unreife oder überreife Wesen – ach mir ist dabei so bange zu Muthe – ich möchte diese armen Geschöpfe auf andere Bahnen bringen, ich kann sie nicht bewundern, nur beklagen. –

25. April. – Nach und nach ist es mir gleichgültig geworden, was die Welt denkt und sagt. – Von mir denken die Leute, ich spiele ungeheuer viel und lebe meinen Lieblingsbeschäftigungen, während in Wirklichkeit Wochen vergehen, ohne den Flügel zu öffnen, daß ich spiele, lese und sonst etwas treibe, als – dieses schreibe in einer Zeit, wo Andere schlafen, ruhen oder die edle Zeit in Gesellschaften zubringen, – das ist aber der Unterschied des emporstrebenden Menschen, daß er denkt und wacht, auch während er niedere Arbeiten verrichtet, daß er fortschreitet unter allen Verhältnissen – aber dieses Fortschreiten können die Leute nicht begreifen und meinen, nur im Studiren liege das Weiterkommen – es liegt ganz wo anders, sonst käme aus so vielen studirenden Köpfen nicht soviel Stroh und Holz heraus. –

15. Septbr. – Heute sangen wir den Paulus in erleuchteter Kirche. – Ich habe nun in diesem wie im vorigen Jahre alle Proben mitgemacht und kenne das Werk ziemlich in- und auswendig, dennoch weiß ich keinen ähnlichen Eindruck – diese Größe und Erhabenheit und dies tiefe innige Gefühl – man wird durch und durch beseligt. – O! die Freude, unter seiner Leitung dieses Werk zu singen, in seine Ansichten einzugehen! –

22. Septbr. – Heute war ich in einem Laden, wo das Neueste der Messe zu sehen war, in ungeheurer Fülle und nur Putzsachen! – Diese Menschen alle die da kauften, diese Menge die da verkauften, ein Drängen und Treiben zum Wahnsinn! Alle liefen durcheinander und Viele verloren fast ihren Kopf über das, was sie darauf setzen wollten. – Es drängte sich mir unwillkürlich eine Thräne in's Auge, mir fiel Himmel und Erde so schwer auf's Herz – ich dachte: diese Anstrengungen alle, wozu? warum? – um zu leben doch nicht? nein, um sich das Leben auszuschmücken! – O vor allen künstlichen Blumen werden am Ende die Leute die unseres Schöpfers nicht mehr ansehen – – ich mußte fort. –

Das Tagebuch für 1839 enthält nichts als die einzigen ahnungsschweren Worte:

3. Januar 1839. – Mit welch' bangen, bewegten Gefühlen begrüße ich das neue Jahr – was wird es mir bringen, Freude oder Trauer? – Werde ich am Schlusse desselben noch hier weilen auf der Erde? – Muth und Standhaftigkeit. – Gott hilft mir gewiß, so oder so! –

*

Sonaten für Pianoforte.

Louis Lacombe, phantastische Sonate. W. 1. – Stephen Heller, Sonate. W. 9. – F. W. Grund, große Sonate. W. 27. –

Knabe, Jüngling und Mann können kaum mehr von einander verschieden sein, als obige Sonatenwerke, und wüßt' ich nicht zufällig, daß ihre Verfasser wirklich in solchem Alterverhältniß zu einander stehen, so müßten es ihre Arbeiten verrathen. Unter dem Knaben verstehe man aber keinen deutschen, sondern einen französischen, einen von jenen frühmuthigen, wie man sie in Pariser Emeuten wohl manchmal Barricaden errichten sieht, die in einer Anwandlung von Lebensüberdruß die Waffe wohl gegen sich selbst anlegten, – oder musikalisch deutlicher, ein Berlioz'ianer, der auch das Seinige beitragen will zur französischen Romantik, mit viel Courage und einiger Phantasie begabt, ein lebhafter, interessanter, nie verlegener Bursche. Daß er sich gerade auf die Sonate geworfen, eine Musikart, die in Frankreich nur mitleidig belächelt, in Deutschland selbst kaum mehr als geduldet wird, ist wohl aus seinem längeren Aufenthalt in Deutschland herzuschreiben, wo er sich schon vor Jahren als clavierspielendes Kind Namen machte, und seitdem ist er als Spieler bedeutend vorgeschritten. Seine Sonate erinnere ich mich von ihm selbst gehört zu haben in einem Concert in Wien; er spielte sie höchst fertig, mit glänzendem Anschlag und goldrein. Wien hatte außer Thalberg kaum einen, der ihm im Spiel die Spitze bieten können. Die Composition wurde damals fast einstimmig vom Publicum dahin gestellt, wo sie hingehört, als ein nicht talentloser Versuch, der nur unter den Händen eines guten Spielers, des Componisten selbst, bis zum Schluß zu genießen, während er unter andern mitleidlos zu Grabe getragen worden wäre. So ist's mit Schülerarbeiten und man mache die Probe. Ein schlechter Claviercomponist gebe seine Mache einem schlechten Clavierspieler, ein Orchestercomponist sie einer ungeschickten Masse, so treten die Schwächen erst recht schreiend heraus, während andererseits eine Meistercomposition auch von Stümperhänden nicht ganz todt zu machen. Trotz der Mängel der jungen Sonate dürfen wir aber des Componisten selteneres Streben, aus dem Ganzen zu formen, willig anerkennen. Was sich Trivialeres in ihr findet, ist zunächst einem Mißverstehen des neuern sogenannten symphonistischen Clavierstyls und -Spiels zuzuschreiben. Das Clavier soll in seiner Weise, mit seinen Mitteln Massen anwenden dürfen, Stimmencharaktere vorführen, und kann es, nur aber nicht daß es wie ein arrangirtes Orchestertutti aussieht, Tremolo's in beiden Händen, Hörnergänge u. dgl. Solche Stellen ausgenommen, enthält die Sonate auch manche werthvollere, so gleich der natürliche Hauptgesang im ersten Theil, wie denn überhaupt die ersten Seiten Gang und Bewegung haben, bis auf den Eintritt des Mitteltheils und dessen Fortführung, jene Stelle in der Sonate und Symphonie, wo der Schüler meistens verunglückt. Das Andante ist schwach; auch in ihm herrscht jener unrichtig auf das Clavier übertragene Orchestercharakter; nicht minder im Scherzo, doch weniger dürftig. Anklänge an Beethoven'sche Symphonieen finden sich, wie in der ganzen Sonate, so namentlich im Scherzo. Der letzte Satz ist französisch, Auber'isch, Strauß'isch, oder wie man will, am Schluß mit Thalberg'schen Sprüngen, die wenig in eine Sonate passen, bis zuletzt alles in Rauch und Flammen aufgeht und vom Spectakel, wie nach dem Fallen des Vorhanges, kaum mehr übrig bleibt, als der Schwefelgeruch nach einem Theaterwetter. In Summa, der Componist rette sich vor dem überhandnehmenden Virtuosen durch Fleiß und Studien in der Composition; ohne Schüler gewesen zu sein ist noch keiner ein Meister geworden, und ist der Meister ja selbst wieder nur ein höherer Lehrling, und der Beethoven'schen Sonate in B dur, der einzig-großen, gingen 31 andere Beethoven'sche voraus.

Fängt freilich Jemand so an, wie Stephen Heller, dessen Sonate wir als die Arbeit eines Jünglings bezeichneten, so erlassen wir ihm einige von den 31; er wird schon mit der zehnten Meisterhaftes zu geben wissen. Ohne viel Worte, in dieser ersten Sonate steckt so viel Mutterwitz, daß wir uns vor künftigen fürchten dürfen, so viel genialisches Blut, daß man eine ziemliche Reihe Pariser Componisten auf die Dauer damit versehen könnte. So kündigt sich nur ein wirkliches Talent an und fordert den Scharfsinn der Kritik heraus, daß sie ihm nur beikommen möchte, wenn sie Lust hätte. Ich wüßte Achillesfersen; aber der Componist ist außer ein guter Kämpfer, wie der griechische Held, auch ein guter Läufer; im Augenblicke, wo man ihm beispringen will, ergreift er lachend die Flucht, im nächsten Moment sich wieder kampffertig zu zeigen; er ist ein schlauer Componist, der jedem Tadel mit einem besseren Gedanken zuvorkommt, als dem erwarteten, mehr von den Grazien geliebt, als ihnen folgend, und seine Sonate ein rechter Vorwurf für ordentliche Recensenten, die es immer erst hinterher sagen, wie etwas nicht sein soll. Also zeigt sich Stephen Heller in seiner Sonate. Man wird fragen, wer, wo ist er? – worauf die kurze Antwort: er ist ein geborner Ungar, reiste schon als halbes Wunderkind, lebte und dichtete dann in Augsburg und verlief sich später leider nach Paris. Die Sonate kenn' ich schon seit einigen Jahren im Manuscript. Der Componist schickte sie mir in vierteljährlichen Absätzen zu, nicht der Spannung wegen, sondern weil er, wie er sich ausdrückte, langsam brüte und mit viel Zeitverlust, und »was eine Sonate überhaupt mehr wäre als letzterer?« – So liegt sie nun fertig da, das geflügelte Kind einer seltenen Phantasie mit seinem classisch-romantischen Doppelgesicht und der vorgehaltenen humoristischen Maske. Wer etwas liebt, glaubt es auch am besten zu verstehen, und in einem von Beethoven wiederklingenden Concertsaale stehen oft Dutzende von Jünglingen, selig im Herzen, von denen jeder für sich denkt: »so wie ich versteht ihn doch Niemand«. Im besten Sinne getrau' ich mir denn die Sonate zu erklären als ein Stück aus dem Leben des Componisten selber, das er wissend oder unwissend in seine Kunst übersetzte, ein Stück mit so viel innerem Mondschein und Nachtigallzauber, wie es nur der Jugend zu schaffen möglich, in das wohl auch oft eine Jean Paul'sche Satyrhand hineingreift, damit es sich nicht zu weit entferne vom gemeinen Lebensmarkt. Irr' ich nicht, so wollte es der Componist sogar einer Jean Paul'schen Person dediciren, der Liane von Froulay; ein Gedanke, den ihm mancher andere Dedicator sehr verdenken möchte, da das Mädchen schon längst gestorben, und überdies ja nur in einem Buch. Aber Liane hätte die Sonate verstanden, wenn auch mit Beihilfe Siebenkäse's, der ja selbst einen »Schwanzstern«, ein Extrablatt, eingeschaltet im Scherzo. Die Sonate möge denn ihren Lauf antreten durch diese prosaische Welt. Spuren wird sie überall zurücklassen. Die Alten werden die Perücken schütteln, Organisten über Fugenlosigkeit schreien, und Flachsenfingen'sche Hofräthe fragen, ob das auch ad majorem Dei gloriam componirt wäre, was ja Zweck der Musik, und Verdienst nebenbei? – Einstweilen halte sich der jugendliche Dichter brav beieinander, lasse die Weltstadt vergebens um sich tosen und toben, und kehre bald mit doppeltem Reichthume heim. Und bringt er uns dann seine zehnte Sonate mit, wollen wir ihm freudig diese Zeilen vorhalten, wo wir auf ihn als auf einen der witzigsten und talentvollsten mit schönen Hoffnungen hingewiesen.

Es bleibt uns noch die dritte Sonate übrig, von F. W. Grund nämlich; Grund genug, wie Florestan wortspielt, etwas Werthes und Tüchtiges zu erwarten. Hut ab vor dem ersten Satz! Er gilt mir die ganze Sonate; in ihm ist Weihe, Schwung und Phantasie; die andern stehen zurück. Es gibt eine ähnlich geformte Sonate von Beethoven, eine der wundervollsten, wo dem kühn leidenschaftlichen ersten Satz (in E moll) ein einfacher arioser (in E dur) nachfolgt und damit schließt. Die von Grund ist ähnlich angelegt; aber zur Erfindung des ersten Satzes stehen, wie gesagt, die andern zu blaß daneben. Vielleicht, daß diese erst spätere Zeit nach Vollendung des ersten geschrieben sind, wo dann kömmt, daß der Componist nicht mehr in der ursprünglichen Stimmung fortzufahren weiß. Denn so fein wühlt die Phantasie des Musikers, daß, einmal die Spur verloren oder von der Zeit zugeschüttet, sie später nur durch glücklichen Zufall in seltenem Augenblick wieder aufgefunden wird; darum wird auch ein unterbrochenes, bei Seite gelegtes Werk nur selten ein fertiges; lieber fange der Componist ein neues an, entschlage sich der Stimmung ganz. Wär' es aber mit der Sonate von Grund nicht so, wie ich vermuthe, so müßte man den Abstand des ersten Satzes von den andern für einen Nachlaß an schöpferischer Kraft ansehen: ein Vorwurf, der ungleich mehr schmerzen würde. Genug, der erste Satz reicht hin, dem Componisten unsere Achtung zuzusprechen. Die Tonart des Satzes ist G moll, jene Lieblingstonart der Musiker, aus der schon manches Meisterwerk hervorgegangen: der Charakter dem Beiwort entsprechend, den wir im Anfang des Aufsatzes vergleichweise aussprachen. Der würdige, vielleicht zu anspruchlos zurücktretende Mann möge weniger sparsam sein mit Veröffentlichung seiner Werke; der Theilnahme der Besten sei er versichert.

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