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Compositionen von Leopold Schefer.

Der Dichter des »Laienbrevier«, so vieler phantastischen Novellengebilde erscheint heute zum erstenmal in diesen Blättern, und nicht wie ein bittender Dilettant etwa mit einem Hefte Lieder, sondern wie der Besten Einer, gleich mit Werken der strengsten Kunstgattung. Es sind dies eine große Sonate für Pianoforte zu vier Händen Werk 30. und ein Vaterunser Werk 27., als Doppelcanon für vier Chöre bearbeitet. Der Dichter nennt sich selbst in einem vertrauten Schreiben einen Schüler Salieri's (»von dem er wisse, was er wisse«) und weiterhinauf einen Gluck's. Daß letzterer sein Liebling, würde ich aus der Sonate errathen haben, und hätte jener für das Clavier geschrieben, so und nicht anders müßte das klingen und wirken. Es ist eine Kraft und ein Kern der Harmonie, im Charakter eine Zucht und Ehrbarkeit, wie man sie irgend an den besten Meistern des vorigen Jahrhunderts kennt: dagegen wir freilich von der Zeit und ihrem mächtigen Genius Beethoven fortgehoben, jetzt größere Ansprüche an die Sonate machen; ja es scheint, als wäre Beethoven dem Dichter, als er die Sonate schrieb, noch verhüllt gewesen; nur im letzten Satze bricht plötzlich und zum Verwundern ein romantischer Streif in die freundliche Gemüthlichkeit, etwa wie ein Wolkenschatten in ein ruhendes, vom Monde beleuchtetes Dorf. Man wird die Stelle im Augenblick herausfinden. Der Satz ist übrigens der kraft- und schwungreichste. Im Adagio trifft man mehr Mozart'schen Geist; Charakter, Melodie und Begleitungsformen, Alles weist darauf hin; einige seltenere Tacte heben sich auch hier hervor. Ebenso tüchtig und als Kunstaufgabe von Bedeutung ist das »Vaterunser«. Man könnte es, glaub' ich, auch einem guten Musikkopf für ein Kirchenstück aus der blühendsten Zeit der alten Italiener ausgeben, es müßte jenen denn das Wohllautendere und Anmuthigere des Satzes stutzig machen. Die beiden Canons durchspinnen sich darin so leicht, natürlich und schön, daß man die Kunst kaum heraushört, und dann ist es das Wahre. Auch in der Idee mag das Stück ausgezeichnet werden; es scheint mir nicht undichterisch, die Massen sich in solcher Weise dem Höchsten zuwenden zu hören; auch ist unser Gebet wohl auf diese Weise noch nirgends aufgefaßt. Das Ganze mag leise gehalten, dabei aber das wohlbedachte » Con anima« zu Anfang des Chors nicht außer Acht gelassen werden. Die Stimmen sind meisterlich strenge geführt, wenn ich anders genau sah, sogar bis auf den Unterschied der großen und kleinen Stufen. Es wäre nicht allein im Interesse für einen so seltenen Gast und aus Pietät gegen ein bekränztes Dichterhaupt, als auch zur wahren Erbauung, daß das Vaterunser bei einem deutschen großen Musikfeste zur Aufführung käme, da es ohnehin seiner Leichtigkeit, Sangbarkeit und Kürze halber ohne große Proben vollkommen hinzustellen ist. Auf S. 5, Syst. 2, Tact 1 steht im Baß f statt as; es ist wohl Nichts leichter, als in einem Canon einen Druckfehler zu finden.

Nun staune man noch zu vernehmen, daß derselbe geehrte Mann auch zwölf große Symphonieen für Orchester geschrieben hat und der Oeffentlichkeit zu übergeben beabsichtigt. Der erste großartige Satz einer von ihnen liegt im Clavierauszug vor mir. Gerade hier im Orchester scheint er in seinem Element. Gesunde Harmonik, deutsche Männlichkeit und Tüchtigkeit in Ausdruck und Gesinnung herrschen auch hier vor.

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Phantasieen, Capricen etc. für Pianoforte.

Erste Reihe.

C. Czerny, die vier Jahreszeiten; vier brillante Phantasieen. W. 434. – W. Klingenberg, Divertissement. W. 3. – H. Bertini, große dramatische Phantasie. W. 118. – Fr. Kalkbrenner, dramatische Scene ( le Fou). W. 136. – L. Böhner, Phantasie. W. 48. – A. Kahlert, vier Nocturnes. W. 6.

Es gehört zu den Redensarten und Witzen geübter Recensenten, in dieser oder jener neuen Phantasie selbige am meisten zu vermissen. Und diesmal hätten sie einigermaßen Recht; denn einen größeren Bankrott an Phantasie, als Hr. Czerny in seinem neuesten Groß-Werke entwickelt, kann es schwerlich geben. Versetze man doch den geschätzten Componisten in Ruhestand und gebe ihm eine Pension, wahrhaftig er verdient sie und würde nicht mehr schreiben. Es ist wahr, er hat einiges Verdienst um die Finger der Jugend und man hat ihn deshalb auch oft genug belobt. Aber die Welt mit ABC-Büchern und Bilderbögen zu überschütten, macht noch lange keinen Pädagogen und Maler, geschweige Componisten, und die Welt und Hr. Czerny sollten das wissen. Freilich hat auch das Gold seinen guten Klang, und wollen auch die Verleger leben. Möchten sich indeß letztere in Hinsicht der neuesten Productionen Czerny's nicht verrechnen; eine große Zukunft lag ohnehin nie in ihnen, – seit lange fängt es ihnen aber auch an melodischer Eleganz u. dgl. zu fehlen an. Mit einem Wort, er wird alt; man wird seiner Sachen überdrüßig; man gebe ihm eine Pension! –

Sonst pflegten meisthin die Schüler ihren Lehrern Werke zu dediciren; jetzt findet man's häufig umgekehrt, wie aus dem Titel des Divertissements oben zu sehen, und wir sind auch weit entfernt, das Talent des Componisten bei seiner Schülerin zu verdächtigen; wird sie es ja ohne unsern Wink errathen haben, daß das Werk nicht von Beethoven. Wie dem sei, es gehört allein auf das Clavierpult der Angesungenen und kaum in eine Zeitschrift, geschweige die strengste; es ist ein Potpourri und gut gemeint.

Bertini's Phantasie wird Manchem gefallen; er hat einige. Gesteh' ich es auch, daß ich mich nie für einen großen Verehrer seiner süßlichen, verliebten, kraft – und saftlosen Schreib – und Gefühlsweise ausgegeben, so klingt's doch hübsch genug, ja um nicht ungerecht zu sein, hat er sich diesmal offenbar angestrengt, etwas Werthvolleres zu schaffen, seinen Gegenstand ordentlich durchzuarbeiten, und in einzelnen Partieen (so S. 8) gelang es ihm auch. Späteren Kunstforschern wird beiläufig die Aehnlichkeit seines Wesens mit Thalberg nicht entgehen.

Irgendwo ist einmal (nicht unpassend) Kalkbrenner mit Voltaire verglichen worden, und in der That könnte man bei obigem » Fou« an diesen Erzschalk aller Zeiten erinnert werden. Mit einem Wort, die dramatische Scene ist eine Persiflage auf die jetzigen jungen Pariser Clavierspieler, deren einige vielleicht eigenen Fingersatz und Compositionen den seinigen vorgezogen, und amusant genug. Irr' ich nicht sehr, so erblicke ich so auf den ersten Seiten Chopin, dann Liszt, vielleicht auch Bertini, ganz gewiß aber zuletzt Thalberg; am besten scheint mir Bertini im jämmerlichen Adagio (S. 10) abgeschildert und wahrhaft lustig; auch Thalberg und Liszt passiren; was aber ersteren anlangt, so dürfte es diesem allerdings schwerer werden, Kalkbrennern zu persifliren, als umgekehrt. Wie dem sei, das Stück wird Allen, die es spielen, Vergnügen machen, am meisten vielleicht den Persiflirten selbst, auf deren Rache man indeß gespannt sein kann.

Von L. Böhner taucht immer hin und wieder etwas auf, wie in seiner Phantasie, Werk 48, selbst, die man in ihrer Zerrissenheit, Dunkelheit und Oede nicht uneben einem Sturm und Schiffbruch vergleichen kann. Man sehe sie sich selbst an, die groteske Geschmacklosigkeit darin, das An – und Aufdämmen von widerspenstigen Stoffen, ein Durcheinander von Alt und Neu, von Schwachheit und Geisteskraft, wie man selten zusammen finden wird; endlich der fürchterlichen Druckfehler zu gedenken, die die Verwirrung noch mehr verwirren. Bei einzelnen Stellen der Phantasie könnte man aber, wie gesagt, an Mozart als deren Schöpfer denken.

In den vier Notturno's von Kahlert findet man speciellere Gefühlszustände, als in den gewöhnlichen Notturno's. Der klare und gewandte Schriftsteller und Denker über Musik zeigt sich aber als Componist als ein ganz anderer, wie denn häufig, wenn die allgemeine Bildung die besondere musikalische überwiegt, ein Bruch entsteht. Jede Kunst verlangt ein Leben und alles Ueberspringen der Schulstufen zeigt sich später einmal; daher in den meisten Dilettantenarbeiten Unklarheit der Form und Unreinheit in der Harmonie etc. bei aller schönen Intention, wo dem gelernten Musiker ein vollkommenes Musikstück gelungen wäre. Vieles scheint mir in den Notturno's auch gekünstelt oder im Ausdruck gesucht und deshalb verfehlt. Trotzdem findet sich viel Interessantes; am meisten musikalisches Element scheint mir das letzte Stück zu enthalten, das bei noch reizender Fassung ein ausgezeichnetes hätte werden müssen.

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Zweite Reihe.

Julie Bareni – Cavalcabó, zweite Caprice. W. 12. – J.P.E. Hartmann, vier Capricen. W. 18. Zweites Heft. – W. Sterndale Bennett, drei Skizzen. W. 10. – W. Sterndale Bennett, drei Impromptus. W. 12. – W. Sterndale Bennett, drei Romanzen. W. 14.

Der jungen Componistin, die wir oben zuerst genannt, einer Schülerin von Mozart's Sohn, sind wir von jeher mit besonderem Interesse gefolgt; sie hat neben Clara Wieck und Delphine Hill Handley die reichste musikalische Ader unter denen ihrer Zeitgenossinnen, die sich in die Oeffentlichkeit gewagt, dabei Sinn für Form, Verhältnisse und Steigerung, und, was sich in ihren Compositionen für Gesang noch mehr zeigt, viel Empfindung und melodischen Ausdruck. Aus der obigen Caprice wünschte ich, sie unbedingt gelten zu lassen, nur den langsamen Satz weg, der zu wenig bestimmten Gesang hat und sich in allgemeinen Czerny'schen Passagen verflacht, die ein – für allemal besser ungedruckt blieben. Dagegen findet man im andern durchgängig Leben und Bewegung, frische Rhythmen und in einzelnen Stellen feinere Arbeit, während andere noch so sehr geschätzte Spielerinnen sich am liebsten in großen Dreiklängen und umschreibenden Läufen über die Claviatur weg ergehen. Schwer ist die Caprice übrigens auch, spielt sich aber überaus gut. Man zeichne sich den Namen der Componistin in's Gedächtniß.

Ueber das erste Heft der Capricen von Hrn. Hartmann war bereits früher die Rede; dies zweite kann jenes theils anerkennende, theils aussetzende Urtheil nur bestätigen. Ein ernster und warmer Wille bei vielen Kenntnissen zeigt sich auch in ihm, ebenso wie daß man noch überall zu viel das Gerippe sieht, daß noch nicht Alles zu einer poetischen Blüthe gekommen scheint. Die Melodieen haben etwas Kleines, die Rhythmen nichts Gebietendes, man möchte überall noch mehr. Dies Alles sagen wir jedoch nur in Berücksichtigung eines höheren Talentes, das sich selber auch höhere Ziele gesetzt zu haben scheint; einem Schwachgeist müßte man die Capricen als etwas Großes anrechnen. Auch möchte ich die Stücke nicht »Capricen« nennen: sie sind dazu in der Form zu dicht, manchmal liederartig abgeschlossen; doch wird es schwer sein, einen für alle vier passenden Namen zu finden.

Ueber Bennett's Compositionen, sein bedeutendes Talent haben diese Blätter bereits an vielen Orten sich ausgesprochen; namentlich gedachte schon Eusebius in einem größeren Aufsatz dieser äußerst feinen Skizzen, in welches Lob Alle, die sie vom Componisten selbst gehört, ohne Weiteres einstimmen müßten. Es ist wahr, die Person bestrickt: doch scheinen mir die Vorzüge und Schönheiten dieser Bilder so hervorspringend, daß ich denen, die, auch ohne vom Vortrag des Componisten bestochen zu sein, ihnen das nicht einräumten, keinen großen Grad von Bildung zusprechen könnte. Ueber gewisse Dinge sollte man kein Wort verlieren dürfen. Andererseits haben wir Bennett auch nie für ein Naturwunder ausgeben und ihm nur die Ehren gesichert wollen, die einem solchen Verein von Künstlertugenden gebühren. Die Skizzen haben also die Ueberschriften: the Lake, the Millstream und the Fountain,, oder »See«, »Mühlstrom« und »Springbrunnen«. Und verdankte ihm die Kunst nichts als diese, sie müßten ihr seinen Namen erhalten. An Zartheit und Naivität der Darstellung scheinen sie mir Alles zu übertreffen, was ich von musikalischer Genremalerei kenne, wie er denn, als echter Dichter, der Natur gerade einige ihrer musikalischsten Scenen abgelauscht hat. Oder hättet ihr nie Musik gehört, die euch des Abends nach dem jenseitigen Ufer des Sees hinüberrufen wollte? nie die zürnende, tobende, die die Räder treibt, daß die Funken sprühen? Auf welche Weise die Skizzen übrigens entstanden seien, ob von Innen nach Außen, oder umgekehrt, macht nichts zur Sache und vermag Niemand zu entscheiden. Die Componisten wissen das meist selbst nicht; Eins wird so, das Andere so; oft leitet ein äußeres Bild weiter, oft ruft eine Tonfolge wieder jenes hervor. Bleibt nur Musik und selbstständige Melodie übrig, grüble man da nicht und genieße. Noch vergaß ich des »Springbrunnens«; wir hörten es am liebsten von ihm, seine ganze Dichterseele ging hier auf; man hörte Alles neben sich, dies hundertstimmige Plaudern und Plätschern: Schiller kann es nicht deutlicher vor uns stellen, wenn er einmal sagt:

Mein Ohr umtönt ein Harmonieenfluß,
Der Springquell fällt mit angenehmem Rauschen,
Die Blume neigt sich zu des Westes Kuß
Und alle Wesen seh' ich Wonne tauschen.

Diese Zeilen wären die beste Recension darüber. –

Die Impromptu's sind nicht minder trefflich und wahre Gedichte, obwohl weniger eigenthümlich und an Mendelssohn's »Lieder ohne Worte« manchmal erinnernd; auch ihre Formen und Rhythmen sind die anmuthigsten, oft fast zu ruhig und behaglich. Ein großer Fortschritt zeigt sich aber erst in den drei Romanzen, namentlich was ihre tieferen, manchmal befremdenden harmonischen Combinationen und Freiheiten, ihren weiteren kühnen Bau betrifft. Sie sind erst vor Kurzem geschrieben und können als Höhepunkt seines Strebens angesehen werden. An reichem ausströmendem Gesang gleichen sie seinen andern Werken; namentlich herrscht auch in ihnen die Melodie der hohen Stimme vor. Was sie aber auszeichnet, ist ihre größere Leidenschaftlichkeit; die erste Romanze ist sogar heftig: die andere scheint nur ruhiger; in der letzten wallt es aber wieder über voll sehnsüchtiger Klage. Einer Zergliederung bedürfen sie so wenig, wie ein schönes Gedicht; die Rechten werden sie verstehen. Als auf eine eigenthümliche Schönheit der zweiten Romanze mache ich nur noch auf den immer neu harmonisirten Eintritt der Melodie und auf die herrlich tiefen Bässe aufmerksam, wie man denn überhaupt an den Bässen seine Leute erkennt.

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Dritte Reihe.

Joh. Friedrich Littl, sechs Idyllen.

Werk 2.

Idylle ist hier im weiteren Sinne als Kleinbild zu nehmen; das Pastorale tritt nur in den letzteren einigermaßen hervor. Am meisten hat sich der Componist selbst geschadet, durch seine Überschriften nämlich, die auf poetische Zustände vorbereiten (Trost im Scheiden, An der Grenze der Heimath etc.), aber das Talent ist hier offenbar hinter der Absicht zurückgeblieben. Etwas Prosaischeres kann es nicht leicht geben, wenn deshalb auch das Streben nach Charakteristik nicht verkannt werden soll. Vielleicht daß der Componist auf dem Clavier nicht auf seinem rechten Felde, daß er mehr in der Kirche, auf der Orgel zu Hause ist, zu welchem Ausspruch mich auch die fast ängstliche Correctheit und Einfachheit veranlaßt, wogegen mir Czerny ein Lord Byron an Kühnheit erscheinen könnte. Quinten und Octaven sucht man also in den Idyllen vergeblich, aber freilich auch nicht, was jene Fehlerlosigkeit vergessen macht: Schwung, Leben, Gesangleben.

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Wielhorsky, Joseph Graf von, drei Notturno's

Werk 2.

Den Chopin'schen wie aus den Augen geschnitten, aber wohlthuend zart und voll anmuthiger, oft sehr edler Melodie. Ich wüßte keinen Edelmann, der bessere, aber manchen Mann von Fach, der keine ähnliche schreiben könnte. Das Talent scheint offenbar, wenn auch kein hocheigenthümliches, das sich in so streng gezogener Form freilich auch gar nicht zeigen konnte; aber der Componist versuche sich zur Probe auch in einer weniger sentimentalen Gattung, wo die Phantasie mehr ausgreifen kann, und es wird ihm glücken, da ihm die vorzügliche Kenntniß seines Instrumentes ohnehin zu Statten kommt. Im ersten und letzten der Notturno's sind, nach Vorgang mancher Chopin'schen, bewegtere Mittelsätze eingeflochten, die, oft schon bei Chopin schwächer als seine ersten Erfindungen, auch hier mehr aufhalten als fortheben; es ist, als würden die schönen ruhigen Wasserkringel, denen wir mit Vergnügen nachgesehen, plötzlich unterbrochen, daß sie der Blick nicht mehr festhalten kann; daher auch das zweite Notturno, das in gleicher Bewegung bis zum Schluß fortgeht, die meiste Wirkung machen wird, wenigstens auf mich gemacht hat. Im ersten fällt die große Aehnlichkeit der Melodie mit einem Weber'schen Motiv (in der Jubelouverture) auf. Das letzte hat einige sehr zarte Wendungen und einen äußerst graziösen Schluß, wie ihn irgend Chopin hinzuhauchen versteht. Dessen sonstige Kräuseleien und Säuseleien übrigens nicht nachzumachen, thut der Componist wohl; Chopin bezaubert damit, an Andern sind sie nicht auszustehen.

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Julie Baroni-Cavalcabo,

Dritte Caprice. Werk 18. – Phantasie. Werk 19.

Einige Vorliebe für Thalberg'sche Form und Bellini'sche Melodieenweise abgerechnet, zeichnen sich auch diese Stücke, wie Alles aus der Feder der Componistin, durch viele gut musikalische Züge aus. Der weibliche Charakter verleugnet sich dabei nirgends. Eine gewisse, aber nicht ermüdende Gesprächigkeit, ein offenes Darlegen aller ihrer Gedanken, ein Nicht – fertig – werden – können mit Allem, was sie auf dem Herzen hat, sind Zeugen davon. Am erfreulichsten fällt auf, daß die Componistin, wo sie sich in gefährlichere Harmoniegänge verliert, nicht zurückweicht und Angst vor dem Ausgang bekömmt, sondern sicher fortschreitet und vollendet. Eine helfende Hand spür' ich in keinem der Stücke; es scheint Alles Arbeit und Eigenthum der Componistin, bis auf die kleinen Mängel der Orthographie. Die Verfasserin, früher in Lemberg und Schülerin von Mozart's Sohn, lebt jetzt in Wien. –

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Fr. Chopin,

Impromptu. Werk 29. – Vier Mazureks. Werk 30. – Scherzo. Werk 31.

Chopin kann schon gar nichts mehr schreiben, wo man nicht im siebenten, achten Tacte ausrufen müßte: »das ist von ihm«! Man hat das Manier genannt und gesagt, er schreite nicht vorwärts. Aber man sollte dankbarer sein. Ist es denn nicht dieselbe originelle Kraft, die euch schon aus seinen ersten Werken so wunderbar entgegenleuchtet, im ersten Augenblick euch verwirrt gemacht, später euch entzückt hat? Und wenn er euch eine Reihe der seltensten Schöpfungen gegeben, und ihr ihn leichter versteht, verlangt ihr ihn auf einmal anders? Das hieße einen Baum umhacken, weil er euch jährlich dieselben Früchte wiederbringt. Es sind aber bei ihm nicht einmal dieselben, der Stamm wohl der nämliche, die Früchte aber in Geschmack und Wuchs die verschiedenartigsten. So wüßte ich obigem Impromptu, so wenig es im ganzen Umkreis seiner Werke zu bedeuten hat, kaum eine andere Chopin'sche Composition zu vergleichen; es ist wiederum so fein in der Form, eine Cantilene zu Anfang und Ende von reizendem Figurenwerk eingeschlossen, so ein eigentliches Impromptu, nichts mehr und nichts weniger, daß ihm nichts Anderes seiner Composition an die Seite zu stellen. Das Scherzo erinnert in seinem leidenschaftlichen Charakter schon mehr an seinen Vorgänger: immerhin bleibt es ein höchst fesselndes Stück, nicht uneben einem Lord Byron'schen Gedicht zu vergleichen, so zart, so keck, so liebe- wie verachtungvoll. Für Alle paßt das freilich nicht. Die Mazurek hat Chopin gleichfalls zur kleinen Kunstform emporgehoben; so viele er geschrieben, so gleichen sich nur wenige. Irgend einen poetischen Zug, etwas Neues in der Form oder im Ausdruck hat fast jede. So ist es in der zweiten der obengenannten das Streben der H moll-Tonart nach Fis moll, wie sie denn auch (man merkt es kaum) in Fis schließt; in der zweiten das Schwanken der Tonarten zwischen weicher und harter, bis endlich die große Terz gewinnt; so in der letzten, die jedoch eine matte Strophe (auf S. 13) hat, der plötzliche Schluß mit den Quinten, über die die deutschen Cantoren die Hände über die Köpfe zusammenschlagen werden. Eine Bemerkung beiläufig: die verschiedenen Zeitalter hören auch verschieden. In den besten Kirchenwerken der alten Italiener findet man Quintenfortschreitungen, sie müssen ihnen also nicht schlecht geklungen haben. Bei Bach und Händel kommen ebenfalls welche vor, doch in gebrochener Weise und überhaupt selten; die große Kunst der Stimmenverflechtung mied alle Parallelgänge. In der Mozart'schen Periode verschwinden sie gänzlich. Nun trabten die großen Theoretiker hinterher und verboten bei Todesstrafe, bis wieder Beethoven auftrat und die schönsten Quinten einfließen ließ, namentlich in chromatischer Folge. Nun soll natürlich ein so chromatischer Quintengang, wird er etwa zwanzig Tacte lang fortgesetzt, nicht als etwas Treffliches, sondern als etwas äußerst Schlechtes ausgezeichnet werden, gleichfalls soll man dergleichen aber auch nicht einzeln aus dem Ganzen herausheben, sondern in Bezug zum Vorhergehenden, im Zusammenhang hören.

Franz Schubert, vier Impromptu's für Pianoforte.

Werk 142.

Er hätte es noch erleben können, wie man ihn jetzt feiert; es hätte ihn zum Höchsten begeistern müssen. Nun er schon lange ruht, wollen wir sorgsam sammeln und aufzeichnen, was er uns hinterlassen; es ist Nichts darunter, was nicht von seinem Geist zeugte, nur wenigen Werken ist das Siegel ihres Verfassers so klar aufgedrückt, als den seinigen. So flüstert es denn in den zwei ersten Impromptu's auf allen Seiten »Franz Schubert«; wie wir ihn kennen in seiner unerschöpflichen Laune, wie er uns reizt und täuscht und wieder fesselt, finden wir ihn wieder. Doch glaub' ich kaum, daß Schubert diese Sätze wirklich »Impromptu's« überschrieben; der erste ist so offenbar der erste Satz einer Sonate, so vollkommen ausgeführt und abgeschlossen, daß gar kein Zweifel aufkommen kann. Das zweite Impromptu halte ich für den zweiten Satz derselben Sonate; in Tonart und Charakter schließt es sich dem ersten knapp an. Wo die Schlußsätze hingekommen, ob Schubert die Sonate vollendet oder nicht, müßten seine Freunde wissen; man konnte vielleicht das vierte Impromptu als das Finale betrachten, doch spricht, wenn auch die Tonart dafür, die Flüchtigkeit in der ganzen Anlage beinahe dagegen. Es sind dies also Vermuthungen, die nur eine Einsicht in die Originalmanuscripte aufklären könnte. Für gering halte ich sie nicht; es kömmt zwar wenig auf Titel und Ueberschriften an; andererseits ist aber eine Sonatenarbeit eine so schöne Zier im Werkkranz eines Componisten, daß ich Sch'n. gern zu seinen vielen noch eine andichten möchte, ja zwanzig. Was das dritte Impromptu anlangt, so hätte ich es kaum für eine Schubert'sche Arbeit, höchstens für eine aus seiner Knabenzeit gehalten; es sind wenig oder gar nicht ausgezeichnete Variationen über ein ähnliches Thema. Erfindung und Phantasie fehlen ihnen gänzlich, worin sich Schubert gerade auch im Variationsgenre an andern Orten so schöpferisch gezeigt. So spiele man denn die zwei ersten Impromptu's hinter einander, schließe ihnen, um lebhaft zu enden, das vierte an, und man hat, wenn auch keine vollständige Sonate, so eine schöne Erinnerung an ihn mehr. Kennt man seine Weise schon, so bedarf es fast nur einmaligen Durchspielens, sie vollkommen inne zu haben. Im ersten Satz ist es der leichte phantastische Zierrath zwischen den melodischen Ruhestellen, was uns in Schlummer wiegen möchte; das Ganze ist in einer leidenden Stunde geschaffen, wie im Nachdenken an Vergangenes. Der zweite Satz hat einen mehr beschaulichen Charakter, in der Art, wie es viel von Schubert gibt; anders der dritte (das vierte Impromptu), schmollend, aber leise und gut: man kann es kaum vergreifen; Beethovens »Wuth über den verlornen Groschen«, ein sehr lächerliches, wenig bekanntes Stück, fiel mir manchmal dabei ein.

Es ist hier auch passende Gelegenheit, der von Franz Liszt für Clavier bearbeiteten Franz Schubert'schen Lieder zu erwähnen, die viele Theilnahme im Publicum gefunden. Von Liszt vorgetragen, sollen sie von großer Wirkung sein, andere als Meisterhände werden sich vergeblich mit ihnen bemühen; sie sind vielleicht das Schwerste, was für Clavier existirt, und ein Witziger meinte, »man möchte doch eine erleichterte Ausgabe derselben veranstalten, wo er nur neugierig, was dann herauskäme, und ob wieder das echte Schubert'sche Lied?« Manchmal nicht: Liszt hat verändert und zugethan; wie er es gemacht, zeugt von der gewaltigen Art seines Spiels, seiner Auffassung: Andere werden wieder anders meinen. Es läuft auf die alte Frage hinaus, ob sich der darstellende Künstler über den schaffenden stellen, ob er dessen Werke nach Willkür für sich umgestalten dürfe. Die Antwort ist leicht: einen Läppischen lachen wir aus, wenn er es schlecht macht, einem Geistreichen gestatten wir's, wenn er den Sinn des Originals nicht etwa geradezu zerstört. In der Schule des Clavierspiels bezeichnet diese Art der Bearbeitung ein besonderes Capitel.

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