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Franz Liszt.

I.

Noch angestrengt von einer Reihe von sechs Concerten, die er in Prag während eines achttägigen Aufenthaltes gab, kam Hr. Liszt vorigen Sonnabend in Dresden an. Kaum mag er irgendwo sehnlicher erwartet worden sein, als in der Residenz, wo Clavierspiel und Claviermusik vor allem geliebt wird. Montag gab er Concert; der Saal war glänzend und von den Vornehmsten der Gesellschaft, auch von mehren Mitgliedern der königl. Familie besucht. Alle Blicke hafteten auf die Thür, wo der Künstler eintreten sollte. Zwar sein Bild ist vielfach verbreitet und das von Kriehuber, der sein Jupiterprofil am schärfsten gefaßt, ein höchst treffliches; aber der Jupiterjüngling selbst interessirt doch immer noch ganz anders. Man spricht viel von der Prosa jetziger Tage, von Hof- und Residenzluft und Eisenbahngeist, aber es komme nur der Rechte und wir lauschen andächtig jeder seiner Bewegungen. Wie nun erst bei diesem Künstler, von dessen Wunderthaten schon vor zwanzig Jahren berichtet wurde, dessen Namen man immer neben den bedeutendsten zu hören gewohnt war, vor dem sich wie vor Paganini alle Parteien verneigten und auf einen Augenblick versöhnt schienen! So rief ihm denn die ganze Versammlung bei seinem Eintritt begeisternd zu, worauf er anfing zu spielen. Gehört hatte ich ihn schon vorher; aber es ist etwas anderes, der Künstler einem Publicum oder Einzelnen gegenüber, – auch der Künstler ein anderer. Die schönen hellen Räume, der Kerzenglanz, die geschmückte Versammlung, dies Alles erhöht die Stimmung des Gebenden wie der Empfangenden. Nun rührte der Dämon seine Kräfte; als ob er das Publicum prüfen wollte, spielte er erst gleichsam mit ihm, gab ihm dann Tiefsinnigeres zu hören, bis er mit seiner Kunst gleichsam jeden einzeln umsponnen hatte und nun das Ganze hob und schob, wie er eben wollte. Diese Kraft, ein Publicum sich zu unterjochen, es zu heben, tragen und fallen zu lassen, mag wohl bei keinem Künstler, Paganini ausgenommen, in so hohem Grade anzutreffen sein. Ein Wiener Schriftsteller hat Liszt'en in einem Gedicht besungen, das aus nichts als aus den einzelnen Buchstaben des Namens angehängten Beiwörtern besteht; das Gedicht, geschmacklos an sich, hat aber sein Richtiges; wie aus einem Wörterbuche, in dem wir blättern, rauschen uns wie dort die Buchstaben und Begriffe, so hier die Töne und Empfindungen dazu entgegen. In Secundenfrist wechselt Zartes, Kühnes, Duftiges, Tolles: das Instrument glüht und sprüht unter seinem Meister. Ueber alles dieses ist schon hundertmale gesprochen worden, und die Wiener namentlich haben dem Adler auf alle mögliche Weise beizukommen versucht, durch Nachfliegen, mit Stricken und Heugabeln und Gedichten. Aber man muß das hören und auch sehen, Liszt dürfte durchaus nicht hinter den Coulissen spielen; ein großes Stück Poesie ginge dadurch verloren.

Er spielte und accompagnirte das Concert vom Anfang bis zum Schluß ganz allein. Wie Mendelssohn einmal die Idee gehabt haben soll, ein ganzes Concert zu componiren mit Ouvertüre, Gesangstücken und anderem Zubehör (man kann die Idee getrost veröffentlichen zur Benutzung), so gibt auch Liszt sein Concert ziemlich immer allein. Nur Mad. Schröder-Devrient trat noch auf, weit und breit wohl die Einzige, die in solcher Nähe sich zu behaupten weiß. Es war der Erlkönig und einige kleine Lieder von Schubert, die sie im Vereine sangen und spielten.

Vom Eindrucke zu sprechen, den der außerordentliche Künstler in Dresden gemacht hat, so kenne ich den Beifallsthermometer des dortigen Publicums nicht genug, um darüber entscheiden zu können. Der Enthusiasmus wurde ein außerordentlicher genannt; freilich der Wiener schont seine Hände unter allen Deutschen wohl am wenigsten und hebt sich in Abgötterei wohl gar den geschlitzten Handschuh auf, mit dem er Liszt zugeklatscht. In Norddeutschland, wie gesagt, ist das anders.

Dienstag früh reiste Liszt nach Leipzig. Von seinem Auftreten daselbst das nächstemal.

*

II.

Vermöcht' ich es, Entfernten und Fremden, und darunter wohl Manchen, die nie Hoffnung haben, diesen Künstler in Wirklichkeit zu sehen, und nun nach jedem Worte suchen, das über ihn gesprochen wird, – vermöcht' ich es, ihnen ein Bild des hervorragenden Mannes zu geben! Aber es hat seine Schwierigkeiten. Am leichtesten ließe sich noch über seine äußere Erscheinung sprechen. Man hat sie bereits vielfach zu schildern gesucht, den Kopf des Künstlers Schillerisch, auch Napoleonisch genannt, und wie alle außerordentliche Menschen einen Zug gemein zu haben scheinen, namentlich den der Energie und Willensstärke um Aug' und Mund, so treffen auch jene Vergleiche zum Theil. Namentlich gleicht er Napoleon, wie wir diesen als jungen General oft abgebildet sehen, – bleich, hager, bedeutend im Profil, den Ausdruck der Gestalt mehr nach dem Scheitel hinaufgedrängt. Auffallend ist auch die Aehnlichkeit Liszt's mit dem verstorbenen Ludwig Schunke, die sich auch tiefer auf ihre Kunst erstreckt, so daß ich oft bei Liszt's Spiel schon früher Gehörtes wieder zu hören glaubte. Am schwierigsten aber läßt sich über diese Kunst selbst sprechen. Es ist nicht mehr Clavierspiel dieser oder jener Art, sondern Aussprache eines kühnen Charakters überhaupt, dem zu herrschen, zu siegen das Geschick einmal statt gefährlichen Werkzeugs das friedliche der Kunst zugetheilt. Wie viele und bedeutende Künstler in den letzten Jahren an uns vorübergegangen sind, wie viel wir selbst besitzen, die Liszt'en in mancher Weise gleichstehen, an Energie und Kühnheit müssen sie ihm alle sammt und sonders weichen. Namentlich Thalberg hat man gern mit ihm in die Schranken stellen, beide mit einander vergleichen wollen. In der That braucht man nur beider Köpfe zu betrachten, um den Schluß zu ziehen. Ich erinnere mich des Ausspruchs eines bekannten Wiener Zeichners, der den Kopf seines Landsmanns nicht uneben mit dem »einer schönen Comteß mit einer Männernase« verglich, während er von Liszt's Kopfe sagte, daß er jedem Maler zu einem griechischen Gott sitzen könne. Ein ähnlicher Unterschied gilt etwa von ihrer Kunst. Näher an Liszt steht schon Chopin als Spieler, der ihm wenigstens an feenhafter Zartheit und Grazie nichts nachgibt; am nächsten wohl Paganini und als Weib die Malibran, von denen beiden Liszt auch das Meiste genützt zu haben bekennt.

Liszt mag jetzt gegen 30 Jahr alt sein. Wie er schon als Kind ein Wunder genannt, wie er frühzeitig in die Fremde verschlagen wurde, wie später sein Name glänzend hier und dort neben den berühmtesten auftauchte, oft auch wieder auf längere Zeit verscholl, bis dann Paganini erschien, der den Jüngling zu neuem Streben aufstachelte, wie er plötzlich vor zwei Jahren in Wien auftrat und die Kaiserstadt enthusiasmirte, – dies und anderes ist bekannt. Seit ihrem Bestehen hat die Zeitschrift dem Künstler zu folgen gesucht, hat nichts verheimlicht, was für und wider ihn laut wurde, obwohl sich bei Weitem die meisten Stimmen und namentlich aller großen Künstler zum Lobe seines eminenten Talentes vereinigten. So kam er denn vor Kurzem zu uns, mit den höchsten Ehren, die nur einem Künstler widerfahren können, bereits geschmückt und feststehend im Ruhme; von jenen ihm neue zu bereiten, diesen erhöhen zu wollen, war schwer; leichter war es, daran rütteln zu wollen, wie es ja zu allen Zeiten Pedanten und Schelme gegeben. Auch das Letztere wurde hier versucht. Nicht durch Liszt's Schuld war das Publicum durch die Vorausverkündigungen unruhig, durch Fehler im Concertarrangement verstimmt worden. Ein als Pasquillant bekannter Mann machte sich das zu Nutze, anonym gegen den Künstler aufzuhetzen, und »wie Liszt nur zu uns gekommen wäre, seine unersättliche Habgier zu befriedigen«. Gedenken wir der Unwürdigkeit nicht weiter.

Das erste Concert am 17ten bot einen sonderbaren Anblick. In krauser Fülle stand die Menge durcheinander. Der Saal schien ein ganz anderer. Das Orchester war zu Plätzen für die Zuhörer benutzt. Dazwischen nun Liszt.

Er fing mit dem Scherzo und dem Finale der Pastoralsymphonie von Beethoven an. Die Wahl war launisch genug und nicht glücklich aus vielen Gründen. Im Zimmer, unter vier Augen mag die sonst höchst sorgsame Uebertragung das Orchester vergessen lassen; im größeren Saal aber, an derselben Stelle, wo wir die Symphonie so oft und vollendet schon vom Orchester gehört, trat die Schwäche des Instrumentes um so fühlbarer hervor, und um so mehr, je mehr die Uebertragung auch die Massen in ihrer Stärke wiederzugeben versucht; ein einfacheres Arrangement, ein Andeuten hätte hier vielleicht sogar mehr gewirkt. Dennoch, versteht es sich, hatte man den Meister auf dem Instrumente herausgehört; man war zufrieden; man hatte ihn wenigstens die Mähnen schütteln gesehen. Im Bild zu bleiben, so zeigte sich bald der Löwe gewaltiger. Dies in einer Phantasie über Thema's von Pacini, die er in außerordentlicher Weise spielte. Aber alle die erstaunliche verwegene Bravour, die er hier zeigte, möchte ich noch opfern für die zauberhafte Zartheit, wie sie sich in der folgenden Etude aussprach. Chopin ausgenommen, wüßte ich, wie gesagt, Niemanden, der ihm hierin gleichkäme. Er schloß mit dem bekannten chromatischen Galopp, und spielte, als der Beifall nicht enden wollte, noch seinen bekannten Bravourwalzer.

Erschöpfung und Unwohlsein hielten den Künstler ab, das Tages darauf versprochene Concert zu geben. Einstweilen war ihm ein musikalisches Fest bereitet worden, was Liszt'en selbst, wie allen Anwesenden, wohl ein unvergeßliches bleiben wird. Der Festgeber F. Mendelssohn. hatte lauter dem Gaste noch unbekannte Compositionen zur Aufführung gewählt: die Symphonie von Franz Schubert, den Psalm »wie der Hirsch schreit«, die Ouverture »Meeresstille und glückliche Fahrt«, drei Chöre aus Paulus, und zum Schluß das D moll-Concert für drei Claviere von Sebastian Bach. Letzteres spielten Liszt, Mendelssohn und Hiller. Es schien Alles wie aus dem Augenblicke hervorgewachsen, nichts vorbereitet; drei glückliche Musikstunden waren's, wie sie sonst Jahre nicht bringen. Zum Schluß spielte auch Liszt noch allein, und wundervoll genug. In freudigster Erregung trennte sich die Versammlung, und der Glanz und die Heiterkeit, die sich in Aller Augen spiegelte, möge dem Geber ein Dank sein für die Huldigung, die er dem berühmten Kunsttalente eines Anderen an jenem Abende darbrachte.

Die genialste Leistung Liszt's aber stand uns noch bevor: Weber's Concertstück, mit dem er in seinem zweiten Concert anfing. Wie denn an diesem Abend Virtuose wie Publicum in besonders frischer Stimmung schienen, so überstieg der Enthusiasmus während des Spielens und zum Schluß auch beinahe alles hier Erlebte. Wie Liszt gleich das Stück anfaßt, mit einer Stärke und Großheit im Ausdruck, als gälte es eben einen Zug auf den Kampfplatz, so führt er es von Minute zu Minute steigend fort bis zu jener Stelle, wo er sich wie an die Spitze des Orchesters stellt und es jubelnd selbst anführt. Schien er an dieser Stelle doch jener Feldherr selbst, dem wir ihn an äußerer Gestalt verglichen, und der Beifall darauf an Kraft nicht unähnlich einem » Vive l'empereur«. Der Künstler gab noch eine Phantasie über Thema's aus den Hugenotten, das Ave Maria, Ständchen und, auf Verlangen des Publicums, noch den Erlkönig von Schubert. Das Concertstück aber war und blieb die Krone seiner Leistungen.

Von wem der Gedanke des Blumengeschenkes ausgegangen, das ihm nach dem Schluß des Concertes durch die Hand einer beliebten Sängerin überreicht worden war, weiß ich nicht; unverdient war der Kranz gewiß nicht. Wie viel enges und hämisches Wesen gehört dazu, solche freundliche Aufmerksamkeit bekritteln zu wollen, wie es in einer Bemerkung eines hiesigen Blattes geschehen ist. An die Freuden, die euch der Künstler bereitet, hat er sein Leben gesetzt; von den Mühen, die ihm seine Kunst gekostet, erfahrt ihr nichts: er gibt euch das Beste, was er hat, die Blüthe seines Lebens, das Vollendete; und wir wollten ihm dann nicht einen einfachen Blumenkranz gönnen? Liszt blieb auch nichts schuldig. In sichtlicher Freude über den feurigen Empfang, der ihm im zweiten Concerte geworden war, zeigte er sich schnell bereit, noch ein drittes zu geben für irgend eine milde Stiftung, deren Wahl er der Bestimmung Einsichtiger überließ. So spielte er vergangenen Montag noch einmal zum Besten des Pensionsfonds für kranke und alte Musiker, nachdem er den Tag vorher ebenfalls für die Armen ein Concert in Dresden gegeben hatte. Der Saal war gedrängt voll; der Zweck, dem es galt, die Wahl der Stücke, das Mitwirken unserer ausgezeichnetsten Sängerinnen und vor Allem Liszt's selbst, hatten die Teilnahme an dem Concert erhöht. Noch erschöpft von der Reise, von dem vielen Concertspielen in den vorigen Tagen, kam Liszt des Morgens an und ging bald darauf in die Probe, so daß ihm bis zur Concertstunde nur wenig Zeit übrig blieb. Ruhe gönnte er sich gar keine. Ich darf dies nicht unerwähnt lassen; ein Mensch ist kein Gott, und die sichtliche Anstrengung, mit der Liszt des Abends spielte, war nur die natürliche Folge so vieler vorangegangenen. In freundlicher Gesinnung hatte er sich zu seinem Concerte von Compositionen dreier hier anwesender Componisten gewählt, von Mendelssohn, Hiller und von mir: von Mendelssohn dessen neustes Concert, von Hiller Etuden, von mir mehre Nummern aus einem älteren Werke, Carnaval geheißen. Zum Erstaunen mancher schüchternen Virtuosen mög' es hier stehen: Liszt spielte fast sämmtliche Compositionen so zu sagen vom Blatt. Die Etuden und den Carnaval hatte er flüchtig wohl schon früher gekannt, Mendelssohn's Composition aber erst wenige Tage vor dem Concerte kennen gelernt; vielfach angesprochen, hatte er aber zum eigentlichen Studiren in so kurzer Frist unmöglich Zeit finden können. Meinem leisen Zweifel, ob überhaupt so rhapsodisches Carnavalleben auf eine Menge Eindruck machen könne, begegnete er durch seine feste Meinung, er hoffe es. Dennoch glaub' ich, hat er sich getäuscht. Nur einige Worte über die Composition, die ihre Entstehung einem Zufall verdankt. Der Name eines Städtchens, wo mir eine musikalische Bekanntschaft lebte, enthielt lauter Buchstaben der Tonleiter, die gerade auch welche meines Namens waren; so entstand eine jener Spielereien, wie sie seit Bach's Vorgang nichts Neues mehr sind. Ein Stück ward nach dem andern fertig, und dies gerade zur Carnavalszeit 1835, überdies in ernster Stimmung und eigenen Verhältnissen. Den Stücken gab ich später Ueberschriften und nannte die Sammlung Carnaval. Mag Manches darin den und jenen reizen, so wechseln doch auch die musikalischen Stimmungen zu rasch, als daß ein ganzes Publicum folgen könnte, das nicht alle Minuten aufgescheucht sein will. Dies hatte mein liebenswürdiger Freund, wie gesagt, nicht berücksichtigt, und mit so großem Antheil, so genialisch er spielte, der Einzelne war vielleicht damit zu treffen, die ganze Masse aber nicht zu heben. Anders war es schon mit den Etuden von Hiller, die in eine bekanntere Form einschlagen; eine in Des dur und eine in E moll, beide sehr zart und charakteristisch, erwarben sich warme Theilnahme. Das Concert von Mendelssohn war bereits durch den Componisten selbst bekannt in seiner ruhigen Meisterklarheit. Liszt spielte, wie gesagt, die Stücke beinahe vom Blatt. Es thut ihm dies Niemand so leicht nach. Im vollen Glanze seiner Virtuosität zeigte er sich noch im Schlußstück, dem Hexameron, – einem Variationencyklus von Thalberg, Herz, Pixis und Liszt selbst. Man muß es bewundern, wo Liszt noch die Kraft hernahm, das Hexameron zur Hälfte zu wiederholen und dann noch den Galopp zur Freude des Publicums. So gern hätte ich gewünscht, daß er auch von Chopin's Compositionen, die er unvergleichlich und mit größter Liebe spielt, öffentlich vorgetragen hätte. Auf seinem Zimmer gibt er freundlich Alles, was man von Musik von ihm zu hören wünscht. Wie oft hab' ich ihm da mit Bewunderung zugehört!

Dienstag Abend verließ er uns.

*


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