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Preisquartett von Julius Schapler.

Wahrhaft deutsches Pech! Königliches Pech! Man schreibt ein Preisquartett aus, man findet eines heraus, man druckt die Partitur, – und gleich auf dem Titel im Namen des Gekrönten selbst bleibt ein Druckfehler stehen! Schabler statt wie oben steht. Aber es thut nichts zur Sache. Loben wir lieber für's erste die Richter, die diesmal ein mehr als blos gutes, nach Form und Schulgesetz richtiges Stück herausgefunden, dann den Gerichteten, der aber auch mehr als eine blos gute Composition lieferte. Schon der Gedanke der Preisausschreiber, gerade auf ein Quartett, war gut. Einmal, da die Gattung an sich eine so edle ist, eine höhere Bildung der Kämpfenden voraussetzt, dann, da in ihr ein bedenklicher Stillstand eingetreten war. Haydn's, Mozart's, Beethoven's Quartette, wer kennte sie nicht, wer dürfte einen Stein auf sie werfen? Ist es gewiß das sprechendste Zeugniß der unzerstörbaren Lebensfrische ihrer Schöpfungen, daß sie noch nach einem halben Jahrhundert Aller Herzen erfreuen, so doch gewiß kein gutes für die spätere Künstlergeneration, daß sie in so langem Zeitraume nichts jenen Vergleichbares zu schaffen vermochte. Onslow allein fand Anklang, und später Mendelssohn, dessen aristokratisch-poetischem Charakter diese Gattung auch besonders zusagen muß. Außerdem liegen noch in den späteren Beethoven'schen Quartetten Schätze, die die Welt kaum kennt, an denen sie noch Jahre lang zu heben hat.

So sind wir Deutsche denn keineswegs arm; aber es waren doch nur Wenige, die das Capital wirklich mehrten. Loben wir denn den Gedanken des Mannheimer Musikvereins, daß er hier anregte, und freuen uns, daß sein Gedanke erfreuliche Frucht getragen. Der Urtheile über das Schapler'sche Quartett sind verschiedene und abweichende gefällt; darin aber kamen sie überein, daß es etwas Besonderes, das sich nicht gleich auf den ersten Blick zu erkennen gäbe.

Wer die späteren Arbeiten Beethoven's kennt, wird anders sprechen. Der romantische Humor dieser namentlich hat auf den jungen Künstler gewirkt, und da er selbst ausgezeichneter Spieler und Kenner der Instrumente, für die er schrieb, war er wenigstens von einer Seite vor gänzlichem Mißlingen oder Extravaganz gesichert. Niemand leugne vor allem dem Quartett das Streben nach schöner Form ab. Im ersten Satze erscheint sie ganz rein und fest, im zweiten in humoristischen Verhältnissen, doch keineswegs verzerrt. Das Adagio hat etwas blassere Umrisse. Der letzte Satz entspricht aber bis auf den etwas übereilten Rückgang dem ersteren an Schärfe und Regelmäßigkeit. Die Form ist also im Quartett das weniger Befremdende als das Geistige. Hier spricht ein anderer Mensch zu uns, als die hundert gewöhnlichen, dies fühlt man gleich. Der Philister freilich wirft alles durcheinander; was ihm nicht klar, nennt er romantisch; was er versteht, flößt ihm Hoffnung einer wiederkehrenden Zopfzeit ein; dann muntert er auf. Und dies freut am Quartettpreisgericht, daß es einmal einen sich anders und neu aussprechenden Künstler entdeckte, daß es an den theilweise ungestümen Charakter der Composition kein schulmeisterliches Maaß anlegte.

Gehört habe ich das Quartett leider nicht. Es hat mir aber innerlich wiedergeklungen, ich wüßte keine dunkle Stelle. Einen der Sätze besonders vorziehen möchte ich nicht, sie stehen auch in einem inneren Zusammenhange. Den Charakter in kurzen Worten zu bezeichnen: eine anfangs trübe elegische Stimmung steigert sich durch Humor und ruhigeren betrachtenden Ernst zu kühner energischer Thatenlust. Die Musik hat schon Aehnliches und zwar in derselben Folge ausgesprochen, und namentlich ließe sich das im Beethoven'schen Quartett in A moll nachweisen. Ein bedeutendes Talent spricht es aber hier in seiner Weise aus und es ist wohl der Mühe werth, mit dieser Art und Weise sich vertrauter zu machen. Begrüßen wir denn das Werk als ein eigenthümliches, geistvolles, und weisen deutsche Quartettvereine darauf hin. Der Künstler aber stehe nicht still und gebe bald wieder Beweise der thatkräftigen Stimmung, in der wir ihn zuletzt verließen. »Den Preis des Wettlaufs zu gewinnen, darf man nicht steh'n und sich besinnen« hat er sich selbst zum Motto gesetzt, und es gibt noch andere und höhere Wettläufe. Das Glück hat ihm schon einmal freundlich zur Seite gestanden; er verstehe und benutze den Wink.

Florestan.

Streichquartette.

H. Hirschbach,

Lebensbilder in einem Cyklus von Quartetten für zwei Violinen, Viola und Violoncello. Erstes Quartett. Werk l.

J. J. H. Verhulst,

zwei Quartette für Violine etc. Werk 6.

Zwei der obigen Quartette sind schon vor geraumer Zeit (s. Band II Seite 8 f. und 19 ff.) als Manuskripte erwähnt worden. Wir begrüßten sie, jedes in verschiedener Weise, als die ersten größeren Resultate talentreicher Bestrebung, und bezeichneten namentlich das Talent des Erstgenannten als ein eigenthümliches poetisches, während uns das lebhafte bildungsfähige Naturell des jungen Holländers mit nicht minderer Theilnahme erfüllte.

Seitdem mögen beide junge Künstler noch fleißig fortgearbeitet haben; von dem Einen ist es bekannt, als Musikdirector eines Concertvereins drang sein Name schneller in die Oeffentlichkeit. Der Andere hatte einen schwereren Stand; was kümmert sich die Welt um ein Dichterstübchen, wenn es nicht gerade auf der offenen Fronte eines Palastes gelegen? So erschien denn von seinen Compositionen bis jetzt nur die eine, das erste eines Cyklus von Quartetten, die er selbst »Lebensbilder« nannte und mit Motto's aus Goethe's Faust überschrieb. –

Man sollte meinen, viele unserer Leser müßten begierig nach dem ersten Werke eines jungen Mannes greifen, der in dieser Zeitschrift schon manchmal zu ihnen gesprochen, der ihnen bekannt sein muß durch manche kühne Aeußerung. Man wird das Höchste von ihm verlangen, man wird ihn mit dem Maaße messen, mit dem er gemessen. Wer dies vornimmt, wird freilich an ihm auszusetzen finden, und viel. Trennt er aber den kritischen Menschen vom productiven, so wird er diesem die Theilnahme nicht versagen können, die wir Jedem zollen müssen, der sich mit eigner Faust eigne Bahnen sucht. Schmeicheln und gefallen will er nicht; sagt er's doch gleich in den Motto's selbst, was er will: »Es möchte kein Hund so länger leben« und »Ich grüße dich, du einzige Phiole, die ich mit Andacht nun herunterhole, in dir verehr' ich Menschenwitz und Kunst«, Dies ist aufrichtig genug. Indeß schaudere man nicht zu sehr vor seiner Musik zurück als vor einer menschen- und lebensfeindlichen, grabe ihr auch nicht zu tief nach, ob sie den Sinn der Faust'schen Reden buchstäblich wiedergibt. Irren wir nicht, so sind die Ueberschriften erst später hinzugekommen, als die Composition beendigt war. Der Componist fand in ihnen etwas seiner ausgesprochenen Stimmung im Allgemeinen Verwandtes und sie passen auch zumeist nur auf den Charakter des ersten Satzes; die andern Sätze, obwohl auch ernst, zeigen ein weniger schwermüthig wildes Gesicht und halten die bekannten charakteristischen Zeichen solcher Sätze im Ganzen fest.

Gewiß, der Componist schrieb aus seiner Seele; ein heftiger Drang zum Schaffen spricht sich in allen Nummern seines Quartettes unverkennbar aus. Den flüchtigen Bestrebungen anderer jungen Componisten gegenüber haben die seinigen jedenfalls etwas Großartiges und Achtunggebietendes. Man sieht es, er will ein Dichter genannt sein, er möchte sich überall der stereotypen Form entziehen; Beethoven's letzte Quartette gelten ihm erst als Anfänge einer neuen poetischen Aera, in dieser will er fortwirken; Haydn und Mozart liegen ihm weit zurück. So hat er in der That Manches mit dem französischen Berlioz gemein: kühne Schafflust, Vorliebe für große Formen, poetische Anlage, theilweise Verachtung des Alten, – und auch das, daß er, wie jener in früheren Jahren Mediciner, erst im zwanzigsten sich ganz der Musik widmete. Der letztere Umstand ist erwähnungswerth. Wer früh das Handwerk lernt, wird früh ein Meister, und gerade die Jugend ist der Entwickelung gewisser Fertigkeiten am günstigsten. Das Glück aber einer frühzeitigen richtigen Leitung scheint unser Kunstjünger nicht genossen zu haben. Dagegen brachte er freilich andere Kräfte mit zum Dienste der Musen, denen er sich nun ergeben, eine überhaupt vielseitigere Bildung, wie man bei der Kaste sonst nicht findet. Er ist der Geschichte vertraut, er kennt die Dichter aller Länder, die Kämpfe der Gegenwart in verschiedenen Beziehungen sind ihm nicht fremd geblieben. Was Wunder, wenn ein in andern Dingen so weit vorgeschrittener Jüngling nun auch in der Musik nicht mit dem ABC anfangen, wenn er gleich frei reden und dichten will. Im ersten frischen Anlauf gelingt auch Vieles; hin und wieder bricht aber doch die lückenhafte Bildung als Musiker hindurch, und man hat dann ungefähr das Gefühl wie nach einem orthographischen Schnitzer in einem sonst geistreich geschriebenen Briefe. Aehnlichem, und nur noch öfter, begegnet man in Berlioz'schen Compositionen. Wir wollen die einzelnen Stellen im Quartett nicht anführen, dem jeder Musiker die noch unausgebildete Hand anmerkt. Der Charakter des Ganzen, das darin vorwaltend deutsche Gepräge steht höher. Es ist Sinn und Wahrheit in diesem Lebensbilde, und was ihm an Meisterschaft abgeht, zeigen vielleicht schon die späteren, die den Cyklus vollenden sollen. Einstweilen glaube er uns nur noch dieses: wir lieben das Ringen der Jugend nach Neuem, und Beethoven, der bis zum letzten Athemzuge rang, steht uns als ein hohes Muster menschlicher Größe da; aber in den Fruchtgärten Mozart's und Haydn's stehen auch schwerbeladene Bäume, über die sich nicht so leicht hinwegsehen läßt, oder man überhebt sich eines veredelnden Genusses zu seinem Schaden so lange, bis man, nach anderen umsonst in der Welt umhersuchend, endlich doch wieder auf jene zurückkommt, aber dann zu spät und oft mit einem erkalteten Herzen, das nicht mehr zu genießen, oder mit zitternden Händen, die nicht mehr zu bilden verstehen. –

In jene Fruchtgärten hat der andere junge Künstler, den wir oben genannt, bei Weitem mehr hineingeschaut; man merkt es ihm an, er fühlt sich glücklich in seinem Berufe, Musiker zu sein; er will vor Allem Musik, schönen Klang; Faust'sche Nebengedanken hegt er nicht. Schon bei Besprechung einer seiner Ouverturen (Band II S. 96 ff.) bezeichneten wir die Art seines Talentes und die ihm entsprechende Richtung; wir wüßten dem dort Gesagten kaum etwas hinzuzufügen. Als Quartettstylist im Besondern zeigt er eine entschiedene Befähigung auch dieser Gattung; er hat ihren wahren Charakter gefaßt, jede Stimme sucht sich selbstständig zu halten, sie winden und kreuzen sich oft interessant genug; nur manchmal überfällt ihn eine Art symphonistischer Furor, wo er den bescheidenen Vieren Orchesterwirkungen abzwingen möchte. Der Zeitfolge nach ist das mit Nr. 2 bezeichnte Quartett das zuerst entstandene. Es geht aus einer im Quartett wohl noch ungebrauchten Tonart, der in As dur, und hat seine Schwierigkeiten. In Form und Folge der Sätze strebt es sich den älteren oben genannten Meistern anzuschließen. Im Charakter herrscht Heiterkeit und Lebenslust vor, nur an einzelnen Stellen von Aeußerungen sinnigeren Ernstes durchbrochen.

Die melodische Führung hat noch kein entschieden originelles Gepräge; einzelne lebhafte Ausbrüche erinnern an Mendelssohn'sches. Durchweg zu rühmen ist aber die Reinheit des Satzes in seinen oft künstlichen Verflechtungen. So kann denn das Ganze, gut einstudirt und vorgetragen, nur einen günstigen Eindruck hervorbringen. Der des zweiten Quartetts, das in D moll geschrieben, ist ein vielleicht noch günstigerer. Da beide kurz nach einander geschrieben scheinen, so finden sich wohl einzelne Aehnlichkeiten; jedenfalls bewegt sich aber der Componist im zweiten noch leichter und geschickter, wozu auch die leichtere Tonart beigetragen. Der erste Satz rauscht flüchtig vorbei; der zweite Hauptgesang, der fast einen Parenthesencharakter hat, könnte bedeutender sein, und wo er transponirt wiederkehrt, wundert die veränderte weniger gute Harmonie. Den Schluß wünschten wir ebenfalls bedeutender; er bricht zu kurz ab, als hätte der Componist die Lust an seiner Arbeit verloren gehabt. Im Adagio erhebt er sich aber zu einer erfreulichen Höhe der Stimmung. Der dritte und vierte Tact erinnern wohl an ein Mozart'sches Thema im Don Juan; das Stück durchzieht aber im Uebrigen eine so frische Empfindung, wie sie nur der Jugend eigen; gewisse kleine harmonische Täuschungen machen es ganz besonders anziehend. Das Scherzo benimmt sich munter, aufgeräumt trotz der Molltonart; je kecker der Vortrag, je mehr es wirken wird. Der letzte Satz fängt mit dem letzten der heroischen Symphonie an, beinahe buchstäblich. Ist das dem Componisten entgangen? Wenn nicht, warum ließ er es stehen? Bald aber hüpft ein eigener Gedanke hervor; Cello und Bratsche fangen sich zu necken an und das lustige Spiel geht hübsch von Statten. Der Knäul verwickelt sich mehr und mehr und droht sich zu verwirren. Doch löst sich das Ganze noch geschickt und schließt im hellen Dur etwas bombastisch, doch nicht, daß man dem Componisten deshalb gram werden dürfte. So seien denn die Bestrebungen dieses jungen Künstlers der Welt auf das Lebhafteste empfohlen. Der eigentliche Lebenspunkt eines Werkes läßt sich nie mit Worten nachweisen; darum spiele und höre man selbst. Der Künstler zeige sich aber bald wieder auf einem Terrain, auf dem Fuß zu fassen freilich nichts Leichtes ist; über dem äußerlichen Erfolg steht aber der innere Gewinn, den jede Kraftübung im Schwierigen davon trägt, und dessen Folgen sich der ganzen übrigen Wirksamkeit des Künstlers heilsam mittheilen.

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