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1842.

L. Berger's gesammelte Werke. – Etuden für Pianoforte. – Preisquartett von J. Schapler. – Streichquartette. – Die Leonoren-Ouverturen von Beethoven. – Drei Preissonaten. – Liederschau. – Trio's für Pianoforte. – Deutsche Opern: 1. »Adele de Foix« von C. G. Reißiger, 2. »Thomas Riquiqui« von H. Esser. – Oratorium von C. Löwe. – Pianofortemusik.

L. Berger's gesammelte Werke.

Wir wünschten voraussetzen zu können, der Name des obengenannten Künstlers wäre den Meisten ein nicht nur dem Namen nach, sondern auch durch seine Werke bekannter. Dem ist aber nicht so. Trotz allen, fast wöchentlich wiederholten Lobeserhebungen, die das Musikblatt Iris enthielt, trotz der Vortrefflichkeit der Compositionen selbst, ist L. Berger's Componistenruf nur wenig in Deutschland verbreitet. Es läßt sich dies nur durch die eigene Charakterorganisation des Künstlers und durch die äußern Verhältnisse, in denen er lebte, erklären. Er war, wie man sagt, ein bis zum Hypochonder ängstlicher Künstler, der Jahre lang an einzelnen Werken feilte, ohne sich zur Herausgabe entschließen zu können. Kein Zureden der Freunde half; je mehr man in ihn drang, je tiefer vergrübelte er sich. So erschienen denn während seines Lebens nur wenige Compositionen. Diese wenigen reichten allerdings hin, eine bedeutende poetische Natur, mit einem Wort einen Künstler in ihm erkennen zu lassen. Aber zum Ruhm gehört mehr. Berger spielte nur in seinen Jünglingsjahren öffentlich; später hielt ihn vom öffentlichen Auftreten dieselbe Aengstlichkeit ab, die ihn an der Herausgabe seiner Compositionen hinderte. Ein Künstler aber, der seine Compositionen nicht selbst dem Publicum vorführen kann, braucht die Hälfte Zeit mehr, um Ruf zu erlangen. Der Ausnahmen gibt es nur sehr wenige. So kam es, daß sich Berger immer mehr von der Welt abschied, nur im Stillen als Lehrer fortwirkend, dabei aber auch fleißig schaffend und feilend. Er starb, vom Schlage getroffen, als er gerade eine Schülerin unterrichtete, in ziemlich hohem Alter am 16. Februar 1839. In seinem Testamente fand man verordnet, daß eine Auswahl seiner nachgelassenen Compositionen durch die Herren Ludwig Rellstab und Wilhelm Taubert veranstaltet werden möge, die, Schüler und Freunde des Verewigten, sich des ehrenvollen Auftrages mit Eifer entledigten. Hr. Fr. Hofmeister übernahm den Verlag, und die Sammlung ist, die Lieder nicht mit gerechnet, schon zu fünf starken Cahier's angewachsen. Ein solches Unternehmen, den Manen eines wenig gekannten Künstlers zu Ehren ausgeführt, verdient schon an sich eine auszeichnende Erwähnung, doppelt, wo es auch der Kunst zur Ehre gereicht. Berger's stärkste Seite war freilich das Lied; an mehren Orten in der Zeitschrift wurde schon darauf hingewiesen. Doch auch unter seinen Claviercompositionen befindet sich des Trefflichen viel; das Gemeine lag seiner Natur überhaupt fern. Mit einigen Worten den Inhalt der fünf Hefte anzudeuten: sie geben außer einigen schon älteren Werken, wie die Sonate, die 12 Etuden, die Variationen über »schöne Minka«, auch viele zuvor noch nicht gedruckte, wie 18 Variationen über » ah, vous dirai-je, Maman«, das auf dem Titel der Componist selbst als sein »bestes Werk« bezeichnete, und ein ganzes Clavier-Concert. Mit diesen fünf Heften ist aber die Sammlung wohl noch keineswegs abgeschlossen; sie genügen indeß vollkommen zur Rechtfertigung des Ausspruchs der Herausgeber, wie durch sie L. Berger's Künstlername nur gehoben werden könne, wie ihm kraft ihrer eine Ehrenstelle neben den classischen Meistern der letzten Epoche gebühre. L. Berger's erstes Vorbild war offenbar Mozart selbst, das nur erst später durch Beethoven's Erscheinen etwas in den Hintergrund getreten sein mochte. Auf seinen Clavierstyl insbesondere hatte außerdem Clementi, L. Berger's erster Lehrer, dann auch Field, sein Mitschüler, Einfluß gehabt. Erinnerungen an diese seine Meister und Freunde finden sich überall. Damit soll aber keineswegs gesagt werden, als ob L. Berger ein Nachahmer dieser gewesen. Im Gegentheil, was geniale Schöpferkraft anlangt, steht er sowohl über Clementi als über Field, und bewies es namentlich im Liede, in dem er ganz ohne Vorbild arbeitete, dessen Grenzen er weit über die damals conventionellen hinausrückte. Hätte er sich mehr vom Claviere ab-, mit seiner ganzen Kraft mehr noch dem Gesange, dem Orchester oder der Oper zugewendet, hätte er sich auch ganz vom aufreibenden Stundengeben losmachen können, wer weiß, was uns Berger hätte werden können. Doch halten wir uns an das, was er gegeben. Als sein bedeutendstes, glücklichstes Clavierwerk gilt uns auch jetzt, wo wir Neueres von ihm kennen gelernt, noch immer seine erste Etudensammlung. Ueberhaupt, scheint uns, war er in kleinen Formen glücklicher als in größeren, wie dies oft bei excentrischen Naturen der Fall, die stets ihr Bestes, Tiefstes, Innigstes geben möchten. Schlage matt solche kleine Stücke nicht zu gering an. Eine gewisse breite Unterlage, ein bequemes Aufbauen und Abschließen mag mancher Leistung zum Lobe gereichen. Es gibt aber Tondichter, die, wozu Andere Stunden gebrauchen, in Minuten auszusprechen wissen; zur Darstellung wie zum Genießen solcher geistig concentrirter Compositionen gehört aber freilich auch eine gesteigerte Kraft des Darstellenden wie der Ausnehmenden, und dann auch die rechte Stunde und Zeit; denn schöne, bequeme Form läßt sich immer genießen und auslegen; tiefer Gehalt wird aber nicht zu jeder Zeit verstanden. Daß L. Berger auch größerer Formen Meister war, hat er in seinen Sonaten, seinen Concerten bewiesen; keineswegs aber geben wir für diese eben jene kleineren genialeren Arbeiten hin, wie jene Etuden, einige seiner Variationen, und vor allem seine Lieder. Nicht ganz einstimmen möchten wir indeß in das Selbsturtheil des Künstlers über jene 18 Variationen, die er selbst als sein bestes Werk bezeichnet, die uns jene frühern Variationen über »schöne Minka« nicht aufzuwiegen scheinen. Künstler, wie manche Mütter, lieben oft die ihrer Kinder am meisten, die ihnen die meisten Schmerzen gemacht. Wir glauben, jenes Variationenwerk Berger's war ein solches Schmerzenskind; er soll Jahre lang an ihm gebildet und geglättet haben. Irgend ein fein künstlerischer Zug, oft in der kleinen Spanne einiger Tacte, findet sich aber sonst auf jeder Seite einer Berger'schen Composition. Oft auch sehen wir ihn in glücklicher Stimmung plötzlich wie unterbrochen, und daran mag wohl sein Lehreramt Schuld haben. Wie mancher schöne Gedanke mag uns schon geraubt worden sein durch das unzeitige Eintreten eines kleinen Scalenritters, wie manches schöne schaffende Talent ist durch Unterrichtgeben zu Grunde gegangen! Den Charakter einer mühsamen Arbeit, so künstlerisch schön sie sich auch zu verhüllen versteht, hat im Ganzen auch Berger's Concert. Zwar, wir haben es nicht mit Orchester gehört; die Clavierstimme aber hat uns nur wenig Interesse gewährt. Offenbar wollte Berger auch dankbar für den Spieler schreiben, dies hat ihn in Conflict mit seinem poetischen Menschen gebracht, der doch überall seine Flügelspitzen hervorsteckt.

Ausgezeichnetes enthält die Sammlung noch in einigen graziös einfachen Rondo's, von denen wir namentlich das in D dur im zweiten Cahier anführen.

Die zweite große Sammlung Etuden ist in den bis jetzt erschienenen Heften noch nicht wieder abgedruckt; wir besprachen sie schon bei ihrem Erscheinen.

Die Lieder erscheinen getrennt von dieser Hauptausgabe seiner Werke, in einzelnen Heften. Namentlich diese werden seinen Namen der fernen Zukunft erhalten.

Sei denn das einem echt deutschen Künstler in seinen Werken gesetzte Denkmal der liebevollen Beachtung der Zeitgenossen nochmals empfohlen. –

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Etuden für das Pianoforte.

A. H. Sponholtz, charakteristische Etuden.

Werk 9.

Der Verfasser ist Organist, man muß das wissen, um sein Streben mehr schätzen zu lernen. Es drängt und treibt ihn in die Höhe; er möchte die ganze Welt mit seiner Kunst beglücken. Aber die Kräfte sind noch unentwickelt; es fehlt sogar die Sicherheit im Technischen, Urtheil und Geschmack. In jeder der Etuden wird ein guter Musiker etwas oder viel auszusetzen haben, namentlich in der modulatorischen Form. Wer wird z. B. in einem kleinen zwei Seiten langen Stück aus G moll sich gleich aus dem Sattel und nach E dur werfen lassen, wie in der ersten Etude? So vermag der Verfasser fast in keiner die Tonart festzuhalten, was an einem Organisten, der doch seinen J. Seb. Bach kennen muß, doppelt wundert. Es enthalten die Stücke aber auch manches Empfundene; so hebt sich plötzlich auf S. 13 ein schöner träumerischer Gesang hervor. Wie er aber dorthin gekommen, begreift man auch nicht recht; er paßt weder zum Anfang, noch zum Verlauf des Stückes, steht überhaupt isolirt in der ganzen Sammlung. Nächst diesem Fragment scheint uns die letzte Etude, vielleicht die bescheidenste, doch auch die fertigste. Etuden sind es übrigens nicht, sondern Skizzen. Wir halten aber dafür, der Componist müsse, um weiter zu kommen, diese rhapsodische Form aufgeben, und es würde uns ein Heft wohlgesetzter Fugen bei der nächsten Begegnung mehr erfreuen, als ein zweites voll Skizzen. An seinem königlichen Instrumente muß er ja den Werth ausgeprägter Kunstform, wie sie Bach im Größten und Kleinsten gibt, zu würdigen gelernt haben. –

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C. Montag, zwei Etuden.

Werk 3.

Ein edles Streben spricht auch aus diesem Werkchen des Componisten, auf den wir noch vor Kurzem aufmerksam gemacht. Doch, scheint uns, grübelt er zu viel und verwickelt sich oft. Dagegen schützt am ersten Arbeiten für Gesangstimmen. Das Instrument verführt nur zu oft zum Experimentiren, die Stimme leitet wieder zur Natur zurück.

Zwar er wollte Etuden schreiben, aber gewiß auch mehr als das, und vor allem Musik. Einzelnes erscheint gelungen; eine Totalwirkung vermissen wir aber noch, und dies kommt wohl zum Theil von der schwierigen Aufgabe, für Bildung der Hand sorgen und auch musikalisch seelenvoll erscheinen zu wollen. Nur wenigen ausgezeichneten Talenten ist dies zu vereinigen gelungen. Im Charakter treffen die beiden Etuden im schwermüthigen Tone zusammen, doch ist die zweite lebhafter, die erste sinnender. Der canonische Schlußsatz der zweiten hebt die Wirkung des Vorhergehenden beinahe ganz auf; wir hätten ihn lieber ganz unterdrückt. –

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M. C. Eberwein, 6 Etuden.

Der Verfasser ist ein Sohn des Weimar'schen Musikdirectors. Er hat, irren wir nicht, außer im väterlichen Hause auch bei Hummel Unterricht gehabt und zog später nach Paris, wo er sich namentlich als Lehrer einen Wirkungskreis gebildet.

Die verführerischen Sirenenstimmen jener Stadt haben seinen Ohren übrigens vergebens geschmeichelt. Kein Mensch würde die Etuden einem Franzosen zutrauen; überall sieht der schlichte ehrliche Deutsche heraus. Außer durch Correctheit des Satzes und gute Form zeichnen sich die Etuden auch durch ihre Leichtigkeit aus; sie werden den meisten Spielern mittlerer Kraft gar keine mehr sein. Dies ist ein Vorzug vor vielen, die als Compositionen auch nicht größern Werth haben. Wenn bei den Vorzügen, die mithin die Etuden besitzen, vorauszusetzen ist, daß sie in der unmittelbaren Umgebung des Componisten, der zugleich Lehrer ist, Nutzen stiften werden, so glauben wir doch nicht, daß sie darüber hinaus dringen. Dazu fehlt es ihnen an Originalität, Schwung der Phantasie, Kraft, und auch an jener Grazie, die oft noch größere Siege erringt als die Kraft. Auch die Etude soll höheren Zwecken dienen als blos mechanischen. Dies wußte schon Cramer, und wie haben sich die Zeiten und Menschen seitdem noch geändert! Etuden z. B. wie die erste, müßten gar nicht mehr gedruckt werden; dergleichen haben wir schon in hundertlei Formen gehabt. Das ist aber eben ihre schwächste Seite, daß sie nichts Neues, Besonderes geben. Loben aber, wie gesagt, muß man überall jenen einfachen unverstellten Ausdruck, wie er der Hummel'schen Schule überhaupt eigen. Vielleicht, daß in den späteren Heften, die der Componist auf dem Titel verspricht, er auch einen höheren Aufschwung nimmt. Die Zeitschrift wird über die Fortsetzung berichten. Einstweilen wollen wir noch auf die Etuden fünf und sechs, als die musikalisch am interessantesten, aufmerksam gemacht haben; namentlich schlägt Nr. 6 einen uns von Bach her liebgewordenen Ton an. –

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H. F. Kufferath, 6 Concert-Etuden.

Werk 2.

Es sind diese Etuden ohne Zweifel die ausgezeichnetsten, die in letzter Zeit erschienen, so schöne Eigenschaften finden sich in ihnen vereinigt. Freilich bis zur Originalität ist der junge Künstler auch noch nicht durchgebrochen; er bekundet aber eine so solide Bildung, so gesunden natürlichen Geschmack, der sich auch das Beste vom Neuesten mit Geschick angeeignet, daß wir auf ihn als auf einen tüchtigen Claviercomponisten der Zukunft rechnen können. Um so freudiger sprechen wir dies aus, da wir im Augenblicke eben nicht reich an guter Claviermusik sind. Nach der stürmischen Chopin'schen Epoche, die in Henselt, Liszt und Thalberg ihre drei Endpunkte erreicht, scheint jetzt ein Stillstand eintreten zu wollen. Die Mechanik war bis zur äußersten Höhe getrieben; es mußte eine Erschöpfung eintreten. Schon aber regt sich neues Leben. Der holde Gesang, von schönen Formen getragen, will seine Rechte wieder; mit Ehrfurcht erinnert man sich wieder älterer Namen. Die Folgen wird die nächste Zukunft zeigen. Diese Betrachtungen knüpfen wir gerade an den Namen des jungen Künstlers, den wir eben nannten, weil auch ihn die letzte Epoche nicht unberührt gelassen. Aber die Fluthzeit hat ihn an ein sicheres Ufer geworfen; die Erfahrungen, die er gemacht, werden ihm nur heilsam sein, und mit den Jahren Kraft und Selbstständigkeit wachsen. In seinen Etuden sieht man jene Zeit der Erregung noch deutlich nachwogen; sie gleichen etwa jenen ruhigeren Wasserringen, wie sie nach heftigem Sturme dem Ufer zueilen. Sehen wir sie etwas genauer an! Gleich die erste Etude nimmt für den Componisten ein, weniger durch Eigenthümlichkeit als durch Wohllaut. Sie erscheint wie ein Zwiegesang, der sich zuletzt zu einer Melodie verschmilzt, nicht unähnlich jenem Liebesduett Mendelssohns in seinen Liedern ohne Worte. Der Eindruck des Ganzen ist wohlthuend, wenn auch, wie gesagt, nicht neu wirkend. Sehr sagt uns die zweite Etude zu, die in ihrer Eleganz, ihrer feinen Haltung an Moscheles erinnern möchte; sie behagt uns durchaus; wir wünschten nichts zugesetzt noch weggenommen. Die dritte (A moll) kündigt sich im Charakter als humoristischer an; der Mittelsatz, namentlich im Gesange in As dur, bleibt aber hinter den Erwartungen zurück, man erwartete eine geistreichere Verarbeitung; Die letzten Tacte wünschten wir ganz gestrichen. Das graziöseste Stück der Sammlung ist ohne Zweifel das folgende, ein recht zartes Liebesgedicht, in Form und Haltung vorzüglich gelungen. Daß der Componist auch Chopin kennt und liebt, zeigt die fünfte Etude; sie fängt sehr wild an, lenkt aber bald in einen ruhigen Mittelsatz, der indeß wenig Anziehendes hat. Das Ganze scheint uns mißwachsen. Es ist ein Stück, an dem der Componist viel geändert haben mag. Die Einleitung zur sechsten Nummer erinnert offenbar an Beethoven's Cis moll-Sonate, wirkt aber auch im Abglanz; die eigentliche Etude folgt erst; sie gehört zu den brillanten Figurenetuden, wie wir deren mehre von Henselt haben. Namentlich diese scheint den Titel zu rechtfertigen, wurde auch, wenn wir nicht irren, in einem hiesigen Concerte von dem Componisten gespielt.

Aus dem Obigen sieht man, daß sich der Werth der verschiedenen Etuden nicht ganz gleich ist, und daß gerade jene die schwächeren, wo ein Vorbild des Componisten ersichtlich war. Dies gibt aber um so mehr der Hoffnung Raum, der Componist besitze ein eigenthümliches vollgültiges Talent, das sich mit der Zeit noch vollkräftiger herausbilden werde. So sehen wir denn mit Freuden seiner fernern Entwickelung entgegen.

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F. Liszt, Bravourstudien nach Paganini's Capricen für das Pianoforte bearbeitet. (Zwei Abtheilungen.)

Das Originalwerk heißt: 24 Capriccii per il Violino solo, composti e dedicati agli artisti da N. Paganini. Oeuvre 10. Eine Bearbeitung von zwölf von ihnen durch Robert Schumann erschien in zwei Heften bereits in den Jahren 1833 und 35. Auch in Paris erschien ein Arrangement einzelner, des Namens des Bearbeiters erinnert sich Ref. nicht mehr. Die Liszt'sche Sammlung enthält fünf Nummern aus den Capriccis, die sechste ist eine Bearbeitung des bekannten Glöckchenrondos. Es kann hier von keiner pedantischen Nachbildung, einer blos harmonischen Ausfüllung der Violinstimme die Rede sein; das Clavier wirkt durch andere Mittel als die Violine.

Gleiche Effecte, durch welche Mittel auch, hervorzubringen, war hier die wichtigste Aufgabe für den Bearbeiter. Daß sich Liszt aber auf die Mittel und Effecte seines Instruments versteht, weiß Jeder, der ihn gehört. Es muß also gewiß vom höchsten Interesse sein, die Compositionen des, was kühne Bravour anbetrifft, größten Violin-Virtuosen des Jahrhunderts, Paganini, durch den kühnsten Clavier-Virtuosen der Jetztzeit, Liszt, ausgelegt zu erhalten. Ein Blick in die Sammlung, auf das wunderliche wie umgestürzte Notengebälke darin, genügt dem Auge, sich zu überzeugen, daß es sich hier um nichts Leichtes handelt. Es ist, als ob Liszt in dem Werke alle seine Erfahrungen niederlegen, die Geheimnisse seines Spieles der Nachwelt überliefern wollte; er konnte seine Verehrung für den großen verstorbenen Künstler nicht schöner bethätigen, als durch diese bis in's Kleinste sorgfältig gearbeitete, wie den Geist des Originals auf das Treueste wiederspiegelnde Uebertragung. Wenn die Schumann'sche Bearbeitung mehr die poetische Seite der Composition zur Anschauung bringen wollte, so hebt Liszt, aber ohne jene verkannt zu haben, mehr die virtuosische hervor; er bezeichnet die Stücke ganz richtig mit »Bravour-Studien«, wie man sie wohl auch öffentlich damit zu glänzen spielt. Freilich werden's ihrer Wenige sein, die sie zu bewältigen verständen, vielleicht nicht Vier bis Fünf auf der ganzen weiten Welt. Dies kann aber nicht abhalten, die Sache zu behandeln, als existire sie nicht. Den höchsten Spitzen der Virtuosität freut man sich wohl auch in einiger Entfernung nahe zu sein. Betrachten wir manches in dieser Sammlung Enthaltene freilich genauer, so ist kein Zweifel, daß der musikalische Grundgehalt mit den mechanischen Schwierigkeiten oft in keinem Verhältnisse steht. Hier aber nimmt das Wort »Studie« Vieles in Schutz. Ihr sollt euch eben üben, gleichviel um welchen Preis.

Sprechen wir es also aus, daß diese Sammlung vielleicht das Schwierigste ist, was für Clavier je geschrieben, ebenso wie das Original das Schwierigste, was für Violine. Paganini wollte dies wohl auch mit seiner schön kurzen Dedication » agli artisti« ausdrücken, d. h. nur für Künstler bin ich zugänglich. Und so ist es auch mit der Clavierstimme Liszt's; Virtuosen von Fach und Rang allein wird sie einleuchten. Dies der Standpunkt, von dem diese Sammlung zu beurtheilen ist. Eine zergliedernde Untersuchung übrigens des Originals mit der Bearbeitung müssen wir uns versagen, sie würde zu viel Raum kosten. Beide in den Händen geht es am besten. Interessant ist die Vergleichung der ersten Etude mit ebenderselben nach der Schumann'schen Bearbeitung, zu der Liszt selbst durch Abdruck der letzteren, Tact für Tact, sinnig auffordert. In der italienischen Ausgabe ist es die sechste Caprice. Die letzte Nummer bringt die Variationen, die auch die Originalausgabe beschließen, dieselben, die H. W. Ernst zu seinem »Venezianischen Carnaval« angeregt haben mögen; die Liszt'sche Bearbeitung halten wir für das musikalisch Interessanteste des ganzen Werkes; aber auch hier finden sich, oft im kleinsten Raume von einigen Tacten, Schwierigkeiten der immensesten Art, der Art, daß wohl Liszt selbst daran zu studiren haben mag. Wer diese Variationen bewältigt, und zwar in der leichten neckenden Weise, daß sie, wie es sein soll, gleich einzelnen Scenen eines Puppenspiels an uns vorübergleiten, der mag getrost die Welt bereisen, um mit goldenen Lorbeeren ein zweiter Paganini-Liszt zurückzukommen.

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