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Zwölftes Kapitel.

Handelt von Briefen, Telegrammen, Telephongesprächen

 

Brief von Annele an Robi und Wolf Sieghardt.

Heimatfluh, den 4. August 19..

Lieber Robi, lieber Siegi!

Weil Ihr mir so schöne Karten geschickt habt mit der Photographie vom Schloß und vom Forsthaus, so schreibe ich Euch wieder und schicke Euch auch einmal Karten. Heute aber nicht, weil ich so viel weiß und deshalb einen Briefbogen nehmen muß. Es ist geradeso schön hier, wie Du, Robi, es damals gesagt hast, und Huberta meint, so etwas Herrliches gebe es auf der ganzen Welt nicht mehr wie die Heimatfluh. Mir gefällt noch ein ganz klein, klein bißchen mehr Rieneck und unser Wald. Aber Wald gibt es auch hier. Man darf nur durch den Garten gehen, in dem die vielen Geranien, Rosen und Nelken blühen, und dann über eine Wiese, die auch Onkel Jakob gehört, und dann noch einmal über einen kleinen grünen Hügel, auf dem Kühe frei weiden dürfen, und dann geht's in den Wald hinein, Du weißt es ja, Robi! Das Mämmeli geht in aller Frühe, wenn Großmutter noch schläft, mit uns da hinauf. Weiter, immer weiter kann man da steigen, und Wasserbäche kommen herunter, und an den Felswänden wächst Efeu, geradeso wie an der Schloßmauer von Rieneck. Das Großmütterle darf seit ein paar Tagen in dem Garten in der Sonne sitzen, und wenn man sie führt, geht sie ganz nett. Huberta kann das gut. Meine Zoe durfte auch schon einmal zu ihr hinein, Großmutter hat gesagt, sie wolle ihr nur die Hand drücken für die Freude, die sie ihr gemacht habe. Und heute sagte das Mämmeli, sie glaube wahrhaftig, die große Freude sei für die Kranke die beste Arznei. Nun ist auch Onkel Jakob freundlicher; er hatte im Anfang nicht viel mit uns gemacht, weil er fürchtete, wir könnten der Kranken schaden. Wir drei sind auch beileibe nicht den ganzen Tag in der Heimatfluh, nur zu kurzen Besuchen, und das Mämmeli kommt dann auch wieder zu uns. Meine Zoe und Huberta sagen fortwährend: »Ach, die gute Luft!« und dabei schnüffeln und schnappen sie so possierlich, und Huberta sang sogar gestern anstatt:

»O daß ich tausend Zungen hätte ...«
»O daß ich tausend Lungen hätte ...«

Was Großmutter im Garten hörte, und worüber sie herzlich lachen mußte. Ich verstehe das mit der Luft nicht so recht, denn man kann doch überall atmen. Aber feine Butter und feinen Honig gibt es, und die Milch ist hier so dick wie bei uns der Rahm. Meiner Zoe schmeckt es hier auch viel besser als in St., und das Mämmeli sagt, sie habe auf ihrer Stirn etwas, seit sie hier sei, das wie Firnenglanz schimmere. Das verstehe ich auch nicht, aber das weiß ich, daß wir eben furchtbar vergnügt zusammen sind, und daß das Mämmeli alle Abende sagt: Kinder, wie unendlich gut ist doch der liebe Gott! Nie hätte ich gedacht, wieder so glücklich werden zu können. Gelt, das freut Euch auch?

Und nun lebt wohl! Viele Grüße an den Paten und an die Patin, an Mina und Krüger, an die Waschmarie und an die Schwanenwirtin, an den Botenkarl und an den Braunen, und auch viele, viele Grüße an Jörg, wenn Ihr ihn seht, und auch an Herrn Hausmann, und er soll es mir nicht übelnehmen, daß ich ihn ganz zuletzt nenne. Und jetzt muß ich noch einmal einen Bogen nehmen. Es freut uns doch so, läßt auch das Mämmeli sagen, daß Siegis Fuß wieder so ordentlich ist. Ist es denn wahr, daß er fast ein bißchen besser geht als vor der Spitalzeit? Und ist's wahr, daß das Rösle mit den beiden Schwestern einmal über einen Sonntag nach Rieneck kommen darf? Gelt, bitte, daß sie dann gewiß das Röteli mitnehmen, daß es auch einmal wieder seine alte Heimat sieht! Und jetzt noch einmal einen besonderen Gruß an Herrn Hausmann, und wir haben schon eine Orchidee, eine Bergnelke und eine Gentiane für ihn gepflückt und gepreßt. Wenn die Blumen trocken sind, schicken wir sie, und dann kann er sie in seine Pflanzensammlung tun.

Euer getreues Annele.

Brief von Tante Lina Schindler an ihre Schwester.

Borkum, den 12. August 19..

Liebe Hilde!

Wie merkwürdig ist das doch alles gegangen! Es ist mir manchmal ordentlich unfaßbar, daß ich statt in der Südstraße in St. nun hier am Meeresstrande sitze neben Miß White und ihren liebenswürdigen Verwandten. Aber unser Kreis hat sich noch mehr erweitert.

Ich habe in Hamburg vor acht Tagen Rosemarie ihrem Vater übergeben und abends mit ihm im Gasthof noch verschiedene Anpreisungen von Seebädern durchstudiert, wobei uns der Wirt behilflich war. Den andern Tag bat mich Herr von Bergen, noch mit ihnen einen Tag in Hamburg zu verbringen, und er zeigte uns mit größter Liebenswürdigkeit die ganze Stadt, den Hafen und vor allem den berühmten Hagenbeckschen Tierpark in Stellingen. Der hat mich außerordentlich interessiert. Es ist doch etwas Schönes, auch einmal wieder neue Eindrücke zu bekommen! Und hier ist nun so recht ein Ort, um sich auszuruhen, am Strande zu sitzen, Bäder zu nehmen, aus der Ferne die bunte Badegesellschaft sich anzusehen und dabei Menschen zu studieren. Sehr hübsch und unterhaltend ist es auch, die Schiffe landen zu sehen, und wie die Leute ankommen. Nun denkt Euch unser Erstaunen, als gestern unter den Angekommenen Herr von Bergen mit Rosemarie sich befand, die uns sofort aufsuchten. Sie erzählten, sie hätten sich verschiedene Badeorte angesehen, an keinem habe es ihnen aber so recht behagt, und nun wollten sie es hier versuchen, wir dürften aber keine Angst haben, daß sie uns zur Last fielen. Das ist nun durchaus nicht der Fall; im Gegenteil, wir haben einen liebenswürdigen Führer bei unseren Wasser- und Landausflügen bekommen und freuen uns täglich, wie hübsch und angenehm sich für uns alle der Aufenthalt hier gestaltet. Unter uns gesagt, glaube ich, daß Herr von Bergen den hiesigen Aufenthalt gewählt hat, um diejenigen, denen er seine Tochter anvertraute und noch für etliche Jahre anvertrauen wird, näher kennenzulernen. Auch mir ist es, wie Du weißt, immer so sehr viel wert, mit den Angehörigen meiner Pfleglinge in Fühlung zu treten. Bis Anfang September will ich hier bleiben und werde dann einige Tage vorausfahren und alles in Ordnung bringen. Rosemarie wird mit Miß White nachkommen.

Und Ihr? Was geschieht wohl mit Euch? Mit Freuden höre ich, daß es der Frau Pfarrer wieder entschieden besser geht, und ich bin gespannt, ob Du sie wohl für den Winter wirst verlassen können. Zoe Robesko und die Kinder lasse ich herzlich grüßen. Ihre Briefe lauten ja ganz entzückt! Zoe werden wir bei ihrer Rückkehr von der Schweiz nicht mehr sehr lange in unserer Mitte behalten dürfen, und das tut mir leid. Huberta soll nicht vergessen, alle Tage ihre französische und englische Aufgabe zu lernen. Sie hat mir im letzten Halbjahr durch ihre Fortschritte große Freude gemacht; vielleicht sagst Du ihr aber das besser nicht, Du weißt, ich bin nicht fürs Loben. Und nun lebt wohl!

Mit herzlichen Grüßen
Eure Tante Lina.

(Beiliegend ein Brief von Rosemarie.)

Nur ein paar Worte heute, geliebte Frau Forstmeister und liebes Bertele und Annele. Es ist zu schön, bei Vater zu sein und noch dabei das Meer zu genießen. Aber dabei fliegen meine Gedanken doch täglich auch in die Schweiz. Ach, ich bin so unsäglich froh, Euch alle vereint und so vergnügt zu wissen! Was werden wir uns zu erzählen haben! Heute nur schnell etwas furchtbar Komisches. Als wir in Hamburg in dem wunderschönen Tierpark saßen und uns aus der Ferne die frei herumlaufenden Raubtiere, Elefanten, Kamele usw. ansahen und eben zueinander sagten: Da könnte man ja glauben, man sei im Paradies! – wen sahen wir da ganz in unserer Nähe? Marieluise Gundlach mit einer großen Gesellschaft vornehm gekleideter Menschen, und wer war noch dabei? Edith, denkt Euch nur, Edith von Wildau, die bei den Gundlachs auf Besuch ist, die aber sofort, als sie Fräulein Schindler erkannte, schnell Marieluise etwas zuflüsterte und uns dann den Rücken kehrte. Genau verstanden habe ich es nicht, aber es lautete wie: »Um's Himmels willen, was tun denn die hier!« Ich glaube, die zwei wollten uns schneiden. Da bin ich aber aufgestanden und zu ihnen hingegangen und habe sie begrüßt. Sie taten, als ob sie sich freuten, aber ich glaube, im Grunde des Herzens fürchtete Marieluise, daß wir Ansprüche an sie und ihre Eltern machen könnten. Als ich aber sagte, mein Vater sei hier, er sei herübergekommen, nach mir zu sehen, da wurden sie auf einmal ganz freundlich, gingen mit mir zu unsrer Bank und ruhten dann nicht, bis sie uns, hauptsächlich Vater, dessen Konsultitel ihnen Achtung einflößt, der ganzen Gesellschaft vorgestellt hatten. Edith mit ihrem altadligen Namen spielt dort eine große Rolle, wie überhaupt diese Menschen alle, wie es scheint, großen Wert auf Äußerlichkeiten legen. Marieluisens Eltern wollten uns durchaus einladen, aber Vater dankte, er sagte, er habe keine Lust, die kurze Zeit, die wir beisammen seien, mit ganz Fremden zu teilen.

Badet Ihr auch in Euerm See? Ist Zoe nicht ganz glücklich, daß ihr plötzlicher Einfall ihr so gelungen ist? Könnte ich doch geschwind zu Euch sehen und ein bißchen dabei sein und vor allem meine liebe Frau Forstmeister einmal wieder sehen! Ob wir sie wohl wieder zurückbekommen? Ach ja, nicht wahr, ach ja! In innigster Liebe und Verehrung grüßt und küßt Huberta und Annele

Eure getreue Rosemarie von Bergen.

Brief von Frau Hilde Hagen an ihre Schwester.

Heimatfluh, den 28. August 19..

Liebe Lina!

Nun neigt sich Deine Erholungszeit, die ich Dir so von Herzen gönne, ihrem Ende zu. Und dies ist wohl das letzte Mal, daß ich Dir nach Borkum schreibe. Es ist doch zu hübsch, wie sich alles für Euch getroffen, und auch die liebe Miß White hat uns so glücklich geschrieben. Sie meint, wir werden Euch alle gar nicht wiedererkennen, solch braune Pausbacken hättet Ihr bekommen. Aber so schön, wie es bei uns ist, kann es doch nirgends sein! Oft muß ich mich besinnen, ob ich noch dieselbe bin, vor der alles so schwer und trübe lag, und die nun nach so langer Sorgenzeit wieder hellen Sonnenschein um sich her genießen darf. Die Hauptsache ist ja, daß wir unser Großmütterle wieder beinahe gesund unter uns haben, und daß wir hoffen dürfen, daß es noch lange, wenn auch nimmer so ganz rüstig wie früher, uns erhalten bleibt. Onkel Jakob sagte gestern: »Jetzt ist es recht, jetzt sitzt sie doch wieder mit uns am Tisch, jetzt braucht man doch keinen Doktor mehr!« Er ist eben auch schon ein recht alter Herr, der nichts mehr liebt als seine Gesundheit und Ordnung. Die Kinder hat er »hehlinge« gern, wie er sagt. Aber wenn es etwas laut zugeht, das mag er nicht, und die Rumänierin, die Braune, wie er sie nennt, ist ihm nie so ganz behaglich, wenn er auch zugibt, daß sie dafür, daß sie von da unten her sei, immerhin viel Kultur habe. So wie die Kraftwagen und die Fahrräder, so liebt er auch die Fremden nicht. Dem Annele schenkt er manchmal einen Rappen, wie er noch sagt, – ein Zehncentimestück, sie solle sich Kandiszucker dafür kaufen. Und wenn er es im Garten trifft, so schneidet er ihm wohl auch einmal eine Blume ab, was das größte Zeichen seiner Huld ist. Wer es aber ausgezeichnet mit ihm versteht, das ist Huberta. Nur darf sie ihm nicht von Lernen und Aufgaben reden, denn »gstudierte Frauenzimmer«, wie er sich ausdrückt, sind ihm ein Greuel. Und als ich ihm anfangs harmlos erzählte daß Bertele einmal den Lehrerinnenberuf ergreifen wird, da hat er gesagt: »Dumms Züg, nähe und koche soll's lerne und e guete Husfru gä, Donnerwetter no amol!« Nun freut ihn aber des Berteles frische Art, im Hause herumzuwirtschaften, wozu sich ihr recht viel Gelegenheit bietet, weil das Vreneli doch immer schwer fertig wird. »So ist's recht, das g'fallt m'r, wenn d'Maidli so anpacket!« lobt er immer wieder, wenn Huberta den Tisch deckt, ihn und Großmutter mit Essen versorgt, ihm das Fleisch klein schneidet, oder wenn er sie in der Küche trifft, einen Teig rührend oder im Garten von dem Salat die Schnecken ablesend. Du weißt ja, wie gern das Mädel derartiges tut. Aber selbstverständlich nicht immer. Wir nützen den Rest unserer Zeit gründlich aus mit Baden, Schiffahren und großen Gängen über Berge und Täler. Ach, dieses gesegnete Land mit all seinen wunderbaren Schönheiten! Kein Wunder, daß hier von der ganzen Erde die Menschen zusammenkommen, und daß, wo ein besonders schöner Punkt ist, sich gastfreie Heime öffnen. Wie oft wurde Onkel Jakob schon darum angegangen, die Heimatfluh, die so hervorragend schön und prächtig gelegen ist, für ein solches herzugeben, was ihn aber jedesmal für ein paar Tage verstimmt.

Nun aber zum Schluß die bestimmte Antwort auf Deine Frage, ob und wann ich wiederkommen könne. Ja, gottlob, ich kann die beiden Alten jetzt mit Ruhe verlassen; denn seit gestern habe ich die Nachricht, daß unser einstiges Evekätterle, das seither bei den Ihrigen zu Hause war und schon lange wieder ein gutes Plätzchen sucht, sich entschlossen hat, hierherzukommen. Sie ist eine tüchtige Kraft und hat den festen Willen, sich mit Vreneli gut zu stellen. So werde ich also mit meiner jungen Gesellschaft, will's Gott, am 7. September mich wieder bei Dir einfinden. Und wenn's uns auch schwer fällt, aus diesem Paradiese heraus wieder in die Alltagsarbeit zu treten, so tun wir es doch mit frischem Mut und frischen Kräften, und auch Huberta weiß jetzt, daß es nicht immer Sonntag im Leben sein kann. Sie will Dir auch noch geschwind einen Gruß beifügen, und so sage ich nur noch mit vielen Grüßen an Rosemarie und Miß White: Auf baldiges Wiedersehen!

Deine getreue Hilde.

Nachschrift von Huberta.

Ich danke Dir, liebe Tante, für Deine Karte mit dem Bild von Helgoland darauf; es hat mich sehr interessiert. Ich danke auch Rosemarie dafür, daß sie für Annele und mich Muscheln und Seesterne sammelt, woraus wir dann für Weihnachten nette Arbeiten machen können. Jetzt ist bald alles vorüber, aber Zoe, die liebe, der wir diese himmlisch schöne Zeit verdanken, sagt: »Die Welt ist rund und dreht sich, und dann kommen wir wieder zusammen.« Das ist doch ein nettes Wort, nicht wahr, und auch ein Trost, denn Tränen wird es schon geben hier beim Abschied. Etwas muß ich Dir noch geschwind ins Ohr sagen: Ich habe hier gemerkt, daß es sehr angenehm ist, mit Engländern und Franzosen in ihrer Sprache reden zu können. Ich kam oft in diese Lage, und wenn ich zurückkomme, soll's nicht mehr heißen: Ich muß! sondern: Ich will!

In herzlicher Dankbarkeit Deine treue Nichte
Huberta.

*

Telephon Robis von Rieneck aus an die Schindlersche Pension. (Neun Tage später.)

»Wer da?« –

»Sind alle zurück?« –

»Bitte, Frau Forstmeister holen!« –

»Ja, grüß dich Gott, liebes, liebes Mämmeli! Seid ihr gut gereist? – Ja? Also dem Großmütterle geht's ordentlich? – Ich bin aber froh!«

»Ob ich nächsten Sonntag komme? Ja, ich hoffe sicher! ... Mämmeli, nur geschwind: Denk' dir, es geht herrlich mit uns beiden! Siegi ist doch ein prächtiger Kerl! Er hat durchgesetzt, daß ich mit dem Paten ausreiten und mit Herrn Hausmann nach alter Art unten im Park turnen darf. Und denk' dir, es mache ihm Spaß, dabei zuzusehen. Er sei gar nicht mehr so, wie er gewesen, und sei zufrieden, daß er bedeutend besser gehen könne als vorher. Du, Mämmeli, bist du noch da? War das Großmutterle nicht arg traurig, wie ihr von ihr fort seid? Nein? ... Und du bleibst also wieder in St.? Fein! Ohne unser Mämmeli ist es halt nichts gewesen. Du, kann ich Huberta sprechen? ... So, sie steht schon da? – Bertele, wie geht's? ... Gelt, herrlich ist's dort? Ich habe doch nicht zu viel gesagt. Hast du den Onkel Jakob auch so gern? Du, weißt du, hinter dem steckt viel. Man merkt's nur nicht gleich! Was sagst du? Arg schwer sei es dir gefallen, von dort wieder fortzugehen? Ja, das glaube ich. Und mir wird auch das Schuften wieder nicht leicht fallen. So feine Ferien wie die habe ich noch nicht gehabt! ... Ob das Rösle mit den Schwestern dagewesen sei? Ja freilich, die waren einfach selig, alle drei. Wie wir den Tee auf der Terrasse tranken, hat Schwester Eva gemeint, ob es wohl im Himmel noch schöner sein könne! ... Wie? Ich versteh' dich nicht. Das Annele ist da? Ja, grüß Gott, Annemutz! Bist auch wieder zurück? Denk' dir nur, das Röteli haben sie mir richtig mitgebracht, aber es schien, als sei es jetzt lieber im Spital als draußen, denn es hat ein furchtbar dummes Gesicht an die Bäume hingemacht.

Jetzt aber Schluß! Ich glaube, sie schimpfen auf dem Amt. Grüße an alle, besonders an die gute Zoe! ... Du ...!« (Klapp!)

Zwei Jahre später. Brief von der Großmutter an Frau Hilde Hagen.

Heimatfluh, den 27. August 19..

Liebe Hilde!

Ja, das waren schwere und traurige Tage, bis wir den lieben Onkel Jakob zur Ruhe gebracht hatten. Jedoch kann ich Gott immer nicht genug danken, daß er ihn so rasch und ohne langes Leiden zu sich gerufen hat. Daß wir ihn im Abendschein auf seiner Bank mitten unter seinen Blumen eingeschlafen gefunden haben, das wißt Ihr ja. Um mich und meine Gesundheit sorge Dich nicht! Freunde und Bekannte stehen mir treulich bei. Die zwei Mädchen, die gottlob in Frieden auskommen, tun, was sie können, und der liebe Gott gibt mir Kraft und steht mir da bei, wo es ein bißchen schwer sein will.

Nun aber kommt die Hauptsache von meinem heutigen Briefe. Mit diesem werdet Ihr einen Gerichtsbrief bekommen, der Euch das mitteilt, was mein altes Herz vor Freude pochen macht. Huberta, unser Bertele, welch ein Glückskind!

Noch wenige Wochen vor seinem Tode hat Onkel Jakob mir einmal eine Andeutung gemacht, daß er Huberta, das »Prachtmaidli«, wie er sie immer nannte, am liebsten zur Erbin seines ganzen Anwesens machen würde. Er sagte mit seinem guten, stillen Humor: »Du bisch m'r zum Erbe z'alt, und die Hilde soll's net übelnehmen, wenn ich sie überhupf. Das Bertele, so wie ich's kenn', wird sich noch extra freue, wenn's den Seinige amol a Heimat biete ka, und du, Schwesterli, wärst auf die Art au versorgt für di Alter.«

Ich hab' damals noch nicht so recht an sein Sagen geglaubt, aber jetzt ist es also richtig doch so, und die einzige Sorge ist mir die, ob es Dir möglich sein wird, Dich und die Kinder von Deiner Schwester loszumachen, ohne die Dankbarkeitspflicht zu verletzen. Das ist der Druck bei all der Freude. Und ich bin so sehr begierig auf Euern nächsten Brief. Für heute nur noch: Gott befohlen! Er möge Dich das Richtige finden lassen und Dir einen Ausweg geben!

Eure getreue
Großmutter.

Und der Ausweg fand sich. Das Bertele durfte sich mit den Ihrigen nach wenigen Wochen, in denen viel Hin- und Herbesinnen und viel Edelmutswettstreit unter den Beteiligten war, ungestört ihres Glückes freuen.

Tante Lina wollte durchaus nicht eine Schicksalsstörerin sein, obgleich sie ja volles Anrecht an Huberta gehabt hätte, von der sie sich nun wirklich auch Hilfe versprechen durfte. Wie alles gegangen, und wie sich alles gelöst, erfahren wir durch folgenden

Brief von Huberta Hagen an Rosemarie von Bergen in Buenos Aires.

St., den 8. September 19..

Mein liebes Herz!

Nun ist meine Rosemarie, will's Gott, glücklich in der Heimat angelangt, und meine Gedanken müssen sie nicht mehr auf dem schaukelnden Schiffe suchen. Du Liebe, wie hast Du mir gefehlt, seit Du von hier fort bist! Was bist Du mir alles gewesen in den letzten Jahren! Wenn noch ein annähernd ordentliches Menschenkind mit Pflichtbewußtsein aus mir geworden ist, so verdanke ich es Dir und Deinem stillen täglichen Beispiel.

Wie ganz anders ist es nun in der Pension geworden! Wie viel Wechsel hat es gegeben, seit die lieben Alten, eine nach der andern, uns verlassen haben! Da ist's mir oft wohl zentnerschwer auf die Seele gefallen, daß mein Schicksal sein würde, für immer hier zu bleiben und immer und immer wieder einen Wechsel von solchen, die einem lieb geworden, durchzumachen. Nun aber höre in Kürze, was sich Merkwürdiges ereignete, – einen langen Brief schreibe ich Dir später, wenn die aufgeregten Wellen in unserm Leben sich wieder ein bißchen gelegt haben.

Denke Dir, Onkel Jakob hat mir, mir ganz allein, sein schönes Haus, den Garten, die Wiese und, was mich noch am allermeisten beglückt, das Stück Wald hinter der Wiese, all das hat er mir vermacht mit der Bestimmung, daß ich womöglich dort samt den Meinigen meinen Wohnsitz nehme und kein »studiertes Frauenzimmer« werden soll. Kannst Du so was verstehen? Solch einen Glücksfall! Nun aber hätten wir ja nie die innere Freiheit gehabt, Tante Lina, die uns in schwerer Zeit so treu beigestanden ist, so schmählich zu verlassen. Da begab sich's aber, daß unser Klärchen Schulze, die redlich drei Jahre lang in einem Pfarrhause mit sieben mutterlosen Kindern es ausgehalten hat, wieder frei wurde und Tante Lina bat, ihr zu einer neuen Stelle behilflich sein zu wollen. Da hat diese ganz in der Stille mit ihr unterhandelt und da neben lange Unterredungen mit Miß White gehabt. Und eines schönen Tages überraschte sie uns mit der feststehenden Tatsache, daß vom 1. Oktober an Miß White und Fräulein Klärchen Schulze in unsere Zimmer zu ziehen gedächten, weil sie unsere Nachfolgerinnen sein möchten. Das klang fast beleidigend, vollends noch, als Tante Lina mir ernsthaft versicherte, das Klärchen Schulze sei von jeher viel mehr wert gewesen als ich, und das Mämmeli solle nur auch machen, daß es fort komme, Miß White habe herrliche Rezepte von Plumpudding, und mit den Dienstboten werde es bald auch gehen. Karoline sage bereits: »Guten Morning, Miß White,« und sogar: »Guten Bye.« Was sie sich darunter vorstelle, wisse man freilich nicht. Das eine aber, sagte Tante, bitte sie sich aus, daß in der Heimatfluh für künftig das kleine Gartenhaus für sie und etwa Zurückgebliebene offen stehe; denn so ganz frei und ohne jegliches Lösegeld lasse sie uns doch nicht ziehen. Als wir nun Tante Lina hierauf um den Hals fielen und sie uns natürlich mit aller Kraft abwies, – denn Gefühlsäußerungen konnte sie ja nie leiden – da sahen wir aber doch, wie eine dicke Träne sich leise über ihre Wange herabstahl und auf eine Spitzenbarbe fiel, was das Annele so rührte, daß es in lautes Weinen ausbrach.

Nun, Rosemarie, steht es so: Das Mämmeli und ich sind darauf nach Rieneck gefahren und haben uns den Rat von dem Grafen und der Gräfin geholt. Sie sind welterfahrener als wir und kennen dabei genau unsere Verhältnisse. Es soll nun so werden, daß wir anfangs Oktober mit Sack und Pack an unsern neuen Heimatort reisen und uns dort einrichten, worüber das Großmütterle natürlich glückselig ist. Im Frühjahr aber – Onkel Jakob wird uns darüber nicht mehr zürnen – gedenken wir die weiten, luftigen Räume der Heimatfluh Fremden zu öffnen, und dein Bertele wird in Zukunft keine Lehrerin, wohl aber, wie es hofft und sich redlich vornimmt, eine rührige Verwalterin und Haushälterin dessen werden, was ihr der liebe Gott so unerwartet geschenkt hat. Das Mämmeli und ich malen uns in den schönsten Farben aus, wie heimelig wir es allen Gästen machen wollen. Dazu haben wir den festen Willen. Und, Rosemarie, dabei frei sein, und dabei im eigenen Heim schalten und walten dürfen, und wieder wie einst nur so zum Haus hinaus in einen Wald laufen dürfen und – ich tu's gewiß nur ganz im Schutze der Bäume – so recht hinausjuchzen, und noch einmal im Leben das alte, wilde Forstmädel sein dürfen! Was täte unser Vater sich mit uns freuen! Aber der allerschönste und kühnste Traum, den wir haben, ist der, daß einmal noch von fern und nah die einstigen Schulgenossinnen bei uns eintreffen möchten. Gelt, Rosemarie, das hältst Du für möglich? Gelt, darauf wollen wir hoffen?

Für heute Dein glückseliges, in ihrem großen Glück sich ganz unwürdig fühlendes

Bertele.

N. S. Das wird Dich auch noch interessieren, daß Herr Hausmann vor einigen Tagen seine theologische Prüfung bestanden hat, und daß er, wenn er seine Zöglinge vollends auf die Universität begleitet hat, einmal Patronatspfarrer in Dorf Rieneck werden wird.

*

Sieben Jahre später.

Telephon von Wolf Sieghardt Rieneck an Frau Hilde Hagen im Hotel Markwald zu St.

»Bitte, – Frau Forstmeister Hagen!«

»Wer dort?« – »Ich, Siegi! Ich will der erste sein, der Sie begrüßt. Sind Sie alle glücklich angelangt?«

»Ja. Und wie steht's bei Ihnen, Sieghardt?«

»Ich freue mich ganz unbändig auf morgen. Kommt doch gewiß schon mit dem allerersten Zug, daß ihr zum Frühstück auf Rieneck seid! Huberta und Annele sollen noch recht ihre Stimmen schmieren; wir rechnen sicher beim Festgesang auf sie. – Wo die Einweihung vom Kinderheim ist? Ich denke, bei dem herrlichen Wetter wird sie wohl im Freien vor dem Hause stattfinden. Ich sag' Ihnen, Robimama, es ist einfach wunderhübsch geworden! Sechs Stuben und ein kleiner Saal, und oben, da wo es am sonnigsten ist, sind zwei Stuben für Schwester Rösle. Ob sie schon da sei? Nein, aber heute abend kommen sie alle, das Rösle, die Eva, die Barbara und zehn von den luftbedürftigen kleinen Kranken. Nicht wahr, es ist doch herrlich, daß Vater mir zur Volljährigkeit diesen Wunsch erfüllt hat? Der war mein größter und höchster geblieben, seit ich damals im Spital so unter der Hitze litt und mich so sehr nach der Rieneckschen Luft sehnte. – Wer das Haus gebaut hat? Das ist auch so nett an der Sache, daß die zwei Brüder von Rösle fast die ganze Ausführung übernehmen konnten, während Schreiner Vollmöller, der Vater, auf wirklich reizende, einfach geistvolle Weise die Einrichtung anfertigte. Und daß die Ihrigen auch alle zur Einweihung geladen werden, damit wird das Rösle überrascht.«

»Robimama, halt, noch nicht abläuten! Mutti möchte auch noch mit Ihnen sprechen.« –

»Liebe Frau Hilde, es ist reizend, daß wir Sie wieder ein bißchen haben, daß ihr alle zu unserm Feste kommt. Unsere beiden Studenten sind wie toll vor Freude, und mein Mann tut mit ihnen, als ob er selber noch jung wäre. Am reizendsten ist, wie die O'mama sich freut, in erster Linie darüber, daß ihr Bub so vergnügt ist, und dann aber auch, daß die Bauerei, die doch viel Unruhe und Staub machte, nun ein Ende hat.

»Das wissen Sie, daß sie Robi eine beträchtliche Summe dafür gab, damit er hauptsächlich darauf bedacht sein sollte, daß die Lüftungen gut würden und kein Spitalgeruch entstände? Außerordentlich interessiert sie das Leben auf der Heimatfluh, und von uns allen läßt sie sich immer wieder erzählen, wie reizend und bequem alles dort ist. Sie freut sich sehr darauf, Ihren beiden Mädels morgen sagen zu können, daß sie auch einstens an ihrer Erziehung mitgearbeitet und ihnen Lebensart, savoir vivre, wie sie sagt, beigebracht habe.

»Jetzt nur noch geschwind einen Gruß für die lieben Dinger. Wo steckt ihr denn, Huberta, Annele? Ja, grüß Gott! Seid ihr denn auch darauf eingerichtet, ein bißchen länger bei uns zu bleiben?

»Nicht? Oh, da werden wir schon noch darüber reden! Und nun, nur schnell noch, ich hoffe, es stört euch nicht zu sehr, daß auch die Wildau'schen Mädchen morgen kommen. Siegi kann sie zwar nicht ausstehen, aber es ist doch nett von ihnen, daß sie euch gerne sehen möchten. Und bei der Edith bewahrheitet sich der alte Spruch: Man kommt immer wieder zu seiner ersten Freundschaft zurück. Sie hat wirklich ein Verlangen nach dir, Bertele.

»Das macht dir Freude? Das habe ich mir doch gedacht. Aber jetzt Schluß! Ade, ade! Auf Wiedersehen!«

*

Sechs Tage später.

Telephon von Annele an Tante Lina.

»Tante, liebes Tantele, bist dir da? Ja? Mama steht neben mir, und ich soll dir was furchtbar Komisches sagen, – ich zuerst, sagte sie, das gehöre sich. Denk' dir nur, Tante Lina, dein dummes, kleines Annele ist eine Braut, und der hinter mir steht, soll nur weitermachen. Schnell sprich du, ich geniere mich ein bißchen.« ...

»Da muß der Bräutigam sich wohl selber vorstellen und tut es hiermit in aller Form: Pfarrer Wilhelm Hausmann aus Rieneck bittet die verehrte Tante Lina um ihren Segen zu unserer eben stattgefundenen Verlobung.«

»Bitte, was? das Annele? das kann ja gar nicht sein, das ist ja noch das reinste Kind! Nee, Annele, darauf mußt du eben doch selber antworten!« – »Tante Lina, – du, Tante Lina, daß du's nur weißt, ein Kind bin ich nicht mehr, denn ich werde im kommenden Monat achtzehn Jahre alt, und ich kann sehr gut schon heiraten. Vorigen Sommer habe ich beim Vreneli kochen gelernt, und die Huberta, die zieht einen, daß man im Haushalt tüchtig angreift. Und jetzt, Mämmeli, sag du's, wie es gekommen ist.« (Frau Hilde spricht): »Wie es gekommen ist, ja, das weiß ich ja selber noch nicht! Da wurde abends, ehe die Gäste fortgingen, der Park noch beleuchtet und ein Lied gesungen, und wer auf einmal Hand in Hand auf mich zutritt und sagt: Mämmeli, wir haben uns soeben verlobt, Wilhelm und ich, das waren die beiden. Und wenn ich jetzt jammere und klage: Aber Ihr kennt Euch ja noch gar nicht, und das ist viel zu schnell gegangen! dann sagt dieses naseweise kleine Ding, die ganze Sache sei gar nichts Neues, es habe schon vor hundert Jahren Herrn Hausmann heiraten wollen.«

»Das goldige, kleine Ding!« ertönte es aus dem Hintergrund, dann fiel das Annele rasch wieder ein: »Tante Lina, ich freue mich jetzt schon schrecklich auf die Hochzeit! Wir laden euch alle ein, die ganze Pension! Und daß meine Zoe dazu kommt, dafür will ich schon sorgen! Das kleine Annele hat auch einen festen Willen. Und, – Tantele, hörst du mich noch? Unser alter Jörg kommt zu uns ins Pfarrhaus, das ist schon bestimmt. Und zwei Dackel bekomme ich auch, hat Wilhelm gesagt, die heißen wir wieder Männe und Madame. Und eine Laube wie einst daheim läßt er mir machen, und alle paar Wochen darf ich nach St. und darf dich besuchen, und fürs Mämmeli und Huberta wird ein feines Gaststüblein eingerichtet ... Was sagst du? Er solle mich nicht so verwöhnen? ... Wilhelm – antworte du!«

Und eine glückbewegte, tiefe Männerstimme sagte hierauf: »So was Liebes, Sonniges, Wonniges wie mein Annele, auf das ich nun so viele Jahre mit festem Willen gewartet habe, kann gar nicht genug verwöhnt werden.«


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