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Viertes Kapitel.

»Arbeit ist die beste Arznei,« sagt Herr Hausmann. – Von dem, daß der Braune keine Kuh neben sich leiden kann und das Schluckerle keine Wagenfahrt verträgt. – Warum die jungen Gäste der O'mama nicht fein genug sind und Edith freundlicher geworden ist. – Am alten Platz und von alten Erlebnissen. – Von tausend Millionen Grüßen und einem kleinen Besuch. – Kein Heimkehren mehr.

 

Die nächsten Tage regnete es viel, und die Kinder mußten meistens daheim bleiben. Jörg war in der Frühe schon nach dem Abschiedstag gekommen, um noch für jedes von den dreien eine kleine Karte mit innigen Grüßen von der Mutter zu bringen und ihnen zu sagen, daß die Frauen ganz gut auf dem Bahnhofe angelangt seien, und daß die Frau Forstmeister gar nicht mehr geweint habe, das solle er noch besonders ausrichten. Das gab den Kindern auch wieder Ruhe in ihr Herz, und Jörg mußte versprechen, so oft als möglich in der nächsten Zeit noch einen Besuch auf dem Schlosse zu machen, was er nur zu gerne tat, konnte er sich ja auch noch gar nicht vorstellen, wie es fürder für ihn im Forsthause ohne Kinder sein werde.

Wolf Sieghardt hatte inniges Mitleid mit den Freunden und tat, was er konnte, um lieb mit ihnen zu sein und sie zu zerstreuen. Er tat es auch schon deshalb, weil es doch sehr unlustig war, die Spielgenossen traurig zu sehen. Da diese es wirklich auch nicht immer sein konnten und ja auch von dem Mämmeli ein Brief gekommen war, in dem stand, daß sie nur lieb und brav und getrost sein sollten, sie sei es auch, da war die Stimmung bald wieder fröhlich. Herr Hausmann tat auch das Seinige dazu, indem er zuerst von dem Grundsatz ausging: »Arbeit ist die beste Arznei.« Die Kinder waren vormittags mit Lernen tüchtig beschäftigt, und das Annele, an dem Herr Hausmann seine besondere Freude hatte, konnte schon am dritten Tage dem Mämmeli ein Zettelchen schicken, auf dem stand: »ichhabdichliebdeinannele,« das hieß: »Ich hab dich lieb! Dein Annele.« Aber dann ersann er sich auch allerhand nette Sachen. Am ersten freien Nachmittag wurde ein gemeinsamer Gang zum Schwanenwirt gemacht, um den Tieren einen Besuch abzustatten, und die Kinder durften sich überzeugen, daß die Häslein ebenso guten, frischen Kohl wie bisher zum Fressen bekamen, und daß der Braune einen guten Platz hatte neben einem schwarzen Roß, mit dem er sich schon angefreundet hatte. Nur die andere Seite, die Nachbarschaft einer Kuh, schien ihm nicht zu behagen, denn wenn diese mit ihrem breiten Kopf und den großen Augen über die Bretterwand herübersah, drückte er sich scheu in eine Ecke und biß unruhig an seiner Halfterkette herum. Doch daran mochte er sich mit der Zeit gewöhnen. Sichtlich erfreut über die Kinder, fing er laut zu wiehern an, als sie zu ihm an den Stand traten und ihn mit allerlei guten Worten und Liebkosungen überschütteten. Ordentlich gierig nahm er die Zuckerstückchen entgegen, die sie ihm brachten, – solche Verwöhnungen waren ihm allerdings seit seiner Übersiedlung in andere Verhältnisse nicht mehr zuteil geworden. Was das Reh betraf, so hatte Jörg schon ein Geständnis machen müssen, das zuerst allgemeinen Jammer hervorrief. Man hatte es auf dem Wagen, an dem der Braune zog, und auf dem noch manches andere gewesen, was der Schwanenwirt sich erworben, angebunden gehabt. Sei es nun, daß der Strick nicht fest genug gewesen, sei es, daß die Fahrt durch den Wald Freiheitsgelüste in dem Tierlein erweckte, kurzum, mitten im Forst vernahm Jörg eine rasche Bewegung hinter sich, und als er zurückblickte, machte das Reh einen mächtigen Sprung über den Wagen hinunter und war sofort im Dickicht verschwunden. Ob es wohl die Seinigen wiedergefunden hatte? Ob es nicht gräßlich Heimweh hatte, wie Huberta befürchtete? Niemand konnte das beantworten, und stundenlang bildeten diese Fragen nun den Gesprächsstoff bei den Kindern.

Dem Eichhörnchen gefiel es entschieden nicht im gräflichen Stall, darum holte es Huberta, sooft es anging, und nahm es auch, wenn möglich, bei den Spaziergängen mit. Es ins Zimmer zu nehmen, unterließ man um der O'mama willen, die stets befürchtete, das Tier könnte einem der Kinder ins Gesicht springen und beißen. So ungesittet war aber das Röteli nicht, so was tat es höchstens bei Menschen, von denen es fühlte, daß sie ihm nicht wohlwollten, und es war merkwürdig, wie feinfühlig es darin war, und wie es schon von weitem unruhig wurde und quiekte, wenn es die alte Schloßherrin erblickte.

Recht sehr behagte es Huberta doch, daß es hier nicht wie zu Hause beständig hieß: »Bertele, hilf hier, Bertele, hilf da! – Bertele, dein Zopfband ist offen und deine Schuhe sind nicht ordentlich geknöpft!«

Hier deckte ein Diener geräuschlos den Tisch, die Küche war unten, und wie gekocht wurde, wußte man gar nicht. Und wenn die Mädchenhaare in Unordnung kamen, oder wenn die Kleider gewechselt werden sollten, so war sofort die Jungfer da und half und hob nachher alles wieder auf. Das war herrlich! Und dann die großen, weiten Räume mit all den schönen Dingen und – trotz allem Scheidensweh im Herzen sei's gestanden – die prächtigen, feinen Speisen bei den Mahlzeiten! Gutes Benehmen bei Tisch zu haben, gaben sich die Kinder nun alle Mühe, so daß selbst die O'mama sich hierüber befriedigt äußerte, und Huberta war stolz, als die alte vornehme Dame einmal sagte: »Ihr macht euch, – das wird euch später zugute kommen.« Was sie aber immer wieder von neuem noch zu tadeln und zu verbessern hatte, das war die Volkssprache, die die Kinder sprachen, und von der sie fürchtete, daß Siegi sie annehmen möchte. Als echte Schwabenkinder hängten sie an alles ein »le« an. Und wenn Huberta oder Annele von Räble, Häusle, Hundle und Äpfele sprachen, so ließ die O'mama es nicht hingehen, sondern sie mußten das jeweilige Wort mit der Endsilbe »chen« stets wiederholen. Das war recht langweilig, und um dem zu entgehen, gaben sie sich schließlich schon von vornherein alle Mühe, solche anstößige Wörter zu vermeiden, und machten dadurch Fortschritte im bessern Sprechen.

Als die Sonne wieder schien, beschäftigten sich die Knaben viel mit Photographieren. Siegi war darin schon recht gewandt, und sie schickten der Mutter hübsche Bilder von allen und von dem Schloß. Auch Vaters Grab, das auf dem Dorfkirchhof war, photographierten sie und für die Großmutter das Pfarrhaus, in dem diese einst so lange gelebt hatte. Ins liebe alte Forsthaus wollte keines mehr gehen. Man sprach hierüber gar nicht, es verstand sich wie von selber, wenngleich Sieghardt es gerne auch photographiert hätte. Es war, wie wenn sich eine große Scheidewand zwischen einst und jetzt vorgeschoben hätte. Aber in den Wald hinab, da wurden doch manchmal Spaziergänge gemacht, und heute, als am letzten Tage, wo die Mädchen noch auf dem Schlosse weilten, – die zwei Wochen waren wie im Fluge vorübergegangen – da wollte man noch einen großen gemeinsamen Gang machen, mehr in den Wald, der rechts von dem Schlosse lag. Seit Sieghardt einst von der großen Tanne, auf der er ein Vogelnest ausnehmen wollte, herabgestürzt und verunglückt war, vermied man die Waldwiese, auf der die Kinder so oft gespielt hatten. Aber ohne dies zu wollen, gelangten sie heute doch dahin.

Gleich nach Tisch wurde noch einmal eine große Wagenfahrt gemacht wie dazumal, und der Kaffee sollte in Neuhof, dem Gute der Wildaus, getrunken werden, wozu eine Einladung für alle gekommen war. Edith hatte der Mutter von der zukünftigen Pensionsgenossin erzählt, und so war es dieser immerhin interessant, Huberta kennenzulernen. Sie nahm es sehr schwer, ihre Älteste wegzugeben, und fragte deshalb Huberta über alles mögliche aus, wie es dort sein werde, was diese aber nicht beantworten konnte, weil sie ja noch nie für längere Zeit bei der Tante gewesen. Edith war diesmal viel freundlicher, und so flog Hubertas leicht entzündliches Herz ihr schnell zu, obgleich ihr einiges nicht recht verständlich war, z. B. die Art, wie Edith von ihrer Erzieherin sprach, und wie sie, die doch auch noch ein Kind war, so herrisch mit den Dienstboten redete. Das durfte man doch nicht, das mußte doch den Leuten weh tun! Aber dann war Huberta schnell wieder versöhnt, als Edith sagte: »Mir ist's gräßlich angst vor den Mädchen, und wenn dir's recht ist, wollen wir zusammenhalten und gute Freunde sein.« So etwas liebte Huberta, und stürmisch besiegelte sie den neuen Bund mit einem Kuß.

Graf Rieneck und Tante Charlotte fuhren nach Hause, während Herr Hausmann mit den Kindern den Weg durch die Wälder zu Fuß machen wollte.

Es war ein herrlicher Abend, und nach allen Seiten hin wurde gestreift, gespielt und gesprungen, hier durch dichtes Tannengehölz, dort über kleine Mooshügel, dann wieder plätschernde Bächlein entlang und an sonnigen Rainen Schmetterlingen nach. Herr Hausmann gab sich mit seiner Jugend auch dem Genusse hin, dabei aber immer sorglich bedacht, daß Wolf Sieghardt sich ja nicht übermüdete. Alle zusammen achteten nicht sonderlich auf den Weg, ein Verirren in dem Walde war ja nicht möglich, denn die Richtung hatte man doch ganz genau inne. Da, auf einmal, man wußte nicht genau wie, öffnete sich der Wald, und der Platz, auf dem einst das Unglück geschehen, lag vor ihnen. Ängstlich sah Sieghardt Herrn Hausmann an und faßte ihn bei der Hand; es war ihm einen Augenblick zumute, als würde er lieber wieder den gekommenen Weg zurückgehen. Aber dieser faßte sich rasch und sagte: »Nun sind wir einmal da, und nun überwinden wir uns und bleiben auch da! Der Platz kann ja nichts für das, was wir damals alle erlitten.«

»Oder an was ich selber schuld war,« sagte Sieghardt leise und sah dabei scheu an der Tanne hinauf, wo sich die Spuren des abgebrochenen Astes noch erkennen ließen. In einer kleinen Holzhütte, der sie nun zustrebten, hatten damals oft die Kinder ihr Indianerlager abgehalten. Hier war's, wo sie sich häuslich eingerichtet hatten, wenn Familie gespielt wurde, und hier war es gewesen, daß Herr Hausmann nur schnell an den Waldrand gegangen war, um nach dem Wetter zu sehen, und die andern, müde vom Herumstreifen, ein bißchen schliefen. Da hatte Sieghardt sich leise entfernt und war – gegen des Lehrers ausdrückliches Verbot – an dem Baum hinaufgeklettert. Wie man ihn nachher für halb tot nach Hause brachte, wie Herr Hausmann ganz verzweifelt war und die Eltern und die O'mama starr vor Entsetzen, – und wie dann eine lange, lange Spitalzeit folgte, in welcher der gebrochene Fuß wohl geheilt, aber nicht mehr ganz gut wurde, davon unterhielten sich die Kinder nun, als sie nach alter Gewohnheit wieder beisammen in ihrem Häuschen kauerten und saßen. Das Eis war nun einmal gebrochen, und Siegi war es ordentlich eine Wohltat, von dem, was man lange nicht mehr berührt hatte, zu sprechen. Trotz der ernsten Erinnerungen wurde aber dabei immerhin wacker dem mitgebrachten Vesper zugesprochen.

»Welch ein Glück war's doch, daß der Jörg gerade dazukam und helfen konnte!« sagte Robi.

»Und ich vergesse mein Lebtag nicht, Siegi, wie du rücklings da oben saßest und beinahe die Vögel hattest, und wie ich dazukam, als der Ast brach. Hui, war das gräßlich, der Krach und der Plumps!« Huberta schüttelte sich in Erinnerung daran.

»Und ich habe gar nicht gewußt, warum ihr alle so schriet,« sagte das Annele. »Und das ärgste an der Sache war mir, daß ihr meine Puppe Lila aufwecktet, die ich gerade in den Schlaf gesungen hatte.«

Ach wie gut erinnerte sich auch Sieghardt jeder Einzelheit: wie angstvoll Herr Hausmann herbeigesprungen kam, als er, Siegi, schon beinahe die kleinen Vögel hatte, und wie er dann lange, lange nichts mehr von sich wußte, bis die große Schmerzens- und Leidenszeit begann. Und gerade an diesem Platze überkam's ihn auch von neuem mit Macht, wie er vorher so frisch springen, turnen und vor allem reiten konnte, und wie er nun froh sein mußte, daß das einfache Gehen überhaupt wieder möglich war.

»Ich Esel, wegen ein paar dummer kleiner Vögel habe ich mir alles – mein ganzes Leben – verpatzt, und mit dem Ulanwerden, was Vaters und mein größter Wunsch war, ist's eben vorbei, vorbei, vorbei!« Der Knabe senkte den Kopf, über diesen Punkt kamen er und Graf Rieneck nicht hinüber.

»Aber nicht mit dem Glücklichsein, hat dir doch das Rösle im Spital gesagt,« rief Huberta eifrig, und Robi fragte: »Was macht denn unser liebes, gutes Rösle? Wir haben es doch schon so lange nicht mehr gesehen.«

Da kam eben ein Mann des Weges daher, der ein kleines Wägelein schob, das behängt und bepackt war mit Taschen und Paketen aller Art.

»Das ist ja der Boten-Karl, Rösles Onkel, den können wir gleich nach ihr fragen,« riefen alle. Die Kinder stürmten auf den Mann zu und hielten ihn an.

»Wie geht's wohl dem Rösle?«

»Waren Sie in letzter Zeit bei ihr in der Stadt?«

»Weiß sie, daß wir vom Forsthause fortziehen und auch in die Stadt kommen?«

Der Bote hielt einen Augenblick inne, trocknete sich den Schweiß von der Stirn, und indem er umständlich das rote Sacktuch wieder in seine Tasche steckte, sagte er: »Fröhlich und vergnügt ist's halt alleweil, das winzige Ding, trotz seinem verkrüppelten Körper. Ich sag's oft zu meinem Schwager, der der Vater vom Rösle ist: So was gibt's auf der ganzen Welt nimmer! Hat fast keine Füße, nur Stumpen, und dazu noch einen gelähmten Arm, und trotzdem haben sich's die Spitalschwestern zur Hilfe im Kindersaal ausgebeten.«

»Drum kann auch das Rösle mit einem spielen und singen und reden und einen trösten wie kein Großes,« sagte Sieghardt. »Ich hab's erfahren, und ich vergesse mein Lebtag nicht, was es mir damals in der schlimmen Zeit gewesen.«

»Und was das elende, dürftige Geschöpflein erst, als es noch daheim war, aus seinen unartigen Brüdern gemacht hat, das ist doch das allermerkwürdigste!« sagte der Bote. »Nur so ganz in der Stille, ohne viel Worte, brachte sie es fertig, daß die Schlingel die Unarten und Streiche nach und nach bleiben ließen, weil sie sich vor des Rösles ernsten Augen fürchteten. Franz, der große Bruder, verdient jetzt schon ein bißchen was in der mechanischen Werkstätte, und Gottlieb und Adolf, die vor Übermut einst nicht wußten, was sie anstellen sollten, lernen jetzt recht ordentlich. Der eine will Maurer, der andere Schreiner werden. Drum läßt die Schwester, wenn die Buben sie am Sonntag im selbstverfertigten Wäglein auf Besuch nach Hause führen, sich zuerst immer ihre Zeugnisse zeigen. Das zieht! Und was mein Schwager ist, der schafft doppelt fleißig an seinen alten Stühlen und Schränken, hauptsächlich nur deshalb, weil ihn des Rösles glückseliges: ›Aber du bist fleißig gewesen, Vaterle!‹ so arg freut. Heute gerade muß ich zu den Geschwistern und eine Schatulle von der Frau Gräfin zum Ausbessern hinbringen, und nachher gehe ich noch geschwind ins Spital mit dem Maiblumenstrauß hier für die Schwestern. Die Frau Gräfin hat ihn mir gegeben und ein Buch fürs Rösle. Soll ich vielleicht auch einen Gruß von den jungen Herrschaften ausrichten?«

Da erscholl ein eifriges: »Ja, ja, freilich, – hundert Grüße, – nein, tausend – nein, Millionen Grüße!« riefen die Kinder durcheinander. Und als der Boten-Karle schon wieder weitergefahren und fast im Walde verschwunden war, schrie Huberts noch einmal: »Sag ihr, wir kämen, sobald wir in der Stadt seien, zu ihr!«

Herr Hausmann sah auf die Uhr und meinte, es werde wohl jetzt Zeit sein, an den Heimweg zu denken. Die Sonne war beinahe untergegangen, und goldschimmernd und blutrot flammte es hinter den Stämmen. Ein leises, kühles Wehen ging durch den Wald, – die Kinder hatten sich noch einen Augenblick niedergelassen – und plötzlich überkam sie der Gedanke: Morgen geht's fort, und Robi bleibt zurück. Die Waldheimat mit allem, was damit verbunden war, liegt öde und leer. Keine Heimkehr wie sonst nach dem Spiel gibt es heute mehr, und ein neues, ganz fremdes Leben beginnt für ein jedes.

Ein lieber Besuch

Herr Hausmann mochte wohl auch ähnlich denken. Viel glückliche Stunden hatte er im Forsthause zugebracht, und die Kinder lagen ihm fast ebenso am Herzen wie sein besonderer Zögling. Drum mahnte er jetzt nachdrücklich zum Aufstehen. Es war nicht notwendig, daß sie alle in eine zu weiche Stimmung gerieten. Um Hubertas Lippen zuckte es auch schon verräterisch, und Robi hatte sich auf die Seite gemacht, und man hörte ihn ganz leise schluchzen. Da plötzlich raschelte etwas im Gebüsch, ein paar dunkle Augen sahen forschend heraus, und gerade als die Kinder sich gegenseitig riefen und fortgehen wollten, sprang ein Reh zwischen den Büschen hervor, gerade auf die kleine Gesellschaft los und rieb sein schwarzes, schnuppiges Schnäuzlein an Anneles Arm.

»Das Schluckerle, unser Schluckerle!« riefen Annele und die Kinder voll Entzücken und knieten um das Tierchen herum, das von einem zum andern sah, als wollte es ein jedes begrüßen. Und wie es das Mäulchen hin und her bewegte und sicherlich gern erzählt hätte, wie es ihm seither gegangen, wenn es nur gekonnt hätte! Das war ein Jubel ohne Ende. Das Schluckerle wurde mit den Resten des Vespers gefüttert, und dann wurde ernstlich beraten, was nun mit ihm anzufangen sei, und wie man es am besten ins Schloß brächte.

»Ach Schluckerle, liebes – hast du denn deinen Vater und deine Mutter gefunden oder wenigstens deine Geschwister?« fragte das Annele und legte voll Zärtlichkeit ihren Arm um das braune Hälschen. Das Schluckerle sah es mit seinen schönen, samtenen Augen an, aber Antwort geben konnte es eben nicht.

»Wenn's nur auch glücklich ist und kein Heimweh hat nach uns, und wenn's nur gleich ein warmes Nest gefunden hat!« meinte Huberta ganz besorgt. Herr Hausmann und die Knaben suchten nun vergebens in ihren Taschen nach einer Schnur, an der man das Tierchen hätte mitnehmen können, doch fanden sie nichts. Es war eine Seltenheit, daß in den Taschen der Knaben nicht eine solche zu finden war. Währenddem schnupperte der Gegenstand dieser Fürsorge noch einmal an einem jeden geschwinde herum, dann machte es ein paar Schritte rückwärts, und mit einem mächtigen Anlauf – hast du nicht gesehen! – war das Schluckerle wieder auf und davon und im Walde verschwunden.

»Oh, oh, oh!« schrieen ihm die Kinder nach. Aber Herr Hausmann meinte lachend, das sei doch so die beste Lösung. Das Tierlein habe scheint's doch die Seinigen gefunden, man dürfe sich wohl nimmer um es sorgen. Ganz erfüllt von ihrem neuesten Erlebnis, das mit einem Schlage den Kindern die schweren Gedanken vertrieben hatte, ging die kleine Gesellschaft eifrig redend den Berg hinan zum Schlosse. Das Rehlein hatte offenbar den Weg dahin gemacht, wohin es gehörte. Herrn Hausmanns Gedanken gingen aber noch weiter. Er dachte: Der, der selbst für so ein Tierlein sorgt, hat wohl noch viel bessere Gedanken und Absichten für die Witwe und für die vaterlosen Kinder.


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