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10

In allen Landen ringsum tob und braust der Aufruhr.

Bis in den Königlichen Wald dringt die Kunde, was in der Welt vorgeht, der und jener weiß etwas zu erzählen, der eine dies, der andere jenes; aber dass es einen entscheidenden Kampf gilt, darüber sind alle einig.

»Es kommt der Glaubenskrieg«, prophezeit der alte Uhrmacher-Soberl jedem, der es hören will. Manche glauben es, manche nicht. Und die Letzteren haben entschieden recht; denn der Glaubenskrieg hat vor mehr denn zweihundert Jahren gewütet, ganz Deutschland verwüstet und den Königlichen Wald unter die Pfandobrigkeit des Spaniers Don Martin de Hofhuerta gebracht. Wenn sich auch die Erinnerung an die Schreckenszeit noch erhalten, der Krieg kommt nimmer.

Es kommen Ziegelarbeiter heim aus Wien, die vor ein paar Wochen dorthin gewandert, um Arbeit und Verdienst zu finden. Sie sind wieder heim in den Wald, meist Weibsvolk und ältere Männer, und erzählen von dem Aufruhr. Was an jüngeren Mannsvolk ausgezogen, ist mit wenigen Ausnahmen nicht zurückgekehrt. Die »Nationalgard« braucht kräftige Fäuste.

In den Sitzweilen erzählen sie nun, wie es in der Wienerstadt steht.

»Sakra! Da möchte ich so einen oder zwei Tag mittun«, wünscht sich der Bartl und streift kampflustig die Hemdärmel über die sehnigen Arme hinauf.

»No, no!« zweifelt ein alter Ziegelschläger. »Würdest die Schneid bald verkauft haben … Im Anfang haben die Wiener auch Schneid gehabt, gar erst die Studenten. Sind dir sakrische Bürschel das! Aber wie der Windischgrätz angefangen hat, die Stadt auf einen Steinhaufen zusammenzuschießen, da sind sie schon dasiger worden. Wie es jetzt steht, weiß ich nicht; wir sind gleich abgepascht, wie die Kanonen zu summen angefangen haben.«

»Ein elendiger Verrat ist's gewesen«, behauptet ein anderer. »Ist ja geredet worden. Wie der Windischgrätz mit aller Wut in die Stadt hinein will, kommt ihm ein altes Weiblein entgegen und redet ab. Alle wären hin, hat sie gesagt. Und da ist er gleich umgekehrt und hat von den Höhen aus in die Stadt hineinbelfert.«

»Die Wetterhex!« entrüstet sich der Uhrmacher-Soberl. »So ein altes Ziefer! … Aber werdet es sehen, Leutl'n: Es kommt der Glaubenskrieg.«

Der Lenz schüttelt ungläubig den Kopf. »Sel hab ich nicht dafür«, zweifelt er entschieden. »Ich mein so: Bleiben die Aufrührerischen oben, nachher wird's besser, kommen sie z'unters, nachher kriegen wir noch eine schlechtere Zeit.«

»Was wir?« fällt ihm der Hannes ins Wort, sein zukünftiger Schwager. »Wir haben von jedem Kaiser das verbriefte Wort für unsere Freiheit.«

»Nur nicht auf das bauen!« warnt der Soberl. »Eine alte Prophezeiung sagt: Das Künische wird öd ohne Krieg und ohne Sterb. Wer weiß, wie es kommt.«

So reden und mutmaßen sie überall im Walde. Der Lenz wird von Tag zu Tag unruhiger. Sein ganzes Sinnen und Denken dreht sich jetzt nur um den Wald und seine Freiheit. Nur ab und zu kommt ihm ein Gedanke an die Sepherl. Er hat ihr unrecht getan, da er ihr so einen schweren Verdacht angeworfen. Sie wächst in seinen Augen zusehends an Schönheit des Körpers und der Seele; es drängt ihn oft, das Gehänge hinaufzusteigen und ihr abzubitten. Aber er hat keine Zeit dazu; jetzt nicht. Wenn die Welt wieder ruhiger geworden, wenn für den Wald keine Gefahr mehr vorhanden, dann will er den Gang unternehmen und nochmals nachfragen: Ja oder Nein? Er ist sich darüber klar geworden, dass er mit der Seebäuerin niemals hätte glücklich werden können, weil er nicht imstande ist, die Dirn auf die Dauer zu vergessen, so zu vergessen, wie er es als angetrauter Ehemann der Seebäuerin tun müsste. Was ihn damals angegangen, dass er sich mit der Witib so halb und halb versprochen, kann er sich nicht erklären; er hat auch nicht die Zeit, lange daran zu sinnen.

Öfter denn einmal ist er schon zum Gereuter gegangen. »Was meinst, dass wir tun sollen? Zuwarten oder auch mittun mit den anderen?«

Sie haben daraufhin unter den unbedingt verlässlichen Leuten geworben im Stillen und Geheimen, sie haben sich einiger anderer Richter vergewissert, aber doch auch wieder warnende Worte zu hören bekommen.

»Wir haben keine Ursach derweil, dass wir einen Aufruhr anfangen«, hat mehr denn einer gewarnt. »Kein Mensch noch hat unser Recht und unsere Freiheiten angegriffen. Die sind verbrieft und von allen Kaisern des römisch-deutschen Reiches bestätigt. Sie können uns nicht genommen werden, wenn wir nicht einen Anlass geben dazu. Und ein Aufruhr kunnt leicht als solcher genommen werden. Einmal ist's schon so gewesen … Also zuwarten, bis sie uns und unsere Freiheiten angreifen!«

Und weder er noch der Gereuter haben denen unrecht geben können.

So viel er auch sinnt, er kann noch kein unrecht Wörtlein finden an den Reden, trotzdem ein unbestimmtes Etwas in seiner Brust immer und immer wieder beißt und nagt und ihm ohne Unterlass zuflüstert: mit der alten Zeit geht es zu Ende.

Derweil knallen in den herrschaftlichen Wäldern ringsumher die Büchsen, und mutwillige Burschen singen es tagtäglich hinaus in die Lüfte:

»… Es gibt kein' Herrschaft und kein Jager mehr.
Das Schießen ist jetzt frei …«

Freilich geht auch bald der, bald ein anderer überlings ab, und wenn sie nach ihm suchen, liegt er irgendwo im Walde als ein Toter. Mit Blut und Tod haben sich die Herrschaften ihre Vorrechte erworben, mit Blut und Tod verteidigen sie dieselben.

So finden sie eines Tages auch den Nazi als einen Toten im Gefelse der Seewand. Es ist kein Schuss zu finden an ihm, kein Schrot, keine Kugel; er muss im währenden Steigen abgefallen sein und seinem Leben ein Ende gemacht haben. Die Kugelbüchse hält er noch als eine geladene in der Hand.

An seinem Grabe fließt kein Tränlein. Wer sollte um den Nazi auch weinen? Die Seebäuerin leicht, seine Schwester? Oder der Wolferl? Der Wolferl flennt höchstens im Zorne, sonst nicht, und die Seebäuerin wähnt nicht die geringste Ursache zu haben dazu. Nur der alte Wolferl starrt dem Buben nach in die Grube, in seinem Auge glänzt ein feuchter Schimmer, und ein über das andere Mal betet er halblaut: »Der Herr gib ihm die ewige Ruh, und das ewige Licht leuchte ihm!«

Den Tag nach dieser Leiche macht sich der Lenz auf den Weg nach Seewiesen zum Oberrichter. Er will auch dessen Meinung hören, obzwar er von vornherein nicht das größte Gewicht darauf legt.

Wie er um halben Vormittag die letzte Höhe hinabsteigt gegen den Oberrichterhof am Abhange des Brückels, sieht er auf dem Felde vor dem Hofe eine Menge Leute herumstehen und herumjagen.

»Die rüsten schon zum Aufruhr!« Das ist sein erster Gedanke, und gleich darauf hätte er eine Juhschrei hinüber senden mögen über das hochgelegene, wellige Gefilde. Der Oberrichter erfährt alles zuerst, aus der ersten Hand, und wenn er rüsten lässt, muss er seine Gründe haben dafür.

Als er den Hof durchschreitet, lehnt der Oberrichter am Gartenzaune, neben ihm sein Schreiber, und beide sehen dem Treiben auf dem Felde zu, von Zeit zu Zeit belustigt lächelnd.

»Ihr rüstet also auch schon?« fragt der Lenz hastig.

»Rüsten? Wie man's nimmt«, antwortet der Oberrichter wichtig. »Das wirst ja wissen, was für eine Verpflichtung wir von alters her haben: Wir müssen die Landesmarkung bewachen. Und da lass ich halt unsere Leut von einigen altgedienten Korporalen ein bissel einexerzieren. Wenn sich ein Feind an der Grenze zeigen täte, weißt, ein wenig aufhalten kunnten wir ihn doch.«

»Von der Seiten seid Ihr sicher«, sagt der Lenz enttäuscht darauf. »Von Bayern her kommt Euch kein Feind … Wie steht es sonst?«

»Nun, wie steht's denn? Der Rummel ist so viel wie vorüber. Der Kaiser hat anbefohlen, dass sich Abgeordnete des Bürgerstandes zu seinem Beirate um ihn versammeln sollen, und nachher hat er eine Staatsverfassung in Aussicht gestellt.«

»Und wie steht's mit uns? Wird uns niemand an unsere Rechte und Freiheiten tasten?«

»Ich mein nicht. Bis jetzt ist gar kein Anlass zu einer Sorg. Höchstens, dass … Aber schau nur gerad, wie Schwarm von den Hüttenleuten in einer strammen Reihe daherkommt!« wendet er sich jählings unterbrechend an den Schreiber. »So sind die Leute so kasig und schauen allweil aus, als wenn sie das bissel Mark in den Knochen alle Tag durch die Glasmacherpfeife bliesen, und bei der Gelegenheit stehen sie da wie die Tännlinge im Wald oben.«

»Schon«, lächelt der Schreiber. »In eine Ordnung sind sie zu bringen.«

Der Lenz fragt noch einige Male nach dem und dem, aber er erhält überall nur halbe und unbestimmte Antworten. Als das Glöcklein des Schürerhofes zum Mittagsgebet ruft und die Leute auseinander gehen, steigt er das Gehänge wieder hinan und wandert heimwärts. Er hat den Gang so viel wie umsonst gemacht …

»Dem Sakra ist nimmer zu trauen«, erbost sich der Gereuter, als ihm der Lenz später von dem Gange berichtet. »Der wird immer gewählt, bald seine Zeit um ist; für dasselb steh ich dir gut, und wenn das Oberrichteramt wieder nach Haydl zurück müsst.«

»Wer weiß, was die Zeit bringt«, zweifelt der Lenz. »Ich mein halt allweil, es geht zu End mit unseren Gerichten und mit unseren Gerechtsamen.«

*

Die Seebäuerin holzt ein Stück Waldes ab im Gehänge. Über den Grund strubeln und reden viele, aber sie können ihn nicht finden. Des Geldes wegen – das heißt, dass sie eine lästige Schuld drückte – brauchte sie es nicht zu tun; der Seehof steht nicht schlecht. Und gerade überständig ist das Holz auch noch nicht. Tatsache aber ist, dass sie mit ihren Leuten, mit Ehehalten und Inwohnern den Wald niederschlägt.

Wie Strohhalme liegen die Stämme durcheinander, kreuz und quer, die Sägen kreischen im Holze, und das Abhacken der Äste klingt weit hinaus über die Höhe.

Auch der Christel und die Sepherl müssen mittun. Sie sind Inhäusler wie die anderen, und was die Seebäuerin dem Pfarrer ehemals versprochen, daran denkt sie nimmer; sie will nimmer daran denken. So schaffen sie denn im Holzschlag.

Das ehedem so lebenslustige und aufgeräumte Dirnlein ist still und fast verschlossen geworden. Lange Zeit hat sie sich mit des Bruders Worten nicht recht befreunden können; der Lenz wollte ihr nicht aus dem Kopfe. Und von ihrem Glücke, das eigentlich kein rechtes mehr war, aber doch am Ende noch immer eins werden konnte, von dem wollte sie auch nicht lassen. Wer würde leichten Handels auf sein Glück verzichten und vergessen, ehe es nicht gerade sein muss?

Der alte Christel sah sein Kind mit immer größerer Besorgnis an. Was mochte ihm sein? Das Dirndl wurde von Tag zu Tag verzagter und bleicher.

»Herr Gottl!« flehte er oft. »Nimm mir mein Sepherl nicht! Was tät ich alter Scherben auf der Welt ohne das Dirndl? Oder nimm mich auch!«

Da kam die Arbeit im Holzschlag, und Sepherl wurde mutiger. Die frische Bergluft und die raue Arbeit taten ihr wohl; sie war auf dem Wege zum Vergessen. Von der und jener Seite flog ihr ein Scherzwort zu, ein bewundernder Blick, und sie lachte und scherzte auch.

Wer sie oben unter dem Baumgewirre stehen sah, den rechten Fuß und die Hacke auf einen Baumstumpf gestützt, die gekreuzten Arme auf den Hackenstiel gestaut, mit funkelnden Augen und wallendem Flachshaar, der musste unwillkürlich an die Walküren denken. Das Antlitz glühte von der Arbeit, und die kräftigen Arme hätten einen Panzer sprengen mögen. Hinter ihr stiegen die Hänge an wie ein Hausdach, und die Stämme lagen kreuz und quer darüber. Und vor ihr, tief, tief drunten, zog sich das Gebiet des Königlichen Waldes dahin, und daran schloss sich das ebene Land, das hinausreicht, bis wo der Himmel auf den bläulichen Bergzügen aufliegt.

»Sakra! So ein sauberes Weiberleut muss ins schon suchen um und um«, wunderte sich der Seebäuerin Großknecht öfter denn einmal. »Wenn sie nur nicht so hart wär wie ein Kiesfelsen!«

»Wir müssen ans Holz!« ermahnte der Christel. »Sel fällt nicht von selbst um … und nachher braucht die Bäuerin auch nicht zu sagen, wir werkten weniger als die anderen … Gelt! Sel schon!« Seit ihn vor Jahren ein fallender Baum niedergeworfen, war er nimmer recht hell im Kopfe. Die Ärzte hatten etwas von einer Gehirnerschütterung gesagt. Wer weiß, was es war; aber es haperte ein weniges in seinem Kopfe.

Sepherl wandte sich dann allemal um. Die Axt sauste nieder in das Holz, dass die Späne nur so herumstoben.

Das hat gar der Seebäuerin einige anerkennende Worte abgenötigt. Sie hat geredet mit ihr, als wenn zwischen ihnen zwei gar nichts vorgefallen wäre. Sie hat die Dirn ehzeit gehasst wie nur möglich, Liebe ist es noch nicht, das sie ihr entgegenbringt, aber sie sieht nicht mehr die Gegnerin in ihr, sondern vielmehr die Leidensgenossin. Denn dass der Hüttenbauer das Verhältnis wieder anknüpfen würde, ist seinem stolzen Sinne nicht zuzutrauen. Und sie? Die Dirn schaut ihr auch nicht danach aus; sie scheint zum mindesten ebenso gesetzt und stützig.

Anders die Sepherl. Sie hat das ernste, schier traurige Gesicht der Bäuerin schon einige Tage im Stillen beobachtet, sie hat erfahren, dass sich die Heiratsangelegenheit mit dem Hüttenbauer gespießt haben müsse, weil er nimmer in den Seehof käme, und Mitleid und Freude schleiche zu gleicher Zeit in ihre Brust. Sie weiß, wie hart das Missen und Entsagen ist, und dieserhalb dauert sie die junge Witib; sie denkt aber auch daran, dass sie dem Lenz doch noch ein bissel im Kopfe liegen und dass sich das Blatt langsam wenden könne. Daher die Freude, und die Hoffnung fängt wieder an zu sprießen wie ein kleines Pflänzlein.

So sinnt sie eines Abends, als sie sich zur Ruhe begeben, ihre Gedanken verfolgen auch noch im Traume die eingeschlagene Richtung und zaubern ihr das Glück vor, nach dem ihr Begehr: Rosmarin und Rosen.

Hoch aufgerichtet, fast trutzig, ein leichtes Lächeln um den Mund, schreitet sie des anderen Morgens dem Vater voraus, als sie die Hänge zu dem Holzschlage hinüber wandern. Sie redet und lacht wieder so lustig wie von ehe, und alle Trauer und Zagheit scheint von ihr gewichen zu sein.

Dem alten Christel schwillt das Herz vor Freude, als er sein Dirndl wieder so sieht. »Dank Gott!« sagt er zu sich selbst, »jetzt wird die Sepherl wieder gesund. Sie geht auch schon ganz anders daher, viel rescher.«

Mit dem Holze ist es heute ein schweres Arbeiten. Gestern Abend hat es geregnet, und gegen früh hat es sich ausgeheitert und im Bergwald oben gefroren. Der Boden ist hart, und die Bäume haben einen dünnen Eisüberzug, auf dem sie dahinfahren wie auf einem Glase.

»Sepherl, wir müssen achtgeben!« mahnt der Christel, als sie zu arbeiten anfangen. »Das Zeug rutscht wie geschmiert, und so ein Trumm Holz hat keinen Verstand. Leicht kunnt es uns einem ein Schienbein abschlagen.«

»Bis die Sonne heraufkommt über die Höhe, wird's besser«, tröstet ihn Sepherl. »Nachher zergeht das Eis, und wir können nochmals so flink arbeiten.«

»Sel schon«, nickt er, und sie machen sich an die Arbeit.

Kaum haben sie die Säge ordentlich eingeschnitten, schreit oben schon der Seebäuerin Großknecht: »Christel, aufgeschaut! Es kommt einer.«

Sepherl reißt schnell die Säge aus dem Baume und springt zur Seite, ihr Vater lässt die Holzschuhe stehen und flüchtet hinter einen noch stehenden Baum.

Da fährt er schon hart an ihnen vorbei. Ein ungeschnittener und glatt ausgeästeter Baumstamm ist es. Er ist quer über die anderen hinüber gelegen, und als sie an ihm gerüttelt, war er abgefahren. Donnernd und polternd fährt er den Holzschlag hinab. Ungefähr in der Mitte desselben stößt er mit dem Wipfel an einen anderen Baum. Ein Krach, in weitem Bogen fliegt ein Stück des Wipfels davon; aber das übrige Ende fährt weiter. Unten wühlt er sich mit dem abgebrochenen Ende in einen Erdhügel, dass Steine und Erde nur so herum stieben.

Sie hatten ihm nachgesehen, bis er stak.

»Was so ein Holz für eine Kraft hat!« staunt der Christel. »Zu Brei zerdrückte es ein Leut, käm es ihm in den Weg … Dirndl, da heißt es aufschauen!«

Sie arbeiten weiter, aber es will nicht recht schlaunen. Bald poltert hier, bald dort einer der gewaltigen Waldesriesen zu Tale. Sie müssen in der Arbeit inne halten und zusehen, dass die ihm nicht in den Weg kommen. Und so vergeht die Zeit.

Als sie wieder so nachsehen, gewahrt Sepherl die Seebäuerin und ihre Kleindirn nicht weit unterhalb ihres Arbeitsplatzes, die dort die abgehackten Tannenäste zusammen schleppen zu Haufen als Streu für das Vieh. Ein unchristlicher Gedanke fährt ihr jählings durch den Kopf. Wenn so ein Stamm die Bäuerin träfe! Sie schüttelt unwillkürlich den Kopf, sie beginnt ein Liedlein vor sich hinzuträllern, aber der Gedanke lässt sich nicht verscheuchen … Sicher wäre sicher, und die Seebäuerin wird gewiss auch sinnen und strubeln, wie sie den Lenz wieder zu sich zurückbringen könne. Gutwillig gibt keine auf, was ihr so nahe geht, und warum sollte die junge Witib anders denken als sie?

»Aufgeschaut!« schallt es von oben.

Der Christel springt zur Seite und stellt sich wieder hinter einen schützenden Baum. Sepherl sieht den Stamm herunterschießen.

»Bäuerin, aufgeschaut!« schreit sie; aber die Seebäuerin kümmert sich nicht um den Schrei. »Bäuerin, der Baum!« warnt sie nochmals; auch wieder, ohne gehört zu werden. Donnernd poltert der Baum daher. Der böse Gedanke meldet sich wieder in ihrem Kopfe: ihr Glück! Aber im selben Augenblicke hat sie schon einen Wagbaum erfasst und stellt sich dem unheilbringenden Holze entgegen. Daran sollte er abweichen und eine andere Richtung einschlagen.

»Sepherl!« schreit der Christel. »Sepherl, renn!«

Schon poltert er herbei, nun ist er zur Hälfte weg, da stößt ein Aststummel an den Wagbaum, den die Dirn aus Leibeskräften dem Baum in die Seite stemmt, ein greller Schrei, und der Baum poltert weiter.

In wilden Sätzen stürzt der Christel herbei. »Sepherl, mein Sepherl!« schreit er und reißt die am Boden Liegende empor. Ein Blutstrom quillt aus ihrem Munde, aus der Nase und aus den Ohren. Sie sinkt wieder zurück auf den hart gefrorenen Boden.

»Sepherl, mein Sepherl!«

Die Leute eilen zusammen. Atemlos kommen sie heran gelaufen. »Was ist geschehen? Was ist dem Dirndl zugestoßen? Hat sie der Baum erwischt?« So fragen sie durcheinander.

Auch die Seebäuerin kommt daher gerannt. Stieren Blickes tritt ihr der Christel entgegen. »Du, du, geh mir weg von meinem Dirndl! … Dich hat sie wollen retten, und jetzt liegt sie da als eine Tote … Sepherl, mein Sepherl!«

Die Knechte holen in ihren Hüten kaltes Wasser aus dem Bache, der mitten durch den Holzschlag niederrauscht ins Tal. Wie die Rehe setzen sie über das wirre Gestämme. Man wäscht die Dirn, man versucht dies und jenes; Sepherl rührt und regt sich nimmer.

»Ferdl! Renn, was du kannst, und bring den Hüttenbauern, den Bader!« schafft die Seebäuerin dem Kleinknechte. »Ins Seehäusel … hörst, ins Seehäusel soll er kommen. Aber renn, so viel zu kannst.«

»Und den Pfarrer?« erinnert die Gregerin, die mit dem Kleinknechte arbeitet. »Der ist ja auch gar ihr Bruder.«

Die Bäuerin wendet sich an den Drittler. »Girgl, du rennst um den Pfarrer!« befiehlt sie dem. »Er soll sich eilen und alles mitnehmen, was er bei einem Versehgang braucht.«

Die Knechte stürmen die Hänge hinunter über Stock und Stein; es ist kein bissel Zeit zu versäumen.

Derweilen binden der Großknecht und die Gregerin eine Bahre zusammen aus halbschüssigen Stämmchen und legen frischgrünes Tannengeäste darüber. Auf diese legen sie das Dirndl, und der Knecht und die drei Weiberleute, die Gregerin, die Bäuerin und die Großdirn tragen es hinüber ins Seehäusel.

Der alte Christel lässt Werkzeug und Holzschuhe stehen und wankt der Bahre nach. »Sepherl, mein Sepherl! … Herr, erbarme dich ihrer! … Du rotgoldenes Herrgottl! Ich wär auch noch da; vergiss auf mich nicht …« So schreit und jammert er in einem Atem.

»Er ist jetzt ein ganzer Narr geworden«, raunt der Großknecht der Bäuerin zu.

»Und es kann's ihm eins auch nicht verdenken«, meint die Gregerin. »Mein Gott, so ein Schreck!«

*

Durch die kleinen Fenster des Häuschens strahlt die Vormittagssonne. Über die blanken Dielen flimmern ihre Strahlen und um die auf dem Tische stehende Flasche mit Wolferleisaft. In den Kanten des Glases brechen sich die Strahlen und irren in der Stube umher, und einer zittert auch über dem Marienbilde an der Wand, vor dem Sepherl einmal um des Hüttenbauern Gesund gebetet.

Nun liegt sie im Bette, wohin man sie gelegt, starr und leblos, die Augen halb geöffnet und das blasse Gesicht umrahmt von dem vollen, flachsfarbenen Haare.

Die Weiber hatten allerlei Wiederbelebungsversuche angestellt, doch ohne Erfolg. Während der alte Christel auf der Ofenbank lauert und in einem Atem jammert und ruft, stehen sie um die Bettstatt her und reden halblaut beisammen.

»Sie wird ein gutes Örtel haben im Himmel«, mutmaßt die Gregerin. »Wenn sie auch überlings einen jähen Tod genommen und die letzte Ölung erhalten hat, sie hat das Unglück von dir abgewendet, Bäuerin, und sel kann der Herrgott nicht im Bösen aufrechnen.«

»Mein Gott, ja!« gibt die Seebäuerin zu. »So viel Gutheit hab ich nicht verdient um sie … ich nicht. Vergelt's Gott! … Schad um das Leut! So schön, so schön, wie sie daliegt, und sie muss so einen Tod nehmen.«

»Gelt«, stimmt die Großdirn zu. »Für das Dirndl ist wohl gesorgt; aber der Christel erbarmt mich. Er wird sich jetzt nicht zu raten und zu helfen wissen.«

»Er muss halt zum Pfarrer hinab ziehen.«

Die Seebäuerin wischt sich ein Tränlein aus dem Auge. Mit einem Male sieht sie sich wie im Spiegel, und sie kommt sich so elend vor und so verworfen gegenüber der armen Dirn, die ihr Leben lang nicht viel mehr gehabt als ihre Schönheit und ihr Leben.

Derweil tritt der Pfarrer ein, gibt mit dem Hochwürdigsten, das er als Wegzehrung mitgenommen, den Segen und tritt nachher an das Bett. Aber gleich darauf legt er den Hostienbehälter auf den Tisch, kniet vor der Bettstatt nieder und betet. Mehr kann er nicht mehr tun. Das Wehtum, das ihn angeht, schluckt und presst er hinunter; es ist seine Schwester, aber er will sich nicht weich zeigen. Er hat es schon so in der Gewohnheit: immer und allweg der ruhige, ernste Mann, den kein irdisch Geschick anficht, und wenn es auch in seiner Brust drückt und schmerzt, die Welt braucht es nicht zu wissen.

Als er gebetet, setzt er sich zu seinem Vater auf die Ofenbank, legt seine schmalen, feinen Hände auf dessen grobe, raue und sieht ihm wehmütig in die Augen. »Vater! Der Herr hat's gegeben, der Herr hat's genommen: sein Wille geschehe allweg!« Das ist sein Trostwort; aber der Alte kann es nicht fassen.

»Sepherl, mein Sepherl!«

Schwere, hastige Schritte poltern im Hausflötz, und gleich darauf fliegt die Türe auf, dass sie ächzt und zittert.

Es kommt der Lenz, sein ganzes Verbandszeug und das meiste, was er an Hilfsmitteln für solche Fälle hat, mit sich führend. Seine Augen haften an der Bettstatt, während er noch nach Atem ringt.

»Lebt sie noch?«

Aber keines hat Zeit gefunden, eine Antwort darauf zu geben, so ist er schon dort und hält die kühle Hand in der seinen. Ein dumpfes, heiseres Gröhlen entringt sich seiner Brust, die Hand der Toten entgleitet ihm und fällt nieder auf das Kissen. Als ob die Knochen zusammenknickten in seinem Rückgrate, so sinkt er in sich zusammen.

Auf die Bettstatt gestützt, starrt ihn die Seebäuerin mit weit aufgerissenen Augen an. Ihr Herzschlag stockt einige Augenblicke, und alle Selbsterkenntnis ist wie weggeblasen. So gern hat er also die gehabt … so gern?

Der Pfarrer nimmt den Lenz am Arme und zieht ihn hinaus. »Richter«, sagt er zu ihm, »hier ist alle menschliche Kunst am Ende. Ein Totes kann nimmer lebendig gemacht werden.« Er hat die Seebäuerin beobachtet, er will ihr den Verzweifelnden aus den Augen bringen, er will ihn trösten.

Draußen vor der Türe drückt er den starken Mann wie ein kraftloses Kind auf die Gredbank und setzt sich neben ihn. »Richter, seid ein Mann!« redet er ihm zu. »Ich weiß, was ihr einander waret trotz des Zerwürfnisses, und hätte ich es nicht gewusst, der Augenblick hätte es mir geoffenbart. Er hat es aber auch anderen gezeigt, die es nicht hätten zu wissen gebraucht … Darum sag ich noch einmal: Richter, seid ein Mann, und nehmet und traget Gottes Schickung als ein solcher!«

Der Lenz hebt den tief auf die breite Brust niedergesunkenen Kopf und schüttelt ihn eine Weile. Die Augenbrauen ziehen sich finster zusammen, und über das Gesicht lagert sich ein Zug fast verächtlichen Trotzes. »Es ist nichts, … es ist nichts mehr. Es ist schon vorbei. Gerad nur so ein Anfall ist's gewesen … Ja, Hochwürden, Herr Pfarrer, es hat mich in der Tat schon angegriffen … aber es ist vorbei. Gerad so, wie wenn ein gacher Windstoß von einem Tännling den Wipfel abbricht. Ein Vaterunser lang dauert es, und nachher … nachher rührt den Stumpen keine Gewalt mehr.« Hart und rau kommen die Worte heraus, wie wenn eines ein Stück ums andere losbricht von einer Felswand.

Der Pfarrer sieht ihn erschrocken an. »Richter, Ihr frevelt schier«, tadelt er. »Das ist nicht die rechte Fassung, das ist … das ist …« Er findet nicht die richtige Bezeichnung für die Stimmung. »Gehet heim, und in währendem Gehen betrachtet das bittere Leiden Christi, unseres Herrn, und denket: Doch nicht mein, sondern dein Wille geschehe … Über des Höchsten Ratschluss kann keines hinaus, und welches vernünftige Kind setzt der Anordnung des Vaters sündigen Trotz entgegen?«

Der Lenz steht auf von dem Bänkchen. »Ja, Hochwürden, es ist am besten, wenn ich heimgehe. Was kann ich hier nützen? Was geschehen hat wollen, ist geschehen, und was hat der Lenz mehr zu wollen? …

Gerad mein Werkzeug hol ich mir noch aus der Stube … sonst nichts. Es wird auf dem Bett wo liegen.«

»Ich bring es Euch heraus«, erbietet sich der Pfarrer.

»Sel nicht … sel ist gar nicht notwendig«, wehrt der Lenz ab. »Ich hol mir's schon selbst … Ihr braucht Euch nimmer zu fürchten, dass es mich wieder angeht. Ich bin ja doch ein Männerleut.« Mit einem heiseren Auflachen wendet er sich der Türe zu.

Der Pfarrer will ihm folgen, aber unter der Türe besinnt er sich und kehrt wieder um.

Derweil nimmt der Lenz das Bündel vom Bette, worauf es ihm im jähen Schreck gefallen. Einen langen Blick wirft er noch auf das blasse Gesicht der Toten, dann macht er ein Kreuz darüber und wendet sich ab.

Die Seebäuerin tritt ihm entgegen. Nach dem vorhin Gemerkten kann sie das ruhige Gehaben des Menschen gar nicht begreifen. Verstellt er sich nur? »Musst schon nicht zornig sein, dass wir dich herauf gesprengt haben«, redet sie ihn an, gerade nur, um etwas zu sagen. »In dem Schrecken und dem Durcheinander haben wir gar kein Darandenken gehabt, dass sie schon ganz tot sein kunnt. Wie gach das gangen ist!«

»Was redest denn!« weist er die Zumutung zurück. »Ich bin noch überall hingegangen, wo es sein hat müssen, oft auch, wo es nicht hätt sein müssen.« Er wendet sich ab und verlässt die Stube.

»Richter, folgt mir und trachtet, dass Ihr einen anderen Sinn kriegt!« ermahnt ihn der Pfarrer noch einmal. Es tut nicht gut so. Der Weg, auf den Ihr jetzt abgesprungen, ist der rechte nicht.«

Der Lenz nickt nur. Dann stapft er den Anger hinaus. Aber in währendem Gehen fährt es ihm durch den Sinn: Wenn mir ein Pflug nicht ackert auf meinem Feld, gerad nur auf denen anderer Leute, wenn mir ein Werkzeug und eine Kunst nicht retten kann, was mein ist …ich brauch es nicht. Keinen Handgriff tu ich mehr.

Mit aller Wucht schleudert er das Bündel gegen einen Steinhaufen, dass die Scherben klirren.

*

Hochwürden, Ihr müsst heimgehen!« erinnert die Gregerin den Pfarrer, als sie um halben Nachmittag herum der toten Sepherl ihr Sonntagsgewand angezogen, sie auf ein Brett gelegt und ihr einen Kranz von immergrünen Preißelbeerkraut in das flachsfarbene Haar geflochten. »Wenn wo eins krank würde in der Nacht und wenn sie Euch holen wollten, wer wüsste, dass Ihr im Seehäusel seid? Und oft geht es eins so gach und unverhofft an.«

»Ja, ja. Es wird sein müssen«, gibt der Pfarrer zu. »Seiner Pflicht muss der Mensch unter allen Verhältnissen nachkommen. Morgen nach der Messe bin ich wieder heroben.«

Er nimmt den aus Strohähren gebundenen Sprengwedel aus dem zu Häupten der Toten neben dem flackernden Schmalzlicht stehenden Weihbrunnglase, sprengt ein paar Tropfen über das Gesicht der verschiedenen Schwester und betet noch ein Vaterunser. Dann geht er. Er hat eine verantwortliche Stellung, und wenn überlings eines der christlichen Wegzehrung bedürfte … Er muss gehen.

Auch die Seebäuerin geht bald danach heim. Die Dirnen hat sie schon gegen Mittag heimgeschickt, ihrer Arbeit zu obliegen. Nur sie und die Gregerin sind geblieben, die Tote in Ordnung zu bringen. Das ist nun geschehen.

Aber die Gregerin bleibt noch da. Der alte Mann ist ganz außer sich, und er weiß sich nicht zu helfen. Das Vieh will gefüttert werden zum Abend, und wenn der Christel ein Tröpflein warme Suppe in den Magen kriegt, wird es ihm auch gut tun. Und in Zeiten der Not muss eins dem andern helfen um Gottes willen. »Schau, dass meine Kinder auch ein Nachtsüpplein kriegen, dass sie in Ordnung zur Ruhe kommen und dass die Kuh ihr gehöriges kriegt«, trägt sie der Bäuerin auf. »Leicht kunnt die Kleindirn über Nacht bei den Kindern bleiben. Eins muss da sein bei dem Manne.«

»Brauchst keine Sorg zu haben!« sagt die Seebäuerin zu und geht. Wie sie zu ihrem Hofe hinunter kommt, weiß sie diesmal selbst nicht. Die Tote und der Hüttenbauer kommen ihr nicht aus dem Kopfe …

Die Gregerin füttert des Christels Vieh und kocht ihm eine Suppe; aber der isst keinen Tropfen. Regungslos sitzt er auf der Ofenbank und starrt nach dem toten Kinde.

Bei anbrechender Dunkelheit kommen die Leute herbei zur Totenwache. Es ist so der Brauch im Walde, und wenn eins über eine halbe Stunde zu gehen hat in der Finster, es geht.

Halblaut mitsammen redend, sitzen sie beisammen, und die Gregerin muss immer und immer wieder den Hergang erzählen.

»Was einem aufgesetzt ist von der Geburt aus, dem kommt es nicht aus, und wenn es sich hin oder her wendet«, behauptet der Uhrmacher-Soberl. »Sel ist so gewiss wie das Amen im Gebet.«

»Und was das Dirndl für ein Glück hätt machen können«, erzählt die Gregerin. »Was ich mit eigenen Augen seh, sel streitet mir keines ab. Wie der Richter derkommen ist, wie er sie als eine Tote g'funden hat, und wie grauslich er geseufzt hat! Ich hab's gesehen, und ich hab mir's denkt: dem hat die Stund das Herz brochen. Wie müssen da zwei stehen?«

»Das hätt kein Mensch nicht gemutmaßt«, meint der Sterl. »Auf die Weis' hätt das Dirndl schon von Glück reden können. Der Hüttenhof ist einer der besten im ganzen Gericht …«

»Wie ich halt sag: Wie es einem aufgesetzt ist, so kommt's«, beharrt der Uhrmacher bei seiner Ansicht. »Wenn einer zur Joppen geboren ist, der kommt zu keinem Bower, und wenn er das Tuch dazu schon unterm Arm trägt, so verliert er's wieder.«

Gegen Mitternacht fangen sie den Rosenkranz zu beten an. Der Uhrmacher betet vor; er hat eine gute Aussprach und versteht sich darauf. Nachher gehen alle heim. Nur einige Männer haben bleiben wollen.

»Wir bleiben da«, haben sie gesagt. »Es ist so scheusam in einem Hause, wo ein Totes liegt. Und du bist allein, Christel. Wir bleiben bei dir, bis der Tag kommt.«

»Geht nur heim!« lehnt der ab. »Die Gregerin soll auch heimgehen, sie hat Kinder daheim. Zwegen was müsstet ihr dableiben? … Mein Sepherl hat mich als eine Lebende allweg gern gehabt … Die tät mir als eine Tote schon gar nichts. Ich fürcht mich nicht. Geht nur alle heim!«

Da er es haben will, gehen sie.

Noch eine gute Weile hockt der Christel auf der Ofenbank und starrt nach dem flackernden Totenlicht. Dann rafft er sich auf und geht zu seinem Kinde. Vor der Leiche kniet er sich nieder und flennt wie ein kleines Kind. »Sepherl, mein Sepherl! Zwegen was bist denn fortgangen von mir und hast mich im Stich gelassen? … Sepherl, mein Sepherl!«

Als ein leichter Schein am Morgenhimmel den anbrechenden Tag verkündet, geht er in den Stall, bindet das Gevieh los und treibt es hinaus. Es will noch nicht aus dem Stalle, aber treibt es mit Hieben vom Hause weg. Dann holt er einen Span hinter dem Ofen hervor, zündet ihn am Totenlichte an und geht damit auf den Boden …

Als die Leute im Tale aufstehen zum neuen Tagewerke, sehen sie oben im Gehänge ein Feuer brennen.

»Das ist der Seebäuerin oberes Inhäusel«, errieten die meisten sofort. »Der Alte ist ganz verrückt worden und wird mit dem Lichte unvorsichtig umgangen sein. Man hätt' ihn sollen nicht allein lassen.«

Viele eilen hinauf. Aber als sie oben ankommen, ist es helllichter Tag, und nur ein Haufen glimmender Asche liegt an der Stelle, wo das Häuslein gestanden.

Und darunter liegen der Christel und sein Sepherl.


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