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7

Es ist am Frauentag in der Mitte des Erntemondes nach dem Mittagessen.

Mit einer sonderbaren Hast fährt der Lenz in seine Wadenstiefel, hängt die Joppe über die Schultern, drückt den breitkrämpigen Filzhut auf den Kopf und langt nach dem Stecken.

»Wo gehst denn hin?« fragt Philomene. Sie hat es schon im Gebrauche, zu fragen, wenn der Bruder fortgeht, ohne selbst zu sagen, wohin.

»Nicht weit«, bedeutet er nur und verlässt die Stube.

Sie eilt ihm nach, und in dem Hausflur hält sie ihn zurück. »Lenz, gehst leicht ins Seehäusel hinauf zur Sepherl?«

»Ja. Wienach weißt denn das?«

»Ich weiß es, Lenz, ich weiß es … Mach dem Dirndl keine Vorwürf von wegen dem, was die Seebäuerin gesagt hat! Wer weiß, was dahinter ist? Das Dirndl ist recht«, flüstert sie ihm bittend zu.

»Meinst, dass ich auf der Seebäuerin ihren Tratsch was geb?« lacht er gezwungen. »Gewissheit will ich haben, Gewissheit, sonst nichts. Und ich kann's verlangen und verlang es, dass sich eine, die Hüttenbäuerin werden soll, nicht mit so einem Flanken abgibt. Ob sie was hat oder nicht, auf das pfeif ich. – Über sel bin ich im Reinen.«

»Lenz! Bleib daheim, lass mich gehen!« bittet Philomene. »Du bist zu viel aufgebracht. Ein paar Wort, und ihr seid so wie so übers Kreuz. Und es trifft euch all zwei.«

»Sorg dich nicht!« beruhigt er sie und geht.

Lässig schlendert er über das Gefilde dahin, und an seiner Feldmark steigt er entlang des mit Stauden bewachsenen Raines bergauf, um dem Seehof auszuweichen. Es soll ihn niemand sehen, niemand merken, wohin er geht.

Er hatte eigentlich gleich denselben Tag gehen wollen, wie die Seebäuerin in seiner Stube ihre Sorge erzählt und berichtet. Aber er war bis heute nicht dazu gekommen. Erstlich gibt es in einem Bauernhofe unter der Woche der Arbeit genug, dass einer oft nicht recht abkommen kann, und dann hatte er sich Gewalt angetan. Sein Vater hatte ihm mehr denn einmal eingeschärft: In der Hitz musst nichts anfangen; da macht einer oft das Übel ärger. Alles mit kaltem Kopf! Und er hatte sich Zeit gelassen. In mehr denn acht Tagen kann der hitzigste Kopf auskühlen.

Aber in seiner Brust krabbelt und kneipt es doch, wenn er an die Rede der Seebäuerin denkt, und seine Finger krampfen sich unwillkürlich zusammen. Wenn sie gelogen oder aus einer Mücke einen Waldstier gemacht, wie es ja häufig vorkommt? Nach einigen Worten kann er darüber im Reinen sein; die Sepherl ist auf keinen Fall so schlecht, dass sie sich nicht verraten würde, dass sie treuherzigen Gesichtes eine Lüge herausbringt. Aber wenn … Ja, dann gibt's ein Unglück, so ist ihm schon.

Als er den Wald erreicht im Gehänge, ist auch diese Hitze verflogen. Wozu ein Unglück? Wozu eines Weiberleuts wegen eine Dummheit machen. Das stünde dafür! Er, allweil so besonnen und überlegt, in dem Alter so einen Unsinn anfangen!

Aber nein, es kann nicht sein. Die Sepherl ist ein viel zu ehrliches Leut, als dass sie so ein schuftiges Doppelspiel triebe. Die Philomene hat auch gesagt, das Dirndl ist recht. Wenn sie keinen Grund hätte, würde sie es nicht sagen … Und nachher, wenn alles in der Ordnung ist, will er sich Gewissheit holen: Ja oder nein.

Von den jenseitigen Hängen herüber schallt ein kecker Juchzer, und gleich darauf singt einer ein Lied hinaus in die schon herbstlich klaren Lüfte. Lenz kann die Worte nicht verstehen, aber die Weise kennt er, und von der schließt er auf das Lied.

»… Ein bissel Lieb, ein bissel Treu,
Ein bissel Falschheit ist üb'rall dabei …«

Am Waldsaume, wo sich der Weg gabelt, wo ein Steig über die Lichtung hinüberführt zu des Seebauern oberen Inhäusel und der andere neben dem brausenden Seebache hinauf zum See, bleibt er unschlüssig stehen. Soll er gleich hinauf zum See? Sie wird wahrscheinlich wieder oben sitzen am Ufer wie immer. Nein, er will warten auf sie, wenn sie nicht daheim ist, will sie fragen und nachher anhalten um sie bei ihrem Vater, wie es der Brauch ist im Walde seit jeher. Wenn er, der Richter, schon nicht den alten Brauch einhält, wer sollte es denn?

So stapft er sinnend hinüber zum Häusel.

Die Haustüre ist offen; entweder ist sie noch daheim oder ihr Vater. Unruhig pochenden Herzens tritt er ein. Nicht, dass er zagt; aber es ist immerhin eine eigentümliche Sache um so einen entscheidenden Schritt, und wenn einer so lange gewartet damit wie er, dann fällt er doppelt schwer. Ah was! Sein muss es ja doch einmal, und wenn's vorbei ist, ist's geschehen.

Hastig drückt er die Stubentüre auf; aber er macht sie nimmer zu. Wie vom Schlage getroffen, bleibt er unter der Türe stehen. Sein Gesicht wird erdfahl, vor seinen Augen beginnt es zu flimmern, und der Stecken fällt ihm aus der Hand.

Die Seebäuerin hat nicht gelogen. Der Nazi ist da, hält die Dirn in den Armen und drückt ihr gerade einen schnalzenden Schmatz auf den Mund, wie er die Tür öffnet. Sepherl stößt einen gellen Schrei aus und schleudert den Menschen von sich, und einige Augenblicke steht der Lenz vor ihm, packt ihn mit aller Kraft an den Oberarmen, hebt ihn hoch in die Höhe und setzt ihn auf den Schragen nieder, dass der durchbricht.

Mit einem jähen Rucke wendet er sich nachher ab, hebt seinen Stecken auf von den Dielen und geht hinaus.

Sepherl ist während dem dagestanden in der Stube wie eine Hölzerne. Kein Gedanke hat sich geregt in ihrem Gehirn; gar der Puls hat nur ein paar unregelmäßige Schläge getan. Aber wie sie den Richter gehen sieht, ohne dass er ein Wort sagt zu ihr oder sie nur mit einem Auge anschaut, kommt das Leben wieder. Mit einem Satze schier ist sie hinter ihm drein und klammert sich an seinen Arm.

»Lenz!« fleht sie. »Lenz, denk nichts Schlechtes von mir!«

»Ich hab kein Recht nimmer dazu«, stößt er rau und heiser heraus. »Was geht's mich an?«

»Lenz! Ich hab mich seiner nicht erwehren können. Ja, wenn ich so stark wär wie du! Sei nicht zornig!«

Er schüttelt unwillig den Kopf. »Was geht's mich an? Sei nur du nicht zornig, dass ich euch irr gemacht hab!«

»Lenz! Um Gottes willen, wofür schaust mich denn an? Lass dir doch sagen …«

»Spar deine Red!« herrscht er sie grob an. »Eine, die sich eines solchen Lumpen nicht zu erwehren weiß, die … kommt nicht als Bäuerin auf den Hüttenhof. So! Und jetzt weiß es ein jedes, wie es daran ist.«

Er schüttelt sie ab wie eine Flaumfeder, stößt den Stecken wuchtig in die Erde und schreitet dem Walde zu. Ein bisher nie gekanntes Schmerzgefühl wühlt in seiner Brust, und daneben bäumt sich ein wilder, unbändiger Trotz. Er ist nach wie vor der Hüttenbauer und der Richter im hiesigen Gerichte des königlichen Waldes. Und so eine Dirn! Wegen der soll er sich Grillen in den Kopf kommen lassen?

Ein armdickes Fichtenbäumchen, das der Schnee im vergangenen Winter niedergebeugt und das sich nimmer aufrichten konnte, streift seinen Hut. Voll Grimm und Zorn packt er es mit beiden Händen und bricht es ab. Dann schreitet er wieder weiter, das Gehänge hinab. Der Zorn und Trotz reißen und zucken an seinen Flechsen, und die Finger krampfen sich oft um den Stecken, dass die Glieder knacken. Er, der niemals noch einem Hühnchen etwas getan, heute wäre er aufgelegt zum Raufen, zu allem.

Ein trotziger, herausfordernder Juhschrei löst sich von seiner Brust, aber er schafft keine Erleichterung.

Wie er zu seinem Hofe gekommen, weiß er selbst nicht recht, aber ehe er daran denkt und sich dessen gewahr wird, steht er auf der Gred, und der Gereuter, der neben Philomene und der Großdirn auf dem Bankel sitzt, schreit ihn an: »Verzwirnt übereinander! Heut schaust aber drein, dass sich einer frei fürchten kunnt.«

»Wird nicht gar so arg sein«, versucht er zu lächeln; aber nur wie Spott zuckt es um seinen Mund. »Ein bissel Ärger schadet übrigens gar nicht, hat mein Lehrmeister gesagt. Er bringt das faule Blut wieder in Lauf. … Und so einen Durst, was ich heut hab!«

»Ich auch!« nickt der Gereuter. »Gehst leicht mit auf eine Halbe oder zwei?«

»Schon. Meinetwegen gleich. Ob ich einmal daheim bin beim Füttern oder nicht; es ist ehzeit auch gangen, wie ich krank gewesen bin.« Es beginnt wieder zu zucken in seinen Armen, als er daran denkt, wie er oben gelegen in der Seebäuerin oberem Inhäusel als ein Halbtoter … und jetzt? Das falsche Leut!

Der Gereuter hebt sich, und sie gehen den Anger hinüber. Philomene sieht ihnen besorgten Blickes nach. Sie hat es an seiner Rede, an seinem ganzen Gehaben bemerkt, dass es etwas gegeben hat, dass sich die beiden entzweit und dass den Bruder heute Zorn und Ärger beherrschen. Aber in Gegenwart des Gereuter und der Dirn konnte sie ihn nicht fragen darum …

Am Himmel steigt schon der junge Tag empor, als der Lenz endlich heimkommt aus dem Wirtshause. Er hat seinen Zorn und Groll hinunter geschwemmt, dafür aber im Kopfe ein lästiges Übergewicht bekommen. Er singt und jubelt wie närrisch, lässt ein Trutzliedel um das andere los, und kein vernünftiges Wort ist mit ihm zu reden.

Philomene nötigt ihn zu Bette, und als er gen Mittag wieder aufsteht, schleicht er umher wie ein krankes Hühnchen. Der übermäßigen Erregung und dem schier tollen Biergenusse ist eine körperliche und seelische Abspannung und Ermüdung gefolgt. Er beginnt einzusehen, dass er ein rechter Narr gewesen. Auch der Vorfall im Seehäusel beginnt ihm in milderem Lichte zu erscheinen. Vielleicht hatte die Sepherl doch weniger Schuld als er in der Hitze angenommen. Es darf sie gerade nur der Lump überrumpelt haben, und trotzdem sie ein starkes Leut ist, einem Männerleut ist sie an Kraft doch nicht gewachsen.

»Aber nein! Aber nein!« murrt er vor sich hin und sucht sich eine Arbeit.

*

»Hat's geraten?« fragt die Seebäuerin den Nazi, als der gegen Abend daher geschlichen kommt.

»Wie gewunschen«, grinst der und schiebt den Hut zurück ins Genack. »Aber du bist mir ein feiner Vogel … ein feiner Vogel! Hab allweil vermeint, ich bin schon schlau, aber ich bin auf den Leim gegangen wie ein Gimpel. Erst nach geschehenen Dingen ist mir ein Licht aufgangen …«

»Was denn für eins?« fragt sie vergnüglich lachend.

»Zum Narren tätst mich auch gern halten, nachdem ich dir den Bummerl gemacht hab?« ärgert sich der Nazi. »Und ob du leugnest oder nicht, ich weiß es. Um den Hüttenbauern ist's dir gewesen, nicht um andere Inleut, die auf die Arbeit gehen, gelt?«

»Sel ist gerad meine Sach«, entgegnet sie schnippisch. »Ich hab dir gesagt, du sollst es tun, ich zahl dich dafür, und das andere, mein ich, geht dich nichts an.«

»Wie viel krieg ich denn nachher für den Gefallen?« fragt er hämisch lächelnd.

»Mit einem Gulden, mein ich, ist der Gang zahlt genug.«

»Meinst, meinst?« lacht er schrill und spöttisch auf. »Nicht um drei mach ich nochmals so einen Gang. Ich nehm mich sonst um nicht viel an, aber die Namen, die mir die Dirn alle geben hat! Im Kalender stehen fürs ganze Jahr nicht so viele. Und nachher der Lenz, der Baderlackl! Packt hat er mich und mir die Arm zusammendruckt, dass ich sie frei jetzt noch nicht recht spür, und nachher hat er mich auf den Schragen hingehaut, dass das Sitzbrett abgesprungen ist. Höllsakra, hat der Mensch eine Kraft!«

»Ja, der Lenz!« schmunzelt sie vergnüglich. »Und wie viel willst denn nachher du dafür?«

»So ein zehn Gulden halt gute Münz«, schlägt er vor.

Die Seebäuerin weicht einen Schritt zurück. »Du bist über einen Räuber!« entrüstet sie sich. »Du willst einem bei helllichtem Tag in den Geldbeutel steigen. Auf die Weis' werden wir schon nicht gleich.«

»Wir müssen«, beharrt der Nazi. »Ich hab dir den Gefallen tan und will meinen Lohn haben dafür. Hättest zuerst ausgehandelt mit mir!«

»Keinen Kreuzer kriegst mehr, als was ich dir geboten hab – einen Gulden.«

»Auch recht … auch recht«, entschließt sich der Nazi. »Und den Gulden brauch ich dir auch nicht, dass du es weißt. Aber auf der Stell geh ich zum Hüttenbauer und sag ihm, wie die Sach angesponnen ist und wie sie aufliegt. Verstehst mich?«

»Untersteh dich!«

»So eine Drohung fürcht ich nicht«, lacht der Nazi. »Wär nicht aus! Aber ich sag dir's noch einmal gutwillig: Gib mir, was ich verlang und was ich mir ehrlich verdient hab!«

»Nie nicht.«

»Nun, so geh ich halt. Ich wollt gerad nicht viel zu tun haben mit ihm, wegen selbem Mal; aber er weiß es nicht. Und sagen tu ich ihm alles.«

»Was weiß er nicht?« fragt sie rasch darauf.

»Ah was! Sel ist meine Sach! Und zur selben Zeit hab ich mir gar nie denken können, dass er einmal mein Schwager wird.«

Sie fasst ihn am Joppenohr. »Nazi, hörst, ich gib dir die zehn Gulden«, verspricht sie, von Neugier geplagt. »Aber sagen musst mir, was dahinter steckt. Hörst?«

Er sieht sie eine Weile zweifelnd an. Seine Habgier bäumt sich mächtig auf in ihm. Und übrigens ist es ja seine Schwester, der er das Geheimnis anvertraut. Zehn Gulden sind ein Geld und kosten nur ein paar Wörtlein. »Gib sie zuerst her und versprich mir, dass du nichts verratest davon!« fordert er. Aber gleich gereut es ihn. »Wenn du es nicht weißt, stirbst auch nicht früher«, sagt er und geht seiner Wege. Aber in währendem Gehen kehrt er sich noch einmal um. »Auf den Lohn dass du nicht vergisst, hörst!« mahnt er sie.

Am nächsten Morgen hat sie das Geheimnis doch heraußen. Sie hat noch am Abend dreißig funkelnde Silberzwanziger zusammengesucht, und was nicht mehr neu gewesen, mit Asche geputzt. Die legt sie nur der Reihen nach auf den Tisch, und des Burschen Augen glühen schier danach. Er kann der Lockung nicht widerstehen, zumal sie auch so schön redet dabei; er beichtet.

»Du hast ihn gestochen?« fährt sie jählings, wie von einer giftigen Schlange gebissen, auf.

»Nun ja, ich hab dir's ja gerad gesagt. Weil er mich selbes Mal mit dem ›Recht‹ so unsinnig geschlagen hat. Ich hätt ihm's ärger vermeint; aber ich hab zur selben Zeit doch nicht wissen können, dass er mein Schwager wird.«

Ein Schauern überläuft ihr eiskalt den Rücken hinab. Ärger vermeint! Du liebe Zeit! Und sie hat ihn so gern, so unsinnig gern, dass sie selbst zu dem Mittel greifen muss, um ihn von einer anderen abzubringen. »Mistbub!« keucht sie heraus und stürzt auf ihn zu, die Finger zu Haken gebogen. »Mich um meine ganze Freud bringen, mir mein Trost nehmen!«

»Oha!« lacht er spöttisch auf und hält sich die wie rasend gebärdende Schwester vom Leibe. »Das ist der Dank dafür, dass ich dich nicht vor Neugier hab krank werden lassen … Mistbub und so fort. Gestern hab ich meine Titel kriegt für einen Gefallen, und heut, scheint mir, geht's auf den Seiten so los … Du hast es wissen wollen, ich hab dir den Willen erfüllt. Aber sei so gut und lass etwas davon verlauten, nachher schau dir auf dein Dach auf!« Er streicht die Silberzwanziger in die Hand und verlässt die Stube.

Die Seebäuerin ballt und schüttelt ihm beide Fäuste nach. »Hüt dich, Bürschel! Hüt dich! Ich bin schlauer wie du … So eine Schandtat! Abstechen hat er ihn wollen, umbringen! Du rotgoldenes Herrgottl! Wenn ich grad dran denk, dreht sich mir mein Herz im Leibe. Aber hüt dich, sag ich!« Sie lehnt sich an den Ofen und stiert gedankenschwer vor sich hin. Der Mensch muss ihr aus dem Hause. Sie kann ihn nicht mehr anschauen, ohne dass sie ein Gruseln überläuft. Was der Lenz ausgestanden haben wird! Und nachher! Ja, richtig! Der Lump ist mit seiner Schandtat an allem schuld. Hätt er ihn nicht gestochen, hätten sie ihn nicht in das Seehäusel tragen müssen, und die Sepherl wäre ihm nicht ans Herz gewachsen. Aber wart!

Wie ein angeschossener Eber fährt sie nun die Stube auf und ab und sinnt auf Rache. Aber es will ihr nichts einfallen. Zu Mittag erzählt der Inhäusler, dass sie vorgestern im Hammerer Gericht wieder einmal eine rechte Keilerei gehabt hätten. Die Bauern seien aufs Fangen ausgegangen, hätten aber statt des zu fangenden Rekruten den Rücken voll Hiebe bekommen.

Die Seebäuerin fährt mit dem Löffel, den sie gerade in den Mund führen will, an die Wange. Einem grell aufleuchtenden Blitze gleich ist ihr ein Gedanke durch den Kopf gefahren, und derweil sie ihm nachhängt, ist ihr das Versehen unterlaufen.

»Musst dir schon dort auch noch ein Tor machen lassen, dass du nicht wieder umkehren musst mit der Fuhre«, spöttelt der Nazi. »Hast ja den Bader in der Nachbarschaft; leicht kann er's.«

»Sag nur du nichts!« warnt sie ihn. »Leicht fährst du auch einmal an einen unrechten Ort.«

»Über ein schönes Fangen gibt's nichts«, nimmt der Inhäusler wieder das Wort. »Aber schön muss es sein, kein Gerauf und kein Totschlag … Wie es mir einmal geschehen ist das Jahr, das ich im Hammerer Gericht gedient hab. Sitz da gegen Herbst einmal so beim Inmann drüben nach der Nachtsuppen und spiel mit ihm Wolfsmühl, die er für sein Leben gern gespielt hat. Auf einmal kommt die Nandl, sein Dirndl, als eine Lechzende in die Stube und schreit nur gerad so heraus: »Heilige Mutter Anna! Greger, versteck dich! Sie kommen fangen um dich.«

»Lass dir nicht grausen!« meint der Inmann und tut mit seinem Wolf einen Zug. »Auf dem Gestänge überm Ofen liegt ein Gewehr. Um das langst dir hinauf.«

»Mit einem Sprung bin ich dort, reiß den alten Schießprügel herab und prob. Ja, du mein Gott! Das Schloss ist eingerostet gewesen, kein bissel Luft hat das Zündpfannl gehabt – nichts. Was soll ich mit dem Trumm anfangen? Die geht ja gar nicht, sag ich, und die Nandl schreit in einem Atem, ich soll mich verstecken.«

»Braucht nicht, braucht nicht«, sagt der Inmann und nimmt mir ein Schaf. »Leg sie gerad her da auf den Tisch und droh ihnen damit. Es geht dir keiner daran. Aber sitzen bleiben musst dabei, bis es licht wird.«

»Und richtig! Wie die das alte Trumm Eisen gesehen haben, sind sie aus der Stube gefahren, wie wenn der Böse nach ihnen griffe. Und in der Früh hab ich keinen einzigen mehr gesehen.«

Die Seebäuerin hat von der ganzen Geschichte nicht den zehnten Teil gehört. Ihr Hirn arbeitet hastig, und die Gedanken stürmen nur so in wirrem Durcheinander dahin. Sie weiß jetzt, wie sie den Nazi für seine Tat strafen kann, aber er ist doch ihr Bruder.

Nach dem Essen geht sie auf den Dachboden hinauf, sich zu einem Ausgange anders anzuziehen. Unschlüssig hält sie das Sonntagnachmittagsgewand in der Hand und stiert in das Halbdunkel des Bodens hinein. Soll sie oder soll sie nicht? Der Nazi ist ein falscher, hinterhältiger Mensch, das weiß sie schon lange, wer weiß, was er dem Lenz noch nachträgt wegen des gestrigen Niedersetzens auf die Bank? Und der Lenz ist ihr schon lieber wie der Nazi … Aber nein, wo sie nur hindenkt! Hat er nicht gesagt, er hat selbes Mal nicht wissen können, dass er auf seinen Schwager sticht? Er wird ihm nichts mehr tun.

Sie legt das Gewand wieder in die Truhe und geht in die Stube hinab. Ihre Gedanken kommen mählich zur Ruhe, und es gereut sie fast, dass sie so einen Anschlag gegen ihren Bruder geplant.

Am Abend, nachdem die Ehehalten alle zu Bette gegangen, bleibt der Nazi noch am Tische sitzen. »Los, Nanni!« fängt er langsam an. »Ich hab den ganzen Tag über so geohrt. Mit dem Hüttenbauer kann's seine Richtigkeit haben, wenn du die Gelegenheit ausnützest. Ich vergunn dir ihn: ein anderer Mann wird er schon wie der verstorbene Schwager …«

»Den lässt mir ruhen in Ewigkeit, Amen!« unterbricht sie ihn hastig. »Ich hab mich nicht klagen können über ihn, und du hast schon gar keine Ursach.«

»Eh nicht … eh nicht«, lenkt er ein. »Ich hab gerad nur so gemeint, Kein unrechter Gedanke! … Aber ich kenn dir's an, wie dir der Lenz im Magen liegt, und wenn ich dir mit was helfen kann, zu jeder Stund. Und geben brauchst mir dafür keinen Heller.«

»Sel ist ja eine ganz neue Tugend von dir«, wundert sie anspielend. »Um Gotteslohn wirst das doch nicht tun wollen?«

»Das gerad nicht. Eine Höflichkeit erfordert die andere, sel ist ein altes Sprichwort. Aber los nur! Wenn du den Lenz heiratest, hast zwei Höf beisammen, bis der Sepperl groß wird, und alle zwei könnt ihr gar nicht bewirtschaften. Ich hab so geohrt: Du kunnst mir nachher den Seehof verpachten derweil, und … und wenn dem Sepperl was zustoßen tät, bis er die Jahr erreicht – weißt, es schickt sich oft was; gerad dass eins redet davon, nachher fällt der Hof so wie so auf dich zurück, und du kunntst mir ihn auch verkaufen. Was meinst dazu? Aber das müsst zuerst in Richtigkeit gebracht werden.«

Die Seebäuerin sieht ihm entsetzt in die grünlich schillernden Augen. Kaltes Schauern läuft über ihren Rücken hinab, und ihr graut vor dem Menschen, der ihr Bruder ist. So schlecht! So schlecht! Hinter jedem Worte sieht sie die Hörner des bösen Feindes hervor lugen, ein schwerer Verdacht wächst in ihrem Herzen, und sie vermeint seinen ganzen Plan und Anschlag zu durchschauen, wie wenn die Mittagssonne darein schiene.

Mit einem hastigen Rucke fährt sie vom Stuhle auf. »Gute Nacht!« wünscht sie kühl.

»Hast dich noch nicht besonnen?« mahnt der Nazi.

»Derweil noch nicht«, presst sie mühsam heraus.

Still vor sich hin lächelnd, verlässt der Nazi die Stube und steigt auf den Heuboden hinauf. Sie wird sich schon einlassen darauf – sicher – gar wenn sie ihn noch einmal zu der oder der Gefälligkeit benötigte. Und das kann überlings einmal sein. So eine Witib gebraucht allerhand Schliche, um wieder zu einem Manne zu kommen, gar wenn ihr der so im Herzen sitzt wie der Lenz.

Am anderen Morgen ist die Bäuerin schon angezogen, als sich die Ehehalten zur Morgensuppe niedersetzen. Sie isst nicht mit; sie hat keine Zeit mehr, sagt sie und trägt den Sepperl hinüber ins Leibtumhäusel zu den Großeltern. Dort ist er zumindest so gut aufgehoben wie unter ihrer eigenen Obhut.

Die zwei Alten sind übrigens nicht so aus. Es hat sie schon des Öfteren gereut, dass sie so ungut verfahren mit ihnen; aber daran war doch wieder nur der Nazi schuld gewesen mit seinen ewigen Hetzereien. Der Lump!

In den Hof zurückgekehrt, trägt sie der Großdirn auf, die Mittagssuppe zu kochen, weil sie einen Geschäftsgang machen müsse und kaum vor halbem Nachmittag heimkommen dürfte.

»Gehst leicht auf einen Handel aus?« fragt der Nazi neugierig.

»Es ist was anderes«, flüchtet sie aus und geht. Ihr Ziel ist der Richter im Königlich Waldhwozder Freigerichte Hammer.

Nach halbem Vormittag langt sie bei dem an.

»Braucht Ihr noch einen Rekruten?« fragt sie ihn kurzweg.

»Z'wegen was?« wundert sich der und zieht die Augenbrauen in die Höhe. Das ist ihm noch nie vorgekommen, dass jemand danach gefragt hätte. »Weißt uns leicht einen?«

»Ja.«

Der Richter kneift die Augen zusammen und sieht sie misstrauisch an. Ob dahinter nicht etwa eine Falle verborgen steckt? Und er hat noch Beulen vom letzten Fang. »Die Geschicht schaut mich nicht recht an«, zweifelt er. »Von wo bist denn?«

»Sel braucht Ihr nicht gerade zu wissen. Aber ich hab einen Bruder, einen rechten Flankl, für den es ein Glück wär, wenn er auf eine Zeit fortkäm. Wenn Ihr mir einen bestimmten Tag angebt, schick ich ihn her.«

»Da wird er dir wohl nicht gehen.«

»Er kommt, er kommt«, versichert sie. »Ich werd sagen, ich hab bei Euch eine Kalben gekauft, die soll er heimweisen. Auf die Weis' bring ich ihn her. Und wann soll er kommen?«

»Ich kann's allweil noch nicht begreifen«, meint der Richter. »Eine Schwester ihren Bruder verraten! Sel geht mir nicht ein.«

»Er hat's verdient.«

»Na, meinetwegen … Schickst ihn halt übermorgen.«

Auf dem Heimwege fällt ihr überlings ein, dass sie nachher keinen Großknecht hat. Verzweifelte Geschichte! Aber er muss fort, sie kann ihn nimmer dulden im Haus, und wenn sie ihn heimschickt, ist sie vor seiner Rachgier nicht sicher. Es wird schon gehen.

Drei Tage darauf wandert der Nazi schon in Begleitung zweier handfester Bauern gen Pisek.


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