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5

Der Großknecht hat als der letzte den Löffel weggelegt, und nun stehen alle auf, und der Lenz betet das Tischgebet vor. Kaum aber ist das letzte Amen recht heraußen, stößt ein halbgewachsen Bürschlein die Türe auf, und ohne Gruß und Wunsch schreit es schon an der Stubentür: »Die Mutter schickt mich und lässt Euch recht schön bitten, Bader, wenn Ihr hinaufgehen tätet zu uns und dem Vater helfen.«

»Wem gehörst denn an?« fragt der Lenz.

»Dem Mathiesen oben in den Holzhauerhäusern ober dem Jager.

»So, so! Und was fehlt denn deinem Vater?«

»Die Leut sagen, er hat die Lungenentzündung; ich weiß auch nicht.«

»Schon länger?«

»Gerad heut in der Früh hat ihn der Krank angepackt.«

»Ich geh schon. Kannst derweil warten auf mich«, bescheidet der Lenz, zieht die Bundschuhe an und steckt das Aderlasszeug zu sich für den Fall, als er dessen benötigen sollte. Im Grunde ist er gegen einen Aderlass bei der Lungenentzündung. Sein Lehrmeister hat nur mit Krenumschlägen gearbeitet in diesen Fällen, und er hat es auch schon einmal mit Erfolg geprobt; aber wenn es gerade sein müsste, dass zur Ader gelassen werden solle, das Werkzeug hätte er mit.

»Verhalt dich fein nicht länger, als notwendig ist!« mahnt ihn Philomene, als er geht.

»Wozu denn?« Und er folgt dem Buben. Raschen Ganges wandern sie über die Fluren dahin, und selbst, als es bergan steigt, verkürzen sie die Schritte nur wenig.

Die Holzhauerhäuser liegen mitten im Walde oben, im Gehänge hinter dem See. Es mag ehedem auch Künischer Grund gewesen sein, auf dem sie stehen, das ganze Gehänge herüber, aber jetzt sind sie herrschaftlich. Die Herrschaften haben einen guten Magen und können viel verdauen, gerecht und ungerecht Gebiet. Wann und wie die Herrschaften die von Rechts wegen zum Künischen Gebiete gehörigen Stücke wegeskamotierten, weiß heute niemand mehr, aber er muss jedem einleuchten, dass es so gewesen ist.

Der Weg führt kaum zwei Büchsenschuss unterhalb des oberen Seebauern-Inhäusels vorbei, in dem Sepherl und ihr Vater hausen. Unwillkürlich wendet sich sein Blick gen das kleine, wurmstichige Häusel hinauf. Nur ein paar Geisen tollen um die Hütte herum.

Sie schreiten hastig weiter. Bald haben sie die Holzhauerhäuser erreicht, und er steht am Bette des Kranken.

»Gestern Nachmittag hat es ihn angepackt«, erzählt das Weib. »So ein widernatürliches Frösteln hat ihn angegangen mitten in der Hitz, und heut in der Früh, wie er aufstehen will, kann er kaum mehr reden. Ein jedes sagt, dass er die Lungenentzündung hat.«

»Die wird's wohl sein«, urteilt der Lenz. »Da schaut nur schnell, dass Ihr wo Krenwürz kriegt! Die reibt und legt sie ihm über die Brust. Es wird noch nicht zu spät sein … Aber wisst, zur Sicherheit tät ich Euch doch anraten, wenn Ihr auch um den Pfarrer schicken tätet. Derentwegen muss er noch nicht sterben.«

»Mein Gott und Herr!« jammert das Weib. »Sel ist schon das Letzte. Wenn der Pfarrer einmal zu einem Kranken kommen muss … Ich werd zuerst Krenwürz ausgraben. Gelt? Und da bleibst ja, bis eins sieht, wie es sich wendet? Wir helfen dir einmal einen Tag arbeiten für deine Versäumnis.« Sie eilt davon und bringt nachher einen ganzen Pack Krenwurzeln.

Der Lenz bindet dem Kranken den geriebenen Kren über die Brust und setzt sich nachher an den Tisch. Am liebsten wäre er gleich heimgegangen; was konnte er auch da tun? Er hat die Krankheit sichergestellt und das Mittel dawider angeraten. Mehr kann er nicht leisten. Aber weil das Weib gerade meint, er soll bleiben, so will er bleiben bis gegen Abend, dass sie nicht etwa denkt, der versprochene Lohn sei ihm zu gering. Er wäre auch zufrieden, wenn er nichts bekäme als ein Vergelt's Gott! Er dankt dem Herrgott, dass er nicht darauf angewiesen ist auf diesen Verdienst.

Nach einer Weile kommt der Holzhauer, der mit dem nunmehr Kranken arbeitet und jetzt auch feiern muss, und um halben Nachmittag der Jager, ein wildbärtiger Mann, der die Bauern nur leiden könnte, wenn auch sie unter seiner Botmäßigkeit stünden wie die Holzhauer. Aber der Lenz, der »Oberwastl«, wie er den Richter gemeinhin zu benennen pflegt, ist heute als Bader da bei einem seiner Untergebenen, und so zwingt er sich, so höflich als möglich zu sein.

Sie reden eine Weile von dem und jenem, von mehr minder gleichgültigen Dingen, und ein jeder hütet sich, Anlass zu Meinungsverschiedenheiten zu geben, dieweil sich da einer zu lebhafterer Rede hinreißen lassen könnte und dies dem Kranken nicht gerade dienlich ist.

Der Lenz zeigt dem Weibe auch, wie sie den Umschlag überbinden soll, und nachher reden sie weiter.

»Schick um den Pfarrer!« rät der Lenz wieder. »Wenn der Mathies gebeichtet hat, ist um eine Sorg weniger. Und zu sterben braucht er deswegen nicht.«

»Am gescheitesten ist's«, meint auch der Holzhauer. »Wegen dem Versehen ist noch keiner gestorben.«

»Wenn's gerad mit Gewalt sein muss, dass ich Witib werd, in Gottes Namen!« gibt das Weib nach und schickt den Buben hinunter zur Kirche um den Pfarrer.

»Himmelkreuzelement!« tadelt der Jager. »Wie du denn gar so dumm daherreden kannst! Da kunnt doch …« Er kann nicht zehn Worte herausbringen, ohne einen mehr oder minder kräftigen Fluch darunter zu mischen. Es ist schon so seine Gewohnheit, und manche behaupten, er könne auch nicht beten, ohne durch ein paar Kernworte sein Herz zu erleichtern. Wer weiß? Und wenn, der Herrgott hat allerhand Kostgänger und wird keinem übel nehmen, was er nicht absichtlich böse meint und womit er keinem anderen schadet.

Unmerklich schlängelt sich das Gespräch auf die Verhältnisse im Gerichte unten hinüber, und da geraten sie aneinander, der Richter, der sich eher eine Hand abhacken ließe, ehe er eine der Freiheiten gutwillig aufgäbe, und der Jager, der treue Diener seiner Herrschaft, dem alle Freiheit ein Gräuel ist bis ins Innerste seiner Seele.

»Die elendigen Malefiz-Gerichter sind uns noch abgangen auf der Welt«, ärgert sich der Jager. »Gerad dass ein Wirrwarr worden ist und dass sich ein anständiger Mensch ärgern muss, wenn er die Sach betrachtet – Pack tibi der und der!«

»Euch abgangen!« lächelt der Lenz. »Euch hat ja gar keiner fragen können, wie er die Freigerichter des königlichen Waldes gründet und eingesetzt hat, weil es selm noch gar keine Bystritzer Herrschaft geben hat. Der ganze Grund ist uns abzwickelt.«

Der Jager springt wie von einer Natter gestochen auf und schlägt auf den Tisch, dass der in allen Fugen ächzt. »O du gottvergessener, neunundneunzigfach vernagelter und verzwickter Bauerntropf!« schreit er, dass ihm die Stimme überschnappt. »Zu so einem sündhaften Wort kannst dich versteigen? … Aber nein, mir bleibt mein bissel Verstand stehen. So eine gotteslästerliche Red! …«

Der Lenz steht auf und geht zu dem Weibe. »Es tut kein gut so«, sagt er der. »Der Mathies will Ruh haben, und ich hab Zeit, dass ich geh. Leicht, dass ich die Tag wieder einmal herauf schau. Werk nur fleißig mit dem Kren! Vor einer Gefahr brauchst dich nicht zu fürchten.«

Ein grelles Aufleuchten, ein Krach, wie wenn überlings ein Baum entzwei gebrochen wird, ein Wetter. Über lauter Reden und Tagen haben sie dessen Kommen übersehen.

»Jetzt kannst nicht gehen!« wehrt der Jager ab. »Schier dreiviertel Stund hast heim, und das Wetter schaut herunter vom Wald wie neun Scherben voll Teufel. Es wär ein Unsinn. Setz dich her und wart ab, bis das Meiste vorbei ist!«

»Lenz, bleib da!« redet ihm auch der Holzhauer zu. »Um so eine Zeit soll sich ein Christenmensch nicht mutwilligerweis' hinauswagen. Die Wettergeister sind einem jeden feind.«

»Es muss sein«, besteht der und geht. »Gute Nacht und gute Besserung!«

Scheusames uns schwarzblaues Wettergewölk bedeckt fast schon die Hälfte des Himmelsgewölbes, grelle Blitze zucken darin nach allen Richtungen, und die Donnerschläge prasseln einen nach dem anderen, sodass der Hall im Gehänge gar nicht zur Ruhe kommt. Stoßweise braust der Sturm daher und wirbelt die Wipfel der Bäume durcheinander.

Im Walde ist es schier geschlagene Nacht; kaum dass er den Weg deutlich sieht. Dazu das blendende Himmelslichtsen (Blitzen), das die Finsternis noch verdoppelt. Aber es hat sein müssen, dass er geht. Der Kranke will Frieden haben, und der Jager hält einen solchen nicht. Und nachher muss er doch so wie so heim.

Raschen Schrittes eilt er dahin. Aber urplötzlich hört er ein Geräusch hinter sich, und schier im selben Augenblicke fühlt er einen Stich in den Rücken dringen. Er hat sonst eine schier bärenmäßige Kraft und weiß sie zur rechten Zeit zu brauchen; aber in dem Augenblick fährt er nur herum, und anstatt den Angreifer festen Griffes zu fassen und ihm so zu Leibe zu rücken, versetzt er ihm nur einen Schlag mit der Faust, dass er den Hang hinunter kollert ins gestrüppige Unterholz. Er will ihm nach, aber gleich entsinnt er sich, dass dies am Ende fruchtlos wäre und dass er sich jetzt nur an den Weg zu halten habe.

Er fühlt das Blut über den Rücken hinab rieseln, lauwarm, er fängt an zu laufen, um so schneller heimzukommen, aber bald spürt er eine nie gekannte Schwäche und Mattigkeit in den Beinen. Er muss sich ans Wegufer setzen und rasten. Über ihn braust und wütet der Wettersturm, zucken die blendenden Blitze, und in den Wolken rollt der Donnerhall dahin …

*

Das Gewitter ist vorüber, der Himmel wieder hell und klar, und die Sonne scheint hernieder auf den Wald wie ehevor. Nur ab und zu dröhnt das Brummen des Donners herüber aus dem enteilenden, schwarzblauen Gewölke.

Um die Zeit steigt Martin, der Pfarrer, die christliche Wegzehrung in den Händen, das Gehänge hinan. Vor ihm schreiten der Bub des Mathiesen und der Ministrant, der von Zeit zu Zeit mit dem Glöcklein klingelt.

Nun ist es eine wahre Lust, durch den duftigen Hochwald dahinzuwandern. Die Vögel singen wieder, und alles atmet erleichtert auf nach der Stunde der Bedrängnis. Überlings bleibt des Mathiesen Bub stehen, stößt den Ministranten an und deutet nach dem Wegufer. Der schaut hin, fährt aber käsebleichen Gesichtes zurück, und das Glöcklein entfällt seiner Hand.

»Herr Pfarrer … Hochwürden … Dort liegt einer; das Wetter hat ihn erschlagen«, hastet er heraus.

Auch der Pfarrer wird einen Schein blasser, und die christliche Wegzehrung vor sich hinhaltend, geht er hastigen Schrittes auf den Mann los. Der Richter!

Gar aus seinen schmalen Lippen weicht das Blut. So ein kraftstrotzender Mensch, und nun liegt er da, leblos, starr. Unwillkürlich fallen ihm Notkers, des Stammlers, Reime ein: Media vita in morte sumus. Quem qaeribus adjutorem, nisi te Domine? Mitten wir im Leben sind mit dem Tod umfangen …

Er beugt sich nieder über ihn und rüttelt ihn sachte an der Schulter. »Richter! Richter!« Kein Tüpfelchen zuckt in dem blassen Gesichte. Noch einmal versucht er es. »Richter! Richter!«

Da schlägt der die Augen auf, wie ein leichtes Lächeln umspielt es seinen Mund, und gleich darauf sinken die Lider wieder herab.

Der Pfarrer winkt des Mathiesen Buben heran. »Renn, was du kannst und hol ein paar Männer! Er ist noch nicht ganz weg und muss in ein Haus kommen.« Und dem Ministranten bedeutet er, sich zur heiligen Handlung bereit zu halten. Die Hostie ist freilich für den Mathies bestimmt; aber näher dem Tode kann der auch nicht sein als der Richter. Wenn es die Not gebietet, geht er halt in der Nacht noch bergauf und spendet dem Mathies die Wegzehrung.

Er faltet die Hände und beginnt zu beten. Er spricht den Halbtoten kraft der ihm übertragenen lösenden Gewalt von allen Sünden frei, empfiehlt ihn der Barmherzigkeit des Herrn und macht das Kreuz über ihn. Er will ihn auch noch einmal ermuntern, dass er ihm die Hostie reichen kann, aber alles Mühen ist umsonst.

Was ihm begegnet sein mag? Er ist zu schwach, ihn zu wenden, aber in ein Haus muss er zur Wart und Pflege, das steht baumfest, und das nächste Haus ist die Wohnung seines Vaters.

Pustend und keuchend rennen ein paar Männer herbei, der Jager voran. Was ist geschehen? Ohne unnötige Umschweife sagt ihnen der Pfarrer, dass sie den Leblosen zu seinem Vater tragen sollen, wo er das Weitere veranlassen werde. Rasch ist eine Tragbahre aus frischgrünem Tanngeäst geflochten, und sie heben den Lenz darein.

»Es muss im Rücken fehlen«, mutmaßt der Holzhauer. »Die Joppe hat ein Loch, wie wenn ein Messerstich durchgangen wär, und ist voll Blut. … Gott sei seiner armen Seele gnädig und barmherzig. Amen!«

»Keruzbirnbaum und kein End!« schilt der Jager. »Ich hab' dem Sakra gut genug gemeint, er soll das Wetter vorübergehen lassen. Aber nein! Wär alles nicht geschehen …«

Ein gestrenger, verweisender Blick des Pfarrers macht seine raue Rede verstummen, und schweigend schreitet er neben dem Geistlichen dahin, der Tragbahre nach. Der Christel, des Pfarrers Vater, schaut verwundert drein, als sie den Leblosen in die Stube tragen, und Sepherl springt von ihrer Arbeit auf und starrt mit weit aufgerissenen Augen nach der Bahre. Ein Zittern befällt sie, und die Zähne schlagen hörbar aufeinander. »Heilige Maria, hilf!« stammelt sie, sonst bringt sie kein Wort über die Lippen.

»Sepherl, geh derweil hinaus, bis sie ihn ins Bett gebracht haben!« mahnt sie ihr geistlicher Bruder, und da sie sich vor jähem Schreck nicht zu regen vermag, nimmt er sie bei der Hand und führt sie hinaus auf die Gredbank.

Während sie nun dort sitzt und, keines Gedankens mächtig, hinüber starrt gen den dunkelgrünen Wald, entkleiden sie in der Stube den Richter, waschen die Wunde mit Wolferlei und binden wasserhelles, dünnflüssiges Pech darüber.

»Er kann wieder aufkommen«, mutmaßt einer der Holzhauer. »So ein starker Mensch hat schon ein Leben ist sich, und wenn der Stich gerad tödlich gewesen wär, hätt er schon längst den letzten Schnaufer getan.«

»Der und der soll mir augenblicklich das Genack umdrehen, wenn er sich nicht wieder ausheilt«, behauptet der Jager. »So ein zwei Jahr wird's her sein, da ist der Jager im Bayerischen Häusel draußen von einem Raubschützen gestochen worden, gerad so wie der Hüttenbauer da, ist beileib kein solcher Prügelmensch gewesen und nicht so zach, und davonkommen ist er. Wie ich gesagt hab, der Schinder soll mich reiten, wenn …«

»Es wird wer in den Hüttenhof hinunter müssen«, meint der Pfarrer, den Jager unterbrechend. »Die Leut werden nicht wissen, was es mit dem Bauern ist, und umsonst wird keiner gehen, sel lässt sich leicht denken.«

»Ich, Hochwürden Herr Pfarrer«, trägt sich der Holzhauer an, der wegen der Erkrankung des Mathies feiern muss. »Ich versäum heut nichts. Und so einen Gang tut eins schon um Gotteslohn.«

»Ja, ja«, nickt der Pfarrer. »Aber bringt die Sach' ja recht langsam vor, nicht zu jäh!«

»Schon, schon!« verspricht der und geht.

Nun holt der Pfarrer die Sepherl herein, seine Schwester, und führt sie an das Bett, worin der halbtote Richter liegt. »Du kannst dir einen Staffel in den Himmel bauen«, sagt er zu ihr. »So wie er jetzt ist, kann er nicht heimgefahren werden in seinen Hof; er muss da liegen bleiben, bis er viel besser ist. Und dich wird's zumeist treffen, dass du ihm aufwartest. Tu es um Gottes willen und lass dich keinen Augenblick gereuen. Und wenn dir kein irdischer Lohn wird dafür, was ich nicht sagen will damit, es sind rechte Leut, der da oben, der schreibt dir gewiss jede Stunde auf und jeden Tritt, und für jedes wird er dir deinen Lohn zumessen. Gelt?«

Dem Dirnlein kollern die hellen Tränen über die Wangen herab, und ein Frösteln um das andere überläuft es. »Martin, wie d' nur eine Weil reden magst!« presst es vorwurfsvoll heraus. »Ich tu ja so alles … alles, wenn er nur nicht versterben müsst!«

Der Pfarrer verspricht, im Zurückkommen noch einmal vorzusprechen, und geht dann gen die Holzhauerhäuser hinauf, dem Mathiesen die Wegzehrung zu bringen.

Sepherl lehnt sich ans Bett und weint still vor sich hin. Der Christel sieht ihr eine Weile verwundert zu, dann rüttelt er sie auf. »Was flennst denn? Was geht denn dich der Richter an, dass du flennen sollst um ihn?«

Er kann nicht begreifen, wie eins flennen kann um ein Fremdes. Er hat es eben nicht recht, wie er es haben soll. Was kümmern und scheren ihn andere? Er hat drei Kinder, aber dass er sagen könnt, er würde um einen der beiden Buben flennen, nicht. Er hat sie gern, sel ist wahr, aber flennen könnte er nur um die Sepherl, wenn der was zustieße. Die Buben sind ihm mehr oder weniger abgewachsen, aber die Dirn ist noch keine acht Tage aus dem Hause gewesen, und was täte er, wenn er sie nicht hätte. Sie ist seine Stütze, seine Freude und sein Stolz.

»Wie mein' Sepherl eine ist, so eine muss man mit dem Spanlicht suchen«, sagt er jedem, mit dem er über das Dirnlein zu reden kommt. »Sel will ich euch gesagt haben als wahr. Die wird noch einmal ein großes Glück machen müssen.«

Mit dem Ersteren sind wohl alle einverstanden. So ein schönes und braves Dirndl gibt es weit und breit nicht; aber mit dem Letzteren halten es nicht alle. »Ein schönes Leut hat kein Glück«, sagen viele, und noch mehr glauben es …

Derweil ist der Holzhauer in den Hüttenhof gekommen.

Philomene sinkt vor Schreck auf den Schragen nieder, wie sie die Kunde vernimmt, und muss sich auf den Tisch stützen. »Du lieb's Herrgottl am Kreuz!« jammert sie. »So ein Unglück! Wenn er nur als ein Lebendiger daheim wär in seinem Haus!«

»Auf drei Vaterunser Länge sind die Rosse eingespannt, und gefahren wird, wie wenn ein Oberamtmann in die Höll reiset«, verspricht der Bartl und will sofort in den Stall.

»Nicht, nicht!« redet der Holzhauer ab. »Die ganze Arbeit wär umsonst und das ganze Fuhrwerk. Der Bauer ist jetzt nicht zum Fahren, gar kein Red! In ein, zwei, drei Wochen leicht, wenn's Gott gibt … Das Ganze, was ihr tun könnt, ist, dass einen Tag die Philomene und einen anderen die Großdirn leicht hinaufgehen und dem Kranken ein bissel abwarten. Dem Dirndl, der Sepherl, könnt ihr schon nicht die ganze Müh auflegen, sel geht nicht recht und wär auch nicht schön …«

»Ich bleib oben bei ihm, bis er wieder gesund ist«, fällt ihm Philomene hastig in die Rede. »Wär nicht aus, eine Schwester …«

»Sel geht nicht«, redet der Bartl ab. »Du musst auch an die Wirtschaft denken. Ich will nicht sagen allemal über den anderen Tag, aber ganz und gar oben bleiben, sel geht nicht. So müsst ihr es machen, wie der Mann sagt; so ist's am gescheitesten.«

Philomene rafft sich gewaltsam auf von ihrem Schrecken, zieht sich an und geht mit dem Manne hinauf ins Häuschen beim See.

Am nachtenden Himmel verschwimmt das letzte Abendrot, und am Waldsaume grinst ihnen hinter einem Haselgestrüpp ein widriges, höhnisch verzogenes Gesicht nach.

*

Im Häuslein beim See strahlt die Vormittagssonne durch die kleinen Fensterchen, flimmert um das auf dem wurmstichigen Ecktische liegende Nähzeug, und am blanken Messer gleitet ein Strahl aus und fällt zurück auf ein an der Wand hängendes, roh und kunstlos gemaltes Glasbild, dieses mit einem sanften Scheine beleuchtend.

Im Bette hinten bei der Kammertüre liegt der Hüttenbauer mit blassen, vom Fieber aufgezehrten und eingefallenen Wangen, und nur sein hastiges Atemholen gibt Kunde, dass das Leben noch fortwährend kreiset und schafft in seinem Körper. Die Augen hat er noch nie aufgeschlagen, seit er daliegt; nur ab und zu hat sich ein linder Schmerzenslaut seinen von der innerlichen Fieberhitze aufgesprungenen Lippen entrungen.

Zu seinen Häupten tickt die alte Schwarzwälderuhr, und am Fenster neben dem Tische sitzt Sepherl und näht an einem Stück Leinenzeug. Oft hastet sie dahin, dass man meinen könnte, sie würde gejagt dabei, oft aber auch hält sie die Nadel an die Naht und stiert wie gedankenlos vor sich hin auf die Dielen. Ihr Gesicht ist bleich geworden die paar Tage her, und um die himmelblauen Augen haben sich blaue Ringe gebildet. Sie haben ein Abkommen getroffen, sie und die Philomene. Eine Nacht wacht sie am Bette des Kranken und eine Nacht die Philomene oder die Großdirn vom Hüttenhofe. Und bei Tag ist sie ja so wie so in der Stube. Die Philomene hat ihr alles Mögliche versprochen für die Mühe, aber sie achtet dessen nicht. Sie tut es um Gotteslohn und will sich einen Staffel bauen in den Himmel, wie ihr geistlicher Bruder ihr verheißen.

Dem Christel ist die Störung freilich lästig, aber er sagt nichts dawider, weil ja der Martin selbst alles so angeordnet und angeschafft hat. Er schafft auch seit dieser Zeit zumeist draußen irgendetwas und geht nur zum Essen in die Stube.

Ein leises Stöhnen dringt vom Krankenbette her, und Sepherl legt das Leinenzeug auf den Tisch und geht nachsehen. Aber der Kranke regt sich nicht; wie ein Toter liegt er im Bette.

Ein Tränlein zittert an ihrer Wimper. Sie wischt es hastig weg, geht zum Tische und kniet sich nieder, flehend zu dem Bilde aufblickend, um das der sanfte Schein des von der Messerklinge zurückgeworfenen Sonnenstrahles zittert. Sie faltet die Hände und betet. »Heilige Maria, hilf ihm zum Gesund! Schau, was er für Wehtum hat! Gerad ins Herz schneidet's einem, wenn es so zulosen muss und nicht helfen kann. Ich tät ihm gern helfen, ich gäbe mein letztes Tröpferl Blut her, wenn ihm damit geholfen werden kunnt; ich hab die Macht nicht dazu. Aber du kannst es; du bringst alles zuweg, hat der Martin gesagt, mein Bruder. Geh, hilf ihm und recht bald! Hilf ihm wieder zu seinem Gesund! Nicht für mich, dass ich was hätt davon, beileib nicht! Wenn ich mir alles zu verlangen trau von dir, das nicht. So ein großes Glück bin ich gar nicht wert … ich nicht …«

Leise knarrt die Türe in den Angeln. Sepherl springt auf und packt das Leinenzeug.

Es ist Philomene, die kommt. »Ist er noch nicht zu sich kommen?« fragt sie leise.

Sepherl ist das Blut zu Kopfe geschossen, und ihre Wangen glühen. Dass sie die hat sehen müssen, wie sie gebetet hat für ihn. Sie schüttelt nur den Kopf. »Kein bissel noch«, sagt sie nachher. »Kannst schon hell reden, er hört nichts.«

»Das Elend! Das Kreuz!« seufzt Philomene. »Gelt, du hast auch gebetet für ihn, gerad jetzt?«

Dem Dirnlein wird, als müsse es versinken in den Fußboden vor Scham. Und das Beten ist doch keine Schande. »Ja.«

»Und ich hab dich irr gemacht darin«, wirft sich Philomene vor. »Aber ich kann mich nicht die Länge aufhalten. Gerad nur einen Sprung hab ich herauf gemacht. Weißt, wir haben das Altheu auseinander oben in der Bergwiese, und es wird heut zum Einfahren. Aber der Bartel ist vorgestern draußen gewesen im Land bei dem Bader, wo der Lenz gelernt hat, um Hilf und Mittel, und gestern am Abend ist er kommen. Da hab ich mich gleich aufgemacht und bring das herauf, was er mitgeben hat: eine Salbe für die Wunde, dass sie recht schnell ausheilt, und ein Trankl, wenn er munter wird, dass sich die Lebensgeister wieder ein bissel rühren in ihm.«

»Und versteht der Bader was?« zweifelt Sepherl.

»Der? O mein'! Der ist ein gescheiter Mann. Schau, was der Lenz alles gelernt hat von ihm! Aber jetzt kann er sich halt nicht helfen, weil er ganz von Sinnen ist. Kriegt er nur wieder einmal Leben, er hilft sich schon selbst.«

»Du, die Salbe kunnten wir ihm gleich auflegen, wenn wir ihn riegeln (bewegen) können«, schlägt Sepherl vor.

»Mein', ja. Daran hätt ich gar nicht denkt.«

Sie streichen etwas Salbe auf einen Leinenstreif und machen sich nachher daran, den Kranken zu heben. Aber so ein Körper hat ein Gewicht, und sie müssen ihre ganzen Kräfte zusammennehmen, ihn in Sitzstellung zu bringen. Eine hält ihn, und eine bindet die Salbe auf, und nachher legen sie ihn wieder sanft um.

Und wie sie noch so dort stehen am Bette und mitleidig das eingefallene Gesicht betrachten, heben sich die Lider des Kranken; er erwacht das erste Mal.

»Lenz! Mein Lenzl!« schreit Philomene und wirft sich auf den Bruder. Die hellen Freudentränen perlen ihr dabei aus den Augen.

»Nicht, Philomene, nicht!« wehrt Sepherl und zieht sie zurück. »Du kunntest ihn drücken; nicht! … Gib ihm lieber das Trankl!« Sie bringt schnell einen Löffel herbei, und Philomene schüttet ihn halt voll und reicht ihn dann dem Bruder.

»Nimm's, nimm's!« bittet sie. »Das hat dir dein Meister geschickt vom Land herein. Es soll sein Bestes sein, was er hat, hat er dem Bartl angeschafft.«

Mühsam schluckt der Richter den Trank hinab, und gleich nachher senken sich die Lider aufs Neue.

»Er wird wieder … er gesundet!« jubelt Sepherl schier, und freudiger Glanz strahlt aus den blauen Augen.

Eine Weile noch sitzen sie, halblaut plaudernd, beisammen, dann hebt sich Philomene plötzlich und geht. Sie hat daheim alle Hände voll Arbeit, und hier ist sie entbehrlich. Die Sepherl sorgt so gut für ihn wie sie selbst, so gut … Es fährt ihr durch den Sinn, dass sie gar gebetet hat für ihn. Wie ein Blitz durchleuchtet es ihr Hirn. Für ein Leut, an dem einem nichts liegt, betet man nur, wenn es gestorben ist, und rot ist sie worden, so rot wie eine zeitige Kirsche … Ja, die sorgt so gut für ihn wie sie selbst.

Ihre Gedanken machen jählings einen Seitensprung und beschäftigen sich mit dem Hannes, der noch immer im Bystritzer Gefängnis sitzt und von dem man nichts erfahren kann, nicht das und nicht jenes. Diese Gedanken trüben ihre Freude am Erwachen des Bruders ein Merkliches.

Ja, wenn der alte Gereuter nicht ein gar so halsstarriger Mensch wäre! Wie oft hat ihm schon einer angeraten, ein paar Öchslein zu verkaufen und das Geld dafür nach Bystritz zu tragen ins Schloss. Der Hannes wäre über ja und nein der unschuldigste Mensch von der Welt. Aber nein! Er weiß so auch, dass er unschuldig ist, sagt er, und kaufen tut er einen Schiedsspruch nicht. Er hält was auf sich und seine Ehr und hat einen anderen Stolz wie die Federfuchser im herrschaftlichen Oberamt.

Und sie kann sich abhärmen und abkränken!


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