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9

Es ist der Lichtmesstag des denkwürdigen Jahres achtundvierzig.

Über Gefild und Gehänge liegt der frisch gefallene Schnee, und aus dem grauen, düsteren Gewölke hernieder wirbeln die Schneeflocken langsam und bedächtig, als ob sie zagten. Die Wettervorsage für den Winter war richtig so beiläufig eingetroffen: dem Schneesturm vor Martini war ein verhältnismäßig linder Winter gefolgt. Im Flachlande draußen hatten sie fast so viel wie gar keinen Schnee gehabt, nur im Gebirge heroben hatte er sich einige Wochen gehalten, trotzdem es vor Lichtmess allgemein auf den Höhen wärmer ist als in den Niederungen.

Aber nun fängt es so sacht und ruhig an; der Winter will doch noch sein Recht behaupten. – Der Lenz, der Bauer im Hüttenhofe, sitzt in der behaglich durchwärmten Stube am großen Ecktische und sinnt über einem ebenfalls in rotem Sammet gebundenen, mit großem kaiserlichem Siegel versehenen Buche, worin geschrieben steht, dass Kaiser Karl am 23. Jannary des Jahres 1719 die Vorrechte des königlichen Waldes, Hwozd genannt, bestätiget und konfirmieret. Er hat sich dieses Buch erst unlängst vom Oberrichter ausgeliehen zum Durchlesen; aber es bietet nichts Neues. Was darin steht, hat er im anderen schon gelesen, das er früher ausgeliehen gehabt. Doch muss er etwas tun, dass er die Langeweile und die unangenehmen Gedanken verscheucht, die ihn oft plagen. Seit jenem Frauentage im Spätsommer, wo er das letzte Mal im Häuslein beim See gewesen, ist eine gewaltige Umwälung in ihm vorgegangen. Er ist nicht mehr der gerührige, jungfrische Bursch, der er bislang gewesen. Seine Augenbrauen sind meist finster zusammengezogen, sein Blick ist oft fast traurig, und zu Zeiten sieht er in die Welt, als wäre er sich selbst nicht gut. Missmutig und brummig schleicht er gewöhnlich umher, und manchmal starrt er bei helllichtem Tage träumend vor sich hin.

So eine Falschheit hätte er bei niemandem gesucht, bei der Sepherl am allerwenigsten. Und doch! Wenn er es nicht mit eigenen Augen gesehen hätte, er würde jeden einen Lügner geheißen haben, der ihm solche Mär hinterbracht. Aber es ist auch gut so! Wenigstens weiß er, woran er ist, und er hat es noch zu rechten Zeit erfahren.

Da ist die Seebäuerin schon ein anderes Leut. Sie hat es so deutlich gezeigt, was Stücke sie auf ihn hält, und das will schon etwas heißen, wenn er es einmal merkt. Sie hat dem Bärenhofer, der bei ihr für seinen Ältesten ein gutes Wörtlein einlegen gewollt, rund und kurz ihren Bescheid gesagt, sodass es zu keinem zweiten Anlaufe mehr gekommen.

Er steht bei ihr in größerem Ansehen denn ihre Brüder. Und wie kurze Kreuze sie mit dem Nazi gemacht, das hatte ihm Achtung abgenötigt für dieses Weib. Sie hat es ihm offen gestanden, warum sie den Lumpen verraten hat, wenn sie auch dem Wolferl etwas anderes vorgespielt. Sie hätte ja auch schweigen können dazu; kein Mensch hätte gegen den Nazi einen Verdacht gehegt. Aber nein! Sie selbst hat für ihn den Richter gemacht, und die Soldatenjahre sind gut ding so viel Strafe für einen, der in der Freiheit der Berge aufgewachsen, wie das Gefängnis.

Oft zwängt er seine Gedanken absichtlich nach dieser Richtung, um leichter zu vergessen, aber die sind widerhaarig und folgen nicht einmal, wenn er es haben will. Mehr denn einmal hat er schon so gesonnen, wenn er mit der Nachbarin ein ernstes Wort redete; es muss ja doch einmal sein. Eine Bäuerin muss einmal auf den Hof. Sie würde vielleicht mit beiden Händen zugreifen, und ein Weiberleut von der Art wie die Seebäuerin, das ist nicht so … so wie die Sepherl.

Da ist er halt schon wieder bei ihr. Zum Schinder! Dass er das falsche Leut nicht aus dem Kopfe bringen kann? Und wenn ihm daran ein Gedanke kommt, schmelzen und zerfließen all seine Pläne mit der Nachbarin wie Eis an der Sonne.

Unwillig schüttelt er den Kopf und liest weiter.

Es ist eine altehrwürdige Sache um den königlichen Wald, und mit gerechtem Stolze kann der Freisasse seiner Ahnen gedenken, die allweg für ihre Freiheit eingetreten, diese als ihr höchstes Gut geschätzt und geachtet und jederzeit sich selbst aus der Verpfändung gelöhnt, wenn ein seines Wortes vergessender Kaiser sie verpfändet um schnödes Geld. Schon im Jahre 1429 haben sie sich selbst freigekauft aus der Verpfändung, in die sie König Sigismund gegeben, 1617 wieder, da sie 1579 dem Johann von Lobkowitz für 5000 Schock meißnerischer Groschen als Pfand gegeben wurden, und Kaiser Mathias beurkundete da, dass sie nicht weiter versetzt werden sollten. Aber 1623 waren sie schon wieder in Verpfändung. Und erst 1770 haben sich sämtliche Waldhwozder Gerichte erboten, im Falle ihrer Befreiung aus dem gräflich Palmeschen Schutzjoche die 19 386 fl. 36 kr. wegen des im französischen Kriege zur Bewachung des Grenzpasses vorgeschossenen Soldes zurückzulassen und noch 47 000 fl. als Freikauf zu zahlen. Aber er Adel! Und sie, die freien Bauersleute, die mit Axt und Pflug das geschaffen, was andere mit Schwert und Mord zum Teile wieder vernichtet, die die Wildnis kultiviert, die galten nichts …

Der Lenz schreckt schier auf aus seinen Gedanken. Die Türe geht auf, und herein kommt der Gereuter, den Bower mit flaumigem Schnee bedeckt.

»Gelobt sei Jesus Christus!«

»In Ewigkeit.«

»Mach ich dich leicht irre?«

»Wo denkst denn hin?« verwahrt sich der Lenz. »Ich hab gerad nur ein bissel gelesen, weil eins an einem Feiertagsnachmittag ja sonst auch nichts tun kann. Und die Ehehalten sind fort und die Philomene auch … Häng deinen Bower nur auf die Stange und setz dich ein weniges her! Oder willst noch weiter?«

»Nein, nein. Gerd nur zu dir, keinen Schritt weiter.« Er hängt den Mantel auf und rückt an den Tisch, dann stürmt er geradewegs auf sein Ziel los. »Was meinst, was ich heut will von dir?« hebt er an.

Der Lenz sieht ihn fragend an. »Ja, was kann ich wissen?«

»Wie du es nimmst, viel oder wenig … Die Philomene wär's. Nicht für mich brauch ich das Dirndl, für meinen Hannes. Der setzt sich einmal so darauf.«

Warum er nicht gleich darauf verfallen? Er hat es ja schon einmal gemerkt, dass irgendetwas los sein müsse bei den zwei Leuten, bei seiner Schwester wenigstens.

»Nachher musst du wohl die Philomene fragen«, beschied er. »Ich kann da nicht Ja sagen und nicht Nein. Wenn es ihr Wille ist, ich hab nichts dagegen einzuwenden.«

»Nachher wird der Handel schon in die Richtigkeit kommen«, hofft der Gereuter. »Ich wart also, bis das Dirndl heimkommt … Aber dass ich dir erzähl, was bei uns gestern in der Sitzweil geredet worden ist. So ein Umgeher ist bei mir blieben über Nacht, einer, der die ganze Welt schier auskommen ist und über alles eine Auskunft auf der Zunge liegen hat. Der hat erzählt, im Frankenreiche gäb es Aufruhr, offenen Aufruhr, und bei uns brandle es auch an allen Orten und Enden.«

»Ich hätt noch nichts merken können«, zweifelt der Lenz.

»Nun ja, gerad bei uns im Künischen! Aber der Mann kann schon recht haben, däucht mich. Wenn d' annimmst, wie die Leut, die unter den Herrschaften stehen, druckt und geschunden werden; einem jeden frisst's am Herz, und bald er ein bissel Lung kriegt, geht er auf. Hab ich nicht recht?«

Der Lenz nickt stumm vor sich hin. »Sel kann ja sein«, gibt er zu. »Aber was geht das uns an? Wir haben unsere Privilegien, und der Wald ist noch niemals in Aufruhr gewesen.«

»Oha!« fällt ihm der Gereuter in die Rede. »Steht's nicht in dem Gnadenbrief des Kaisers Ferdinand dem Dritten, dass die Waldleut einmal in Aufruhr gewesen sind von wegen des Bluthundes Don Martin Hofhuerta, dem sie verpfändet gewesen sind? Schau nur gerad nach. Ich hab die Gnadenbrief alle abgeschrieben daheim liegen. Und wenn's losgehen sollt und tät einer an unser Recht tasten, Kreuzmillion! Es gäb wieder einen Aufruhr. So viel sag ich dir … Wieder einen Aufruhr, und was für einen.«

Der Lenz schweigt eine Weile sinnend. »So weit kommt's nimmer«, meint er nachher. »Ich vermein nicht. Aber wenn es sein müsst, ich wär der erste; kannst mir's sicher glauben.« In seinen Augen beginnt es zu flimmern und zu leuchten, und auf seiner hochgewölbten Stirne ziehen sich kleine Fältchen zusammen. Er ist gemeiniglich nicht so leicht aus seinem Geleise zu bringen wie der Gereuter, der zeitenweise alles gleich auf die Spitze stellen kann; aber was er sich in den Kopf setzt, das hält.

»Gilt, Lenz! Gilt schon«, zollt der Gereuter Beifall. »Wenn's sein müsst, wir zwei sind die ersten, die ein Schneidzeug in die Hand nehmen.« Er streckt ihm seine Rechte über den Tisch hin. Aber der Lenz schüttelt den Kopf.

»Z'wegen was gleich so hitzig? Ist dir meine Red nicht genug? Und wer weiß, ob es sein muss?«

Da kommt die Philomene heim. Sie errötet leicht, als sie den Gereuter am Tische sitzen sieht. Der Hannes hat die vergangenen Tage schon so eine Andeutung gemacht, und es schießt ihr nun plötzlich durch den Kopf, was der Gereuter wollen könnte. Sie will gleich in die Kammer, aber der Lenz ruft sie.

»Geh her! Der Gereuter will dir was.«

Zögernd und verschämt geht sie zum Tische hin. »Was kunnt der Gereuter mir wollen?«

Und er sagt ihr, was er will. Glühende Röte bedeckt ihr Gesicht bei der Rede. Sie sagt nicht Ja, nicht Nein. Eine Weile tändelt und zupft sie an den rosenroten Fransen ihres Halstuches, nachher wendet sie sich an den Bruder. »Wie meinst du, Lenz?«

»Ich hab meine Meinung schon gesagt. Wenn es dein Wille ist, hab ich nichts einzuwenden.«

Sie nimmt ihm die Rede fast übel. Er konnte es sich ja denken. »Ich weiß es noch nicht recht; ich muss mir die Sach' erst ein bissel überlegen«, gibt sie nach einer Weile dem Gereuter als Bescheid.

»Da wird halt der Hannes selber nachfragen müssen«, schmunzelt der. »Er hätt eigentlich gleich gehen können. Nun, es ist ja auch nichts verspielt bei dem Gange. Aber sel ist ein bissel zuwider«, wendet er sich an den Lenz, derweil die Philomene in die Kammer geht. »Ich kann dem Hannes den Hof nicht geben, weil ich noch einen Buben hab und noch nicht ins Leibtumhäusel ziehen will. Wo werden die zwei Leut eine Wirtschaft hernehmen?«

Der Lenz schupft die Schultern. »Es kunnt sich ja überlings einmal was schicken; es müsst ja nicht in unserm Gericht sein. Und wenn sie sich derweil behelfen wollen, bei mir haben sie Platz genug. Ich wär so gerad auf fremde Leut angewiesen, wenn die Philomene aus dem Hause geht. Wenn es ihnen recht ist …«

»Du wirst auch einmal Ernst machen müssen«, fällt ihm der Gereuter in die Rede. »Jetzt bist gezwungen, das musst selbst einkennen. Und wenn du dir in deinem Alter keinen Ernst einbildest, nachher kommst schon gar nimmer dazu. So viel sag ich dir. Und ich mein dir's gewiss nicht schlecht.«

Der Lenz nickt zustimmend. »Es ist ja im Grund genommen so …«

Den zweiten Tag nachher kommt des Gereuters Hannes selber um das Jawort. Als der Lenz von ungefähr aus der Stube geht und nach ein paar Augenblicken zurückkommt, sind die zwei Leutchen mit sich im Reinen: Sie wollen einander angehören fürs Leben und Freud und Leid, heitere und trübe Zeiten teilen mitsammen.

Von der Zeit an schleicht der Lenz noch tiefsinniger umher. Nicht dass er der Schwester ihr Glück nicht gönnte! Wenn sich zu Zeiten auch ein derartiger Gedanken in sein Herz schleicht, er hat ihn bald draußen. Aber was er anfangen wird, das sinnt er. Die erste Stunde schon, die sie aus dem Hause geht, muss er einen Ersatz für sie haben. Wen aber?

*

Über das weißscheckige Gelände leuchtet die Märzensonne, und in den Lüften trillern die Lerchen. Es will Auswärts werden.

Der Lenz hat sich am Mittage mit seinen Knechten und dem Inhäusler darüber gemacht, die Schneewehe, die sich während des Hornungs um das Gehöfte herum angesammelt, zu zerhacken, und den Schnee möglichst weit auf dem schon aweren Anger auseinanderzuwerfen, weil die Sonne dann früher fertig wird mit ihm. Wenn es nachher einmal wird, dass man in die Felder kann, hindert keine Schneewehe mehr.

»Heuer wird einmal ein Auswärts, wie er sich gehört«, mutmaßt Bartl, der Großknecht. »Vierzehn Tag wenn die Zeit noch anhält, nachher bauen wir Hafer, dass alles nur so staubt.«

»Schrei nicht zu früh!« warnt der Inhäusler.

»Wenn wir so im April drinnen wären wie im Märzen, nachher wär es früher zu verhoffen. Aber so trau ich nicht. Was hat's voriges Jahr nach Ostern noch für ein Gestürm angefangen?«

»Kunnt ja doch einmal eine Ausnahm machen«, meint der Knecht.

»Bei uns sind die Ausnahmen selten«, zweifelt der Lenz. »Im Land draußen wird's wohl den letzten Schnee wegleinen für heuer, aber bei uns heroben … Drei Vierteljahr Winter und ein Vierteljahr kalt, so steht's bei uns allweil.«

Den Anger herüber kommt ein Büblein in hastigem Leufe.

»Richter«, pustet er, »Richter, die Bäuerin hat mir angeschafft, Ihr sollt ein bissel herüberkommen, weil sich der Sepperl einen Holzzweck in den Fuß gestoßen hat. Und sie bringt ihn nicht heraus.«

Der Lenz steckt die Schaufel in den Schnee, streift die zurückgesteckten Hemdärmel nach vorn und geht. »Es wird nicht so aus sein«, mutmaßt er. »Schaufelt halt derweil; in höchstens einer halben Stunde bin ich wieder da.«

Was dem Buben zugestoßen, ist wirklich nicht so aus. Es geschieht oft einem, dass er sich an den schülfrigen Dielen einen Splitter einstößt in eine Zehe, und mehr war dem Sepperl auch nicht geschehen.

Der Holzspan ist bald ausgezogen, aber der Lenz kommt nicht so bald weg aus dem Seehofe, wie er sich vorgenommen. Die Bäuerin lädt ihn zum Sitzen ein, setzt sich neben ihn und plaudert und plaudert, bis er schließlich gar nicht mehr daran denkt, dass er in einer halben Stunde daheim sein wollte. Erst erzählt sie vom Greger, ihrem Häuselmanne, der nun schon abgeurteilt. Im Herbste käme er wieder heim. Der Oberamtmann hätte es gnädig gemacht mit ihm; freilich hätte auch ihr Bruder, der Wolferl, ein weniges fürgesprochen, weil ihn das Weib und die Kinder so erbarmt hätten. Dann kommt die Rede auf den Verspruch des Hannes und der Philomene.

»Dich trifft die Sach' halt am härtesten«, meint sie. »Du bist jetzt gezwungen, dass du heiratest.«

Er nickt nur; erst nach einer Weile sagt er: »Sie werden ja noch eine Zeitlang bei mir bleiben, bis sich was schickt, dass sie selbst eine Wirtschaft kaufen können. Und da führt die Philomene den Haushalt wie bisher.«

»Wie bisher?« lacht die Seebäuerin auf. »Lenz, dasselb glaubst du ja auch nicht. Bald der Pfarrer das letzte Wort gesagt hat von seinem Segen, steht die Philomene wie jedes andere Weib zu ihrem Manne. Und wenn sie dir den Haushalt führt wie bisher, so ist es nimmer. Sie soll zu deinem Nutzen wirtschaften und hausen und auch zu dem ihren; und der Mann steht einem allemal näher wie der Bruder.«

»Musst mir meine Schwester nicht verdächtigen!« mahnt der Lenz.

»Gar nicht daran denken an so etwas. Aber ich weiß selbst, wie eins ist«, verwahrt sie sich. »In der Sach' kannst du kein Urteil sprechen, weil du noch nichts durchgemacht hast … Ich schon.« Sie wird rot im Gesichte, und ihre Hände streicheln den Buben über die Locken. »Gerad dass ich dir ein Beispiel sag!« hebt sie nach einigem Stocken mit unsicherer Stimme an. »Was hab ich tan? … Was hab ich tan? Meinen leibhaftigen Bruder hab ich verraten, weil … weil er dich gestochen hat und weil ich dich gern hab, Lenz … Weißt es jetzt, z'wegen was es geschehen ist? Und eine ist in dem Fall wie die andere.«

Nun ist das Erröten am Lenz. Seine Augen haften auf der weißgescheuerten Tischplatte, und sein Puls schlägt etwas rascher denn sonst. Also das war es? Er hätte es sich schon lange zusammenreimen können, schon lange …

Da fasst sie ihn bei der Hand und rüttelt ihn auf aus seinem Sinnen. »Lenz, bist du mir böse deswegen?« fragt sie leise und sieht ihm forschend ins Gesicht. »Ich hab dir's einmal sagen müssen, wie mir ums Herz ist … Ich weiß nicht, hast du es nicht kennt, oder hast es nicht kennen wollen; ich hab dir's sagen müssen. Und nimm's nicht ungerad! Ein Dirndl dürft das nicht tun, aber eine Wittib ist schon freier. Und schlecht zu denken brauchst deswegen auch nicht von mir … Dass ich verheiratet gewesen bin, sel weißt eh; sonst aber kann ich auf jeden Schritt und Tritt die Sonn scheinen lassen, auf jeden.«

Der Lenz sieht ihr unwillkürlich in die Augen, und es überläuft schier ein kalter Schauer seinen Rücken. Welche Größe muss die Liebe zu ihm haben, die dieses Weib im Herzen trägt, welche Gewalt? Und doch graut ihm schier davor. Diese Leidenschaft mag zu allem Guten fähig sein, aber auch zu allem Schlimmen.

Von der Erregung des Augenblickes hingerissen, drückt er ihre Hand zusammen in der seinen, dass sie fast aufschreien möchte. »Nani, mir ist nimmer bang, wie es mir mit meiner Wirtschaft geht, wenn die Philomene heiratet«, jubelt er schier auf.

»Das hättest schon lange wissen können«, lacht sie ihn mit vor Freude strahlenden Augen an. »Den Trost hättest dir schon vor langer Zeit holen können.« Sie zieht ihn näher an sich. »Und dass ich dir gerad sag: Schon eh ich meinen Mann geheiratet hab, hätt es nur gerad ein Wörtel braucht von dir, ein Winken mit dem kleinen Finger, und ich wär die Deine gewesen und hätt zu dir gehalten, was auch dazwischen kommen wär. Aber nein! Und zum Trotz, gerad zum Trotz hab ich selbes Mal geheiratet, dass ich dir allweil vor den Augen umgehen kann. Ich hab meinen Mann geschätzt und geehrt; wirst nichts Unrechtes gehört haben …«

»Kein Wörtel«, nickt er.

»Also siehst. Und weil es jetzt der Herrgott so geschickt hat und ich bin wieder frei und ledig, so hab ich mir denkt: jetzt lässt dein Glück nimmer aus, jetzt nimmer. Und mit Gewalt hab ich zugriffen, und erwischt hab ich es und hab es jetzt bei der Hand … Sei mir nicht bös', Lenz, derentwegen. Du wirst keine Ursach haben, dass es dich reut, nie nicht.«

»Red nicht lang!« mahnt er sie und will sie an sich ziehen. Aber im selben Augenblick geht die Stubentüre auf, und der Nazi kommt herein. Sein Gesicht verzerrt ein widerliches Grinsen, und wie er die Türe hinter sich ins Schloss drückt, fährt seine Rechte tastend am Schenkel hinab, wo die Männerleut im Walde gewöhnlich das lange Messer stecken haben.

»Ah! Willkommen all zwei!« grinst er. »Ich komm doch nicht etwa gerad zur ungelegenen Zeit? … Nun, ein bissel rasten wirst mich ja lassen in deiner Stube, Frau Schwester, gelt?« Er rückt sich einen Stuhl zurecht, setzt sich aber so darauf, dass er zur gelegenen Zeit sofort wieder auf den Beinen sein kann.

Die Röte, die der Seebäuerin Wangen noch vor ein paar Augenblicken bedeckt, ist einer fahlen Blässe gewichen, und wenn einer gerade aufgepasst hätte, wäre ihm das Aufeinanderknirschen der Zähne nicht entgangen. Mit weit aufgerissenen Augen starrt sie den Burschen an. »Ja, wo kommst denn du her?« fragt sie dann.

»Gelt?« lacht der Nazi. »Hättest mich nicht verhofft … so bald. Aber sel siehst, dass ich wieder da bin. Freilich kann ich mich nicht recht lang aufhalten; gerad nur auf ein paar Wörtel hab ich zugesprochen bei dir, dass ich mich bedank von wegen … weißt, von wegen dem Verkauf …«

»Lenz! Er ist ein Flüchtling!« schreit die Seebäuerin auf. »Er ist ein Flüchtling. Nimm ihn fest!« Vor ihren Augen tanzt alles in der Stube einen tollen Reigen um sie her. Sie sieht das Glück, das sie soeben mit festem Griffe erfasst, mit Gewalt ihrer Hand entgleiten und in dem wilden Wirbel verschwinden, und es grinst ihr noch zum Abschiede ebenso höhnisch und widerlich zu wie der Nazi.

Der greift nach dem langen Messer und hält es kampfbereit in der Hand. »Rühr mich nicht an, Schwager!« droht er. »Wenn einer so viel wagt, dass er beim Militär davonläuft, dass es ihm alles eins ist, ob's so geht oder so, und wenn er nachher schon daheim ist und es stellt sich ihm einer entgegen, nachher … weißt, nachher ist's ihm halt auch alles eins, so oder so.«

»Sorg dich nicht!« beruhigt der Lenz. »Ich bin nicht aufgestellt, dass ich die davon gerannten Rekruten zusammfang. Und … und einen Schwager brauchst mich jetzt gerad noch nicht zu heißen, wenn schon …«

»Nicht? Noch nicht?« lacht der Nazi gellend auf. »So bin ich doch noch nicht zu lang kommen? Weißt … ein Gefallen ist des anderen wert. Und es war ein sakrischer Gefallen, den mir meine Frau Schwester tan hat …«

»Nazi … Nazi! Ich bitt dich um Gottes willen!« schreit die Seebäuerin. Sie ist von ihrem Sitze aufgesprungen und steht nun vor ihm mit gefalteten Händen. »Nazi, lass ein vernünftig Wörtel reden mit dir, eh du deinen Hass und deinen Groll heraus speist auf mich und mein Glück!«

Aber der stößt sie lachend zurück. »Schau, schau! Wie meine Schwester jetzt weich worden ist die Zeit her, wo ich fort gewesen bin, so sie mich verkauft hat! Und meinen Hass soll ich nicht heraus speien auf sie und ihr Glück? Ich lach gerad dazu … verstehst mich, ich lach gerad dazu …«

»Nazi!« begehrt der Lenz auf. »Wenn du was zu sagen hast, sag's auf eine Weis', wie es sich gehört. Auf die Weis' lass ich mit meiner Braut nicht reden, von dir nicht und von keinem anderen. Was ihr habt mitsammen, geht mich nichts an, aber das duld ich einmal nicht, und das ist mein letztes Wort.«

»Auch schon, auch schon«, nickt der Nazi. »Weißt, ich kann anders auch reden, sel hab ich schon gelernt beim Militär. Ich hab nur gerad im Augenblick nicht daran denkt, dass eins mit einer Frau Richterin höflicher sein muss …«

»Nazi! … Nazi!« Sie schreien es beide zugleich; der Lenz drohend und die Seebäuerin bittend.

»Ist schon recht«, nickt der Nazi wieder und wendet sich zum Lenz. »Mit der da kann ich nicht anders reden, ich bring es nicht übers Herz. Wer einem so was antut, wer seinen eigenen Bruder verkauft wie ein Rindl Vieh, weißt, gegen das ist eins schon anders … Dass ich dir sag: Ich bin gerad nur auf ein paar Wörtl herkommen. Ich hab schon gemeint, ihr wäret im Hüttenhof drüben, derweil sagen deine Knecht, dass du da bist … Weißt, wie diesmal die Geschicht gewesen ist oben im Seehäusel? Eine Lumperei ist's gewesen …«

»Nazi!« schreit die Seebäuerin flehend und fasst den Bruder am Arm. »Nazi, hab ein Erbarmen mit mir! Nazi … Bruder …«

»Geh mir weg!« droht er und stößt sie wieder zurück. »Rühr mich du nimmer an und heiß mich keinen Bruder mehr!«

Sie taumelt zurück, lehnt sich an die Bettstatt und starrt mit dem Blicke eines an allem Verzweifelnden nach dem Tische. Sie weiß kaum mehr, was und wo sie ist, aber das eine ist ihr klar: ihr Glück, nach dem sie so gejagt und gehascht, das zu erreichen sie kein Mittel geprüft, ob es recht oder unrecht sei, alles, alles ist vernichtet, alles ist verloren.

»Und dass ich dir noch sag«, fährt der Nazi fort. »Weißt, ich hab nicht gar viel überflüssige Zeit …Selbes Mal ist die Sepherl unschuldig gewesen. Die da … die Seebäuerin hat mich angestiftet und angelernt, wie ich es machen soll, und es ist genauso worden, genauso. Ich hab selbst nicht gewusst, um was es geht; erst im Heruntergehen ist's mir eingefallen … Langst noch nicht?«

Der Lenz steht mit einem Ruck auf, und im selben Augenblicke spring auch der Nazi vom Stuhle auf und flieht zur Türe hinaus. Er weiß nicht, was der Hüttenbauer im Sinne hat, er traut ihm nicht und bringt sich zur Vorsorge in Sicherheit. »Behüt Gott, all zwei!« schreit er in währendem Zuschlagen der Türe noch zurück.

Neben dem Lenz sitzt der kleine Sepperl, den die Seebäuerein von ihrem Schoße dorthin gesetzt, als sie zu ihrem Bruder geeilt und ihn gebeten. Den nimmt er nun bedächtig und behutsam und stellt ihn wieder auf die Dielen. Dann schreitet er der Türe zu.

»Lenz!« fleht sie ihn an. »Lenz, es ist alles um deinetwillen geschehen.«

»Dir hätt ich auch nicht zugetraut, dass du so schlecht wärest«, würgt er heraus, ohne sich noch einmal nach ihr umzusehen.

Sie lehnt noch eine Zeitlang an der Bettstatt und starrt vor sich hin. Nachher lacht sie gellend auf: »So schlecht? So schlecht? Ich kann noch schlechter sein, Hüttenbauer!«

Des anderen Tages geht sie zu ihrem Bruder, dem Wolferl.

»Was muss denn das sein, dass du dich auch wieder einmal sehen lässt bei mir?« wundert sich der. »Ich denk frei keine Zeit nimmer, wo du es der Mühe wert gefunden hättest, dass du zu uns gehst. Dein Abgott ist ja dein Nachbar.«

Ein hässliches Auflachen entstellt ihr schönes Gesicht. »Gewesen«, ergänzt sie. »Ich sag dir derweil gerad so viel: Wo d' mich brauchst, zu dem oder zu dem, du weißt, wo der Seehof steht und wo ich daheim bin.«


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