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2

Über das Gebirge hin tobt der Schneesturm wie mitten im großen Hornung (Januar), und in zwei Tagen hat man Georgi. Im Geäste der Schirmbäume vor dem Hüttenhofe braust und pustet der Wind, im Rauchfange heult er, dass es schier zum Fürchten ist, und den körnigen Schnee wirft er gegen die Fensterscheiben, dass es nur so prasselt.

»Der Ritter Girg reitet fein einen schneidigen Schimmel«, meint der Bartl, der Großknecht, und treibt einen buchenen Zahn in die Egge. »Frei eine Schand ist's, um die Zeit noch so ein Gestöber herauszumachen.«

»Ist nicht das erste Mal und das letzte Mal leicht auch noch nicht«, meldet sich der Ähnl auf der Ofenbank. Er ist ein magerer, schon ziemlich gebückter Mann, aber grobknochig, und seinem Körperbau sieht man es auf den ersten Blick an, dass er seinerzeit auch wer gewesen. Wenn so ein siebenzig Jährlein an einem Leben vorüberrauschen, wird es morsch und mürbe. »Ich denk so ein Wetter schon ein paarmal. Gar nach Pfingsten hat's uns einmal alle Birken umbrochen, und beim Backofen draußen ist ein Holzbirnbaum gestanden, ein uralter Baum, den hat es ausgewurzt wie einen Grössling (junge Fichte).«

Auf der Gred schlägt der Hofhund an, und gleich darauf hört man im Vorhause stampfen und den Schnee vom Gewande klopfen.

»Wer wird denn in dem Hundswetter kommen?« wundert sich der Lenz, der dem Bartl Eggenzähne schneiden hilft.

»Leicht ein Bettler«, rät Philomene, ein handfestes Dirndl, knapp an der Schwelle des Zwanzigers. Sie ist des Lenzen Schwester und tut die Arbeit der Bäuerin, derweil zurzeit im Hüttenhofe alles los und ledig ist.

Da stürmt die Seebäuerin in die Stube. »Guten Morgen!« wünscht sie, derweil sie das große Hülltuch auf die Ofenbank legt und ein Kopftuch abbindet, denn sie hat heute deren zwei um.

»Was ist's denn? Ist leicht was geschehen?« fragt Philomene hastig, und auch der Lenz hält in seiner Arbeit inne und sieht neugierig auf.

»Geschehen? Müsst denn gerad was geschehen sein? Aber mir ist's genug; ich müsst aus dem Haus, wenn es Zaunstecken schneite. Die ganze Nacht hab ich kein Aug zutun können vor lauter Wehtum. Aber er muss heraus.«

»Ein Zahn leicht?«

»So ein Wehtum!«

Nachher setz dich nur gleich her!« lädt sie der Lenz ein, während er den Pelikan aus dem Glaskasten holt. »Und du, Philomene, du kunnst ihr den Kopf halten.«

»Nicht um wer weiß was«, entrüstet sich die. »Du weißt, dass ich bei so einer Sach nicht einmal zuschauen kann.«

»Zu was wär denn ich da?« lacht der Bartl und stellt sich in Bereitschaft.

Der Lenz sucht und sucht beide Reihen blendend weißer Zähne ab und findet keinen anbrüchigen. Die Seebäuerin bezeichnet einen Stockzahn als den Störenfried, aber er findet durch Klopfen, dass auch der kerngesund ist. Er schupft die Schultern.

»Einen gesunden Zahn reiß ich dir nicht aus. Der Mensch soll froh sein, wenn er welche drinnen hat.«

»Und was soll ich nachher anfangen wider den Wehtum?« jammert die Seebäuerin.

»Warten, bis er von selbst vergeht.«

Sie steht unwillig auf und setzt sich zum Ähnl auf die Ofenbank. Da stampft und strampelt wieder jemand im Hausflur, und bald darauf tritt ein untersetzter, stämmiger Mann in die Stube. »Gelobt sei Jesus Christus!«

»In alle Ewigkeit … Amen!« setzt der Ähnl noch hinzu.

»Na, du bist noch nicht gerichtet?« rügt der Ankömmling sichtlich, nimmt den weiten Bower von den Schultern und stäubt den Schnee davon in den Besenwinkel.

»Ich wüsst nicht …« sinnt der Lenz und sieht den Mann fragend an.

»Nun ja, so hat man die Leut!« wendet sich der Ankömmling an den Ähnl und spuckt rasch hintereinander rechts und links aus, wie er es in der Gewohnheit hat. »Ich hab's schon hundertmal gesagt und sag's heut wieder: der alte Stamm ist im Aussterben, und die alten Ereignisse verlöschen wie ein Buchenspan, wenn das Licht an ein modriges Örtel kommt … Richterwahl ist heut in unserem Gericht.«

»Richterwahl!« fährt der Ähnl auf. »Lenz, da gehst … da gehst. Bei so einer Sach gibt's keine Ausred und kein Fürschutz. Der Gereuter hat recht.«

»Vom Nichtgehen ist keine Red«, erwehrt sich der Lenz. »Ich bin selbst so gescheit … aber vergessen hab ich, zu Tode vergessen … Wenn d' noch ein halbes Stünderl verziehst, Gereuter, geh ich gleich mit dir.«

»Eh«, sagt der zu. »Zeit ist ja noch. Bis zum Grabenwirtshäusel ist gerad nur eine starke halbe Stund, und zu Mittag geht die Geschichte erst los.« Er schiebt die bis zur Mitte der Oberschenkel reichenden Wadenstiefel, die einem Reiterstiefel aus der Schwedenzeit fast auf ein Haar ähneln, diesen vielleicht als Vorbild gehabt haben mochten, bis zur Wadenmitte hinab und setzt sich zum Ähnl.

»Geht doch zum Tisch her, Gereuter!« nötigt Philomene. »Geht her und schneidet Euch ab, wie es der Brauch ist!« Sie legt den Laib Brot und das Messer auf den Tisch, und eine leichte Röte überzieht ihr Gesicht. Sie kann den Hannes gut leiden, und der Gereuter ist sein Vater.

»Was wollt Ihr für einen wählen?« forscht der Ähnl.

Der Gereuter schupft die Schultern. »Hab gar noch nichts gehört«, weicht er mit einem Seitenblicke auf die Seebäuerin aus. Gehört hat er schon, dass die Unteren den Wolferl wählen wollen, und der ist der Seebäuerin Bruder.

Da tritt der Lenz als ein Angezogener aus der Kammer. In der Stube setzt er noch die Pelzhaube auf und wirft den Bower über, dann greift er zum Stecken. »So, wenn du jetzt gehen willst, in Gottes Namen!«

»Und wählt einen Richter, wie einer sein soll!« trägt der Ähnl noch auf. »Einen richtigen Freisassel wie Stein und Felsen.« Er ist selbst Richter gewesen, bis er den Hof dem Buben hat verschreiben lassen von wegen des Soldatenlebens, und er weiß auch, was am Richter hängt.

Die zwei stapfen über die verwehten Fluren dahin, still und schweigend. Eine Rede wäre ja vergebens; keiner kann sein eigen Wort verstehen. Der Sturm plodert in den weiten Mänteln, und die Schneekörner prasseln am Gewande.

Als sie gegen das Wirtshäusel zu absteigen, fährt gerade ein Schlitten durch die Talmulde herauf. Der Lenz stößt den Gereuter an und deutet in die Richtung.

»Zeit genug!« schreit der und hält sich den Bower vors Gesicht. »Der Herr Joachimsthaler wird's nicht so eilig haben. Zeit genug!«

Einige Vaterunser lang nachher stapfen sie hinter der Schupfe des Wirtshäusels hinein. Gedämpftes Stimmengewirre, dessen einzelnen Worten aber man die Erregung auf den ersten Augenblick anzumerken vermag, dringt durch den Bretterverschlag. Der Gereuter fasst den Lenz am Mantel und hält ihn an. »Los! Da drinnen wird was ausgemacht«, raunt er ihm zu.

»Die Zeiten sind heut anders wie noch vor einem Menschenalter«, redet einer in der Schupfe. »Die Leut werden alle Tag gescheiter und abgehobelter; ein jeder muss sich nach der Zeit richten. Bei uns ist's bisher eine Schand gewesen, wenn einer nicht baumfest am Alten gehangen ist und hat einen anderen Brauch einführen wollen, und keiner hat sich geschert darum, wenn sie ihn in den Dörfern draußen angeschrien haben: Freisassel – Waldwastel! Aber es wird alle Stund anders, und ihr müsst schauen, dass ihr einen Richter kriegt, der auch mit der Obrigkeit umgehen kann …«

»Na, sel ist nicht gerad die Hauptsach«, widerspricht einer.

»Wenn's nach meinem Sinn geht, wird du Richter, Wolferl«, äußert sich ein anderer.

»Dem Oberrichter soll's auch ein Gefallen sein«, verrät ein dritter. »Es ist schon geredet worden, dass einige den Gereuter haben wollen; aber der ist ihm zu stützig.«

»Der Wolferl wird's …«

»Nie nicht!« knirscht der Lenz und stößt seinen Stecken in den Schnee.

»Hast es gehört?« lacht der Gereuter bitter auf. »Ich nimm's nicht an; aber sel darf auch nicht geschehen. Man weiß schon genug.« Er gibt dem Lenz einen Stoß und schreitet um die Ecke. »Geh!« Trotzigen Schrittes stapft er über die Gred hinein, und der Lenz folgt ihm.

»Wir sind wir!« sagt der Lenz unter der Haustüre. »So ein Richter kommt uns nicht ein!«

»Gelobt sei Jesus Christus!« Mit dem Gruße tritt er in die schon mehr als zur Hälfte gefüllte Gaststube. Hätte er die Reden in der Schupfe nicht gehört, vielleicht hätte er der schon einige Zeit sich breit machenden Gepflogenheit gemäß einen guten Abend gewünscht. Aber wie der Gruß jetzt von ihm geboten wird und in dem fast herausfordernden Tone, ist er eine offene Auflehnung gegen jedwede Neuerung.

»In Ewigkeit!« Fast die meisten danken so, und einige Augenblicke wird es mäuschenstille. Alle starren nach der Türe hin, wo die zwei Ankömmlinge sich den Schnee und die Eiszapfen von Augenbrauen und Augenwimpern wischen. Die buschigen Brauen des Hüttenbauern sind finster zusammengezogen, und zwischen ihnen liegt eine tiefe Furche. Der Schnauzbart hängt voll Eiszapfen und verdeckt fast das halbe Kinn, und finster und schier herausfordernd blicken die Augen in der Stube herum.

Mehr als einem der Männer, die schon um die Tische sitzen, fährt es überlings durch den Sinn: die zwei Bauern von der Hüttenhöhe haben von dem Ansinnen der Jungen gehört und sind nicht desselben Willens, es kann scharfe Gegenrede geben.

Sie haben die Bower abgelegt und auf die Bank geworfen auf die anderen.

»Da geht her! Da ist noch ein Platzl«, lädt der alte Riegler ein, ein kleines, unscheinbares Männchen, dessen Körper allweil in Bewegung ist wie ein Quecksilbertröpflein.

Da kommen die in die Stube, die sich vorhin in der Schupfe beredet. Der Lenz wirft dem Wolferl einen finsteren Blick zu als Antwort auf dessen Gruß, und wer es vorhin noch nicht gemerkt, der kommt jetzt ins Reine: am Hüttenbauer hat der Wolferl keinen Freund.

Der Oberrichter hat mit seinem Schreiber an einem kleinen Tischchen abseits Platz genommen. Gerade unbeschränktes Vertrauen genießt er in der letzten Zeit nimmer, wenn die Zahl seiner Anhänger auch immerhin noch eine große ist. Haben doch schon vor drei Jahren (1844) die Richter sämtlicher sechs, dem Oberamte Bystritz unterstellten Gerichte eine Eingabe an den Erzherzog Stephan gerichtet, worin sie sich beschwerten, »dass sie an dem fürstlich Hohenzollernschen Oberamte Bystritz einen ebenso gewandten als mächtigen Gegner haben, gegen welche fremde Macht sie sich durch ihren Oberrichter nicht hinlänglich geschützt und vertreten ansehen können«. Es ist aber auch noch vieles andere, was dem Herrn Joachimsthaler nicht die Zuneigung der Freibauern einzubringen vermag.

Musternd überfliegt sein Blick die Anwesenden. »Wer kommen will, wird schon da sein«, meint er dann. »Wir kunnten anfangen.«

»Ja, schon … Gehen wir's an! … Wer nicht da ist, sticht nicht«, stimmen die meisten dem Vorschlage bei.

Der Oberrichter steht auf. »Der Guntheri in der Au ist als Richter verstorben und …«

»Der Herr gib ihm die ewige Ruh!« nickt der alte Riegler, den Oberrichter unterbrechend, vor sich hin.

»Ja, und er sei ihm auch ein gnädiger Richter!« geht der Oberrichter darauf ein. »Und jetzt heißt's wieder einen Richter wählen. Kraft des Gnadenbreifes, den uns der Herzog Bretislav im Jahre 1041 geben hat und den alle Kaiser des römischen Reiches deutschen Stammes bestätigt haben, kommt uns nebst allen anderen bürgerlichen Freiheiten auch das Recht zu, unsere Richter nach uralter Weise selbst zu wählen. Wählt also einen Mann, der nach eurem Sinne ist, und drei Geschworene zu seinem Beirat. Wen, das ist euer Recht und euer Willen.« Gewichtig lässt er sich wieder auf dem Schragen nieder.

»Es ist die Tag her schon so geredet worden, und den meisten wird's recht sein, wenn der Wolferl Richter wird«, schlägt ein jüngerer Bauer vor. »Er kann gut lesen und schreiben und kann auch mit den Herrenleuten reden. Ich mein schon, dass wir ihn wählen sollen.«

»Dasselb ist euer Recht und euer Willen«, lehnt der Oberrichter achselschupfend die Verantwortung ab, trotzdem er am liebsten den Wolferl als Richter gewählt sähe.

Dem Gereuter zuckt es in den Händen. Er hat eine scharfe Widerrede auf der Zunge, aber er meistert sich.

»Gilt schon!« schreit ein bartloser Mensch auf, der neben dem Wolferl sitzt. »Gilt schon!« Und er schlägt mit der Faust auf den Tisch, dass die Steinkrüge klappern. Dabei stößt er ein heiseres Lachen aus und blinzelt mit den weit vorquellenden, von genossenem Branntwein glänzenden Augen die Nächstsitzenden verständnisinnig an.

Mit einem jähen Ruck fährt der Gereuter von seinem Stuhle auf. Sein Gesicht wird dunkelrot, und die Drosseladern an seinem Halse blähen sich. Mit einigen Schritten steht er hinter dem Schreier und packt ihn an der Schulter, dass sich der Angegriffene schier zusammenkrümmt.

»Was hast denn du heut' zu reden?« fährt er ihn an. »Han, was denn? Gehört zum ersten ein rauschiger Mensch zu einer Wählung? Und nachher mein ich halt und sag dir's, weil sich dein Bruder nicht muckt: wer weiter nichts ist als wie ein Tunichtgut und ein Lump, der hat schon gar nichts mitzureden bei so einer Sach.« Seine Stimme bebt vor Zorn und Aufregung. Es ist seiner seligen Schwester Bub, der ihm die Schande macht, des Wolferls Bruder.

Der so Gescholtene wendet sein Gesicht jählings dem Gereuter zu, und die Rechte fährt dabei blitzschnell nach dem Steinkruge.

»Untersteh dich!« droht der Gereuter. »Auf der Stell setzest dich weg von den Wahlmännern … dorthin, an denselben Tisch, bis die Sach ausgemacht ist!«

»Aber Vetter!« legt sich der Wolferl begütigend ins Mittel. »Was habt Ihr denn nur gerad? Die Nanni, die Seebäuerin, hat ihn halt für sich gschickt. Und dass er schon ein bissel rauschig ist? Schaut, das kann bei dem Wetter jedem geschehen, wenn er wie ein Eiszapfen hereinkommt und ein bissel gach trinkt … Und im Übrigen: wenn wer Anstoß nimmt daran, es braucht ja keiner aufzumerken auf ihn.«

»Weiberstimm wiegt nicht«, besteht der Gereuter.

Der Wolferl hat sich beherrscht, soviel er konnte, und das will bei so einem aalglatten Menschen viel heißen. Aber nun springt er auf, packt den Bruder am Arm und zerrt ihn hinaus. »Auf meine Red gehst jetzt! … Ich seh es selbst, du hast nichts zu tun da.«

Widerstrebend folgt der, aber draußen im Hausflur reißt er sich los. »Wie meinst es denn?« fährt er ihn an.

»Sakra, hältst mir dein Maul nicht?« droht er halblaut. »Wie werd ich's denn meinen? Kennst dich gar nimmer aus? Wart nur, bis ich Richter bin! Und jetzt gehst heim und muckst dich nimmer! Es wird schon eine gelegene Zeit kommen.«

»Hin muss er sein!« knirscht der Nazi.

Der Wolferl hebt die Faust. »Bist still! Und jetzt gehst und verdirbst mir die Sach nicht.« Wie er wieder in die Stube kommt, ist sein Gesicht so ruhig denn zuvor, nur etwas röter ist es. »Ein Kreuz, wenn eins zu so einem Menschen Bruder sagen muss!«

»Seid ihr also alle mit dem Wolferl einverstanden?« fragt der Oberrichter. »Mir scheint, ich hab keinen Widerspruch gehört.«

»Halt aus! Oberrichter, halt aus!« gegenredet ein alter Bauer. »Ein bissel ein' Widerspruch kunnt's wohl geben. Und was ich zuerst sagen will: Männer, was in währender Wahl geredet wird, um sel hat sich keiner anzunehmen. Ich hab gegen den Wolferl nichts Schlechtes im Sinn und gegen einen anderen auch nicht; aber heut reden wir nicht für den oder den, wir reden fürs ganze Gericht. Wirst ja wissen, Oberrichter, wie die Zeitläuf allweil schlechter werden und der freie Bauernstand wie ein Stein sein muss und wie ein Felsen …«

»Mach's nur kurz, Brenner!« fällt ihm der Oberrichter in die Rede. »Also, du bist nicht für den Wolferl?«

»Alles, was recht ist, nein.«

»Auf wen tätest denn du wählen?«

»Mein', das ist eine harte Sach …«

»Wenn ich einen nennen sollt, so ist's der Gereuter, der Wastl«, meldet sich der Riegler.

»Der Gereuter … ja, das wäre ein Richter«, stimmen einige Ältere bei.

»Mich lasst aus der Red!« ereifert sich der Gereuter. »Ich mag nicht und … und …« Er hat sich vorgenommen, eine ganze Menge was vorzubringen, aber es fällt ihm augenblicklich nichts ein. Der Ärger hat alles weggerissen. »Aber wenn ich euch gut bin für einen Ratgeber, wählt den Hüttenbauern, den Lenz. Es kennt ihn ein jeder, und ich sag euch, der wird ein Richter, wie wir ihn brauchen.«

»Ich bin noch viel zu jung dazu«, wehrt der Lenz ab.

»Auf die Art kommt's zu keiner Einigkeit«, zweifelt der Oberrichter. »Wir werden die Wahl anders machen müssen. Schreiben kann nicht jeder von euch, drum tun wir so: Ich leg einen Hut und eine Pelzhauben da vor mich her. Ein jeder richtet sich ein Spanzweckel und wirft es wo hinein. In der Hauben, wenn er den Hüttenbauern als Richter haben will, in den Hut, wenn er für den Wolferl ist. Versteht mich?«

»Na ja, dasselb wird doch jeder verstehen«, lacht der Brenner kurz auf.

Der Wirt bringt einen Spanzweck und in Vaterunserlänge hat jeder sein Zweckel davon abgeschnitten.

Die Zwecke werden gezählt. Im Hute sind sieben, und in der Haube liegen neunzehn Zwecke. Der Lenz ist also zum Richter gewählt.

»Nimmst die Wahl an?« fragt der Oberrichter kühl.

»Ja.« Seine Stimme klingt hart und fest. »Ich nimm an … Aber, Männer, ihr dürft nicht meinen, ich nimm dem oder dem zu Trutz an. Weil ihr mich in euerm Vertrauen gewählt habt, will ich euer Richter sein nach altem Recht und Brauch, wie es sich gehört für einen Richter des freien Königlichen Waldhwozd, nicht rechts schauen in meinem Amte und nicht links, keine Lieb kennen und keinen Hass und kein Haarl-Haar aufgeben von unseren Rechten und Gerechtigkeiten …«

»Den Eid hast erst in Wüstritz abzuschwören«, erinnert der Oberrichter. »Auch die Geschworenen.«

Und nun werden die gewählt; der Wolferl von den jüngeren Bauern, ohne Widerspruch bei den strammeren zu finden, dann der Gereuter und der Mirtl.

Der Wahlgang ist zu Ende.

In Wolferls Brust kocht und brodelt es wie in einem Kessel, aber er lässt sich nichts anmerken. Als um halben Nachmittag herum sich einige auf den Heimweg machen, geht auch er. Wie von bösen Geistern gejagt, eilt er über das raschelnde Gefilde dahin. An einer Feldmarkung ragt ein buschiger Fichtenbaum auf. Unter dessen Schutze verschnauft er. Zornig stößt er seinen Stecken in den festgewehten Schnee und ballt die Hand gegen das Grabenthal hinunter. »Recht ist's! Recht ist's!« keucht er. »Einen baumfesten Richter habe ihr euch gewählt … einen baumfesten. Recht ist's! Aber für alles kommt ein Stündel, wo einer abrechnen kann: so viel dir, so viel dir. Und ich merk mir, was ich jedem schuldig bin.«

*

Im Seehofe gehen die Ehehalten vom Neunerbrot.

Die Bäuerin legt den Brotlaib in die Tischlade, schabt das Messer rein und gibt nachher dem in der Wiege sitzenden Sepperl eine übriggebliebene Brotrinde in die Hand, dass er etwas zu kauen hat, weil er Zähne bekommt und das Zahnfleisch nach und nach durchgekaut werden muss. Derweil entfernen sich die Ehehalten eins nach dem anderen. Nur der Nazi bleibt in der Stube, ihr Bruder.

Er ist ein widerlicher, abstoßender Mensch. Die kaum zwei Finger breite Stirn ist flach und vorspringend, die Nase lang und spitz, und das ganze Gesicht erinnert unwillkürlich an ein Fuchsgesicht, zu dem auch die lauernden kleinen Äuglein stimmen. Die Hände in die Taschen der grauen Tschirker-Hose vergraben, stellt er sich vor sie hin.

»Weißt, wer Richter worden ist?« Ein unnachahmliches Grinsen umspielt seinen Mund.

Die Seebäuerin stemmt die Arme in die Hüften. »Was brauch ich da lang zu raten? Nach dem, was du gestern gesagt hast in deinem Dusel müsst eins schon auf den Kopf gefallen sein, wenn es nicht kennte, dass der Gereuter hat Richter werden wollen und dass er es geworden ist.«

»Oha!« lacht der Nazi.

»Also doch der Wolferl?«

»Auch nicht erraten. Darauf ratest gar nicht.«

»Lass mich mit deinem Raten in Ruh!« ärgert sie sich. »Entweder sag's gerad heraus oder behalt's bei dir! Ich erfahr's schon.«

»Der Lenz, der Bader-Lackl … Gelt, ein sauberer Richter!«

Ihr Gesicht wird merklich röter, und ihr Puls beginnt etwas rascher zu gehen. »Das Spotten und Lästern über die Leut dass du mir einmal aufhörst!« gebietet sie zürnend. »Sel wär mir gerad abgegangen auf meinem Hof. Und …«

»Deinem Hof?« lächelt der Nazi, aber sie kehrt sich nicht daran. »Und ich mein, wenn der Hüttenbauer den anderen gut genug ist für einen Richter, auf dich kommt das wenigste an.«

»Eh, eh!« kichert er spöttisch. »Ich hab ja gestern nicht drei Wort sagen dürfen, so haben sie mich schon geliefert. Ich gelt ja nichts, sel hab ich schon lang gemerkt; aber ich mein, du giltst auch nicht viel mehr. Weiberstimm wiegt nicht, hat der Gereuter gesagt.«

»Das ist meine Sach«, erklärt sie trotzig. »Aber sel will ich dir gleich im Anfang gesagt haben: Wie ich hör, dass du mir ein ungerades Wörtel verlauten lässt über die … die Männer, die nächste Stund gehst mir aus dem Haus. Ich will in Ruh und Frieden leben mit den Nachbarn. Verstehst mich?«

»Derweil noch nicht«, grinst er ihr ins Gesicht. »Und das, was ich auszumachen hab mit deinen Nachbarn von wegen dem gestrigen Tag, das geht dich nichts an. Verstehst du mich? Der Gereuter ist gerad nur ein Treiber gewesen für den Bader, und dahinter gesteckt ist der. Sel braucht mir kein Mensch zu sagen. Aber abzahlen tu ich es allen zweien.«

»Wie du dich unterstehst!« fährt die Bäuerin auf, und in ihren schönen Augen beginnt es zu flunkern und zu flimmern. »Wie d' dich unterstehst und fängst mir was an! Was nachher ich tu, sel wirst schon sehen. Ich kann gut sein, aber wenn ich nicht gut bin … Hüt dich fein, sag ich dir!«

Der Nazi stößt ein so halb und halb geringschätziges und verächtliches Lachen aus und geht aus der Stube. »Hm!« brummt er im Hausflur vor sich hin. »Hm, die will mir drohen … ein Weiberleut will mir drohen!«

Die Seebäuerin geht ans Fenster und sieht hinüber gegen den Hüttenhof. Da stapft der Wolferl daher, ihr Bruder.

Mit kurzem Gruße tritt er in die Stube. »Hast schon gehört, wie sie gewählt haben?« fragt er ganz unvermittelt.

»Der Nazi hat's gerad erzählt«, bestattet sie. »Aber was geht das mich an? Meinetwegen ist der Richter oder der. Ich zahl meine Steuer, und sonst habe ich nichts zu tun mit ihm.«

»Meinst?« lacht der Wolferl spöttisch auf. »Meinst? Aber wenn ich dir sag, dass es ungerecht zugangen ist, dass das Amt mir gehört hätt, verstehst mich, mir, und dass ich sinn und tracht, dass es anders wird. Was sagst nachher? Auf wessen Seiten stehst, frag ich dich? Auf der meinen oder auf … auf eines Fremden Seiten?«

»Mich geht's nichts an«, lehnt sie ab. »Ich will Ruh und Frieden haben und mit den Nachbarn gar erst.«

»Ist das dein letztes Wort?« keucht er.

»Ja … Was gehen mich die Geschichten an?«

»Recht so … recht so!« lacht der Wolferl auf. »Aber merk dir die Red, Nanni! Leicht reut sie dich einmal.« Ohne Gruß verlässt er die Stube.

Die Seebäuerin geht wieder ans Fenster und schaut eine Zeitlang hinüber zum Hüttenhofe, von dem man hinter den hochragenden Schirmbäumen nur eine Dachecke hervorlugen sieht und das auf dem Dachfirste reitende Glockentürmchen. Ihr Gesicht hellt sich zusehends auf, und um ihren Mund beginnt ein leichtes Lächeln zu spielen. Es ist keine ganze Viertelstunde hinüber, und doch kommt ihr die Entfernung so groß vor, und …

»Mama! Mama!« lallt der Sepperl in der Wiege.

Sie fährt sich hastig über die Stirne und eilt dann zur Wiege. Mit jähem Rucke reißt sie das Kerlchen aus der Wiege und herzt und drückt es. Nachher geht sie sinnend mit ihm die Stube auf und ab. Überlings hält sie inne und bleibt stehen. »Magst zum Ähnl?« fragt sie den Kleinen.

»Ähnl, Ähnl!« jauchzt der und streckt die Händchen nach der Türe.

Sie geht hinüber mit ihm ins Leibtumhäusel. »Er will gerad zu Euch herüber … mit Gewalt«, redet sie sich auf den Buben aus und setzt sich an den Tisch, woran der Alte sitzt und einen Holzschuh aufnagelt.

Der sieht sie befremdet an. In der Weise und so freundlich hat er die Schnur schon lange nimmer reden hören. Was sollte wohl dahinter stecken?

Die Ähnl kommt hinter dem Ofen hervor und nimmt den Buben. »Bist schon lang nimmer dagewesen«, redet sie mit ihm. »Gelt, kannst halt noch nicht allein dergehen! Geh her, ich werd suchen, leicht finden wir was zu beißen.«

»Schwäher!« fängt die Seebäuerin ganz unvermittelt an. »Habt Ihr noch Korn und Erdäpfel? Ihr braucht es gerad nur zu sagen; gerad nur ein Wörtel braucht's.«

Der reißt den Kopf in die Höhe und hält im Nageln inne. »Ja, was … Weißt ja eh, dass ich dir's vor vierzeht Tagen schon gesagt hab. Ich hab mir müssen derweil beim Sengenmüller einen halben El (Strich) kaufen.«

»Wie viel hat er kostet? Ich gib Euch das Geld dafür«, erbietet sie sich hastig. »Aber … aber … ich bin gestern beim Hüttenbauer drüben gewesen, und da hat mir der Alte verzählt, dass Ihr mich verklagt habt beim Oberrichter. Schwäher, das solltet Ihr doch nicht tun! Die Sach kann schon unter uns ausgemacht werden … Und schaut! Wenn ich oft grantig bin und wenn ein ungeschliffen Wörtl herauskommt, Ihr seid auch nicht allemal aufgelegt …«

»Ich erwehr mich nur gerad um meine Sach, die geschrieben ist.«

»Ja schon. Die ganze Wirtschaft um und um liegt auf mir; an das hab ich zu denken und an das. Da ist man sich selbst oftmals spinnefeind … Aber das müsst Ihr nimmer tun, dass Ihr mich verdächtig macht …«

»Ich hab nur die Wahrheit gesagt, kein Tüpfel mehr«, verteidigt sich der Ähnl wider den Vorwurf.

»Kann sein. Aber tut es nimmer! Ihr werdet Euch gewiss nimmer zu klagen haben über mich, gewiss nicht. Alles soll zwischen uns so sein von der Fährt an, wie es sich gehört. Gelt? Wenn Ihr was braucht, sagt mir's; ich will Euch nicht drücken. Aber … aber, wenn Ihr wieder zum Hüttenbauern kommt, redet mir nichts Schlechtes nach! Ihr werdet keine Ursach mehr haben dazu. Und es ist gewiss Euer Schaden nicht. … Was hat das Korn gekostet?« fragt sie nach einer Weile.

»Vier Gulden. Es ist der Preis so.«

Sie steht auf und geht. »Ich bring Euch das Geld gleich«, verspricht sie. »Nachher kunnt ich wieder vergessen darauf.«

»Was hat sie denn auf einmal!« wundert e sich der Ähnl. »Kreuztannenbaum! Heut ist sie ja die Gutheit selber. Entweder hat's was geben, oder es geht sie ein Krank an. Ohne Ursach verkehrt sich so ein Leut nicht so.«

Die Ahnl schüttelt den Kopf. »Weiß der liebe Gott, was ihr in den Sinn kommen ist! Eine Ursach muss sie haben … Aber halt aus, Ferdl! Kunnt es nicht auch möglich sein, dass sie einen Blick auf den Hüttenlenz hat, weil ihr die Nachred dort so zuwider ist?«

Der schupft die Schultern. »Sein kunnt's.«

»Aber nachher muss es schon hellauf brennen bei ihr … Sepperl, fall nicht!« ruft sie dem Buben zu, der an der Ofenbank dahin haspelt. »Hellauf sag ich. Und eine richtige Lieb muss es sein, eine großmächtige, die eins so ummodeln kann … Er soll nicht so aus sein, der Lenz?«

»Ein richtiges Bürschel ist's«, bestattet er und nagelt wieder weiter. »Wer weiß auch, was dahinter steckt?«

Derweil kommt die Seebäuerin wieder und legt vier Gulden Münz auf den Tisch. »Dass Ihr das nimmer tut!« verbietet sie. »Es braucht gerad ein Wort, und Ihr kriegt, was Ihr braucht.«

»Hast schon gehört, wer Richter worden ist?« schlägt die Ahnl in den Busch und sieht dabei der Schnur forschend ins Gesicht.

»Ja, der Nazi hat's vorhin erzählt. Und ich mein, der Lenz ist nicht unrecht.« Eine schwache Röte fliegt dabei über ihr Gesicht, und wie sie jählings den forschenden Blick der Schwieger ersieht, wendet sie sich wieder der Türe zu. »Ich muss zum Kochen richten«, sagt sie »Den Sepperl lass ich derweil da. Er ist gut aufgehoben.«

»Wie ich gesagt hab … wie ich gesagt hab«, nickt die Ahnl. »Es brennt hellauf.«

»Uns kann's auf die Weis' recht sein«, meint der Ähnl.


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