Johanna Schopenhauer
Ausflug an den Niederrhein und nach Belgien im Jahr 1828
Johanna Schopenhauer

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Das kölner Carneval

Von Hause aus sind die Kölner ein lebensfrohes, zum heitersten Humor sich neigendes Völkchen, das in mancher seiner ihm eigenthümlichen Gewohnheiten noch Spuren seiner frühsten südlichen Abkunft durchblicken läßt. Am meisten ist dieses der Fall bei der durchaus an Italien erinnernden Art, mit welcher hier seit Jahrhunderten die kurzen lustigen Tage des Carnevals begangen wurden, in öffentlich allgemeiner ungestörter Lust und Freiheit, wie sonst in keiner andern Stadt in ganz Deutschland.

In den ersten Zeiten der neueren französischen Oberherrschaft wurde auch dieses, zum eigentlichsten Leben der Kölner gehörende Volksfest sowie manches andre an sich Gute und Lobenswerthe unterdrückt. Die fremden Herrscher trauten den freisinnigen Kölnern nicht und mochten unter dem althergebrachten Mummenschanz allerlei ihnen drohende Gefahren wittern. Späterhin waren sie freilich so vernünftig, das erlassene Verbot wieder zurückzunehmen, aber es war nun zu spät. Der alte Geist des Frohsinns war von der unter fremdem Joche seufzenden Stadt gewichen; die Gegenwart der ungebetenen Gäste hemmte den freiem Erguß der frohesten Laune; die Bürger von Köln fühlten sich nicht mehr ganz ungestört »zu Hause und unter sich,« und, unerachtet der gnädigen Nachsicht, mit welcher die französische Regierung sie zu behandeln geruhen wollte, das alt fröhliche Volksfest, an welchem alle Stände sonst öffentlichen Antheil genommen, wollte sich nicht wieder zu Dem gestalten, was es ehemals gewesen.

Der gebildetere vornehmere Theil der Einwohner von Köln zog in Privatcirkel sich zurück, um mit eleganten Maskenbällen und ähnlichen Feten das heitere Fest für sich allein zu feiern, ungefähr so, wie dieses in allen andern großen Städten geschieht. Die öffentliche Volkslust blieb den untergeordnetern Ständen überlassen und sank endlich bis zum Pöbel herab. In sinnloser, ärmlicher, oft ekelhafter Vermummung zog dieser unter wüstem Geschrei nun durch die Straßen; öffentliche Theilnahme an einem Feste dieser Art wurde Allen, die nicht zu Jenen gehörten, dadurch unmöglich, und die ganze Volkslust in ihrer ehemaligen edleren Gestalt war in drohender Gefahr, allmälig aus dem öffentlichen Leben ganz zu verschwinden.

Köln, wie ganz Deutschland, wurde endlich von dem fremden Joche befreit, und Muth und neuerwachende Lebenslust kehrten in die Brust der Bürger zurück. Als der Wechsel des Jahres späterhin die Faschingszeit wieder heranbrachte, erwachte mit ihr das Andenken an die während derselben früher genossenen Freuden. Die abgeschlossenen Ergötzlichkeiten innerhalb der eignen vier Wände boten doch immer nur einen sehr ungenügenden Ersatz für die ehemalige allgemeine öffentliche Lust, die damals in das gewöhnliche Alltagsleben einen höchst wohltätigen Stillestand gebracht hatte; Jeder gedachte der schönen Jugendzeit, in der er in Gesellschaft der Aeltern, der Verwandten und Freunde an dieser Theil genommen, und der Verlust, den man durch das Sinken derselben erlitten, wurde immer fühlbarer, je länger man darüber dachte. Eine Gesellschaft frohherziger Männer aus den gebildeteren Ständen trat endlich zusammen und berieth sich untereinander, wie man das alte Volksfest in seiner ursprünglichen Gestalt wieder herstellen könne, sodaß Niemand sich scheuen oder schämen müsse, daran Theil zu nehmen. Daß dieses nur durch einen sinnvollen, glänzenden, sich öffentlich in den Straßen zeigenden Maskenzug geschehen könne, war bald Allen klar, nur galt es noch, die Idee aufzufinden, welche diesem Zuge zum Grunde gelegt werden könne.

Der glücklichste Gedanke dazu bot von selbst sich dar und wurde schnell und geistreich aufgefaßt. Er lag in der Sache selbst; denn was konnte natürlicher, schicklicher und zugleich ergötzlicher sein, als den Helden Carneval aus seiner langen Verbannung mit seinem bunten heitern Gefolge in sein altes lustiges Reich, dessen Hauptstadt Köln ist, wiederkehren, ihn seinen Thron wieder besteigen und seine getreuen Vasallen ihn wieder von neuem huldigen zu lassen. Wie glücklich, mit welchem feinen Takt diese heitre, wirklich poetische Idee im Jahre achtzehnhundertdreiundzwanzig ausgeführt wurde, haben damals Zeitungen und Tagesblätter durch ganz Deutschland verkündet.

Nicht minder glücklich und erfreulich war in dem darauffolgenden Jahre der mit nicht minderem Gelingen ausgeführte Einfall, die Prinzessin Venezia mit ihrem fremdartigen italienischen Maskengefolge bei ihrem Verlobten, dem Prinzen Carneval, in Köln einen Besuch abstatten zu lassen. Der humoristische Ernst, mit welcher alle bei der Zusammenkunft so hoher Personen übliche Ceremonien eben so prachtvoll als belustigend beibehalten und durchgeführt wurden, regte alle Welt, ohne Ausnahme, zur öffentlichsten und fröhlichsten Theilnahme an dem lustigen Treiben an; die ganze Stadt war während der diesem Feste gewidmeten Tage voll Jubel und Freude. Der vorgesetze Zweck war erreicht, das kölner Carneval wieder in seine alten Rechte eingesetzt, und keine Ausbrüche roher Ausgelassenheit schreckten die Gebildeteren mehr von dem heitern Feste zurück.

Die allgemeine Theilnahme und Freude an dem wiedererweckten Carneval wuchs in den zunächstfolgenden Jahren fast unglaublich. Die Gesellschaft, welche zuerst den glücklichen Einfall gehabt haue, das Wunder seiner Wiederbelebung auf eine eben so sinnige als geistreiche Weise zu bewirken, wandelte in ein Comité sich um, der zuletzt aus mehr als hundert, vom lebhaftesten Eifer beseelten Mitgliedern bestand. Alljährlich hielt die Gesellschaft, sobald die Faschingszeit wieder herannahte, regelmäßig ihre Zusammenkünfte, bei welchen ein aus ihrer Mitte erwählter Präsident den Vorsitz hatte. Mit komischer Feierlichkeit setzte dann Jeder seine mitgebrachte Geckenkappe auf, eine kleine bunte, mit der Zahl elf bezeichnete Mütze von althergebrachter Form, in welcher während der eigentlichen drei Faschingstage auch sonst sehr ernste Geschäftsmänner sich frei und öffentlich zeigen, um ihre Theilnahme an dem allgemeinen Feste kund zu thun, das auf kurze Zeit alle Standes- und Geschäftsverhältnisse gleichsam aufhebt.

Lustige Carnevalslieder, deren alljährlich zahllose neue ins Publicum kommen, eröffneten die Sitzungen jenes für die allgemeine Freude sorgenden Comité; humoristische, oft sehr geistreiche und witzige Reden wurden gehalten, der Hauptzweck aber blieb immer, ein neues Motiv für den großen Maskenzug zu erfinden, der bei der nun bestehenden Einrichtung dem Feste unentbehrlich geworden zu sein schien.

Im Jahre achtzehnhundertfünfundzwanzig ließ man den Prinzen Carneval bei seiner Braut in Venedig einen Gegenbesuch abstatten. Hanswurst, sein Vielgetreuer, blieb während der Abwesenheit des Regenten als Reichsverweser im Reiche der Thorheit zurück und hatte große Gefahren zu bestehen. Die dem Feste dieses Mal zum Grunde gelegte Idee war der Kampf unbefangner Fröhlichkeit und Freiheit mit den bösartigen Elementen, welche theils in der menschlichen Natur selbst, theils aber in der Außenwelt liegen, namentlich Mismuth, Stumpfsinn, ängstliches Hängen am Conventionellen u. s. w. Daß Held Carneval den Sieg über diese Feinde davontragen mußte, versteht sich von selbst.

General Isegrimm führte den Zug derselben an; Mephistopheles war sein Fahnenträger; ein Heer der wunderlichsten Caricaturen bildete die feindliche Armee.

An der Spitze der kölner Truppen stand der in den Annalen der Stadt durch Patriotismus und Heldenmuth berühmte Jan von Werth; Till Eulenspiegel ritt als Adjutant ihm zur Seite; eine lange Reihe ernster und komischer, theils phantastisch ersonnener, theils auf die frühere Geschichte der Stadt Bezug habender Charaktermasken folgte ihm. Auch fehlte es nicht an Hülfstruppen, aus dem Reiche der Thorheit und des Frohsinns befreundeten Städten abgesandt; aus Abdera, Cleve, Schöppenstädt, Schilda u. s. w.; Herzog Adolf von Cleve, der Stifter der clevischen Narrenzunft, war ihr tapfrer Anführer, ihm zur Seite ritt der clevische Narr in seinem wunderlichen Costum.

Das Heer der vermittelnden Mächte bildete unter der Anführung Ulrichs von Hutten den vierten Zug; Erasmus von Rotterdam, der einst das Lob der Narrheit geschrieben, begleitete ihn. Alle vier wirklich prachtvolle Züge trafen an dem eigentlichen Fastnachtstage auf dem Neumarkte zusammen, jeder von einem eignen Musikchor begleitet. Die diplomatischen Verhandlungen begannen unter dem Vorsitz des Reichsverwesers, dem alten deutschen Hanswurst. Carnevalslieder wurden gesungen, Reden in Prosa und in Versen gehalten, Kanonen abgefeuert, Alles wurde mit humoristischem Ernst und würdiger Feierlichkeit betrieben. Der Friedenstractat wurde endlich unter großem Jubel unterzeichnet, und der Triumphzug begann, zog unter Glockengeläut, Kanonendonner und Musik durch den größten Theil der Stadt, an seiner Spitze in einem sinnreich geschmückten Triumphwagen die siegende Jungfrau Colonia. So führte jedes darauffolgende Jahr eine neue Erfindung, der Freude zu huldigen, herbei, welche lange vor ihrer Ausführung die Gemüther eben so angelegentlich als heiter beschäftigte.

In dem ersten Hefte des fünften Bandes über »Kunst und Alterthum« hatte Goethe selbst, bei Gelegenheit der Zusammenkunft des Prinzen Carneval mit der Prinzessin Venezia, über die erneute kölner Faschingslust sich sehr beifällig ausgesprochen. »Von dem ästhetischen Werth eines Symptoms dieser Art mag künftig die Rede sein,« schreibt er am Schlusse jenes Aufsatzes; »soviel aber ist gewiß, man darf dem Fürsten Glück wünschen, unter dessen Schutz und Schirm sich etwas der Art ereignen konnte.«

Im darauffolgenden Jahr sandten die über Goethe's öffentlich ausgesprochnen Beifall mit Recht hocherfreuten Anordner des Festes ihm eine Skizze ihres Planes für das zunächst zu erwartende zu, welches eben der oben mit leichten Zügen angedeutete Kampf der Fröhlichkeit mit dem Unmuth war, und luden in nachfolgendem Sonett ihn zur persönlichen Theilnahme an demselben ein.

An Goethe.

Es nah'n des heitern Faschings bunte Tage,
Woran, der Väter schönem Brauch getreu,
So gern der Kölner, sonder Arg und Scheu,
Vergißt des Alltagslebens Sorg und Plage.

Was auch der kalte Finsterling drob sage,
Ist dennoch sein Gerede uns nur Spreu,
Seitdem dein Genius, stets hell und neu,
Der Welt verkündet, daß es bei uns tage.

Und daß die Freud' uns immer mehr entzücke,
Erklären wir des Griesgrams schnöder Tücke
Auf ew'ge Zeiten heuer Haß und Krieg.

An Dich nun wenden dringend wir die Bitte:
Kehr ein bei uns, zu schauen unsre Sitte,
Dann feiern doppelt wir den schönen Sieg.

Goethe antwortete auf diese Einladung in einem Gedicht, das, in die letzte Sammlung seiner Werke aufgenommen, jetzt in Aller Händen sich befindet. Nur folgende drei Strophen desselben mögen hier einen Platz finden, indem sie die freundlichste Apologie des frohen Festes enthalten.

Auch dem Weisen fügt behäglich
    Sich die Thorheit wol zur Hand,
Und so ist es gar verträglich,
    Wenn er sich mit Euch verband.

Selbst Erasmus ging den Spuren
    Der Moria scherzend nach,
Ulrich Hutten mit Obscuren
    Derbe Lanzenkiele brach.

Löblich wird ein tolles Streben,
    Wenn es kurz ist und mit Sinn;
Heiterkeit zum Erdenleben
    Sei dem flücht'gen Rausch Gewinn.

Die Carnevalszeitung gab damals von diesem wie von allen folgenden Maskenzügen umständlichen Bericht, der dann sogleich in der »Abendzeitung« und ähnlichen Tageblättern aufgenommen und dadurch in Deutschland allgemein verbreitet wurde. Was aber diese Blätter unmöglich darstellen konnten, ist die unsägliche Lust, mit der Jeder, selbst ohne zu dem eigentlichen Maskenzuge zu gehören, an dem Maskenscherze Theil nimmt und sich in denselben hineinfindet, die harmlose Heiterkeit, mit welcher selbst der persönlich werdende, mitunter ziemlich kecke Scherz aufgenommen und, ohne Erbitterung zu erregen, durch einen ähnlichen erwiedert wird.

Man muß es sehen, man muß es, von dem allgemeinen Strudel ergriffen, mit erleben, um nur daran zu glauben.

»Das Carneval ist vorüber, dieser kurze lustige Schalttag im ernsten Leben der Kölner,« schrieb im Jahre achtzehnhundertachtundzwanzig ein eben in Köln anwesender Freund, aus dessen Brief ich hier einen kurzen Auszug mittheilen will.

»Schon sechs Wochen vor Fastnacht meldeten sich in den hiesigen Blättern Gastwirthe, Kaufleute und auch Mitglieder des Comité mit allerlei für Geist und Körper berechneten Auffoderungen und Erbietungen, bis am dritten Februar die erste Carnevalszeitung erschien. Von dieser Zeitung kommen während des Carnevals elf Stücke heraus; denn elf ist hier die große mystische Narren- oder, wie es in Köln heißt, Geckenzahl; auch steht diese Nummer auf allen Geckenmützen, in denen hier alle Welt öffentlich herumläuft. Wie diese Zahl gerade zu dieser Ehre kommt, weiß Niemand genau anzugeben; aber sie steht mit allen Faschingsspäßen in genauer Verbindung; ein Lastträger, dem einer meiner Bekannten ein Pack Bücher gab, um es nach der wirklich mit Nummer elf bezeichneten Wohnung desselben hinzutragen, legte lachend das Packet nieder und meinte, der Herr könne sich wol einen andern Gecken suchen.«

»Die Mitglieder des Comité versammelten sich schon seit einigen Wochen an jedem Sonntage, um die auszuführenden Züge und Feierlichkeiten zu besprechen; die Carnevalszeitung liefert das Resultat ihrer Verhandlungen, dann folgen humoristische, oft satirische Aufsätze in Versen und in Prosa; dann Manifeste, Verordnungen von Seiten des Prinzen Carneval und seines Reichsverwesers Hanswurst; Anzeigen, Familiennachrichten, wie in andern Zeitungen auch. Jedes zu einiger Oeffentlichkeit gekommene Vorgefallne in der Stadt muß dazu den Stoff liefern; an Anzüglichkeiten und an oft etwas zu keckem Witz fehlt es dabei nicht; aber wer sich getroffen fühlt, schweigt klüglich still, ohne sich davon etwas merken zu lassen; wer einen Scherz dieser Art ernstlich übelnehmen wollte, würde in dieser Zeit der Freiheit und der allgemeinen Lust sich nur lächerlich machen.«

»Diesmal erschien von der Carnevalszeitung Nummer zwei zuerst; Nummer eins kam gar nicht, dafür aber ein Beiblatt, weil Damen diese lieber lesen als die Zeitungen selbst. Die abermalige Abwesenheit des aus vermuthlichen Gründen verreis'ten Prinzen Carneval, und daß es seinem würdigen Reichsverweser die Schlichtung des großen Streites zwischen der alten und neuen Zeit übertragen, wurde den vielgetreuen Kölnern officiell kund gethan. Gesandtschaften aus Bundesstaaten wurden angemeldet, welche bei der Entscheidung des wichtigen Zwistes als Zeugen gegenwärtig sein wollten; aus Cleve, aus Dulken, von der Mosel, aus dem Eifelgebirge: alle diese Orte sind, wie Schöppenstädt und Schilda, ihrer privilegirten Narrheit wegen berühmt, in der sie aber vor uns Andern wol wenig voraushaben mögen. Die beiden Anführer der streitenden Mächte waren in einem recht zierlichen Holzschnitt auf den Zeitungsblättern zu schauen: der Repräsentant der alten Zeit, als ein rundbäuchiger, wohlhabiger, etwas dickköpfiger Bierphilister mit einer stattlichen Zopfperücke; der der neueren als ein übermoderner Elegant.«

»Donnerstag vor Fastnacht begann das Fest. Das Abfeuern von elf Kanonen verkündet der Stadt schon gleich nach Mitternacht den Eintritt desselben und den freien Einzug der Thorheit. Nachmittag um drei Uhr zog der Herr von Gestern, der Repräsentant der alten Zeit, ein und durch alle Straßen. Dreißig bis vierzig Wagen voll altmodischer Herren und Damen folgten ihm, dazwischen die wunderlichsten Caricaturen, die man sich denken kann. Auch sein Mobiliar brachte der Herr von Gestern auf mehrere Wagen geladen mit. Ein vier Fuß langes Clavier, mehrere ehrwürdige Perückenstöcke, welche die jetzige verderbte Welt nur noch aus Traditionen kennt; altes Gerümpel aller Art, wunderliche geschnitzte Schränke, Tische mit drei Beinen, Stühle mit einem; aber auch die großen schweren, über und über mit Eisen beschlagenen Geldkasten fehlten nicht, welche die Kasse enthielten. Das Ganze bot den possierlichsten Anblick von der Welt und wurde von den Zuschauern mit Jubeln und Lachen empfangen.«

»In den folgenden Tagen zeigten einzelne Masken sich auf den Straßen, besonders viele sehr drollig aufgeputzte Kinder; an Arbeit und Geschäft dachte keine Seele, aller Handel löste in Wandel auf der Straße sich auf; wohin man sah, erblickte man fröhliche lachende Gesichter, Scherz und Kurzweil waren überall an der Tagesordnung. Ein Geck, wie er selbst sich nannte, foderte in der Carnevalszeitung seine Collegen auf, sich der Thorheit, die doch Jeder an sich habe, nicht zu schämen, sondern sie öffentlich zu zeigen, und nun fuhren Sonntag Nachmittag mehrere hundert, sonst recht anständige, geachtete Männer unmaskirt in ihrer gewöhnlichen Kleidung, aber die Narrenkappe auf dem Kopf in Procession durch die Stadt, und dann über die Schiffsbrücke zum Kaffee nach Deutz. Gegen zehn Uhr Abends zogen sie zu Fuße wieder über die Brücke zurück; jeder von ihnen trug eine aus vier Farben zusammengesetzte papierne Laterne vor sich her. Von Ferne gab das eine Illumination, wie man sie sich nicht schöner denken kann, es sah aus, als ob ein Meer von glühenden Riesenblumen sich über den dunkeln Rheinstrom heranwälze; in der Nähe verlor der Anblick freilich viel von seinem zauberischen Glanz.«

»Montag Morgen sah man auf dem sehr großen Neumarkt eine kolossale Narrenkappe sich erheben, einem Thurm ähnlich, um dessen Außenseite eine Schneckentreppe sich wand. Von allen Thürmen wurde gebeiert, so nennt man hier eine seltsame Art von Geläute, das bei allen Volksfesten üblich ist. Kanonen wurden gelöst, einzelne Masken erschienen und unterhielten, jede nach ihrer Art, das in dichtem Gedränge auf dem Markte herumwogende Volk; alle Fenster der benachbarten Häuser, wie ebenfalls die in den Straßen, durch welche der Zug kommen sollte, waren mit Zuschauern dicht besetzt: ein lebensreicher fröhlicher Anblick, wie nur irgend einer in der Welt. Und doch ging Alles vollkommen ruhig und friedlich ab, kein Schreien, kein Zank, auch nicht die mindeste Unordnung trat in die allgemeine Freude störend ein.«

»Endlich ließ die den Zug der alten Zeit begleitende Musik sich vernehmen, uralte Menuets, Murkis, Sarabanden, schöne Arien und Lieder, die unsre Ururgroßmütter gedudelt haben mögen. Zuerst erschienen die kölner Funken, elf an der Zahl, nebst Offizier und Corporal, als Leibgarde des Herrn von Gestern. Diese Funken sind eigentlich die alten kölner Stadtsoldaten in der feuerrothen Uniform, welche vor Zeiten die aller freien Reichsstädte war. Dann folgte der Herr von Gestern mit seinem ehrwürdigen Gefolge von alten Herren und Damen in altmodischen Staatswagen und allerlei Fuhrwerk aus der alten Zeit, von dem man kaum begreift, wie es noch zusammengebracht werden konnte. Geistliche und weltliche Trachten längst nicht mehr existirender Würden und Aemter, die ehemaligen hiesigen Bannerherren mit ihren Fähnlein, eine Menge Reuter in Zopfperücken, Aerzte und Gelehrte in ihrer ehemaligen längst vergessenen Tracht machten die lange bunte Reihe noch bunter. Auf einem offnen Wagen sah man drei gewaltig pudernde und Zöpfe bindende Friseurs in voller Arbeit; auf einem andern sehr langen Fuhrwerk eine altmodische Schule: der Schulmeister prügelte, die Schulmeisterin zankte, die Kinder lernten das Einmaleins und riefen frischweg zwei mal zwei ist elf. Kinder unter den Zuschauern, die sich der ambulirenden Schule zu nahe wagten, wurden ohne Umstände hinaufgelangt, aber der echte kölner Geist war in ihnen schon lebendig, sie ließen sich dadurch gar nicht in Verlegenheit setzen, nahmen Platz auf den Schulbänken und schrien lustig mit, zwei mal zwei macht elf.«

»Hanswurst kam auf einem kolossalen, über und über vergoldeten Schaukelpferde angeritten; einige Quacksalber und Marktschreier in ihren Buden, der Capellmeister Radicati mit seinen Virtuosen, eine altmodische Küche, ein altmodisches dinirendes Paar, eine altmodische Apotheke, und Gott weiß, was Alles noch, zogen vorüber; auch ein Maler aus der alten Zeit, eine auffallend schöne Maske; ganz zuletzt der ehemalige hinkende Bote, dieser fuhr auf einer Schleife, und theilte links und rechts kleine sehr possierliche Kalender aus.«

»So zog der Zug, während seine Musik in allerlei veralteten Melodien sich gar anmuthig hören ließ, rings um den Markt und stellte dann neben der großen Narrenkappe sich in Reihe und Glied. Eine lustige Galopadenmusik ließ von der andern Seite sich hören, und heranzog mit seinem glänzenden Gefolge der Repräsentant der neuen Zeit, der Herr von Heute, ihm voran seine Leibgarde, ein Corps Damen zu Pferde mit riesig großen Locken und Hüten, wie sie eben Mode sind, auf Trompeten und andern Blechinstrumenten blasend. Ein Heer höchst moderner Elegants folgte ihm. Dann zog das Dampfschiff vorüber, welches im vergangenen Sommer im Bingerloch stecken geblieben war; es war noch immer nicht recht aus demselben wieder hinaus und mußte alle zehn Schritte Halt machen; eine Menge Harlekins flogen umher und suchten ihm weiter zu helfen; und hinterdrein folgten, ganz trübselig auf Eseln reitend, elf der mit dem Schiffe damals gestrandeten Passagiere. Dann kam die hiesige Volksbühne, dat Hansecken genannt, eigentlich ein sehr vorzügliches Marionettentheater; auch das neue kölner Schauspielhaus, an welchem eben gebaut wird, zog vorüber. Ein Wechselcomptoir folgte, die Kasse der neuen Zeit mit Papieren, einem kolossalen Silbergroschen und einer Riesengestalt mit einem großen rothen Schilde beladen. Der indische Jongleur war auch mit im Zuge; die Giraffe, die in Paris soviel Aufsehen erregt, mehrere Taschenspieler, der Maler der neueren Zeit, Engländerinnen und Engländer in Menge, Franzosen, Italiener, die neuen Griechen, die nach dem Willen ihres Kaisers modernisirten Türken, zuletzt noch viele Personen aus den neuesten Schau-, Lust- und Trauerspielen und den neuesten Opern. Das Alles, und noch viel mehr zog unter dem Klange neuer Tänze und Carnevalslieder rings um den Markt, stellte sich dann dem Zuge der alten Zeit gegenüber; Harlekin bestieg seinen thronartigen Sitz oben auf der großen Narrenkappe, und die Verhandlungen zwischen den beiden streitenden Parteien begannen mit komischer Feierlichkeit und humoristischem Ernst.«

»Von beiden Theilen wurde theils singend, theils in Prosa und Versen sprechend viel hin und her verhandelt; Harlekin als Vermittler blieb auch nicht stumm, zuletzt gelang es ihm, den Herrn von Gestern und den Herrn von Heute zu vereinen, indem er Beide unter die große Narrenkappe, das Symbol ihres beiderseitigen Strebens, brachte. Gerührt umarmte er sie, und dieses war das Signal für beide Züge, sich im allerwunderlichsten Contrast durcheinanderzumischen.«

»So ging der fast unabsehbar lange Zug nun in bunter Verworrenheit durch die ganze Stadt und alle Welt zog ihm nach, oder suchte, durch Gäßchen und Gänge den Weg nehmend, ihm in einer andern Straße wieder zu begegnen. Die Masken im Zuge wurden immer lustiger und gesprächiger, sie redeten Bekannte und Unbekannte, die ihnen in den Weg kamen, im Geiste ihrer Rolle an, und erhielten meistens passende Antworten. Jedes Wort wurde ein Maskenscherz, die ganze Stadt der Schauplatz einer großen improvisirten Komödie, von viel tausend Mitspielern aus dem Stegreife aufgeführt.«

»Abends war im Gürzenich der große Faschingsball. Zweiundsiebzig Kronleuchter und eine Unzahl an den Wänden angebrachter Lampen verbreiteten Tageshelle in dem ungeheuern Saale, in welchem zwischen drei- und viertausend Personen herumwogten. Um neun Uhr wurde der Saal geöffnet, vor ein Uhr aber war an kein Tanzen zu denken, so groß war das Gedränge. Die Wände waren mit Blumengewinden, mit grünen Guirlanden und Festons sehr geschmackvoll decorirt, dazwischen waren leichte, aber mit Geist gemalte Wandgemälde angebracht, die meistens auf das diesjährige Maskenfest sich bezogen und also nur für diesen einzigen Abend berechnet sein konnten. Die beiden auf zwei Galerien vertheilten Musikchöre der alten und neuen Zeit ließen abwechselnd sich hören und wetteiferten mit einander, jedes auf seine ihm eigenthümliche Weise, um die Ehre des Tages. Der kölner Carnevalswalzer wurde aufgeführt, er ist mit einem Chor verbunden, in welchem auf eine merkwürdige Art gelacht, geniest, gepfiffen, gehustet, pst, pst gerufen wird, viele unter den Masken stimmten in den Chor mit ein zur allgemeinsten Lust.«

»Narrenkappen sah man unzählige, Dominos, Tabarros und Fledermäuse ebenfalls; der größte Theil der Gesellschaft aber zeigte sich unmaskirt, gewöhnlich und einfach gekleidet. Im Verhältniß zu der Anzahl der Anwesenden war die der eigentlichen Charaktermasken nicht groß, aber die meisten von diesen führten ihre Rolle mit vieler Lebendigkeit durch. Ich hörte in allen Ecken die Späße, die sie vorbrachten, laut belachen und lachte mit, obgleich ich wenig davon verstand, da sie größtentheils zu local waren, um einem Fremden recht begreiflich zu werden; auch wurde Vieles im kölnischen Volksdialekt vorgebracht, in welchem das an sich Komische noch komischer klingt, aber dem Fremden zugleich auch unverständlicher wird.«

»Dienstag, dem eigentlichen Fastnachtsabend, tanzt Alles vom Morgen bis in die Nacht, oder läuft maskirt in den Straßen umher. Kleine Maskenzüge zeigen sich, doch hat die Anzahl derselben gegen ehemals sehr abgenommen, seitdem der große feierliche Zug alle Welt beschäftigt. Dabei wird nach Möglichkeit viel gegessen und getrunken, besonders eine Art Backwerk, Mutzen genannt, das außer dieser festlichen Zeit nicht zu haben ist. Mutzen und Wein stehen in allen Familien zum Empfange der sich einstellenden, oft maskirten Gäste bereit; denn an diesem Tage gehen kleine maskirte Gesellschaften in die Häuser ihrer Bekannten, treiben dort allerlei Späße und ziehen oft unerkannt wieder ab, um in einem andern Hause auf die nämliche Weise ihr Wesen zu treiben.«

»Nachmittags fährt man Birutschen. Wie in Rom auf dem Corso zieht eine unendliche Reihe meist offner Wagen, mit maskirten und unmaskirten Damen und Herren angefüllt, durch gewisse dazu bestimmte Straßen. Aus allen Fenstern blicken Zuschauer und Zuschauerinnen auf den langsam durch die gaffende und jubelnde Volksmenge sich hinbewegenden Zug. Wie in Rom sind auch in Köln Kutscher und Bedienten zuweilen auf groteske Weise maskirt, denn an diesem Tage hört aller Dienstzwang auf. Und doch entsteht keine die öffentliche Freude störende Unordnung, kein Zank, keine Schlägerei, und unerachtet des unglaublichen Gedränges in den Straßen hört man nie von durch Pferde oder Wagen veranlaßten Unglücksfällen. Das Volk übt hier selbst die Polizei und hütet sich für Unfall. Unsäglicher harmloser Muthwillen wird während dieser Fahrt sowol von den Fahrenden als von den Zuschauern getrieben, man drängt sich an die Wagen heran, Spottreden werden mit ähnlichen beantwortet, kleine Maskenpartien zu Pferde und Wagen mischen sich in die Reihe, überall regnet es Erbsen und gipserne Confetti zu den Wagen herein und wieder aus diesen heraus; je toller je besser, ist die allgemeine Losung.«

»So währt das fort, bis die tiefere Abenddämmerung eintritt, dann wird es in den Straßen eine Weile still, bald aber geht der Lärmen ärger als zuvor wieder los. Die Leute laufen mit Lichterchen umher, die sie einander auszublasen versuchen; das Schießen, Toben, Lachen, Jubeln, Pfeifen und Schwirren in allen Ecken der Stadt nimmt kein Ende, bis die Glocke die Mitternacht und zugleich das Ende des Festes der Thorheit verkündet.«

»Die ernste Aschermittwoche war nun hereingebrochen, die Leute liefen in die Kirchen, aber das, innere Zerknirschung und Bußfertigkeit andeutende Kreuz von geheiligter Asche wollte auf den Geckenstirnen nicht recht haften. Die Masken waren beseitigt, aber die Maskenspäße noch nicht. Den ganzen Vormittag wurde noch allerlei Kurzweil ziemlich öffentlich getrieben. Mit einem Mal verbreite sich das Gerücht, im Theater sei etwas zu sehen; lachend lief alle Welt hin, die schönste »beau monde« nahm auf der Galerie Platz; das ganze, nur mit zwei Lichtstümpfchen erleuchtete Haus war zum Erdrücken voll, Jeder lachte sich selbst wie seinen Nachbar recht herzlich aus, und zwischen dem Parterre und den hinter dem Theatervorhang anwesenden Schauspielerdilettanten entstand ein lustiges Hinüber- und Herüberreden. Der Vorhang wurde eine Elle hoch aufgezogen; auf der Bühne wurden viele Beine sichtbar, dann fiel er wieder; der erste Akt war aus.«

»Endlich wurde der Vorhang ganz aufgezogen, einige junge Männer aus der Stadt improvisirten ein auf die zu erwartende Darstellung vorbereitendes Vorspiel, in welches die Zuschauer mit allerlei lustigen und witzigen Zwischenreden sich mischten. Nun folgten sehr belustigende Parodien einiger während der Faschingszeit in Köln gegebner Schaustellungen fremder Künstler. Ein Seiltänzer tanzte mit der Balancierstange auf einem auf dem Fußboden gezogenen Kreidestrich und geberdete sich dabei vollkommen, als ob er auf dem Seile stände; ein Bauchredner machte seine Künste; drei Sänger sangen im lächerlichsten übertriebensten Wechsel des Piano und Porte ein Terzett auf das Wort Zippel-Zippel-Zippelpelz und gaben damit eine treffende Caricatur der drei wiener Studenten, die eben in Köln sich aufhielten und sogar dieses Mal im Theater die Bestrebungen ihrer Doppelgänger mit ansahen. Diese drei jungen Leute führen ein unsrer Zeit ganz angemessenes Leben; bald fortissimo, bald pianissimo singend, ziehn sie gleich den alten Minnesängern durch die Welt, leben wie große Herren, geben Concerte, wo es nur irgend sich thun lassen will, und haben in Köln deren schon drei zu Stande gebracht. Der sehr mittelmäßige Bauchredner, der bei dieser Gelegenheit mit parodirt wurde, gehört ebenfalls zu ihrer Gesellschaft.«

»Diesen Parodien folgte endlich das eigentliche Stück. Ein Kapellmeister sucht taugliche Subjecte, Presto, Allegro und Adagio heißen seine Gehülfen, Dissonanz sein erster Tenorist. Es war eine für den Augenblick wohlberechnete Posse; über alle diese theatralischen Excesse kam endlich die Stunde des Mittagsessens herbei, und alle Welt ging lachend und wohlbefriedigt nach Hause.«

»Nachmittags zog Alles zu der berühmten Kaffeevisite, welche alljährlich dem Schlusse der Faschingsfreuden gleichsam das Siegel aufdrückt. In einem hiesigen Gasthofe versammelt sich nämlich alle Sonntage Nachmittag eine sehr zahlreiche Gesellschaft zum Kaffeetrinken, auch Damen sind dabei, obgleich Wolken von Tabaksrauch die Luft verfinstern. Die eigentliche elegante Welt aber nimmt nur an diesem einzigen Tage im ganzen Jahre an diesem bescheidnen Vergnügen Theil, dann aber werden die Räume auch so überfüllt, daß Niemand sich regen kann; doch je größer das Gedränge, je größer ist die Lust.«

»Zu guter Letzt erschien noch als Nachzügler ein Blatt der Carnevalszeitung voll witziger und scherzhafter Anzeigen, die aber größtentheils nur den eigentlichen Einwohnern von Köln ganz verständlich sein können, indem sie größtentheils auf Stadtanekdoten sich beziehen, von denen ein Fremder wenig erfährt. Hier ein Paar der verständlichsten davon zur Probe:

»»Ich habe mich endlich heute Morgens in meinem Bette wiedergefunden, welches ich meinen bekümmerten Verwandten, Freunden und Bekannten zur Beruhigung anzuzeigen mich beeile.

Köln den 21. Febr. 1826.

Menekens.««

»Und nun folgt eine Reihe fingirter Namen und Titel mit dem Beisatz »ich auch.« »Ich aber noch nicht,« setzt ganz unten der Capellmeister Radicati hinzu.«

»»Zehn Möpse Belohnung.««

»»Vor elf Monaten ist in No. 11 ein Thalerschein, No. 1100011, verloren gegangen. Wer dessen Aufenthalt nachweist, erhält zehn Möpse Belohnung.««

»Es waren nämlich vor Kurzem in einer Zeitung ungefähr mit den nämlichen Worten für einen verlorengegangenen Mops zehn Thaler geboten worden.«

Das tobet und toset so lange,
Verschwindet zuletzt im Gesange.

Zum ersten Mal seit ihrer Wiederbelebung, erlitt in diesem jetzt laufenden Jahre achtzehnhundertunddreißig die kölner Carnevalsfreude eine durch eine unangenehme Reihenfolge von Zufälligkeiten und Misverständnissen herbeigeführte, hoffentlich nur temporaire Unterbrechung. Kein großer sinnreicher Maskenzug zog durch die Stadt; schweigend und undecorirt trauerte der Gürzenich in unerfreulichem Dunkel, und nur ein Paar kleinere, wenngleich sehr elegante und reiche Maskenzüge erschienen auf kurze Zeit, in den verhältnißmäßig gegen sonst verödeten und einsamen Straßen. Die ungewöhnliche Dauer des früh eingetretenen harten Winters, das für diese Jahreszeit außerordentlich schlechte und naßkalte Wetter, welches die Straßen ganz unwegsam machte, mehr als dieses noch die drückende Noth der für eine Bevölkerung von nur sechzigtausend Einwohnern unverhältnißmäßig großen Anzahl der Armen, der abzuhelfen, die edelsten und reichsten Bürger von Köln sich mit thätigem Eifer vereint hatten, dazu auch von außen eindringende, aus gegenseitigem Misverstehen entspringende Hindernisse, welche eine wechselseitige Verstimmung der Gemüther herbeiführten, veranlaßten diese einstweilige Stockung der allgemeinen Faschingslust, welche aber hoffentlich nicht bis in das nächste Jahr hinüberreichen wird.

Diese kurze Pause kann im Gegenteil dem eigentlichen Volksfeste zum wahren Gewinn ausschlagen, indem sie es zu seiner früheren, weit einfacheren, aber nicht minder ergötzlichen Gestaltung zurückführt. Der großen glänzenden, aber für die Theilnehmer daran immer kostbarer werdenden Maskenzüge bedarf es nicht mehr; denn der alte Geist der Freude und der allgemeinen Volkslust ist jetzt in Köln schon zu lebendig wieder erwacht, um sobald in Schlummer und Apathie versinken zu können. Ueberdem möchte es schwer, ja mit der Zeit sogar unmöglich werden, alljährlich neue geistreiche und zugleich Allen verständliche und interessante Motive aufzufinden, um sie diesen immer wiederkehrenden Zügen zum Grunde zu legen. Wie selbst die regsamste, erfindungsreichste und lebendigste Phantasie am Ende doch zuletzt ermüdet und stumpf wird, wenn sie einem und demselben Gegenstande in immer sich erneuernder Folge eine bis dahin unbenutzte und dabei interessante Seite abgewinnen soll, weiß ein Jeder; denn wer hätte bei Hochzeit- und Geburtstagsfeiern und ähnlichen mit jedem Jahre wiederkehrenden Festen nicht an sich selbst, wie an Andern mitunter auf das Allerlangweiligste dieses erfahren.

Ein ganz eigenthümlicher Hang zur heitersten Durchführung eines wohlersonnenen Scherzes ist in Köln eben so einheimisch als das oft seltne Talent, Scherz zu verstehen und ihn ohne alle Bitterkeit, ohne die entfernteste Spur der alle Geselligkeit zerstörenden kleinstädtischen Uebelnehmerei bei nächster Gelegenheit auf die nämliche Weise zu erwiedern. Dieser freundliche Charakterzug der Kölner wird die kurze, alljährlich wiederkehrende Volkslust gewiß nie untergehen lassen. Ich kann es mir nicht versagen, hier noch zum Schlusse eine Anekdote anzuführen, deren Wahrheit mir verbürgt wurde, und durch welche der heitre gutmüthige Sinn dieses Völkchens, mit aller seiner Lust an einer ihm eignen Art gutmüthiger Mystification, im hellsten Lichte sich zeigt. Freilich sind beinahe hundert Jahre verflossen, seit der Schwank, den ich vortragen will, ausgeführt wurde, aber der ganze Vorgang ist der Art, daß er unter den nämlichen Umständen noch heutzutage in Köln sich zutragen könnte, ohne dem Sinn und Charakter der jetzigen Generation im Mindesten entgegenzustreben.

Gegen das Ende der dreißiger Jahre des vorigen Jahrhunderts lebte in Köln ein Domherr, ein heitrer, freundlicher, allgeachteter Mann, der, ohne die Armen dabei zu vergessen, sein reiches Einkommen auf das Allergastreichste mit seinen Freunden theilte; denn damals waren den geistlichen Herren die Flügel noch nicht so beschnitten wie in unsern Tagen. Alle, die ihn kannten, befanden sich gern in seiner Nähe, denn er galt allgemein für einen ebenso witzigen als unterrichteten und gutmüthigen Gesellschafter. Nur eine einzige üble Angewohnheit, durch die er, besonders seinen näheren Freunden, oft über die Gebühr lästig wurde, verdunkelte seine übrigen guten Eigenschaften; er sprach gar zu gern, zu oft und zu lange von frühern vornehmen Bekanntschaften, von Reichsgrafen, Fürsten sogar, mit denen er in ganz vertrauten Verhältnissen gelebt haben wollte. Es war ein Thema, über welches auf das Weitschweifigste sich zu verbreiten er nie aufhören konnte, wenn er einmal darauf gekommen war, und dieses geschah leider nur zu oft für seine, durch diese ewige Wiederholung des oft Gehörten auf das Höchste gelangweilten Freunde.

Vor Allem pflegte er oft des Barons von Neuhof und der zwischen ihm und diesem berühmten Manne, der damals die Augen von ganz Europa auf sich zog, bestehenden Jugendfreundschaft zu erwähnen, nicht minder der lustigen Streiche, die Beide miteinander ausgeführt, als sie noch im Jesuitergymnasium, erst in Münster und später in Köln zusammen studirten; als nun vollends um das Jahr siebzehnhundertsechsunddreißig Baron Neuhof unter dem Namen Theodor zum Könige von Corsica erwählt wurde, war mit dem guten Domherrn gar kein Auskommen mehr.

König Theodor war von nun an sein einziger Gedanke, er sprach fast von nichts Anderm mehr; seine Freunde wollten vor Langerweile darüber verzweifeln, aber ärger noch wurde es, als im nächstfolgenden Jahre der neue König eine Reise antrat, die nach Holland ihn brachte.

Daß der königliche Freund seines Jugendgenossen sich noch mit aller Wärme erinnere, daran ließ der Domherr keinen Zweifel weder in sich noch in Andern aufkommen; aber ob er jetzt, da er ihm so nahe sei, nicht auf den Gedanken kommen würde, ihn zu besuchen, und ob es von Seiten des Domherrn nicht schicklich, ja sogar gewissermaßen Pflicht wäre, Se. Majestät durch eine förmliche Einladung zu diesem Besuche zu bewegen: das waren Fragen, mit deren Entscheidung die Freunde täglich von neuem geplagt wurden, ohne dieselbe endlich bewirken zu können.

Ein sehr huldvoller Brief des Königs Theodor, der mit der Post von Amsterdam an den Domherrn anlangte, machte endlich den Zweifeln desselben ein Ende und verwandelte sie in fröhlichen Jubel; der königliche Freunde meldete wirklich zum Besuche bei ihm sich an, ohne indessen gleich vor der Hand den Tag seiner Ankunft bestimmen zu können. Alle Freunde wurden auf der Stelle herbeigerufen, um diese große Nachricht ihnen mitzutheilen und zugleich ihren Rath bei den zum Empfange eines so hohen Gastes zu treffenden Anstalten in Anspruch zu nehmen.

Auf der ganzen Welt gab es in diesen Tagen kein geschäftigeres, aber auch kein glücklicheres Wesen als den Domherrn. Die Besuchzimmer seines Hauses wurden in möglichster Eile auf das kostbarste meublirt; die Bedienten erhielten neue Staatslivreen; ein ganzes Heer von Köchen wurde in Beschlag genommen; die köstlichsten Weine, die ausgesuchtesten Seltenheiten für die Tafel wurden aus der Nähe und Ferne durch Eilboten herbeigeschafft. Der gute Domherr kam vor freudiger Geschäftigkeit vom Morgen bis zum Abend nicht zu sich selbst.

Ein zweiter Brief seines königlichen Freundes, der den Tag der Ankunft desselben ihm mit Gewißheit bestimmte, versetzte ihn vollends in einen wahren Taumel des Entzückens und verdoppelte seinen Eifer, Alles auf das Herrlichste vorzubereiten. Es war, als ob er keinen andern Gedanken mehr fassen könne, und es kostete ihm wirklich einige Mühe, für einen seiner ältesten und treusten Freunde sich auf eine halbe Stunde von seiner frohen Geschäftigkeit loszureißen, um diesem seine dringende Bitte um eine Unterredung unter vier Augen zu gewähren.

»Mach' es nur kurz,« rief er ihm zu, »und sieh' nur nicht so trübselig aus, kann ich etwas für Dich thun, so sage es ohne Umschweife gerade heraus, Du kennst mich ja, und ich habe noch tausenderlei zu thun; denn wenn ich nicht selbst bei Allem bin, geht doch Alles die Quere.«

Zögernd, stotternd, mit allen Zeichen der drückendsten Verlegenheit brachte jetzt der Freund ein Bekenntniß hervor, das den Domherrn wie ein Donnerschlag aus heiterer Luft treffen mußte. König Theodor dachte mit keinem Gedanken daran, den erwarteten Besuch bei seinem Jugendfreunde abzulegen; die Briefe, welche dieser von ihm erhalten, waren erdichtet; ein Anderer, ein Fremder, sollte bei dem Feste die Rolle des erwarteten Königs spielen; das Ganze war ein von des Domherrn Freunden ersonnenes Complott, theils, um für die Langeweile, die sie bei ihm erlitten, sich zu rächen, theils, um ihn wo möglich von der einzigen Schwäche zu heilen, die seinen sonst liebenswürdigen Charakter entstellte.

»Ich selbst gehöre unter die gegen Dich Verschwornen,« sprach der Reuevolle, »die komische Seite des mir vorgelegten Planes hat mich anfangs verlockt, doch nun, da er zur Ausführung kommen soll, sinkt mir der Muth. Meine treue Liebe zu Dir zwingt mich, Dich vor den muthwilligen Plänen unsrer gemeinschaftlichen Freunde zu warnen, so lange es noch Zeit ist, die völlige Ausführung desselben zu verhindern.«

Des Domherrn Stirne hatte bei diesem Bekenntniß seines Freundes sich anfänglich freilich etwas umdüstert; ohne eine Sylbe darauf zu erwiedern, ging er einige Male sinnend und in sich gekehrt im Zimmer auf und ab, dann aber wandte er plötzlich, völlig erheitert, sich dem Freunde wieder zu, der ihn mit unverhehltem Erstaunen betrachtete. Der Domherr suchte auf die freundlichste Weise ihn zuerst über die Folgen seines Bekenntnisses zu beruhigen, beschwor ihn dann, zu schweigen, ruhig zu sein und ihn nur gewähren zu lassen, vor allen Dingen aber bei der Ankunft des Königs und dem diesem zu gebenden Feste unter keinerlei Art von Vorwande zu fehlen.

Der außer aller Fassung gebrachte Freund wußte gar nicht, woran er eigentlich sei. Hatte der Domherr ihm Glauben geschenkt oder nicht? Leider schien ihm letzteres der Fall zu sein, denn die Anstalten zum Empfange des königlichen Besuches wurden jetzt noch eifriger betrieben als zuvor; Eilboten wurden auf geheimnißvolle Weise abgesendet, Kisten und Kasten kamen an, von deren Inhalt Niemand etwas erfuhr; jemehr der Tag des Festes sich näherte, je fröhlicher zeigte sich der Domherr. Der Gedanke, den königlichen Jugendfreund in seinem Hause zu empfangen, schien bei ihm zur fixen Idee geworden zu sein, um der um ihn immer besorgter werdende Freund fing an, von diesem allzukecken Scherz die traurigsten Folgen für die künftige Geistes- und Gemüthsstimmung des braven Mannes zu befürchten.

Der lange erwartete Tag kam herbei, schon vom frühen Morgen an prangte das Haus im festlichsten Glanze; der Domherr war überall gegenwärtig und überschaute seine wohlgelungnen Anstalten mit triumphirenden Blicken. Festlich gekleidet versammelte er seine nicht weniger geschmückten Freunde um sich her, um in seinem besten Putzzimmer die Ankunft des Königs in ihrer Gesellschaft abzuwarten. Um die Mittagsstunde fuhr der Reisewagen vor, König Theodor, mit dem von ihm selbst gestifteten Orden der Erlösung geschmückt, stieg in Begleitung zweier seiner, ebenfalls mit Band und Stern prunkenden Kammerherren, aus demselben heraus, wurde unten an der Treppe mit aller seinem hohen Range gebührenden Ehrfurcht von dem Herrn des Hauses empfangen und dann in den Saal zu der in ganz eigner Spannung seiner harrenden Gesellschaft eingeführt. Die ersten Begrüßungsformeln waren kaum vorüber, als auf einen Wink des Domherrn die Flügelthüren des Speisesaals sich öffneten; die Majestät wurde an den ihr gebührenden Ehrenplatz begleitet; auf ihr huldreiches Verlangen mußte der Jugendfreund, der erst Miene machte, sie bei Tafel selbst bedienen zu wollen, sich neben ihr setzen; die übrigen Gäste ordneten selbst nach Rang und Alter sich um die überreich besetzte Tafel her, die, auf die lockendste Weise zubereitet, dem Auge Alles bot, was Luft, Erde und Meer Auserlesenes für die Befriedigung des erprobtesten Feinschmeckers darbringen können. Diese überreiche Pracht hatten die Gäste dennoch nicht erwartet; lüsterne Blicke schweiften bewundernd durch die langen Reihen der auf das zierlichste aufgeputzten Schüsseln und über den großen, mit den seltensten und köstlichsten Früchten ferner Zonen prangenden Tafelaufsatz in der Mitte des Tisches, die nur mit unendlichem Aufwande aus den Treibhäusern benachbarter Städte herbeigeschafft sein konnten. Heimliches schadenfrohes Lächeln zuckte über die Gesichter der Gäste, nur einer derselben saß trübe und in sich gekehrt da; der Hausherr aber überschaute zufrieden lächelnd die Tafel und seine Gäste mit einem ganz eignen vielsagenden Blick, dann erhob er sich wieder von seinem Platz neben dem Könige mit einer um geneigtes Gehör bittenden Bewegung. Alle wandten mit gebührender Aufmerksamkeit sich ihm zu, heimlich wünschend, daß die Anrede an den König, die sie von ihm zu vernehmen erwarteten, nicht so lang ausfallen möge, daß die Speisen darüber in Gefahr geriethen zu erkalten.

»Geehrte Herren und Freunde,« sprach der Domherr ernst, aber nicht unfreundlich, würdevoll in Haltung und Ton: »geehrte Herren und Freunde, Ihr habt für gut gefunden, mich an dem heutigen Tage durch die Gegenwart eines Scheinkönigs überraschen zu wollen; und ich, weit davon entfernt, diesen Einfall Euch zu misdeuten, habe meinerseits mich ebenfalls bemüht, in den Sinn desselben einzugehen und die Majestät auf die ihr angemessenste Weise zu bewirthen. Sowie der König mir zur Seite, so ist auch Alles, was Ihr auf der Tafel vor Euch erblickt, eitler gehaltloser Schein, dem das Wesen fehlt; der blinkende Wein gefärbtes Wasser, die köstlichen Früchte gemaltes Wachs, die Gerichte ungenießbare hohle Schauessen, wer Lust dazu hat, mag sich davon selbst überzeugen; ich hoffe, Ihr werdet mir Euern Beifall nicht versagen und eingestehen, daß ich den rechten Weg eingeschlagen habe, um einen so hohen Gast nach Würden aufzunehmen.«

Der Domherr schwieg, alle Anwesenden ebenfalls, kein Laut wurde hörbar, der König sah aus, als wünsche er sich hundert Meilen weit davon, keiner der übrigen Gäste wagte sich zu regen, in tödtlicher Verlegenheit saßen Alle wie festgebannt und mochten nur heimliche Blicke miteinander wechseln. Der Domherr, um sie aus dieser peinlichen Lage zu erlösen, gab endlich selbst das Zeichen zum Aufstehen von der Tafel, das von Allen mit ängstlicher Eile befolgt wurde. Jeder suchte seinen Hut, um sich eilends zu entfernen; aber der Hausherr wußte dieses zu verhindern.

Herzlich lachend stellte er sich in die Thüre: »Nein, meine werthen Freunde,« rief er mit voller fröhlicher Stimme, »so war es nicht gemeint! Kein von mir geladner Gast darf auf diese Weise mein Haus verlassen, der hohle Scherz ist vorüber, die substanziellere Wirklichkeit führe der Vergessenheit ihn zu.«

Die Thüre eines zweiten Speisesaals öffnete sich, aus welchem von einer, der ersten ganz ähnlichen Tafel alle Genüsse, deren Scheinbild sie dort getäuscht, den Gästen aufs köstlichste entgegendufteten und dampften. Auf das Freundlichste dazu eingeladen, nahmen Alle, auch der König und sein Gefolge an derselben ihre Plätze wieder ein. Die Gläser erklangen dem heitern Wirthe zu Ehren, die beruhigten Gemüther erlangten ihr gewohntes Gleichgewicht wieder, und das unter mancherlei wunderlichen Andeutungen begonnene Fest endete erst spät in der Nacht auf die fröhlichste Weise.

»Hab' ich es recht gemacht?« fragte leise der Domherr seinen treuen Warner beim Abschiede. »Ich habe Dich nicht verrathen und werde es auch nicht, aber schweige auch Du, wenn Du mich wirklich liebst,« setzte er hinzu.


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