Johanna Schopenhauer
Ausflug an den Niederrhein und nach Belgien im Jahr 1828
Johanna Schopenhauer

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Godesberg

Vor langen Jahren wurde in meiner Vaterstadt ein sogenanntes Liebhaberconcert allwöchentlich gegeben, das eine unverhältnißmäßig lange Pause in zwei sehr ungleiche Theile theilte. »Es geht doch nichts über ein Concert,« hörte ich damals eine junge Dame während derselben lebhaft betheuern; »es wäre mein liebstes Vergnügen, wenn nur die Musik nicht wäre!«

Jung, wie ich damals war, fiel doch dieser Wunsch seiner unaussprechlichen Naivetät wegen mir so auf, daß ich ihn nie wieder vergessen habe. In großen wie in kleinen Badeorten habe ich mich indessen später wol auf einem ähnlichen betroffen, doch ohne ihn so offen auszusprechen; das Leben hier, dachte ich zuweilen in Karlsbad, in Wiesbaden, in Schwalbach, das Leben hier wäre für einige Wochen ganz angenehm und gar nicht zu verachten, wäre nur die Brunnenkur nicht, und der Brunnenarzt, und das ewige an sich selbst und seine eigene Gesundheit denken. Ohne es zu erwarten, habe ich die Realisirung dieser Idee in Godesberg jetzt gefunden: den grünen Tisch ausgenommen, den ich gern vermisse, und die öffentlichen Bälle im Kursaal, auf denen ohnehin Niemand tanzt, findet man hier Alles, was man auch an andern Brunnenorten antrifft. Viel Gesellschaft, eine sehr hübschgefaßte Quelle, von schattigen Lauben und anmuthigen Spaziergängen umgeben, die Morgens und während der heißen Tagesstunden fleißig besucht werden; aber es fällt Niemand ein, das sehr wohlschmeckende Wasser dieses sehr unschuldigen Sauerbrunnens anders als mit Zucker und Wein zur Kühlung zu trinken, und kein Arzt, der ohnehin erst aus Bonn herbeigerufen werden müßte, wird es jemals im Ernst als Brunnenkur empfehlen.

Auch an bequem und zweckmäßig eingerichteten Badeanstalten fehlt es nicht; aber man badet in reinem puren Wasser, in recht reinlichen Badewannen von angestrichenem Blech, auch nicht nach Regel und Vorschrift, sondern nach eignem Belieben. Der Eigenthümer einer dieser Badeanstalten hat sogar seine Badezimmerchen dermaßen mit Draperien, Blumen und allerlei kleinen Porzellanfigürchen ausgeschmückt, daß man kaum Platz zum Ankleiden behält, der Blumenduft schwachen Nerven lästig wird, und man oft, ehe man sich dessen versieht, einen Dromedar, ein Paar Elephanten, oder einige Mohrenkönige neben sich in der Badewanne schwimmen hat.

Ein eigner Zauber scheint indessen auf den Aufenthalt in Godesberg einzuwirken: man kommt hin, um vielleicht vierzehn Tage lang sich der schönen Gegend mit Muße und Bequemlichkeit zu erfreuen, und bleibt länger und immer länger, ohne selbst recht zu begreifen, was uns denn hier so fesselt. Godesberg ist eigentlich nichts weiter als ein sehr bequemer und gemüthlicher Badeaufenthalt, auch benutzen viele Familien aus benachbarten Städten, aus Krefeld, Düsseldorf, Elberfeld es Wochen und Monate lang als solchen, die dann freilich sehr zusammenhalten und gewissermaßen einen Staat im Staate bilden. Aber auch an Fremden aus entfernteren Gegenden Deutschlands fehlt es nicht, nicht an Holländern, Brabantern, vor Allem nicht an Engländern; denn wo träfe man die jetzt nicht an! Den Morgen bringt man nach eigner Wahl in völlig ungestörter Freiheit zu; nach ein Uhr versammeln sich die Gäste des Hauses nebst den eben aus der Umgegend hinzukommenden Besuchern um die sehr reichlich und gut besetzte Mittagstafel; wer sich geneigt fühlt Bekanntschaften anzuknüpfen, läßt seine Tasse Kaffee nach Tische sich vor die Hausthüre tragen, wo der größte Theil der Gesellschaft sich dann versammelt; wer still vor sich hin leben will, trinkt ihn in seinem Zimmer, oder in einer entfernten Laube des hinter dem Hause belegenen Gartens. Bei bösem Wetter tritt ein artiger Salon, welchen die Gesellschaft gemeinschaftlich benutzt, an die Stelle des Platzes vor der Hausthüre; man sitzt beisammen, man schwatzt von Diesem und Dem, beobachtet die fortwährend herbeirollenden Wagen und wird oft durch die unerwartete Ankunft lieber Freunde und Bekannten aus Bonn und der übrigen Nachbarschaft angenehm überrascht. Sind die heißen Nachmittagsstunden überstanden, so geht oder fährt man spazieren, allein oder in Gesellschaft, wie man will; zuweilen werden auch gemeinschaftliche größere Landpartien in die herrliche Umgegend oder zum Ersteigen irgend eines Berges im Siebengebirge verabredet und ausgeführt. So vergeht in unbeschreiblicher Ruhe, im seligsten »far niente« ein Tag nach dem andern, und man erstaunt über die Zahl derselben, wenn man sie endlich zusammenrechnet. Aber gerade diese Einförmigkeit des Lebens, diese unbegränzte Freiheit nach eigenem Gefallen, unbemerkt und unbeobachtet seine Zeit hinbringen zu können, gibt dem Aufenthalte in Godesberg diesen, bei aller Schönheit der Gegend doch kaum zu erklärenden Reiz.

Sonntags freilich tritt ein geräuschvolleres Leben ein, und wer ein solches nicht liebt, pflegt diesem Tage gern auf eine oder die andre Weise hier aus dem Wege zu gehen. Bei günstigem Wetter strömen aus dem nahen Bonn und der Umgegend so viele Gäste herbei, daß der ohnehin nicht große Speisesaal zu enge wird; die Hitze in demselben wird unerträglich, und die Bedienung vermag kaum für so Viele hinlänglich zu sorgen.

Das Godesberg, von dem hier die Rede ist, besteht nur aus einer Reihe von Gebäuden, welche die Landleute in der Umgegend die weißen Häuser nennen, und die am Fuße schöner, mit Bäumen, Gebüsch, Reben und Gärten bedeckter Hügel längs einer großen breiten Terrasse sich hinstrecken. Da sie etwas hoch liegen, so nehmen diese Gebäude, von der in einiger Entfernung vorüberführenden Chaussee aus gesehen, sich recht stattlich aus. Das eigentliche recht große und hübsche Dorf Godesberg, durch welches die große Straße von Köln nach Mainz geht, liegt von diesen Häusern abgesondert seitwärts, einige hundert Schritte von denselben entfernt. Kein Fahrweg führt an den weißen Häusern vorbei, und dieses ist, des Staubes wegen, keine ihrer geringsten Annehmlichkeiten; um zu ihnen zu gelangen, muß man gleich hinter dem Dorfe von der Chaussee ab, in eine mit schattigen Obstbäumen besetzte Allee einbiegen, welche auf die vor ihnen liegende Terrasse führt.

Die ganze Reihe dieser Gebäude besteht nur aus zwei am Anfange und am Ende derselben liegenden, ziemlich ansehnlichen Gasthöfen, zwei oder drei recht artigen Landhäusern, die im Sommer von den Eigenthümern derselben bewohnt werden, und einer seitwärts nach dem Dorfe zu erbauten, recht stattlichen Villa. Fast alle diese Gebäude verdanken ihre Entstehung dem letzten, Pracht und Eleganz liebenden Kurfürsten. Die beiden, welche jetzt zu Gasthöfen umgewandelt sind, pflegte er mit seinem Hofstaat während seines Sommeraufenthalts in Godesberg, das er sehr liebte, selbst zu bewohnen; späterhin schenkte er sie zweien alten Dienern, um sie zu ihrem jetzigen Zwecke zu benutzen und auf diese Weise nicht nur durch ein hinlängliches Auskommen vieljährige treue Dienste zu belohnen, sondern auch dem größern Publikum einen angenehmen Erholungsort zu verschaffen. Eines der Landhäuser, die jetzt Privateigenthum sind, war zu Zeiten des Kurfürsten ein kleines Theater; die größere, wirklich sehr elegante Villa aber war zu Festen und Bällen eingerichtet und wurde damals die Redoute genannt.

Unbeschreiblich anmuthig ist die Gegend ringsumher; wohin das Auge sich wendet, überschaut es ein fruchtbar angebautes herrliches Land, prangend im höchsten Reiz der üppigsten Vegetation. Die ganze Gegend zwischen Honneff und Plittersdorf, mit allen zwischen beiden liegenden Ortschaften, bildet das köstlichste Panorama. Der Rhein fließt zu tief, um von Godesberg aus gesehen zu werden, man glaubt eine ununterbrochene, sanft abhängige Ebene vor sich zu haben, durch welche in einiger Entfernung die stets belebte große Heerstraße sich hindurchwindet, und nur der vom Dampfschiff aufsteigende Rauch, oder das hochstehende Segel eines Schiffes verräth zuweilen das Dasein des ungesehen sie unterbrechenden Stromes.

Das Siebengebirge, vor allem der prächtige Drachenfels mit seiner pittoresken Ruine, begränzen rechts hinter Honneff die köstliche Aussicht. Wenn die Sonne sinkt, die kühnen Contours des Gebirges, vom Abendstrahl geröthet, aus dem dunkleren Blau des Himmels kräftiger hervortreten, dann steigt der feuchte Duft aus dem Rheine auf, und hüllt die Ferne und die Berge in jenen bläulich violetten durchsichtigen Schleier, den wir auf italienischen Landschaften als eine nur dem wärmeren Süden angehörende Erscheinung bewundern. Wenn nun der Abend völlig hereinbricht, dann ruft das Glockengeläute aus den nahen und ferneren Ortschaften die von der Feldarbeit Heimkehrenden zum Abendgebet, und zittert in bebenden, unbeschreiblich harmonischen Tönen durch die stille Luft. Und wenn nun Alles zur Ruhe ist, und später der Vollmond hinter dem Drachenfels aufsteigt, und ehe er ganz sich zeiget, durch die weite Fensterlücke der Ruine auf die untenschlummernden Gefilde, wie eine lächelnde Mutter auf ihr sanftschlafendes Kind niederblickt, dann wird es so still in der Menschenbrust wie draußen in der Natur, und himmlischer Gottesfrieden verbreitet sich selbst über ein schmerzlichst verwundetes Gemüth.

Daß das Land wegen des ungleich höheren Werthes des Grundbesitzes in weit kleinere Theile eingetheilt ist als bei uns im Norden, und selbst die größeren Landgüter reicher Gutsbesitzer von bei weitem geringerem Umfange sind, das gibt ihm eben jenes reiche gartenähnliche Ansehen, das längs dem Ufer des Rheines so auffallend die Gegend verschönert. Das Feldeigenthum des eigentlichen Landmannes, der fast durchgängig vom Weinbau leben muß, ist unglaublich klein, die Früchte, die er gewinnt, reichen meistens nur zum Bedarf seines eigenen Haushaltes hin, deshalb wachsen und blühen die mannichfaltigsten Feld- und Gartenfrüchte auf den kleinen Feldern dicht neben einander und gewähren durch diese Mannichfaltigkeit einen unbeschreiblich reizenden Anblick. Auch das kleinste Fleckchen Erde hat hier bedeutenden Werth, und muß so gut als möglich benutzt werden; Rebengelände, Obstbäume, weitschattende Nußbäume stehen überall zwischen Getreidefeldern und Gemüsegärten, kein urbares Fleckchen bleibt unbebaut, und urbar ist jedes auf diesem fruchtbaren Boden, der nie der Ruhe bedarf, weshalb man auch nirgend brachliegende Felder erblickt.

Das Land bringt seinem Besitzer gewöhnlich zwei Ernten in einem Jahre, zuweilen auch drei, je nachdem es bebaut wird; den Erbsen folgen unmittelbar Kohlpflanzen und ähnliche Küchengewächse, und kaum ist der Roggen in die Scheuer gebracht, so wird das Stoppelfeld umgepflügt und mit Rüben besäet. So geht es immerfort im ewigen Kreislauf. Die allernährende Erde hört nie auf, den Fleiß dieser arbeitsamen Menschen mit ihrem reichsten Segen zu belohnen; vom Februar bis tief in den November hinein grünen Feld und Garten und bringen Früchte, nirgend ein sichtbarer Stillstand in dem wohlthätigen Walten der Natur.

Wiesen sieht man selten, dazu ist der Boden zu kostbar, aber destomehr üppig gedeihende Kleefelder, deren Duft nebst dem der blühenden Bohnenfelder sich im Juni mit dem der blühenden Reben vereint und das ganze Land mit berauschendem Wohlgeruch erfüllt.

Nur Eines vermißte ich ungern in diesem sonst so reich ausgestatteten Lande, die Pracht der grünen weitschattenden Wälder und einzelner hoch zum Himmel aufragender alter Bäume. Was man hier Wald nennt, ist nur Gebüsch mit wenigen höheren Bäumen untermischt, bei denen man an die majestätischen Eichen, die hohen prächtigen Buchen des nördlichen Deutschlands gar nicht denken darf. Wären die Steinkohlengruben in der weniger von der Natur begabten Nachbarschaft des Niederrheins nicht, man könnte, unerachtet des wärmeren Klimas, hier im Winter aus Mangel an Holz zu erfrieren fürchten; doch durch diese ist auch für dieses Bedürfniß von der diesem Lande besonders günstigen Erhalterin aller Wesen reichlich gesorgt, selbst für den ärmsten Bewohner desselben, indem sie Schifffahrt auf dem Rhein den Transport des nöthigen, an sich sehr wohlfeilen Brennmaterials ungemein erleichtert.

Auch die lebendige Staffage der schönen buntgefleckten Kühe, der muthig den Boden stampfenden, vor Lust wiehernden Pferde auf Wiesen und im Herbste auf abgemähten Feldern, an die mein nordisches Auge von Jugend auf gewöhnt wurde, vermisse ich hier. Viehzucht wird hier nicht betrieben, die paar Kühe, welche der Landmann für seinen Hausbedarf hält, bleiben im Stalle, und wer nicht besonders darauf ausginge, könnte hier Jahre lang auf dem Lande leben, ohne eine einzige derselben zu Gesichte zu bekommen. Auch Pferde sind hier selten, zum Fuhrwerk kann man, der Nähe des Rheines wegen, sie entbehren, der Weinbauer bedarf ihrer nicht, und die Feldarbeit wird meistens durch Zugochsen betrieben, deren Anzahl unglaublich gering ist, weil ein Nachbar sie vom andern borgt, wenn er ihrer bedarf. In einzelnen Dörfern und kleinen Städtchen, wie zum Beispiel in Unkel, ist oft nur ein einziges Pferd und ein Zugochse anzutreffen. Daß die Postpferde und Equipagen der vornehmen Gutsbesitzer dabei nicht in Anschlag kommen, brauche ich wohl nicht besonders zu erwähnen.

Das Hirtenamt ist hier ein fast nicht gekanntes; nur selten sieht man am Abhänge zum Weinbau untauglicher Berge eine kleine Heerde Schafe und einige Ziegen unter der Aufsicht eines Knaben weiden; nirgend wackelt eine Gesellschaft laut durcheinander schnatternder Gänse, von einem sie gouvernirenden Mädchen geführt, dem Wanderer entgegen, denen man in nördlicheren Gegenden in so zahlreicher Menge begegnet; der fruchtbare Boden bietet keine Triften für sie, und diese nützlichen Thiere werden hier wenig geachtet, da Federbetten ein dem gemeinen Mann fast unbekannter Luxus sind; nur hie und da in verschlossenen Höfen werden einige von ihnen zum Martinsbraten gezogen. Dieser völlige Mangel an Hausthieren gibt der Gegend, besonders den Dörfern, einen ganz eigenen Charakter von Abgeschiedenheit und Stille, der dem nicht daran Gewöhnten anfangs recht auffallend wird. Kein Geläute der Kuhglocken, kein Gebrülle der ausziehenden oder heimkehrenden Heerden, keine Hirtenschalmei verkündet den Eintritt der verschiedenen Tageszeiten, wie in anderen Gegenden Deutschlands, oder wie in der Schweiz, wo die Kühe beinahe wie Glieder der Familie betrachtet und behandelt werden.

Von den beiden Gasthöfen in Godesberg muß ich noch bemerken, daß die ankommenden Wagen dem ersten und größern gewöhnlich vorüberrollen, um vor dem zweiten, dem letzten Hause in der Reihe, zu halten; und nur, wenn Herr Blinzler mit wehmüthigem Lächeln betheuert, daß bei ihm auch nicht ein einziges Kämmerchen mehr unbesetzt sei, wenden sie wieder um und kehren in dem erst verschmähten Gasthofe »zur schönen Aussicht« ein. Die Ursache davon läßt sich schwer errathen, da Preise und Bedienung in beiden Häusern ziemlich gleich sind. Noch unerklärlicher aber ist die zwischen den Bewohnern beider Häuser stattfindende Scheidung; höchst selten nur, um im andern Hause wohnende Bekannte zu besuchen, werden von ihnen die gegenseitigen Gränzen überschritten, und eine Vereinigung beider Gesellschaften, die doch recht wünschenswerth wäre, ist kaum denkbar.


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