Johanna Schopenhauer
Ausflug an den Niederrhein und nach Belgien im Jahr 1828
Johanna Schopenhauer

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Sancta Maria in Capitolio

Unerachtet der aufgehobenen zahlreichen Klöster, der vielen eingegangenen, sogar abgebrochenen Kirchen, ist dennoch keine Stadt in Deutschland an alten herrlichen und merkwürdigen Kirchen so reich als diese alte Stadt, welche vor Zeiten die fromme, heilige benannt wurde. Eine der schönsten wie der ältesten ist unstreitig die Kirche St. Maria zum Kapitol, deren Name schon allein die größten Erinnerungen hervorruft. Auf einer kleinen Anhöhe, von grünen Bäumen umgeben, steht die schöne, im edelsten Styl des siebenten Jahrhunderts erbaute Kirche, auf dem nämlichen Platz, wo zu Zeiten der Römer das Kapitol über dem ihnen unterworfenen Rheinstrom thronte, dessen Anblick aber einige neuere große Wohngebäude jetzt dem Auge entziehen. Von dem Kapitol und dem an dieses stoßenden kaiserlichen Palast ist keine Spur mehr über der Erde sichtbar; nur ein uraltes Portal, der Lichthof genannt, das, obgleich sehr verändert, noch einige Spuren altrömischer Baukunst zeigen soll, wird noch jetzt als einer der ehemals zum Kapitol hinaufführenden Eingänge bezeichnet.

Die fromme edle, aber nicht glückliche Plectrudis von Heristal die Gemahlin des fränkischen Major Domus Pipin und Aeltermutter Kaiser Karls des Großen, war im Laufe des siebenten Jahrhunderts die Erbauerin dieser schönen Kirche und zugleich Stifterin eines zu derselben gehörigen Nonnenklosters. Um den Erniedrigungen und Nachstellungen von Seiten einer hochbegünstigten Buhlerin ihres Gatten zu entgehen, welche Alpais hieß und ungescheut die rechtmäßige Gemahlin nicht nur von dem Ehrenplatz an der Seite ihres Gemahls vertrieb, sondern auch öffentlich die Rechte derselben im Hause wie am Hofe sich anmaßte, zog Plectrudis mit allen ihren Schätzen sich nach Köln in das von ihr gestiftete Kloster zurück, um dort ihr Leben zu beschließen. Pipin machte sich mancher Unthaten schuldig, er ließ den frommen Bischof von Lüttich, Lambertus, ermorden, weil dieser sich erdreistete, ihm das Sündhafte seiner Verbindung mit Alpais vorzustellen und ihn zur Abänderung desselben zu ermahnen; eine schwere That, die in jener Zeit fast für eine Todsünde galt, für welche nur durch demüthigende und harte Kirchenbußen Vergebung von dem ewigen Richter zu hoffen stand, denen sich zu unterwerfen, Pipin wenig Lust bezeigte.

Die fromme Plectrudis begann für das künftige Seelenheil des Mannes zu zittern, dem sie noch immer, unerachtet aller von ihm erlittenen Unbill, mit treuer Liebe ergeben war, und widmete von nun an in Gemeinschaft mit ihren Klosterjungfrauen alle ihre Tage der Fürbitte und frommen Bußübungen, zur Rettung der künftigen Seligkeit ihres sie schwer beleidigenden Gatten.

So lebte sie Jahre lang in klösterlicher Zurückgezogenheit und eifrigem Gebet für den Sünder, bis endlich ein neuer Strahl des Glückes ihr aufging, um den Abend ihres Lebens zu erleuchten. Pipin hörte von ihrem frommen stillen Leben, und sei es, daß er dadurch gerührt wurde, oder daß er der schönen Alpais überdrüßig geworden war, genug er gewährte den Ermahnungen des Bischofs Hubertus ein geneigteres Gehör, als er denen des unglücklichen Lambertus, des Vorgängers desselben, gewähren wollen. Alpais wurde vom Hofe entfernt und in ein Kloster geschickt, Plectrudis aber von ihrem reuerfüllten Gemahl zurückberufen und in alle ihr gebührenden Rechte ehrenvoll wieder eingesetzt.

Nach ihrem Tode wurde ihre entseelte Hülle in der Kirche beigesetzt, die sie selbst erbaut, und der Ort, wo ihre Gebeine ruhten, blieb Jahrhunderte lang bei Enkeln und Urenkeln ein Gegenstand frommer Verehrung.

Von innen wie von außen ist die Kirche St. Maria zum Kapitel eines der wohlerhaltensten Denkmale des edeln architektonischen Styles jener alten Zeit. Nichts kann erhebender und zugleich erheiternder auf das Gemüth wirken als der Eintritt in diesen ehrwürdigen Tempel, seit er durch die besondere Sorgfalt seines Kirchmeisters, des Herrn de Noel, aus dem tiefen Verfall, in welchem er im Anfange dieses Jahrhunderts unter der Alles zerstörenden Oberherrschaft der Franzosen gesunken war, in seiner alterthümlichen Würde und Herrlichkeit wiederhergestellt ist.

Das Innere der Kirche bildet ein längliches Kreuz; alte herrlich gearbeitete Säulen tragen das hohe Gewölbe. Ein hoher, ganz verfallener Chorstuhl, auf welchem die Nonnen des längst aufgehobenen Klosters ihre Plätze hatten, und der, ein Viereck bildend, sich rings um den Mittelpunkt dieses Kreuzes hinzog, wurde bei der Wiederherstellung der Kirche, die er entstellte, weggenommen, und die reine Harmonie, in welcher jeder Theil des edeln Gebäudes zu dem Ganzen steht, ist dadurch erst recht sichtbar geworden.

Ehrwürdige Denkmale der Vorzeit, Grabmäler, architektonische Verzierungen und künstliches Bildwerk in Holz und Stein lagen, unter Staub und Schutt halb vergraben, auf dem Fußboden umher; unter de Noel's Anleitung wurde Alles hervorgesucht, gereinigt, so viel als möglich ergänzt und dann wieder an schicklichen Plätzen in der Kirche vertheilt und geordnet. Die alten gemalten Kirchenfenster von ausgezeichneter Schönheit wurden wiederhergestellt, die daran fehlenden Scheiben durch neue nachgeahmte, so gut dieses möglich war, ersetzt. Freilich können diese mit den herrlichen Gebilden alter Kunst keinen Vergleich aushalten, doch werden letztere wenigstens durch sie vor gänzlichem Untergange geschützt, und der im Sonnenglanz von den alten Meisterwerken ausgehende strahlende Schimmer treibt die neueren in bescheidenes Dunkel zurück, sodaß man sie wenig bemerkt. Die Arbeit, die Mühe bei diesem Allen waren groß, fast unermeßlich, aber der erfreuliche Erfolg lohnt das treue Bemühen.

Die heiterste Zierde der Kirche, die Jedem, der sie betritt, sogleich erfreulich ins Auge fällt, sind eine Reihe sehr zierlich und fleißig gearbeiteter Basreliefs, welche rings um die Emporkirche, auf welcher die Orgel steht, dicht nebeneinandergestellt sich hinziehen. Jedes derselben besteht aus einer einige Fuß im Quadrat haltenden Tafel von grauem Marmor, auf welcher ein in weichem, mit einem weißen Anstrich überzogenem Stein gearbeitetes Heiligenbild, oder irgend ein Gegenstand aus der Legende derselben befestiget ist, sodaß der graue Marmor dem Bildwerk zum Hintergrunde dient; das Ganze erinnert, freilich sehr im Großen, an die kameenartigen Verzierungen auf bläulichem Grunde aus Wedgewood's Fabrik, die man vor mehreren Jahren überall fand. Die Zartheit, der Geist, der fleißige Kunstsinn, mit welchem diese kleinen Figürchen ausgearbeitet sind, ist in der That bewundernswerth. Auf jeder der Tafeln ist oben über dem Heiligenbilde von der nämlichen Steinart eine Verzierung in Form eines Baldachins oder Tabernakels angebracht, die seitwärts an eine Art Einfassung sich anschließt und gleichsam den Rahmen zu diesem kleinen Steinbildchen ausmacht.

Auch diese schätzbaren Kunstwerke lagen zum Theil zertrümmert und völlig vernachlässigt umher und mußten mühsam zusammengesucht und wiederhergestellt werden. Ursprünglich hatten sie jenen, jetzt nicht mehr bestehenden Chorstuhl der Nonnen geschmückt, der in alter Zeit über einem Altar sich erhob, auf welchem Schorrel's unsterbliches Meisterwerk, der Tod der heiligen Jungfrau, als Altargemälde stand, das späterhin als eines der herrlichsten Kleinode der Boisseréeschen Sammlung allbekannt und allbewundert wurde und nun mit dieser in den Besitz des Königs von Baiern nach München gekommen ist.

Beide Kunstwerke, Schorrel's Altarbild und die Reihe von Basreliefs, wurden von der Familie Hardenrath dieser Kirche geschenkt, das Gemälde im Jahre funfzehnhundertundfunfzehn, die Bilderwerke zehn Jahre später.

In jener Zeit, als die freien Reichsstädte in ihrer halb republikanischen, halb aristokratischen, dem alten Rom nachgebildeten Einrichtung noch bestanden, die freilich für die jetzige nicht mehr passen will, und die unermeßlichen Reichthümer, welche die freien Bürger durch weise Thätigkeit, Gemeingeist und Ordnung erwarben und erhielten, sie zugleich zum Zufluchtsort aller Kunst und Wissenschaft erhoben, damals entstanden in jenen kleinen Republiken edle Familien, in denen jede Bürgertugend erblich gewesen zu sein scheint, deren Streben vom Vater bis auf den nachgebornen Enkel dahin ging, für das Wohl, die Erhaltung, die Verschönerung der Vaterstadt zu sorgen, und deren Namen noch jetzt, bei ganz veränderten Zuständen, der späten Nachkommenschaft unvergessen bleibt.

Die alte freie Reichsstadt Köln war besonders reich an solchen Familien, die edelste unter ihnen aber, deren Name noch jetzt im frischen Andenken lebt und leben muß, weil man noch immer auf Stiftungen, Einrichtungen, Kunstwerke trifft, welche die Stadt ihr verdankt, war die Patrizierfamilie Hardenrath, die im Senate derselben von jeher die höchsten Stellen bekleidete. »Werdet ein Bürgermeister wie Hardenrath!« wurde zur Zeit der reichsstädtischen Verfassung jedem neuerwählten Bürgermeister in einer von einem Hardenrath gestifteten Kapelle feierlich von seinen Collegen zugerufen.

Diese, im Jahre vierzehnhundertundsechsundvierzig von einem Hardenrath an die Kirche von Maria zum Kapitol angebaute Kapelle besteht noch; die von ihrem Erbauer mit ihr verbundene Stiftung ist aber leider untergegangen. Die Hardenrath's waren geborne Beförderer und Beschützer jeder schönen Kunst, und dieser ihr würdiger Ahnherr scheint sich besonders der Kirchenmusik angenommen zu haben. Er stiftete in dieser Kapelle eine musikalische Messe, die jeden Morgen gefeiert werden mußte, setzte ein Kapital zur Besoldung eines Musiklehrers und der Sänger aus, und stiftete dadurch eine Schule, aus welcher in der Folge bei musikalischen Festen, in der Ferne wie in der Nähe, die Sänger herbeigezogen und freudig aufgenommen wurden. An den Wänden dieser Kapelle findet sich noch zur Stunde das Bild des bei dieser Schule zuerst angestellten Singlehrers und seiner Schüler »al fresco« gemalt; auch eine Reihe alter, sehr charakteristisch und geistreich aufgefaßter Mönchsköpfe; einige darunter, mit der Bischofsmütze geziert, sind, grau in grau gemalt, in derselben noch sichtbar.

Der Bürgermeister Hardenrath, dessen Andenken noch in später Zeit von seinen Nachfolgern bei den Wahlen so ehrenvoll gefeiert ward, hieß Johannes, und Jeder, der ehemals in Heidelberg und Stuttgart, oder später in München vor Schorrel's sterbender Maria stand, kennt die würdigen Züge des edeln Mannes, seiner wackern Hausfrau und seiner blühenden Söhne und Töchter, die Alle, von ihren Schutzheiligen umgeben, auf den Seitentafeln des Gemäldes, als Donatoren desselben, mit unbeschreiblichem Kunstaufwande abgebildet und der Nachwelt aufbewahrt sind.

De Noel's thätiges Bemühen erstreckte sich nicht blos auf das Innere der seiner Sorgfalt übergebenen Kirche, auch die sehr schöne Vorhalle derselben und die noch bestehenden zu ihr führenden Kreuzgänge sind mit alten Grabsteinen, mit Denkmälern früherer Bildnerei in Stein und Holz angefüllt, die bei dem Ueberhandnehmen des Abbrechens alter Kirchen durch ihn vor schmählichem Untergange bewahrt und hieher gerettet wurden, wo sie gereinigt und geordnet einen würdigen Platz fanden. Einige derselben bilden, ihrer früheren Bestimmung gemäß, das Leiden Christi versinnlichende sogenannte Stationen, zur Erbauung der Andächtigen.

Ein Albrecht Dürer zugeschriebenes Altargemälde in dieser Kirche scheint mir des Namens des großen Meisters nicht würdig; obgleich gut gemalt, ermangelt es des Geistes, der aus jedem der Gebilde desselben unverkennbar hervorleuchtet. Merkwürdiger, wenigstens ihres Alterthums wegen, waren mir zwei Abbildungen von farbiger Gipsmosaik aus dem Jahre dreizehnhundertvier, welche zwei Aebtissinnen in Lebensgröße und in ihrer völligen Ordenstracht darstellen, und ehemals als Leichensteine auf den Gräbern derselben lagen. Jetzt stehen sie an der Wand aufgerichtet nahe beim Eingange und nehmen sich in der heiligen Dämmerung, die sie umgibt, gespensterhaft genug aus.


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