Johanna Schopenhauer
Ausflug an den Niederrhein und nach Belgien im Jahr 1828
Johanna Schopenhauer

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Bonn

Für rüstige Fußgänger ist der kaum anderthalb Stunden lange Weg von Godesberg bis Bonn ein angenehmer Spaziergang, unter Obstbäumen und zwischen Weingärten hin, die nicht, wie bei Dresden, mit hohen, blendendweißen Mauern eingefaßt sind. Dicht hinter dem Dorfe Godesberg führt der Weg an einem alten gothischen Denkmal vorüber, welches in der Umgegend das hohe Kreuz genannt und in hohen Ehren gehalten wird. Es wurde in der ersten Hälfte des vierzehnten Jahrhunderts errichtet, und eine dunkle Sage von einem Brudermorde, der an dieser Stätte verübt worden sein soll, geht im Lande umher. Dem Mörder, nachdem er durch Kirchenbuße und Pilgerfahrten seine schwere That abgebüßt hatte, wurde noch auferlegt, dieses Denkmal seines Verbrechens und seiner Reue auf der nämlichen Stelle erbauen zu lassen, wo sein Bruder von seiner Hand gefallen war. So wird es wenigstens erzählt.

Bonn nimmt schon von fern sehr heiter, sogar prächtig sich aus; noch schöner aber ist der Anblick der Stadt, wenn man auf dem Rheine zu ihr heranschwimmt; eine Menge kleiner Fahrzeuge und Nachen füllen den kleinen Hafen; diese und die zwischen beiden Ufern hin und her gehende fliegende Brücke bringen niestockendes Leben und Bewegung in eine der schönsten Landschaften.

Keine Universitätsstadt in Deutschland, Heidelberg ausgenommen, läßt in Hinsicht des milden Klimas, der unbeschreiblich reizenden Lage und der Art, wie die Stadt gleich beim Eintritt sich dem Auge darstellt, mit Bonn sich vergleichen. Die schöne Façade des Universitätsgebäudes, ehemals das kurfürstliche Residenzschloß, breitet am Ufer des Stromes recht imposant sich aus; über die Giebel der Häuser blicken die gothischen Thürme des ehrwürdigen Münsters hervor; die Stadt selbst liegt wie in einem Garten. Hinter der Stadt erhebt sich der Kreuzberg mit der seine Scheitel krönenden Kirche, welche ehemals zu einem Servitenkloster gehörte, das aber in neuerer Zeit abgebrochen worden ist. Am Fuße des Kreuzberges sieht man das Schloß Poppelsdorf; und den Hintergrund zu dem Allen bildet eine Reihe grüner, zum Theil waldbewachsener Hügel, die das Vorgebirge genannt wird. Höchst wahrscheinlich wurden diese, von Godesberg an, bis einige Stunden hinter Bonn in einem Halbkreise sich hinziehenden Hügel ursprünglich von dem mächtigen Strome gebildet, der jetzt in ziemlich weiter Entfernung von ihnen dahinfließt. Vielleicht füllte, einen großen See bildend, der in grauer Vorzeit mächtiger wogende Rhein die ganze jetzt so fruchtbar angebaute Ebene aus, die zwischen seinem jetzigen Ufer und jener Hügelreihe liegt; vielleicht floß nur ein Arm des Stromes an ihrem Fuße hin, der jetzt spurlos verschwunden ist. Freundliche Dörfer, schöne Landhäuser schmiegen jetzt dem Fuße jener Hügel sich an; erquickende Mineralquellen sprudeln aus dem wilden Gesteine hervor, und auf den laubbewachsenen Höhen sieht man Schlösser und ehemalige Klöster zwischen schattenden Bäumen hervorblinken. Bei aller Verschiedenheit von den eigentlichen Rheingegenden, besitzt diese Gebirgsgegend im Kleinen einen ihr ganz eigenthümlichen Reiz, der sich leichter empfinden als beschreiben läßt.

Auch an eigentlichen Spaziergängen fehlt es Bonn nicht. Selbst in den heißesten Tagesstunden bieten die hohen Laubgänge des Schloßgartens, sowie die Anlagen des sogenannten englischen Gartens erquickenden Schatten; entzückend schön ist in letzterem die Aussicht über den Rhein vom alten Zoll aus, einer ehemaligen französischen Bastei; überall, wohin man die Blicke wendet, zeigt sich die Natur in unendlicher Schönheit und Anmuth.

Vom Schloßgarten führt eine Allee von alten hohen Kastanienbäumen nach dem nur eine Viertelstunde von Bonn entfernten Poppelsdorf. Das ehemalige kurfürstliche Lustschloß daselbst ist jetzt der Naturwissenschaft geweiht; die in dieses Fach einschlagenden Sammlungen, nebst der dazu gehörigen Bibliothek, die mit jedem Jahre an Reichhaltigkeit gewinnen, sind in demselben aufgestellt; der dazu gehörige Park ist zu einem der bedeutendsten botanischen Gärten in Deutschland umgewandelt, ohne die Schönheit der ursprünglichen Anlage desselben zu zerstören. Alles wächst und blüht und gedeiht hier unter kunstverständiger Pflege, die Pflanzen weit entfernter Länder wie die einheimischen, und man wandelt unter ihren Schatten, von ihrem Aroma umduftet, wie in einer neuen fremden Welt.

Nicht nur Bonns schöne Lage, auch die der Universität geschenkten weiten grandiosen Räume des Residenzschlosses gewähren derselben einen wirklich beneidenswerthen Vorzug. Da ist nirgend Beengung, keine Düsterheit, wie in andern ähnlichen Anstalten; die ringsumher herrschende Heiterkeit erhebt und erheitert auch den Geist und das Gemüth, und die Lehrenden wie die Lernenden empfinden den belebenden Einfluß. Alles ist in diesem Schlosse vereint: die Hörsäle, das Klinicum, welches zahllose Leidende mit dankbarem Gemüthe geheilt verlassen; die reichhaltige Bibliothek; das Museum, in welchem die in den Rheingegenden ausgegrabenen römischen Alterthümer aufbewahrt werden; eine schöne Sammlung von Gypsabgüssen nach der Antike, und vieles Andre noch, wovon ich nur die »al fresco« gemalte Aula, als einen vorzüglichen Schmuck dieses reichen Gebäudes, anführen will. Bis jetzt sind erst zwei Wände derselben vollendet, doch die beiden andern werden hoffentlich nicht mehr lange der Belebung durch Meisterhände harren müssen. Ueber die beiden vollendeten Gemälde, welche die Theologie und die Jurisprudenz darstellen, ist indessen in öffentlichen Blättern und Journalen schon soviel Lobendes und Tadelndes ausgesprochen worden, daß Alles, was ich darüber noch sagen könnte, überflüßig wäre.

Die Stadt Bonn ist übrigens nicht groß, aber sehr volkreich, sehr freundlich und heiter. Im ältesten Theile derselben, nahe am Rhein, wo meistens Schiffer, Fischer und Handwerker wohnen, gibt es freilich einige Gassen und Gäßchen, in denen kaum zwei Personen einander ausweichen können, ohne sich zu berühren; aber im besseren Theile der Stadt sind die meisten Straßen bei weitem nicht so enge und düster, als man in andern alten Städten sie gewöhnlich antrifft. Drei oder vier große Plätze mitten in der Stadt erheitern diese und tragen zugleich zur Reinigung der Luft bei.

Bonn vergrößert und verschönert sich mit jedem Jahre, die immer zunehmende Bevölkerung macht das Bedürfniß größerer neuer Wohngebäude fühlbar; es wird viel gebaut an bisher unbebaut gebliebenen Stätten, und einer besonders dazu angestellten, aus unterrichteten und sachkundigen Männern bestehenden Commission ist es übertragen darüber zu wachen, daß die Stadt durch diese neuen Gebäude nicht nur an Raum, sondern auch an Schönheit gewinne.

An öffentlichen Vergnügungen ist Bonn eigentlich arm; das Schauspielhaus, in welchem ein Theil der kölner Truppe höchstens einmal die Woche spielt, verdient kaum den Namen eines solchen, obgleich es für eine Stadt wie Bonn geräumig genug ist. Unerachtet seiner auffallenden Uneleganz werden die Bälle ebenfalls in demselben gegeben, weil in der ganzen Stadt kein anderer Ballsaal vorhanden ist; ein unerklärlicher Mangel für einen Ort, in welchem so viele junge Leute versammelt sind, dem aber bei der jetzigen Baulust hoffentlich abgeholfen werden wird.

Noch schlechter als um den Tanz, steht es um die Musik. In Familienkreisen wird sie zwar mit Liebe und Eifer gepflegt und betrieben; auch gibt es einen Singverein in Bonn, aber keine öffentlichen Concerte; wer Musik hören will, muß nach Köln gehen, wenn irgend ein berühmter Virtuose sich dort hören läßt, oder in dem dortigen Theater eine große Oper, so gut es eben gehen will, gegeben wird, denn öffentliche Concerte, an bestimmten Tagen, gibt es dort eben so wenig als in Bonn.

Dieser Mangel an öffentlichen Vergnügungen hat indessen wenigstens das Gute, daß er die häusliche Geselligkeit befördert; auch wird es wenig kleinere Städte in Deutschland geben, wo sie geistreicher und anmuthiger sich gestaltet als in Bonn. Die große Anzahl berühmter und hochgebildeter Männer, die aus allen Gegenden Deutschlands mit ihren Familien hier versammelt sind, die täglich ankommenden Fremden, die oft längere Zeit hier verweilen, verbannen jene geisttödtende Einseitigkeit, die in aus lauter Eingebornen bestehenden Zirkeln so leicht fühlbar wird. Alles Spiel ist aus Privatzirkeln verbannt; ob dieses durchaus ein Gewinn für die Gesellschaft sei, wage ich nicht zu entscheiden, Gespräch allein muß die geselligen Stunden ausfüllen, aber zum Glück dreht es sich auch noch um andre Gegenstände, als um Politik, Zeitungsnachrichten und Stadtgeschichten. Gewöhnlich wird es mit vielem Witz und guter Laune geführt, besonders wenn der Abendtisch die ganze Gesellschaft versammelt. Denn da man in Bonn allgemein schon zwischen ein und zwei Uhr zu Mittage ißt, so haben die Thées die Soupées noch nicht zu verdrängen vermocht, die von jeher die Beförderer heiterer und geistreicher Geselligkeit waren.


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