Johanna Schopenhauer
Ausflug an den Niederrhein und nach Belgien im Jahr 1828
Johanna Schopenhauer

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St. Peter, St. Gereon, St. Kunibert, St. Ursula

Fern sei es von mir, meine Leser durch Beschreibung der großen Anzahl der durch hohes Alter oder Schönheit des architektonischen Styls merkwürdigen Kirchen zu ermüden, welche Köln in seinen Mauern umschließt. Nur gleichsam im Fluge, wie es mir selbst vergönnt war sie zu sehen, will ich an einigen der merkwürdigsten derselben ihn vorüberführen; denn eine Beschreibung alles Bedeutenden, was diese große uralte Stadt an Alterthümern, Kunstwerken und Gebäuden enthält, wäre ein Unternehmen, dem ich mich keinesweges gewachsen fühle. Reisende weilen nicht gern lange an einem Orte, wo kein Geschäft sie festhält; sie schwärmen gleich Bienen umher und nehmen nur Das, was auf leichtem Flügel sich forttragen läßt, mit sich, um es für minder genußvolle Tage in der Erinnerung aufzubewahren.

Zuerst nenne ich St. Peter, eine neuere, nicht große, aber außerordentlich schöne Kirche, im Anfange des sechzehnten Jahrhunderts an der Stelle einer schon längst vor Alter verfallenen aufgebaut, die, wie die Legende erzählt, schon im ersten Jahrhundert nach Christi Geburt, im Jahre vierundneunzig von dem ersten Bischof Maternus, der später den Heiligen beigezählt wurde, gestiftet worden sein soll. Berühmt ist diese Kirche wegen des allbewunderten großen Altargemäldes von Rubens, den Köln gern zu seinen Stadtkindern zählt; und obgleich diese Ehre von der Kunstgeschichte Kundigen der Stadt nicht allgemein zugestanden wird, so wird sogar noch das Haus bezeichnet, in welchem dieser große Meister geboren worden sein soll, es ist das nämliche, in welchem Maria von Medicis, verlassen und verstoßen, in tiefem Jammer ihr Leben endete.

Und hier treffen wir wieder auf einen jener Namen, der, wie der Name Hardenrath, noch immer mit Stolz und Ehrfurcht in Köln genannt wird, obgleich er längst erloschen ist. Ein Rathsherr, Jabach, war es, der zu Anfange des siebzehnten Jahrhunderts als ein eifriger Beförderer und Freund alles Nützlichen und Schönen, aller Kunst und Wissenschaft in Köln lebte und dieses Meisterwerk des großen Rubens der Kirche weihte. Das Gemälde selbst wird jeder Franzose geradehin für eine »belle horreur« erklären, und es wird mir sogar schwer, einen passendern Ausdruck dafür zu finden. Der Märtyrertod des heiligen Petrus, der mit dem Kopf nach unten von gräßlichen Henkergestalten an das Kreuz geschlagen wird, ist darauf, und zwar in Lebensgröße, mit einem Ausdruck, einer Wahrheit dargestellt, vor der man schaudernd zurückbebt.

Gern wandte ich den Blick von jenem grausenerregenden Gemälde ab, das gerade durch seine Trefflichkeit einen unbeschreiblich widrigen Eindruck auf mich machte. Ein Meer von Glanz, in unbeschreiblicher Farbenpracht, strahlte aus den hohen gemalten Fenstern beruhigend und erfreulich mir entgegen. Herrlichere und besser erhaltene Glasmalerei hat selbst Köln nicht aufzuweisen, und diese Fenster allein verdienen, daß man, bei einem längeren Aufenthalt, die Kirche des heiligen Petrus zu wiederholten Malen besucht.

Eine andere, durch Alter wie durch herrliche Architektur und eine große Anzahl in derselben aufbewahrter Alterthümer und Denkmäler sehr merkwürdige Kirche ist die des heiligen Gereon. Das Innere derselben macht besonders einen unbeschreiblich erhebenden Eindruck; es ist, als ob drei ehrwürdige Tempel sich über einander erhöben. Die Kirche besteht in drei, wahrscheinlich in verschiedenen Zeiten nach einander entstandenen Abtheilungen, von denen jede um mehrere Stufen über die zunächst folgende erhöht ist; ich entsinne mich nicht, etwas Aehnliches gesehen zu haben.

Wenn man vom Eingange hinauf zu dem Chore die ganze Länge des mit alterthümlicher Kunst reich geschmückten Tempels überschaut, oder von der Orgel hinab das Ganze übersieht, so fühlt man sich wie in einer andern Welt, in einem andern Lande, und der Anblick ist wirklich, eben durch seine Fremdartigkeit, zauberhaft. Auch das mit architektonischen Verzierungen reich geschmückte Aeußere der Kirche, mit der großen zehneckigen Kuppel und den beiden schlanken Thürmen, ist eines der edelsten Denkmäler alter Baukunst, das einen um so günstigeren Eindruck macht, da man ziemlich ungehindert durch andre Gebäude es übersehen kann.

Schon zu Anfange des vierten Jahrhunderts ließ die Mutter Constantins des Großen, die fromme Kaiserin Helena, die nach ihrem Tode in die Zahl der Heiligen aufgenommen wurde, die Gebeine des zu Ende des dritten Jahrhunderts ermordeten Märtyrers Gereon und seiner ihm gläubig in den Tod folgenden Heldenschar sammeln und diese Kirche zur Aufbewahrung und Verehrung derselben prachtvoll erbauen; sogar das Dach der Kuppel des Domes war nach orientalischem Gebrauch echt vergoldet, wie die Thürme von Moskau noch in unsern Tagen vor dem großen Brande es waren. Mit der Stiftung dieser Kirche verband sie zugleich die eines Klosters, dessen Bewohner die Kaiserin aus dem fernen Orient herbeirufen ließ. Späterhin wurde dieses Kloster in ein Domherrnstift umgewandelt, das zu Anfange dieses Jahrhunderts von den Franzosen nebst vielen andern aufgehoben worden ist.

Seit vierzehnhundert Jahren mag freilich manche Veränderung mit dem ehrwürdigen Gebäude vorgegangen und von seiner ursprünglichen Gestalt wenig mehr übrig sein; spätere Bauten vergrößerten es; in der Mitte des eilften Jahrhunderts wurde durch einen Erzbischof von Köln der Chor nebst den beiden schönen Thürmen hinzugebaut. Dennoch bildet es ein herrliches Ganze, an welchem nichts Zerstückeltes wahrzunehmen, und ist, sowie es jetzt dasteht, eine der bedeutendsten Zierden der Stadt. In einer der Seitenkapellen steht ein uralter Taufstein, aus dem nämlichen Granit gehauen wie die berühmten Säulen in Aachen, welche die übermüthigen Eroberer von dort nach Paris geschleppt haben, der vorzüglich beachtet zu werden verdient.

Sowie die Kirche des heiligen Gereon, ist auch die von St. Kunibert eine der ältesten in Köln. Schon im Anfange des siebenten Jahrhunderts wurde sie aus Beiträgen der Rheinschiffer von dem heiligen Kunibert selbst erbaut, der damals Erzbischof von Köln war, und dem heiligen Clemens, dem Schutzpatron aller Wasserfahrer, geweiht. Kunibert war ein Mann von hoher Geburt und großer Geisteskraft, die ihm in allen damaligen Welthändeln einen überwiegenden Einfluß verschaffte; aber der Ruf seiner Frömmigkeit war nicht minder groß, besonders seit er vom Himmel gewürdiget worden war, während er Messe las, das Grab der heiligen Ursula zu entdecken. Nach seinem Tode wurde er selbst der Schar der Heiligen beigesellt und wird in der nämlichen Kirche verehrt, die er dem heiligen Clemens erbauen ließ und die jetzt nach ihm benannt ist.

Unerachtet ihres noch immer sehr alterthümlichen Ansehens mag auch diese Kirche im Laufe von so vielen Jahrhunderten große Veränderungen erlitten haben und vieles Neuere hinzugefügt sein. Was sie aber vor allem andern auszeichnet, ist ein noch in gutem baulichen Stande erhaltenes altes Portal, im ältesten und trefflichsten Styl altdeutscher Baukunst, das augenscheinlich weit älter ist als die jetzige Kirche und vielleicht noch aus den Zeiten des heiligen Kunibert selbst bis auf uns gekommen sein mag.

St. Ursula möge denn den Beschluß dieser kurzen Kirchenschau machen, deren Unzulänglichkeit, einen umfassenden Begriff von der ehrwürdigen Herrlichkeit derselben zu geben, mir sehr fühlbar ist.

St. Ursula! ein Name, der, wenigstens in protestantischen Ländern, selten ohne ein gewisses heimliches Lächeln ausgesprochen wird, welches die britische Heldenjungfrau und ihre jugendlichen Gefährtinnen gewiß nicht verdienen. Ihr muthiger Tod und furchtbares Geschick kann unmöglich ganz erdichtet sein, obgleich Tradition und Legende die Geschichte derselben, an die man in Köln fast bei jedem Schritte erinnert wird, mit gewohnter Uebertreibung entstellt haben.

Uebrigens hat es um den Glauben an die Legende ein eigenes Bewandniß, wie überhaupt um allen altgeschichtlichen Glauben, besonders in Köln, wo das Nachdenken durch wirkliche Anschauung übertäubt wird, wo aus alten Kirchen und Kunstwerken die Stimme einer gewaltigen und würdigen Vergangenheit sich mächtig erhebt, und selbst der kalte todte Stein zu uns redet.

Daß der größte Theil der Heiligen, denen hier Kirchen und Altäre erbaut sind, einst gelebt hat, ist historisch gewiß; eben so auch, daß sie, sei es durch Dulden oder Thaten, sich ausgezeichnet und Vieles erlebt, wol auch erlitten haben. Warum sollten wir Protestanten hier, an den ihrem Andenken geweihten Stätten, uns weigern, Dem, was uns von ihrem Leben, Dulden und Schaffen erzählt wird, ein theilnehmendes Gehör zu leihen, warum durch kalten Spott den poetischen Genuß aus verkümmern, der allein den des Anblicks eines edeln Gebäudes oder Kunstwerks erhöhen kann? Warum nicht einen augenblicklichen Glauben der Legende schenken, wie wir bei jedem wohl ersonnenen und gut geschriebenen Roman, solange wir ihn lesen, es zu thun pflegen? Und wahrlich, hier ist mehr als Roman; die Heiligen waren Menschen, wie wir es sind; und was kann dem Menschen ein höheres Interesse einflößen als der Mensch? Mögen Unsinn und Aberglauben noch so sehr die Geschichte dieser Heiligen mit einem nebelartigen Nimbus umgeben haben, Wahrheit liegt doch als Kern in der Mitte, und diese dringt immer durch, wenn man sich nur die Mühe geben will, sie zu erkennen.

Zwei Kirchen sind in Köln der heiligen Ursula geweiht, als der Schutzpatronin der Stadt, an deren Ufern sie die Märtyrerkrone errang. Die eine derselben wurde zu Anfange des letztvergangenen Jahrhunderts auf Kosten der Ursulinernonnen im modernen italienischen Styl erbaut und gehört dem Kloster an, dessen Orden noch immer besteht, nachdem so viele andere aufgehoben worden sind. Das nützliche Bemühen dieser Klosterfrauen für die Erziehung und Geistesbildung junger Töchter ist fast überall, wo ihr Orden bestand, anerkannt worden und hat ihnen den Vorzug verschafft, ungestört nach althergebrachter Regel in ihren Klöstern fortleben zu dürfen.

Die eigentliche Kirche St. Ursula ist um viele Jahrhunderte älter als die der Ursulinerinnen. Erzbischof Aquilinus der Zweite, der schon im Jahre vierhundertachtzehn zu dieser hohen kirchlichen Würde gelangt war, also nur fünfunddreißig Jahre nach der angeblichen Epoche jener blutigen Greuelthat, erbaute schon hier, an der nämlichen Stätte, wo die unschuldigen Schlachtopfer gefallen sein sollten, ihrem Andenken eine Kirche, die aber in jener unruhigen Zeit durch Krieg und Brand nach einer nicht gar zu langen Reihe von Jahren in gänzlichen Verfall gerieht. In der Mitte des fünften Jahrhunderts wurde sie von einem kölner Bürger, Namens Clematius, wieder auferbaut. Im Laufe der Zeiten traten günstigere Tage ein; Köln wurde immer größer und mächtiger, Reichthum und Cultur nahmen zu, ohne den religiösen Sinn der Bürger zu verändern; große Summen wurden fortwährend auf Kirchen, Klöster und fromme Stiftungen verwendet, und so wurde auch die Kirche der heiligen Schutzpatronin der Stadt auf jede Weise verschönert und vergrößert.

Ein kleines uraltes Grabmal an einem Pfeiler in der Kirche, das die Gebeine eines Knaben, der Vincentius geheißen, umschließt, nennt neben der Jahrzahl vierhundertzweiundsechzig noch den Namen Clematius, als den Stifter dieses Denkmals. Die jungfräulichen Märtyrerinnen, in deren Mitte auf dem Felde, wo sie den Tod erlitten, der kleine Vincentius zufällig begraben worden war, hatten ihn nicht neben sich dulden wollen und ihn mehrere Male hinausgeworfen, weshalb Clematius ihn hier zur Ruhe brachte; so erzählt die Sage.

Seitwärts, neben dem Chor der Kirche, steht das Grabmal der heiligen Ursula, ein Werk neuerer Zeit. Auf einem Sarkophag von schönem schwarzen Marmor liegt die Heilige in weißem Marmor abgebildet, und zu ihren Füßen die weiße Taube, die zur Entdeckung des Ortes, wo ihre Gebeine ruhten, behülflich gewesen. Einige lateinische Inschriften sind am Sarkophag angebracht; ganz unten in einer Ecke die Jahrzahl sechzehnhundertachtundfunfzig und der Name Johannes Lenz, wahrscheinlich der des Bildhauers, welcher dieses Monument verfertigte.

»Die goldne Kammer müssen wir noch besuchen«, riefen unsre kölner Freunde, nachdem wir die Alterthümer, an denen diese Kirche sehr reich ist, und das ganze ehrwürdig schöne Gebäude mit genügender Muße betrachtet hatten. Ich sträubte mich anfangs ein wenig dagegen; der Name schien eine Sammlung von Kirchenschätzen, reichen Meßgewändern und ähnlichen Dingen zu verkünden, wie man sie in katholischen Städten, besonders aber in Köln fast in allen Kirchen antrifft, und deren man so leicht überdrüßig wird, weil sie gewöhnlich sich wenig von einander unterscheiden. Indessen war zu dem Pfarrherrn der Kirche hingeschickt worden, um von ihm die Schlüssel zu dem, seiner besonderen Aufsicht anvertrauten Heiligthum zu erbitten. Er kam selbst, um uns in dasselbe einzuführen, und zu meiner Freude fand ich in ihm den Herrn Pastor Fochem, dessen Name jedem Freunde altdeutscher Kunst rühmlichst bekannt ist. Auch der meinige war ihm nicht fremd, und so war die Bekanntschaft bald gemacht, und wir hatten eines sehr gefälligen und unterrichteten Führers uns zu erfreuen.

Ein eigner seltsamer Geruch fiel beim Eintritt in das nicht große kapellenartige Gemach mir auf, der von der eingeschlossenen Luft und früherem Weihrauchsdampf herrühren mochte, denn ein kleiner Altar steht in demselben, vor welchem vermuthlich zuweilen Messe gelesen wird. Als wir aber, nicht ohne einen kleinen Schauder zu empfinden, die seltsame Verzierung der Wände bemerkten, konnten wir nicht umhin, diese, den Athem beklemmende Luft einer andere Ursache zuzuschreiben. Viele Tausende unendlich zarter menschlicher Gebeine sind hier recht zierlich in verschiedenartigen Mustern dicht aneinandergefügt und bekleiden alle Wände von oben bis unten mit der seltsamsten, schauerlichsten Mosaik, die sich nur denken läßt. Es sind die Ueberreste der heiligen Jungfrauenschar, deren auf dem alten »ager Ursulanus«, auf welchem die Kirche steht, von den frommen Einwohnern von Köln schon vor vielen Jahrhunderten noch eine weit größere Anzahl ausgegraben wurde, als hier versammelt ist.

Eine sehr bedeutende Anzahl silberner lebensgroßer Büsten starrte aus dem Hintergrunde des Gemaches, auf mehreren Reihen von Repositorien unter und übereinander geordnet, mit kaltem metallischen Glanz uns an und vermehrte den fremdartigen schauerlichen Eindruck, den das Ganze hervorbrachte. Jede derselben enthält den Schädel eines der jungfräulichen Opfer, die hier fielen. Mit ernster Würde und religiöser Feierlichkeit nahm unser geistlicher Führer einige derselben herunter; eine Oeffnung oben auf der Scheitel der Büsten, die mit einem genaupassenden Deckel verschlossen ist, erlaubt, die in denselben aufbewahrten Schädel zu betrachten; Herr Pastor Fochem nahm mehrere derselben heraus und machte auf ihre edle Form uns aufmerksam. Ich gedachte dabei des würdigen Greises Blumenbach und wünschte ihn hieher; der Anblick dieser Ueberbleibsel längst in Staub zerfallener Schönheiten wäre ihm ein Fest, über welches er alle noch Lebenden auf Erden vergessen könnte. Wir waren nun schon des schauerlichen Anblicks gewohnt genug, um die seltene Schönheit dieser Todtenköpfe einzusehen und zu bewundern; viele derselben wurden sogar bei dem Namen, den sie im Leben getragen, uns genannt, und mancher wirklich rührende Zug aus der Legende uns mitgetheilt, den wir gern hörten.

Am ausgezeichnetsten durch die edle Form desselben ist der Schädel der heiligen Ursula, der zur Auszeichnung vor ihren Gefährtinnen in einer vergoldeten Büste aufbewahrt wird. Ein uralter Ring, in Form zweier zusammengefalteter Hände, und ein kleiner Perlenkranz, die man in ihrem Grabe gefunden, liegen bei demselben.


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