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Die Rache ist mein

Das war ein unheimlicher, trüber Tag, der seine Nebel über die Trancheen deckte wie ein Leichentuch, während krachende Geschütze den Weg durch Kiesellehm zwangen und begeisterte Bataillone jubelnd über Bergkuppen kletterten, aus Schluchten tauchten, dann in dunklen, schlechtgesammelten Haufen vorliefen und unter dem schmetternden Feuer des Feindes nicht mehr zurückkonnten, sondern liegen blieben, schwarze, zähe Massen, zusammengeballt, von Lehm und Blut triefend, überströmt vom klatschenden Platzregen.

Bei sinkender Nacht, während Wolken immer dichter und schwerer über das Schlachtfeld zögen, als wollten sie es abwaschen mit kalten Schauern, ging die Armee rückwärts. Betrunkene Regimenter, die nicht ins Feuer gekommen waren, versperrten die Felder und heulten Sieg, während verirrte feindliche Granaten Splitter in sie warfen und surrende, vom Boden geschälte Grasschollen. Dann kam, meilenfern, eine öde Fläche, wo Kosakenpatrouillen durcheinander ritten, wo hinter rasch aufgeworfenen Schützengräben Bataillone lagerten. Später ein leichter Höhenzug, dahinter graue Zeltgassen, sich kreuzend, große Tannenbüschel als Wegweiser dazwischen. Eine Wagenburg stand mit zusammengefahrenen Rädern, die Packpferde in dunklem Klumpen mit gesenkten Köpfen. Eine schwere Batterie, in Eilmärschen herbeigezogen und im aufgeweichten Boden verlassen, reckte, halb versunken, ihre Wagenmassen und die blanken, neuen Geschützrohre schräg über das Lager hin.

In dieser Ausnahmestellung lagen Garde- und Linienbrigaden, dezimierte wie noch unbeschossene, hastig zusammengezogen, das Gros für die morgige Operation bildend. Die Soldaten, welche, wo immer sie ein wenig Schutz fanden, zusammengedrängt lagen und schliefen, kannten nicht ihren neuen Führer; man wußte nur, daß ihn der Zar vor wenigen Tagen von einer entfernteren Stelle des Kriegsschauplatzes herbeigezogen und in der Stunde der Gefahr mit einem hohen Kommando betraut hatte.

Im Zelte des Befehlshabers ging ein Kriegsrat zu Ende. Von einer Anzahl Offizieren umgeben, zog der General die letzten Rotstiftstriche über einige halb durchweichte Feldkarten und erhob sich grüßend. Als das Zelt leer geworden, rückte er, ermüdet, den Sessel ans Feuer und zog einen Brief hervor, den er seit Tagen an der Brust bewahrt haben mochte. Der schmale Papierstreif enthielt nur wenige Zeilen.

 

»Soeben erfahre ich, daß Wassil in Ihre nächste Umgebung kommandiert ward. Wenn ich als Russin auch stolz sein muß, ihn vor dem Feinde und unter Ihrem Befehle zu wissen, so blutet doch das Herz der Mutter in namenlosem Bangen. Er ist mehr als mein Sohn – er ist die Verkörperung meiner und Ihrer unermeßlichen Schuld – in seinem Glücke nur, in seinem Wohlergehen liegt das Symbol der Vergebung Gottes. Kehrt er heim aus diesem entsetzlichen Kriege, dann will ich an Vergebung glauben, dann wollen auch wir, entsühnt, uns wiedersehen. Wachen Sie über dem Heile, über dem Leben meines Kindes.

Raissa.«

 

»Ich will es«, sprach der General leise und faltete den Brief. Ehe er ihn an der Brust barg, preßte er seine Lippen auf das zerknitterte Papier, dann rief er seinen Adjutanten. »Ich lasse den Leutnant Trekuroff zu mir bitten.«

* * *

General Graf Wassil Barinski hatte, selbst nach russischen Begriffen, eine ganz außergewöhnliche Laufbahn zurückgelegt. Er war überhaupt eine außergewöhnliche Erscheinung; den Petersburger Kreisen, in denen man doch sonst seine Grade zu erobern pflegt, entfremdet, weil er das Lagerleben im Kaukasus und gegen die Turkmenen vorgezogen hatte. Man wußte nur unbestimmt, daß ein Schatten auf seinem Leben sei, etwas Unaufgeklärtes. Die Männer rieten auf eine Liebesgeschichte oder ein fatales Duell, die Frauen, der idealere Teil der Gesellschaft, seltsamerweise auf Schulden. Einmal stieg das Gerücht auf, daß Wassil bei Hof in Ungnade gefallen sei, und dies reichte völlig hin, um fortab alles, selbst menschliche Anteilnahme, von ihm fernzuhalten.

Graf Wassil Barinski hatte allerdings einen Roman in seinem Leben. Früh verwaist, verlebte er die reiche Mußezeit, deren er sich während seines Dienstes in der Chevaliergarde erfreute, gewöhnlich in Südrußland auf den ausgedehnten Besitzungen seines Vetters Trekuroff. Dieser ältere Vetter bewahrte auf einem seiner Schlösser aus Familienpietät zwei alte Tanten nebst einer Cousine, welche er kaum kannte. Raissa war ein herbes, schönes Mädchen von siebzehn Jahren, eine kleine Despotin der Steppe, die sie im Sattel eines kleinen bissigen Kosakenpferdes tagelang durchstreifte. Wassil, auf der Schnepfenjagd verirrt, entdeckte sie eines Tages, als sie, an einem Zaune sitzend, die Finger schwarz von gepflückten Brombeeren, ihrem Pony aus einem Buche vorlas. Seit jener Begegnung veränderte Raissa sich merklich, zwängte ihr rebellisches Haar in Flechten und bemühte sich, zur unendlichen Genugtuung der Tanten, wohlgesittet zu werden. Wassil war seinerseits auffallend zerstreut, sogar finster, kam immer häufiger auf Besuch, und riß eines Abends, während der Herbstwind die Baumkronen im Parke durcheinanderschlug, seine Cousine an sich und küßte sie auf den Mund. Sie sprachen kein überflüssiges Wort, denn die Liebe erblüht schnell auf der Steppe und die Herzen dort sind fest und klar und so zuversichtlich auf heitere Tage, wie das lange Morgenrot der südöstlichen Sonne.

Verwunderung und Jubel herrschten tags darauf im geräumigen Heim des Vetters Trekuroff. Dieser durchlief die Zimmer seiner Jagdgäste und verbreitete die Kunde, daß Wassil, der Gardechevalier, die »Waldcousine« heiraten werde. Dann erfolgte großes Galadiner, und gleich darauf reiste Wassil nach Paris, um, wie der Vetter sich ausdrückte, die Perlenzäume für seine junge Steppenbraut einzuhandeln.

Nach drei Wochen schrieb Wassil aus Genua. Kein Brief später, nur plötzlich ein lakonisches Telegramm, welches Postpferde nach der Station befahl. Als der Wagen durch die Schloßeinfuhr dröhnte, stand Raissa im Empfangszimmer, bräutlich schön, mit niedergeschlagenen Augen. Er schritt rasch auf sie zu, als wolle er ihr zu Füßen fallen, dann besann er sich und hob, jäh entschlossen, die Stirn.

»Ich will offen sein, wie's Ihrer würdig ist, Raissa. Geben Sie mir mein Wort zurück – ich liebe eine andere.«

Eine Ohnmacht griff sie an, aber ein Strom trotzigen Blutes kam ihr zu Hilfe, und um ihren Stolz zu retten, fand sie blitzartig eine unerhörte Entgegnung.

»Das trifft sich glücklich,« sprach sie, indes ihre schlanke Gestalt sich schaudernd, aber vollendet vornehm emporreckte, – »denn Sie blieben lange aus und auch mein Herz ward Ihnen fremd …«

Wassil grüßte tief und verschwand; sie schritt die Gartentreppe hinab zu den Beeten, drauf Anemonen und erste Veilchen blühten. Unbefangen erschien sie bei Tische, um von der Sinnesänderung ihres Vetters achselzuckend und so gelassen zu plaudern, als habe der jähe, ungerechte Schlag, den sie erfahren, einer Fremden gegolten. Sie lachte fröhlich, ohne Bitterkeit, und nahm ihre lang vernachlässigten Ritte in die Steppe mit neuem Eifer auf.

Die zurückgegangene Verlobung erregte weit über die Grenzen des Gouvernements hinaus maßloses Aufsehen. Am meisten wunderte sich der Vetter Trekuroff, dem erst jetzt die volle, sieghafte Schönheit Raissas so recht ins Auge fiel. Da er ein guter, taktvoller Mann war, der Skandale haßte und außerdem das Bedürfnis fühlte, die Stellung des unter seinem Dache so schwer gekränkten jungen Mädchens zu befestigen, bot er ihr seine Hand an. Raissa willigte unbedenklich ein und schritt diamantensprühend zum Altare, lächelnd wie eine Königin.

Nach wenigen Monaten kehrte Wassil unangemeldet zurück. Trekuroff, zuerst befremdet und verlegen, nahm diese Rückkehr für einen Beweis ungetrübter Freundschaft und war im Grunde darüber seelenvergnügt. Raissa erbleichte bis in die Lippen und reichte »dem Jugendfreunde« unbefangen die Hand. Es war später Abend; der Salon, in der Nachlässigkeit langen Bewohntseins, mit den weichen Teppichen, dem Tische und der Auswahl durchwühlter Pariser Journale, lag im Schatten der rotseidenen Lampenschirme. Trekuroff, der stets rücksichtsvolle, ging in das Nebenzimmer, um Briefe zu erledigen. Am Fußende des Sofas, drauf sich Raissa zurückgelehnt, stand Wassil mit weißen Lippen und beichtete.

»Das Wesen, dem ich alles geopfert, alles – bedurfte des Mitleids. Sie hieß Vera Timofejewna und stammte aus einem Fürstenhause, älter als dasjenige unserer Zaren. Ihre Mutter lebte fern von Rußland in übertünchtem Elend, vom Glanze ihres Namens zehrend, von Gläubigern verfolgt, von Hotel zu Hotel gejagt, über einen Kreis von Glücksrittern gebietend. Mit sich schleifte sie ihre Tochter, ein halbes Kind, welche sie behandelte wie ein noch unverwertbares Staatspapier. Ihre letzte Hoffnung – und Gott weiß, was für Hoffnungen sie hegte – lagen auf jenem Kinde, dessen Scheitel fromm und glatt gekämmt, dessen Herz vor der Zeit in der Schule der Mutter ein Abgrund von Egoismus, Berechnung und Schlechtigkeit geworden war. Wie gut verstand die kleine Vera, kaum halbreif, die Blicke der Herren zu deuten, welche ihre flache Brust, ihre mageren Arme auf kommende Fülle abschätzten, während die Fürstin-Mutter zum Bankhalten aufmunterte und den Champagner verdächtig reichlich fließen ließ … Der Zufall führte mich in jene Kreise, und die kleine Vera, welche der seltene Anblick eines ehrlichen Gesichtes zu fesseln schien, begann von ihrem Leben zu plaudern und zu klagen. Sie erzählte, daß sie es herzlich satt habe, oftmals aus dem Schlafe gerissen und in das Coupé eines Nachtzuges gepackt zu werden, der von Paris nach Neapel oder von London nach Wien die Mutter trüge, wenn die Wirte nicht mehr borgen wollten oder die Polizei begänne unbequem zu werden … Wir leben nur in Gasthöfen, schlafen auf den roten Polstern der Eisenbahnwagen und kleiden uns aus unseren Koffern. Ein solches Dasein sei ihr unerträglich, sie sehne sich so sehr nach einem ruhigen, still bescheidenen Orte, sie wolle so gern eine brave, dankbare kleine Frau werden – aber dieses Glück eben bliebe ihr wohl ewig versagt –

»Sie war unsagbar lieb und schön, und hatte, während sie dies alles leichthin erzählte, die Augen eines bekümmerten, mißhandelten Geschöpfes, das mit Füßen getreten wird und stumm ergeben leidet, ohne sich wehren zu können.

»Ja, sie hatte schöne, rätselhafte, gequälte Schlangenaugen! Der lähmende Bann, den sie mir unabwälzbar auflegten, hatte nichts mit einer jäh auflodernden, sinnlichen Leidenschaft gemein. Wäre dem so gewesen, verböte mir ein Rest von Selbstachtung und Scham, vor Ihnen zu erscheinen. Ich fühlte nur Mitleid für jenes Kind, tiefes Mitleid. Aus dieser großmütigen Regung erwuchs eine Begierde, die in jedes Mannes Brust schlummert, die verborgenste wohl, aber auch die verlockendste, törichteste, verderblichste – die Sucht, eine strauchelnde, vielleicht schon gefallene Frau retten, einem Wesen, das den sittlichen Halt verlor, die eigene starke Seele zum Stützpunkt bieten zu wollen. Das ist kein Edelmut mehr, sondern Wahnsinn. Aus meinem Herzen stahl ich die Liebe zu Ihnen, der Reinen, und bemühte mich, sie in wildem Schöpferdrange dem Wesen einzuhauchen, das sich, wie die Lehmscholle aus einem Graben, meinem Fuße angeklebt! Ich kaufte sie der Fürstin-Mutter ab, trug sie aus den Kreisen hinaus, drin sie zu frieren vorgab, und begann mein Pygmalionswerk. Aber was fand ich? Ein launisches, welkes Kind, ein verlogenes, kleinliches, jeder Erhebung unfähiges Herz, ein Häufchen früh ausgebrannten, trostlosen Schuttes. Sie hatte sich offenbar schon mehr als einmal ›retten lassen‹. Nach kurzer Zeit entlief sie mir und kehrte zu der problematischen Hotelexistenz zurück, für die sie eben geboren war. In den Salons der Fürstin-Mutter heiße ich seitdem Pygmalion. Das Erwachen nach einer erlittenen Schmach ist schrecklich, besonders wenn sich mit ihr der Fluch der Lächerlichkeit paart. Aber ich bin zu krank, als daß ein solcher Stachel mich noch schmerzen könnte. Für mich gibt es, wie ich glaube, keine Rettung mehr; ich erkenne meine Lage klug und klar, wie ein Arzt die Krankheit nennt, die ihn selbst ergriffen hat. Der Schiffbruch meiner Jugend, meines Stolzes, meines Glaubens ließe sich vielleicht überstehen, nicht aber kann ich das Bewußtsein tragen, Ihre Liebe verscherzt, verloren zu haben. Sehr glücklich würde ich sein, wenn Sie mir nach meinem Bekenntnisse einen Rest von Achtung und später ein mildes Gedenken nicht versagen möchten. Jetzt will ich Ihren Gemahl bitten, mir eine kurze Zeit der Ruhe und der Sammlung, deren ich sehr benötigt bin, unter diesem Dache gestatten zu wollen. Gewähren auch Sie es, denn Sie tun damit lediglich ein Werk des Erbarmens.«

Er verneigte sich wie vor der Mutter Gottes von Kasan, Raissa lag im Diwan zurückgelehnt mit geschlossenen Augen. Trekuroff kam wieder und hob, sich entschuldigend, den herabgesunkenen Schirm einer Lampe. Wassil führte, geblendet, die Hand zu den Augen; sein Kopf war alt geworden in wenigen Wochen, das Haar lichter, die Züge krankhaft geschärft. Trekuroff, wohlerzogen und korrekt, unterdrückte mit Mühe einen Ausruf der Teilnahme. Nur als der Tee vorüber war, nötigte er Raissa ans Klavier, um dem Gaste – Ironie war ihm fremd – etwas recht Aufheiterndes zu spielen. Raissa begann eine wilde spanische Tanzweise, und er stand bewundernd hinter ihrem Stuhle; sie spielte aber so heftig und schnell, daß er es versäumte, die Blätter umzuwenden. Wenn er dann seinen Irrtum erkannte, lachte er voll und kräftig, indessen er, eifrig umblätternd, Raissas Haar streifte, über dessen blauschwarze Fülle das Kerzenlicht weiße Strahlen wob.

Sie endete den Vortrag mit einem hastigen, unsicheren Griffe. Wassil kam mit dankender Verbeugung aus seiner Ecke hervor und verabschiedete sich. Er fühle sich krank, und erhoffe Besserung durch Ruhe und Einfluß der herben Steppenluft. Er wünsche sein gewohntes Zimmer zu beziehen, und bäte im voraus um Nachsicht mit der Zurückgezogenheit, die er sich fürs erste notgedrungen auferlegen müsse.

Er verschwand und kam im Laufe der folgenden Wochen nicht zum Vorschein; da das Schloß von Gästen selten leer wurde, fiel seine Abgeschlossenheit wenig auf. An einem Hochmittage traf er Raissa weit unten im Parke. Sie saß im Sonnenscheine; der Sommerwind spielte mit ihrem weißen Gewände, hob von ihren Schultern das lose, tiefdunkle Haar und wehte es fester um ihr gesenktes, feines, strenges Profil. Sie waren ganz allein; durch die Gartenstille plätscherte hörbar ein Bach über Kiesel und Ellerstauden; verirrte Schwalben schossen gewitterbange niedrig über die Baumkronen hin.

»Was führte Sie hierher – zurück zu mir?« begann sie mit ruhiger, goldklarer Stimme.

»Eine Laune,« entgegnete er müde und ernst, »besser gesagt, ein Wunsch. Vielleicht auch ein Verhängnis. Treibt doch jeden Verbrecher eine geheimnisvolle Macht nach der Stätte zurück, wo er gesündigt. Ich durfte mir die letzte Qual nicht ersparen: Sie elend zu sehen. Denn elend sind Sie an Trekuroffs Seite – es mußte so kommen. Noch ein anderes zwang mich hierher: ich wollte nicht sterben mit diesen Lippen, die noch befleckt sind von häßlichen, schmachvollen Küssen, keinen solchen Nachgeschmack mit in das Grab nehmen, der allbarmherzigen Erde kein ganz vernichtetes, entweihtes Herz wiedergeben. Ich will entsühnt sein, Raissa … ich will noch einmal hören, daß du mich geliebt hast und jetzt noch liebst –«

Den Kiesweg entlang flog ein stechend warmer Wind, die Kronen der Ulmen murrten auf; über die Steppe zog rasch ein Gewitter heran.

»Komm,« sagte Raissa, »und höre meine Antwort.« Sie nahm seinen Arm und tat, daran geschmiegt, langsam einige Schritte. Durchs Blättergewirr peitschten Tropfen, der Park war dunkel geworden. Aus seiner Tiefe leuchtete die Eremitage auf, ein Gartenhaus, aus weißen Birkenstämmen gezimmert, altmodisch, mit geblümten Tapeten und verschossenen Seidenpolstern »Dich habe ich um Verzeihung zu bitten, dich allein«, sprach sie, indem sie verklärt, glückselig zu ihm emporsah. »Ich nahm in einem bösen Augenblicke die Hand des andern aus Groll und Stolz, einzig, um dich zu strafen, einzig, um dir zu zeigen, daß ich dich, sogar dich vergessen könne! Aber fortgeliebt habe ich dich immer und bin niemals irre geworden an dir, glaub mir, niemals! Und nun, du Stolzer, Großmütiger, kenne ich dich ganz. Aus Großmut warfst du deine Liebe weg an eine schwächere – welch Weib, welch echtes Weib vergäbe das nicht? Meinen Teil von Liebe doch behielt ich für mich. Er ist groß genug für zweie, selbst für Stolze! Wollen wir teilen – Pygmalion? …«

Ein blauer Blitzstrahl zuckte durch die Scheiben und der Donner begrub den Südsturm in den Baumkronen, die braune, triefende Steppe lag dunstig im heißen Regen.

Und die Vögel sangen wieder, über dem aufatmenden Parke ging die Sonne zuckend, blutrot nieder.«

Den Weg hinab wandelten zwei hohe Gestalten, still und mit blassen Stirnen. So schritten dereinst wohl die ersten Menschen aus dem blühenden, traumhaften Eden ins Leben hinaus.

Noch einmal neigte sich der Mann, aufschluchzend, über die Hand der Frau, und sie malte das Kreuz über seine Stirn und sprach mit weiten, schuldumflorten Augen:

»Leb wohl und laß uns büßen.«

Vom Schlosse her kam Trekuroff, umbellt von seinen braunen Hunden; er schwenkte von weitem fröhlich den breiten Gartenhut. – – –

Graf Wassil Barinski erbat bedingungslose Aufnahme in die Armee, wurde auf Probedienst nach Sibirien und bald darauf nach dem Kaukasus geschickt. Dort ereilte ihn ein Brief Trekuroffs, welcher bat, er möge bei einem Sohne, den ihm Raissa gegeben, Patenstelle vertreten. Wassil sandte als Antwort einen Altarschmuck für die Kirche, in welcher Trekuroff und Raissa getraut worden. Dann wußte man nur, daß er in Westasien kämpfe; nach Jahren kam er als Oberst, notgedrungen, nach Petersburg, um das Sankt Georgs-Kommandeurkreuz entgegenzunehmen. Er sah niemals das Ziel seiner Sehnsucht wieder, das Schloß mit den weißen Giebeln, schimmernd herausgrüßend aus der braunen südrussischen Fläche.

Und nach langjährigem Büßerkampfe erlebte er den Tag, an dem sein Vaterland, das große heilige Rußland, durch inneren Verfall und äußeren Kriegsandrang auf seinen morschen Riesenpfeilern zu wanken begann. Nach verlorenen Schlachten, über gestürzte Größen hinweg rief ihn der Zar zur Rettung, stellte ihn an die Spitze von Tausenden und legte in die Hand, die nie gezittert hatte, seit sich Raissas schmale Finger zum letztenmal darin gebettet, den Feldherrnstab …

Das war Graf Wassil Barinskis Roman; er zog noch einmal an ihm vorüber, rasch, wie über die Zeltwand das Flackerlicht der krachenden Scheite.

* * *

»Leutnant Trekuroff«, sprach eine feste, wohltönende Stimme.

Das war wie ein Klang von Raissas Lippen, nur metallischer und tiefer, da waren auch Raissas dunkle Augen, nur daß sie aus einem gebräunten Jünglingsgesichte strahlten, welches voll jugendlicher Erregung und Begeisterung auf den gefeierten General blickte.

»Gott zum Gruße«, sprach Barinski und bot beide Hände dar. Er mußte alle Selbstbeherrschung aufbieten, um den jungen Mann nicht ans Herz zu pressen, allein die Blicke der beiden loderten zusammen in einer Regung von leidenschaftlicher Bewunderung auf der einen, stolzer Liebe auf der anderen Seite.

»Und nun müssen Sie viel erzählen«, begann der General mit herzlichem Tone. »Zunächst aber sollen Sie mein Gast sein«, fügte er hinzu, indem er Brot und einen Rest Kapwein auf den Tisch schob. »Besseres kann ich Ihnen leider nicht bieten, aber selbst um dieses wenige und um das warme Feuer hier dürften uns die armen Kameraden in den Trancheen noch beneiden. Das erste Glas, welches wir zusammen trinken, soll Ihnen selbst gelten, Ihrem Heil und Ihrem Wohlergehen! … Doch nun nehmen Sie vorlieb und erzählen Sie von Ihren Eltern, Ihrer Jugend, Ihren Hoffnungen.«

Er lehnte sich zurück und betrachtete milden, glücklichen Gesichts den jungen Offizier, der frisch und offen von seiner fröhlichen Jugend zu plaudern begann, von allerhand kleinen Begebnissen aus dem Familienleben, die heiter an ihm vorüberzogen, für Barinski jedoch von süßschmerzlicher Bedeutung waren. Der Vater habe in den letzten Jahren reges Interesse an großen landwirtschaftlichen Unternehmungen gewonnen, welche den Wohlstand des Gouvernements, sowie den Wert der Güter bedeutend zu heben begännen; die Mutter lebe eigentlich nur, um Gutes zu tun, die Hütten der Armen aufzurichten, anspruchslose Hospitäler zu erbauen, eine echte Mutter nicht nur für die Ihrigen, sondern für alle, welche trostbedürftig und leidend schienen. Sie sei noch immer schön wie eine Heilige und geliebt wie eine solche, nur fast allzu still, allzusehr sich opfernd für andere, wunschentsagend, goldspendend mit klugen Händen … und während der junge Offizier dies seltene Frauenleben schilderte, lag auf seiner hübschen, ehrlichen Stirn aller Widerschein des Segens, den die Küsse einer solchen Mutter gewiß nicht vergeblich darauf geprägt hatten. So stand er vor Barinskis entzückten Augen, begeistert plaudernd, kräftig und bescheiden, treuherzig, dabei formvollendet und selbstbewußt, das prächtige Gemüt gewiß noch heißer Jugendideale voll.

Wassil begriff nun, daß Raissas einziges Glück auf ihrem Sohne ruhe, den sie in bitterer Sorge und Herzensangst großgezogen, über dem sie gewacht, den sie weit heftiger und abgöttischer liebte, als Mutterliebe allein es vermag. Offenbarte doch sein herrliches Gedeihen, daß jene Schuld, die ihm das Dasein gegeben, sich nicht rächen wolle an ihm nach dem Worte des finstern Bibelspruches, sondern daß sie hinweggebetet, fortgeweint, gesühnt sei durch den Büßergang zweier Menschenherzen, die stolz geblieben selbst nach dem Sündenfalle, die sich mutvoll aufgerafft hatten, und deren Leben seitdem Entsagung, Kampf und Arbeit gewesen.

Eine kleine Pause entstand; vor dem Zelte wechselten die ablösenden Posten ihre Gewehrgriffe.

»Erzählen Sie weiter,« mahnte der General herzlich, »Sie ahnen nicht, wie sehr Ihre Worte mir wohltun. Noch eins,« fügte er nach langem Kampfe hinzu, mit bittender, fast schüchterner Stimme, »ich kannte Ihre Eltern von Jugend auf … wollen Sie mir erlauben, das heißt, wäre es Ihnen nicht störend, wenn ich als alter Freund – als zweiter Vater etwa – das trauliche Du gebrauchte? … O, um so besser,« sprach er ganz glücklich, als er sah, daß der junge Offizier vor Freude errötete, »es ist etwas Liebes um dieses Wörtchen, wenn man sein Leben hindurch engeres Glück entbehrt hat – ich nenne sonst keinen so. Aber nun weiter, weiter mit der Erzählung; werde ich doch nicht müde, Näheres von dem Streben, den Plänen und Hoffnungen meines lieben jungen Freundes zu hören.«

Wassil Trekuroff beugte sich über die Hand des Generals.

»Ich bin es,« sprach er bewegt, »der danken muß für so viel Huld! Ihren Namen wußte ich auswendig, ehe ich lesen lernte – aus den Gebeten meiner Mutter. Und wie wird sie, meine gute Mutter, darauf stolz sein, daß ich Ihr Freund geworden bin! Sie wird mich nun doppelt glücklich umarmen, falls ich heimkehre …«

Ein Schatten flog unmerklich über seine Züge; der General jedoch ließ die klaren, sinnenden Augen heiter auf ihm ruhen.

»Du wirst heimkehren,« sprach er mild, »deine Mutter in die Arme schließen und ihr im stillen einen Gruß von mir sagen, einen Herzensgruß. Außerdem« – er lächelte sonnig dabei – »würdest du ihr vielleicht das Georgskreuz mitbringen … dergleichen schadet beim Empfange nie.«

»O, könnte ich das erringen,« rief Wassil Trekuroff begeistert aus, »so wäre mir doch ein Wunsch, wenigstens ein heimlicher, glühender Wunsch erfüllt! Freilich brächte ich's zuerst nicht meiner Mutter, dieses Kreuz, sondern …«

»Nicht der Mutter zuerst?« unterbrach Barinski sehr verwundert. »Ach, ich verstehe,« fügte er gutmütig, fast kindlich lächelnd hinzu, – »ich ließ dich nicht ausreden – gewiß eine kleine Komtesse aus dem Gouvernement Saratoff – wie glücklich wird deine liebe Mutter werden, wenn auch ein wenig eifersüchtig …« Er kreuzte sinnend die Arme, als sähe er freundliche Bilder aufsteigen, und dachte bei sich selbst: »Ich werde ihn mit Depeschen zum Zaren schicken – gerade morgen dürfte an meiner Seite kein Platz für glücklich Liebende sein.«

»Sie täuschen sich über meine Absichten,« sprach Trekuroff mühsam, »doch will ich Ihnen, mein Wohltäter, Vertrauen schenken. Die Frau, die ich liebe, gilt bei uns seit Jahren für eine Fremde. Ich begegnete ihr um Ostern in Italien; es war ein kurzes, seliges Zusammentreffen. Ich folgte ihr und sah sie wieder, bange, süße Stunden lang, vor den unbekannten van Dycks im Palazzo Catani zu Genua … mein Gott, was ist Ihnen, General … ermüdet Sie mein Geplauder oder wüßten Sie gar um meine Liebe, wäre jene Frau, deren Geist und Schönheit gefeiert sind in allen Zungen, die zu mir herabsteigen will, um mein treues Weib zu werden, Ihnen selbst bekannt? O, gäbe der Himmel, daß dem so wäre, daß ich an Ihnen einen Fürsprecher fände, zunächst bei meinen guten Eltern, die freilich mein Glück nicht hindern würden …«

Wassil Barinski starrte wortlos vor sich hin, mit weitgeöffneten Augen, indessen er mit der Rechten unablässig über die Stirn strich, wie jemand, der von schwerem, lähmendem Traume befallen ist.

»Hauptsächlich aber«, vollendete Trekuroff, »einen Vermittler dem Kreise meiner Verwandten gegenüber, unseren Adelskreisen überhaupt, die eine Fremde in ihrer Mitte nun einmal nicht lieben … und gerade sie hat leider herbe Lose erfahren, obschon sie edel, stolz und makellos ist wie keine … sie lebte bisher aus Rußland verbannt und stammt aus einem Fürstenhause, älter als dasjenige unserer Zaren …«

»Ah«, stöhnte Barinski rauh und reckte sich jäh vom Schemel empor. »Edel – stolz – makellos, sagtest du? Barmherziger Gott, noch könnte ein Irrtum obwalten … Ihr Bild! Du mußt es bei dir haben – leugne nicht, ich weiß es … her mit dem Bilde, ich befehle es dir!«

»Ihr Bild –«

Es lag in einer flachen Goldkapsel; die fliegenden Finger des Generals schlossen sich darum mit so wildem Griffe, daß die Hülle aufbarst.

War es ein Spuk? Ihm entgegen zuckte ein feingeschnittenes, elegantes Gesicht, etwas müde vielleicht, etwas welk, aber mit dem alten sieghaften Zuge dämonischer Urmacht, dem grausamen Lächeln der Russalka, der Teichnixe, die aus Torfmooren höhnt und den Gefoppten mit ihren unabwendbaren Augen in die schwarze Lache hinabzieht … das knisternde sattrote Haar kräuselte sich um die schmale Stirn wie ein Streifen Lohe; wo es über der Brust zusammenschlug, am Rande des Bildes, stand in langen, feinen Schriftzügen der alte kühne Lockruf: » Je t'adore.«

»Vera Timofejewna!«

Der Name brach von den Lippen des Generals wie ein Entsetzensgeschrei, voller Bitterkeit und Schmerz. Zugleich rollte die Kapsel, mit unsäglicher Verachtung fortgeschleudert, über den Boden hin.

»Ganz recht – Vera Timofejewna«, wiederholte der junge Offizier, indem er mit funkelnden Augen das Bild aufhob. »Zählen auch Sie bereits zu meinen Feinden? Schade um die Freundschaft, Graf Barinski, die Sie mir soeben angeboten – sie war wahrlich nicht von langer Dauer! Schade darum! Sie sind wohl eifersüchtig auf mich, nicht so, General?«

Barinski antwortete nicht. Er fragte sich, weshalb die Pfade, die Gott uns anweist, denn gar so dunkel seien, und warum Ironie sein müsse in den schwersten Fügungen. Er gelobte sich, fest zu bleiben und seine Pflicht zu tun. Dann ließ er den Kopf auf die Brust sinken und dachte an Raissa.

Trekuroff beobachtete ihn mit einem Angesichte, das eine jähe Veränderung erlitten hatte. Von den soeben noch offenen, frischen Zügen schien jeder Schimmer, jede Jugend hinweggelöscht. Über die Stirne flammte eine unheilkündende Röte, während die Augen höhnisch sprühten und die wachsbleichen Lippen ein unverstecktes, böses Lächeln zeigten.

»Ich will Ihnen aufhelfen, General,« sprach er heiser, »denn Sie sind alt und wissen nicht mehr mit Leidenschaften zu rechnen. Rücksichten schrecken Sie? Wie lächerlich! Waren Sie selbst denn niemals jung? Haben Sie selber nie an Liebe gelitten, an wahnsinniger, markverzehrender Liebe? Jetzt sind Sie freilich ein Heiliger, besonnen und kühl bis an den Rest von Herz heran! Aber damals, als noch Feuer in Ihren Adern kochte, haben Sie stets fein säuberlich nach Rücksichten und Gewissen gefragt? Haben Sie vielleicht Entsagung geübt und Weißfische geangelt? Lassen Sie darum auch mich meinen eigenen Weg gehen und verschonen Sie mich mit Ihrer greisen Bevormundung.«

Dem General blieb keine Marter erspart. Er mußte erleben, daß der Sohn, den er seit Jahren mit einer durch die Trennung geschärften Liebe vergöttert hatte, ihm nun gegenüberstand wie ein feindliches, schädliches Wesen, daß dieser Sohn sich durch jede Äußerung, jede Gebärde losriß vom Vaterherzen, stoßweise, grausam, so daß jede einzelne Fiber schmerzte und blutete. Aber er hatte gelernt, sich und andere zu beherrschen.

»Jene Frau«, sprach er gelassen, »wird ihren Fuß nicht in das Haus deiner Mutter setzen.«

»Hüten Sie sich vor Beleidigung«, stammelte Trekuroff, seiner kaum noch mächtig. »Jeden zerschmettere ich, der sich zwischen mich und meinen Willen zu stellen wagt. Ich habe fremdes Blut in den Adern, Tigerblut, das mich verbrennt und erstickt … von meinen Eltern stammt es nicht. Gleichviel. Lassen Sie sich's gesagt sein, General, und wecken Sie nicht in mir dieses fremde Blut. Es könnte, bei Gott, uns beide gereuen!«

Barinski erbleichte unter dem neuen Schlage; dann erhob er, einen Hoffnungsschimmer in den Augen, das Haupt.

»Nur eine Frage noch«, sprach er feierlich. »Überlege dir deine Antwort, denn vor dem Throne des Höchsten wirst du sie einst wiederholen müssen. Wenn du zur Wahl gezwungen wärest zwischen deiner Mutter und jener Frau – wenn eine von ihnen sterben müßte, um der andern Platz zu lassen auf Erden …«

»So würde ich meine Mutter beklagen,« sprach Trekuroff rasch, »über ihre Bahre aber die Frau zur Hochzeit führen, die ich nun einmal liebe.«

Der General bedeckte das Gesicht mit den Händen. Er ist dein Sohn, dachte er bei sich, und ein Schluchzen stieg in seiner Kehle auf.

»Höre mich an«, begann er noch einmal. »Du weißt, was Ehre ist? Ein Fremdwort war es im Hause deiner Eltern wenigstens nie. In ein solches Haus paßt nun eben nicht jeder und jede. Jene Frau aber, die du liebst, am allerwenigsten – denn sie ist eine Ehrlose!«

Trekuroff stieß einen Schrei aus wie ein Tier und riß mit entstelltem Gesichte den Säbel aus der Scheide.

»Ich lasse nicht von ihr!« keuchte er mit wutbrechender Stimme. »Hörst du? Niemals! Und mit dem Troste, Dämon, der du meine Liebe vernichten willst, magst du zur Hölle fahren, denn deine Stunde ist jetzt gekommen: ich töte dich – du Verfluchter!«

Barinski hob wild die Faust – nicht zur Abwehr – sondern schlug sie schwer vor die eigene Stirn.

»Das ist die Schuld,« sprach er laut, »die Schuld, die sich rächt! Die Stimme des Blutes ist erloschen – dich wenigstens, Raissa, will ich schützen vor deinem, vor meinem Sohne! Gott, furchtbarer Rächer, sieh mich an! Du sollst mich stark erfinden in der Buße und fest bis zum Ende.«

Die Zelttür gähnte weit offen. Einige Stabsoffiziere, die unvermutet eingetreten waren, standen wortlos da, wie angewurzelt vor Entsetzen.

»Rebellion!« stammelte endlich ein alter Oberst. »Den Degen erhoben wider den General? Am Vorabend einer Schlacht? Darauf steht Tod! Hauptmann, rufen Sie die Wache –«

»Wer befiehlt in meiner Gegenwart?« rief Wassil Barinski mit drohender Stimme. »Bringen Sie wichtige Meldung? Nein? So entschuldigen Sie mich, meine Herren. Morgen, nach der Schlacht, werden Sie mich zu Aufklärungen bereit finden. Vorläufig bitte ich Sie, Ihr gerechtes Befremden für sich bewahren zu wollen.«

Die Offiziere entfernten sich; der Adjutant vom Dienste trat näher, ein Notizbuch in der Hand.

»Geruhen der Herr General, den Leutnant Trekuroff zum Stabe zu kommandieren?«

Noch einmal stieg vor Wassil Barinskis Augen mit voller Macht verblühtes Glück auf, noch einmal dachte er an Raissa, an alles, was er geliebt und ersehnt, an letzte Hoffnungen, die er mit eigener Hand hinabstoßen mußte ins Grab – dann erhob er sein vornehmes, todblasses Haupt.

»Zum Stabe nicht,« befahl er ruhig, »zum ersten Bataillon der ersten Angriffsstaffel.«

Als er allein geblieben, hüllte er sich in seinen Mantel, trat vor die Zelttür und sah dem Davonschreitenden nach. Der Mond blickte dunstig durch vorüberdampfende Wolken; es regnete nicht mehr. Die Doppelposten, welche regungslos unter dem Gewehre standen, wunderten sich, daß dennoch über das Gesicht des Generals Tropfen rannen, unaufhaltsame, stürzende Tropfen.

* * *

Der nächste Tag brachte einen durch gute Führung entschiedenen, aber schwer erkämpften Erfolg. Vom ersten Bataillon der ersten Angriffsstaffel kam keiner wieder, auch nicht der Leutnant Trekuroff.


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