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Vor langer Zeit lebte ein Edelmann mit seiner Frau in einem großen halb verfallenen Schlosse. Er war nicht reich, dafür aber glücklich, denn er sagte oft, daß mit seinem Weibe ein Stück Himmelreich ins Haus gekommen sein müsse. Das währte etliche Jahre, da aber kein Glück Bestand hat, so kam eine Zeit, wo der Ritter meistens brummig und Frau Gertrud häufig traurig war. Trotz aller Bitten schien nämlich der Himmel nicht gewillt, dem Paare einen Erben zu verleihen, und da der Ritter seines Stammes und Namens Letzter war, erzürnte ihn dies Mißgeschick so sehr, daß er eines Morgens sein Roß satteln ließ und seiner Gattin erklärte, er wolle ein wenig in die Welt reiten. Fürs erste sei er gesonnen, sich einmal Welschland anzusehen, worüber er bereits viel Lobenswertes vernommen; alsdann sei es nicht unmöglich, daß er gen Palästina führe, um auch für seine Person die Heidenhunde mit ein paar tüchtigen Schwerthieben zu erfreuen. Hierbei bemerkte er, daß er schon seit langem ein Zucken und Ziehen im Arme verspürt habe, und daß es ihm zu inniger Befriedigung gereichen würde, mal so recht tüchtig drauflosschlagen zu können. Er überlasse sie, seine Gemahlin, dem Schutze Gottes, welcher der allersicherste sei, und bäte sie im übrigen, sich nicht allzusehr grämen zu wollen. Nachdem er diese Rede gehalten, nahm er, unbekümmert um Frau Gertruds Tränen, einen kräftigen Imbiß, und pfiff dabei eine Weise in den Bart, von der zu klagen ist, daß sie nicht, behufs Anwendung bei ähnlichen Fällen, der Nachwelt erhalten geblieben.
Frau Gertrud verblieb traurig und in großem Alleinsein. Um letzteres zu verkürzen, betete sie so fleißig, daß der Himmel endlich ein Einsehen hatte. Kaum wenige Monde waren über des Ritters Abreise vergangen, als Veit, der Schaffner, Befehl erhielt, das dritte und letzte Pferd zu rüsten, um den Herrn in Welschland zu suchen. Ihm mitgegeben wurde ein Brieflein, wohlversiegelt und in Siglât gehüllt, denn nimmer hätte es sich geziemt, so feine Kunde durch groben Mund vermelden zu lassen.
Der Knappe ritt frohen Mutes fürbaß, auch er war im Grunde nicht böse darüber, einmal gen Welschland zu fahren. Als er kaum die Grenze überschritten und die nächste Stadt erreicht hatte, fand er bereits seinen Herrn, dem es allda dermaßen wohlgefallen, daß er an keine Weiterreise gedacht. Von den hundert mitgenommenen Goldgülden war freilich nicht mehr sonderlich viel vorhanden; der provençalische Wein sowie ein äußerst courtoises Spiel, Lansquenet genannt, hatten ein Erkleckliches davon hinweggeschwemmt. Dafür zierte den Ritter, welcher das bewußte Zucken in seinem Arme wohl nicht sattsam zu beherrschen vermocht, eine schöne Hiebwunde, welche an einem Ohr einsetzte und in der Nähe des Kinnbartes sanft verlief.
Als der Knappe in das Gelaß seines Herrn trat, lag dieser noch in festem Schlafe, obwohl es heller Tag war. Er erkannte seinen Getreuen fürs erste nicht und beklagte sich nur über schweres Kopfweh; als er aber nach einigen Schwierigkeiten den Brief glücklich entziffert hatte, machte ihn das Bewußtsein seines Glückes völlig munter. Er eilte sogleich hinab und kaufte eine Mailänder Halskette mit zierlich durchbrochenen Ringen; als er gen Abend zum Tor hinausritt, fügte er, als vorsichtiger Ehemann, der sich eines guten Empfanges sichern will, noch etliche Ellen Lugduner Seide hinzu.
Zur Ehre des Ritters sei gesagt, daß er den kürzesten Weg einschlug, und so kam es, daß er nach zweien Wochen sein Schloß begrüßte. Vor der Pforte stieg er leise vom Pferde, nahm Kette und Stoff sorgsam zur Hand und schlich die Treppe hinauf. Er war aber doch nicht heimlich genug gewesen, denn auf der obersten Stufe stand schon Dame Gertrud und hielt ihm einen prächtigen Knaben entgegen, der sich sofort in den Bart des Ritters derartig einkrallte, daß dieser die Augen zukniff. Als er sie wieder auftat, standen sie voller Tränen, und Frau Gertrud, tief gerührt, langte nach ihrem Tüchlein und trocknete ihrem Gemahl die Wange, und alles war voller Freude, Friede und Glückseligkeit.
Nun mußte das Kind getauft werden, und erhielt den wackeren Namen Sigo. Die Handlung wurde von einem Klausner vollzogen, welcher unweit des Schlosses in einer Höhle wohnte und meistens schlief, wodurch er in Geruch der Heiligkeit geraten war. Nachdem der fromme Vater einige Gaben sowie Wein und Speise eingesammelt hatte, begab er sich eilig zur Höhle zurück; die Gäste aber setzten sich zum Festmahle, bei welchem die glückliche Heimkehr des Vaters fast ebenso gefeiert wurde, wie die endlich eingetroffene Geburt des künftigen Herrn und Erben.
Es gab damals noch Feen, und es war Sitte, dieselben bei Familienfesten und sonstigen feierlichen Gelegenheiten einzuladen. Frau Gertrud kannte deren drei; zwei davon waren gute Feen, die dritte jedoch besaß einige wenig angenehme Charaktereigenschaften, um derentwillen man es verabsäumt, sie von dem Feste in Kenntnis zu setzen. Aber, als nach aufgehobener Tafel, die beiden anwesenden Huldinnen sich über das Kind gebeugt und ihm, durch die Freude des Festes wohlgestimmt, höhere und reichere Lose als sonst wohl üblich war, verheißen hatten, erschien, ohne sich anmelden zu lassen, die ungebetene Fee und näherte sich nach kurzer, spöttischer Verbeugung der Wiege.
»Ihr, meine Schwestern,« sprach sie, »habt diesem Kinde so viel Glanz und Herrlichkeit zugewendet, daß mir beim besten Willen keine Gabe mehr übrigbliebe. Ich bin ja auch nicht einmal darum ersucht worden. Dies ist mir nun zwar ganz gleich – dennoch halte ich es für angemessen, eurer verschwenderischen Güte ein kleines Gegengewicht zu schaffen. Hört mich an,« fuhr sie fort, indem sie die Hand über den kleinen Blondkopf ausstreckte – »mögen eure Verheißungen sich an ihm erfüllen so hoch, so glänzend, wie ihr es gewollt – ich sage ihm: ›er soll in seinem Leben nur dreimal lachen.‹ Das ist meine Gabe. Schwestern, hochedle Frau Mutter, und Ihr, Herr Ritter, lebt wohl.«
Sie wandte sich zum Gehen, indem sie die Schleppe ihres schwefelblauen Kleides mit dem Füßchen heftig zurückwarf, was bei ihr ein Zeichen von ungewöhnlich schlimmer Laune war. Das Fest verlor durch den Zwischenfall merklich an Fröhlichkeit, und der Ritter, der den ganzen Hergang eigentlich nicht recht verstanden hatte, schenkte sich einen neuen Humpen voll, stieß seinen Nachbar, einen alten mürrischen Baron, in die Seite, und murmelte mit einem scheuen Seitenblicke: »Du bist zwar nie aus deiner Höhle herausgekommen, alter Bär, aber das kannst du mir glauben – die Frauen in Welschland sind besser als all diese deutschen Feen … viel lustiger, viel courtoiser.«
Das Kind wuchs indessen heran, man merkte jedoch bald, daß die Prophezeiung der Fee bitteren Ernst enthalten; kein Tändeln, kein Spielzeug vermochten ihm ein Lächeln abzulocken. Dafür weinte der Knabe fast niemals, sondern sah mit sinnigen Augen freundlich in die Welt. Als er älter wurde, setzte ihn der Vater zu Roß und unterwies ihn in allen ritterlichen Künsten; er erlangte darin so hohe Gewandtheit und Kraft, daß der Schirmherr des Landes ihn zeitig zum Ritter schlug. Kaum hatte er die goldnen Sporen, so legten sich Frau Gertrud und ihr Gemahl mit Ruhe und großer Übereinstimmung zum Sterben. Beide gaben dem Sohne noch viel gute Ermahnungen, und Frau Gertrud unterließ nicht, besonders anzuempfehlen, daß zum Trauermahle ja nicht das beste Leinenzeug genommen werden solle; auch wäre es allzu schade, die schönen Walnüsse, die sie über Herbst mit der Schaffnerin eingelegt, jetzt schon anzurühren. Darauf starb sie, und ihr Eheherr gab ihr zur selben Stunde ritterlich Geleit. Die Trauerrede sollte vom heiligen Klausner gehalten werden; der fromme Mann hatte jedoch inzwischen an Umfang des Leibes so viel Segen erfahren, daß er seine Höhle nicht mehr zu verlassen vermochte. Frau Gertrud nebst dem Ritter gingen also still zur Erde; beide deckte ein Stein mit Wappenschild und frommen Sprüchlein, schlicht und bieder, wie der Sinn der Schläfer gewesen, die darunter lagen und fröhlicher Urständ entgegenharrten.
Sigo betrauerte den Verlust der Eltern tief; er stand nun allein auf der Welt und empfand dies sehr bitter. Zudem war es Winterszeit, die Föhren krachten unter schwerer Schneelast, und es kamen endlose Nächte, in denen der Nordsturm tobend über das verödete Schloß hinwegbrauste. Nur langsam wurde es linder; endlich tropfte es von den Zinnen, die Sonne lachte nieder, und alle Bäche stürzten schwellend, eisbefreit, talabwärts. Auch Sigos starrer Kummer löste sich; eines Tages merkte er, daß es Frühling geworden, und daß kein Leid ewige Dauer habe. Er war damals jung, hochgewachsen und krafterfüllt; sein Auge war schön, trotzig und gut zugleich. Er tat niemandem etwas zuleide und ließ einen jeden schalten nach Belieben. Seine Hörigen priesen ihn daher, und pflügten sich vom Herrenacker so viel ab, als ihnen angemessen und genehm erschien.
Es war für Sigo eine Zeit der Stille. Tagelang lag er im Walde und hörte die Bäche laufen, die Bäume im Winde sausen; er fühlte sich glücklich und doch im Grunde traurig, bald matt zum Sterben, bald wieder überquellend von Jugend und Kraft. Dann überkam ihn die Lust nach Kampf, nach Wagnis; dem wilden Wisent bot er Jagd durch Sumpf und Rohrwildnis, durch Rinnsal und Schluchten, über braunes Heidekraut und schieferiges Felsgeröll. Hoch oben auf schroffem Grate stellte sich das Tier zu grimmem Kampfe, er aber erschlug es, riß ihm das Herz aus den zuckenden Flanken und warf es in den Abgrund, hell hinterdrein rufend. Dann schwieg er plötzlich, tiefatmend. Die Luft der Höhen war so weich und frisch, die jungen Birken dufteten herb im Sonnenscheine, er warf sich lang hin in das Gras und fühlte sich endlos unglücklich.
Eines Morgens wanderte er sinnend durch den Wald. Die Vögel sangen in den Zweigen, es lockte ihn ins blühende Land hinauszugehen, den Bergen entgegen, die blau und unbekannt herüberwinkten. So ging er weiter, immer weiter, bis er gegen Abend an eine Wiese kam, auf der die Blumen im Winde nickten. Dort ließ er sich nieder, um vom Wege zu rasten, doch konnte er die Ruhe nicht finden. Ein heftiges Sehnen überkam ihn, er streckte die Arme den Blumen entgegen, die sich in purpurfarbigen Wogen an sein Herz drängten, er vergrub die Stirne darin und küßte sie unbewußt mit heißen Lippen, küßte sie fast zu Tode. Schwere, brennende Tränen schossen ihm zu Auge … was ist's, stammelte er, das mich so unglücklich macht … was fehlt mir nur, mein Gott, daß ich nicht Frieden finde auf deiner schönen, schönen Erde?
Ein starker Wind kam vom Walde her, es war ein Sommerwind, satt von Buchenduft und Quellgeriesel. Nun neigten sich die Gräser viel tiefer, ein kühles Wehen kam mit Macht gezogen, in das hinein fiel plötzlich eine laute goldklare Stimme, blitzhell, überraschend. Auf überhangendem Felsen stand ein Mädchen in silbergrauem Gewande, ihr braunes Haar hob sich im Winde, sie hatte die Hände auf die Stirn gepreßt und sang mit blühenden Lippen ins Abendrot hinein.
Schon war Sigo neben ihr; sie sahen sich an, einen einzigen bangsüßen Augenblick, dann hatte er ihre Hand erfaßt. Sie standen auf der Höhe, stumm, schauernd im letzten Sonnenstrahle. »Wer bist du?« fragte er leise.
»Ich bin Walla,« sprach sie, »des Gauwarts von Bissingen Kind. Willst du mich heimgeleiten, soll es mir recht sein.«
Er gab sie zögernd frei; seine Augen lagen fest auf der süßen Gestalt, sie aber hatte die ihren tief gesenkt. So gingen sie traumbefangen über die blühende Heide, langsam, fern der Welt. –
Danach verging eine kurze Zeit. Es war ganz Sommer und auf den Feldern blühte der Klee, da ritt einer gen Bissingen zum ersten Stelldichein, das Herz voll Wonne und unbeschreiblicher Bangnis. An Wällen und dunklen Hecken entlang leitete er das Tier, dann gab er's frei, daß es wohlig schnaubend hineinwatete in ein mondblaues Bohnenfeld. Er selbst doch tastete zum Wallgärtlein und stand lange am Zaune, klopfenden Herzens lauschend, schier wie ein Dieb … vermeinte auch endlich ein Lachen von drinnen zu hören, spöttisch und süß wie der Ruf der Weindrossel … Da faßte er sich endlich ein Herz und übersprang die trennende Hecke. Nun stand er in einem dunklen, schwül duftenden Grunde, durch welchen Leuchtkäfer zogen und Nachtigallen klagten; einen Schritt tat er vorwärts, da fing ihn wucherndes Gezweige in zähen Maschen; ungestüm wollte er das Wirrsal durchbrechen, doch hakten seine Sporen im Geranke wilder Rosen – er fiel auf die Knie, ärgerlich, verlegen, ein blöder unbeholfener Ritter. Nachtkäfer surrten ihm ins Gesicht, Nesseln stachen ihn, und die Grillen umher zirpten ein spöttisch Liedlein zu seinem ersten Stelldichein …
Über seine Augen legten sich blitzschnell zwei schmale Hände, daß er den heißen Druck bis in Hirn und Herz empfand. »Du bist der Neckelf!« rief er entsetzt, indem er jäh emporfuhr und mit der Linken das Kreuz schlug.
Die Elfenhände glitten nieder und an seinem Herzen lag Walla, die ganz ausgelassen lachte. Und da warf plötzlich Sigo das Haupt zurück und lachte mit ihr, lachte zum ersten Male in seinem Leben, so herzlich und mit so blendenden Zähnen, so voller Jugend und Glückseligkeit … Ihr süßes Köpfchen lag an seiner Brust und wiegte sich darauf halb schmollend, halb fröhlich.
»Ich liebe dich,« sprach sie endlich, »und werde dir treu sein in Ewigkeit.«
Sie schlug die Arme um ihn und küßte ihn auf den Mund. Da verscholl sein Lachen wie etwas noch nie Gehörtes – es ward stille umher, nur von ferne riefen die Frösche im Teich und ein plötzlicher Windstoß in den Tannen, weit, weit drüben.
* * *
»Frauenliebo ist fahrend' Hab',
Heute lieh, morgen schabab!«
summte Veit der Schaffner, indessen er den Rost von Sigos Jagdspeer rieb. Die Spätnachmittagssonne schien freundlich ins Gelaß, und er saß und sang und rieb und schärfte, daß die Funken flogen – plötzlich traf ihn ein Zugwind durchs Jagdkoller unsanft in die Seite; als er sich umwandte, stand, eine Hucke voll Enzian auf dem Rücken, ein krummes, uralt Weiblein in der Tür.
Veit, der sehr abergläubisch war, äußerte sein unverhohlenes Mißvergnügen. »Was will die Here«, herrschte er nicht eben freundlich.
Das Weiblein tat den zahnlosen Mund so weit auf, daß der Schaffner vermeinte, neuen Zugwind zu spüren und das Fenster mit den bleigefaßten Scheiben grimmig zustieß.
»Ein schönes Liedlein, das Ihr eben sanget,« sagte die Alte, indem ein schlau verwittert Lächeln ihr Gesicht verzerrte, »doch scheint mir's, als sei's hier nicht just geheuer zu plaudern. Ein Brieflein bring' ich von einem schönen Fräulein für Euren jungen Herrn … ihm selbst sollte ich's abgeben, doch liegen am Tore zwei Rüden, die schier so freundlich schauen, wie Ihr es tut – drum schlich ich durchs Seitenpförtlein und statte Euch Botschaft. Bringt sie dem Ritter ohne Säumen und fein säuberlich.«
Sigo war, wie gesagt, gütig zum Gesinde, deshalb ermangelte der Schaffner nicht, das Brieflein zu eröffnen, um seinem Herrn zu jähe Neuigkeit zu ersparen. Es fand sich aber, daß selbiges französische Lettern barg, welcher Umstand nicht dazu beitrug, des Schaffners Laune zu verbessern.
»Der Herr will nun einmal,« sagte er, »daß jeglich Bettelvolk im Schlosse gespeist werde. Schert Euch drum zur Schaffnerin, und möge Euch der Satan das Mahl siebenmal salzen.«
Er begab sich langsam treppauf zu Sigos Gemach. Der Ritter saß am Fenster und sah gen Bissingen; ein gähnender Brackhund rieb sich an seinem Knie; auf dem Eichentische lagen zwei frische Rosen, so schön, wie sie nicht im Schloßgärtlein blühten.
»Weibermär«, sprach Veit, die Botschaft nicht eben sanft aus den Händen lassend.
Er schritt durch die zerfallenen Gänge zum Gelasse zurück; plötzlich aber wuchtete die Schloßtür aus ihren Angeln, der Sommerwind stieß wirbelnd durchs Stiegengelaß, die bleigefaßten Scheiben streuend umherschmetternd – ein anderes Tönen, einer wilden, unnatürlichen Lache gleich, machte das Blut ihm gerinnen. Die Treppen hinab stürzte Sigo, verzerrten Antlitzes, aus seinem jungen Munde zum zweiten Male lachend. »Verrat,« schrie er den bestürzten Knechten entgegen, »Verrat! Euer Herr gewogen auf zwei Handvoll Goldes, verraten um einen Krämer! Belogen, verspottet – ist's nicht lustig? Her mit den Rossen, und die Streitsättel drauf und zur Hochzeit nach Bissingen … lacht mit mir, ihr Hunde«, herrschte er den Knechten zu, welche entsetzt, das Kreuz schlagend, entflohen … einen Sporenstoß dem aufröchelnden Pferde und fort über den hallenden Hof, über die morsche Zugbrücke hinweg auf stöhnendem, blutendem Tiere, klappernd über die Steine, drunter Vater und Mutter schliefen – und dabei lachend, fortlachend so wild und so grausig, daß das Schloß erbebte, die Risse sich öffneten, die Mauern krachten und die stürzenden Giebel einen Trümmerberg häuften, über den der Nordsturm das Lachen hinwegführte, bis es erstarb wie der Hilferuf eines Gewürgten über dem Schutte und in den Sümpfen drüben.
* * *
Als Sigo dies Lachen ausgeweint, erwachte er graubraunen Haares und gefurchter Stirn. Fremder Kriegsfehde den Arm leihend, zog er von Land zu Land mit Lanzknechten und selbstgeworbenem Volke. Er ritt stillen Antlitzes vor seinen bunten Heerzügen und schonte des Lebens nicht. Er entschied eine Schlacht, leitete eine andere, warf Armeen auf Armeen, und da das Leben dem hold ist, der es verachtet, vernichtete er Völker und wurde endlich König. Da saß er auf einem großen Thron, eine schöne goldene Krone zu Häupten, ihm zu Füßen der Narr und der Henker, welche beiden Hofbeamten er sehr bevorzugte und vermöge deren er mit vielem Erfolg regierte.
Unweit der Grenze lag ein wüster Landstrich, reich nur an Dornen und fieberbrütenden Sümpfen. Diesen raubte König Sigo dem Nachbar, verlor und gewann ihn dreimal wieder in erbittertem Kampfe. Nachdem jedoch viele tausend Streiter des Sumpfes willen erschlagen waren, wurde letzterer dauernd behauptet, und alles pries froh und zufrieden den weisen König, dessen Ruhm groß ward in allen Landen.
Einst saß König Sigo müde auf seinem Throne. Er hatte bereits etliche Stunden regiert, auch griff ihn die Luft an, die wehmütig-weich ins Gelaß wehte. Es war ein seltsam Novemberwetter, Winde aus Süden hatten den Schnee vertrieben und noch einmal ein Grün, ein Spätgrün erweckt. König Sigo senkte halbträumend das kronenschwere Haupt zur Hand, als die Saaltür aufsprang und ein Weib auf der Schwelle stand, verschleiert und reglos. Der Zugwind wuchtete an ihrem Gewände und trug ihr jäh den Schleier vom Haupte. Es war ein süßes Gesicht, das in tiefer Erregung zum Könige sah.
»Entlaßt Eure Gesellen, Herr«, bat sie leise, die Stirne neigend.
Sigo winkte den Schranzen, die sich gekrümmten Rückens entfernten; er betrachtete inzwischen betroffen des Mädchens hohe Gestalt, so schön in dem schwerseidenen Trauerkleide, ihre verweinten Augen, das lässig zurückgestrichene weiche Haar. Es stieg ihm ein Nachweh des verblühten Frühlings im Herzen auf, das zernichtet und so lange starr gewesen.
»Was sucht Ihr,« begann er sanfter als je – »gefiel Euch mein schwarzes Roß, die Kette an meinem Halse oder ein sonstig Geschmeid? Sprecht ohne Furcht.«
Sie warf mit einer knappen, prächtigen Bewegung das Haupt auf. »Ihr irrt, Herr König,« sprach sie, indes ihr tränentrübes Auge erblitzte – »wie sprächet Ihr sonst also zu Eures Beraters und ersten Vasallen Kind?«
»Vergebt«, sagte Sigo. »In der Tat, ich entsinne mich Euer, Fräulein; bei Sankt Hansens Fest war's, da Euer schönes Auge auf mir ruhte. Ich sah auch Euer Köpfchen sich wiegen im Ridewanz, doch schautet Ihr froher als heute, da man vermeinen muß, Ihr habt Tränen geweint. Kündet drum schnell, was Euch herführt. Wollt Ihr wen losbitten? Oder sandte Euch zu mir Euer Vater mit Gruß und Botschaft?«
Ein Schauer durchlief ihre schlanke Gestalt, in unendlicher Seelenangst barg sie das Haupt in den Händen. »Ich kann's nicht ändern,« brach's von ihren Lippen – »es muß geschehen, und Gott sei mit mir.«
Sie richtete sich auf, tränenlos, entschlossen. »Herr König,« sprach sie mit fester Stimme, »Eure Härte, Euer starres Wesen haben Unwillen erregt unter den Großen. Wenn Ihr morgen zum Münster wolltet, riete ich Euch, lieber Andacht zu halten im Kämmerlein. Sie stünden sonst am Altare, dicht um Euch, die Schwerter leichtlich zu Händen …«
Sigos Antlitz hatte längst wieder den alten harten Zug gewonnen; er sah zur Erde, indes seine Finger spielend den Rosenkranz entlang flogen, der am Griffe seiner Misericordia hing.
»Glaubt Ihr mir nicht, Herr,« frug das Mädchen angsterfüllt, »daß Ihr also still bleibt und des Schweigens wahrt?«
»Ich glaub' Euch gern,« sprach König Sigo, »denn Verrat ist ein liebes Wort dem Frauenmunde. Kündet mir jedoch, warum Euer Vater nicht selbst erschien oder mir doch Euern Verlobten sandte, da die Mär also grob? Euer Vater wählt fürwahr seine Boten seltsam, Fräulein.«
Sie war zusammengeschauert bei seinen Worten, eine heiße, fliegende Röte im Antlitz. Sie versuchte zu reden, ihre Lippen zuckten, aber, ohne einen Ton zu bilden, wie im Todeskampfe, hob sich ihre Brust zu ein, zwei tiefen Atemzügen.
»Mein Vater?« sprach sie plötzlich sehr ruhig und mit ganz veränderter Stimme, »mein Vater? Wie sollte er kommen? Und mein Verlobter – wie möchte er's tun? Mögt Ihr noch fragen, Herr, warum ich kommen mußte, ich allein? Und könnt ihr's nicht fassen, daß ich Euch retten will um jeden Preis, um jeden?«
Sigo wandte sein Haupt zu ihr, nachdenklich, mit dem Ausdrucke höchsten Erstaunens.
»Eures Verlobten«, meinte er, »wollt Ihr wohl ledig sein. Ich begreife das. Aber Eures Vaters? … seltsam in der Tat … wißt Ihr ja doch, daß morgen sein Kopf fällt nebst dem seiner Freunde und Freundesfreunde? Euer Vater … und Ihr verratet ihn? Euren eigenen Vater … entschuldigt, Fräulein, ich verstehe Euch nicht ganz.«
»Ihr versteht mich nicht,« brach's aus ihrem Herzen, indes ein stolzer seliger Schimmer auf ihr Antlitz kam, »Ihr versteht mich nicht? Nun, Herr, so will ich frei zu Euch reden wie zu Christo, dem Horte. Gesäugt ward ich im Hasse zu Euch, denn so, König Sigo, gedenken Euer die Meinen. Ich aber sah Euch ein einzigmal, da Ihr beim Sonnwendfeste schrittet durch das Volk. Ich sah Euch dahingehen, stolz, unglücklich verlassen und – so gehaßt. Seit jenem Tage, König Sigo, habe ich Euch geliebet …«
Es ward tiefe Stille, nur eine spätgrüne Ranke tickte an die Scheiben, und nur der Tauwind strich singend ums Erkergebälk.
»Sagt das noch einmal, Fräulein«, sprach Sigo, indes seine Hand sich um die Lehne des Thronsessels krampfte.
»Ich liebe dich, Sigo, aus meines Herzens Tiefe, und will dir treu sein in alle Ewigkeit.«
Über des Königs Züge lief eine jähe Veränderung, der strenge Zug um seinen Mund schmolz und zerfloß in hundert zuckende fröhliche Fältchen, dabei loderten doch seine Augen qualvoller, düsterer als je. Plötzlich warf er sich in die Polster zurück und lachte sein drittes und letztes Lachen. Graues Haar trugen jene davon, die es vernommen; es hallte durch die Korridore dem fliehenden, entsetzten Weibe nach, das man tags darauf fand, im Grase sitzend, einen Schlehblütenzweig zupfend, lächelnd, tändelnd, eine arme Wahnsinnige.
König Sigo lachte noch eine Zeit fort, und schwieg dann. Er tat es, weil er sich totgelacht hatte. Nun war er wohl aufgehoben, denn dem, der nicht mehr glauben kann, gehört ein Grab, je tiefer, desto besser. Nur ist der Weg dahin nicht immer kurz zu wandern und führt auch just durch keinen Sommernachmittag. Wer aber das Märlein vom Könige Sigo nicht glaubt, hat nie etwas von Liebe gewußt, wird's nimmer lernen und täte füglich am besten daran, sich frischweg begraben zu lassen.
* * *