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Ein Chronikblatt
Von der Plattform des Straßburger Münsters streiften meine Blicke über die stolze, altertümliche Stadt. Ich fühlte mich wie losgelöst von dem Leben unter mir, denn es drang zu meinem Ohr nur wie ein leises, verschwommenes Summen, eher dazu angetan, Träumereien zu wecken, als zu stören. Auch lagen schon Abendnebel über dem weiten Häusermeer, nur die Spitze des Turmes glühte vom letzten Sonnenstrahl tiefrot übergossen.
Es war Herbst – die letzten Schwalben zwitscherten um die luftigen Zinnen; einzelne tiefblaue, rosig umsäumte Wölkchen schwammen am klaren Abendhimmel, über dem fernen Wasgau standen schwere, schwarze Wolken. Ich freute mich der tiefen Stille und wandelte langsam über die steinernen Fliesen; da traf mein Auge auf ein seltsames Gebild, an dem es haften blieb wie gebannt. In einer Nische stand die Gestalt eines Mönches, aus Stein geformt, in klarer Plastik vom dunklen Hintergrunde gelöst. Auf dem starren Gebild lag der Sonne letzter Strahl und verlieh ihm einen Schein von Leben, während zuweilen kecke Schwalben mit blitzschnellem Flügelschlag das regungslose Haupt streiften. Der Blick des Mönches war auf die Stadt gerichtet; in den steinernen Zügen ruhte tiefe Traurigkeit, auf den Lippen ein Zug von Ergebung, man ahnte aber, daß diese Augen einst in Verzweiflung geblickt und daß die Lippen einst einen Aufschrei getan haben mußten vor ungefügem Schmerze, ehe sie zu Stein wurden und sich schlossen auf immerdar. Und wie ich wieder und wieder jene Züge betrachten mußte, tauchten endlich dunkle Erinnerungen aus den Kindertagen auf und eine alte Geschichte, die ich vor langer Zeit gehört, kam mir aufs neue in den Sinn – die Geschichte vom steinernen Bildnis auf dem Münster zu Straßburg.
* * *
Zu Straßburg lebte vor langer Zeit ein Meister, der war Goldschmied seines Zeichens, dabei weit und breit gepriesen ob seiner Kunst. Wohl hatte er in seiner Werkstatt des Geschmeides und der edlen Steine viel, sein größter Schatz aber war sein einziges Töchterlein, Helene. Wenn man in deren lichtblau Auge geschaut, so vermeinte man, die schönsten Saphire seien unrein und farblos, und gegen ihr reiches, blondes Haar erschien das lauterste Gold trübe. Ihre Stimme war hell wie das Tirilieren der Lerche, und wenn sie durch die finstere Werkstatt schritt, strahlte aus ihrem Wesen lauterer Sonnenschein, vor dem keine Traurigkeit bestehen konnte. War auch ein braves, frommes Kind, das mit herzlicher Liebe an den Eltern hing und vornehmlich dem gestrengen, oft mürrischen Meister alles tat, was sie ihm an den Augen abzusehen vermochte. Ins Freie kam Lenchen selten, denn ihre Eltern hielten nichts vom Lustwandeln und Hofieren auf Straße und Wall; deshalb verließ sie das graue, uralte Haus nur, um zur Messe zu gehen, an der Brust und im Haar einen Strauß frischer Blumen, die Augen andächtig aufs Brevier gesenkt. Die Blumen kamen aus Lenchens Garten, der dicht hinter dem elterlichen Hause lag, durch hohe Ringmauern sorgsam verwehrt und umgrenzt. Das war Lenchens eigentliches Reich, da war sie unumschränkte Gebieterin und Königin über eine Welt von Blumen, mannigfach von Art, seltsam von Duft und Farbenpracht. Liebte auch vornehmlich in diesem Garten zu weilen, und konnte oft Stund' um Stunde gar ernst und sinnig in der Laube von blumigen Kletterpflanzen sitzen, bis sie sodann, eine helle Weise singend, wie ein Falter durch die Blütenbeete eilte, also schnell und leicht, daß man vermeinte, das Gras dürfe sich nimmer beugen, allwo es ihr Fuß berührt.
Dermalen lebte zu Straßburg ein junger Geselle, mit Namen Reinhart. Selbiger war zwar hart und geschickt zu Turnier- und Ritterspiel, aber nicht also rein, denn er freute sich toller Streiche, verwegener Abenteuer, und galt für der Wildesten einen. Zweitgeborenes Ritterkind, war er aus dem Thüringer Land gen Straßburg gefahren, allda die freien Künste zu lernen. Saß jedoch selten bei Foliant und Pergament, sondern strich lieber im Samtwams, den Raufdegen an der Seite, mit gleichen Genossen durch Wall und Gassen, bei Nacht singend und zechend, bei Tage die welschen Söldner höhnend, die gehaßt waren von jedermann. Jene aber mieden ihn, denn sie fürchteten seine gute Klinge; wagten auch nicht, ihm ein Leids zu tun, denn er war aus hohem, fürnehmen Hause und hatte der Anhänger und Freunde viel.
So begab es sich, daß der Ostertag heranrückte, der mit kirchlicher Feier und allerhand Festlichkeit begangen wurde. Der Reinhart und seine Genossen hatten die Nacht im Stadtkeller mit Lärmen verbracht, im Morgengrauen waren sie ins Freie gezogen und kehrten nun zu neuer Lust zur Stadt zurück. Wie sie zum Münster kamen, wogte der Strom der Frommen andächtig zur Messe, die Frühlingssonne schien hell und die Glocken riefen ernst und feierlich. Da ward dem Reinhart gar wundersam zumute, denn er fühlte, daß seine Brust leer war, und mußte früherer Tage gedenken – es war schon lange her –, wo auch er an der Seite einer hohen schönen Frau, die er Mutter nannte, zur Kirche gegangen war, halb trotzig, daß man ihn vom Spiele rief, halb kindlich andächtig. So stahl er sich denn hinweg aus der lustigen Schar und schritt langsam, fast zögernd, durch das dunkle Portal, in einem entlegenen Betstuhle Platz findend. Mächtiger Orgelklang brauste, Weihrauchwolken fluteten nieder, und durch den Nebel fiel ein breiter Streifen Sonnenlicht, warm und goldig. Als aber die Orgel nun leiser und leiser wurde, und der Gesang verhallte, da fühlte Reinhart, wie seine Augen feucht wurden, denn es war ihm, als ob ihn ein mächtiges süßes Sehnen aufwärts trüge, so daß er das Haupt neigte und lange betete. Als er sich wieder aufrichtete, vermeinte er, es sei ihm nie so glücklich ums Herz gewesen, und verblieb daher unbeweglich, den Worten des Priesters versonnen lauschend. Nach und nach wanderten seine Augen auch über die ihm fremdartige Umgebung und blieben endlich auf einer Stelle des Chores haften, als vermöchten sie nimmer sich davon loszulösen.
Dort saß aber an der Mutter Seite Schön-Lenchen, des Goldschmieds Töchterlein, die Hände gefaltet, das süße Gesicht andachtsvoll nach oben gerichtet. Die Kirche war ganz dunkel, nur durch das Bogenfenster fiel ein schmaler Streifen Sonnenlicht gerade auf Lenchens Züge, so daß sie erschien wie ein lichtes Bild auf dunklem Grunde. Es ging die Messe zu Ende, der Reinhart aber schaute unverwandt und wie abwesend hinüber, die Hände nicht mehr gefaltet, sondern auf das schlagende Herz gedrückt. Merkte auch kaum, daß die Orgel aufs neue erbrauste und die Scharen der Beter langsam aus dem Portale strömten; erst als Lenchen entschwunden war, seufzte er tief und ließ sich willenlos hinausdrängen in den lachenden Frühlingstag. Als er auf den Stufen stand, sah er seine Genossen, die paarweise durch die Straßen zu Reigenlust zogen, ihr lautes Singen tönte deutlich herüber. Reinhart zog nicht mit ihnen, ihn überkam ein Ekel vor dem lärmenden Treiben.
Seit diesem Tage ward der Reinhart stiller und stiller, sah auch oft so glückselig aus, daß ihn die Gefährten fragten, was ihm denn so Großes widerfahren sei. Im stillen murrten sie jedoch, da er sich viel von ihnen zurückzog und ihre Gelage dadurch an Fröhlichkeit einbüßten. Befragten sie ihn aber, oder begegneten sie ihm mit Spott, so flammten seine Augen in furchtbarem Jähzorn, und zwischen seine Brauen lagerte sich eine tiefe Falte, fest und wie eingegraben. Die kannten sie wohl und hüteten sich, ihn fürder zu reizen; im stillen aber sagten sie, er »philosophiert«, oder, er »will Pfaff werden«; nur der älteste unter ihnen, aus Sachsenland gebürtig, ein wunderlicher Geselle, den die Liebe zum guten Wein von Jahr zu Jahr festhielt, und der sich auch von Jahr zu Jahr rüsten wollte, auf daß er selber dozieren könne, schüttelte das mächtige Haupt und murmelte leise vor sich hin: »Er hält's mit der Reue.«
Inzwischen war Pfingsten gekommen und die Genossen rüsteten sich zu lustiger Fahrt nach der Feste Rappoltstein und dem Wasgau, auf dessen Höhen unweit Kolmar ein gar wundertätiger Wallfahrtsort gelegen ist, den man »Unsere liebe Frau zu den drei Ähren« nennt. Weite rauschende Wälder umschließen das Kirchlein, hart an ihm steht eine Herberge, in welcher der Wunderquell eines fürtrefflichen Weines fließt. Das schönste jedoch ist die Aussicht, denn das entzückte Auge kann frei dahinschweifen über das lachende Elsaß und den großen Rheinstrom vom blauen Schwarzwalde bis zu den weißen Firnen des Helvetierlandes. Dahin zogen die Genossen, wer aber hartnäckig ausschlug, sie zu begleiten, das war der Reinhart. So gingen sie denn allein des Weges. Jenem ward aber, als sei ihm ein Stein vom Herzen genommen, und sein Antlitz wurde noch fröhlicher, sein Gang noch stolzer und freier. Studierte auch eifrig seit jener Zeit und beschrieb vornehmlich viel lose Blätter, die er dann zu einem Heft gestaltete, das er mit Goldfäden aus seinem Wehrgehenk verschloß; des weiteren suchte er den Umgang gelehrter und gereifter Männer, bei denen er nach und nach gern gesehen und aufgenommen ward. Dabei vergaß er keineswegs ritterlicher Kunst, und verstand namentlich sein Roß zu tummeln, daß des Staunens kein Ende war, wo man ihn sah.
Eines Sonntags geschah es, daß ein schweres Wetter über Straßburg zog, so gewaltig, daß die ältesten Leute sich eines gleichen nicht zu erinnern vermochten. Erst als die Glocken zur Abendmesse riefen, verhallte der Donner, ein später gelber Sonnenstrahl fiel schräg auf Giebel und Dächer, indessen ein kühler Windhauch beschwichtigend durch die feuchten Gassen strich. Nur wenige kamen an jenem Abend zur Andacht, denn die Sorge um Hab' und Leben hatte die meisten der alten Gewohnheit untreu werden lassen; unter den wenigen aber war Lenchen, die am Arme einer Freundin, da die Mutter vor Schreck schier krank lag, dem Gotteshause zuschritt.
Es begann früh zu dunkeln; die Straßen waren menschenleer. Lenchen und ihre Begleiterin hatten kaum des Münsters Stufen verlassen, als sie sich von mehreren reich gekleideten welschen Edelleuten angehalten sahen, die unter lautem Gelächter und bösen Reden ihnen den Weg zu sperren suchten. Einer von ihnen, vornehmer als die andern, suchte den Arm um Lenchen zu schlingen und das halb ohnmächtige Mädchen fortzuziehen – wer aber plötzlich, wie aus dem Boden gewachsen, den Gesellen gegenüberstand, das war der Reinhart. Einen Augenblick blieb er regungslos, nach Atem ringend, dann lief er sie mit dem Schwert so wütend an, daß sie ihre Beute eilends ließen und von dannen wichen. Wohl hatte jener, den Reinhart sich erlesen, schwere Hiebwunden davongetragen; seine Gefährten aber deckten ihn gut und schoben ihn in ein Haus, das schwere Tor verriegelnd. Reinhart kehrte daher zu den Jungfrauen zurück und nahm gesenkten Auges die Dankesworte des errötenden Lenchens hin. Er durfte sie auch geleiten bis an die Ecke, von der man drüben am Markt das altertümliche Haus des Meister Goldschmied sehen konnte.
An diesem Abend strich Reinhart durch die Straßen, die Brust voll zum Zerspringen, das Haar im Gewitterwind flatternd, denn beim Abschied hatte Schön-Lenchens weiße Hand leise in der seinen geruht, und als späterhin der Mond bleich durch die Wolken brach, stand vor dem Hause des Meister Goldschmied ein glückseliger Träumer, blickte zu dem Giebelfenster empor und küßte eine blaßblaue Schleife tausendfach – die hatte ihm Schön-Lenchen beim Abschied gegeben.
Am andern Tage, kurz vor der Mittagszeit, trat Reinhart in die Werkstatt des Meister Goldschmied. Das war ein luftiges, helles Gelaß mit hohen vergitterten Fenstern, an den Wänden viel wundersam Gerät und Werkzeug. Vor jedem Fenster saß einer der Gesellen, feilend und hämmernd, so in die Arbeit vertieft, daß keiner den Kopf nach dem Eintretenden umwandte. In einem ausspringenden Erker, allwo das Tageslicht am hellsten, stand der Meister, emsig und mit kunstvoller Hand einer schweren Armspange die letzte Ziselierung gebend. Er legte, als Reinhart eintrat, sein Werkzeug nieder, lüftete das Käpplein und frug nach dem Begehr des Junkers, ihn mit forschendem Blicke messend, denn er hatte hohe Herren noch nie von nahem gesehen, wohl aber viel Böses von ihnen vernommen. Jener aber verneigte sich und sprach: »Meister, Ihr sollt mir eine güldene Kette schmieden, daran eine Kapsel mit edlen Steinen, weil ich drin etwas recht Liebes bergen will; vergönnt mir, daß ich bei Euch Auswahl treffe nach Gefallen.« Der Meister wies ihm allerhand Edelgestein und ward immer mehr verwundert ob der Sanftheit und der Bescheidenheit des Reinhart, dem er noch immer zurückhaltend Auskunft gab. Als sie nun so im besten Reden waren, öffnete sich plötzlich die Tür und herein trat Lenchen, auf einer tönernen Platte dem Vater den Frühtrunk bringend, dazu einen Blumenstrauß. Sie war gar einfach und reizend gekleidet, das blonde Haar zurückgehalten von einer einzigen taufrischen Rose. Als Lenchen den Reinhart sah, blieb sie stehen, aber die Gläser in ihrer Hand klirrten und klangen an aneinander – sie stellte dieselben auf den Tisch und machte sich in der Werkstatt zu schaffen. Des Reinhart Augen ruhten auf ihr, während der Meister das Feuer eines seltenen Steines pries, und es wollte ihm erscheinen, daß sie viel sorglicher hantierte, viel länger verweilte, als es wohl not gewesen wäre. Auch schien ihm ihr Blick, als ihre Augen beim Hinausgehen einen Augenblick in die seinen tauchten, gar wunderbar und warm. Der Meister aber äußerte später beim Mittagsmahl zu Frau und Tochter: Der Junker Reinhart sei ein gar liebenswürdiger, feiner Mensch, nur sei es schade, daß sein Ruf gar so übel –. Die adelige Sippe tue eben selten gut, das sei ein altbekanntes Ding.
Seit diesem Tage kam Reinhart öfters in die Werkstatt des Meisters, der Vollendung seiner Kette harrend, die gar zierlich und prächtig wurde. Er bezahlte sie pünktlich mit vollwichtigen Lilientalern, später brachte er ein altes, silbernes Trinkgeschirr zur Erneuerung, das hatte sich von Vater auf Sohn vererbt und war so prächtig geformt, daß der Meister des Staunens kein Ende fand. Als Reinhart nun einmal um die Nachmittagsstunde wieder zur Werkstatt kam, war selbige geschlossen, und Lenchen ließ ihm durch die alte Magd sagen, der Meister und die Frau Mutter seien über Land gegangen, kämen erst spät abends wieder; doch als er das Haus verlassen wollte, da fiel in den dunklen Gang helles Sonnenlicht, und in dem Garten an der blühenden, schattigen Laube stand Schön-Lenchen, das blumengeschmückte Köpfchen auf die Brust gesenkt, einen überwachsenden Zweig zerknickend und verblätternd … sie verblieb auch so, als Reinhart sie mit bebender Stimme anredete, sie entzog ihm selbst ihre Hand nicht, als er sie mit brennenden Lippen streifte – sie plauderten von allerlei Dingen, ernsthaft und heiter, zuletzt in der schattigen Laube, wo die blütenschweren Ranken im Winde schaukelten und dufteten, recht wie zwei glückliche, sorglose Kinder. Seit jenem Tage aber betrat Reinhart nicht mehr die Torfahrt zur Werkstatt, sondern harrte, bis hinter wildem Wein und üppigen Schlingpflanzen ein verborgen Pförtlein geöffnet wurde und eine weiche, warme Hand ihn zur Laube zog. Durch den Garten ging der Abendwind, der Mond tauchte hinter den Giebeln des alten, grauen Hauses empor, und die dunklen Bäume rauschten von einem Märchen, das ewig alt, ewig neu ist und das da handelt von zwei jungen Herzen, die sich gefunden haben, die sich nicht lassen können, und die sich lieben müssen mit tausend Schmerzen, von ganzer Seele, auf immerdar. –
Ist ein Traum noch so schön, ihm muß ein Erwachen folgen. Für Reinhart kam es zuerst, unerbittlich und grausam. Ein Lehnsmann des Vaters brachte arge Mär – der Ritter sei beim Jagen auf den Tod gestürzt und verlange nach dem Sohne, es gelte zu reiten ohne Verzug. Reinhart mußte sich rüsten zur Fahrt nach dem Thüringer Land, und Lenchen ging blaß, mit verweinten Augen umher. Dann kam der Abschied, schwer und tränenvoll. Als aber Reinhart auf seinem lichtbraunen Roß an der Werkstatt vorbeiritt und der Meister, der von dem Unglück gehört, teilnehmend die Hand herüberbot, ward dem Scheidenden doch tröstlich zu Sinne, denn auf seinem trüben Wege leuchtete ein Verheißungsstern, das war der Schwur, den Schön-Lenchen getan, daß sie in Treuen seiner gedenken und die seine bleiben wolle in Not und Tod, im Leben und im Sterben.
Der Meister Goldschmied sprach aber tags darauf: »Der Junker dauert mich schier, denn er schien schwer Leid zu tragen um seinen Vater. Brav von ihm, denn du sollst Vater und Mutter ehren, spricht der Herr, und wer dessen vergißt, dem wird es auf Erden nicht wohlergehen. Der Junker ist überhaupt nicht so schlimm von Wesen, aber adelig Blut tut nun einmal nicht gut, kennt keine Arbeit, keine Frömmigkeit, keinen Frieden, und der Herr hat's gezeichnet.«
Zu der Mutter sagte er nach einigen Tagen: »Lenchen gefällt mir nicht mehr – sie geht herum wie ein Schatten und ist nicht mehr fröhlich wie sonst. Nun, sie ist am Ende im Alter, wo eine Puppe oder ein paar Blumen nicht mehr die Glückseligkeit ausmachen können, und wo das Herz etwas Besseres verlangt. Meinst du nicht auch, Mutter?«
Zur Zeit, da er diese Worte sprach, stand der Reinhart unter den dunklen Tannen des Schwarzwaldes und schaute zurück in das lachende, weite Rheintal. Die Abendsonne sank hinter dem dunklen Wasgau, der Münster von Straßburg ragte wie eine feine Nadel aus der Ebene. Da ward ein Sturm in Reinharts Brust, weil seine Augen die Erdenstätte sahen, die ihm so teuer. Er gedachte Schön-Lenchens letzter Worte, breitete die Arme aus und sandte mit dem letzten Sonnenstrahle ein Grüßen hinüber an die, die er liebte mit tausend Schmerzen, von ganzer Seele, auf immerdar, und die ihm geschworen hatte, treu zu bleiben in Not und Tod, im Leben und im Sterben.
* * *
Etwa drei Monate später zogen zwei Reiter den Weg, der vom Rhein gen Straßburg führt. Der eine von ihnen ritt ein lichtbraunes Roß, trug im Schild ein fürnehm Wappen, als Helmzier eine blaßblaue Schleife; der andere mochte ein Knappe sein, er war weidlich bewehrt, wie es damals auf Reisen die Sorge für Gut und Leben forderte.
Es war Herbst; der Hochwald stand im bunten Kleide, und einzelne welke Blätter fielen vom Winde. Es dämmerte schon, als die Reiter das Tor erreicht hatten. Dort stieg der eine vom Rosse und gab es dem Knappen, entledigte sich auch der Rüstung, als sei sie ihm zu schwer, dann schritt er durch die Straßen, so eilig, daß ihm die Leute schier verwundert nachsahen. Aus einer Quergasse scholl Singen und Gelächter – da stand der Wanderer still und drückte sich an ein Haus, als fürchtete er, gesehen zu werden. Doch einer der Fröhlichen wandte sich um, von dessen Lippen es tönte: »Bei Gottes Rock, das ist ja der Reinhart«, und dessen Hand die seine ergriff und warm schüttelte. Nicht so bald war der Ruf erklungen, als Reinhart auch umringt war; Ausrufe, Fragen ertönten, sie bestürmten ihn schier, und ehe er sich weigern konnte, zogen sie ihn in eine Herberge, die nahe lag und ihres guten Weines halber weitaus bekannt war. Reinhart mußte ihnen folgen, er konnte es nicht hindern, weil sie gar so herzlich taten. So saß er denn bald am eichenen Tisch im wohlbekannten Saal, vor sich den Becher mit rotem Wein, um sich herum die Genossen, die vergessen zu haben schienen, daß er ihnen längst entfremdet und sie seither gemieden. Da ging es an ein Fragen, daß es kein Ende zu haben schien, die Becher füllten sich und wurden in lärmendem Jubel stets aufs neue geleert. Dem Reinhart aber dünkte es, als sei die Lust eine künstliche; der Boden brannte unter seinen Füßen. Stand daher bald auf und entschuldigte sich, er sei müde von der Reise und habe noch einen dringenden Gang zu tun. Befremdlich war es ihm, daß auf seine Rede etliche der Genossen den Saal verließen, die übrigen aber still wurden und schier befangen in ihre Becher starrten. Unter diesen war einer, den hatte der Reinhart einst liebgehabt vor allen, der zog ihn auf den Stuhl zurück, schlang den Arm um seinen Nacken und sprach: »Reinhart, wir wissen, wohin du gehen willst – wir bitten dich aber herzlich, den Gang zu unterlassen – morgen, wenn du gerastet hast, sollst du hören, warum …«
Ein anderer aber, der schon berauscht war, hob den Becher und sprach: »Trink, Reinhart, der Wein heilt alle Sorgen« – dann hub er an laut zu singen:
»Dein Lieben war kein Edelstein,
Kein echter Stahl, kein gutes Gold;
Des kauft man in der Gassen ein,
So viel man immer nur gewollt …«
Reinhart stieß das Glas zurück und sah den Sprecher mit großen, verwunderten Augen an; er fand keine Worte zur Gegenfrage.
»Reinhart,« fragte jener, »du wolltest zu Meister Goldschmieds Töchterlein, ist's nicht so?«
Ein Nebel legte sich vor Reinharts Augen. »Und wenn dem so wäre?« sagte er tonlos.
Jener schlang fester den Arm um ihn. »Das geht nicht, armer Freund,« sagte er, »du kannst es nimmer tun – in sechs Wochen heiratet Schön-Lenchen den reichen Kaufherrn aus Basel – die Sache ist im reinen, nichts daran zu ändern … du weißt, die Eltern … deine Abwesenheit … ein schwaches, fügsames Kind …«
Reinhart hörte ihn nicht mehr, er war totenblaß, und die Hand, die er auf den Tisch gelegt hatte, zitterte so, daß die Gläser klirrten.
»Höre, du,« sagte er, »wenn du gelogen hast, tote ich dich.«
Dann sprang er auf und stürzte zur Tür; er taumelte, stieß an die Stühle und Tische, so da standen, keiner wagte ihm zu folgen. Der Berauschte jedoch hob den Kopf vom Tische und lallte gläsernen Auges: »Bruder, Herzbruder, trink – der Wein heilt alle Sorgen …«
Die Nachtluft schlug Reinhart ins Gesicht, er eilte durch die Gassen wie ein gehetztes Wild, er verlief sich, kehrte wieder um und wankte dann auf dem richtigen Wege weiter. Zuweilen war ihm, als schösse all sein Blut nach Herz und Haupt – er mußte stehen bleiben und an einer Ecke, auf einem Mauerstein ruhen, dann riß es ihn wieder auf und trieb ihn vorwärts. Der Mond war aufgegangen, aber der Wind jagte dunkle Wolken darüber, so daß nur zeitweilig eine Helle durchbrach; wenn das war, sah Reinhart den eigenen Schatten schwarz und schier schauerlich vorüberfliegen. Die Giebel des Hauses vom Meister Goldschmied waren silbern übergossen, die meisten Fenster erleuchtet … vor der Tür standen etliche Gesellen, die scherzten mit den Mägden, so vom Brunnen zurückkehrten. Reinhart achtete ihrer nicht – er bog in das Quergäßchen ein, das an der Gartenmauer entlang führte, er tastete an der geheimen Pforte und fand sie verschlossen; dann ward er plötzlich ruhig, denn er hörte im Garten sprechen und erkannte Schön-Lenchens Stimme.
Es war nur ein Zufall, daß sie im Garten weilte. Ihr Verlobter, der reiche Seidenhändler, wollte just zum Zunftfest und hatte sie gar sittsam gebeten, ihm noch ein Sträußlein zu pflücken, auf daß er für den Abend ein Gedenken von ihr habe. Sie hatte es geweigert, denn ihr schauerte stets in den Garten, der so viel vom Reinhart sprach, aber der Vater hatte befehlend mit den Augen gewinkt, und da gab es keine Widerrede. So hatte sie einige Blumen gebrochen, müde und lässig einen Strauß formend, während der Verlobte neben ihr stand und just sagte, daß ihre Augen schöner seien als die Sterne und ihr Mund lieblicher und frischer als die Knospe der Granatblüte …
Ein Schatten fiel über den mondhellen Garten, an der Ringmauer schwebte der Reinhart, im dunklen Mantel, den Stoßdegen im Arm. Er stand plötzlich auf dem Kieswege wie eine Erscheinung, unbeweglich und starr. Der Kaufherr war regungslos vor Schreck, ein Hilferuf erstarb ihm auf den Lippen. Schön-Lenchen war auf die Knie gesunken, das Antlitz in den Händen, totenbleich.
»So ist es denn wahr,« sagte Reinhart mit tonloser Stimme, … »noch kann ich's nicht fassen und tragen … Zittere nicht, Krämer,« fügte er hochaufgerichtet hinzu, »meine Klinge nimmt nur ritterlich Blut, du hast nichts zu fürchten«; dann schwieg er, wie um Kraft zu gewinnen. »Ihr dürft nicht falsch denken ob meines Erscheinens,« sagte er dann, »Eure Braut ist rein wie der Schnee, sie trifft kein Vorwurf – das bei meinem Ritterwort. Ich bitte Euch aber,« fuhr er fort und seine Stimme wurde weich, »ich bitte Euch, Ihr wollet mir eine Gunst erweisen – erlaubt, daß ich ungestört sprechen möge mit Eurer Braut, Ihr sollt gern allhier verharren und wachen, daß ihr kein Leids geschehe. Eine letzte Bitte, Lenchen, die allerletzte, … folge mir noch einmal zur Laube, die all mein Glück beschattet hat, dann will ich gern gehen, will von dir lassen auf immerdar.«
Sie schritt vor ihm her, wankenden Ganges, schier wie ein wandelndes Bildnis …
Was jene beiden Menschenherzen in den kurzen Augenblicken einander gesagt, wie sie gekämpft haben und gerungen in unendlicher Qual, das weiß nur der, der alles Weh erschauen kann, was hienieden in der Menschenbrust wogt und stürmt. Schluchzen, wahnsinnige, wilde Worte, leidenschaftliche, süße Liebesnamen, tiefe, lautlose Stille. –
Dann traten sie heraus, Schön-Lenchens Gesicht verstört, doch kalt, der Reinhart mit irren Augen und keuchender Brust. Sie schritten zu jener Pforte, deren Schwelle so oft Reinharts Fuß berührt. Da stürzte Reinhart noch einmal zu Lenchens Füßen und schrie laut auf vor Schmerz: »Helene, ich kann dich nicht lassen – Helene, warum brachst du so junge Treue?«
Sie stand einen Augenblick regungslos, die Augen dunkel und tränenleer. Ihre Stimme brach, als sie sagte: »Die Eltern wollten's so. Reinhart, fahr wohl.«
Die dunkle Gestalt riß sich vom Boden und verschwand durch die Pforte; Lenchen breitete die Arme aus, dann griff sie nach der Brust und glitt besinnungslos in die Arme ihres Verlobten.
Es war Sturmnacht.
Der Reinhart aber war hinausgerannt vor die Tore, bis in den Wald, da hatte er sich niedergeworfen ins feuchte, hohe Gras.
Große, nie gestillte Klage des Erdalls, furchtbare Stimme der Empörung! Ewiges Lied vom Werden und Vergehen! Abschiedslieder – Hochzeitsklänge – das Alte geht, das Morsche bricht, jetzt naht der Tod – dann brausen Erlösungschöre, Frühlingsstimmen, dereinst kommt Auferstehung.
Vernichtetes, verzweifelndes Menschenherz, glaubst du daran, glaubst du nicht daran oder bist du zu schwach zum Glauben? Stürbest du gern übermüdet am Herzen der Natur, im Kampf und Wettertoben?
Und der Sturm schwieg. Durchs zerrissene Gewölk blickten ewige Sterne. Unterwerfung, Friede in der empörten Natur, keine Unterwerfung im zerschlagenen Menschenherzen, das trotzig bis zum Tode.
Landsknechte zogen auf der Straße gen Frankreich, sie sangen im Chor, der Wind trug den Endreim ihrer Weise hin zum Walde. Er lautete:
Kurzer Friede,
Langer Streit;
Hohe Liebe,
Tiefes Leid,
Volle Becher,
Lippen rot,
Wildes Leben,
Früher Tod.
Reinharts Augen leuchteten auf.
Wildes Leben, früher Tod! sprach er mit zuckenden Lippen – dann lachte er auf und ging nach der Herberge zu den Genossen.
* * *
Sechs Wochen später war der Herbst ganz gekommen – Regentage, kalter Nebel, rauhe Winde. Kurz nach dem Tage Allerseelen strömte zum Münster festliches Getriebe; Weihrauchwolken wallten, Orgelklänge brausten durch sein mächtiges Schiff, an dem Altar kniete Schön-Lenchen und reichte dem Kaufherrn von Basel die Hand, um die seine zu werden für Zeit und Ewigkeit. Die Gäste meinten zwar, die Braut habe unter ihrem kostbaren Spitzenschleier gar blaß ausgeschaut und das »Ja« habe ihr kaum von den Lippen gewollt, aber der Bräutigam schritt dafür um so festlicher einher, sprach auch das bindende Wort so laut und erbaulich, daß es weit durch die Kirche scholl. War im übrigen eine gar fürnehme Hochzeit und des Jubels kein Ende bis tief in die Nacht. Andern Tags bezog das junge Paar ein neues Haus, das der Kaufherr gebaut und schier fürstlich eingerichtet hatte, denn er war nach Straßburg gezogen, um daselbst zu verbleiben und sein Geschäft fortzuführen.
Der Reinhart war bei der Hochzeit nicht erschienen, obschon es manche geglaubt und etliche gefürchtet hatten. Er war wieder der alte geworden, nur schier wilder und toller als früher. Da verbreitete sich kurz nach der Hochzeit das Gerücht, daß er einen welschen Edelmann, der ihn bei einem Gelage mit des Goldschmieds schönem Töchterlein gehöhnt, im Zweikampf erstochen habe und deswegen vom Rate aus Stadt und Land gewiesen sei. Er blieb verschollen und ward bald vergessen.
* * *
Wohl zwei Jahre mochten vergangen sein, da kamen über die Stadt schwere Kriegsnot und Sorgen. Wurden auch die Kirchen kaum leer von Frommen, denn je größer das Unglück, desto größer die Frömmigkeit. Im Münster predigte zuweilen ein Mönch, der durch Kraft und Begeisterung es verstand, in jener Zeit dergestalt auf Gott hinzuweisen, daß wohl kaum ein Herz arm an Frieden von ihm ging; pflegte auch im Beichtstuhl die Beladenen gar wundersam zu trösten, so daß des Zuspruchs zu ihm kein Ende war. So begab sich's eines Abends, daß er durch das Gitter eine schlanke Frauengestalt herantreten sah, die gar prächtig gekleidet und von zwei Dienerinnen geleitet war. Diese knieten entfernt nieder, sie aber näherte sich dem Beichtstuhl, beugte die Knie und begann zu schluchzen, als solle ihr das Herz brechen; konnte auch kaum Worte finden, als der Mönch sie sanft ansprach und ermahnte, ihr Herz dem zu erschließen, der da ersieht das Verborgene in seiner tiefsten Tiefe und der keine Schuld kennt, die so groß wäre, daß sie nicht Vergebung finden könne.
»Ehrwürdiger Herr,« murmelte die Bittende, »mich drückt schwere Schuld. Ich bin die Gattin eines reichen angesehenen Mannes, ich bin Mutter, und die Leute nennen mich glücklich. Ehe ich aber die Hand jenes Mannes nahm, liebte ich einen andern und schwur, die seine zu werden, schwur, ihm treu zu bleiben in alle Ewigkeit. Er liebte mich so tief – mir zuliebe hatte er seinen Sinn geändert, der gar wild und trotzig war. Er ging fort auf kurze Zeit. Da wiesen mir die Eltern, nicht wissend meiner Liebe, den reichen Mann zum Gemahl, den ich kaum kannte und nicht lieben konnte. Ich wagte nicht die Eltern zu erzürnen, ich war zu schwach, ihnen die Wahrheit zu gestehen … mich verblendete endlich der Reichtum und künftiger Glanz, ich gab nach und brach im Herzen meinen Schwur … Da trat der andere vor mich hin, bleich, ein Bild der Verzweiflung, ich aber stieß ihn von mir und hieß ihn gehen und ward des reichen Mannes Frau …«
Sie barg das Haupt in die Hände und weinte bitterlich.
»Seit jener Zeit, ehrwürdiger Herr, flieht mich die Ruhe! Ich muß meinen Gemahl achten, denn er ist gütig, und ich fühle mich seiner doch unwert – selbst das Mutterglück ist mir zum Fluche! O, gäbe es eine Buße, schwer genug, meine Schuld zu sühnen, wie gern wollte ich alles, alles tun, um wieder frei zu werden, um wieder einmal reinen Herzens zu Gott beten zu können.«
»Meine Tochter,« sprach der Mönch langsam und ernst, »deine Reue ist tief und die rechte Reue. Du darfst frei zu Gott beten, denn er ist ein Gott der Liebe und er verzeiht dir.«
Die Tränen der Bittenden flossen stärker. »Dank, Dank, ehrwürdiger Herr, aber noch eins ist es, was schwer auf mir lastet: wird mir Gott je vergeben können, daß ich den, der mich so geliebt, hinausstieß in Verzweiflung und Elend? Er wurde gut, und das um meinetwillen – da raubte ich ihm den letzten Halt, nahm ihm den letzten Glauben, da sank er hinab und ward wieder, was er einst gewesen … O, ehrwürdiger Vater, wenn Gott mir verziehen hätte, so wären die tausend Gebete, die ich für Reinhart gesprochen, die tausend, tausend Tränen, die ich um ihn geweint, erhört und er wäre gerettet!«
»Ich habe viel erfahren,« sprach der Mönch, und seine Stimme zitterte leise – »so auch weiß ich, daß ein Herz, daß einmal rein geliebt, nie ganz verloren gehen kann. Wohl bäumt es sich auf vor kaum ertragbarem Weh und lästert, wenn es sich verraten sah, selbst Gott in schwachen Stunden, allein sein guter Engel läßt nicht von ihm, zieht es langsam empor zu Gott, und nach dem Kampf kommt ewiger Friede …«
Die bleiche Gestalt hob die Augen mit unaussprechlichem Dankesblick zum Himmel.
»Gerettet!« flüsterte sie … »barmherziger Gott, so laß deinen Segen bei ihm weilen immerdar.«
Sie betete einen Augenblick stumm – dann neigte sie noch einmal das Haupt zum Gitter.
»Ich gehe, ehrwürdiger Herr,« sagte sie, »und danke Euch inbrünstig für den Trost, den Ihr mir gespendet. Eins freilich fehlt mir, sonst könnte ich wohl noch glücklich werden: das ist seine Vergebung. Die werde ich aber nimmer finden, und das soll eine herbe Sühne bleiben für meine so große, schwere Schuld! …«
Ein unvergleichlicher Schimmer flog über die Züge des Mönches – er schlug die Kutte zurück, daß sein bleiches Gesicht ganz frei ward.
»Zieh hin, Helene,« sprach er, »dir ist vergeben.«
* * *
Vergilbte Chronik berichtet, daß der Mönch Reinhart, ausgezeichnet durch Gelehrsamkeit und frommen Sinn, Abt geworden in einem Kloster, so auf hohem Berge am Ufer des Bodensees stand. Lebte allda zurückgezogen, aber hochgeliebt und geehrt von jedermann. Vornehmlich war es die Schriftkunde, der er in strenger Tätigkeit oblag; manches Werk hat er deutsch gewendet, manches selbst verfaßt und niedergeschrieben. Nicht immer waren es ernste gelehrte Dinge – zuweilen brach ein Lied aus seines Herzens Tiefe, das haben dann fahrende Schüler und irrendes Volk fortgesungen bis auf den heutigen Tag. Später trieb ihn die Sehnsucht hinweg aus seinem Kloster gen Straßburg, da wurde er denn am Abend seines Lebens Kardinal und ein hohes Licht der Kirche. Nach seinem Tode stellte man, wie er es gewollt, sein Bild in Stein geformt auf dem Münsterturm auf, damit er schauen möge für alle Zeit hinab auf jene Stadt, wo Schön-Lenchen gewohnt, die er so sehr geliebt.
Das ist die Geschichte vom steinernen Bildnis auf dem Münster zu Straßburg.