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5. Das Schicksal der Gott entfremdeten Seelen

Phädon Kap. 30-31. Stephanus I, pag. 81 B-82 B,

Personen des Gesprächs: Sokrates; Kebes.

Ort und Zelt, wie vorher

Kap. 30. Sokrates. »Wenn die Seele befleckt und ungeläutert von dem Leibe scheidet, weil sie immer mit ihm verkehrte, ihm zu Diensten war, ihn liebte und sich von seinen Begierden und Lüsten betören ließ, so daß sie nichts anderes für wahr hielt als das Körperliche, als das, was man mit Länden greifen und sehen, trinken und essen kann und was die Freuden der Liebe schafft, das dem leiblichen Auge Verborgene aber und Unsichtbare, das, was mit dem Denken zu erfassen und durch die Philosophie zu erreichen ist, zu hassen, zu fürchten und zu fliehen gewohnt war, glaubst du von einer so beschaffenen Seele, sie werde lauter und rein abscheiden?« – »Ganz und gar nicht«, erwiderte Kebes. – »Vielmehr durchsetzt von dem Körperlichen, meine ich, das der Verkehr mit dem Leibe und das Lasten an ihm infolge der ununterbrochenen Dauer dieses Zusammenseins und der vielfachen Sorge um ihn mit ihr verwachsen ließ.« – »Gewiß.« – »Man muß aber glauben, daß dies herabzieht und schwer, der Erde verwandt und sichtbar ist; infolgedessen wird eine solche Seele schwer und wird wieder zu dem Gebiete des Sichtbaren gezogen, und aus Furcht vor dem Unsichtbaren und dem unsichtbaren Gotte irrt sie, wie man sagt, um Denkmäler und Gräber umher, an denen auch manche schattenhaften Erscheinungen von Seelen wahrgenommen wurden, wie sich solche Seelen darstellen, die sich nicht rein von dem Körper gelöst haben, sondern behaftet mit dem Sichtbaren, infolge dessen sie auch sichtbar sind.« – »Natürlich, mein Sokrates.« – »Gewiß ist das natürlich, lieber Kebes, und ebenso sind dies natürlich auf keinen Fall die Seelen der Guten, sondern der Schlechten, die gezwungen werden, an solchen Orten umherzuirren, um für ihren früheren schlechten Lebenswandel zu büßen; und sie irren so lange umher, bis sie infolge der Sehnsucht des ihnen innewohnenden Körperlichen wieder in einen Körper gebunden werden.«

Kap. 31. »Gebunden aber werden sie naturgemäß in Geschöpfe von einem solchen Charakter, wie sie ihn auch im Leben betätigt haben.« – »Welcherlei Geschöpfe meinst du damit, Sokrates?« – »Diejenigen, die sich der Völlerei, Ausschweifungen und der Trunksucht ohne alle Scham und Scheu ergeben haben, die kommen naturgemäß in die Klasse der Esel und anderer Tiere von dieser Art. Oder meinst du nicht?« – »Gewiß ist das, was du sagst, ganz naturgemäß.« – »Die aber, die ungerechte Taten, Gewaltherrschaften und Räubereien über alles geschätzt haben, in die Klasse der Wölfe, Habichte und Geier? Oder wohin sonst, meinen wir, kommen solche?« – »Ganz gewiß«, sagte Kebes, »kommen sie in solche Gestalten.« – »Es ist nun klar, in welche Arten von lebenden Wesen außerdem noch jegliche Seelen kommen entsprechend ihrer eigenen Lebensführung?« – »Allerdings ist das klar«, sagte er; »wie sollte es denn nicht?« – »Sind nun nicht von diesen die am glücklichsten und kommen an den besten Ort, die das geübt haben, was man im Volke und im bürgerlichen Leben unter Tugend versteht, die Tugend der Mäßigung und Gerechtigkeit, wie man sie bekanntlich nennt, nämlich eine solche, die durch Gewöhnung und Übung entstanden ist ohne Philosophie und vernünftiges Nachdenken?« – »Inwiefern sind denn diese die Glücklichsten?« – »Weil diese naturgemäß wieder in eine solche gesellige und zahme Gattung von Tieren eintreten, etwa in die Gattung der Bienen oder Wespen oder Ameisen oder auch wiederum in dieselbe wie vorher, in die Gattung der Menschen, und ganz ordentliche Männer aus ihnen werden.« – »Das ist das Naturgemäße.«

Kap. 32. »Unter die Götter aber zu kommen ist keinem gestattet, der nicht nach der Weisheit getrachtet hat und vollkommen rein abscheidet, sondern nur den Freunden der Erkenntnis.«

Das Wohl und Wehe des Menschen hängt von seiner geistigen und sittlichen Bildung ab. Nur der Gute kann hier glücklich und nach dem Tode selig werden. Aristoteles bezeichnet es als die Aufgabe des Staates, seine Bürger gut und glücklich zu machen. Das war auch Platos Überzeugung. Aber dieses Ziel kann nur ein guter Staat erreichen. Darum hat Plato von früher Zeit an bis ans Ende seines Lebens mit Ernst über das Wesen des Staates und seine beste Gestaltung nachgedacht und hat zwei grosse Werke darüber geschrieben. Das frühere von diesen, das er auf der Höhe seines Schaffens verfasst hat, sind die 10 Bücher vom Staate. Die Grundzüge der in ihm gegebenen Schilderung des Idealstaates führt Plato selbst im Anfange seines Timäus vor.


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