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3. Gott, der Schöpfer der Welt

Timäus Kap. 5-16, Stephanus III, pag. 27 C-47 E (Teilweise gekürzt).

Personen des Gesprächs: Timäus, ein Pythagoreer, bedeutend als Philosoph und als Staatsmann; Sokrates.

Ort der Unterredung unbestimmt. – Zeit der Unterredung: Das Jahr 410 v. Chr.

Kap. 5. Timäus. Mein Sokrates! alle, die nur ein wenig vernünftige Überlegung besitzen, rufen doch wohl jedesmal bei dem Beginn eines Werkes, gleichviel ob eines kleinen oder eines großen, die Gottheit an; da wir aber von dem All reden wollen, wie es entstanden ist oder auch ungeworden von Ewigkeit her ist, so müssen wir, wenn wir nicht ganz in der Irre gehen, Götter und Göttinnen anrufen und zu ihnen flehen, daß unsere ganze Rede vor allem ihnen wohlgefällig, sodann aber auch uns recht sei. Und dieses Gebet mag an die Götter gerichtet sein, uns aber müssen wir zurufen, so zu sprechen, wie ihr es am leichtesten erfaßt, ich aber am besten meine Gedanken über unseren Gegenstand darzulegen vermag.

Meiner Ansicht nach muß zunächst festgestellt werden: Was ist das, was immer ist, dem Werden aber nicht unterliegt, und was ist das, was immer wird, aber niemals ist? Das nun, was mit dem Denken vermittelst der Vernunft erfaßbar ist, ist das ewig unwandelbar Seiende, das aber, wovon wir uns vermittelst einer vernunftlosen Sinneswahrnehmung nur eine Meinung bilden, ist das, was entsteht und vergeht, ein wahrhaftes Sein aber niemals hat. Alles Entstehende aber muß notwendig von irgendwelcher Ursache hervorgebracht werden, denn ein Entstehen ohne Ursache ist überhaupt unmöglich. Wes Gestalt und Wesen nun der Werkmeister bildet, indem er den Blick auf das ewig Unwandelbare richtet und solches zum Vorbilde nimmt, das muß unbedingt alles hierdurch schön vollendet werden, wobei er aber auf das Entstandene schaut und etwas Gewordenes sein Vorbild ist, das kann nicht schön werden. Bei dem All nun oder der Welt – oder welcher Name ihm sonst der genehmste ist, der soll ihm gegeben werden – muß man zunächst die Frage aufwerfen, die den Ausgangspunkt einer jeden Untersuchung bilden muß, ob es immer war, ohne jeglichen Anfang der Entstehung, oder ob es geworden und von irgend einem Anfange ausgegangen ist. Es ist geworden; denn es ist sichtbar und hat einen Leib, alles derartige aber ist sinnlich wahrnehmbar, das sinnlich Wahrnehmbare aber, von dem wir uns auf Grund von Sinneswahrnehmungen Vorstellungen und Meinungen bilden, erschien uns als werdend und geworden. Das Gewordene aber, sagen wir, muß immer von einer Ursache hervorgebracht sein. Den Schöpfer und Vater des Weltalls zu finden ist schwer, und hat man ihn gefunden, ihn allen zu verkünden, unmöglich. Hinsichtlich der Welt muß nun wiederum gefragt werden, nach welchem der beiden Vorbilder sie ihr Baumeister bereitete, ob nach dem in vollkommener Gleichheit Beharrenden oder nach dem Gewordenen. Wenn nun diese Welt schön ist und ihr Baumeister gut, so schaute er offenbar nach dem Ewigen; wenn aber nicht – doch das darf man nicht einmal aussprechen – nach dem Gewordenen. Einem jeden ist es also klar, daß er nach dem Ewigen blickte; denn die Welt ist das Schönste von allem Entstandenen, er der beste aller Urheber. So ist sie denn bereitet, gebildet nach dem, was mit der Vernunft und dem Denken erfaßt wird und in ewiger Gleichheit verharrt. Da dies feststeht, so muß diese Welt ganz unbedingt das Abbild von etwas sein. Bei jeder Sache ist es das Wichtigste, einen naturgemäßen Anfang zu gewinnen. Rücksichtlich des Abbildes nun und seines Urbildes muß festgesetzt werden, daß die Reden dem, was sie erläutern sollen, auch verwandt sein müssen. Hieraus ergibt sich, daß die Darlegungen des Bleibenden und Unwandelbaren, das durch die Vernunft uns klar wird, bleibend und unveränderlich, und soweit es möglich ist, unwiderleglich und unantastbar sein müssen und in dieser Beziehung nichts vermissen lassen dürfen; dagegen können die Darlegungen des jenem Nachgebildeten, das nur ein Abbild ist, nur wahrscheinlich sein und müssen sich ihrem Gegenstande entsprechend verhalten. Denn gerade so wie das Sein zum Werden sich verhält, verhält sich die Wahrheit zum Glauben. Es haben nun schon viele, lieber Sokrates, vieles über die Götter und die Entstehung des Weltalls gesagt, trotzdem wundere dich nicht, wenn ich nicht imstande sein sollte, eine in jeder Beziehung mit sich vollkommen übereinstimmende und dem Gegenstande ganz genau entsprechende Darstellung zu geben, sondern wenn die Darstellung, die ich biete, nicht weniger wahrscheinlich ist als die irgend eines anderen, so müßt ihr damit zufrieden sein, eingedenk dessen, daß ich, der Redende, und ihr, die Richter, schwache Menschen sind. Daher ist es nur recht und billig, daß ihr die wahrscheinliche Darlegung dieser Dinge gelten laßt und darüber hinaus nichts weiter verlangt.

Kap. 6. Sokr. Ganz vortrefflich, lieber Timäus, und so wie du es haben willst, ist es ganz annehmbar. Dein Vorspiel haben wir voll Bewunderung angehört, trag uns nun auch dein Lied nacheinander bis zu Ende vor!

Tim. Sagen wir nun, aus welchem Grunde der Baumeister der Welt sie ins Dasein gerufen und zu einem Ganzen wohl gefügt hat! Er war gut, einen Guten aber wandelt niemals und in keiner Beziehung irgend welcher Neid an. Da er nun frei von Neide war, wollte er, daß alles so viel als möglich ihm ähnlich werde. Wer also einsichtsvollen Männern glaubt, daß dies der eigentliche Grund der Entstehung der Welt ist, der hat den rechten Glauben. Denn da Gott wollte, daß alles gut, schlecht aber womöglich gar nichts sei, so führte er die ganze Masse des Sichtbaren, die er nicht im Zustande der Ruhe, sondern in wirrer und regelloser Bewegung vorfand, aus der Unordnung in die Ordnung, in der Überzeugung, diese sei durchaus besser als jene. Dem Besten aber war es und ist es nicht gestattet, etwas anderes zu tun als das Schönste. Durch Überlegung nun fand er, daß aus dem Bereiche des seiner Natur nach Sichtbaren, als Ganzes dem Ganzen gegenübergestellt, kein vernunftloses Werk jemals schöner sein werde als ein mit Vernunft begabtes, daß aber Vernunft ohne Seele keinem Dinge zuteil werden kann. Infolge dieser Überlegung bildete er Vernunft einer Seele, die Seele aber einem Leibe ein und fügte so das Weltall zusammen, auf daß er das seiner Natur nach möglichst schönste und beste Werk vollendete. Und so kann man denn mit Wahrscheinlichkeit behaupten, daß diese Welt durch die Fürsorge Gottes zu einem in Wahrheit beseelten und vernünftigen Organismus geworden ist.

Nachdem wir dieses festgestellt haben, müssen wir das unmittelbar sich hieran Anschließende besprechen, nach welchem der lebenden Wesen der Meister die Welt gebildet hat. Nach einem, das seiner Natur nach nur ein Teil ist, wollen wir nicht glauben; denn niemals wird etwas schön werden, was etwas Unvollkommenem gleicht; wir wollen vielmehr annehmen, daß es dem am allerähnlichsten ist, wovon die anderen lebenden Wesen als Individuen und ihren Gattungen nach Teile sind. Denn jenes umfaßt alle Wesen, die dem Reiche der Gedanken angehören, ebenso wie die uns umgebende Welt uns und alle sichtbaren Geschöpfe. Denn indem Gott die Welt dem Schönsten und in jeder Beziehung Vollkommenen im Reiche der Gedanken ähnlich machen wollte, schuf er sie als einen einzigen sichtbaren Organismus, der alle lebenden Wesen, die von Natur ihm verwandt sind, in sich befaßt. Haben wir sie nun mit Recht eine Welt genannt, oder wäre es richtiger gewesen, von vielen und unzähligen Welten zu reden? Von einer, wenn anders sie nach ihrem Vorbilde bereitet sein soll. Denn das, was alle Wesen im Reiche des Denkens in sich faßt, kann niemals ein zweites neben einem anderen sein; denn es müßte wiederum ein anderes jene beiden umfassendes Wesen geben, von dem diese Teile wären, und man würde nun richtiger sagen, die Sinnenwelt sei nicht jenen beiden, sondern dem sie Umfassenden nachgebildet. Damit nun diese Welt als einzig in ihrer Art dem vollkommenen Wesen ähnlich sei, aus diesem Grunde hat der Schöpfer nicht zwei noch unendlich viele Welten geschaffen, sondern diese Welt ist als eine einzige und alleinige Welt entstanden, ist es und wird es auch in Zukunft sein.

Kap. 7. Das Gewordene muß nun körperlich, sichtbar und tastbar sein. Ohne Feuer jedoch kann niemals etwas sichtbar werden, auch nicht tastbar ohne etwas Festes, fest aber nicht ohne Erde. Als daher Gott den Leib des Alls zusammenzusetzen begann, wollte er ihn aus Feuer und Erde bilden. Daß aber zwei Dinge allein ohne ein drittes in der rechten Weise sich verbinden, ist nicht möglich, denn zwischen sie muß ein beide verbindendes Band treten. Das schönste aller Bänder ist aber das, das sich und die von ihm verbundenen Dinge so viel als möglich vereint. Das auf das schönste zu bewirken, liegt in der Natur der Proportion. Wenn nun der Leib des Alls eine Fläche ohne Tiefe hätte werden sollen, so hätte ein Mittleres genügt, das zu ihm Gehörige untereinander und sich selbst mit ihm zu verbinden. So aber sollte die Welt ein Körper sein, Körper aber werden niemals durch ein, sondern immer nur durch zwei Mittelglieder geeint. So stellte denn Gott in die Mitte zwischen Feuer und Erde Wasser und Luft und brachte sie, so weit als möglich, in dasselbe Verhältnis zueinander, so daß sich das Feuer zur Luft verhält, wie die Luft zum Wasser, und die Luft zum Wasser, wie das Wasser zur Erde. Auf diese Weise verband er die Welt und gestaltete sie zu einer sichtbaren und tastbaren. Um solcher Gründe willen wurde der Leib der Welt aus diesen Wesenheiten geschaffen, die von der angegebenen Art und der Zahl nach vier sind, und durch die Proportion in Übereinstimmung mit sich gebracht. Infolgedessen waltete Freundschaft in ihm, so daß er sich mit sich selbst zusammenschloß und für jeden andern unauflösbar wurde außer für den, der ihn zusammengefügt hatte.

Gott verbrauchte allen vorhandenen Stoff zur Bereitung der Welt. Damit war jede Störung von aussen ausgeschlossen, und die Welt war sich selbst genug. Sie erhielt eine kugelförmige Gestalt, weil es eine andere ebenso vollkommene und in sich abgeschlossene nicht gibt. Ihre Bewegung ist die in sich selbst zurückkehrende Achsendrehung.

Kap. 8. Diese ganze Erwägung nun des ewigen Gottes über den Gott, der noch werden sollte, schuf diesem einen glatten, ebenmäßigen, von der Mitte nach allen Seiten hin gleichen, ganzen, vollkommenen und aus vollkommenen Körpern bestehenden Leib. Die Seele aber setzte er in seine Mitte, dehnte sie durch das All aus und umhüllte mit ihr seinen Leib noch von außen, und so schuf er die Welt zu einem im Kreise sich drehenden Kreis, zu einem, alleinigen, einsamen, der wegen seiner Vortrefflichkeit mit sich selbst umzugehen vermag und keines anderen bedarf, mit sich selbst vollkommen bekannt und befreundet. Durch alles das nun schuf er die Welt zu einem seligen Gotte.

Die Seele aber hat Gott nicht so, wie wir jetzt von ihr an späterer Stelle zu reden versuchen, als die jüngere bereitet, denn nicht würde er es zugelassen haben, daß das Ältere von dem Jüngeren, mit dem er es verband, beherrscht würde, sondern wir, die wir vielfach von dem Zufalle und dem Ungefähr abhängig sind, reden wohl auch so, er aber schuf die Seele der Entstehung und Vortrefflichkeit nach dem Leibe gegenüber als die frühere und ältere, aus daß sie seine Herrin und Gebieterin sei, der er zu gehorchen habe.

Gott teilte die ganze unsichtbare Seelensubstanz nach den Grundzahlen des harmonischen und astronomischen Systems und stellte damit ein Gerüste von Ringen und Kugelschalen her, die den Bewegungen der Himmelskörper Richtung und Halt geben sollten, und von strahlenförmig vom Mittelpunkte aus allerwärts nach aussen sich erstreckenden Kraftlinien.

Kap. 9. In dieses unsichtbare, lebendige und bewegte Gerüste wurde der stoffliche, sichtbare Weltbau hineingezimmert. Damit begann zugleich für die Seele ein Leben endloser Denktätigkeit.

Kap. 10. Als nun der Vater, der das All geschaffen hatte, sah, wie es bewegt und belebt und ein Abbild der ewigen Götter geworden war, da freute er sich, und in seiner Freude sann er darauf, es seinem Urbilde noch ähnlicher zu machen. Wie nun dieses ein ewiger Organismus ist, so unternahm er es, auch sein Abbild nach Möglichkeit zu einem solchen zu vollenden. Die Idee des Organismus, die das Vorbild für diese Welt war, war ewig. Es war aber nicht möglich, dem Geschaffenen ewiges Sein ganz anzufügen. Er beschloß daher ein bewegtes Abbild des Ewigen zu schaffen, und indem er dabei zugleich den Himmel vollständig ordnete, schuf er von der in der Einheit verharrenden Ewigkeit ein in Zahlenverhältnissen fortschreitendes unvergängliches Abbild, eben das, was wir Zeit genannt haben. Denn Tage und Nächte, Monate und Jahre gab es nicht vor der Entstehung der Welt, sondern damals, als er diese bildete, rief er sie mit ins Dasein. Diese aber alle sind Teile der Zeit, und das »Es war« und »Es wird sein« sind gewordene Formen der Zeit, die wir, ohne es zu merken, mit Anrecht auf das ewige Sein übertragen. Wir sagen ja von ihm, daß es war, ist und sein wird, dem aber kommt nach der wahren Redeweise nur das »Es ist« zu, während »Es war« und »Es wird sein« von dem in der Zeit fortschreitenden Werden passend gebraucht wird. Denn beides sind Bewegungen, was sich aber unbeweglich immer in derselben Weise verhält, das kann weder älter noch jünger durch die Zeit werden, noch ehemals oder auch jetzt geworden sein, auch nicht in Zukunft werden, und überhaupt kommt ihm nichts zu von allem, was das Werden den Dingen der Sinnenwelt angefügt hat, sondern das sind Formen der Zeit, die die Ewigkeit nachahmt und in Zahlenverhältnissen im Kreislaufe sich fortbewegt.

Kap. 11. Um die Zeit entstehen zu lassen, schuf Gott Sonne, Mond und die fünf anderen Planeten. Eine besondere Bedeutung unter ihnen kommt der Sonne zu, deren Licht den ganzen Weltenraum erleuchtet und abwechselnd Tag und Nacht erscheinen lässt. Damit macht die Sonne den Verlauf der Zeit am augenfälligsten und gibt so zum Zählen und Rechnen den kräftigsten Anstoss. Kap. 12. Doch hatte die Welt die Ähnlichkeit mit ihrem Urbilde nicht vollständig erreicht, weil sie noch nicht alle lebenden Wesen, die in jenem waren, in sich enthielt. Von ihnen gibt es vier Arten: 1. die am Himmel, 2. die in der Luft, 3. die im Wasser und 4. die auf der festen Erde lebenden Wesen. Die himmlischen Wesen bildete er grösstenteils aus Feuer, damit sie möglichst glänzend und schön anzuschauen wären; zugleich verlieh er ihnen die Gestalt des Alls, die Kugelgestalt. Sie sind beseelte und denkende Wesen, Götter. Zu ihnen gehören die oben erwähnten Gestirne, die geschaffen wurden, um die Zeit hervorzubringen. Andere Sterne wurden zum bunten Schmucke für das Weltall an den äussersten Umkreis, den Fixsternhimmel, versetzt, wo sie, ein jeder sich selbständig in stiller Beschaulichkeit um seinen Mittelpunkt bewegend, zugleich auch miteinander von dem allgemeinen Umschwunge rings um die Weltachse herumgeführt werden, ewige Götter noch höherer Ordnung als die sich innerhalb der Weltkugel bewegenden Gestirne, die vorher geschildert worden sind. Die Erde aber, unsere Ernährerin, welche um die durch das All gezogene Achse herumgeballt ist, bildete er zur Wächterin und Werkmeisterin von Tag und Nacht als die erste und älteste von den Gottheiten, so viele ihrer innerhalb des Weltgebäudes entstanden sind.

Das Folgende zeigt deutlich, wie sich Plato zu der Volksreligion stellt. Aus sittlich-religiösen Gründen will er dem Volke seinen Glauben lassen; er tastet also diesen Glauben nicht an, bezeichnet ihn sogar als einen durch die Überlieferung begründeten, aber er kann ihn nicht teilen.

Kap. 13. Aber die übrigen göttlichen Wesen zu sprechen und ihren Ursprung zu erkennen, übersteigt unsere Kraft, wir müssen aber denen glauben, die vordem hierüber gesprochen haben, da sie Nachkommen von Göttern sind, wie sie sagten, und doch wohl ihre Vorfahren genau gekannt haben. Es ist also unmöglich, den Söhnen von Göttern nicht zu glauben, obwohl sie ohne wahrscheinliche und zwingende Beweise reden, aber da sie sagen, daß sie Vorkommnisse in ihrer Familie berichten, so muß man ihnen glauben, gehorsam dem Gesetze. Also soll, ihren Berichten entsprechend, die Entstehung dieser Götter von uns folgendermaßen aufgefaßt und angegeben werden: Kinder der Ge und des Uranos (der Erde und des Himmels) waren Okeanos und Tethys, dieser Kinder Phorkys, Kronos, Rhea und alle, die mit ihnen entstanden, von Kronos und Rhea aber entstammten Zeus und Hera und alle, die, wie wir wissen, ihre Geschwister genannt werden, sowie noch andere Abkömmlinge dieser.

Als nun aber alle Götter, sowohl die, welche sichtbar ihre Bahnen durchwandeln, als auch die, welche nur so weit erscheinen, als sie selbst wollen, ins Leben gerufen waren, da spricht zu ihnen der Schöpfer der Welt also: »Erhabene Götter, deren Urheber ich bin und damit Vater von Werken, die, durch mich geworden, unauflösbar sind, da dies mein Wille ist. Allerdings ist alles Zusammengefügte lösbar, aber was schön geeint und wohl beschaffen ist, das kann nur ein Schlechter auflösen wollen. Daher seid auch ihr, die ihr ja entstanden seid, nicht unbedingt unsterblich und unauflösbar, trotzdem werdet ihr auf keinen Fall aufgelöst werden noch das Schicksal des Todes schauen, denn ihr habt an meinem Willen ein noch stärkeres und mächtigeres Band gewonnen, als die Bänder sind, mit denen ihr bei eurer Entstehung zusammengebunden wurdet. So merket nun auf meine Worte und auf mein Geheiß! Noch fehlen sterbliche Geschlechter, drei, die noch nicht geschaffen sind. Entstehen diese nicht, so wird die Welt unvollständig bleiben, denn sie wird nicht alle Arten lebender Wesen in sich schließen, und doch muß sie das, wenn sie ganz vollständig sein soll. Wenn aber diese durch mich entstünden und Leben erhielten, so würden sie den Göttern gleich sein. Damit sie nun sterblich werden und dieses All in Wirklichkeit ein All sei, so geht ihr, wie es naturgemäß ist, an die Schöpfung lebender Wesen, indem ihr meine Wirksamkeit bei eurer Entstehung nachahmt. Was aber an ihnen verdient, den Unsterblichen gleichnamig zu sein, was göttlich genannt wird und dem gebietet, was in ihnen dem Rechte und euch jederzeit zu gehorchen bereit ist, dazu will ich euch Samen und Keime übergeben. Im übrigen aber bereitet und schafft ihr die lebenden Wesen, zu dem Unsterblichen Sterbliches webend, und laßt sie durch Darreichung von Nahrung aufwachsen, und wenn sie hinschwinden, so nehmt sie wieder in euerem Schoße auf!«

Kap. 14. So sprach er und goß wiederum in den früheren Mischkessel, in dem er die Weltseele zusammengemischt hatte, die von vorher übrigen Bestandteile. Er mischte sie so ziemlich auf dieselbe Weise, aber er nahm sie nicht mehr von derselben gleichmäßigen Reinheit, sondern sie waren zweiten und dritten Grades. Nach der Vereinigung dieser Bestandteile teilte er diese ganze Seelensubstanz in ebenso viele Seelen, als es Sterne gibt, und wies einem jeden eine zu, und nachdem er sie gleichwie auf ein Fahrzeug gesetzt hatte, zeigte er ihnen die Natur des Weltalls und verkündete ihnen die unabänderlichen Gesetze des Schicksals. Das erste Entstehen werde für alle ein und dasselbe sein, auf daß keine von ihm benachteiligt werde; sodann sollten sie, ausgestreut auf die ihnen bestimmten Werkzeuge der Zeit, unter den Geschöpfen das gottesfürchtigste werden; da aber die Natur des Menschen eine doppelte wäre, so wäre das bessere Geschlecht das, welches auch in Zukunft Mann heißen werde. Sobald sie aber der Notwendigkeit entsprechend in Leiber gepflanzt wären und das eine hinzu käme, das andere aber von ihren Leibern sich absonderte, so müßte erstens sich ihnen allen eine und dieselbe Sinneswahrnehmung infolge von gewaltsamen Erregungen zugesellen, zweitens Liebe gepaart mit Lust und Unlust, außerdem Furcht und Zorn und alles, was daraus hervorgeht und entgegengesetzter Natur ist. Wenn sie über diese Erregungen die Herrschaft gewönnen, so würden sie ihr Leben in Gerechtigkeit hinbringen, ließen sie sich aber von ihnen beherrschen, in Ungerechtigkeit. Und wer die ihm zugemessene Lebenszeit wohl verbracht habe, der werde wieder zu der Behausung des Sternes zurückkehren, dem er zugesellt gewesen, und werde da ein glückseliges und ihm vertrautes Leben führen, wer aber das verfehle, der werde sich bei dem zweiten Werdeprozesse in die Natur eines Weibes verwandeln; höre er aber auch hier noch nicht mit seiner Schlechtigkeit auf, so werde er in der Weise, wie er sich verändere, in Anpassung an den Charakter, der sich in ihm gebildet, jedesmal in eine solche tierische Natur übergehen und werde in steter Verwandelung nicht eher an das Ziel seiner Leiden gelangen, als bis er den vernünftigen Bewegungen in ihm folgend der vielen wirren und vernunftlosen Masse, die später aus Feuer, Wasser, Luft und Erde sich ihm angesetzt hat, durch die Vernunft Herr geworden, zu der Weise seiner ersten und besten Beschaffenheit zurückkehrt.

Als er ihnen alle diese Gesetze verkündet hatte, damit er an der späteren Schlechtigkeit jeglicher unschuldig wäre, säte er sie aus, die einen auf die Erde, die anderen auf den Mond, die noch übrigen auf die anderen Werkzeuge der Zeit. Nach der Aussaat aber übergab er es den jungen Göttern, sterbliche Leiber zu bilden, und was noch an der menschlichen Seele fehlte und noch hinzukommen mußte, das und alles damit Zusammenhängende herzustellen und dann die Herrschaft zu führen und das sterbliche Geschöpf so schön und gut als möglich zu lenken, soweit es nicht selbst die Schuld an seinen Übeln treffe.

Kap. 15. Nachdem er dies alles angeordnet hatte, verharrte er in dem seinem Wesen entsprechenden Zustande der Ruhe. Während er aber so verharrte, gehorchten die Söhne der Anordnung des Vaters, auf die sie wohl gemerkt hatten. Sie übernahmen den unsterblichen Anfang des sterblichen Geschöpfes, entlehnten in Nachahmung ihres Schöpfers Teile von Feuer, Erde, Wasser und Luft von der Welt, der sie wieder gegeben werden sollten, arbeiteten die entnommenen Teile in eins zusammen, indem sie sie nicht mit den unlösbaren Banden, von denen sie selbst zusammengehalten wurden, sondern mit einer Menge infolge ihrer Kleinheit unsichtbarer Stifte zusammenfügten und aus allen Bestandteilen jedesmal einen Körper bereiteten, und banden darauf die Umläufe der unsterblichen Seele in einen Leib, dem fortgesetzt Teile zuströmen und entweichen.

Alles Denken ist Bewegung des Geistes und alles vernünftige Denken harmonische Bewegung desselben. Diese harmonischen Bewegungen des Geistes wurden durch den Eintritt des Geistes in einen irdischen Leib und damit in die Sinnenwelt auf das äusserste gestört und verwirrt. Schon die Ernährung wirkt störend auf den Geist ein, noch heftiger aber sind die Erschütterungen, die durch die Sinneswahrnehmungen hervorgerufen werden. Durch Feuer, Erde, Wasser und Luft, die mit dem Körper in Berührung kommen, werden Bewegungen erregt, die durch den Körper hindurch fortgeführt werden, bis sie die Seele finden. Infolge aller dieser Einwirkungen und Erschütterungen wird die Seele, sobald sie in den sterblichen Leib eingetreten ist, im Anfange und jetzt unvernünftig und ist sich ihrer und ihres göttlichen Inhaltes nicht mehr bewusst. Sobald aber der Strom des Wachstums und der Ernährung in geringerem Masse zufliesst, dann bekommen die Bewegungen der Seele wieder Ruhe, sie schlagen wieder ihren eigenen Weg ein und befestigen sich auf ihm im Verlaufe der Zeit immer mehr. Kommt dann noch die rechte geistige Ausbildung zu Hilfe, dann wird der Mensch tadellos und gesund und ist der grössten Krankheit entflohen. Hat er dies aber verabsäumt, so legt er hinkend die Lebensbahn zurück und gelangt dann unvollkommen und unverständig wieder in den Hades. Dies geschieht einst in späterer Zeit. Jetzt muss die Entstehung des Körpers und der Seele nach ihren einzelnen Teilen durchgegangen und dabei erörtert werden, aus welchen Ursachen und aus welcher Absicht der Götter sie entstanden sind.

Kap. 16. Die göttlichen Umläufe der Seele, deren zwei sind, banden die Götter in Nachahmung der runden Gestalt des Weltalls in einen kugelförmigen Körper, den wir jetzt Kopf nennen und der das Göttlichste ist und über alles in und an uns gebietet. Ihm übergaben sie auch den ganzen Leib, in dem sie ihm eine Dienerschaft zusammengebracht hatten, in der Erwägung, er werde an allen Bewegungen, so viele ihrer entstünden, teilhaben. Damit er nun nicht, sich hinwälzend auf der Erde mit ihren Höhen und Tiefen aller Art, Schwierigkeiten habe, die einen zu überschreiten und aus den anderen herauszukommen, gaben sie ihm den Leib zu einem Fahrzeuge und Hilfsmittel für den Weg. Infolgedessen erhielt der Körper Länge und ließ vier ausstreckbare und biegsame Glieder wachsen, da Gott Werkzeuge der Bewegung ausgesonnen hatte, mit denen er sich anhalten und aufstützen und so durch alle möglichen Orte gehen kann, den Wohnsitz des Göttlichsten und Heiligsten von uns oben tragend. Schenkel also und Lände wuchsen auf diese Weise und aus solchen Gründen allen an. Da aber die Götter die vordere Seite für edler und zur Herrschaft geeigneter erachteten als die hintere, so gaben sie unserem Gange vorherrschend diese Richtung. Demnach mußte der Mensch einen Körper haben, dessen vorderer Teil von dem anderen unterschieden und ihm unähnlich ist. Deshalb verlegten sie erstens das Antlitz an der Wölbung des Hauptes nach vorn, befestigten in ihm die Werkzeuge für die gesamte überlegende Tätigkeit der Seele und ordneten an, dieses, das naturgemäße Vorn, solle die Leitung haben. Von den Werkzeugen aber bauten sie zuerst die lichtvollen Augen.

Es folgt nun eine Erklärung des physikalischen Vorganges des Sehens und mit ihm in Verbindung stehender Erscheinungen. Hierbei handelt es sich nicht um den Nachweis der Zweckursache, sondern um die realisierenden Mittel, die von Plato als »Mitursachen« oder Hilfsursachen bezeichnet werden. Der eigentliche Grund ist und bleibt der Zweck, der in und mit der Idee gegeben ist, d. h. in und mit dem Gedanken, den Gott zur Darstellung bringen wollte. Daher kehrt Plato von der physikalischen Betrachtung zu der idealen zurück.

Dieses alles gehört zu den Hilfsursachen, von deren Dienste Gott Gebrauch macht, um den Gedanken des Besten so viel als möglich zur Durchführung zu bringen. Die meisten halten aber nicht für Hilfsursacken, sondern für die eigentlichen Ursachen aller Dinge das, was kalt und warm, was fest und flüssig macht und alle diese Wirkungen hervorbringt, Überlegung aber und Vernunft in keiner Beziehung haben kann. Denn dasjenige, dem allein von den Dingen es zukommt, Vernunft zu besitzen, muß man Seele nennen; diese aber ist unsichtbar, dagegen sind Feuer, Wasser, Erde, Luft insgesamt sichtbare Körper geworden. Der Freund von Vernunft und Wissenschaft muß den Gründen des vernünftigen Wesens nachgehen und muß in ihnen das Erste erblicken, in allen den Ursachen aber, die von anderem hervorgebracht werden, was bewegt wird und notwendigerweise wieder anderes bewegt, ein Zweites. In derselben Weise müssen auch wir verfahren; anführen müssen wir beide Arten von Ursachen, aber die, welche in Verbindung mit der Vernunft Schönes und Gutes schaffen, gesondert von denen, die der Einsicht bar ohne Ordnung und Regel jedesmal das Hervorrufen, was der Zufall mit sich bringt. Die Hilfsursachen also, die bei den Augen mitgewirkt haben, daß sie ihre jetzige Kraft erhielten, mögen erörtert sein; ihre in Einsicht auf den Nutzen größte Aufgabe aber, um derentwillen sie uns Gott gegeben hat, soll nun erörtert werden. Das Gesicht ist uns nach meiner Ansicht die Ursache des größten Gewinnes insofern geworden, als von den jetzigen Erörterungen über das Weltall niemals eine einzige angestellt worden wäre, hätten wir weder die Sterne, noch die Sonne, noch den Himmel gesehen. So aber hat der Anblick von Tag und Nacht, von den Monden und den Umläufen der Jahre die Zahl in uns geschaffen und hat uns die Vorstellung von der Zeit und das Forschen nach der Natur des Alls verliehen. Infolge hiervon haben wir die Philosophie gewonnen, ein Gut, wie es größer dem sterblichen Geschlechte durch die Gnade der Götter weder zuteil geworden ist, noch jemals zufallen wird. Ich erkläre also das für das größte Gut, das uns die Augen gewähren. Die übrigen aber, die kleiner sind, wozu sollten wir die groß aufzählen, um die einer, der nicht zu den Freunden der Weisheit gehört, erblindet er, in eitler Klage jammert? Aber das soll von uns gesagt werden, daß uns Gott eben aus diesem Grunde das Gesicht erdacht und geschenkt hat, damit wir die Umläufe des Weltgeistes am Himmel wahrnähmen und von ihnen Gewinn hätten für die erschütterten Umläufe des Denkens in uns, die jenen unerschütterlichen verwandt sind, und nachdem wir sie vollkommen erkannt und die Berechnung ihres naturgemäßen regelmäßigen Ganges erreicht hätten, durch Nachahmung der vollkommen unentwegten Bahnen des Gottes die in die Irre geratenen Umläufe in uns in das rechte Geleis brächten.

Von dem Tone und dem Gehör gilt wiederum dasselbe Wort: sie sind zu demselben Zwecke und aus denselben Gründen von den Göttern geschenkt. Denn die Rede hat dieselbe Bestimmung und trägt einen großen Teil hierzu bei, und was von den musikalischen Tönen brauchbar ist, das ist für das Gehör der Harmonie wegen gegeben. Die Harmonie aber, die den Umläufen der Seele in uns verwandte Schwingungen in sich schließt, scheint dem vernünftigen Freunde der Musen nicht zu einem unvernünftigen Vergnügen da zu sein, wie man die Sache heutigen Tages betreibt, sondern sie ist uns von den Musen als Helferin gegeben, um die in uns unharmonisch gewordene Bewegung der Seele zu guter Ordnung und zum Einklänge mit sich zu bringen. Und andererseits wurde uns der Rhythmus wegen der maßlosen und der Anmut entbehrenden Beschaffenheit der meisten Menschen als eine Hilfe zu demselben Zwecke von Gott geschenkt.


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