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II. Die Sokratisch-Platonische Lehre

1. Die Sokratische Welt- und Lebensanschauung, der sophistischen gegenübergestellt

Gorgias Kap. 78 (Schluß)-83. Stephanus I, pag. 521 B-527 E.

Personen des Gesprächs: Sokrates; Kallikles.

Ort und Zeit sind dieselben wie vorher.

Kap. 76. Sokrates. Sage nicht, was du schon oft gesagt hast, ein jeder werde mich töten, der will, auf daß ich nicht erwidere: »Dann wird ein Schlechter einen Guten töten.« Sage auch nicht, er werde mir nehmen, was ich etwa habe, damit ich nicht erwidere: »Wenn er es genommen hat, wird er nicht wissen, was er damit anfangen soll, sondern, wie er es ungerechterweise genommen hat, so wird er auch einen ungerechten Gebrauch davon machen, wenn aber einen ungerechten, einen häßlichen, und wenn einen häßlichen, einen schlechten.«

Kap. 77. Kallikles. Wie groß erscheint deine Zuversicht, Sokrates, du werdest keines dieser Übel erleiden, gleich als ob du weit weg wohntest und nicht vor Gericht geladen wärest von einem zweifellos ganz schlechten und gemeinen Menschen!

Sokr. Dann müßte ich allerdings sehr unverständig sein, wenn ich nicht wüßte, daß in unserer Stadt einem jeden das größte Unrecht geschehen kann. Das jedoch weiß ich ganz bestimmt: Wenn ich vor Gericht komme und es sich um mein Leben und mein Eigentum handelt, so wird ein schlechter Mensch es sein, der mich vor Gericht zieht; denn kein guter Mensch wird einen Mann vor Gericht ziehen, der nichts begangen hat. Und es ist gar nicht auffällig, wenn ich zum Tode verurteilt werde. Soll ich dir sagen, aus welchem Grunde ich dies erwarte?

Kall. Jawohl.

Sokr. Ich glaube nur mit wenigen Athenern, um nicht zu sagen allein, mich mit der wahren Staatskunst zu befassen und allein unter unfern Zeitgenossen wirkliche Politik zu treiben. Da ich nun bei allen meinen Reden niemand nach dem Munde rede, sondern immer das Beste im Auge habe und nicht das Angenehmste, und da ich mich nicht entschließen kann, deiner Mahnung zu folgen und so schöne Dinge zu sagen, so werde ich vor Gericht nicht wissen, was ich sagen soll. Es kommt mir aber wieder dasselbe Wort in den Sinn, das ich zu Polos sprach: »Ich werde gerichtet werden, wie vor Kindern ein Arzt gerichtet würde, den ein Zuckerbäcker anklagt.« Erwäge nun, was ein solcher Mann, vor diese gestellt, zu seiner Verteidigung sagen könnte, wenn ihn einer mit folgenden Worten anklagte: »Liebe Kinder, der Mann hier hat euch viel Böses zugefügt, er hat euch geschnitten und gebrannt, hat euch gedörrt und geschmort, das bitterste Zeug zu trinken gegeben, und hat euch hungern und dürsten lassen, ganz anders als ich, der ich euch stets mit vielen Süßigkeiten aller Art traktiert habe.« Was würde wohl ein Arzt in einer so üblen Lage zu sagen haben? Und wenn er die Wahrheit sagte: »Das alles tat ich, ihr lieben Kinder, um euerer Gesundheit willen«, was für ein Geschrei würden wohl solche Richter erheben? Doch wohl ein großes?

Kall. Gewiß; wenigstens muß man es annehmen.

Kap. 78. Sokr. In einer solchen Lage werde auch ich mich befinden, wenn ich vor Gericht komme. Das weiß ich recht gut. Denn ich werde nicht imstande sein, Annehmlichkeiten anzuführen, die ich ihnen verschafft habe und die sie für Wohltaten und für einen Gewinn halten; ich aber beneide weder die, die solches verschaffen, noch die, denen solches verschafft wird; und wenn einer sagt, ich verderbe die Jugend dadurch, daß ich sie an allem irremache, oder ich schmähe die älteren Leute mit bitteren Worten im privaten und im öffentlichen Leben, so werde ich nicht die Wahrheit sagen können: »Alles das sage und tue ich mit Recht; denn es geschieht zu euerem Heile, sehr geehrte Richter«, und auch sonst werde ich nichts zu sagen haben. Und so werde ich wohl dulden müssen, was mir begegnet.

Kall. Scheint dir nun, mein Sokrates, ein Mann eine schöne Rolle im Staate zu spielen, wenn er sich in einer solchen Lage befindet und außerstande ist, sich zu helfen?

Sokr. Gewiß, wenn er nur das eine besitzt, lieber Kallikles, und er sich die Hilfe verschafft hat, daß er weder an Menschen noch an Göttern durch Wort oder Tat ein Unrecht begangen hat. Denn das ist die mächtigste Hilfe für den Menschen, wie wir wiederholt übereinstimmend erklärt haben. Wenn mir nun einer nachwiese, daß ich unvermögend sei, mir und einem anderen in der Weise zu Hilfe zu kommen, so würde ich mich schämen, möchte es mir vor vielen oder vor wenigen oder auch unter vier Augen nachgewiesen werden, und wenn ich infolge solches Unvermögens sterben müßte, so wäre mir das ein großer Schmerz; wenn ich aber aus Mangel an schmeichlerischer Beredsamkeit mein Ende finde, so wirst du mich den Tod leicht ertragen sehen, das weiß ich ganz gewiß. Denn das Sterben selbst fürchtet keiner, er müßte denn ganz unvernünftig und unmännlich sein, wohl aber die Sünde; denn daß die Seele beladen mit vielen Missetaten in den Hades kommt, das ist aller Übel äußerstes. Ist es dir recht, so will ich dir darlegen, daß dem so ist.

Kall. Du hast ja alles andere zu Ende geführt, so führe denn auch dies zu Ende.

Kap. 79. Sokr. Vernimm denn, so beginnt man ja gern, eine sehr schöne Erzählung, die du wohl für eine Fabel halten wirst, ich aber halte sie für eine wahre Geschichte, denn was ich sagen will, sage ich dir in der Überzeugung, daß es wahr ist.

Wie Homer erzählt, teilten Zeus, Poseidon und Pluto unter sich die Herrschaft, die sie von ihrem Vater überkommen hatten. Für die Menschen nun bestand unter Kronos das Gesetz, so wie es auch jetzt noch fortgesetzt göttliche Ordnung ist, daß ein Mensch, der in Gerechtigkeit und Frömmigkeit sein Leben hingebracht hat, auf die Inseln der Seligen kommt und dort in vollkommener Glückseligkeit wohnt frei von Übeln, daß dagegen die Ungerechten und Gottlosen in den Kerker der Vergeltung und Strafe kommen, den man bekanntlich Tartarus nennt. Unter Kronos und noch in den ersten Zeiten der Herrschaft des Zeus wurden sie lebend von Lebenden gerichtet, indem sie an dem Tage gerichtet wurden, an welchem sie sterben sollten. Infolge davon wurden die Urteile schlecht gefällt. Daher kamen Pluto und die Hüter auf den Inseln der Seligen zu Zeus und erklärten, zu ihnen kämen Menschen, die nach beiden Seiten hin ihren Spruch nicht verdienten. Da sprach Zeus: »Dem werde ich ein Ende machen. Falsche Urteile werden jetzt gefällt; denn umhüllt werden jetzt die gerichtet, die vor das Gericht kommen, da sie lebend gerichtet werden. »Viele,« fuhr er fort, »die schlechte Seelen haben, sind angetan mit schönen Leibern und mit Adel und Reichtum, und wenn sie gerichtet werden, kommen viele, um für sie Zeugnis abzulegen, sie seien in ihrem Leben gerecht gewesen. Die Richter lassen sich von diesen irre führen, zugleich richten sie selbst umhüllt, indem sie vor ihrer Seele Augen, Ohren und den ganzen Leib wie eine Hülle haben. Das alles ist ihnen hinderlich, die eigenen Umhüllungen und die derer, die gerichtet werden. Zuerst muß das aufhören, daß sie ihren Tod voraus wissen; denn jetzt wissen sie ihn vorher. Das ist auch schon Prometheus gesagt, auf daß er dem ein Ende mache. Sodann müssen sie von allen solchen Dingen entblößt gerichtet werden; sie müssen erst nach dem Tode gerichtet werden. Und auch der Richter muß entblößt sein, tot, indem er nur mit der Seele nur die Seele eines jeden betrachtet, nachdem der Tod unerwartet eingetreten ist, und alle seine Verwandten müssen fern sein, und er muß allen jenen Schmuck auf Erden zurückgelassen haben, damit das Urteil gerecht sei. Da ich nun das früher als ihr erkannt habe, so habe ich zu Richtern meine Söhne bestellt, zwei aus Asien, Minos und Rhadamanthys, und einen aus Europa, Äakus; diese werden nach ihrem Tode auf der heiligen Aue richten, an dem Dreiwege, von dem her zwei Wege weiterführen, der eine nach den Inseln der Seligen, der andere in den Tartarus. Und die aus Asien wird Rhadamanthys richten, die aus Europa aber Äakus; Minos werde ich das Ehrenamt übertragen, das entscheidende Urteil zu fällen, wenn die beiden anderen in Ungewißheit sind, auf daß die Entscheidung über den Weg, den die Menschen zu gehen haben, möglichst gerecht werde.«

Kap. 80. Das habe ich gehört, mein Kallikles, und halte es für wahr, und aus solchen Erzählungen ergibt sich nach meinen Erwägungen folgendes: Der Tod ist meines Erachtens nichts anderes als die Trennung zweier Dinge, der Seele und des Leibes, voneinander. Wenn sie sich nun voneinander getrennt haben, dann behält jedes von beiden seine Beschaffenheit, die es hatte, als der Mensch noch lebte, der Leib behält seine Natur, seine durch Lebensgewohnheiten entstandenen Eigenschaften und die Spuren seiner Leiden, alles ganz deutlich. Zum Beispiel, wenn der Leib eines Menschen bei seinen Lebzeiten von Natur oder infolge der Ernährung oder aus beiderlei Ursachen groß war, bei dem ist auch der Leichnam groß; und wenn er dick war, so ist auch der Leichnam dick, und so ist es auch in anderer Beziehung. Wenn einer gern langes Haar trug, so hat auch sein Leichnam langes Haar. Und wenn anderseits einer viel gegeißelt wurde und bei seinen Lebzeiten die Spuren von den Geißelhieben oder anderen Verwundungen an seinem Leibe trug, bei dem kann man auch nach seinem Tode den Leib damit behaftet sehen. Und wenn die Glieder eines bei seinen Lebzeiten gebrochen oder verrenkt waren, so ist das auch an dem Toten, sichtbar. Mit einem Worte, wie einer bei Lebzeiten an seinem Leibe zugerichtet worden ist, das ist auch nach seinem Tode sichtbar, entweder ganz oder zum größten Teile für einige Zeit. Gerade so scheint es mir auch mit der Seele zu sein, mein Kallikles. Wenn die Seele des Leibes entkleidet ist, so ist alles an ihr zu sehen, sowohl ihre natürliche Beschaffenheit als auch die Zustände, die sich infolge der Beschäftigung mit der oder jener Sache in der Seele des Menschen gebildet haben. Wenn sie nun zu ihrem Richter kommen, die aus Asien zu Rhadamanthys, so heißt sie dieser vor ihn hintreten und betrachtet die Seele eines jeden, ohne zu wissen, wer sein Vater ist. Und wenn er da den Großkönig vornimmt oder sonst einen König oder Gewalthaber, da entdeckt er oft an seiner Seele nichts Gesundes, sondern er sieht sie zergeißelt und voller Narben infolge von Meineid und Ungerechtigkeit, so wie seine einzelnen Taten in seiner Seele sich abgeprägt haben, und alles krumm und schief infolge von Lüge und Hoffart, gerade aber gar nichts deswegen, weil sie ohne Wahrheit groß geworden ist, und er sieht seine Seele strotzend von Mißbildung und Häßlichkeit infolge seiner Macht, Üppigkeit, Überhebung und seines maßlosen Tuns. Hat er das gesehen, so schickt er eine solche Seele mit Schanden geradeswegs in den Kerker, damit sie da die Leiden erdulde, die ihr gebühren.

Kap. 81. Einem jeden aber, der, der Strafe verfallen, in der rechten Weise von einem anderen gestraft wird, dient die Strafe dazu, entweder besser zu werden und Nutzen davon zu haben, oder anderen ein warnendes Beispiel zu sein, auf daß diese seine Leiden sehen und so aus Furcht sich bessern. Gewinn aber haben von ihrer Bestrafung, die sie, sei es von Göttern oder von Menschen, erleiden, diejenigen, die heilbare Sünden begangen haben, gleichwohl aber erlangen sie das Heil nur durch Schmerz und Pein, denn auf andere Weise können sie ihrer Ungerechtigkeit nicht ledig werden. Die aber, die das äußerste Unrecht begangen haben und wegen solcher Missetaten unheilbar geworden sind, die werden zu warnenden Beispielen, und sie selbst haben gar keinen Gewinn mehr, da sie ja unheilbar sind, andere aber haben Gewinn, nämlich die, die sie um ihrer Sünden willen die größten, qualvollsten und furchtbarsten Leiden in alle Ewigkeit erdulden sehen, indem sie geradezu dort im Hades im Kerker zum abschreckenden Beispiele aufgehängt sind, ein Schauspiel und eine Mahnung für die jedesmal ankommenden Sünder. Einer von diesen wird, glaube ich, auch Archelaos sein, wenn das wahr ist, was Polos von ihm sagt, und jeder andere Herrscher seiner Art. Ich meine aber, daß auch diese abschreckenden Beispiele zumeist aus der Zahl der Tyrannen, Könige, Gewalthaber und Staatsmänner genommen sind, denn diese begehen die größten und heillosesten Verbrechen, weil sie die Macht dazu haben. Das bezeugt auch Homer, denn Könige und Gewalthaber sind es nach seiner Darstellung, die im Hades in alle Ewigkeit zu büßen haben, Tantalus, Sisyphus und Tityos; Thersites dagegen, und wenn sonst ein gewöhnlicher Mann schlecht war, hat kein Dichter großen Strafen als unheilbar verfallen dargestellt, denn er hatte, meine ich, nicht die Macht dazu, so schlimme Frevel zu begehen, darum war er auch glücklicher als die, die solche Macht besaßen. Aber wie bei den Heroen der Sage, so stammen auch bei den Menschen die großen Bösewichte aus der Zahl der Mächtigen. Jedoch hindert nichts, daß auch unter diesen gute Männer erstehen. Solche verdienen hohe Bewunderung, denn es ist schwer und großen Lobes wert, daß einer, hineingestellt in schrankenlose Freiheit, unrecht zu tun, sein Leben in Gerechtigkeit hinbringt. Deren gibt es nur wenige. Gleichwohl hat es bei uns und anderwärts edle und gute Männer gegeben und wird es, meine ich, auch in Zukunft welche geben, die die Tugend besaßen, gerecht zu verwalten, was man ihnen anvertraut; einer ist ganz besonders berühmt geworden auch bei den übrigen Hellenen, Aristides, der Sohn des Lysimachus; aber die meisten Gewalthaber, mein Bester, werden schlecht.

Kap. 82. Wie nun gesagt, wenn jener Rhadamanthys einen solchen vor sich hat, so weiß er sonst gar nichts von ihm, weder wer er ist, noch wer seine Eltern sind, sondern nur, daß er ein Bösewicht ist. Und wenn er das gesehen hat, schickt er ihn fort in den Tartarus mit einem Zeichen, ob er als heilbar oder unheilbar erscheint; wenn er aber dorthin kommt, erleidet er, was ihm gebührt. Manchmal aber, wenn er eine andere Seele schaut, die in Frömmigkeit und Gerechtigkeit gelebt hat, die Seele eines einfachen Mannes oder sonst eines Mannes, namentlich, so denke ich wenigstens, eines Philosophen, der getan hat, was seines Berufes war, und sich nicht in seinem Leben in alles mögliche gemischt hat, da freut er sich und entsendet ihn nach den Inseln der Seligen. In gleicher Weise verfährt auch Äakus.

Von diesen Erzählungen habe ich mich überzeugen lassen, mein Kallikles, und mein Sinnen geht darauf, wie ich vor den Richter mit möglichst gesunder Seele hintreten kann. Daher habe ich den Ehren bei der Menge Valet gesagt, und, den Blick auf die Wahrheit gerichtet, will ich versuchen, in Wirklichkeit als möglichst guter Mensch zu leben und, wenn meine Stunde kommt, zu sterben. Und soweit es in meinen Kräften steht, lade ich auch alle anderen Menschen und so denn auch dich zu diesem Leben ein und zu diesem Kampfe, den ich höher achte als alle irdischen Kämpfe, und ich halte es dir vor, daß du nicht imstande sein wirst, dir zu helfen, wenn für dich die Stunde des Gerichtes da ist und die Entscheidung, von der ich soeben sprach, sondern wenn du vor deinen Richter trittst und er dich in das Verhör nimmt, dann wirst du mit offenem Munde dastehen und wirst schwindlig sein, du dort nicht weniger als ich hier, und vielleicht wird dich auch einer zur Schmach um die Ohren schlagen und dir jeglichen Schimpf antun.

Kap. 83. Solches kommt dir wohl wie ein Märchen vor, das eine alte Frau erzählt, und du verachtest es. Diese Verachtung wäre gar nicht verwunderlich, wenn wir bei unseren Nachforschungen irgendwie in der Lage wären. Besseres und Wahreres zu finden als das; so aber siehst du, daß ihr drei, die ihr doch die weisesten seid unter den Hellenen unserer Zeit, du und Polos und Gorgias, nicht darzutun vermögt, daß man ein anderes Leben führen müsse als dieses, das eben offenbar auch für das Jenseits Segen bringt, sondern während von so vielen Reden alle andern wanken, bleibt diese eine Rede bestehen: Man soll sich mehr davor hüten, unrecht zu tun als unrecht zu leiden, und ein Mann muß vor allem danach trachten, nicht gut zu scheinen, sondern gut zu sein, im privaten wie im öffentlichen Leben. Wenn einer in irgend welcher Beziehung sich schlecht zeigt, so muß er gestraft werden, und das ist das zweite Gut, das nach dem Gerechtsein kommt, gerecht zu werden und die Schuld abzubüßen, indem man die Strafe auf sich nimmt. Alle Schmeichelei in bezug auf die eigene Person und in bezug auf eine andere, mag sie wenigen oder mag sie vielen gelten, ist zu meiden, und die Beredsamkeit muß man immer nur im Dienste der Gerechtigkeit brauchen, die uns bei allem Tun Regel und Richtschnur sein muß.

Also folge mir und wandle dem Ziele zu, nach dessen Erreichung du selig sein wirst im Leben und nach dem Tode, wie unsere Erzählung zeigt, und laß einen dich als Toren verachten und mißhandeln, wenn es ihn gelüstet, und laß dir getrost einen entehrenden Schlag gefallen, denn damit wirst du nichts Arges erdulden, wenn du wirklich ein edler und guter Mann bist, der die Tugend übt. Und wenn wir so die Tugend gemeinsam geübt haben, erst dann wollen wir uns, wenn es nötig erscheint, mit dem Staatsleben befassen oder dann uns beraten, worüber eine Beratung notwendig zu sein scheint, wenn wir zu Beratungen tüchtiger sind als jetzt. Denn es ist eine Schande, daß wir in dem Zustande, in dem wir uns jetzt allem Anschein nach befinden, uns aufspielen, als ob wir wunder was wären, wir, die wir in unsern Ansichten über dieselben Dinge immer hin und her schwanken, und noch dazu über die Dinge, welche die allerwichtigsten sind. So schlimm steht es mit unserer Bildung. Laß uns also die Erkenntnis zur Führerin auf unserm Wege nehmen, die uns jetzt aufgegangen ist, und die uns zeigt, daß das die rechte Weise des Lebens ist, in Übung der Gerechtigkeit und aller Tugend zu leben und zu sterben. Diesem Worte also wollen wir folgen und die übrigen dazu einladen, nicht jenem, dem du vertraust und das zu befolgen du mich aufforderst, denn das ist gar nichts wert, mein Kallikles!


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