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XI.

Als Rogers und Moore sich einige Tage später von Lady Melbourne verabschiedeten, bat die feine alte Dame mit einem schüchternen Lächeln:

»Wollen Sie mir den Gefallen tun, meine Herren, einen Augenblick bei meiner Schwiegertochter einzutreten? Ihr liebenswürdiger Besuch wird sie zerstreuen. Sie ist so trostlos, das arme Kind, daß Lord Byron sie nicht besucht hat. Er muß es ihr wohl versprochen haben.«

»Er wird noch keine Zeit gefunden haben,« meinte Rogers. »Er ist viel beschäftigt.«

Hierbei blickte er Moore eindeutig an.

»Im Grunde bin ich ja recht froh, daß er nicht gekommen ist,« nickte Lady Melbourne vor sich hin. »Es hätte sicher wieder einen Skandal gegeben. Sie wissen ja, wie unbesonnen das arme liebe Kind ist, wenn ihr ein Mann gefällt. Aber –«, sie seufzte schwer auf – »man muß sie gewähren lassen. Also nicht wahr, meine Herren« – sie lächelte ihr gewinnendes Lächeln der Weltdame – »Sie sind so gut und trösten sie ein wenig.«

Die Herren versprachen es gutmütig und schritten über die saftigen Rasenflächen des Hofes hinüber zu dem jenseitigen Flügel des majestätischen alten Palais, in dem Charles Lamb und seine krause Gattin hausten.

»Hm,« Rogers hustete ein sarkastisches Lachen, »wir sollen diese negative Penelope über ihr vergebliches Harren auf den falschen Odysseus trösten! Offen gesagt, fühle ich mich trotz meiner 49 ein bißchen zu jung zu solcher Lückenbüßerrolle.«

Moore sagte ernst: »Ich hoffe, unser Odysseus wird den Lockungen dieser Circe widerstehen. Er ist, weiß Gott, zu schade dafür, bei ihr versaut zu werden.«

»Keine Gefahr,« lachte Rogers, »der verliert nicht die kühle Besinnung. Im Innersten ist er Weibern gegenüber kalt wie ein Gletscher. Der liebt nur sich und alles andere ist Mache.«

Moore schüttelte den schönen Kopf.

»Ich glaube, Sie täuschen sich, Rogers. Mich dünkt, in ihm brennt eine heilige Flamme, die alle anderen Gefühle verzehrt. Übrigens graut mir ein wenig vor dieser tränenden Ariadne. Ich mag Klageweiber nicht.«

»Sie kennen diesen bizarren Geist schlecht,« spottete Rogers. »Ich bin überzeugt, Sie empfängt uns in sprühender Laune. Sie ist eine Frau, die immer überrascht. Kennen Sie nicht die berühmte Geschichte ihrer Scheidung?«

Moore verneinte. Rogers blieb auf der breiten kühlen Steintreppe stehen und erzählte:

»Herr Lamb ist, wie Sie wissen, ein Lamm an Geduld. Aber einmal, als die liebende Gattin wieder ganz London zum Publikum ihrer abwegigen Sinneserheiterung machte, riß ihm der arg strapazierte Faden der Schafmütigkeit. Er beauftragte den Familienanwalt, die Scheidung einzuleiten, in die Lady Caroline mit Begeisterung einwilligte. Es war ja doch eine neue prickelnde Sensation. Eines Tages wandelte auf dieser Treppe hier amtsbeflissen und würdevoll der Familienanwalt, die Scheidungsurkunde mit dem Staatssiegel versehen, unter dem Arm. Von dem Ernst des Augenblicks triefend, trat er in den Salon und fand – Lady Caroline auf den Knien ihres scheidungsbesessenen Gatten bei der trauten Beschäftigung, ihn mit kleinen Kuchenstückchen zu päppeln. Der Berufstakt verbot dem Manne des Gesetzes die Störung des Idylls. Er zog sich zurück, die Scheidungsurkunde fürsorglich unter dem Arme. Die Vertagung der Scheidung dauert noch heute an.«

Moore lachte seidig und ansteckend.

»Schrullige Leute.«

Ein Diener öffnete die Tür zu einer weißen Diele. Zu gleicher Zeit trat durch den Haupteingang Lady Caroline herein. Die weiten Falten des schwarzen Reitkleides hatte sie über den Arm geschlungen, der Seidenhut spiegelte kokett auf dem blonden Haar. »Ah, meine Herren!« rief sie freudig überrascht und streckte ihnen die Hand in dem wildledernen Reithandschuh entgegen. In ihrer übersprudelten hastigen Art fügte sie hinzu: »Meine Herren, das Reiten belebt. Das geht wie Feuer durch die Adern. Aber kommen Sie doch herein, was stehen wir denn hier draußen?«

Sie öffnete die Tür zu ihrem hübschen Parlour. »Sie setzen sich dahin, Rogers, und Sie dorthin, Anakreon.«

Sie warf sich auf ein weißes Sofa à la Récamier.

»Es war zu drollig,« redete sie ununterbrochen, »im Hyde Park traf ich den Herzog von Bolingbroke. Was haben wir gelacht!«

Sie warf sich übermütig gegen die Lehne des Sofas und hob die Füße in den kleinen Reitstiefeln.

»Er hat so etwas Gesundes, dieser Mann. Wenn man nur seine Zähne sieht, muß man an das Grün im Walde denken.«

Hier sagte Rogers bissig:

»Ich habe immer geglaubt, Sie wären mehr für das Ungesunde und Abnorme.«

»Bin ich auch, bin ich auch,« rief sie und wippte mit der Reitpeitsche, »je nachdem. An solch einem hellen warmen Maitage –« sie zupfte den Handschuh von der rechten Hand und krümmte die Finger, die steif waren von der Umspannung des Leders.

»Hu, wie bin ich schmutzig,« lachte sie, »und ganz verschwitzt.«

Sie strich eine Strähne des Haares, die an der Stirn klebte, unter den Reithut zurück.

»Aber das macht nichts, nicht wahr? Eine Frau, die aus dem Sattel kommt, kann nicht frisch und duftig sein.«

Die Herren wollten gerade ihre zustimmenden Versicherungen kund tun, als der Diener Lord Byron meldete. Lady Caroline stieß einen wilden Schrei aus, schoß empor wie ein Pfeil, raffte das Oberkleid ihres Anzuges mit beiden Händen hoch und stob aus dem Zimmer. Lord Byron sah bei seinem Eintritt gerade noch die in langen Reithosen davonhastenden Beine. Es sah sehr drollig aus. In das Poltern der zuschlagenden Tür schallte das unbezwingbare Lachen der drei Herren.

»Sie wirken aber verscheuchend,« gurgelte Moore.

»Der Empfang war nicht sehr einladend,« scherzte Byron.

»Die kommt wieder,« beruhigte Rogers Frauenkenntnis. »Für uns, mein lieber Moore, ist die Sache eigentlich ein bißchen beleidigend. Sie macht flink Toilette. Einem Kenner wie Byron wollte sie nicht in ihrem Schmutz und Schweiß gegenübertreten. Aber uns –«

»Dann wollen wir gehen,« sagte Moore.

»Ja, das wollen wir.« Rogers lachte trocken auf.

»An einem Gespräch unter acht Augen wird ihr wenig gelegen sein.«

»Aber nein, bleiben Sie doch,« wehrte Byron. »Sie tun mir, offen gesagt, damit einen großen Gefallen. Ich bin eigentlich nur hierher gekommen, um nicht unhöflich zu sein. Man hat mich sehr dringend aufgefordert.«

»Ach,« schmunzelte Rogers, »Sie werden schon auf Ihre Kosten kommen. Leute, die es wissen müssen, haben versichert, sie hätte Reize, die ein Männerherz erfreuen können.«

»Nehmen Sie sich in acht,« warnte Moore. »In acht Tagen zählt ganz England jeden Kuß, der hier fällt. Lady Caroline liebt es, ihr Liebeslager auf dem Markte aufzuschlagen.«

»Kommen Sie, Moore,« drängte Rogers, »bald werden die Augen Europas auf diese Stätte gerichtet sein. Wir beide würden in diesen Augen keine Heldenrolle spielen. Allons!«

Und an der Tür rief er zurück: »Möge Ihnen diese Liebe leicht werden.«

Als Byron allein war, setzte er sich auf das Sofa, ließ die gefalteten Hände zwischen den Knien herabhängen und fühlte sich sehr unbehaglich. Er beschloß, jeder Vertraulichkeit von vornherein schroff entgegenzutreten.

Ihm blieb hinreichend Zeit, diesen Entschluß immer wieder zu erhärten. Denn manche Viertelstunde verstrich, bis sich endlich die Tür wieder öffnete. In einem cremefarbenen Seidenkleide stand sie an der Tür.

Die nackten feinen Schultern und der ein wenig zu lange, aber gutgebildete Hals glänzten weiß und duftig wie Blätter der Tuberose. Um den Nacken schlang sich ein schwarzes Band, von dem ein goldenes Amulett auf die Brust herniederhing. Es zitterte leise, so heftig schlug ihr das Herz. Sie sprach kein Wort, als Byron sich erhob und ihr entgegentrat. Sie gewahrte auch nicht, daß die anderen gegangen waren. Sie sah nur den langersehnten Mann und stand an der Tür und ihre Knie schlotterten gegen die steifstehende Seide des Rockes. Um ihre ganze Erscheinung hing ein solch rührender Hauch von Freude und Befangenheit, daß der Dichter alle guten Vorsätze vergaß und ehrlich sagte:

»Ich freue mich. Sie wieder zu sehen. Lady Caroline.«

Er faßte ihre Hand und fühlte ihr Beben.

»Ich danke Ihnen, daß Sie gekommen sind,« flüsterte sie. »Ich habe Sie so sehr erwartet.«

»Ich wäre eher gekommen,« entschuldigte er sich. »Doch ich hatte so viel zu tun.«

Sie schritt auf das Sofa zu, setzte sich nieder, schlug die irisblauen Augen zu ihm auf und sagte mit einem Anflug von Trauer:

»O, ich weiß, wie viel Sie zu tun hatten. Ich weiß wohl, daß hundert Lakaien Ihnen täglich hundert Liebesbriefe bringen.«

»Ganz so schlimm ist es nicht,« lächelte er bestätigend.

Da hob sie ihm die gefalteten Hände entgegen und flehte:

»Lassen Sie sich nicht umgarnen Lord Byron. Lassen Sie sich nicht von allen diesen Frauen umgarnen, die doch kein Herz haben und kein Verständnis für Ihre Seele. Ich weiß, was Ihnen fehlt. Ich habe Ihren »Childe Harold« immer wieder gelesen. Ich kenne ihn fast auswendig. Ich weiß, Sie sind unglücklich geworden an einer großen Liebe. Und die Frauen haben Sie schlecht gemacht.«

Sie beugte sich weit zu ihm vor, ihre Augen wurden feucht vor Innigkeit.

»O, Lord Byron, Sie müßten eine Frau lieben, die auch unglücklich ist, die auch nach einer großen erschütternden Liebe lechzt, die Ihr Unglück trösten kann, die jeder Schwingung Ihres gewaltigen Geistes nachbebt, die Ihr Genie kost. Eine solche Frau müßten Sie lieben.«

Sie starrte ihm in die Augen. Er aber blickte über sie hinweg, dachte plötzlich an Mary Chaworth, die auch so blond war, wie diese Frau dort vor ihm, die nicht diesen seltsamen Charme besaß, den diese Frau dort vor ihm ausströmte, die aber so unendlich viel seiner und so ganz anders war. Sie sah seinen Blick.

»Schauen Sie nicht so traurig drein,« bat sie. »Sie meinen, eine solche Frau gibt es nicht. O, sie lebt, sie lebt, sage ich Ihnen. Sie haben gewiß viel Schlimmes von mir gehört. Die Leute sagen, ich bin leichtfertig und überspannt. Und manche glauben, ich bin irrsinnig. Aber, wer hat mich denn je gekannt! Wer weiß von meiner Seele!«

Sie sank in sich zusammen. Er erwachte aus seinem Sinnen.

»Eigenartig ist sie,« dachte er und sein Auge blieb an ihrer nervösen, zartgeäderten Hand hängen.

Aus ihrer gebückten Stellung sprach sie leise zu ihm herüber:

»Ich habe nach einem Menschen gesucht, wie die Sterngucker mit ihren neuen Fernrohren, von denen sie jetzt so viel sprechen, einen neuen geheimnisvollen Stern suchen. Aber es waren keine geheimnisvollen Sterne, die mir geleuchtet haben. Hausbackene, englische Gentlemen waren es. Aber seit ich Sie gesehen habe, weiß ich, Sie sind solch ferner geheimnisvoller Stern. Mir ist, als wären Sie aus weiter Ferne gekommen. Die Luft um Sie ist so fremd. Sie sind wie eine fremde Welt dort draußen. Sie haben weiche Locken, die andern haben straffes, englisches Haar. Sie tragen Sonnen in den Augenhöhlen, die anderen stumpfe Sehwerkzeuge. Sie sind schön wie ein Gott, die anderen häßlich wie das Irdische. Sie sind mystisch wie das Wunder, die anderen klar wie der Alltag.«

Sie sprach es so scheu aus innerster Überzeugung, daß das Lächeln verblich, das zuerst um seinen Wund zuckte. Und halb ernst, halb scherzend gab er zurück:

»Sie sind schwül wie die Blume im tropischen Urwald. Sie sind sehnsüchtig wie ein Lied in der Abendstunde auf einsamem Felde.«

»Sprich weiter,« flüsterte sie und schloß die Augen.

Und in dem Hauch, der von dieser seltsamen Frau ausging, ward er zarter, ätherischer, als es seine wahre Natur war.

»Sprich weiter,« bat sie wieder.

»Du bist voller Versuchung, wie die Schneide eines Messers,« lächelte er.

Ihre geschlossenen Lider zitterten.

»Du bist lockend wie ein blaues Irrlicht im Moor.«

Sie bog sich gegen die Lehne des Sofas und überließ ihm ihre Hände.

»Du bist tief und grausig dunkel wie ein Brunnen,« raunte sie und legte den Kopf auf das Kissen zurück.

Er beugte sich über sie.

»Du bist wie ein Stern,« zitterte sie, »der silbern fällt durch die Nacht in meinen Schoß.«

 

Heiße Sommertage und schwüle Nächte verlebte Byron in Melbourne House. Er ging in dem alten Palais ein und aus wie der Herr. Keiner fragte ihn, keiner belästigte ihn. Die Diener öffneten diskret die Türen. Herr Charles Lamb grüßte still, wenn er ihn in den Gängen traf und verschwand in seinen Gemächern, die getrennt lagen von denen seiner Gattin. Immer wieder überkam Byron das Gefühl des Mißbehagens über dieses wissende Gewähren und immer wieder vergaß er es in den weißen Armen dieser Frau, in der Umschlingung ihrer pantherhaft wilden Sinnlichkeit. Nach acht Tagen wußte ganz England von dieser Liebschaft des berühmten Dichters. In der Provinz schüttelten die ehrsamen Landedelleute entrüstet ihre sittlichen Häupter. Doch in London witzelte und lächelte man. Fast jede verheiratete Frau der Aristokratie hatte ihre Liäson. Man folgte hierin nur dem Beispiel des Prinzregenten. Und in allen Salons und Boudoirs bot diese Dichterliebe zu der exzentrischen kleinen Frau Lamb Anlaß zu kleinen pikanten exzentrischen Histörchen.

Nein, Lady Caroline verheimlichte ihre Liebe nicht. Sie fuhr mit dem Dichter in ihrer Equipage in die Gesellschaften, sie erzwang sich ihn überall zum Tischherrn, sie wich den langen Abend über nicht eine Sekunde von seiner Seite. Ja, es kam vor, daß sie ihn vor hundert fremden Augen ungeniert küßte. Und Byron ließ es über sich ergehen, weil er nicht die Kraft hatte, sich der Frau zu entziehen, und keine Möglichkeit sah, diesen Anfällen zu entrinnen. Schalt er nachher und machte er ihr Vorhaltungen, so verschloß sie ihm den zürnenden Mund mit Lachen und Küssen. Ging er in ein Haus, in das sie nicht geladen war, so wartete sie bei jedem Wetter auf der Straße stundenlang auf seinen Aufbruch und entführte ihn dann in ihrem Wagen. Bald erzählte sich ganz London die possierliche Geschichte, wie Lord Byron eines Nachts eine andere Dame habe nach Haus begleiten wollen. Manche berichteten es so, daß er den Wagen Lady Carolines, in dem sie seiner harrte, nicht gesehen habe. Die Boshafteren aber meinten, er habe ihn nicht sehen wollen. Denn seine Begleiterin wäre die wunderschöne Tochter des Earl of Gramond, Adelaide Forbes, gewesen. Da sei Lady Caroline den Pferden, die gerade anzogen, in die Zügel gefallen, sei fast von ihnen niedergerissen worden, habe dem Kutscher entgegengeschrien, zu halten, habe den Wagenschlag aufgerissen, und es sei zu einer Szene mit Schreikrämpfen gekommen. Schließlich wäre Byron nichts übrig geblieben, als den Wagen und die schöne Adelaide zu verlassen, und zu Lady Lamb hinüberzusteigen. Zum Glück sei, auf dem Heimwege aus dem Klub, Herr Charles Lamb vorübergekommen und habe Byrons Platz bei Fräulein Forbes eingenommen. Fräulein Forbes hätte still vor sich hingelächelt, da habe Herr Lamb gesagt: »Sie wundern sich, gnädiges Fräulein, daß ich alles dies gelassen ertrage. Ich glaube aber, es ist das beste, man läßt sie gewähren. Jeder Mann ist ja doch nur eine Laune bei ihr, die vergeht. Ich habe es mir in meinem politischen und privaten Leben zum Prinzip gemacht, den Dingen ihren Lauf zu lassen. Es ist immer das beste.«

Man lächelte über Herrn Lambs Langmut. Die Weitsichtigen aber weissagten seinen Prinzipien eine große Zukunft. Und sie behielten recht, denn Herr Lamb hat es zum Premierminister von Großbritannien gebracht.

Wohl war Byron weniger geduldig, als der Mann, dessen Pflichten er erfüllte. Doch immer wieder wußte die Frau die Glut seiner 23 Jahre zu hellem Prasseln zu entfachen. Jedesmal peitschte sie seine raffinierten Sinne durch raffinierte Überraschungen auf.

Einmal war die Steintreppe, die zu ihrem Zimmer führte, durch einen Teppich roter Rosen in einen Blumenweg verwandelt, auf dem er zu seiner Liebe schritt. In ihrem Gemach war ein Lager aus Rosen bereitet. Da schwand der Unmut, der ihn auf dem Wege zu ihr bedrückt hatte. Er vergaß alle Bedenken und sank nieder zu der purpurnen Glut ihrer Rosen.

Sie sog sich an seinem Munde fest.

»Ah,« seufzte sie und ihre Pupillen irrten. »Du müßtest ein Polyp sein, solch ein Tintenfisch, von dem sie erzählen, daß er hundert Arme hat. Ah, das wäre gut!«

Sie dehnte sich wollüstig und dann fragte sie die hundert Fragen aller verliebten Frauen.

»Liebst du mich? Wirst du mich immer lieben? Liebst du mich noch so wie am ersten Tage?« – Und er gab die hundert Antworten aller verliebten Männer.

»Hast du wieder etwas gedichtet?«

»Nein, nicht ein Wort.«

Da richtete sie sich triumphierend auf und rief: »Das ist mir der sicherste Beweis, daß du mich liebst. Du kannst nicht dichten, du kannst an nichts anderes denken. Alle Kraft sauge ich aus deinem Hirn, aus dieser schönen Stirn, auf die die Blicke von ganz England mit der Hoffnung auf neue Gaben gerichtet sind. Mir gehört dieser Kopf, mir ganz allein. O, ich habe immer gewußt, so etwas Großes würde noch zu mir kommen.«

Und dann saß sie in ihrem pikanten Morgenrock auf seinen Knien.

»Sag mir,« sie schmiegte sich kokett an seine Brust, »wie bin ich? Kann ich lieben und einen Mann glücklich machen?«

»Ob du lieben kannst!« lachte er. »Dein Herz, meine liebe kleine Caro, ist ein kleiner Vulkan, dessen Lava durch deine Adern rinnt.«

Sie küßte ihn beglückt.

»Siehst du, deshalb mußt du mich immer, immer lieben. Denn sonst erkaltet die Lava und wird zu einem schweren Stein. Und dann habe ich ein Steinherz, das mir ganz schwer in der Brust hängt und mich erstickt. Und dann muß die arme kleine Caro traurig sterben. Sag mir noch mehr, wie ich bin.« bettelte sie.

»Du bist das klügste, netteste, verdrehteste, liebenswürdigste, verwirrendste, unsinnigste, verblüffendste, gefährlichste, bezauberndste kleine Wesen, das in den letzten zweitausend Jahren die Welt beglückt und betört hat. Bist du nun zufrieden?«

»Ja,« nickte sie, daß die Locken wie Blüten der Glockenblume im Winde läuteten. »Und nun sag mir noch, bin ich schön?«

»Hm,« machte er, »darüber fehlt mir das Urteil. Aber unsere Schönheiten verblassen in deiner Nähe. Und deshalb mußt du entweder schön oder noch etwas Besseres sein.«

»Und du,« sie erstickte ihn mit bacchantischer Liebkosung, »du bist der schönste und beste Mann, der je eine Frau glücklich gemacht hat. Ach, so glücklich, so glücklich!« Sie sprang empor und tanzte im Zimmer umher, daß der Morgenrock wie ein Kreisel stand.

Dann wurde sie ernst und posierte in der Rolle der Mäcenin.

»Wie findest du die Geschichte von Fräulein Annabella Milbanke?« fragte sie großartig.

»Gut, ich habe sie aufmerksam gelesen. Phantasie ist darin und viel Gefühl. Bei einiger Übung würde der Ausdruck bald gefälliger werden.«

»Das freut mich,« rief Caroline, »ich habe sie sehr gern. Nicht wegen unserer Verwandtschaft. Verwandte liebe ich nicht. Aber sie ist ein liebes gutes Geschöpf. Du müßtest sie kennen lernen.«

»Fürchtest du denn nicht,« scherzte Byron, »sie könnte mir gefährlich werden?«

Caroline lachte, daß das Amulett an ihrem Halse tanzte. »Nein, das fürchte ich nicht. Zu dir würde sie gar nicht passen. Sie hat nichts Dämonisches, und das brauchst du doch.«

Sie blickte ihn schrecklich dämonisch an. »Sie ist sehr still und bescheiden und furchtbar gelehrt. Treibt Metaphysik und Mathematik und was weiß ich noch alles.«

»Habe auch keine Lust, sie kennen zu lernen. Sie ist wahrscheinlich viel zu gut für einen gefallenen Geist, und sie gefiele mir besser, wenn sie weniger vollkommen wäre. Ist sie wenigstens hübsch?«

Caroline überlegte mit ernst geschürzten Brauen.

»Ich weiß nicht recht. Eine sehr schöne Figur hat sie und ein feines Gesicht.«

Damit sprang sie wieder auf seine Kniee und bettelte:

»Erzähle mir von deinen Abenteuern. Dann schließe ich die Augen und denke, daß alle jene verglommenen Küsse mir gegolten haben. Dann gehört auch deine ganze Vergangenheit mir, und die Eifersucht tut nicht so weh. Erzähle mir von Florence Spencer, ja?«

Und er erzählte von der schönen Florence Spencer, die ihm in Malta hold gewesen.

Lady Melbourne beobachtete, trotz der behütenden Gewohnheit des Gewährenlassens, mit sorgender Unruhe diese neue Leidenschaft ihrer Schwiegertochter. Bisher waren die außerehelichen Belustigungen der Frau ihres Sohnes wohl belächelt und beklatscht, doch niemals waren sie zu solch öffentlichem Skandal geworden wie jetzt, da ihre Zärtlichkeiten dem populärsten Manne Englands galten. Sie fühlte, daß sie einschreiten müsse, wenn die Würde ihres alten ehrwürdigen Hauses nicht ein Hohn der Gassenbuben werden sollte. Und sie beschloß zu handeln, klug und vorsichtig, mild und fürsorglich, wie ihre gütige Mütterlichkeit es heischte. Es war kein Zufall, daß ein Abend eine junge Dame im Salon von Melbourne House vorfand, als Lady Caroline mit Byron eintrat. Der Dichter beachtete sie nicht, da er sie ob ihrer bescheidenen Kleidung für eine Gesellschafterin Lady Melbournes hielt.

Er begrüßte die Hausherrin und wollte sich den anderen Gästen zuwenden, als Lady Caroline ihn zurückhielt. »Jetzt mußt du doch Fräulein Milbanke begrüßen, wenn du es auch nicht wolltest,« lachte sie. Und der jungen Dame erläuterte sie: »Er wollte dich nicht kennen lernen, Annabella, weil du ihm zu vollkommen schienst.«

Fräulein Milbanke blickte mit ihren ruhigen Augen zu Byron auf.

»Nach allem,« sagte er höflich, »was Lady Caroline mir von ihnen berichtet hat, muß ich Sie allerdings als ein Wunder an Vollkommenheit anstaunen. Auch Ihre Gedichte haben mir sehr gut gefallen. Wenn Sie Ihr Talent weiter entwickeln, werden Ihre Versuche Ihnen sicher noch Auszeichnung verschaffen.«

»Sie sind sehr gütig,« entgegnete sie mit herber Freundlichkeit. »Ich glaube aber, Sie übertreiben.«

»Durchaus nicht,« wehrte Byron. »Aber ich muß allerdings bekennen, daß ich die Dichter und die Dichtkunst keineswegs sehr hoch rangiere auf der Stufenleiter des Intellekts.«

Sie blickte ihn mit großen erstaunten Augen an.

»Sollte das Ihre wahre Meinung sein?«

»Ja, Fräulein Milbanke, es mag wie Affekthascherei klingen, es ist jedoch meine wahre Ansicht. Das dichterische Produzieren ist mir nichts anderes als die Lava der Phantasie, deren Ausbruch den Wahnsinn verhütet.«

»Ich verstehe nicht recht,« sagte sie und umfaßte mit Daumen und Zeigefinger ihre intelligente Stirn.

»Ich meine es so,« erklärte Byron interessiert, »man sagt, Dichter werden nie oder selten wahnsinnig. Es gibt Beweise des Gegenteils. Ich weiß, aber richtig ist sicherlich, daß Dichter selten wahnsinnig werden, doch gewöhnlich dem so nahe kommen, daß ich die Dichterei insofern nützlich finde, als sie ein Ventil gegen Geistesstörung ist. Im übrigen sind mir die Talente der Tat lieber. Ich ziehe Krieg, Politik, Wissenschaft all den Phantasien dieser Träumer eines eingebildeten Daseins vor. Ich selbst habe mich schon in den aktiven und wirbeligen Abteilungen des Lebens getummelt. Und auf diese Betätigung allein blickt mein Gedächtnis mit Befriedigung zurück.«

Ihr bleiches Gesicht blieb ernst und nachdenklich.

»Ob diese Abschnitte ihres Lebens wohl die besten waren?« bedachte sie zweifelnd. »Ich für meinen Teil glaube –«

Doch hier unterbrach Lady Caroline. Das Gespräch wurde ihr zu angeregt und zu abgründig. »Um Himmelswillen,« rief sie, »nun kommt ein wissenschaftlicher Vortrag. Ich kenne das Gesicht meiner lieben Kusine. Wenn sie die Augen so aufreißt, gedenkt sie eine lehrhafte Vorlesung zu halten. Komm, George, wir haben noch viele Gäste zu begrüßen.«

»Es hat Zeit,« lehnte Byron unwillig ab. »Mich interessiert Fräulein Milbankes Ansicht.«

Doch feinfühlig erhob sich die junge Dame und sagte: »Sie müssen mich entschuldigen, Mylord. Ich sehe dort drüben eine Bekannte, die ich begrüßen muß.«

Und sie ging auf die andere Seite des Salons hinüber. Byrons Blick geleitete ihren selbstsicheren Gang.

»Sie kann einem auf die Nerven fallen,« grollte Caroline, die seinen Augen folgte.

Den ganzen Abend über wich sie nicht von seiner Seite. Doch einmal, als Lady Caroline, von einigen Damen umringt, ungeniert Liebesepisoden mit dem berühmten Manne preisgab, erspähte Lady Melbourne die Gelegenheit und nahm Byron beiseite.

»Wie gefällt Ihnen meine Nichte, Annabella Milbanke?« ging sie resolut auf ihr Ziel los.

Byron stutzte.

»Ich habe kaum zwei Worte mit ihr gesprochen.«

»Sie sollten heiraten,« riet die alte Dame ungeniert mütterlich. »Und die beste Frau, die ich mir für Sie denken kann, ist Fräulein Milbanke. Sie ist gescheit und hat Sinn für die Dichtkunst, überhaupt für alles Schöne. Im Vertrauen sage ich Ihnen, daß sie auch eine der reichsten Erbinnen Englands ist.«

Ein verlegenes Lächeln huschte um Byrons Mund. Der Gedanke an eine Ehe erschien ihm absurd, berührte aber doch ein kaum bewußtes Planen. Seine materielle Lage war immer haltloser geworden. Und manchmal tauchte als letzte Rettungsmöglichkeit für seine wucherbedrängte Not die Idee einer reichen Heirat auf. Doch trotzig sagte er:

»Ich hasse einen Schöngeist in Unterröcken. Ich weiß auch, daß Fräulein Milbanke mich niemals lieben wird. Ebensowenig wie ich sie lieben könnte.«

»Das kann man doch nicht wissen,« entgegnete Lady Melbourne freundlich. »Leidenschaften vergehen.«

Sie blickte hinüber zu ihrer schwatzenden Schwiegertochter.

»Gewiß,« lenkte Byron ein. »vielleicht ist Liebe für eine Ehe auch völlig überflüssig.«

»Sie scherzen,« lächelte die alte Dame gezwungen.

»Nein, nein,« bekannte er offen. »Wenn ich heirate, so wäre das ein Geschäft, das lediglich zwischen mir und dem Herrn Papa der Dame abgemacht würde. Aber es ist wohl für beide Teile besser, ich bleibe ledig, obschon ich zugebe, daß mir ab und zu Stimmungen kommen, in denen ich gern jemanden um mich hätte, mit dem ich zusammen gähnen könnte.«

»Aber, aber,« entsetzte sich die alte Dame und suchte seinen Zynismus ins Scherzhafte zu wenden.

»Sie werden –«

Da stand Caroline wieder an seiner Seite.

Lady Melbourne war mit dem Erfolge ihres ersten Versuches zufrieden. Sie hatte nicht einmal dieses Entgegenkommen erwartet. Hoffnungsfroh spann sie ihre Fäden fort.

Einige Tage später lud sie Byron und ihre Schwiegertochter zu einer Fahrt nach Bath. Es galt die Besichtigung des Riesenfernrohrs von William Herschel. Sie hatte klug diese Gelegenheit ersonnen, um Fräulein Milbanke Gelegenheit zu bieten, ihre astronomischen Kenntnisse zu offenbaren. Charles Lamb war von ihr ins Vertrauen gezogen worden.

Als die Wagen vor dem Palais vorfuhren und man gerade einsteigen wollte, sagte Lady Melbourne harmlos: »Ich glaube, wir können ruhig fahren, es wird wohl nichts Schlimmes sein.«

»Was?« forschte Caroline.

»Wie?« fragte die Schwiegermutter, »weißt du nicht, daß Charles sich heute gar nicht wohl fühlt?«

»Nein,« gestand die brave Ehegattin, »ich habe ihn heut noch nicht gesehen.«

»Dann geh noch schnell zu ihm hinein und erkundige dich nach seinem Befinden. Das wird ihn freuen,« bat sie, »wir warten inzwischen hier.«

Caroline hastete davon. Doch als sie kaum im Hause verschwunden war, sagte die fürsorgliche alte Dame:

»Wir brauchen ja nicht alle hier zu warten. Lord Byron, fahren Sie mit Annabella voraus. Ich komme gleich mit Caroline nach.«

Byron begriff sofort und bestieg mit dem Fräulein den Wagen. Als Caroline nach wenigen Minuten zurückkehrte, entschwand die vorauseilende Equipage just hinein in den blauen Sommerabend.

Bald blieben die Gassen Londons zurück. Die Landstraße führte auf Windsor zu zwischen Feldern, auf denen das Korn schon in halber Höhe stand. Wie bleiches Blei wogten die Spitzen der Halme im Abendwind. Beide schwiegen. Den Frauenverächter Byron ergriff ein nie gekanntes Gefühl der Beklommenheit neben der stummen Unnahbarkeit dieses Mädchens.

»Was mag das sein?« grübelte er unbehaglich in sich hinein und betrachtete heimlich ihr Profil, das sich in milden Linien abhob von dem Violett der fallenden Nacht. »Was ist es, das von ihr ausgeht und bedrängt? Ihre Keuschheit?«

Nein, nein, er war vielen keuschen Mädchen begegnet, die in seiner Nähe ihre Keuschheit schnell vergessen hatten. Irgendeine Strenge? Sie war doch nicht streng. Ihre Züge waren zart und lieblich.

Das Schweigen wurde peinigend. Da bezwang er seine Scheu und sagte:

»Fräulein Milbanke, ich habe das Empfinden, daß Sie mir irgendwie feindlich gesinnt sind.«

Sie wandte sich zu ihm und erwiderte ruhig:

»Nein, Mylord, Sie irren. Wie käme ich dazu, Ihnen feindlich gesinnt zu sein? Ich empfinde Ihnen gegenüber eine tiefe Traurigkeit.«

»Traurigkeit?« Er zog die Brauen scharf empor.

»Ja. Wenn ich einen so großen Erfolg errungen hätte, wie Sie ihn errungen haben, so würde ich meine Kräfte und mein Können nicht in all den Dingen verzetteln, von denen wir nicht sprechen wollen.«

Er schwieg eine Weile, dann sagte er leise: »Sie haben recht. Doch mir ist es Notwendigkeit. Ich muß im Taumel leben. Ich kann nicht stagnieren. Wenn ich segeln will, muß der Ozean stürmisch sein. Nur kein ödes Kreuzen auf einem Landsee, bei dem man nie die langweiligen Ufer aus den Augen verliert.«

Sie blickte hinaus auf die Felder und sagte: »Ich würde auf dem Ozean meines Könnens segeln.«

Er errötete unter ihren Worten. »Sie haben wieder recht,« gestand er ergeben.

Da rief sie heftig: »Mir wäre es lieber, wenn Sie meine Anklage widerlegten. Ich würde mich um unseres Landes willen freuen, wenn Sie mir sagen könnten: Alles dies, was ich tue, und worüber alle Leute schwatzen, ist zwar wahr, aber es ist meine ungestüme Jugend, die sich austoben muß. Warten Sie noch ein, zwei Jahre, dann sollen Sie sehen, wie ich aus all diesem auftauche und meine Schwingen entfalte und mich hinaufhebe in die Höhe, die mir mein Talent weist. So möchte ich Sie sprechen hören.« – Er lächelte spöttisch.

»Ich wünschte, ich könnte so reden. Doch wenn ich heut so sprechen würde, würde ich die Unwahrheit sagen. Denn ich glaube nicht an meine Zukunft als Dichter. Ich verachte die ganze Dichterei.«

»Sie haben mir das schon einmal gesagt,« entgegnete sie bitter. »Aber ich glaube es heute ebensowenig als damals bei Lady Melbourne.«

»Sie können's mir glauben,« beharrte er. »Ich habe die feste Überzeugung, der große Lärm, den man von der Schriftstellerei und Schreiberei macht, ist nichts als ein Zeichen der Verweichlichung, Entartung und Schwäche. Wer wird wohl schreiben, sobald er nur etwas Besseres zu tun hat! »Handlung, Handlung, Handlung!« sagte Demosthenes. Handlung rufe auch ich, aber nicht Schriftstellerei, vor allem nicht Reimerei! Sehen Sie sich doch einmal das erbärmliche eintönige Leben der ganzen Sippe an. Ausgenommen Cervantes, Tasso, Dante, Ariosto, die wackere und tätige Bürger waren, Äschylos, Sophokles und noch ein Paar von den Alten. Aber im allgemeinen, was sind diese Menschen für eine nutzlose, träge Brut!«

Ihre dunklen Brauen waren während seiner Worte immer höher hinaufgestiegen in die vergeistigte Stirn.

»Welch eine Ansicht!« sagte sie und ihre Stimme bebte vor Trauer und Entrüstung. »Haben Sie nie darüber nachgesonnen, weshalb man neben die großen Männer der Handlung die großen Dichter stellt? Warum Homer neben Achilles, Sophokles neben Perikles, Shakespeare neben Cromwell in den Ruhmeshallen der Menschheit stehen? Sehen Sie nicht, daß es ein ebenso großes Verdienst ist, einem Volke neue Landstriche zu erobern als ihm neue Reiche des Gedankens zu gewinnen? Empfinden Sie, gerade Sie, denn nicht, was es heißt, ein großer Dichter zu sein? Der Menschheit ein Führer zu werden aus den Engen des irdischen Lebens hinauf in die unbegrenzten Höhen der Schönheit und des Geistes? Neue bahnbrechende Ideen und erschütternde Ahnungen in die Herzen zu pflanzen und die Erdgeborenen immer mehr von der lastenden Erdenscholle zu lösen, das Tier im Menschen immer mehr zu veredeln! Scheint Ihnen das keine Aufgabe, die den Einsatz der ganzen Kraft eines ganzen Mannes wert ist?«

Er hatte nur auf das Zittern der Empörung und Erregung in ihrer schönen Altstimme gelauscht.

»Wie schön Ihre Stimme klingt,« bewunderte er ehrlich. Da beugte sie sich in die dunkle Ecke des Wagens zurück und schwieg.

»Habe ich Sie verletzt?« fragte er betroffen.

Sie schüttelte im Dunkeln den Kopf. Da suchte er zu beweisen, daß er sie verstanden habe.

»Ich begreife sehr gut, wie Sie es meinen, Fräulein Milbanke,« begann er. »Ich habe, oder richtiger, ich hatte Stunden, in denen ich mir stolz bewußt war, daß der Dichter die Macht der Religionsstifter hat. Ja mehr, daß er ein Gott ist, der Welten schafft –«

»Nein,« entgegnete sie schroff. »Gott ist etwas ganz anderes. Gott ist –«

Doch ungeduldig unterbrach er:

»Sprechen wir nicht von Religion im gewöhnlichen Sinne. Sie sind gewiß eine fromme Christin.«

»Ja,« bekannte sie, »ich bin ein gläubiges Mitglied der Hochkirche von England. Sind Sie kein Christ?«

»Nein!« rief er eifervoll. »Ich will mit eurer Religion nichts zu tun haben. Schon allein eure Unsterblichkeit! Wenn die Menschen ewig leben sollen, warum dann erst sterben? Sind unsere Kadaver, die wieder auferstehen sollen, einer Auferstehung wert? Ich hoffe, wenn es bei mir dazu kommt, daß ich ein paar bessere Beine bekomme, als die, auf denen ich mich jetzt 23 Jahre herumgequält habe. Oder ich werde bei dem Gedränge ums Paradies traurig ins Hintertreffen kommen.«

Seine Blasphemie trieb ihr das Blut ins Gesicht, so heiß und zornig, daß er es in der wachsenden Dunkelheit gewahr werden könnte.

»Das ist Gotteslästerung,« flüsterte sie, »das ist –«

»Sehen Sie,« lachte er, »wir hätten nicht von Religion sprechen sollen. Wir wollen überhaupt nicht von mir sprechen. Reden wir lieber von Ihnen. Sie haben mir offen gesagt, was Sie von mir halten. Jetzt werde ich Ihnen sagen, wie ich Sie sehe. Ich finde, Sie sind eine ganz erstaunliche Erscheinung. Es ist etwas Wunderbares, daß ein Mädchen von 20 Jahren, eine zukünftige Peereß, die, soweit ich gehört habe, das einzige Kind ihrer Eltern ist, es zu dem Ruf einer Gelehrtin gebracht hat. Sie sind eine Dichterin, Sie haben sich eingehend und mit Erfolg mit Mathematik und Philosophie beschäftigt, und sind bei allem bescheiden und teilnehmend. Jede andere mit der Hälfte ihrer Kenntnisse und dem zehnten Teil Ihrer Eigenschaften würde hochmütig werden.«

Ernst erwiderte sie:

»Alles, was Sie da aufgezählt haben, Mylord, sind doch nur Dinge, die Sie von anderen gehört haben, die Sie auf guten Glauben hinnehmen. Vielleicht ist das alles nur übertrieben und ich bin ein Durchschnittsmädchen wie all die anderen.«

Da lächelte Byron wieder:

»Ich höre nicht nur auf die Erzählungen anderer, ich mache von meinem Recht als Dichter Gebrauch und lese auf Ihrer Stirn und in Ihren Augen.«

Sie rückte weiter in das Dunkel des Wagens zurück und stellte wie eine stachlige Wehr zwischen ihn und sich die Worte:

»Sie lesen falsch. Das einzige, was an mir ist, ist der glühende Wunsch, so lange ich hienieden wandle, meine Pflicht als Mensch zu tun.«

Byron fühlte die Zurückweisung und schwieg. Und trotzig dachte er: »Das Beste am Weibe fehlt ihr: die Weiblichkeit.«

Sie sprachen nicht wieder, bis der Wagen in Bath hielt. Als sie ausstiegen, reckten dicht neben ihnen die gewaltigen Gerüste des Riesenteleskops dunkel und wirr ihre Arme in die Nacht hinein.

»Wollen wir auf die anderen warten,« fragte Byron, »oder –« er deutete auf das kleine Blockhaus am Fuße der Rüstung – »dort hineingehen?«

»Ich denke wir gehen hinein,« entschied Annabella, »und begrüßen inzwischen Sir William. Ich kenne ihn gut. Wenn ich in London bin, komme ich oft hier heraus.«

Sie traten in das kleine Holzhaus, das erleuchtet war von dem gelben Qualm einer Öllampe. An dem Okular des Riesenrohres, das mit seiner gewaltigen Rundung das Holzdach durchbohrte, saß in scharfem Spähen zusammengekauert ein breitschultriger Mann. Als die Tür knarrte, wandte er sich nicht um. Annabella und Byron blieben ehrfürchtig an der Tür stehen, denn beide wußten, daß dort ein Gewaltiger der Wissenschaft an der Arbeit war. Nach einer Weile löste Herschel das beobachtende Auge vom Glase, blickte auf und sprang mit einem freudigen:

»Ach, Sie sind es, Fräulein Milbanke!« die Holzstufen herab, die zum Boden des Hauses führten. Sein breites Gesicht strahlte.

»Ja, Sir William, ich bin es. »Ich bringe Besuch, Lord Byron.«

Der Astronom riß die Augen auf. Sein Forscherblick umtastete Byrons Züge.

»Ich freue mich, Sie kennen zu lernen,« sagte er und reichte dem Dichter die Hand.

»Wir haben schon als Studenten von Ihnen geschwärmt,« gab Byron liebenswürdig Zurück.

»Ich hoffe, Sie interessieren sich für Astronomie,« nickte Sir William, »ein Dichter muß allem seine Teilnahme entgegentragen.«

»Ich hatte einen Freund,« sann Byron wehmütig vor sich hin, »Charles Skinner Matthews, der mich zu der Einheit des Alls führte. Er ist vor wenigen Wochen im Cam beim Baden ertrunken.«

Die Männer schwiegen. Annabellas reger Geist aber umfaßte sofort das Bedeutsame dieser Szene, die diese beiden Großen beim fahlen Lichte der Lampe in dieser niedrigen Hütte zusammenführte. Sie verglich die groben Züge des stämmigen starken Mannes mit der vornehmen Schlankheit des Dichters. Und dachte daran, daß der eine sich mit eherner Energie vom Hoboebläser eines deutschen Grenadierregiments zum bedeutendsten Astronomen, den die Erde trug, emporgerungen hatte, und daß der andere den leicht gewonnenen Ruhm frivol vertändelte. Eine Bitterkeit umdüsterte ihre feine weiße Stirn. »Ich erinnere mich,« brach Byron das Schweigen, »daß Matthews mir einmal begeistert berichtete, Sie hätten einen neuen Planeten entdeckt.«

»Ja,« schmunzelte Sir William, »das habe ich wohl, den Uranos.«

Hier fiel Annabella nachdenklich ein: »Wie verwandt doch der Astronom dem Dichter ist.«

Herschel wandte sich rasch zu ihr.

»Verwandt?« fragte er.

»Ja,« nickte sie mit ernsten Augen. »Beide suchen in den Höhen unbekannte Welten.«

Da prallte die Tür heftig auf und hereinstürmte Lady Caroline mit wehenden Locken und flatternden Röcken.

»Es ist eine Schmach!« schrie sie, »es ist eine Schmach, mir davonzulaufen. Schämst du dich nicht?«

Byron blickte sie mit kalten Augen an und entgegnete heftig:

»Ich bitte, mich nicht zu stören. Sie sehen, ich spreche mit Sir William.«

»Das ist mir –«, begann sie eine hitzige Entgegnung. Da begrüßte Lady Melbourne den Gelehrten. Annabella sprach begütigend auf die zürnende Kusine ein. Doch sie trotzte und setzte sich gekränkt in eine dunkle Ecke des Häuschens.

»Sie werden etwas sehen wollen,« sagte jetzt Herschel.

»Ja bitte,« rief Byron. »Zeigen Sie uns Ihre Kolumbustat. Führen Sie uns zu der neuen Welt, die Sie entdeckt haben.«

Herschel schüttelte den Kopf.

»Das ist für das Laienauge kein dankbares Objekt. Millionen von Meilen liegen zwischen ihm und uns. Doch der Mond steht im letzten Viertel. Auf ihn wollen wir das Fernrohr richten.«

Er hantierte an einem Flaschenzug, und mit Geknarr und Gekreisch und Gepolter stieg das Tunnel des Rohres langsam empor, Herschel blickte flüchtig hindurch, dann sagte er zu Annabella wie zu einem Fachmann:

»Fräulein Milbanke, es ist prächtige Beleuchtung heute abend. Die Gebirge treten grandios heraus. Besonders das Mare Tranquillitatis ist wunderbar zu sehen.

Sie blickte hindurch und nickte leise mit dem Kopf. Dann räumte sie Byron den Platz. Lady Melbourne war zu Caroline getreten und sprach besänftigend und trostreich der Schmollenden zu.

Byron entfuhr ein wilder Schrei bewundernden Entzückens. Nie vorher hatte er die ferne Welt dort oben so nahe gesehen, diese Welt mit ihren Riesenkratern, ihren abgründigen Schluchten, ihren ragenden Zacken, ihren weiten Ebenen und den im Sonnenschein glänzenden Gipfeln.

»Märchenhaft, märchenhaft,« flüsterte er. »Das ist ja eine Welt, das ist ja eine ganze Welt.«

»Ja,« lächelte Annabella, »das ist eine Welt, die jetzt tot und wüst ist, und die doch aller Wahrscheinlichkeit nach einmal ihre grünen Wälder und blinkenden Seen getragen hat.«

Jetzt trat Lady Melbourne heran. Erschüttert verließ Byron seinen Platz am Okular. »Es ist wie eine Zauberei,« raunte er. »Ich möchte stundenlang hier sitzen und hineinstarren in diesen fernen Kontinent.«

»Kommen Sie wieder,« lud Herschel ihn freundlich ein. »Vielleicht begeistert der Anblick Sie zu einer Dichtung über den Mond.«

Dann sollte auch Caroline das Wunder schauen, doch sie weigerte sich töricht. Ablenkend bat Byron den Astronom, ihm die Konstruktion seines Fernrohres zu erklären.

»Wollen Sie es tun,« wandte er sich väterlich stolz an Annabella. »Aus solch gelehrtem Frauenmund klingt es anmutiger.«

Leicht errötend begann sie mit der ihr eigenen Gründlichkeit: »Das Fernrohr wurde durch einen Zufall entdeckt. Zwei Kinder des Brillenmachers Jansen in Middelburg, die mit Glaslinsen und Brillengläsern spielten, bemerkten, als sie zwei Gläser in verschiedener Richtung vor die Augen hielten –«

Hier weinte Caroline plötzlich dazwischen: »Ich will nach Hause, ich will nach Hause. Ich langweile mich.« »Gehen Sie!« rief Byron heftig. »Mich interessiert es, ich bleibe.«

Lady Melbourne trat hilfreich dazwischen. »Ich werde dich nach Hause bringen, mein gutes Kind.«

Da warf sich die lebhafte junge Dame in einen Sessel, daß er in allen Fugen krachte, stieß mit den Beinen in die Luft, daß das Weiß der Unterwäsche aufleuchtete und schrie: »Ich will nicht mit dir fahren. Ich will mit Byron fahren. Er soll nicht hierbleiben und auf dieses Gewäsch der Person da hören!«

Es gab eine peinliche Szene, während der hysterische Schreie den wissenschaftsgeweihten Raum durchgellten, Byron mit gekreuzten Armen gelassen dastand, Lady Melbourne die Hände rang, Annabella sich auf die Lippen biß und Herschel das ungestüme Wesen mit seinen erstaunten Forscheraugen betrachtete, wie er die seltsamen Vorgänge am Firmament zu studieren pflegte. Das Ende vom Liede war, daß Lady Caroline, wie immer, ihren Willen durchsetzte. Denn auch die geängstigte Schwiegermutter bestürmte Byron, »dem lieben Kinde den Gefallen zu tun,« indem sie ihm flehend vorhielt, die Ärzte hätten doch gesagt, daß jede Erregung eine Umnachtung der Sinne herbeiführen könne.

Stumm und verbissen saß er in der Ecke des Wagens, während Caroline beglückt wie ein Kind, dem das erweinte Spielzeug zuteil geworden ist, auf ihn einplapperte.

»Ich will dich für mich haben, ganz allein für mich. Du sollst dieser Person nicht zuhören. Wie sie sich wichtig vor dir tat mit ihrer dummen Weisheit, die sie aus dicken Büchern erlesen hat. Was uns bloß die schmutzigen Kinder des Middelburger Brillenmachers angehen!« Und sie schwang sich auf seine Kniee, schlang die Arme um seinen Nacken und betaute sein Gesicht mit ihren Küssen. Kalt ließ er alles über sich ergehen. Doch der Vergleich zwischen der stillen Herbheit Annabellas und der mänadischen Zerfahrenheit Carolinens zwang sich ihm auf. –

Als Lady Melbourne ihn nachher beiseite nahm und erforschte, wie ihm ihre Nichte heute gefallen habe, gestand er ehrlich:

»Sehr gut.«

Da lächelte die kluge Frau ein feines Altfrauenlächeln und fragte:

»Soll ich Fräulein Milbanke ein bißchen aushorchen, wie Sie ihr gefallen haben?«

Er schüttelte den Kopf. »Ich kann es Ihnen im voraus sagen, Mylady, einer solchen Frau muß ich schlecht gefallen.«

Doch Lady Melbourne lächelte wieder und fragte: »Und wenn Sie sich täuschen? Darf ich ihr dann sagen, daß Sie es als ein Glück betrachten würden, sie zum Weibe zu erhalten?«

Byron blickte vor sich nieder.

»Ich würde es als ein Glück betrachten. Doch ich fürchte, sie sieht auf mich ebenso kalt hernieder, wie der Mond aus seiner unnahbaren Höhe.«

Aber Lady Melbourne lächelte froh, zuversichtlich und überlegen.

Wenige Tage später aber mußte sie traurig bekennen:

»Fräulein Milbanke ist zu ihren Eltern nach Seaham zurückgereist.«

»Ich habe es gewußt,« sagte Byron und preßte die Lippen zusammen.

Seine Eitelkeit war wund.

»Sie sagt,« berichtete Lady Melbourne resigniert, »sie hätte Sie gern. Doch Sie böten ihr nicht die Gewähr auf Glück, die der Mann ihr geben müßte, dessen Weib sie werden könnte.«

»Ich habe es gewußt,« nickte Byron vor sich hin. Und trotzig fügte er hinzu: »Es ist gut so, Männer wie ich sollten nicht heiraten.«

Lady Melbourne schwieg eine Weile, dann wagte sie tastend: »Was soll nun aber werden, Mylord? Sie begreifen, daß es so nicht weitergehen kann. Die Augen ganz Englands sind auf dieses Haus gerichtet.«

Byron blickte ihr fragend in die Augen.

»Geben Sie Lady Lamb auf,« bat die alte Dame scheu. »Gern,« gestand Byron mit verblüffender Offenheit. »Ich fürchte nur, sie wird mich nicht aufgeben.«

Da rückte die fürsorgliche Dame näher an ihn heran und unterbreitete ihm den Plan, den sie ersonnen hatte. Sie wolle mit ihrer Schwiegertochter nach Irland reisen. Byron sollte versprechen, ihnen bald Zu folgen.

»Sie werden dann eben irgendwie verhindert,« lächelte sie. »Und ich glaube, in der Ferne wird das liebe Kind Sie leichter vergessen. Bei ihr heißt es wirklich: »aus den Augen, aus dem Sinn«. Sie brauchen sich nicht verletzt fühlen, Mylord, denn sie ist ja doch ein Kind, das man kaum ernst nehmen kann.«

»Ich bin nicht verletzt,« rief Byron. »Ich bin durchaus nicht verletzt.«

Denn er war dieser steten Aufregungen, Szenen und Heftigkeiten so müde, so herzlich müde.

Die Durchführung dieses schwiegermütterlichen Planes bot gewisse Schwierigkeiten. Man mußte die gute Caroline fast mit Gewalt entführen. Und nur die Aussicht, den Geliebten in wenigen Tagen wiederzusehen, ermöglichte es, sie zum dritten Male in den Reisewagen zurückzuheben, aus dem sie schon zweimal während der Fahrt entsprungen war.

Dann flatterten Byrons Briefe herein, die von Tag zu Tag kühler wurden und seine Ankunft in Dublin von Tag zu Tag hinausschoben. Da schrieb sie empört, hitzig, übersprudelnd und um seine Liebe bettelnd, ohne Scham, ohne Würde.

»Komm,« schrieb sie. »Komm sofort hierher. Ich sterbe vor Sehnsucht nach deiner Glut. Jedes Gefühl in mir bebt dir entgegen. Jede Faser in mir umschlingt dich. Ich fühle wohl, du liebst mich nicht mehr wie früher. Aber komm nur her, dann will ich dich mit meinem langen Haar umstricken, dich damit fesseln und nie, nie wieder gebe ich dich frei. Ich werde dir meine Liebe einatmen, sie einbeißen in deine Brust, sie dir zuströmen aus jeder Pore. Nur komm, komm sofort.«

Da ekelte es Byron vor ihr und er schrieb:

»Da Sie es noch immer nicht gemerkt haben, daß ich Sie nicht mehr liebe, so zwingt mich Ihre unweibliche Verfolgungssucht, Ihnen mitzuteilen, daß meine Liebe zu Ihnen tot ist. Ich werde mich dankbar der Gunst erinnern, die Sie mir geschenkt haben. Ich werde Ihr Freund bleiben, wenn Eure Ladyschaft mir gestatten, Sie so zu nennen. Und als ersten Beweis meiner Freundschaft gebe ich Ihnen folgenden Rat: »Verfolgen Sie nicht einen Mann, der Ihrer überdrüssig ist. Das macht Sie lächerlich. Und üben Sie Ihre absurden Launen an anderen aus und lassen Sie mich in Frieden.«

Die Frau war wie vom Blitz gefällt. Doch sie erholte sich rasch und raste aller Abwehr Lady Melbournes zum Trotz nach London. Sie suchte in Byrons Hotelzimmer einzudringen, es mußte ihr mit Gewalt verwehrt werden. Da gab sie ganz London ein lächerliches Schauspiel ihrer verratenen Liebe. In dem Park von Melbourne House errichtete sie einen Scheiterhaufen, und während zwanzig weißgekleidete Jungfrauen ernst und gemessen um die Flammen schritten, verbrannte sie Byrons Bild und die Abschriften seiner Briefe. Die Originale hatte sie wohlweislich zurückbehalten.

Während England über diese Verbrennung in effigie lachte, erhielt Byron von Lady Oxford einen Brief mit der Bitte um seinen Besuch. Die stille Anmut der schönen 40jährigen Frau, der er häufig in Gesellschaften begegnet war, hatte ihn oft lind berührt. Die milde Ruhe ihrer Schönheit lockte ihn zur bestimmten Zeit nach Oxford House. Der Diener geleitete ihn in ein kleines Boudoir. Es war ein heißer Julitag, die Sonne dampfte auf den seidenen Vorhängen. Die Luft war voller Glut und Spannung. In schlanken Vasen dufteten süß und schmerzlich Akazienblüten und Jasmin. Mit einem scheuen Lächeln trat sie ihm entgegen, in einem Kleide von zartem Gewebe, das die verschwebenden weichen Linien ihrer Herrlichkeit sommerlich enthüllte. Sie reichte ihm die gepflegte Hand. Er sah, wie zart das Gelenk zu dem vollen Arme hinüberwuchs, der aus den Spitzen des Ärmels weiß wie poliertes Elfenbein hervorschimmerte.

»Ich habe Ihnen geschrieben, Mylord,« sagte sie mit ihrer verhaltenen leisen Stimme und machte eine milde einladende Bewegung nach einem Sessel hin, »weil ich glaubte, es würde Ihnen vielleicht angenehm sein, London zu verlassen.«

Ein verlegenes Lächeln huschte um ihren Mund.

Byron blickte erstaunt drein. Sie sah vor sich nieder auf den Teppich und erläuterte:

»Verzeihen Sie mir, ich will nicht unzart sein. Ich dachte nur, Sie würden gerade jetzt gern aus der Atmosphäre der Stadt verschwinden.« Er begriff. »Sie meinen wegen des neuen Eklats mit Lady Lamb?« Sie nickte stumm.

»O!« rief er mit einer großartigen Geste. »Deshalb weiche ich nicht. Nein, dieses Feuer im Park von Melbourne House läßt mich ganz kalt. Es ist sehr liebenswürdig von Ihnen, Mylady.«

»Mein Gut Eywood bei Hereford ist diesen Sommer ganz verwaist,« sagte sie leise. »Ich wollte es Ihnen zur Verfügung stellen.«

»Sie sind sehr liebenswürdig,« wiederholte er herzlich. »Aber wenn ich London entfliehen wollte, so könnte ich ja auf meinem Gut Newstead Zuflucht suchen. Ich will aber hierbleiben und zeigen, daß ich vor keiner Weiberlaune fliehe. Aber ich danke Ihnen nochmals für Ihre sorgende Güte.«

»Mylord,« lächelte sie mit bebenden Lippen, »jede Frau würde an meiner Stelle so handeln, um Englands größten Dichter von Angelegenheiten zu bewahren.« Dann schwieg sie im Banne seiner Nähe.

Nach einer kleinen Pause lachte er auf. »Sie hat es arg getrieben, die liebe Lady Caroline!«

Sie entgegnete nichts. Ihr Takt lehnte sich dagegen auf, mit ihm über eine unglückliche Geschlechtsgenossin Zu reden.

»Sie hat mich mit ihren Launen fast um den Verstand gebracht,« knirschte er zwischen den weißen Zähnen.

Sie entgegnete wieder nichts, doch sie blickte ihn aus ihren warmen braunen Augen voll Mitgefühl an.

»Ich bin so müde,« sagte Byron und schloß die Augen.

Ihre Blicke streichelten sein Gesicht. Er empfand die warme Wildheit, die ihrer herbstlichen Schönheit entströmte. Seine Blicke ruhten auf ihrem Mund, als er sagte: »Nach all dem Lärm und aller Wirrsal möchte ich zu einer Frau heimkehren, die wie ein schöner Septembertag ist, an dem nichts grell ist und taumelig, an dem Klarheit und erntefrohe Stille ist.«

Er hatte ihre Hand ergriffen und sanft das Gelenk umspannt. Zag zog sie den Arm zurück. Doch in ihren Augen glitzerten Wünsche.

Es war, als ob die Hitze sich noch verdichtete, die Blumen in den Vasen atmeten schwer, süß und sehnsüchtig. Eine Schwüle, die Begierden erregte, schwamm in dem Gemach. Da begann sie zu sprechen, leise, als erzählte sie sich selbst das Leid ihres Lebens.

»Wissen Sie, Mylord, daß ich zum ersten Male in meinem Leben Besuch habe?« Sie lächelte froh.

»Der Brief an Sie war die erste Tat meines Lebens. Bisher habe ich nur gelitten. Mit 17 Jahren habe ich geheiratet. Sie werden wissen, wie meine Ehe gewesen ist; jedermann weiß es. Jahrelang habe ich meine Schmach still und verschämt getragen und bin darüber eine alte Frau geworden.«

Er lächelte abwehrend. – »Doch, doch,« beharrte sie und betrachtete ihre reifen Hände.

»Nein,« sagte er. »Eine Jugend, die man nicht lebt, vergeht nicht. Sie lebt in uns und harrt ihrer Erweckung.«

Seine Blicke forschten über ihren Körper hin. Sie errötete und bewegte unruhig die Glieder. Die ungelebte Jugend in ihr sehnte sich nach dem Leben. Da nahm er wieder ihre Hand, seine Finger glitten über die Elfenbeinhaut hinauf zu den Schultern. Sie wollte ihm wehren, doch eine nie gekannte Mattigkeit brach ihre Willenskraft. Ihre Lippen verzogen sich zu einem ergebenden Lächeln. Da küßte er sie. Sie ließ ihm den Mund. Da nahm er sie. Sie ließ ihm die Schönheit ihrer Reife.


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