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VI.

Am 2. Juli 1811 schritten Hobhouse und Davies auf der knarrenden Landungsbrücke von Portsmouth auf und nieder. Die Sonne stach heiß und blendend herab. Eine Weile gingen sie stumm von einem Ende der Brücke zum anderen und blickten hinaus auf das flimmernde, sacht bewegte Meer. Endlich brach Hobhouse das Schweigen: »Wir scheint, wir sind zu früh,« brummte er. »Ich werde einmal den Bootsmann dort fragen.«

Er trat an den Steuermaat heran, der an der Reeling der Brücke stand, die Hände in den weiten Hosentaschen vergraben, und behaglich seinen Tabak kaute.

Hobhouse griff an den modernen Seidenhut und fragte: »Wann denken Sie, wird die Fregatte ›Volage‹ einlaufen?«

Der Alte schob den Tabak mit schmatzendem Laut von der linken Backentasche in die rechte, blinzelte auf die See hinaus und murrte: »Das kann noch 'ne Weile dauern, junger Herr. So in 'ner halben Stunde, denk' ich, wird sie wohl da sein.«

Hobhouse dankte und ging zu Davies zurück.

»Was tun?« fragte der Student. »Wollen wir in die Stadt zurück?«

»Was sollen wir in dem öden Nest?« bedachte Hobhouse.

»Ich schlage vor, wir setzen uns auf die Brücke und lassen die Beine baumeln.«

Das taten sie denn auch, zogen die Hüte tief in die Stirn zum Schutz gegen die sengenden Sonnenstrahlen und träumten hinaus in die See.

»Ich bin neugierig,« sagte Davies endlich, »ob er sich sehr verändert hat. Zwei Jahre sind eine lange Zeit, und noch dazu die Jahre von 21-23.«

»Jahre in der Fremde zählen doppelt,« nickte Hobhouse.

»Er hat sich verändert. Er hat sich schon in dem Jahr, das ich mit ihm zusammen dort draußen war, wacker gehäutet. Zum Guten wie zum Schlimmen.«

Davies wandte sich dem Freunde zu.

»Zum Schlimmen? Inwiefern?«

Hobhouse schlenkerte eine Zeitlang stumm seine langen Beine und sah gedankenvoll dem Spiel der Mücken über dem silbernen Wasser zu.

»Er war auf der Reise oft unerträglich in seiner Affektiertheit und in der Art, wie er mit seinem Weltschmerz posierte. Auf dem Schiff, wenn die Nacht kam und die Lichter angezündet wurden, trennte er sich meist von der Gesellschaft, setzte sich vorn in den Kiel des Schiffes und saß dort stundenlang schweigend im Mondlicht.«

»Aber,« rief Davies, »das ist doch keine Pose! Das war das Genie in ihm, das nach Einsamkeit dürstet. Er wollte den Gedanken lauschen, die die Nacht in ihm aufscheuchte.«

Hobhouse rückte etwas weiter auf die Planke zurück, spielte mit den Spitzen seiner hohen Schaftstiefeln und sagte: »Ich erkenne, weiß Gott, das Geniale an, das in dem Jungen steckt. Aber wenn ihn das Mondlicht von der Gesellschaft sonderte, dann dachte er alles andere eher als sublime Gedanken. Du hättest nur sehen sollen, lieber Davies, wie er da seine Züge schmerzlich zerlegte, die Augenbrauen zusammenzog und die Mundwinkel verächtlich hängen ließ. Das war Pose, nichts, als eitle Pose. Das ganze Schiff lachte ja auch nur über ihn und diese ›Byron-Pose‹, wie man es nannte.«

Davies schüttelte sacht den feinen Kopf: »Ich habe immer das Gefühl, als wenn nicht alles an ihm Pose ist. Er ist im Grunde seines Gemüts ein unglücklicher Mensch. Seine Lahmheit, seine Abstammung aus dieser irrsinnigen Familie, seine Armut, und, wenn ich richtig ahne, irgendeine tiefe unglückliche Liebe lasten schwer auf ihm. Ich gebe zu, daß er sein Unglück gern vor der Welt ausweint.«

Hobhouse schwieg und blickte nach links hinüber zu dem Kriegshafen, in dem die Masten der Schiffe brannten wie Gold. Nach einer Weile fuhr er fort: »Sein Unglück ist, daß er sich von Männern, die es gut mit ihm meinen, fern hält. Wir waren schon recht auseinandergekommen, als wir uns in Konstantinopel trennten. Der Abschied freilich war sehr innig, und ich glaube fast, wir haben beide ein bißchen geheult. Aber sonst« – er stieß die Beine von sich – »die Weiber sind sein Unglück.«

Wieder schwieg er.

»Er hat wohl viele Frauen unterwegs kennen gelernt?« fragte Davies zaghaft.

»Unzählige,« lachte Hobhouse in sich hinein. »Die Weiber waren ja überall wie toll hinter ihm her. Schon in Cadiz fing es an. In Sevilla« – er schlug Davies lustig auf den Schenkel. – »Du, das war 'ne tolle Geschichte. Da wohnten wir bei zwei Schwestern in der Calle de la Cruzea. Sie hatten nur ein Zimmer. Da haben wir alle vier geschlafen, stell' dir mal das vor!«

»Ich stelle mir vor,« lachte Davies.

Hobhouse grinste vor sich hin und verlor sich in liebliche Erinnerung.

»Ihr seid schon zwei Richtige,« schmunzelte Davies. »Kann mir denken, daß Byron nicht darauf bestand, ein anderes Logis aufzusuchen. Waren sie denn wenigstens hübsch, die Wirtinnen?«

»Es ging, das heißt, Josepha war sehr hübsch. Aber die hat Byron sich natürlich genommen. Meine war übrigens auch ganz nett. Die schönste Frau aber, mit der er, solange ich mit ihm zusammen war, angebandelt hat, war die Frau unseres Gesandten in Stuttgart, die gerade in Malta weilte, Mrs. Florence Spencer Smith, ein entzückendes Weib.«

Ihm wurde in Erinnerung ganz weich, und Davies hielt ihn fest, aus Angst, er könne von der Brücke herab ins Wasser fallen.

»Der Mann war nicht bei ihr, der Teufel mag wissen, wo er steckte. Die Frau war ganz vernarrt in Byron, er übrigens auch in sie. Er hat auch 'ne Menge Gedichte auf sie gemacht. Sie kommt übrigens auch in dem großen Epos vor, an dem er unterwegs fortwährend schrieb, und das mir gar nicht gefällt. Als wir weiter zogen, mußten sie sich ja wohl oder übel trennen, und er tröstete sich auch bald genug in Athen mit der Tochter der Konsulatswitwe Macri. War auch nicht übel, dieses Mädchen von Athen. Das heißt, eigentlich waren es drei. Drei Schwestern. Die waren alle in ihn verschossen. Und Byron ließ sich die Huldigungen dieses Trifoliums paschahaft gefallen. Erwidert hat er, soviel ich weiß, nur die Zärtlichkeiten der Jüngsten. Wenn ich mich recht entsinne, hieß sie Thereza. Er hat auch ein schönes Gedicht auf sie verfaßt. Übrigens habe ich vergessen, in Xeres de la Frontera hatte er ja noch eine kleine Liäson mit der Tochter des Admirals Corduba.«

»Du, da kommt sie!« rief plötzlich Davies und sprang auf.

Ja, sie kam. Die weißen Segeltücher standen silberblank draußen in der See. Die Fregatte »Volage« eilte dem heimatlichen Hafen zu. Das Wasser brandete weiß an ihrem breiten Buge auf. Die beiden jungen Männer standen nebeneinander und sahen stolz das weitbuchtige Schiff mit seinen glänzenden Stückpfosten majestätisch heranbrausen.

»Donnerwetter!« rief Hobhouse, »sieht das fein aus! Du, Davies, es ist doch ein stolzer Gedanke, daß solche Dinger, wie das da draußen, auf allen Meeren und in allen Weltteilen unsere Macht künden. Ich begreife, wie Napoleon das Herz vor Zorn bersten muß, wenn er von Brest aus unsere Flotte ihn höhnen sieht. Sapperlot, es ist eine Freude, ein Brite zu sein.«

Und er schwenkte den grauen Seidenhut der Fregatte entgegen.

Davies aber suchte unterdessen mit seinen scharfen Augen den Freund unter der Schar, die sich an der Reeling des Schiffes zu einem dunklen Knäuel zusammendrängte. Lange konnte er nichts erkennen. Doch dann, als das Schiff in Schnelle näher kam, da winkte von drüben ein weißes Tuch. Dann drehte das Schiff auf der Reede bei, die Anker polterten nieder, Boote wurden ausgesetzt, eilig hastete es das Fallreep hinab, die Boote füllten sich, stießen ab und hielten auf die Landungsbrücke zu. Und dort, in der vordersten Schaluppe, stand einer und winkte.

Davies ließ die Arme sinken und wandte das verblüffte Gesicht Hobhouse zu.

»Nanu, wer ist denn das, der da zu uns herübergrüßt? Wer ist dieser Mensch in dem seltsamen Aufzug?«

»Das,« lachte Hobhouse und winkte wie besessen, »das ist unser lieber Freund Byron. Und was du den »seltsamen Aufzug« nennst, das ist die albanesische Nationaltracht, die er sich in Janina für schweres Geld angeschafft hat. Da hast du Byron, wie er leibt und lebt.«

Und er beugte sich über das Geländer weit hinaus und schrie dem Boote entgegen:

»Hurra, alter Junge! Willkommen heim im alten England!«

Dann lag das Boot an der Landungsbrücke, und Byron sprang die Stufen der Treppe hinauf. Es war ein schmerzlich-grotesker Anblick, wie er in seiner prunkenden Pracht mit dem Seidenturban und der wehenden Feder, den roten weiten türkischen Hosen, der gestickten Damastjacke und dem silberblinkenden krummen Säbel über der Brust die Treppe hinaufhinkte. Das Bild wurde noch wehmütiger durch den Ausdruck seines Gesichts, das den Stolz über seine romantische Tracht verriet.

Mitten auf der Treppe fielen die Freunde sich an die Brust.

»Mein lieber, lieber George,« stammelte Davies gerührt. »Mein lieber, lieber Georgy.«

Stumm schüttelte ihm Hobhouse die Hand. Doch noch ehe sie die Plattform der Brücke betreten hatten, platzte er mit der Frage heraus: »Was soll die Maskerade. Byron?«

Byron hatte Davies Arm genommen, jäh ließ er ihn fahren. Sein freudeverklärtes Gesicht verdüsterte sich und scheu sagte er: »Ich wollte ein Stück bunten Orients mitbringen in dieses graue Land.«

Seine Lippen zuckten.

Da packte Davies ein lindes Mitleid. Er begriff, daß hinter all diesem sonderbaren Tun des Freundes sich immer ein tiefer seelischer Sinn barg. Der Arme kam ihm plötzlich verkannt vor und wie ein gehetztes Wild. Lächelnd sänftigte er: »Das verstehe ich sehr gut. Du wolltest schon äußerlich die Buntheit des Landes, aus dem du kommst, mitbringen!«

»Ja,« sagte Byron und fühlte sich wie ein gescholtenes Kind.

Doch Hobhouse blieb streng.

»Ich sehe nicht recht ein,« sagte er, »weshalb man das äußerlich ausdrücken muß. Bringe das ganze Leuchten des Orients in deiner Seele mit, mein lieber Byron, aber erniedrige ihn nicht zu einem Narrenkostüm.«

Byron traten die Tränen in die Augen. Doch Davies suchte schnell abzulenken.

»Herrgott, Hobhouse, sei nicht so kleinlich. Mach doch wegen dieses Scherzes nicht so viel Gerede. Im übrigen haben wir keine Zeit zu verlieren, die Post nach London geht in fünf Minuten.«

Und zu Byron gewandt, erläuterte er: »Wir haben die drei Innenplätze der Post für uns belegt, so daß wir ganz ungestört sein werden. Steigt ihr inzwischen ein, ich werde dein Gepäck besorgen.« Und fort eilte er.

Byron und Hobhouse schritten zum Platz vor der Landungsbrücke, auf dem die gelbe Postkutsche harrte. Als sie in den Kasten eingestiegen waren, saß Byron mit gramvoll gesenkten Brauen in seiner Ecke und starrte zum Fenster hinaus.

»Nun, nun,« begütigte Hobhouse und streichelte seine Knie, »so schlimm war's ja gar nicht gemeint. Bist mir doch nicht etwa böse, alter Knabe?«

»Nein,« schüttelte Byron den Kopf, »böse bin ich dir nicht. Es tut nur so weh, daß ihr mich gar nicht versteht, daß ihr nicht fühlt, daß solche Äußerlichkeiten mir der Ausdruck innerer Empfindungen sind. Und dann – es ist ganz so, wie ich es erwartet habe. Als ich vorhin die weißen Klippen Englands aus dem Meer aufglimmen sah, da war nicht eine Spur von Freude in mir. Die Brust hat sich mir zusammengezogen in einer unerklärlichen Angst und in einem einengenden Grauen. Und kaum habe ich englischen Boden betreten, ist England schon da mit seiner Engherzigkeit und mit seiner Pedanterie.«

»Erlaube mal,« wehrte sich Hobhouse, »du wirst mich doch nicht etwa als Symbol der Kleinherzigkeit Englands hinstellen wollen.«

Byron antwortete nicht und blickte hinaus auf das Flimmern der leise fallenden und steigenden Mäste der Kriegsschiffe.

»Ich bin nicht gern nach Hause gekommen,« sagte er endlich. »Was kann England mir geben? Meine Gläubiger und ihre Gerichtsvollzieher erwarten mich. Und die Aussicht, in Newstead mit meiner Mutter zusammenzuleben, ist auch nicht verlockend.«

»Schieb sie wieder nach Southwell ab,« riet der Freund bündig.

»Das kann ich nicht,« schüttelte Byron den Turban. »Sie hat während meiner Abwesenheit ihren Haushalt in Southwell aufgelöst und ist nach Newstead gezogen. Ich kann sie jetzt nicht wieder fortweisen.«

Hier steckte Davies den hübschen Kopf zum Wagenschlag herein.

»Alles besorgt!« rief er munter und sprang hinein. Dann erklang das Posthorn und der schwere Wagen rumpelte über das schlechte Pflaster der kleinen Stadt hinaus auf die Landstraße. Die Freunde saßen sich stumm gegenüber. Davies prüfte Byrons Gesicht, das die hohe Kopfbedeckung beschattete.

»Sapperment!« lachte er plötzlich. »Wie siehst du famos aus! Zu Anfang habe ich das gar nicht so bemerkt. Deine ganze Erscheinung in diesem fremden Gewand war mir so ungewohnt. Aber jetzt sehe ich, wie braun und männlich du geworden bist. Und noch hübscher.«

Seine blauen, echt englischen Augen leuchteten warm.

»Wie gut dir der kleine Schnurrbart steht. Prächtig siehst du aus.«

Die Anerkennung des Freundes tat Byron wohl. Und plötzlich warf er alle Schwermut von sich und rief laut in das Klirren der Wagenfenster hinein: »Kinder, Kinder, nur reisen, reisen! Was habe ich alles gesehen, und was habe ich alles erlebt, und wie habe ich meinen Horizont erweitert! Die Menschheit anschauen muß man, statt über sie zu lesen. Wenn ich wieder ins Oberhaus gehe, werde ich ein Gesetz beantragen, nach dem alle jungen Leute auf Staatskosten ein Vierteljahr lang ins Ausland geschickt werden. Ihr ahnt ja gar nicht, wie sich meine Welt geweitet hat. Ich sage euch, ich hätte ein Jahrhundert lang zu Hause sitzen, in euren Städten verräuchern, auf eurem Lande vernebeln können, ohne eine Ahnung von dem zu bekommen, was mir in acht Tagen draußen aufgegangen ist.«

»Was war das Schönste auf der Reise?« fragte Davies mit seiner strahlenden Innigkeit.

»Das Schönste?« – Byron überlegte. »Das Schönste war wohl – das Schönste habe ich wohl noch mit Hobhouse erlebt. Das war, als wir zuerst in Janina den Orient rochen. Hat Hobhouse davon nicht erzählt?«

»Nein,« sagte Davis.

»Ich bin noch nicht dazu gekommen,« erklärte Hobhouse. Wir haben uns ja erst heut früh in Portsmouth getroffen.«

»Ja, Janina,« schwelgte Byron in Erinnerung. »Da strahlte uns zuerst der Orient. Da sahen wir zuerst die Männer in ihren prächtigen Trachten –«

» à la Byron,« Hobhouse deutete lächelnd auf ihn.

»Ja,« nickte Byron jetzt ganz fröhlich, »nimm mich als Illustration, Davies. Und die schwarzen Sklaven, die verschleierten hohen Gestalten der Frauen, die Pferde mit ihrem kostbaren Zaumzeug, der Trommelwirbel, die Luft von kriegerischer Lust gesättigt, der Muezzinruf von den schlanken Minarets, und gerade wie wir einritten, ging die Sonne unter und warf ihre Strahlen auf das bunte Bild, daß man glaubte, man sei mitten hineingezaubert in ein Märchen aus Tausend und einer Nacht.«

Er war jetzt in Eifer geraten und glühte.

»Hobhouse, erinnerst du dich noch jener Nacht im Gebirge, als wir in Utraikev im Lager der Arnauten den Kriegstanz sahen?«

»Ich erinnere mich,« sagte Hobhouse.

»Davies, das wäre was für dein romantisches Gemüt gewesen,« fuhr Byron fort. »Diese großen schönen reckenhaften Gestalten im blutigen Scheine der Wachtfeuer. Dann sangen sie ein Kriegslied, das uns das Blut durch die Adern riß.«

Er bückte sich zu der kleinen Handtasche, die er mit in den Wagen genommen hatte, öffnete sie und entnahm ihr ein Manuskript.

»In meinem »Childe Buren«, der übrigens Hobhouse gar nicht gefällt, – ich glaube selbst auch, er taugt nichts – habe ich den Kriegsgesang, den sie beim Tanze anstimmten, übersetzt.«

Und mitten in das Rattern der Fahrt hinein las er:

»Tamburgi! Tamburgi! Türkische Bezeichnung des Tambours. Dein Rasseln entfacht
Die Sehnsucht der Tapfern, die Hoffnung der Schlacht.
Der Sohn des Gebirges vernimmt dein Gebot,
Der Chimarier, der Illyrier, der braune Suliot.

Das Antlitz der Jungfrau, es sei mir gegrüßt,
Die in Schlummer mich singt und die Ruhe versüßt,
Sie hol' aus der Kammer die Zither zum Spiel
Und sing' uns das Lied, wie ihr Väterchen fiel.

Selikter! Schwertträger. Den Säbel des Führers heraus,
Tamburgi, du rufst uns zum kriegrischen Strauß;
Ihr Berge, wir steigen hinunter zum Meer,
Bald sehn wir als Sieger euch – oder nicht mehr.«

So sang Byron die Weise der Albaner, und Hobhouse brummte dazu erinnerungsschwer die Begleitung.

»Schön,« lobte Davies, »ich sehe die ganze Szene vor mir. Ach, ihr habt es gut gehabt, ihr beide.«

Byron summte jetzt von Reiseerinnerungen.

»Von Konstantinopel hat Hobhouse dir wohl auch noch nicht erzählt?« fragte er.

Davies schüttelte den Kopf.

»Ah,« machte Byron, und seine Augen wurden noch größer und strahlten von innen, »das war landschaftlich das Herrlichste. Der Bosporus mit seinen Farben, dieser Blick nachts vom Fenster hinüber auf das Goldene Horn, die tausend Lichter in der Ebene, und draußen auf dem Wasser die roten, grünen zitternden Spiegelungen der Schiffslaternen in dem polierten Schwarz der See, und dazwischen der eintönige, sehnsuchtsvolle Gesang und tausend Schreie der Verkäufer durch die Nacht. Und bei Tag die Höhe am Ufer mit ihren marmornen Palästen und Moscheen mit den stummragenden Zypressen.«

Er schwieg, und auch die Freunde blieben stumm.

Da lachte Byron plötzlich auf.

»In Konstantinopel hatte ich auch ein drolliges Abenteuer mit einem Korsaren Konrad. Eine ganz wilde Geschichte. Doch die will ich euch ein andermal erzählen, die ist zu lang. Und in Athen hab' ich auch ein Abenteuer erlebt. Ein Mädel, mit dem ich liiert war, sollte in einen Sack eingenäht ins Meer geworfen werden. Das erzähle ich euch auch einmal. Übrigens, Davies, hat dir Hobhouse berichtet, daß ich über den Hellespont geschwommen bin?«

Davies verneinte.

»Das hast du nicht erzählt!« rief Byron ärgerlich. »Ja, mein Gott, was hast du denn eigentlich erzählt? Davies, denk' dir« – er glühte auf vor Stolz – »ich bin doch von Sestos nach Abydos geschwommen. Wir fuhren von Smyrna auf der Fregatte »Savette«. Eines Abends entspann sich zwischen uns und den Offizieren des Schiffes ein Streit darüber, ob die Sage von Hero und Leander wahr sei und ob es möglich wäre, bei der starken Strömung von einem Ufer zum anderen zu schwimmen. Es kam schließlich zu einer Wette, und der Schiffsleutnant Eakenhead und ich unternahmen es, hinüber zu schwimmen. Wir haben es trotz der Strömung vollbracht. Aber ich kann dir sagen, Davies, noch einmal möchte ich es nicht tun. Das Wasser war verdammt kalt. Ich kann mir nur denken, daß der gute Leander mächtig abgekühlt zu seiner Hero gekommen ist. Auf mich wartete am anderen Ufer leider keine Dame; ich wurde vielmehr von drei Fischern fast leblos aufgefunden.«

»Aber du hast sonst genug Heros gefunden,« scherzte Davies. »In Athen soll ein sehr hübsches Mädchen dich beglückt haben und in Malta eine junge Frau mit dem schönen Namen Florence.«

Er schmunzelte Hobhouse spitzbübisch zu.

»Lies Davis doch mal die Verse vor, die du auf die beiden gemacht hast,« bat Hobhouse und zeigte auf die Blätter, die Byron noch immer in den Händen hielt.

Bereitwillig suchte Byron und sagte:

»Hier ist das Gedicht »An das Mädchen von Athen«. Der Refrain ist neugriechisch: »Zoë mu, sas agapo« und bedeutet: mein Leben, ich liebe dich.

»Süßes Mädchen von Athen,
Gib mein Herz mir, eh' wir gehn.
Ach, ich halt' es doch nicht fest,
Gut, behalt es samt dem Rest.
Eh' ich scheide, schwör' ich so:
Zoë mu, sas agapo.

Bei den Locken, die der West
Wallend kost und wehen läßt,
Bei der schwarzen Wimpern Saum,
Bei der Wange weichem Flaum,
Bei dem Rehaug', mild und froh,
Zoë mu, sas agapo.

Mädchen von Athen, ade.
Denke meiner, wenn ich geh'.
Mag ich auch nach Stambul gehn,
Seel' und Herz bleibt in Athen.
Glaubst du, daß ich dir entfloh?
Zoe mu, sas agapo

»Sehr hübsch,« lächelte Davies, »wirklich sehr hübsch.«

Hobhouse summte leise vor sich hin:

» Zoe mu, sas agapo

»So, jetzt noch das an Florence,« bat Davies, da Byron sich anschickte, die Blätter in die Reisetasche zu tun.

»Ich kann hier nicht lesen, der Wagen poltert zu laut auf diesen elenden englischen Straßen. Ich muß zu sehr schreien,« lehnte er ab.

Er schloß die Tasche und sprach sinnend vor sich hin:

»Athen war mir eine neue Welt. Nicht die schwarze Thereza meine ich, nein, Griechenland, dieses arme geknechtete Griechenland. Ihr könnt euch keinen Begriff davon machen, auch du nicht, Hobhouse, denn ich habe es erst während meines letzten Aufenthalts kennengelernt, als ich mehrere Monate in der Morea war. Diese Bedrückung, unter der das Land stöhnt. Im Opiumrausch vollbringen die Türken die furchtbarsten Dinge an diesem geknechteten Volk. Ich habe mit eigenen Augen gesehen, daß Mütter, die ihre Töchter verteidigten, abgeschlachtet wurden. Kein griechisches Weib ist vor der Brunst dieser Teufel sicher. Kein Grieche hat das geringste Recht. Ist er Landwirt, so werden ihm seine Einkünfte von dem Aga, dem Gouverneur entrissen oder von irgendeinem türkischen Nachbar. Er wagt nicht, sich zu beschweren oder zu beklagen, da er sonst zu gewärtigen hat, jählings aus dem Wege geräumt zu werden. Ja, es geht so weit, daß, wenn ein Türke Geld braucht, er einfach in den ersten besten griechischen Laden hineingeht und eine angebliche Schuld einfordert. Und der Grieche zahlt prompt in seiner Angst. Ich habe mit eigenen Augen gesehen, wie türkische Soldaten einen alten Bischof als Zielscheibe für ihre Flinten benutzten. Die Leiche haben sie dann über dem Eingang eines Bäckerladens aufgehängt. Jeder, der hinein- oder hinausging, mußte diesen grauenhaften Vorhang erst beiseite schieben. Es ist ein Jammer um dieses wundervolle Land. Ich erinnere mich einer Nacht in Athen. Westlich von den Höhen Moreas sank die Sonne, doppelt schön im Scheiden. Nicht wie bei uns im Norden sank sie. Es war ein wolkenloser Brand lebendigen Lichts.«

Er sprach vor sich hin, hingerissen von dem Gedenken: »Auf der stillen See glühten die roten Strahlen wie zitterndes Gold in dem dunklen Grün der Wogen. Es war, als ob der Felsen von Ägina lachte. Die Bucht von Salamis lag schon in der Finsternis der Bergschatten, aber um die blauen Höhen glomm ein tiefer Purpur, der sanft in dem weichen Abendlicht verschwomm, bis ein leiser, violetter Farbenhauch die Gipfel umduftete. Oben auf der Akropolis ist mir der Gedanke aufgestiegen, daß einst der weiseste Sohn von Athen den Tag so versinken sah. Seine Jünger umstanden ihn und sahen bebend, wie das Licht verflog, und sahen verzweifelt, wie das Gebirge immer trüber wurde, als gösse sich der Gram der Nacht auf die Flur. Und dann, beim letzten Aufzucken des Lichts, trank Sokrates den Becher und starb, groß und schlicht, wie er gelebt hatte. Dort oben von der Akropolis konnte ich sehen, wie sich die Nacht über den Hymettos breitete. Dann ging der Wand plötzlich auf und wob ein funkelndes Diadem um den weißen Marmorkranz. Der weite Olivenwald im Tale des Cephissus schimmerte wie Silber, und die Kioske und Minarets der Moscheen strahlten weißblau wie Stahl. Und dunkel in dem heiligen stillen Blau stand einsam die Palme neben dem Tempel des Theseus. In jener Nacht ist ein großer Schmerz über mich gekommen. Vergangenheit und Gegenwart grüßten sich, und ich sage es ehrlich, die Tränen sind mir über die Backen gelaufen, als ich daran dachte, welches ruhmreiche Volk hier einst gelebt hat und welche Sklaverei jetzt hier herrscht. Und da –« er reckte sich hoch auf, – »da hab' ich eine Lebensaufgabe vor mir gesehen, die würdig wäre eines großen Menschen. Dieses Volk von seiner Bedrückung zu befreien, dieses wundervolle Land wieder zu erwecken, der Miltiades oder Themistokles dieses Volkes zu werden, es aufzurütteln aus seiner feigen Schlaffheit, ein freies Volk zu pflanzen auf diese Stätte der Größe des Menschengeistes, ich sag' euch, ihr Jungen, das wäre eine Lebensaufgabe! Ein großes freies Reich hier zu errichten –«

»– unter dem König Byron,« fiel Hobhouse sarkastisch ein.

Da sank Byron in sich zusammen und starrte dem Freund auf den Mund. Die tiefste ahnende Sehnsucht seiner Seele war plötzlich mit Hohn besudelt worden. Er biß die Zähne in die Lippen und schwieg. Doch Davies schalt: »Du bist unausstehlich mit deinem Spott. Du hast nur wieder bewiesen, mein lieber Hobhouse, daß du kein Gefühl für wahre Begeisterung hast.«

»Na,« meinte Hobhouse, »man kann doch mal einen Scherz machen.«

Dann schwiegen sie alle drei. Byron starrte zum Fenster hinaus auf die hochstehenden Kornfelder, an denen sie langsam vorüberfuhren. Plötzlich wischte er sich mit der Hand über die Augen.

»Lieber,« sagte Davies innig, »Hobhouse hat es ja gar nicht so schlimm gemeint.«

Byron schüttelte den turbangeschmückten Kopf.

»Es ist nicht das,« sagte er leise. »Ich habe nur plötzlich das Land da draußen gesehen und dahinten den lieben alten trauten englisch-gotischen viereckigen Kirchturm. Und da habe ich plötzlich gefühlt, daß ich zu Hause bin.«


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