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V.

Die Freunde waren nach Cambridge zurückgekehrt, die Mädchen gingen wieder in London ihren Abenteuern nach. Newstead war zurückgesunken in spukhafte raunende Einsamkeit. Der feuchte englische Winter umsponn Park und Schloß mit schaurigen Nebelvorhängen und grauen Regenwänden.

Byron litt grausam. Das Wetter bannte ihn an das öde Haus. Die Melancholie des Sturmes, der um die alten Türme sang, kroch in sein Gemüt, weckte seinen Weltschmerz und fachte die glimmende Asche seiner hoffnungslosen Liebe wieder an zu flackerndem Brande. Er saß in seinem Studierzimmer, der Regen pochte schwermütig gegen die Scheiben der schmalen Fenster, die Bäume krümmten sich unter der Nässe, die Totenschädel grinsten. Und er wußte, daß er der unseligste Mensch war, den die Erde trug.

Er floh vor sich selbst nach London und stürzte sich wieder in den Strudel des Spiels und des Dirnentums. Und tauchte hinab in den Schlamm, bis ihn der Ekel schüttelte. Dann saß er tagelang in dem kalten Hotelzimmer und arbeitete rastlos an seiner Satire.

Am 22. Januar 1809 wurde er mündig. Es war der leere Tag eines Einsamen. Fern von allen Freunden, die ihre Studien an Cambridge fesselten, beging er diesen höchsten Festtag im Leben eines jungen Peers von England. Mit Tanz, Illumination, Feuerwerk und schwelgender Gasterei feierten andere ihren Eintritt in die Rechte des Mannes. Verlassen saß Byron in seinem Hotelzimmer, ohne Gast, ohne Freund, ohne Teilnahme. Der Brief der Mutter lag uneröffnet auf dem Schreibtisch. Nur Augustas Glückwünsche hatten ihn ein wenig erwärmt.

Am Nachmittag besuchte ihn Dallas. Mürrisch empfing ihn der Dichter. Doch der Brave ließ sich nicht einschüchtern durch den unfreundlichen Empfang.

»Guten Tag, mein lieber Lord,« grüßte er jovial, mit der plumpen Vertraulichkeit, deren er sich dem jungen Schützling gegenüber bediente. »Nun zeigen Sie mal her, was Sie Neues an Ihrer Satire geschrieben haben.« Damit setzte er sich an den Schreibtisch und griff selbstherrlich nach dem Manuskripte. Er las, und die verbissenen Falten um den großen Mund vertieften sich grinsend.

»Bravo, bravo, mein Lieber, Sie geben es aber diesen Burschen. Das wird ein nettes Aufsehen in ganz England setzen. Donnerwetter, das Buch wird gehen! Ich sage Ihnen, ein Bombengeschäft.«

»Für Sie,« warf Byron grämlich ein.

Da besann sich Dallas.

»Nun, nun, es wird nicht gleich so arg werden. Man wird Reklame machen müssen. Von selbst geht so was nicht. Wird viel kosten, mein lieber Verwandter. Ich habe übrigens schon einen Verleger gefunden. Für Murray ist das nichts. Aber Cawthorne habe ich interessiert. Feiner Mann. Der wird die Sache lanzieren. Diese Scharfschützen von der Edinburgher Review werden schön verdutzte Gesichter schneiden, wenn der Stock auf ihren breiten Buckeln tanzt. Das haben sie denn doch noch nicht erlebt. Sonst, wenn sie solch armes Singvögelchen mit ihrem Giftpfeil treffen, fällt es stumm und tot zu Boden und piept nicht mehr. Aber daß solch Vögelchen sich plötzlich als Adler entpuppt und mit grimmigem Schnabel auf sie einhaut, das wird sie erschrecken, wie wenn ein Toter aus dem Sarge steigt.«

»Ich glaube auch,« sagte Byron zurückhaltend, »daß ich meine Klinge gut geführt habe.«

Dallas lachte laut und behaglich.

»Das nennen Sie 'ne Klinge führen! Nein, mein Lieber, das« – er schnippte mit dem Zeigefinger gegen die Bogen – »das da ist ein verwundeter Löwe, der aus seinem Käfig losbricht. Das ist ein Raubtier, dem Blut vor den Augen schwimmt. Das mitten hineinstürzt in die Rotte der Zuschauer in der Menagerie und rechts und links die Krallen einschlägt. Donnerwetter noch einmal, wenn ich bedenke, daß es ein zwanzigjähriger Mensch ist, der dieses Blutvergießen unter Englands Größen anrichtet! Diese Stelle hier gegen Scotts »Marmion« erinnert an Aristophanes, wahrhaftigen Gott, an Aristophanes. Ein Bombengeschäft, sage ich Ihnen, ein Bombengeschäft!«

Er las weiter; wichtig zog er die Stirn kraus. »Mein lieber Lord, mein lieber Lord, wenn Sie nur etwas sorgfältiger arbeiten wollten! Sie schütteln die Sache zu sehr aus dem Ärmel. Sie feilen nicht genug. Hier der Vers ist salopp. Das muß heißen –«

Eigenmächtig strich er die Zeile fort und schrieb mit seiner großen Schrift einen Vers von seinen Gnaden dazwischen.

Byron schoß das Blut des Unwillens in die Schläfen, doch er schwieg. Er war in dieser Zeit so einsam und hatte außer den verdächtigen Elementen, mit denen er die Nächte durchwüstete, nicht einen einzigen Menschen, mit dem er sprechen konnte. So schwieg er und ertrug die Dreistigkeiten dieses Mannes, der doch wenigstens irgendwie in seine Geistessphäre hineinragte. –

Wenige Tage später beschloß er, die Rechte seines Adels auszuüben, seinen Sitz im Hause der Lords einzunehmen. Diesen Entschluß teilte er seinem Vormund, dem Grafen Carlisle, in der stillen Erwartung mit, er würde ihn, der Sitte gemäß, ins Oberhaus einführen. Doch Carlisle erwiderte kühl, er danke ihm für diese Kundgebung und mache ihn darauf aufmerksam, daß gewisse Gebühren bei dem Eintritt zu bezahlen seien.

Den jungen Lord schüttelte eine ohnmächtige Wut, die aber bald in schmerzende Trauer hinüberebbte. So war sein Leben. So trostlos verarmt war sein Leben, daß nun etwas eintrat was in der Geschichte des Hauses der Lords ein unerhörtes Ereignis war. So verlassen war er, daß er nicht einmal einen Peersfreund fand, der ihn geleitete bei diesem lebensentscheidenden Schritte. Wie ein Geächteter mußte er sich einschleichen in die Reihen der Standesgenossen.

An einem grauen Februartage verließ er das Hotel, um sich nach Westminster zu begeben. Vor der Tür traf er den unvermeidlichen Dallas.

»Mein Gott,« rief der Mann, »ist Ihnen was? Sie sehen ja ganz kalkig aus.«

»Ich gehe, meinen Sitz im Hause der Lords einzunehmen,« entgegnete Byron.

Trotz aller Beherrschung klang es so bitter schmerzlich, daß Mitleid den anderen packte.

»Ich werde Sie bis zur Tür begleiten,« tröstete er teilnehmend und stieg mit dem fröstelnden Dichter in die Hackney-coach.

Während der Fahrt sprach Byron kein Wort. Aber Dallas, der ihn stumm von der Seite betrachtete, sah, wie eine Träne über seine Wangen hinab auf die kokett wehenden Schleifen seines Schlipses tropfte. Da blickte er zartfühlend zur anderen Seite.

An der Tür des Oberhauses trennten sie sich. Im Vorzimmer zahlte Byron die Gebühren, ein Diener eilte, dem Lordkanzler Eldon die Ankunft des neuen Mitgliedes zu melden. Als Byron den Sitzungssaal betrat, bleich vor Scham, die Stirn von Zorn und Schmerz zerknittert, kam ihm der Kanzler herzlich entgegen und begrüßte ihn mit verbindlichen Worten. Doch Byron antwortete in seinem trotzigen Weh mit einer steifen Verbeugung und berührte kaum mit den Fingerspitzen die dargebotene Hand. Da wandte Lord Eldon ihm brüsk den Rücken und schritt unter dem Beifall des Hauses zum Präsidentenstuhl zurück. Byron aber hinkte zu den Bänken, links vom Thron, dem Stammsitz der Opposition. Dort verweilte er einige Minuten und verließ dann inmitten der Verhandlung zum Staunen seiner Adelsgenossen mit keck zurückgeworfenem Haupte den Saal.

Als er, zerbrochen von seinem Elend, das Hotelzimmer betrat, fand er zwei Briefe. Den einen hatte Herr Fiddlestick aus Nottingham entsandt. Er teilte Seiner Lordschaft mit, daß er nun unmöglich länger auf sein Geld warten könne. Seine Lordschaft müßten doch einsehen, daß ein armer Mann eine so große Summe nicht so lange entbehren könne. Gäbe es denn kein reiches Mädchen unter den Jungfrauen Großbritanniens, das Seine Lordschaft heimführen könne? Er sei doch ein schöner junger Mann, wenn er auch ein wenig hinke. Doch vielleicht würde die eine oder die andere junge Dame darüber hinwegsehen. Jedenfalls müsse er dringend um baldige Zusendung seines Guthabens ersuchen, da er sonst, trotz seiner oft bewiesenen Verehrung für die Familie der Byrons, zu gerichtlichen Maßnahmen greifen würde.

Byron schleuderte das Schreiben auf die Erde und las den zweiten Brief. Er war von einem seiner Hauptwucherer in London und teilte ihm bündig mit, daß, wenn die am 1. Januar fällig gewesenen Zinsen nicht binnen drei Tagen bezahlt wären, Seine Lordschaft im Schuldturm des Fleet-Gefängnisses über honette Schuldnersitten nachdenken könne.

Ganz still setzte sich Byron in einen Sessel und wußte, daß ihm nun nichts übrig blieb, als seinem traurigen Leben ein Ende zu machen. Ja, das wollte er. Das war auch das Beste. Was konnte ihm diese Welt noch bringen. Die Sehnsucht nach Mary zehrte an seinem Mark und vergällte ihm jeden Atemzug. Welchen Sinn hatte es, umherzulaufen und sich abzurackern mit den Versuchen, neues Geld für seine alten Schulden aufzutreiben! Der Schuldturm zwar drohte ihm als Peer von England nicht. Das war eine plumpe Einschüchterung. Aber, – ach, sein Leben war doch im Kern verpfuscht. Da half nur eine Radikalkur. Keinen würde sein Tod schmerzen. Die Mutter – er lachte bitter auf. Ja, ihre Trauer zur Schau tragen, wie eine Irrsinnige lamentieren vor aller Welt, das würde sie. Hm, und Augusta, seine Stiefschwester? Ja, die würde ihn ehrlich betrauern, sie liebte ihn. Und Mary? Was würde Mary tun, wenn sie seinen Selbstmord erfuhr? Was würde sie tun? Er sann und grübelte bis in die tiefe Nacht hinein, was Mary tun würde, wenn sie seinen Tod erfuhr. So saß er, bis der Morgen kam. Und mit ihm sprang ein früherwachter Frühling über die Dächer, auf die seine Fenster mündeten. Ein durchsichtiger blaugrüner Himmel stand über ihnen, und ganz fern im Osten stieg ein strahlender junger Tag empor. Da erwachte die Lebenskraft seiner einundzwanzig Jahre. Der schwarze Gedanke an den Tod zerglitt, und der Trotz ballte ihm die Fäuste. Nein, nicht sterben, noch nicht! Trotz all seines Mißgeschicks hatte er ein Recht an das Leben wie jeder andere. Leben wollte er und die Sonne sehen, wie all die Millionen, die nicht besser waren als er.

»Aber wie?« grübelte er. »Hier kann er nicht bleiben. Hier hetzen meine Gläubiger mich zur Verzweiflung, Hier zermalmt mich meine Liebe wie der Mühlstein ein Korn.«

Da umkrallte ihn eine Sehnsucht, zu entfliehen, fort zu eilen, hinaus in die weite Welt, dorthin, wo die Macht dieser bleichen Frau von Annesley vor den Wundern der Ferne zerbrach, dorthin, wo keines Gläubigers drohender Arm ihn erreichte. Kurz entschlossen fragte er Hobhouse, ob er mit ihm nach Persien reisen wolle. Hobhouse stimmte sofort bei. In aller Stille trafen sie ihre Vorbereitungen zur Reise. Noch einen Gruß sandte Byron an die Geliebte nach Annesley durch den alten Diener Joe Murray:

»Es ist vorbei, und flatternd bläht
Mein Segel sich, vom Sturm durchweht,
Und pfeifend über'n Sand hinzieht

Der Wind, und singt ein lustig Lied;
Weit fahr' ich in die Welt hinein,
Weil ich nichts lieb', als dich allein.

Dem ärmsten Bettler ist beschert
Zuletzt ein heimlich trauter Herd,
Wo doch ein Liebchen oder Freund
Ihm lächelt oder mit ihm weint.
Nicht Freund, nicht Liebchen nenn' ich mein,
Weil ich nichts lieb', als dich allein.

Trost wär's, noch einmal dich zu sehn,
Dir scheidend Segen zu erflehn.
Doch weinen sollst du nicht um ihn,
Der fernhin übers Meer muß ziehn.
Ist Heim und Hoffen nicht mehr sein,
Er liebt dich noch, und dich allein.« –

Im Juni gingen die Freunde in Falmouth an Bord. Und da rangen Byrons Jugend und sein Abenteuersinn sich fröhlich empor. Die Ahnungen der Welt dort draußen nahmen ihn mit ihrem geheimnisvollen Zauber in ihre Arme. Eine heitere Weltenbummlerstimmung verscheuchte den Trübsinn. Und an den Freund Hodgson sandte er die Abschiedsverse:

»Hurra, Hodgson! Endlich gehn wir,
Das Embargo ist vorbei;
Daß die Brise gut ist, sehn wir,
Und die Segel werden frei.
Wimpel schon vom Topmast flattern,
Bum – sie feuern schon – Ade!
Schiffer fluchen, Weiber schnattern,
Alles zeigt, es geht in See.«


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