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IX.

In dem Empfangssaal von Holland House strahlten wie jeden Abend die gastlichen Kerzen der Lüster auf eine zwanglose Gesellschaft hernieder. Zu kleinen Gruppen einte die Interessensphäre der Gäste.

In der einen Ecke führte Sir Romilly, der Advokat, das politische Wort. Der gewaltige Heereszug, den Napoleon gegen Rußland einleitete, bildete das erregte Thema. Nicht weit davon hatte der geniale Chemiker Sir Humpry Davy eine Schar naturbegeisterter Männer um sich kristallisiert. In seinem dürftigen Gewande stand schüchtern sein junger Schüler Michael Faraday unter seinen Hörern. Er war heute zum erstenmal an dieser weitberühmten Stätte englischer Kultur und wagte in seiner Befangenheit kaum aufzublicken, bis Lord Holland zu ihm trat und ihn einhüllte in die bergende Vertraulichkeit, die schon so manchem scheuen Jünger der Kunst und der Wissenschaft in diesen Räumen ein Heim geschaffen hatte.

In der Mitte des Saales hatte die Kunst ihren Tempel gebaut. Hier übte der Maler Hoppner seine kaustische Kritik.

Der tiefe Erker umhegte die Damen. Es waren nur wenige, denn der Herrin des Hauses galten ihre Geschlechtsgenossinnen gering. In dieser abgeschiedenen Nische ward plötzlich der Name genannt, der zu dieser Zeit wie eine Rosengirlande der Hoffnung und der Sehnsucht jedes Frauengespräch umkränzte.

»Gestern«, erzählte Lady Caroline Lamb, und ihre grauen Augen funkelten, »traf ich Byron bei Lady Westmoreland. Sie wollte ihn mir vorstellen. Aber ich sah ihn nur an, und da mußte ich schreien, ich mußte es schreien: ›er ist verrückt, schlecht, und gefährlich‹, und bin davongelaufen.«

Ihr knabenhaft schlanker Körper bebte vor Erregung.

»Überspannt, wie immer,« tadelte Lady Holland und strich gelassen über das schlichte schwarze Seidenkleid. »Ich bin überzeugt, der Mann ist weder schlecht, noch verrückt, noch gefährlich. Er posiert mit seiner Schlechtigkeit, ihr Weiber macht ihn verrückt, und gefährlich ist er nur den Frauen, die Gefahren suchen.«

Sie wandte ihr herbes Gesicht, dem die dichten Augenbrauen einen gebietenden Nachdruck verliehen, ihrer Nachbarin, der Lady Melbourne, zu.

Die alte Dame lächelte sanft.

»Sie haben sicherlich recht, liebste Lady Elisabeth. Aber Sie wissen, meine kleine Schwiegertochter sieht die Dinge meist anders als wir anderen.«

»Ja, das tue ich,« rief Lady Caroline und schüttelte ihre blonden Locken. »Ich sehe mit meiner Seele, ich fühle mit jeder Pore.«

Sie zog das violette Fichu ihres grauen Kaschmirkleides dicht um den feinen Hals zusammen. »Als ich Lord Byron so ganz in der Nähe sah, da fühlte ich, seine Liebe muß sein, wie wenn sich einem der warme Körper einer Schlange um den Hals windet, immer enger, daß einem der Atem vergeht, daß einem die Glieder schwer werden, daß man erstickt –« sie streckte die Arme von sich und sank in den Sessel zurück.

»Caroline, Caroline,« rief Lady Melbourne und taumelte empor. »Um Gott, was ist dem Kind?« Sie faßte die zuckenden weißen Finger der Schwiegertochter. Doch da richtete Caroline sich auf und sagte mit irrenden Augen:

»Ich habe nur so deutlich gefühlt, wie seine Liebe tut.«

Die vierte Dame des Kreises, Lady Oxford, blickte gewährend lächelnd drein. Der hohe Adel Englands hatte sich längst an diese Hysterien Lady Carolines gewöhnt. Die Herrin von Holland House aber schalt streng: »Sie sollten diese unsauberen Phantasien unterdrücken, meine liebe Lady Caroline.«

»Nicht doch, nicht doch,« flüsterte Lady Melbourne. »Sie dürfen nicht so rauh mit ihr umgehen, meine beste Lady Elisabeth.« Und sich näher zu ihrem Ohr beugend, raunte sie: »Sie wissen doch, der Arzt sagt, jede Aufregung kann das Schlimmste herbeiführen.«

»Lassen Sie mich mit Ihrem Arzt in Ruhe,« rief Lady Holland in ihrer offenen groben Art. »Ihr alle seid daran schuld. Vor allem Sie und Herr Lamb. Sie sollten nur meine Schwiegertochter sein, Lady Caroline. Ich wollte Ihnen die Mucken schon austreiben.«

Wie ein gescholtenes Kind kauerte die junge Frau in ihrem Stuhle und blickte die Scheltende schmollend an aus ihren grauen Lichtern. Da huschte ein Lächeln über Lady Hollands steinharte glatte Züge. Niemand, auch sie nicht, konnte dem Liebreiz dieser 25jährigen Frau widerstehen, die eigentlich nicht schön war, deren zarte regellose Züge aber ein bestrickender Charme fraulicher Hilflosigkeit umzauberte.

Da sagte Lady Oxford:

»Er soll ja von den Damen geradezu belagert werden. Man erzählte mir, daß die Lakaien der ersten Häuser Englands Spalier bilden, um ihm Liebesbriefchen zuzustecken, wenn er sein Hotel verläßt.«

Sie sagte es mit einem leise sinnlichen Zittern der Stimme. Sie war eine sehr schöne Frau von Vierzig und durchlitt seit langen, langen Jahren eine qualvolle Ehe mit einem rohen Wicht. Und ihr Herz schrie nach Liebe und ihre unverbrauchte Leidenschaft nach dem Erlöser. Und sie wähnte ganz, ganz heimlich, daß ihre Leidgeprüftheit wohl das rechte schützende Obdach wäre für diesen unbändigen jungen Geist und seine irrende ruhelose Wildheit.

Da richtete Lady Caroline sich auf, beugte sich vornüber, daß ihre Brüste fast die Knie berührten, und flüsterte: »Man sagt, er habe täglich mehr als hundert Frauen.«

Mild lächelte Lady Melbourne, doch die Schloßherrin meinte trocken: »Reden Sie keinen Unsinn. Solche Dinge macht man nicht mit der Phantasie.«

Lady Oxford fuhr aus ihren Träumen empor, und ihre Wünsche sprangen ihr auf die Zunge.

»Warum er sich nicht an eine bindet, die ihm ihr reiches Weibtum geben könnte?« fragte sie sehnsüchtig.

»Weil er ein Dichter ist,« belehrte Lady Caroline. »Weil ein Dichter anders liebt als diese Erdennaturen. O, ich ahne, wie er liebt! Er muß furchtbar sein, furchtbar schön. Er hat entsetzliche Augen. Der Abglanz der Liebe von tausend Frauen brennt darin. Es ist ein roter Schein darin von dem Blut der Ehemänner, die er getötet hat.«

»Fabeln Sie doch nicht so schauerlich,« wehrte Lady Holland ärgerlich.

Doch die besorgte Schwiegermutter machte ihr ein flehendes Zeichen, die hysterische Dame nicht zu reizen. Aber Lady Holland war die letzte, die auf ein Zeichen gehorchte.

»Ich werde nicht dulden,« sagte sie rauh, »daß in diesen Räumen solcher Wahnwitz geschwatzt wird.«

»Es ist kein Wahnwitz,« begehrte Lady Caroline eigenwillig auf und schürzte das scharfe kecke Näschen. »Heute nachmittag, als ich auf dem Sofa lag, hatte ich eine Vision. So deutlich! Ich ging durch einen dunklen Wald, da kam er auf mich zu; grausig herrlich war's, wie er durch den Wald kam, dieser schöne hinkende Satan. Immer näher kam er, ganz nahe war er schon, und ich konnte mich nicht bewegen, konnte nicht schreien, ich war wie gelähmt. Und da faßte er mich, wie glühende Zangen war seine Berührung. Er wollte mich auf das Moos niederzwingen. Da kam eine übermenschliche Kraft über mich, ich riß mich los und lief, wie ein Reh lief ich, er hinter mir drein. Es war furchtbar und ein so wundervolles Gefühl, wie er hinter mir herlief. Und ich wußte, er würde mich einholen, gleich, jetzt. Da faßte er mich auch schon um den Leib, beugte meinen Kopf zu sich hinten über und küßte mich. Wir sanken zu Boden, ich wollte um Hilfe schreien, aber er versperrte mir mit seinen rasenden Lippen den Mund, nur einen gebrochenen Laut brachte ich heraus – so: »Gnade – Gnade!«

Sie war so gefesselt im Banne ihrer Erzählung, daß sie mit gepreßter Stimme laut durch den Saal um Gnade schrie. Aller Blicke wandten sich ihr zu, aus der Gruppe der Politiker eilte ihr Mann, Charles Lamb, herbei.

»Was ist mit Caroline?« fragte er bestürzt.

»Nichts,« gab Lady Holland Bescheid. »Lady Caroline verwechselte im Moment Holland House mit einem Freudenhause.«

Charles Lamb lächelte und streichelte die glühenden Wangen seiner Frau. Er nahm die exotischen Launen seines Weibes und ihren völligen Mangel an Scham mit launiger Ergebung hin. Wie ein krankes Kind verwöhnte er sie und duldete ihre Exzesse mit gewährendem Gleichmut.

»Wir sprachen von Lord Byron,« erläuterte Lady Oxford.

»Ach so,« lächelte Lamb, »ja, das ist ein erregendes Thema für meine kleine Caroline. Er wird wohl der Nächste sein, mit dem sie mich bloßstellen wird, falls er nicht beizeiten gewarnt werden sollte.«

»O, pfui, wie du redest!« rief die kleine Caroline; doch Lamb entfernte sich hastig.

»Wie er das sagt,« wandte sie sich kläglich an die Schwiegermutter, »und dabei behauptet er, mich zu lieben. Ich unglückliches Geschöpf!«

Und sie preßte ihr Spitzentüchlein gegen die Augen und weinte Bäche.

»Nun heult sie auch noch,« schalt Lady Holland.

»Weine doch nicht so, mein Kind,« tröstete die gute Lady Melbourne. »Du weißt doch, wie Charles dich liebt.«

»Ein lieber, zartfühlender Mann,« seufzte Lady Oxford und dachte an ihren Rüpel von Ehemann.

»Er soll unglücklich sein, wenn ich einen anderen liebe,« die junge Frau stampfte mit dem Fuß auf. »Er soll –«

Jäh verstummte sie.

Der Diener hatte die Tür geöffnet und Lord Byron gemeldet.

»Da ist er!« schrie Lady Caroline, fuhr empor und straffte den Oberkörper zurück, daß die Brüste sich scharf gegen das graue Seidenkleid abrundeten, streckte beide Hände abwehrend von sich und starrte zur Tür mit weitaufgerissenen Augen, in denen die Pupillen zitterten.

»Wie ein armes Vögelchen unter dem Blick der Schlange,« flüsterte Lady Melbourne bang besorgt. Die Gespräche waren jäh zerrissen. Alle blickten auf die bebende junge Frau und auf Lord Byron, der wie ein sausender Bolzen durch die ganze Breite des Saales auf die Hausherrin zuschoß. Diese Hast schleuderte ihn stets durch die Räume des Highlife, wenn aller Augen auf ihm brannten und die Scham seines Gebrechens ihn hetzte.

Er begrüßte Lady Holland und Lady Melbourne. Als Lady Oxford ihm die gepflegte weiße Hand reichte, glühte ihre Leidensbleichheit zu einem zarten Rosa auf. Ihre schönen braunen Augen sahen sehnsuchtsverschleiert zu ihm empor. Da sagte die Dame des Hauses, das auffällige Gebaren der Lady Caroline geflissentlich übersehend:

»Darf ich Sie mit Lady Lamb bekannt machen?«

Die junge Frau war in ihren Sessel zurückgesunken, sie zitterte wie eine sterbende Meise.

»Man hat bereits gestern –«, begann Byron.

Da schnellte Lady Caroline empor, schrie gebend auf: »Nein, nein« und flüchtete in die Mitte des Saales. Ihre Schleppe sprang irr hinter ihr drein. Alles im Saal lächelte wissend, Byron aber blickte verdutzt ihr nach.

»Sie müssen ihr verzeihen,« entschuldigte Lady Melbourne, »sie ist sehr nervös.«

»Ein exaltiertes Geschöpf,« zürnte Lady Holland.

»Das beste ist, man übersieht dergleichen. Ohne Publikum beruhigt sie sich sehr rasch.« Und gebieterisch fügte sie hinzu: »Nun laßt mich mit Byron allein. Ich möchte einmal unter vier Augen mit ihm sprechen.

Setzen Sie sich hierher, Mylord.« Sie deutete auf den Stuhl, den Lady Caroline preisgegeben hatte.

In den schwarzen Augen dieser Frau aus Energie und Nerven war etwas so Zwingendes, daß der Löwe des Tages wie ein scheuer Schulknabe gehorchte. Erstaunt sah er, wie die beiden Damen sich fügsam erhoben und heimatlos einen anderen Platz im Saale suchten. Sie schlossen sich der Fürstin Lieven an, die just mit ihrem Gatten, dem russischen Botschafter, eintrat, und bildeten in einer anderen Ecke des Saales eine neue Gruppe, zu der sich bald die Tragödin Mrs. Siddons mit ihrem Kollegen Kemble gesellte.

Lady Holland schmiegte ihren stattlichen Körper in den weichen Lehnstuhl und betrachtete stumm und ungeniert den jungen Dichter.

»Sie sind sehr schön, lieber Byron,« kritisierte sie sachlich. »Ich begreife, daß Sie den Frauen die Kopfe verdrehen. Aber wenn eine alte Frau Ihnen –«

Byron wollte widersprechen. Doch sie wehte mit ihrer schmalen willensstarken Hand durch die Luft und sagte:

»Stürzen Sie sich nicht in Unkosten. Ich habe keinen Bedarf an Komplimenten. Ich will Ihnen etwas sagen. Ihr »Childe Harold« ist ein gutes Werk. Aber er verdient nicht den Ruhm, den er Ihnen gebracht hat.«

Byron saß unbeweglich.

»Es sind Vorschußlorbeeren,« fuhr die kluge Frau fort, »die Sie erst zu verdienen haben. Aber das Buch scheint mir eine große Verheißung. Es ist jung und unreif. Doch es zeigt schon die Löwentatze. Wenn Sie sich nicht zersplittern, werden Sie der größte lebende englische Dichter werden, für den man Sie jetzt schon allzu früh ausschreit. Ich habe sehr wohl hinter der Maske des Weltschmerzes die echte Schwermut und hinter der Pose den echten Mann gesehen. Arbeiten Sie an sich, junger Mann, das möchte ich Ihnen raten. Talent bringt Verantwortung. Und Genie ist eine Schuld, die an die Menschheit zu zahlen ist.«

»Ich zahle wenig Schulden,« erwiderte Byron ein wenig verärgert.

»Dann sollen Sie sich schämen. Warum zahlen Sie nicht?«

»Weil ich kein Geld habe,« lachte er.

»Sie haben doch Ihr Gut Newstead,« hielt sie ihm verwundert vor.

»Es bringt nichts.« Er zuckte die Achseln.

»Verkaufen Sie es,« befahl sie.

Da nickte er traurig vor sich hin.

»Es wird wohl der einzige Ausweg bleiben. Früher habe ich den Gedanken immer als eine Unmöglichkeit verbannt.«

Da klopfte Lady Holland energisch mit ihrem schwarzen Fächer auf ihre Knie und sagte: »Mein lieber Byron, Ihre Güter und Schlösser liegen nicht in Nottinghamshire. Die liegen im Lande der Unsterblichkeit. Bauen Sie sich dort an.«

Damit stand sie auf, klatschte in die Hände und rief mit ihrer schneidenden kalten Stimme in den Saal hinein:

»Zu Tisch, meine Herrschaften.«

Sofort trat lautlose Stille ein. Man gesellte sich nach Belieben zueinander. Alles war zwanglos in diesem Hause, solange die Hausherrin nicht zwang. Sie hatte Sir Romilly den Arm gereicht und schritt allen voran in den Speisesaal.

Es war ein machtvoller Raum, von dessen roten Damastwänden sich vier große Gemälde abhoben: das Bild des großen Whig-Parlamentariers Fox, die erste Lady Holland von Reynolds, Moore von Shee, und Rogers von Hoppner. Ein schwarzseidig schimmerndes Büffet, auf dem altehrwürdiges Familiengeschirr mild im Schein der Kerzen glänzte, beherrschte die eine Längswand.

Man setzte sich, wie es Zufall und Laune brachten. Byron geriet zwischen Rogers und den jungen Faraday. Eine Zeitlang sprach alles durcheinander. Byron schwieg und ließ die Blicke um die viereckige Tafel schweifen. Jeder Platz war besetzt, man saß recht eng. Das gehörte zu den Eigentümlichkeiten dieses Hauses, daß fast immer mehr Gäste geladen waren, als die Tafel faßte. Oben an dem einen Ende thronte Lady Holland, zur Rechten Sir Romillys würdige Männlichkeit. An ihn schloß sich der Maler Shee, der Schauspieler Bannester, Luttrell, der Witzbold, der General Fitzpatrik, ein vornehmer, alter Herr, der in dem amerikanischen Kriege gekämpft hatte und ein Jugendfreund Rousseaus gewesen war. Zu seiner Rechten saß die Fürstin Lieven. Byron betrachtete sie bewunderungsfreudig. Ihre Schönheit hatte etwas von der Grazie des ancien regime, etwas, das an die Bilder Watteaus erinnerte, an Marie Antoinette, an die Boudoirs Fragonards.

»Eine bezaubernde Frau,« flüsterte er Rogers zu. Der nickte. »Sie ist die letzte Überlebende der großen politischen Frauen des 17. und 18. Jahrhunderts. Sie ist Auge und Ohr der russischen Botschaft.«

Byron lauschte angespannt hinüber und suchte die Worte zu erhorchen, die sie dem alten General zulächelte. Doch der Lärm war zu groß, jeder redete emsig auf seinen Nachbar ein. Da glitten Byrons Augen weiter. Dort machte sich Sir Wilkie, der Maler, so schmal er nur konnte, in blassen Ängsten, den Chemiker Davy zu belästigen, der mit hochmütiger Miene dem alten Kemble zuhörte.

»Wer ist dieser eingebildete Narr?« fragte er Rogers.

»Das ist der große Humpry Davy.« gab der Bankier Bescheid, zu dessen Vorlesungen über Elektrizität das ganze fashionable London sich vor einigen Jahren drängte. Er war ein lieber bescheidener Mensch, bis er vor wenigen Monaten geadelt wurde und bis seine Frau, Mrs. Apreece, ihn verdorben hat.«

Hier flüsterte Faraday scheu dazwischen: »O, er ist ein genialer Chemiker, er ist auch so gut. Ich war Laboratoriumsdiener bei ihm, er hat mich zu seinem Schüler erhoben.«

Da hieb die Stimme der Hausherrin durch das Chaos der Worte.

»Allan,« schrie sie über den Tisch hinweg. »schneiden Sie dickere Scheiben, meine Gäste sind an derbe Kost gewöhnt.«

»Ja,« antwortete John Allan, ohne von seiner Arbeit aufzusehen, »sogar an viel derbere, denn dies hier ist keine zähe alte Kuh.«

Alles erstarrte. Doch Lady Holland lachte. Sie konnte ein offenes Wort vertragen, wenn es noch so grob war.

Gelassen schnitt der Mann mit der riesigen Hornbrille weiter das mächtige Rostbeaf vor. Er war vor vielen Jahren als ärztlicher Reisebegleiter von Lady Holland zugezogen worden. Und war dann im Hause geblieben unter dem Titel eines Bibliothekars. In Wahrheit aber war er des Hauses Faktotum, oder wie die Hausfreunde ihn nannten, »Lady Hollands Kuli«. Er saß an der unteren Breitseite des Tisches, neben ihm zwängte sich Lord Holland an die Ecke. Auch das war, wie viele wußten, symbolisch.

Als der Diener jetzt den Teller vor Byron niedersetzte, lehnte er ab. Doch Lady Holland, deren scharfen Augen nichts an ihrer Tafel entging, rief herüber: »Machen Sie keine Faxen, Byron. Bei mir wird gegessen. Mir imponiert Ihre verrückte Diät nicht. Wir wissen auch, wie Sie es neulich bei Websters gemacht haben. Die Speisen haben Sie nicht angerührt und sich Sodawasser und Zwieback geben lassen. Und nachher sind Sie in den Klub gegangen und haben sich ein solennes Diner auftragen lassen. Sie sehen, Sie sind durchschaut, also essen Sie.«

Byron wollte etwas erwidern, doch Rogers flüsterte ihm zu: »Essen Sie, sonst kommt sie am Ende her und füttert Sie. Sie können sich eher gegen Napoleon als gegen den Willen dieser Frau auflehnen.«

Jetzt erzählte irgendeine Stimme von einem Straßenunglück. Eine Frau war von einem Omnibus überfahren worden.

»Omnibus?« Luttrell spießte das Wort auf.

Alle sahen auf seinen Mund, denn sie wußten, jetzt kam eines seiner berühmten improvisierten Epigramme. Und da kam es auch schon:

»Vom Omnibus gerädert werden
Nicht grade opportun is',
Doch, Freunde, so ist's mal auf Erden –:
Mors omnibus communis.«

Man lachte und sprach wieder durcheinander. Da schwebte die süße Stimme der Tragödin Mrs. Siddons wie helles Vogelgezwitscher über die dunkle Wirrnis der Laute, diese Stimme, die in Covent Garden die Galerie zur Raserei entzückte, und das Parkett, dieses steife englische Parkett, zu einem brausenden Meer der Begeisterung aufpeitschte. Sie sprach zu ihrem Nachbar, dem Fürsten Lieven.

Alles schwieg und lauschte auf den Klang der Stimme dieser ewig jungen, fast 70jährigen Frau.

»Nach meinem Abschied vom Theater werde ich in London bleiben. Denn ich meine, alle Leben fern von London sind Irrtümer. Mehr oder weniger tragische, aber immerhin Irrtümer.«

Sie hatte kaum geendet, da hörte man Davys blechernes Organ. Er erzählte seiner Nachbarin, Lady Caroline, von der Sicherheitslampe der Bergleute, die er erfunden hatte. Doch sie hörte ihm nicht Zu. Sie wandte kein Auge von Byron, der ihr schräg gegenüber saß.

»Meine Erfindung wird den Bergbau revolutionieren,« spreizte er sich in die Stille hinein, die den Worten der Schauspielerin nachklang. »England kann stolz darauf sein, daß ein Engländer diese Erfindung gemacht hat.«

Sein getreuer Faraday nickte emsig, doch Lady Holland rief: »Mein lieber Davy, solange Sie Plebejer waren, hatten Sie eine adlige Bescheidenheit. Seitdem Sie geadelt sind, sind Sie Plebejer geworden.«

Alles schwieg entsetzt, und der große Erfinder stammelte: »Wie? wie?« und sah sich wirr im Kreise um. –

Der alte General Fitzpatrik lenkte schleunigst ab. Mit lauter Stimme erzählte er von einem Bekannten, der nach Amerika ausgewandert war, weil er es satt hatte, in den englischen Gefängnissen seine Schulden abzusitzen.

»Aha,« rief Luttrell, »also der Freiheitsdrang hat ihn nach Amerika geführt.«

Auch Davy schloß sich sauersüß dem allgemeinen Gelächter an.

Das Diner ging weiter, man sprach und trank, bis Hoppners kräftige Stimme alles übertönte.

»Was, Lawrence soll ein Maler sein? Ein Pfuscher ist er, ein Harlekin.«

»Das ist er,« rief Lady Holland. »Denn er hat Sie weit übersprungen, als Ihnen Foxens Bild mißlang.«

Die peinliche Lage wurde hier dadurch gerettet, daß der Diener »Herrn Canova« meldete. Hinter dem Diener erschien des berühmten Bildhauers aristokratische Gestalt im Türrahmen. Lord Holland tastete nach seiner Krücke, dem fremden Gast entgegenzueilen. Doch Lady Holland rief: »Bleib sitzen, Holland, du weißt, ich liebe diese Unruhe bei Tisch nicht. Wenn Monsieur Canova zu spät kommt, ist das seine Sache. Setzen Sie sich –« wandte sie sich an den Ankömmling.

Sie überblickte mit ihren schwarzen Falkenaugen den Tisch, und alle Kenner ihrer Sitten duckten sich ganz klein zusammen, denn sie wußten, daß die Hausfrau an dem überfüllten Tische dadurch Platz schaffen würde, daß sie schonungslos einen von ihnen verjagte. Ihre Blicke blieben an Rogers haften.

»Rogers,« befahl sie, »geben Sie Monsieur Canova Raum.«

»Geben Sie mir erst welchen,« antwortete der Dichter-Bankier gelassen. »Ich habe keinen mehr zu vergeben.«

Da suchte Lady Holland sich ein anderes Opfer.

»Nun, Herr Lamb, dann gehen Sie.«

Lamb errötete vor Zorn, schob mit lautem Geknarr seinen Stuhl zurück und stand auf.

Canova, der zum ersten Male in diesem Hause war, blickte perplex drein.

» Mais, Monsieur! Monsieur!« stammelte er.

Doch Lady Holland duldete keinen Widerspruch gegen ihre Maßnahmen.

» Asseyez vous«, befahl sie und streckte wie ein Imperatorenstandbild die Rechte aus. »Für Herrn Lamb kann im Salon gedeckt werden.«

Da wandte Lamb sich um und sagte:

»Ersparen Sie sich die Mühe. Ich gehe und betrete nie wieder dieses Haus.«

»Es gibt größere Engländer, die Sie ersetzen können,« rief die Hausherrin hinein in das Gepolter der Tür, die der Erzürnte heftig ins Schloß warf.

Verwirrt nahm Canova den grausam geschaffenen Platz. Lady Lamb hatte von dem Vorgang nichts bemerkt. Sie sah nur Byron und sie hörte nur das sehnsüchtige Singen ihres Blutes. Eine Pause der Verlegenheit irrte über die Tafel. Da sagte Canova: »Es tut mir sehr leid, Madame, wenn meine verspätete Ankunft Unfrieden in diesem gastlichen Hause stiften und Feindschaften begründen sollte.«

Doch Lady Holland erwiderte in der ernsten und schlichten Art, die immer wieder mit ihrer peinlichen Unverfrorenheit versöhnte:

»Feindschaften gegen mich lassen mich kalt, Monsieur Canova. Ob man gut oder schlecht von mir spricht, ist mir völlig gleichgültig. Ich kenne genau meinen Platz im Leben und weiß alles, was man von mir sagen kann. Solange die paar Freunde, deren ich sicher bin –« ihre Augen wurden ganz warm, während sie sich im Kreise umblickte, – »freundlich von mir sprechen, ist es mir vollständig gleichgültig, was die ganze Welt sonst sagt.«

Sie machte eine fortwerfende Geste, die kund tat, daß das Thema für sie abgetan sei.

»Und nun, Mister Canova, erzählen Sie uns, was Sie von dem Elgin Marbels halten.«

Alles horchte neugierig auf. Denn der große Bildhauer war nach England gekommen, den Parthenon-Fries zu beurteilen, den Lord Elgin in Athen geräubert und nach London gebracht hatte. Jeder der Anwesenden wußte, daß erhebliche Zweifel an der Echtheit dieses Raubes herrschten, und jeder kannte die bitteren Worte, mit denen Lord Byron im »Childe Harold« und dem kürzlich erschienenen »Fluch der Minerva« den noblen Dieb geschmäht hatte. Alles hing am Munde des Bildners, gierig sein Gutachten zu hören. Doch diplomatisch zog sich Canova aus der Affäre.

» La vérité est telle«, sagte er höflich, » les accidents de la chair et les formes sont si vraies et si belles, que ces statues produiront un grand changement dans les arts.« Fürst Lieven und seine schöne Frau lächelten. Die Antwort gefiel ihrem Gesandtengemüte. Doch keiner der anderen war befriedigt.

Man wollte weitere Fragen stellen, da tönte Kembles theatralisch rollende Stimme durch den Saal. Er verstand kein französisch, auch interessierte ihn das Thema nicht. Man hörte, wie er zu seiner Nachbarin, Lady Oxford, sagte: »Ja, Lady Oxford, das ist mein Verdienst, daß würdig jetzt die Tracht der Bühne ist. Als ich zuerst nach Covent Garden kam, da herrschte ein unmögliches Gewimmel. Da spielte unser großer Garrick noch Othello in englischer Uniform.«

Er rollte das »R« mimenhaft. Alles lachte. Er sprach auch im Leben in Jamben, der brave alte Kemble. Und Lady Holland rief belustigt zu ihm hinüber:

»Bester Kemble, Sie sind immer Richard der Dritte.«

»Wieso?« fragte der Schauspieler verwundert seine Tischdame.

Doch ein anderes Ereignis hatte bereits die allgemeine Aufmerksamkeit in Bann geschlagen. Dem servierenden Diener war ein kleines Malheur begegnet. Er hatte die Saucière mit der gelben Puddingsauce umgestoßen und ihren Inhalt auf die Perücke des Fürsten Lieven entleert. Doch der Botschafter verzog keine Miene und sprach gelassen weiter mit der Tragödin Siddons über Albanien. Der entgeisterte Diener kratzte mit dem Löffel sein Mißgeschick von dem unbeweglichen Haupte. Man zerbiß sich die Lippen, das Lachen zu ersticken. Doch der feiste John Allan prustete schließlich heraus. Da rettete Luttrell die Lage.

»Welch ein würdiges Beispiel,« rief er, »tut sich da auf vor unseren Augen von der Unverletzlichkeit des Gesandten eines fremden Staates!«

Fürst Lieven aber sprach weiter von Albanien.

Seine Worte packten Byron. Er sprang hinein in die Erörterung und erzählte von Ali Pascha. Doch mitten in der Schilderung seines Empfangs in Tepeleni wurde er jäh unterbrochen. In der allen Habitués des Hauses schreckbekannten kurzen energischen Art klopfte Lady Holland mit ihrem schwarzen Fächer auf den Tisch und schnitt mitten in einen Satz des berühmten Dichters hinein mit den Worten: »Davon haben wir genug gehabt in Ihrem »Childe Harold«. Wir kennen jetzt die Geschichte. Wir wollen lieber Sir Romilly hören. Er soll uns erzählen, wie es mit seinen Gesetzesanträgen auf Änderung des Strafgesetzbuches steht.«

Byron wurde blaß vor Zorn, Sir Romilly aber beugte sein durchgeistigtes Gesicht vor und berichtete leise:

»Es steht schlecht mit meinen Anträgen. Sie wissen, man hat im vorigen Jahr meinen Antrag, den Diebstahl eines Gegenstandes bis zum Werte von 5 Schillingen von der Liste der todeswürdigen Verbrechen zu streichen, im Parlament abgelehnt. Meinem Antrag, Soldaten und Matrosen, die beim Betteln ertappt wurden, mit der Todesstrafe zu verschonen, ist es vor einigen Tagen ebenso ergangen. Der Abgeordnete Windham hat der Meinung der Majorität in den Worten Ausdruck verliehen, »da angesehene Männer für die Beibehaltung der Todesstrafe gesprochen hätten, sei es eine nationale Pflicht, ihr Ansehen durch die Abstimmung zu wahren«.«

Laute des Unwillens brachen von den Lippen der Männer; manch schöner Kopf wurde leise geschüttelt.

»Und unterdessen,« fuhr Romilly fort, »hat sich gestern eine neue bittere Tragödie erfüllt. Vor einiger Zeit hat eine arme Frau, deren fünf Monate altes Kind fror, in einem Laden ein Tuch gestohlen im Werte von einem Schilling, um ihr Kind gegen den Frost zu schützen. Sie wurde ergriffen und zum Tode verurteilt. Gestern hat man ihr am Fuße des Galgens in Newgate das Kind von der Brust gerissen und die Frau gehenkt.«

Ein tiefes Schweigen der Empörung folgte diesen Worten.

»Ich werde für das Kind sorgen,« sagte Lady Holland und hob die Tafel auf.

Man ging in den Saal zurück und gesellte sich wieder zu zwanglosen Gruppen. Gleich darauf saß die Fürstin Lieven, eine seelenvolle Sängerin und geschulte Pianistin, am Spinett und präludierte.

Während alle sich erwartungsvoll Platz suchten, schritt Byron mit düster gesenkter Stirn aus dem Saal hinaus in die angrenzende Bibliothek. Es war nicht nur die Kränkung über die Zurechtweisung der Hausherrin, die ihn davontrieb. Es war dieser seltsame Schmerz, diese vage Sehnsucht, die keine Grenzen und kein Ziel kannte, die ihn oft plötzlich inmitten froher Menschen ohne Grund, ohne Anlaß übermannte. Alle sahen es. Die Damen nickten mitleidsvoll, um die bartlosen Mundwinkel der Herren zuckte ein höhnisches Lächeln.

»Ist das nun eigentlich Pose?« fragte die Fürstin Lieven und wandte den reizenden Kopf halb über die Schulter zurück. Rogers, der in ihrer Nähe stand, antwortete: »Männer wie Byron posieren eigentlich immer oder nie. Es liegt in ihrem Tun so viel Theater und so viel Wirklichkeit, daß beides richtig ist.«

»Mich sollte es nicht wundern,« rief Luttrell, »wenn er jetzt, in schöne Byronpose drapiert, gegen einen Bücherschrank gelehnt, dort drüben steht und aus tiefstem Herzen wünscht, daß wir ihn durchs Schlüsselloch bewundern.«

Da öffnete die Fürstin die frischen Lippen. Leise glitt alles in die bequemen Sofas und Sessel. Sie sang Moores schönes Lied »Der Augenstern«.

Der junge Maimond schimmert, mein Lieb,
Der helle Glühwurm flimmert, mein Lieb!
      Gern schweif' ich allein,
      Durch Flur und Hain,
Wenn die Welt sich im Traum um nichts
                  kümmert, mein Lieb.

 

Alle hingen an dem liedersüßen Munde der Sängerin. Keiner beachtete, daß Lady Caroline durch die Portiere in den Eßsaal hinüberglitt. Rasch eilte sie durch die Unwirtlichkeit des verödeten Prunkgemaches hinaus auf den Korridor. Sie kannte alle Wege in diesem großen Hause. Durch viele Gänge schlüpfte sie, durch viele leere Gemächer, bis sie die Tür am Ende der langgestreckten galerieartigen Bibliothek erreichte. Dort beugte sie den Kopf zum Schlüsselloch hinab und blickte hindurch. Sie wollte ihren Dichter sehen. Ihre Knie zitterten, so matt war sie vor Erregung. Eine Kühle war um ihre Stirn, so heftig krampfte die Angst ihr die Arterien zusammen. Sie sah ihn, wie Luttrells Hohn ihn vermutet hatte, mit dem Rücken gegen einen der eichenen hohen Bücherschränke gelehnt. Sie sank nieder auf die Knie und starrte hinein und flüsterte irre Worte, berauscht von der Schönheit seiner Trauer. Und sie sah den Schmerz in seinen Augen und verlor die Scheu und das Bangen. Etwas mütterlich Reines erwachte in ihrem krausen Gemüt. Dort stand er, es ekelte ihn vor all den Menschen dort im Saale. Er sehnte sich gewiß nach einer, die anders war als alle diese anderen Menschen der Alltäglichkeit. Ganz leise erhob sie sich, nur ihr seidener Rock knisterte. Lautlos öffnete sie die Tür und trat ein. Er hörte sie nicht. Er starrte vor sich hin mit einem wehen, trostlosen Zug um den Mund. Eine Trauer, gegen die er nicht ankämpfen konnte, hatte ihn umkrallt, ein Schmerz, der in den Ohren klang. Mit umflorten Augen blickte er vor sich hin ins Leere.

Da flüsterte sie zu ihm hinüber:

»Kommen Sie zu mir. Kommen Sie morgen zu mir nach Melbourne House. Ich will Sie trösten.«

Er hörte den Klang ihrer Stimme, wie eine Stimme aus dem Nebel. Langsam wandte er die Augen ihr zu. Er staunte nicht über ihre plötzliche Gegenwart. Seine Gedanken sannen: »Wie schön steht das Violett des Kragens gegen ihr blondes Haar.« Mit leisen Schritten, von einer magischen Kraft angezogen, glitt sie zu ihm heran.

»Sie werden kommen?« raunte sie und hob die Arme auf. Wie ein Flehen war es.

Er sah verständnislos auf sie herab. Da flüsterte sie mit erhobenen Händen: »Ich fürchte Sie und kann ohne Sie nicht leben.«

»Wie?« fragte er leise und strich die braunen Locken an der Schläfe zurück.

Sie blickte ihn stumm an mit lockenden brennenden Augen. Aus dem Saal klang der Russin schwermütig süße Stimme. Gedämpft drang es durch die Tür herein.

»Doch erwach', die Welt ist voll Pracht, mein Kind,
Sie ist zur Freude gemacht, mein Kind,
Willst mit Bestreben
Verlängern das Leben,
So stiehl ein Stündchen der Nacht, mein Kind!«

 

»Werden Sie kommen?«

Sie berührte mit den Fingerspitzen zag seinen Ärmel. Er nickte und fühlte, wie seltsam dies alles war. Dieser matterleuchtete düstere Raum mit den zahllosen Büchern, diese bleiche zitternde Frau und ihre Bitte. Doch es schlug so gut in seine Stimmung hinein.

»Ich danke Ihnen,« flüsterte sie und glitt zur Tür.

Im Nebenzimmer starb leise der Sang:

»Erspäht er dich hell,
So hält er wohl schnell
Dich für einen Stern voll Pracht, mein Kind!«


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