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III.

Tage voller Hast und Unruhe kamen über Newstead Abbey. In dem alten Eichenschrank, in dem der Holzwurm bohrte, hatte Byron unter den Reliquien seines Großvaters, des Admirals John Byron, ein altes Wetterglas gefunden. Auf den höchsten Zinnen seines Schlosses stand er lange Stunden und spähte hinüber zu dem Horizont, in den die Schornsteine von Annesley bleiche Fingermale drückten. Das Glas war verwittert. Doch es war ja die Sehnsucht, die hinüberblickte, und die trug weit. Stunde um Stunde stand er dort oben auf den Zinnen seines Hauses, das Glas am Auge, und würgte an der Frage, ob sie glücklich sei. Das war das bange Rätsel, das ihn rastlos umhertrieb. War sie glücklich geworden mit diesem Manne? Oder – hier atmete er schwer und das Herz schlug ihm oben im Halse – trug dieser Mensch die Schuld an ihrem jähen Verfall? Hatte sie den bösen Irrtum ihrer Siebzehn in Gram und in Grauen erkannt? Er preßte das Glas an das Auge, als könne er damit bis in das Herz der Herrin von Annesley hineinblicken. Harrte sie des Befreiers, und er stand hier und blickte untätig hinüber, statt aufs Pferd zu springen, hinüber zu jagen und sie zu erlösen aus den Armen dieses rohen Gesellen?

Dann raffte er den Gedichtband auf, den er ihr bringen wollte, eilte er in den Hof, ließ satteln, sprengte über die Felder und umkreiste wie ein Räuber die Grenzen von Annesley. Doch er wagte sich nicht hinein in den Park. Der Fuchsjäger hatte sie geküßt, sie hatte es geduldet! Wenn sie ihn dennoch liebte – dennoch! – So kämpfte er und schwankte und zermarterte sein Hirn mit dem Zweifel, ob sie glücklich sei oder des Befreiers harre.

Eines Tages, als er wieder von seiner Warte Ausschau hielt, erspähte er in weiter Ferne eine Kavalkade. Das war eine Jagd, bei der Herr Musters sicherlich nicht fehlte. Sofort durchzuckte ihn der Gedanke, daß Mary heut einsam war in Annesley, daß sie vielleicht am Fenster stand und hinüberblickte nach Newstead, ob der Retter nicht käme, der langersehnte Retter. Alle Bedenken waren plötzlich zerstoben. Die Gedichte in der Tasche, sprang er in den Sattel. Kurz vor Annesley zögerte er wieder. Wenn er dennoch irrte –?! Doch seine Sehnsucht gab dem Tiere die Sporen. Im Park traf er die Wärterin mit dem Kinde.

»Ist Mrs. Chaworth zu Haus?« fragte er.

»Ja,« gab die Bonne Bescheid.

Er ritt durch das hallende Torhaus und kam in den Hof. Die Ställe zur Rechten waren weit geöffnet. Die Meute war hinter dem Fuchs. Der Stallknecht nahm das Pferd in seine Hut, der Diener meldete ihn. Gleich darauf erschien Mary in der Halle, gab ihm die Hand und lächelte:

»Da sind Sie endlich. Ich habe Sie lange erwartet; Sie wollten mir doch Ihre Gedichte bringen.«

Seine braunen Augen brannten. Sie hatte ihn erwartet, sie hatte ihn doch erwartet!

»Kommen Sie in den Garten,« bat sie. »Es ist so schön und mild.«

Sie schritten um das Haus herum in Marys bunten Blumengarten.

»Mein Mann ist nicht zu Hause,« sagte sie. »Er ist auf der Jagd.«

Dann setzten sie sich nebeneinander auf die weiße Bank, auf der sie vor Jahren oft gesessen hatten, und keiner fand ein Wort.

Endlich bat Mary: »Erzählen Sie mir etwas.«

»Was?« fragte er.

»Irgend etwas, mich interessiert alles, was außerhalb meiner engen Welt hier liegt.«

»Interessiert Sie Politik?«

»Alles,« wiederholte sie, »denn ich sehe von der Welt nichts, als daß es Sommer und Winter wird und daß die Blätter kommen und fallen im Park von Annesley. Und ich höre nichts als das Rinnen des alten Brunnens im Hof – und der Zeit.«

Es klang wie ein trauriger Vers aus einer alten traurigen Ballade.

»Soll ich Ihnen von Napoleon erzählen?« schlug er vor.

»Nein,« wehrte sie, »von diesem Ungeheuer, der unser geliebtes Land erbarmungslos quält, erzählen Sie mir nichts an diesem schönen Tage.«

»O,« lächelte er nachsichtig, »ein Ungeheuer ist er nicht. Er ist der größte Mensch seiner Zeit.«

»Pfui!« ereiferte sie sich, »das kann nicht Ihr Ernst sein. Denn das habe ich in meiner Einsamkeit doch erfahren, daß er ein blutdürstiger Eroberer ist, und daß sein Sinnen und Trachten dahin geht, unser Land zu vernichten. Das hat der Pastor auf der Kanzel gesagt.«

Byron lächelte wieder.

»Sie müssen nicht auf den guten Pastor hören, Mrs. Chaworth. Er ist kein blutdürstiger Eroberer. Ein Eroberer freilich ist er. Ein Eroberer, der diesem faulen verrotteten Europa seinen Fuß auf den Nacken setzt. Aber was verdient eine Welt besseres, über die ein Mann Herr werden kann! Wir ist Napoleon das Urbild des Tatmenschen.«

Er war emporgesprungen, seine Augen funkelten vor Begeisterung, wie damals, vor langen Jahren, wenn er von seiner Zukunft geschwärmt hatte.

»Solch ein Mensch möchte ich werden,« rief er. »Solch ein Sieger, solch ein Held. Sie wissen nicht, wie ich dieses feige kleine Leben hasse, das ich führen muß. Das einmal verwehen wird wie ein Hauch, ohne die geringste Spur zu hinterlassen. Tun möchte ich, handeln möchte ich, die Welt mit diesen beiden Händen kneten wie Teig, das möchte ich.« Und plötzlich schüttelte er wieder, wie vor fünf Jahren, vor dieser Frau seine heiligsten Gedanken aus. –

»Nicht ein Unterdrücker wie Napoleon möchte ich werden, nein, ein Befreier. Ich möchte kämpfen gegen jedes Joch. Gegen die Knechtung der Völker, gegen die Knechtung des Glaubens, für die Freiheit auf allen Gebieten menschlichen Denkens möchte ich kämpfen. O, da gibt es viel zu tun. Denken Sie an Irland, das unter der blutigen Gewalt Englands stöhnt. Denken Sie an die Katholiken, deren Glauben von England mit Füßen getreten wird. Denken Sie an die brutale Gewalt, mit der jeder Freidenker bei uns mundtot gemacht wird. Denken Sie an die Arbeiter in den Webereien dort drüben in Nottingham, die von den Fabrikherren geschunden und ausgesogen werden. Denken Sie an alle die Nationen, die unter fremder Fron schmachten. Ich sage Ihnen, es gibt viel Raum in der Welt für einen Mann, der für die Freiheit kämpfen will. Und ich werde kämpfen, ich werde kämpfen!«

Sie blickte in bewegtem Staunen empor zu dem jungen Menschen, der vor ihr stand, flammend schön, wie ein Heros der Freiheit. Seit Jahren hatte sie kein Wort vernommen, das hinausstrebte über die kleinlichsten Dinge seichtesten Lebens. Seit Jahren schloß sich um ihren Geist ein enger Reif flachster Alltäglichkeit. Und nun sprengte dieser junge Schwarmgeist, der schon einmal dem siebzehnjährigen Mädchen die Weiten seiner Welt geöffnet hatte, den engenden Ring um ihr Denken und wies ihr Reiche des Sehnens, des Strebens und der Tat. Das Herz schlug ihr mit im Takte seines leidenschaftlichen Wollens, trieb ihr das Blut im Pulsschlag seines Ungestüms in die Wangen, daß sie glühten wie einst. Und das wilde Feuer in seinen Augen spiegelte sich in ihren aufleuchtenden Pupillen.

Byron sah die Veränderung in ihren Zügen, lächelte und sagte beglückt: »Jetzt sind Sie wieder die Mary Chaworth, die einmal hier auf dieser Bank gesessen hat.«

Da erlosch die Farbe ihrer Wangen, das Licht in ihren Augen verblich.

»Es ist lange her,« sagte sie und sank in sich zusammen.

»Nun lesen Sie mir Ihre Gedichte,« bat sie leise nach einer schweren Pause.

Gehorsam setzte er sich wieder neben sie auf die Bank und zog das Buch hervor.

»Lassen Sie mich mit hineinsehen,« sagte sie, »dann verstehe ich besser.«

Er rückte dicht an sie heran und öffnete den Quartband. Sie blickte neben ihm in die Seiten. Er fühlte ihren Körper neben sich, ihr Haar streifte sein Gesicht. Ein stilles Glücksgefühl durchglitt ihn, ganz weich und zart, ohne Wünsche, ohne Qualen, ohne Sehnsucht. Wie ein Traum war es ihm, daß er jetzt hier im Garten bei ihr saß und ihre Nähe empfand.

»Es sind alte Gedichte,« lächelte er wehmütig, »manche habe ich mit zwölf Jahren geschrieben, die meisten mit sechzehn und siebzehn. Manche haben sie gelobt, andere, und vor allem die literarisch angesehenste Zeitschrift, haben sie schmachvoll getadelt. Ich glaube heute selbst, daß sie nichts Gutes sind, aber ich liebe sie doch, wie man seine Kindheit liebt.«

»Wir wollen lesen,« ermunterte sie.

Traurig las er das Klagelied seines verfallenden Ahnenschlosses.

Dann kam das Gedicht auf den Tod eines jungen Mädchens, die Grabschrift auf einen Freund, sehnsüchtige Grüße an die Berge und Seen Schottlands, die seine Kindheit umspielt hatte. Er lächelte spöttisch als er das Gebet der Natur las:

»Vater des Lichts, Gott alles Lebens,
Hörst du wohl der Verzweiflung Qual? – –

– – – – – – – – – –

Dir weih' ich, dankbar deiner Gnade,
In Demut hier mein Saitenspiel,
Und hoff': nach manchem irren Pfade
Bist du doch meines Lebens Ziel.« –

»So habe ich einmal gedacht,« nickte er vor sich hin.

»Einmal?« fragte sie ergriffen. »Glauben Sie heute nicht mehr so?«

Er schüttelte den Kopf.

»Nein,« beichtete er fest, »ich glaube nicht mehr an Gottes Güte. Ich habe viel zu Bitteres erlebt.«

Ihre Augen umschleierten sich.

»Sie müssen an Gott glauben,« flehte sie inbrünstig. »Sie dürfen sich nicht von ihm abwenden, weil er Ihnen Schweres sendet. Wir müssen in Ergebung tragen, was er über uns beschließt.«

Das kam wie ein trauriges Glaubensbekenntnis.

»Sagen Sie mir, daß Sie an Gott glauben wollen!«

Da lächelte er: » Heute will ich an ihn glauben.«

Sie verstand. Ein Blutstrom flutete in ihr bleiches Gesicht. Sie senkte die Augen nieder auf das Buch.

»Wir wollen weiter lesen,« sagte sie und wandte die Seite um.

»Das nicht,« wehrte er und wollte weiter blättern.

»Weshalb?« fragte sie erstaunt, »das scheint doch sehr schön zu sein.«

»Ade, ihr Höh'n, wo mir ins Haar
Die Jugend Rosen wand – –«

»Nein, nein,« bat er.

»Nun will ich's gerade sehen,« lachte sie mit einem Anflug der eigenwilligen Schelmerei ihrer glücklichen Siebzehn.

Er sah es und fügte sich.

Fast übermütig las sie dieses gefühlvolle »Ade an die Welt«. Doch plötzlich stockte ihr die Stimme.

»Dein Liebreiz, Mary, strahlt so licht,
So frisch, wie er im Traumgesicht
Der Liebe mich umwallt.
Ich denke, Mary, bis in Staub
Ich sinken muß, dem Tod zum Raub,
An deine Lichtgestalt.« – –

Und mit Tränen tropfte der Schluß in sie nieder:

»Vater des Lichts! Aus tiefster Nacht
Ruf' ich in meiner Not:
Du, der des Sperlings Fall bewacht,
Wend ab von mir den Tod!
Der ihre Bahn den Sternen zeigt,
Dem Wind und Meer gehorsam schweigt,
Du, dessen Kleid die Himmel sind,
Vergib mir Wort und Wunsch und Tat,
Und auf des Todes dunklem Pfad
Geleite du dein Kind.«

Das Buch lag auf ihrem Schoße, ihr Gesicht war tief über die Blätter gebeugt.

Endlich fragte er: »Sind Sie traurig, daß ich Sie so lieb hatte?«

Sie antwortete nicht, beugte den Kopf noch tiefer, daß das Licht des Oktobertages ihr Haar umgoldete.

Da sprach er mit bebender Stimme, als spräche er vor sich hin: »So sehr habe ich Sie geliebt. So liebe ich dich noch heute, Mary. In meinen Schultagen in Harrow, in meinen ausgelassenen Tagen des Sports in Cambridge, in der wilden Zeit meiner Ausschweifungen in London, immer hast du mir gestrahlt als der helle Morgenstern von Annesley. Keinen leisen Gedanken hatte ich außer dir. Keine klingende Sehnsucht, keinen heiligen Atemzug. An dich habe ich gedacht zu jeder Stunde. Dich habe ich geliebt mit jedem Pulsschlage. Ich bin krank gewesen vor Sehnsucht nach deiner Schönheit und deinem jungen Übermut. Körperlich oft, im Gemüt für immer. Die Welt ist mir leer und zwecklos geworden ohne dich. Ich habe an keine Zukunft ohne dich geglaubt. Nur die Vergangenheit hatte ich, die du bist.«

Er schwieg erschüttert.

Sie blickte noch immer zu Boden.

Behutsam stand er auf, trat dicht an sie heran, daß er sie fast berührte, und flehte:

»Eins sag' mir, Mary, um unser beider Leben willen sag' es mir: bist du glücklich geworden? Hat deine Wahl das gehalten, was sie dir wohl versprochen haben muß?«

Langsam hob sie den Kopf, bog ihn weit zurück, daß ihre Augen an ihm vorbei in den Himmel sahen. Ihr Gesicht war noch fahler als vorher. Purpurblaue Schatten kreisten tief in die Wangen hinab. Ihre Lippen bewegten sich, doch kein Laut brach hervor. Endlich bekam die Stimme einen dünnen, bleichen Klang. »Sie sind ehrlich gewesen,« sprach sie hinein in die Luft, »das fordert Aufrichtigkeit von mir. Nein, George Gordon Byron, glücklich bin ich nicht geworden.«

Er zuckte zusammen.

»Sie beichtete weiter.

»Ich will ganz aufrichtig zu Ihnen sein. Ich war damals ein törichtes, leichtsinniges Kind. Meine arme Mutter, die jetzt in Gott ruht, hat mich gewarnt. Sie wollte so gern, daß wir beide ein Paar würden. Ich bin leichtfertig und störrisch gewesen. Ich wollte mir mein Leben nach meinem Geschmack bauen. Ich sah in – ihm den schönen Mann, und mein alberner Sinn träumte von seiner Ritterlichkeit. – Ersparen Sie mir alles andere.«

Da warf Byron die Arme jäh empor und jauchzte im Ungestüm seiner Zwanzig:

»Mary!«

»Wie?« stammelte sie.

»Dann« – er trat noch näher an sie heran und streckte die Arme nach ihr aus.

Sie bog sich hastig in die Bank zurück. »Was? was?« flüsterte sie.

»Dann – mir gehörst du! Ich habe nicht gewagt zu hoffen, ich habe nicht gewagt, deinen Frieden zu zertrümmern. Ich habe vor deinem Glück auf den Knien gelegen, die Arme gerungen und entsagt. Ich Narr! Du bist nicht glücklich! Du leidest! Das bedeutet Leben und Glück und alle Seligkeit der Welt.« Er faßte ihre hängenden Hände und preßte sie, daß es sie schmerzte. Sie suchte sich zu befreien.

»Ich begreife nicht,« flüsterte sie.

»Du begreifst nicht? Mary, du begreifst nicht?!« Plötzlich ließ er ihre Hände entgleiten und taumelte zurück.

»Liebst du nicht – mich?«

Er war weiß geworden wie der Lack der Bank, die in der Sonne gleißte.

Sie sah ihm gerade in die Augen.

»Ich weiß es nicht,« wich sie aus. »Damals habe ich Sie nicht geliebt. Ich hatte Sie gern, aber immer ein wenig von der Höhe meiner siebzehn Jahre herab. Trotz all des Lebendigen, das Sie mir damals gaben. Trotzdem Sie meinem Geist weite Gebiete erschlossen, habe ich Sie nicht für voll genommen. Dann – später, habe ich die Unterhaltung mit Ihnen sehr vermißt. Ich habe immer und immer wieder über all das gesonnen, was Sie mir bei unseren Streifereien in Wald und Feld und Park offenbart hatten. Ich bat meinen Mann um Bücher. Er verweigerte sie mir als einen Nonsens, dessen Frauen nicht bedürften. Ich bestellte sie auf eigene Faust in Nottingham. Er tobte. Es war vielleicht Eifersucht auf eine Welt, die ihm verschlossen ist. Sehen Sie ihn nicht falsch, er ist –«

»Nein, nein!« rief er ungeduldig.

»So wurden Sie meine Welt,« fuhr sie fort. »So habe ich eigentlich immer an Sie gedacht. Und so –« sie sah ihm ernst und feierlich in die Augen – »sind Sie mir sehr viel und sehr lieb geworden. Vielleicht mein eigentliches Leben.«

Er atmete schwer vor Glück. Und da glitt er an ihr hinab, umklammerte ihre Knie und lohte zu ihr empor: »Du liebst mich, du liebst mich ja doch. Das ist Liebe, die aus dir spricht. Du gehörst mir, du sagst es ja selbst, seit Jahren. Wir gehören zusammen. Das Schicksal hat uns fest aneinandergeschmiedet. Wir ertrotzen uns unser Glück, wir –«

»George, George,« wehrte sie.

Er stürmte weiter: »Du fliehst mit mir. Ich entführe dich. Du läßt dich scheiden. Du gehörst mir, du gehörst mir!«

Er sprang empor, beugte sich über sie, preßte ihren Kopf zurück gegen die Lehne der Bank und küßte sie wild, rasend, sinnlos.

Zuerst war sie überrascht von seiner Jähheit, dann überwältigt von seiner Glut. Sie schloß auf Sekunden die Augen, ließ sich fortreißen von seiner Leidenschaft. Dann stieß sie ihn von sich und glitt in die Höhe. Und nun stand sie vor ihm, auf die Bank gestützt, wirr, verzaust, benommen. Er kam wieder auf sie zu. Da streckte sie ihm abwehrend beide Hände entgegen.

»Lassen Sie, lassen Sie bitte,« flehte sie kindlich. »Nicht, nicht!«

»Wie?« stutzte er. »Du willst nicht mit mir fliehen?«

Sie schüttelte den blonden Kopf.

»Meine Pflichten binden mich an dieses Haus.«

»Du liebst ihn nicht!« schrie er ihr entgegen.

»Nein,« gestand sie mit zuckendem Munde, »doch ich bin sein Weib.«

Und jetzt hatte sie ihre Hoheit und Festigkeit wiedergefunden.

»Ich habe ihn zum Manne genommen, wie er war. Ich habe ihm Treue vor Gott gelobt. Die halte ich.«

Byron machte eine heftige Bewegung. Unbeirrt sprach sie weiter: »Er hat mich nicht getäuscht. Ich habe mich getäuscht. Die Folgen meines Irrtums trage ich.«

»Mary!«, er ballte die Fäuste, »das sind Sophistereien. Willst du zwei Menschenleben vernichten wegen solcher verschrobener Ideen?«

»Ich tue meine Pflicht, wie ich sie sehe,« sagte sie schlicht. »Und du,« – sie hob flehend die Hände, »du wirst mir dabei helfen.«

»Ich will dir helfen,« drang er in sie. »Ich will dir ja helfen.«

»Komm nie wieder,« flüsterte sie. – »Komm nie wieder nach Annesley, hörst du – wenn du mich liebst. Wir wollen aneinander denken aus der Ferne. Du weißt nun, ich habe dich lieb. Wir wollen stark sein, wie unsere Liebe.«

Er trat einen Schritt von ihr zurück.

Verachtung verzog seinen schönen Mund.

»Du willst bei dem Manne bleiben mit der Liebe zu einem anderen im Herzen?«

»Ja,« sagte sie und hob den Kopf, »und bei meinem Kind, das seines ist. Lebe wohl, George. Gott wird uns beiden helfen.«

Damit löste sie sich von der Bank und schritt langsam die Stufen hinauf, die aus ihrem Blumengarten in ihr blaues Zimmer führten. Sie wandte sich nicht um. Er sah sie das Zimmer durchschreiten und ins Dunkel des Hintergrundes verschwinden. Er wollte ihr nachdringen und stand wie in den Boden gewurzelt. Stand, stand und starrte in das Dunkel, in dem sie verglitten war. Dann riß er sich von seinem Platze, ging wie schlafwandelnd in den Hof, ließ die Stute vorführen, schwang sich in den Sattel und ritt durch das Torhaus hinaus ins Freie. Alles war wie ein böser, schwerer Traum, den er schon irgendwann einmal geträumt hatte.


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