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X.

Pünktlich um ein Uhr betrat Byron am nächsten Tage das Haus St. James' Place No. 22. Hier hatte der Wettstreit der ersten Künstler der Zeit dem Dichter-Bankier Rogers das kostbare Junggesellenheim gebaut. Als der Diener Byron in einen kleinen Salon führte, eilte der Hausherr aus einem anstoßenden Zimmer herein.

»Ich freue mich,« rief er schon auf der Schwelle, »Sie bei mir zu begrüßen. Ich bin immer ein wenig eingebildet gewesen auf mein schönes Haus. Heute aber hat es seine historische Weihe empfangen. Solange hier ein Stein auf dem anderen steht, wird man andächtig auf diese Villa zeigen und sagen: »Hier ist einst Byron zu Gast gewesen«.«

Vielen Überschwang hatte Byron in den letzten Wochen erfahren. Solche Hymne beschämte ihn nicht mehr. Lächelnd gab er zurück: »Und dann wird man sagen: »Welch ein großer Mann muß Byron gewesen sein, daß ein Geist wie Samuel Rogers mit ihm verkehrte«.«

Rogers schüttelte ihm die Hand.

»Charmant, charmant, Mylord, meiner Bankiersklugheit zum Trotz will ich diese Anweisung auf die Zukunft für bare Münze nehmen.« Und die Stimme senkend, flüsterte er: »Ich habe mit Ihrer Einladung eine Absicht verbunden. Sie gilt der Versöhnung mit einem Ihrer alten Feinde.«

»Feinde?« fragte Byron und zog die Brauen zusammen.

Da wurde die Portière, die den Salon vom Nebenzimmer trennte, beiseite geschlagen und ein kleiner fixer Herr trat ein. Im Türrahmen stutzte er. Auch Byron war betroffen von der auffallenden Schönheit des Mannes. Seine Stirn war groß und rein, mit mächtigen Genialitätsbeulen. Die dunklen Augen ruhten mit forschendem feurigen Glanz auf Byrons Gesicht. Seine Überraschung schnell beherrschend, kam er mit kleinen Schritten auf Byron zu, streckte ihm eine nervöse Künstlerhand entgegen und sagte mit einer Stimme, die wie Musik streichelte:

»Grüß Sie Gott, Lord Byron.«

Zögernd schlug der Dichter ein.

»Ich habe Sie schon einmal vor langen Jahren–«, zauderte er, »im Chapter Coffee-House – Sie sind –«

»Mylord,« frohlockte Rogers, »wer kann das sein? Wer kann solche Augen, die man sich eigentlich nur unter einem Kranz von Weinlaub denken kann, im Kopfe tragen, wer kann eine solche Nase, die immer den Duft eines Festgelages und blühender Obstgärten einzuatmen scheint, so charakterfest in die Welt hinausstoßen als der Sänger des Weines und der Frauen, als unser Anakreon, als unser Thomas Moore?«

Der Ire fühlte, wie die Hand, die er umschlossen hielt, zuckte und warm seinen Druck erwiderte.

»Sie sind Thomas Moore!« stammelte Byron verblüfft wie ein Knabe.

»Ja,« lachte Moore. Und sein Lachen klang frisch und jubilierend wie Vogelgezwitscher, »der bin ich. Und nun, da wir zwei tüchtige Kerle uns gefunden haben, wollen wir uns in Freundschaft bei der Hand halten und aller Zwist zwischen uns soll vergessen sein.«

»Gern, gern,« flüsterte Byron freudewirr. »Ich habe schon lange meine törichten Verse auf Sie bereut.«

»Und mir erscheint meine Forderung zum Duell wie ein Dummerjungenstreich.«

»Ihre Forderung zum Duell?« Byrons Hand löste sich aus Moores enthusiastischem Druck. »Wenn Sie sie vergessen haben,« lächelte Moore, »desto besser.«

Byron siedete das stolze Blut heiß zu Kopf.

»Sie haben mich gefordert?« fragte er.

»Ja, als ich damals Ihre Satire gelesen hatte, habe ich Ihnen einen Brief geschrieben, in dem ich Sie auf Pistolen forderte.«

»Ich habe ihn nie erhalten,« sagte Byron und zog sich in sich zurück. »Ich war damals auf Reisen im Ausland. Aber ich stehe Ihnen selbstverständlich in jedem Augenblick zur Verfügung.«

»Aber, aber,« rief Rogers, »welch ein Mißverständnis! Sie hören ja doch, daß die Sache längst erledigt ist. Das wäre eine schöne Versöhnung mit der Pistole in der Hand!«

»Ich denke gar nicht daran, mich mit Ihnen zu schießen,« lachte Moore. »Ich will Sie lebend genießen.«

»Sie könnten denken,« zauderte Byron, »ich hätte –«

»Nein,« wehrte Moore lachend und zeigte das prachtvolle Gebiß in dem schönen sinnenfrohen Munde. »Ich denke nicht, daß Sie sich gedrückt haben. Ein Mann, der soviel Mut gezeigt hat, wie Sie auf Ihrer Reise, der mitten im Gewittersturm, als er sich im fremden Land verirrt hatte, im Pindusgebirge die Gelassenheit besaß, das herrliche Gedicht »Kalt und schwarz ist die wilde Nacht« zu dichten, der drückt sich vor keinem Duell. Sie sollen auch nicht denken, daß ich mich damals, wie Sie mir in Ihren Versen vorwarfen, vor der Kugel Jeffreys gefürchtet habe. Ich hatte damals Jeffrey auf Pistolen gefordert, weil er mich in einer Kritik heruntergerissen hatte. Auf dem Wege zum Kampfplatz fielen die Kugeln aus den Pistolen heraus, ohne daß die Sekundanten es merkten. Als wir dann losdrückten, versagten natürlich die Dinger. Andere Geschosse waren nicht zur Stelle, so haben wir uns versöhnt. Das ist die wahre Geschichte jenes »unblutigen Duells«. Und da jetzt alles zwischen uns klar ist, geben Sie mir noch einmal Ihre geniale Hand.«

Freudig schlug Byron ein, Rogers stand dabei wie ein segnender Pate dieses Freundschaftsbundes, der bis über den Tod hinaus dauern sollte.

Man ging in das anstoßende Zimmer zurück und Moore wiederholte: »Jetzt wollen wir friedlich nebeneinander arbeiten und dem englischen Volke das geben, wozu wir geboren sind. Ich habe mich über Ihren Erfolg innig gefreut.«

»Er ist der neidloseste Mensch,« freute sich Rogers, »dieser Thomas Moore, der je den Gänsekiel geführt hat.«

»Ach,« wehrte Moore, »das Feld des Ruhmes ist weit genug für alle.«

Da sagte Byron:

»Ich glaube, ich werde nicht mehr schreiben.«

Die beiden anderen lachten hell auf.

»Nein, nein,« beharrte er ernst. »Das Epenschreiben langweilt mich. Ich möchte jetzt eine Tragödie dichten. Doch habe ich leider kein Talent fürs Drama. So lasse ich die Schreiberei lieber ganz und stürze mich auf die Politik.«

»Das wäre sehr schade,« bedauerte Moore ehrlich.

Byron überhörte den Einwurf und riet:

»Sie, Herr Moore, sollten sich einmal mit dem Drama versuchen. Sie haben ein so wunderbares Talent und sind so vielseitig. Und dann haben Sie gelebt und gefühlt.«

Da lächelte Moore:

»Nun, ich glaube, Sie haben auch genug gelebt.«

»Vielleicht,« sann Byron, »äußerlich. Doch im Innern bin ich nur einmal erschüttert worden, und das ist kein Stoff für andere. Ich glaube, um so zu schreiben, daß das Menschenherz im Innersten erschüttert werde, muß das Herz des Dichters schon überwunden haben.«

Rogers nickte. Byron sprach weiter:

»Solange man unter dem Einfluß der Leidenschaft steht, kann man sie wohl fühlen, aber nicht beschreiben. Ebensowenig, wie man inmitten einer bewegten Handlung mit dem Nachbar darüber sprechen kann. Wenn aber alles vorbei ist, alles, alles unwiderruflich dahin, dann kann man sich auf sein Gedächtnis verlassen, es wird nur zu getreu alles wieder beleben.«

»Es ist viel Richtiges in dem, was Sie sagen,« grübelte Moore.

»Meine »Irischen Melodien« konnte ich auch erst schreiben nach Emmets Tode.«

Nach einer kleinen Pause hob Byron wieder an:

»Ich habe genug von der Dichterei! Für immer will ich ihr nun Lebewohl sagen. Ich habe meinen Tag gehabt und nun genug damit. Das Höchste, das ich erwarte oder selbst wünsche, ist eine Bemerkung in der Biographia Britannica, daß ich vielleicht ein Dichter hätte sein können, hätte ich nur gearbeitet und mich gebessert.«

»Sie scherzen,« staunte Moore.

»Lassen Sie ihn doch,« brach der Spott bei Rogers durch.

»Erkennen Sie nicht die »Childe Harold-Pose«?«

Byron schüttelte den Kopf.

»Mein Dichterlos ist besiegelt. Es reizt mich nicht mehr. Mich locken Taten.«

Rogers war aufgesprungen und klatschte in die Hände.

»Bravo, bravo, Sie sind aus einem Stück gegossen. Wären Sie es nicht selbst, so müßte man rufen: »Ganz wie Byron!« Kaum hat er den Ruhm gewonnen, so blickt er blasiert darauf hinab. Zum Glück gehört es zum Byronismus, uns bald mit einem neuen, noch köstlicheren Werke zu überraschen.«

Byron schüttelte ernst den Kopf. Seine Augen irrten versonnen an den gemäldegeschmückten Wänden des Zimmers hin.

Da brach Rogers Eigentümerstolz die Stille.

»Wenn es Sie interessiert, zeige ich Ihnen einige Kuriositäten.«

Emsig öffnete er ein Fach in dem Bücherschrank.

Moore lachte wieder, wie er immer lachte.

»Also doch, ich habe mich schon gewundert, daß Sie so lange Ihre Schätze vor Lord Byron verbergen konnten.«

»Meine Sammlung ist aber auch sehenswert,« rief Rogers besitzeifrig. »Hier sehen Sie nur gleich das erste Stück. Wissen Sie, was das ist? Das ist die Quittung Miltons über die fünf Pfund, die er für das »Verlorene Paradies« erhalten hat. Fünf Pfund, meine Herren! Die Zeiten haben sich geändert, was?«

Er zeigte Stück für Stück seine Kleinodien mit der Beharrlichkeit des erpichten Sammlers. Byron heuchelte aus Höflichkeit mehr Interesse als ihn in Wirklichkeit belebte. Ablenkend wies er auf zwei Gemälde, die ihm der Hausherr noch nicht erklärt hatte.

»Wer ist die schöne Frau dort auf den beiden Bildern?« fragte er.

Rogers hob den Kopf.

»Das ist die Frau von Sheridan. Dort hat Reynolds sie als »heilige Cecilie« gemalt. Und dort drüben ist sie von Gainsborough zusammen mit Mrs. Tickell verewigt. Frau Sheridan steht vom Beschauer aus links.«

»Ein entzückendes Weib,« pries Byron.

»Reizend,« schwelgte Moore und leckte sich die Schlemmerlippen.

»Sie, Sie!« drohte Rogers, »denken Sie an Ihre eigene reizende Frau.«

»Sie sind verheiratet?« fragte Byron erstaunt.

»Na, ob!« scherzte Rogers. »Sie sollten die schöne Frau Bessy kennen lernen. Sie hat einmal ganz London als Schauspielerin entzückt.«

»Sie ist sehr lieb,« flüsterte Moore verträumt.

Rogers spottete: »Da steht er ganz verzückt und ist doch der schlechteste Ehemann, den man sich denken kann. Er läßt die arme Frau sich fern von London in Sloperton nach ihm barmen mit einem winzigen Wirtschaftsgeld, während er selbst hier in London sein Gut verpraßt.«

»Ein Dichter kann nicht immer zu Hause bei der Frau hocken,« verteidigte sich Moore. »Selbst nicht bei der entzückendsten. Ein Dichter sollte überhaupt nicht heiraten.«

»Da haben Sie recht,« bestätigte Byron heftig. »Ich würde es auch niemals tun.«

»Ja,« Moore zuckte die Achseln, »das habe ich auch immer gedacht. Bis ich Bessy kennen lernte. Da waren alle guten Vorsätze verdampft.«

»Sie verdampfen immer,« spottete Rogers, »sobald man glaubt, die »Richtige« gefunden zu haben. Dabei ist es im Grunde so gleichgültig, wen man zum Weibe erwischt.«

»Gleichgültig?« fragten die beiden anderen gleichzeitig.

Um den Mund des Junggesellen zuckte es schalkhaft.

»Ja, vollkommen gleichgültig. Denn am Morgen nach der Hochzeit merkt jeder Mann ja doch, daß er jemand ganz anderes geheiratet hat.«

Sie lachten und dann bekannte Moore:

»Lieber Rogers, ich will ja gern jeden Ihrer Witze belachen, aber dann geben Sie uns auch etwas zu essen. Ich sterbe vor Hunger.«

»Sie müssen sich noch ein wenig gedulden,« bedauerte Rogers. »Ich erwarte noch einen Gast. Sheridan.«

»Sheridan?« rief Moore erfreut.

»Dies ist ja ein eminent historischer Tag meines Lebens,« lächelte Byron. »Den größten Lyriker und den größten Dramatiker Englands lerne ich heut kennen.«

»Der größte Lyriker Englands kennt einen größeren,« lehnte Moore das Lob ab und verbeugte sich gegen Byron.

»Hoffentlich kommt Sheridan bald,« seufzte Rogers.

»Jetzt ist leider auch auf seine Pünktlichkeit wenig Verlaß mehr. Früher, in seiner guten Zeit, war er eine lebende Uhr.«

»Der arme Sheridan,« trauerte Moore und setzte sich ergeben nieder.

»Ja, der arme Sheridan,« nickte Rogers. »Man könnte weinen über diesen Verfall. Wenn ich denke, was er vor zwanzig Jahren war und was er heute ist –«

»Es soll ihm sehr schlecht gehen?« forschte Byron.

»Schlecht?« Moore lachte bitter auf.

»Er ist eine Ruine,« sagte Rogers. »So bettelarm ist er, daß er in diesem Jahre nicht wieder ins Parlament gewählt worden ist, dessen bedeutendstes Whig-Mitglied er neben Fox seit dreißig Jahren war.«

»Weshalb wurde er nicht wiedergewählt?« fragte Byron.

Rogers preßte die Lippen zusammen.

»Weil er die fünf Guineas für die Wähler nicht hatte, die dazu nötig sind. Weil er zu stolz war, sie von Freunden zu erbitten.«

»Das verstehe ich nicht recht,« rief Byron. »Er muß doch mit seinen Stücken, die früher sehr viel gespielt wurden, viel Geld verdient haben.«

»Er hat alles verloren,« belehrte Moore.

Rogers erzählte:

»Sie wissen, Mylord, daß ihm das Drury-Lane-Theater gehörte. Damals war er ein reicher Mann, der Lieblingsdichter des Publikums, der erste Mann der englischen Literatur. Dann kam das Unglücksjahr 1791 und zerschlug ihm Reichtum und Glück. Das Theater brannte ab. Er verlor alles. Doch er hatte Freunde. Das Theater wurde schöner aufgebaut, alles wäre wieder gut geworden, wenn nicht in diesem Jahre des Unheils sein Weib gestorben wäre.«

Sein Auge glitt trauervoll über die Gemälde von Gainsborough und Reynolds.

»Sie war sein guter Engel. Mit ihr verlor er jeden Halt. Seitdem ist er ein Säufer geworden. Seitdem hat ihn das Glück verlassen. Das Theater sank von seiner künstlerischen Höhe, wurde verschuldet und kam schließlich in andere Hände. Sheridan wurde aus Drury-Lane hinausgedrängt. Seitdem geht es ihm sehr schlecht. Seine Gläubiger hätten ihn längst in den Schuldturm werfen lassen, wenn er nicht als Parlamentsmitglied immun gewesen wäre. Dieser Schutz hat nun durch seinen Ausschluß vom Unterhause aufgehört.«

Rogers schwieg. Seine Augen hingen noch immer an den klassischen Zügen der Mrs. Sheridan auf Reynolds Werk.

»Erzählen Sie nur weiter,« ermunterte Moore.

»Enthüllen Sie Seiner Lordschaft die ganze Tragödie dieses Dichterlebens. Man hat ihn in das Schuldgefängnis von Took's Court in Chancery Lane geworfen. Aber dort, unser Freund Rogers hat ihn ausgelöst. Seitdem lebt er aus Rogers Tasche und von den zahllosen Wetten, die er nie bezahlt, wenn er verliert.«

»Nun, nun,« milderte Rogers, »das weiß man doch nicht so genau.«

Moore lachte herzhaft. »Da haben Sie den ganzen Rogers. Borgen Sie sich 500 Pfund von ihm, und er wird kein Wort des Tadels gegen Sie äußern oder dulden, bis sie sie ihm zurückgegeben haben.«

»Nicht doch, nicht doch,« murmelte Rogers, »das ist doch ganz selbstverständlich. Ich halte es einfach für meine Pflicht –«

Er verstummte jäh, denn in dem Salon nebenan wurden Schritte laut.

In das plötzliche Schweigen hinein trat ein gebeugter kranker Mann mit erschütterndem Antlitz. Hunger und Elend und Enttäuschung hatten ihre Runen tief in die lederartige Haut hineingegerbt, hatten aber das Gewaltige dieses Gesichts nicht zu zerstören vermocht. Nase, Mund und Kinn gemahnten an Satirbüsten. Stirn und Augen verrieten den Gott. Schlohweiß hing das dünne Haar um die Jupiterstirn. Er blieb in der Tür stehen und grinste faunisch:

»An dem düsteren Schweigen, das herrscht, erkenne ich, daß Rogers einen Witz gemacht hat. Ein Scherz von ihm ist immer eine sehr erste Sache.«

Dann begrüßte er den Hausherrn und Moore. Als er sich Byron zuwandte, fuhr er zurück.

»Das,« sagte er mit seiner zerbrochenen alten Stimme, und streckte die zitternde Säuferhand aus, »das kann nur der Eine sein. Dieser Apoll kann nur der Gott der Jugend und des Glücks, das kann nur Byron sein.«

Trotz der Verwöhnung der letzten Wochen schlugen Byron die Flammen ins Gesicht. Hastig ging er auf den alte Mann zu, faßte seine beiden Hände, und die Freude klang hell in seiner Stimme auf, als er gestand:

»Ich bin glücklich, den Mann zu begrüßen, der stets par excellence das Beste geleistet hat. Ich habe Sie immer als den Mann verehrt, der das beste Lustspiel in seiner » School for Scandal«, das beste Schauspiel in seinen »Rivals«, die beste Farce, die nur zu gut für eine Farce ist, in seiner »Critic«, die beste Adresse in seinem Gedächtnismonolog auf Garrik und, um allem die Krone aufzusetzen, in seiner berühmten Begum-Rede die beste Rede geschaffen hat, die je in diesem Lande gehört worden ist.«

»Bravo,« rief Moore.

Da setzte sich der gebrochene Mann stumm nieder auf einen Sessel und beugte den weißen Kopf. Am Zucken der Schultern, die knochig aus dem verschlissenen grünen Rock heraustraten, sah man, daß er weinte. Rasch trat Rogers auf ihn zu, legte die Hand auf den gekrümmten Rücken und sagte: » Cheer up, alter Freund, Lord Byron hat die reine Wahrheit gesprochen.«

Sheridan hob die großen, noch immer brennenden alten Augen.

»Es tut sehr weh,« sagte er, »solche Wahrheiten in solch zerrissenen Hosen zu hören.«

Er deutete auf die Fransen, die von seinen weißen Beinkleidern herabhingen.

»Wir sind übrigens alte Bekannte,« suchte Byron ihn aufzumuntern. »Sie sind auch, wie ich, ein Zöglings der Harrowschule. Wir haben uns dort zu meiner Zeit ihr Gekritzel an der Mauer »R. B. Sheridan. 1765« als Ehre für die Wände gezeigt.«

Des früh gealterten Dichters verwittertes Gesicht verklärte ein schöner Glanz.

»Ach, Harrowschule! Du liebe alte Zeit mit deiner Hoffnung und deinen Stürmen!« murmelte er, nickte greisenhaft vor sich hin und ließ das Faunkinn herabhängen. »So, so, Sie waren auch in Harrow. Ja, es ist die Zuchtstätte für alle großen Politiker Englands. Und Sie, mein lieber Apollo, Sie scheinen auch nicht aus der Art zu schlagen. Nach der Rede, die Sie neulich im Oberhaus gehalten haben, zu urteilen, werden Sie einmal einer unserer besten Parlamentsredner werden.«

Hier fiel Moore ein:

»Ihr Geist, Mylord, geht noch heute in Harrow um. Ich habe irgendwo gelesen, Ihre »Stunden der Muße« mit Ihren Angriffen auf Harrow hätten die Jugend dort rebellisch gemacht.«

Byron lächelte: »Wenn meine Jugendgedichte wirklich diese ruhmvolle Wirkung gehabt haben, dann bin ich ein Tyrtäus. Aber leider ähnele ich diesem interessanten Harfner mehr körperlich« – er blickte auf seinen lahmen Fuß nieder – »als geistig.«

Hier öffnete der Diener die Flügeltüren, die in den Speisesaal führten.

Schweigend setzte man sich zu Tisch, schweigend ging der erste Gang hin. Und lange sprach der verkommene Dichter kein Wort. Er stürzte sich über die Speisen her mit der Gier des Hungers, der sich nur selten einmal sättigen kann, goß er ein Glas des edlen Clarets nach dem anderen mit der Hast des Säufers in die Kehle hinunter. Er hörte nicht auf seines Landsmanns Moores lebhafte Erzählungen. Er ging auf in seinem Hunger und unstillbaren Durste.

Moore führte allein das Wort. Er erzählte von seiner Reise nach Bermuda als Registratur der Admiralität. Dann bat Byron um einige Erinnerungen aus seiner Studentenzeit, in der er mit Robert Emmet befreundet gewesen war. Moore tat einen langen Zug, dann berichtete er:

»Als ich mit 15 Jahren die Dubliner Universität bezog, lernte ich Robert Emmet kennen. Er war, wie ich, im Jahre 1780 geboren. Man erzählte in unseren Kreisen damals eine Anekdote von ihm aus seinem 12. Lebensjahre, die ein Vorzeichen der Seelenstärke war, die er einige Jahre später entfalten sollte. Schon im Alter von zwölf studierte er mit Leidenschaft Mathematik und Chemie. Eines Tages versuchte er unmittelbar nach einem chemischen Experiment die Lösung einer schweren mathematischen Aufgabe. In seiner Versunkenheit steckte er den Finger in den Mund, an dem noch das Quecksilbersublimat haftete, mit dem er kurz vorher experimentiert hatte. Er empfand sofort heftige Schmerzen. Gelassen schlug er in der Enzyklopädie den Artikel »Gift« nach, fand aufgelöste Kreide als Gegengift, entsann sich, daß er ein Stück Kreide in der Wagenremise hatte liegen sehen, ging vor Schmerzen gekrümmt in die Remise, löste die Kreide im Wasser auf, trank sie und kehrte dann trotz der rasendsten Schmerzen ruhig zu seiner mathematischen Aufgabe zurück. Am nächsten Tage war er so entstellt, daß sein Lehrer ihn kaum wiedererkannte. Auf seine Frage gestand Emmet, daß er die Nacht unter den grausamsten Qualen verbracht habe, daß die Schlaflosigkeit aber insofern von Nutzen gewesen wäre, als er sie zur Lösung der Aufgabe verwandt habe.«

»Das ist charakteristisch für ihn,« nickte Byron.

»Ich verdanke ihm,« fuhr Moore mit trauerumdunkelten Augen fort, »fast alles. Ohne Emmets Freundschaft wäre ich wohl nie mehr geworden als ein unbedeutender Sänger der Liebe und des Weines. Emmets Beispiel erst hat mir die Kraft gegeben, die Sagen, die Erinnerungen, das Leid meines geliebten Vaterlandes und die Anlagen seiner Söhne und Töchter mit meinen geringen Kräften zu besingen.«

»Gering?« lächelte Rogers. »Mein lieber Moore, Sie haben für Irland mehr getan, als Burns für Schottland.«

»Das hat er,« stimmte Byron freudig zu.

»Laßt uns von Emmet reden,« wehrte Moore dem Lobe. »Sie können sich nicht vorstellen, welche zwei verschiedene Menschen in ihm lebten. Wenn er nicht sprach, war sein Blick müde und leblos. Doch kaum öffnete er den Mund, da strahlte sein Antlitz von einer seltsamen Kraft, seine Bewegungen, seine ganze Haltung waren von einem seltsamen Geiste inspiriert. Ich habe niemals später etwas gehört, was erhabener und reiner gewesen wäre, als das Gepräge seiner Erscheinung, wenn er redete.« Und leise schloß er: »Er pflegte neben mir zu sitzen, während ich Melodien aus Buntings irischer Sammlung spielte. Und als ich eines Tages mein Lied »O Erin, gedenke der alten Zeit«, das ich später in die »Irischen Melodien« aufgenommen habe, sang, sprang er auf und rief in Glut und Leidenschaft: »O, stände ich an der Spitze von 20 000 Mann, die nach dieser Melodie marschierten!«

Hier lachte Sheridan plötzlich vor sich hin. Aller Augen wandten sich erstaunt ihm zu. Da fand der Dichter sich erst in die Gegenwart zurück.

»Ich mußte gerade an eine Begebenheit denken,« erzählte er, »die lange her ist. Ich war noch Direktor von Drury-Lane. Da habe ich eines Tages mit Monk Lewis über irgend etwas gewettet. Ich weiß nicht mehr, was es war. Lewis sagte: »Sheridan, ich will um etwas Großes mit Ihnen wetten.« Ich fragte: »Um was?« »Um den ganzen Gewinn meines »Schloßgespensts«. Wir spielten gerade dieses Stück von Lewis mit großem Erfolge. Da sagte ich: »Ich will Ihnen etwas sagen, ich will mit Ihnen um etwas ganz Kleines wetten – um das, was es wert ist.«

Alle lachten. Und jetzt begann Sheridan, wie stets, wenn er seinen Hunger gestillt hatte und seinem Durst gefrönt, eine Anekdote nach der anderen aus seinem buntbewegten Leben zu erzählen. Aus seinen Erinnerungen glitt das Gespräch hinüber auf das Drury-Lane-Theater.

»Sie haben es ja nun wieder aufgebaut, diese Banditen,« schalt Sheridan. »Noch schneller, als ich es nach dem Brande 1791 wieder aufgebaut habe. Freilich ist es im vorigen Jahre nur zur Hälfte niedergebrannt. Und nun soll es mit gewaltigem Tamtam eingeweiht werden. Sie wollen ein großes Preisausschreiben an alle englischen Dichter für das beste Einweihungsgedicht erlassen. Ich nehme an, daß sich die anwesenden Leuchten der Dichtkunst auch beteiligen werden.«

»Ich habe davon noch nichts gehört,« sagte Rogers.

»Ich würde mich nie zu solchem Tun hergeben,« erklärte Moore.

»Ich will mit dem Theater überhaupt nichts zu tun haben,« entschied Byron.

»Das ist recht,« nickte Sheridan. »Sie sehen ja an mir, was dabei herauskommt. Ich hatte doch wahrhaftig meinen Erfolg; aber ich sage Ihnen, eine Plackerei! Man ist Sklave der Launen, Wunderlichkeiten, des Geschmackes oder vielmehr der Geschmacklosigkeiten seines Zeitalters. Dann muß man für bestimmte Schauspieler schreiben, sie beständig bei der Arbeit im Auge haben, ihrer werten Person den Charakter des Handelnden aufopfern, man muß dem Günstling des Publikums schmeicheln, ihn nicht zu viel, nicht zu wenig deklamieren lassen, bedenken, wie er diese oder jene Szene herschreien, diese oder jene Leidenschaft mimen, in dieser oder jener Szene einherstolzieren wird. Dem allen muß man sich unterwerfen und das« – er deutete mit den Zeigefingern beider Hände auf seine eingesunkene Brust – »das ist das Ende vom Liede für alle diese Mühsal.«

Hastig trank er sein Glas leer. Während er es wieder füllte, sprach er weiter:

»Shakespeare hatte es doch wahrhaftig gut. Er war Schauspieler von Beruf und kannte alle Tricks des Handwerks. Er hatte die Hilfe seiner Truppe und – starb unberühmt. Keiner verstand ihn. Er hatte seine Perlen vor die Säue geworfen. Nach seinem Tode haben Pfuscher wie Landsdowne und Dryden die meisten Stücke von ihm abgeändert, und lange Zeit wurden nur diese Nachahmungen gespielt. Erst Garriks Talent und Einfluß gelang es, die Originale wieder zu Ehren zu bringen.«

»Ich liebe Shakespeares Dramen nicht,« bekannte Byron freimütig. »Sie sind grobes Futter, nur gut für englische und deutsche Gaumen. Den Franzosen und Italienern, den gebildetsten Völkern der Welt, sind sie zu unverdaulich.«

»Aber!« entrüstete sich Rogers.

»Bravo, bravo!« krähte Sheridan. »Ganz meine Meinung.«

»Man kann kaum zehn Verse hintereinander lesen,« beharrte Byron, ohne auf einen Verstoß gegen den guten Geschmack zu treffen. Was denken Sie zum Beispiel von Troilus und Cressidas Liebe?«

»Byron!« rief Moore. »Wie dürfen Sie!« –

»Recht, recht!« schrie Sheridan grimmig dazwischen. »Das englische Theater ist eine Mördergrube, in der die Besten verbluten. Und dann fehlt es an Schauspielern. Kemble ist alt, und wenn Mrs. Siddons in den nächsten Wochen der Bühne Valet sagt, dann wird es nie wieder eine große Lady Macbeth geben.«

Und er nickte mit seinem gramzernagten Gesicht vor sich hin und flüsterte:

»Ja, ja, es ist ein böses Ding, das Theater.«

Dann ging eine jähe Veränderung mit ihm vor. Seine Augen wurden hell, seine zitternden Hände hoben das Glas zum Licht und er sprach:

»Ich will diese Gelegenheit nicht vorübergehenlassen, ohne euch beiden Jungen etwas zu wünschen. Rogers gehört schon zu den Alten, und sitzt auf seinen Millionen. Ihm kann nichts zustoßen. Aber ihr beiden Jungen, Sie, mein lieber Moore, mit Ihren 30, und Sie, Mylord, mit Ihren kindlichen 23, Sie verkörpern das Ungestüm und das Genie des Poeten. Ihnen wünsche ich, bleiben Sie verschont vor dem Alter, der schwersten Sünde des Dichters. Wie viele von uns hat es gegeben, die nicht schon vor ihrem Ende starben, wenn sie die 40 überschritten! Ich wünsche Ihnen das Beste, was ich wünschen kann: den Tod in der Blüte. Ich wünsche Ihnen den Tod, einen Becher Wein in der Rechten, den Erfolg in der Linken und die Jugend im Herzen.«

In einem langen Zuge leerte er sein Glas. Stumm und gerührt tranken die anderen. Dann war eine bange Pause. Doch Moore, der Trübsal nicht liebte, summte vor sich hin:

»Laß ein hoch dem Weib erschallen,
Das schon lange ich geliebt,
Und das nur für meine Lieder,
Nicht für Gold sich mir ergibt.«

Da lachte Rogers.

»Unseren Sänger überkommt der Geist. Wilson,« befahl er dem Diener, »bringen Sie die Laute des Herrn!«

»Sie steht im Flur,« wies Moore.

Und dann sang Moore, dieser letzte große Minstrel, der zu seinen Liedern selbst die Melodien schuf und sie im Freundeskreise vortrug, manch frohes Lied und manches ernste. Doch als erstes ließ er den Sang ertönen, mit dem er einst in seinen Studentenjahren den jungen Helden Robert Emmet begeistert hatte. Zum Lautenschlag sang er der Tafelrunde:

»O Erin, gedenke der alten Zeit,
Als kühn noch deine Krieger
Gefochten ruhmvoll im blutigen Streit
Und die Fremden verjagt als Sieger;

Als dein König mit flatterndem Panier
Den Rittern vorangegangen.
Als dein grüner Demant noch nicht als Zier
In der Krone des Fremdlings mußt prangen!

Wenn abends der Fischer voll Traurigkeit
Ins Meer fährt hinaus, um zu träumen,
Dann sieht er die Türme aus alter Zeit,
Und darunter die Wellen schäumen:

So soll auch Erinn'rung von Zeit zu Zeit
Die Fluten der Tage durchdringen,
Und zu Taten versunkener Herrlichkeit
Sich begeistert hinüberschwingen!«


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