Friedrich Schiller
Geschichte des Abfalls der vereinigten Niederlande
Friedrich Schiller

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Abdankung Wilhelms von Oranien.

Schon seit Errichtung des Geusenbundes, merklicher aber noch seit dem Ausbruche der Bilderstürmerei, hatte in den Provinzen der Geist der Widersetzlichkeit und der Trennung unter hohen und niedern Ständen so sehr überhand genommen, hatten sich die Parteien so ineinander verwirret, daß die Regentin Mühe hatte, ihre Anhänger und Werkzeuge zu erkennen, und zuletzt kaum mehr wußte, in welchen Händen sie eigentlich war. Das Unterscheidungszeichen der Verdächtigen und Treuen war allmählich verloren gegangen, und die Grenzscheiden zwischen beiden weniger merklich geworden. Durch die Abänderungen, die sie zum Vortheil der Protestanten in den Gesetzen hatte vornehmen müssen und welche meistens nur Nothmittel und Geburten des Augenblicks waren, hatte sie den Gesetzen selbst ihre Bestimmtheit, ihre bindende Kraft genommen und der Willkür eines Jeden, der sie auszulegen hatte, freies Spiel gegeben. So geschah es denn endlich, daß unter der Menge und Mannigfaltigkeit der Auslegungen der Sinn der Gesetze verschwand und der Zweck des Gesetzgebers hintergangen wurde; daß bei dem genauen Zusammenhange, der zwischen Protestanten und Katholiken, zwischen Geusen und Royalisten obwaltete und ihr Interesse nicht selten gemeinschaftlich machte, letztere die Hinterthür benutzten, die ihnen durch das Schwankende in den Gesetzen offen gelassen war, und der Strenge ihrer Aufträge durch künstliche Distinktionen entwischten. Ihren Gedanken nach war es genug, kein erklärter Rebell, keiner von den Geusen oder Ketzern zu sein, um sich befugt zu glauben, seine Amtspflicht nach Gutbefinden zu modeln und seinem Gehorsam gegen den König die willkürlichsten Grenzen zu setzen. Ohne dafür verantwortlich zu sein, waren die Statthalter, die hohen und niedern Beamten, die Stadtobrigkeiten und Befehlshaber der Truppen in ihrem Dienste sehr nachlässig geworden und übten im Vertrauen auf diese Straflosigkeit eine schädliche Indulgenz gegen die Rebellen und ihren Anhang aus, die alle Maßregeln der Regentin unkräftig machte. Diese Unzuverlässigkeit so vieler wichtigen Menschen im Staate hatte die nachteilige Folge, daß die unruhigen Köpfe auf einen weit stärkern Schutz rechneten, als sie wirklich Ursache dazu hatten, weil sie Jeden, der die Partei des Hofes nur laulich nahm, zu der ihrigen zählten. Da dieser Wahn sie unternehmender machte, so war es nicht viel anders, als wenn er wirklich gegründet gewesen wäre, und die ungewissen Vasallen wurden dadurch beinahe eben so schädlich, als die erklärten Feinde des Königs. ohne daß man sich einer gleichen Schärfe gegen sie hätte bedienen dürfen. Dies war vorzüglich der Fall mit dem Prinzen von Oranien, dem Grafen von Egmont, von Bergen, von Hoogstraaten, von Hoorn und mit mehreren von dem höheren Adel. Die Statthalterin sah die Nothwendigkeit ein, diese zweideutigen Unterthanen zu einer Erklärung zu bringen, um entweder den Rebellen ihre eingebildete Stütze zu rauben oder die Feinde des Königs zu entlarven. Dies war jetzt um so dringender, da sie eine Armee ins Feld stellen mußte und sich gezwungen sah, mehreren unter ihnen Truppen anzuvertrauen. Sie ließ zu diesem Ende einen Eid aufsetzen, durch welchen man sich anheischig machte, den römisch-katholischen Glauben befördern, die Bilderstürmer verfolgen und Ketzereien aller Art nach bestem Vermögen ausrotten zu helfen. Man verband sich dadurch, jeden Feind des Königs als seinen eigenen zu behandeln und sich gegen jeden, ohne Unterschied, den die Regentin in des Königs Namen benennen würde, gebrauchen zu lassen. Durch diesen Eid hoffte sie nicht sowohl, die Gemüther zu erforschen, und noch weniger, sie zu binden; aber er sollte ihr zu einem rechtlichen Vorwande dienen, die Verdächtigen zu entfernen, ihnen eine Gewalt, die sie mißbrauchen konnten, aus den Händen zu winden, wenn sie sich weigerten, ihn zu schwören, und sie zur Strafe zu ziehen, wenn sie ihn brächen. Dieser Eid wurde allen Rittern des Vließes, allen hohen und niedern Staatsbedienten, allen Beamten und Obrigkeiten, allen Offizieren der Armee, Allen ohne Unterschied, denen in der Republik etwas anvertraut war, von Seiten des Hofs abgefordert. Der Graf von Mansfeld war der Erste, der ihn im Staatsrath zu Brüssel öffentlich leistete; seinem Beispiel folgte der Herzog von Arschot, der Graf von Egmont, die Grafen von Megen und Barlaimont; Hoogstraaten und Hoorn suchten ihn auf eine feine Art abzulehnen. Ersterer war über einen Beweis des Mißtrauens noch empfindlich, den ihm die Regentin vor kurzem bei Gelegenheit seiner Statthalterschaft von Mecheln gegeben. Unter dem Vorwande, daß Mecheln seinen Statthalter nicht länger missen könne, Antwerpen aber der Gegenwart des Grafen nicht weniger benöthigt sei, hatte sie ihm jene Provinz entzogen und an einen Andern vergeben, der ihr sicherer war. Hoogstraaten erklärte ihr seinen Dank, daß sie ihn einer seiner Bürden habe entledigen wollen, und setzte hinzu, daß sie seine Verbindlichkeit vollkommen machen würde, wenn sie ihn auch von der andern befreite. Noch immer lebte der Graf von Hoorn, seinem Vorsatze getreu, auf einem seiner Güter in der festen Stadt Weerdt in gänzlicher Abgeschiedenheit von Geschäften. Weil er aus dem Dienste des Staats herausgetreten war und der Republik wie dem Könige nichts mehr schuldig zu sein glaubte, so verweigerte er den Eid, den man ihm endlich auch scheint erlassen zu haben.Meteren 99.  Strada 180 sq.  Grot. 24.

Dem Grafen von Brederode wurde die Wahl gelassen, entweder den verlangten Eid abzulegen, oder sich des Oberbefehls über die Schwadron zu begeben, die ihm anvertraut war. Nach vielen vergeblichen Ausflüchten, die er davon hernahm, daß er kein öffentliches Amt in der Republik bekleide, entschloß er sich endlich zu dem letztern und entging dadurch einem Meineid.Burgund. 421. 422.

Umsonst hatte man versucht, den Prinzen von Oranien zu diesem Eide zu vermögen, der bei dem Verdacht, der längst auf ihm haftete, mehr als jeder Andere dieser Reinigung zu bedürfen schien und wegen der großen Gewalt, die man in seine Hände zu geben gezwungen war, mit dem größten Scheine des Rechts dazu angehalten werden konnte. Gegen ihn konnte man nicht mit der lakonischen Kürze, wie gegen einen Brederode oder Seinesgleichen, verfahren, und mit der freiwilligen Verzichtleistung auf alle seine Aemter, wozu er sich erbot, war der Regentin nicht gedient, die wohl voraussah, wie gefährlich ihr dieser Mann erst alsdann werden würde, wenn er sich unabhängig wissen und seine wahren Gesinnungen durch keinen äußerlichen Anstand und keine Pflicht mehr gebunden glauben würde. Aber bei dem Prinzen von Oranien war es schon seit jener Beratschlagung in Dendermonde unwiderruflich beschlossen, aus dem Dienst des Königs von Spanien zu treten und bis auf bessere Tage aus dem Lande selbst zu entweichen. Eine sehr niederschlagende Erfahrung hatte ihn gelehrt, wie unsicher die Hoffnungen sind, die man gezwungen ist auf den großen Haufen zu gründen, und wie bald dieser viel versprechende Eifer dahin ist, wenn Thaten von ihm gefordert werden. Eine Armee stand im Felde, und eine weit stärkere näherte sich, wie er wußte, unter Herzog Albas Befehlen – die Zeit der Vorstellungen war vorbei, nur an der Spitze eines Heers konnte man hoffen, vorteilhafte Verträge mit der Regentin zu schließen und dem spanischen Feldherrn den Eintritt in das Land zu versagen. Aber woher dieses Heer nehmen, da ihm das nöthige Geld, die Seele aller Unternehmungen, fehlte, da die Protestanten ihre prahlerischen Versprechungen zurücknahmen und ihn in diesem dringenden Bedürfniß im Stiche ließen?Wie wacker der Wille und wie schlecht die Erfüllung war, erhellt unter andern aus folgendem Beispiel. In Amsterdam hatten einige Freunde der Nationalfreiheit, Katholiken sowohl als Lutheraner, feierlich angelobt, den hundertsten Pfennig ihrer Güter in eine Kommunkasse zusammenzuschießen, bis eine Summe von eilftausend Gulden beisammen wäre, die zum Dienst der gemeinen Sache verbraucht werden sollte. Eine Kiste, mit einer Spalte im Deckel und durch drei Schlösser verwahrt, bestimmte man zur Einhebung dieser Gelder. Als man sie nach abgelaufenem Termine eröffnete, entdeckte sich ein Schatz von – 700 Gulden,. welche man der Wirthin des Grafen von Brederode auf Abschlag seiner nicht bezahlten Zeche überließ.  A. G. d. v. N III. Bd. Eifersucht und Religionshaß trennten noch dazu beide protestantische Kirchen und arbeiteten jeder heilsamen Vereinigung gegen den gemeinschaftlichen Feind ihres Glaubens entgegen. Die Abneigung der Reformierten vor dem Augsburgischen Bekenntniß hatte alle protestantischen Fürsten Deutschlands gegen sie aufgebracht, daß nunmehr auch an den mächtigen Schutz dieses Reichs nicht mehr zu denken war. Mit dem Grafen von Egmont war das treffliche Heer Wallonen verloren, das mit blinder Ergebenheit dem Glück seines Feldherrn folgte, der es bei St. Quentin und Gravelingen siegen gelehrt hatte. Die Gewalttätigkeiten, welche die Bilderstürmer an Kirchen und Klöstern verübt, hatten die zahlreiche, begüterte und mächtige Klasse der katholischen Klerisei von dem Bunde wiederum abgewandt, für den sie, vor diesem unglücklichen Zwischenfalle, schon zur Hälfte gewonnen war, und dem Bunde selbst wußte die Regentin mit jedem Tage mehrere seiner Mitglieder durch List zu entreißen.

Alle diese Betrachtungen zusammengenommen bewogen den Prinzen, ein Vorhaben, dem der jetzige Zeitlauf nicht hold war, auf eine glücklichere Stunde zurückzulegen und ein Land zu verlassen, wo sein längeres Verweilen nichts mehr gntmachen konnte, ihm selbst aber ein gewisses Verderben bereitete. Ueber die Gesinnungen Philipps gegen ihn konnte er nach so vielen eingezogenen Erkundigungen, so vielen Proben seines Mißtrauens, so vielen Warnungen aus Madrid nicht mehr zweifelhaft sein. Wäre er es auch gewesen, so würde ihn die furchtbare Armee, die in Spanien ausgerüstet wurde und nicht den König, wie man fälschlich verbreitete, sondern, wie er besser wußte, den Herzog von Alba, den Mann, der ihm am meisten widerstund und den er am meisten zu fürchten Ursache hatte, zum Führer haben sollte, sehr bald aus seiner Ungewißheit gerissen haben. Der Prinz hatte zu tief in den Menschencharakter und zu tief in Philipps Seele gesehen, um an eine aufrichtige Versöhnung mit diesem Fürsten zu glauben, von dem er einmal gefürchtet worden war. Auch beurtheilte er sein eigenes Betragen zu richtig, um, wie sein Freund Egmont, bei dem König auf einen Dank zu rechnen, den er nicht bei ihm gesäet hatte. Er konnte also keine anderen, als feindselige Gesinnungen von ihm erwarten, und die Klugheit rieth ihm an, sich dem wirklichen Ausbruche derselben durch eine zeitige Flucht zu entziehen. Den neuen Eid, den man von ihm forderte, hatte er bis jetzt hartnäckig verleugnet, und alle schriftlichen Ermahnungen der Regentin waren fruchtlos gewesen. Endlich sandte sie ihren geheimen Secretär Berti nach Antwerpen zu ihm, der ihm nachdrücklich ins Gewissen reden und alle übeln Folgen zu Gemüthe führen sollte, die ein so rascher Austritt aus dem königlichen Dienste für das Land sowohl, als für seinen eigenen guten Namen, nach sich ziehen würde. Schon die Verweigerung des verlangten Eides, ließ sie ihm durch ihren Gesandten sagen, habe einen Schatten auf seine Ehre geworfen und der allgemeinen Stimme, die ihn eines Verständnisses mit den Rebellen bezichtige, einen Schein von Wahrheit gegeben, den diese gewaltsame Abdankung zur völligen Gewißheit erheben würde. Auch gebühre es nur dem Herrn, seinen Diener zu entlassen, nicht aber dem Diener, seinen Herrn aufzugeben. Der Geschäftsträger der Regentin fand den Prinzen in seinem Palaste zu Antwerpen schon ganz, wie es schien, dem öffentlichen Dienste abgestorben und in Privatgeschäfte vergraben. Er habe sich geweigert, antwortete er ihm in Hoogstraatens Beisein, den verlangten Eid abzulegen, weil er sich nicht zu entsinnen wisse, daß je ein Antrag von dieser Art an einen Statthalter vor ihm ergangen sei; weil er sich dem Könige schon Einmal für immer verpflichtet habe, durch diesen neuen Eid also stillschweigend eingestehen würde, daß er den ersten gebrochen habe. Er habe sich geweigert, ihn abzulegen, weil ein älterer Eid ihm gebiete, die Rechte und Privilegien des Landes zu schützen, er aber nicht wissen könne, ob dieser neue Eid ihm nicht Handlungen auferlege, die jenem ersten entgegenlaufen; weil in diesem neuen Eide, der ihm zur Pflicht mache, gegen Jeden ohne Unterschied, den man ihm nennen würde, zu dienen, nicht einmal der Kaiser, sein Lehnsherr, ausgenommen sei, den er doch, als sein Vasall, nicht bekriegen dürfe. Er habe sich geweigert, ihn zu leisten, weil ihm dieser Eid auflegen könnte, seine Freunde und Verwandten, seine eigenen Söhne, ja seine Gemahlin selbst, die eine Lutheranerin sei, zur Schlachtbank zu führen. Laut diesem Eides würde er sich allem unterziehen müssen, was dem Könige einfiele ihm zuzumuthen; aber der König könnte ihm ja Dinge zumuthen, wovor ihm schaudre, und die Härte, womit man jetzt und immer gegen die Protestanten verfahren, habe schon längst seine Empfindung empört. Dieser Eid widerstreite seinem Menschengefühl, und er könne ihn nicht ablegen. Am Schlusse entfuhr ihm der Name des Herzogs von Alba, mit einem Merkmal von Bitterkeit, und gleich darauf schwieg er stille.Burgund. 456–458.  Strada 182. 183.

Alle diese Einwendungen wurden Punkt für Punkt von Berti beantwortet. Man habe noch keinem Statthalter vor ihm einen solchen Eid abgefordert, weil sich die Provinzen noch niemals in einem ähnlichen Falle befunden. Man verlange diesen Eid nicht, weil die Statthalter den ersten gebrochen, sondern um ihnen jenen ersten Eid lebhafter ins Gedächtniß zu bringen und in dieser dringenden Lage ihre Thätigkeit anzufrischen. Dieser Eid würde ihm nichts auferlegen, was die Rechte und Privilegien des Landes kränke, denn der König habe diese Privilegien und Rechte so gut als der Prinz von Oranien beschworen. In diesem Eide sei ja weder von einem Kriege gegen den Kaiser, noch gegen irgend einen Fürsten aus des Prinzen Verwandtschaft die Rede, und gerne würde man ihn, wenn er sich ja daran stieße, durch eine eigene Clausel ausdrücklich davon freisprechen. Mit Aufträgen, die seinem Menschengefühl widerstritten, würde man ihn zu verschonen wissen, und keine Gewalt auf Erden würde ihn nöthigen können, gegen Gattin oder gegen Kinder zu handeln. Berti wollte nun zu dem letzten Punkte, der den Herzog von Alba betraf, übergehen, als ihn der Prinz, der diesen Artikel nicht gern beleuchtet haben wollte, unterbrach. »Der König würde nach den Niederlanden kommen,« sagte er, »und er kenne den König. Der König würde es nimmermehr dulden, daß einer von seinen Dienern eine Lutheranerin zur Gemahlin habe, und darum habe er beschlossen, sich mit seiner ganzen Familie freiwillig zu verbannen, ehe er sich diesem Loose aus Zwang unterwerfen müsse. Doch,« schloß er, »würde er sich, wo er auch sein möge, stets als ein Unterthan des Königs betragen.« Man sieht, wie weit der Prinz die Beweggründe zu dieser Flucht herholte, um den einzigen nicht zu berühren, der ihn wirklich dazu bestimmte.Burgund. 456. 458.  Stgrada 182. 183.

Noch hoffte Berti, von Egmonts Beredsamkeit vielleicht zu erhalten, was er aufgab durch die seinige zu bewirken. Er brachte eine Zusammenkunft mit dem Letztern in Vorschlag (1567), wozu sich der Prinz um so bereitwilliger finden ließ, da er selbst Verlangen trug, seinen Freund Egmont vor seinem Abschied noch einmal zu umarmen und den Verblendeten, wo möglich, von seinem gewissen Untergange zurückzureißen. Diese merkwürdige Zusammenkunft, die letzte, welche zwischen beiden Freunden gehalten wurde, ging in Villebroeck, einem Dorf an der Rupel, zwischen Brüssel und Antwerpen, vor sich; mit dem geheimen Sekretär Berti war auch der junge Graf von Mansfeld dabei zugegen. Die Reformierten, deren letzte Hoffnung auf dem Ausschlag dieser Unterredung beruhte, hatten Mittel gefunden, den Inhalt derselben durch einen Spion zu erfahren, der sich in dem Schornstein des Zimmers versteckt hielt, wo sie vor sich ging.Meteren. Alle Drei bestürmten hier den Entschluß des Prinzen mit vereinigter Beredsamkeit, jedoch ohne ihn zum Wanken zu bringen. »Es wird dir deine Güter kosten, Oranien, wenn du auf diesem Vorsatze bestehst,« sagte endlich der Prinz von Gaure, indem er ihm seitwärts zu einem Fenster folgte. »Und dir dein Leben, Egmont, wo du den deinigen nicht änderst,« versetzte jener. »Mir wenigstens wird es Trost sein in jedem Schicksale, daß ich dem Vaterlande und meinen Freunden mit Rath und That habe nahe sein wollen in der Stunde der Noth; du wirst Freunde und Vaterland in ein Verderben mit dir hinabziehen.« Und jetzt ermahnte er ihn noch einmal dringender, als er je vorher gethan, sich einem Volke wiederzuschenken, das sein Arm allein noch zu retten vermöge; wo nicht, um seiner selbst willen wenigstens dem Gewitter auszuweichen, das aus Spanien her gegen ihn im Anzuge sei.

Aber alle noch so lichtvollen Gründe, die eine weitsehende Klugheit ihm an die Hand gab, mit aller Lebendigkeit, mit allem Feuer vorgetragen, das nur immer die zärtliche Bekümmerniß der Freundschaft ihnen einhauchen konnte, vermochten nicht, die unglückselige Zuversicht zu zerstören, welche Egmonts guten Verstand noch gebunden hielt. Oraniens Warnung kam aus einer trübsinnigen verzagenden Seele, und für Egmont lachte noch die Welt. Herauszutreten aus dem Schooße des Ueberflusses, des Wohllebens und der Pracht, worin er zum Jüngling und zum Manne geworden war, von allen den tausendfachen Gemächlichkeiten des Lebens zu scheiden, um derentwillen allein es Werth für ihn besaß, und dies alles, um einem Uebel zu entgehen, das sein leichter Muth noch so weit hinausrückte – nein, das war kein Opfer, das von Egmont zu verlangen war. Aber auch minder weichlich, als er war, mit welchem Herzen hätte er eine von langem Glücksstande verzärtelte Fürstentochter, eine liebende Gattin und Kinder, an denen seine Seele hing, mit Entbehrungen bekannt machen sollen, an welchen sein eigener Muth verzagte, die eine erhabene Philosophie allein der Sinnlichkeit abgewinnen kann. »Nimmermehr wirst du mich bereden, Oranien,« sagte Egmont, »die Dinge in diesem trüben Lichte zu sehen, worin sie deiner traurigen Klugheit erscheinen. Wenn ich es erst dahin gebracht haben werde, die öffentlichen Predigten abzustellen, die Bilderstürmer zu züchtigen, die Rebellen zu Boden zu treten und den Provinzen ihre vorige Ruhe wieder zu schenken – was kann der König mir anhaben? Der König ist gütig und gerecht, ich habe mir Ansprüche auf seine Dankbarkeit erworben, und ich darf nicht vergessen, was ich mir selbst schuldig bin.« – » Wohlan,« rief Oranien mit Unwillen und innerem Leiden, »so wage es denn auf diese königliche Dankbarkeit! Aber mir sagt eine traurige Ahnung – und gebe der Himmel, daß sie mich betrüge! – daß du die Brücke sein werdest, Egmont, über welche die Spanier in das Land setzen, und die sie abbrechen werden, wenn sie darüber sind.« Er zog ihn, nachdem er dieses gesagt hatte, mit Innigkeit zu sich, drückte ihn feurig und fest in die Arme. Lange, als wär's für das ganze übrige Leben, hielt er die Augen auf ihn geheftet; Thränen entfielen ihm – sie sahen einander nicht wieder.Thuan. 527.  Strada 183.  Meteren 95.  Burg. 470. 471.  Meurs. 28.

Gleich den folgenden Tag schrieb Oranien der Regentin den Abschiedsbrief, worin er sie seiner ewigen Achtung versicherte und ihr nochmals anlag, seinen jetzigen Schritt aufs beste zu deuten; dann ging er mit seinen drei Brüdern und seiner ganzen Familie nach seiner Stadt Breda ab, wo er nur so lange verweilte, als nöthig war, um noch einige Privatgeschäfte in Ordnung zu bringen. Sein ältester Prinz, Philipp Wilhelm, allein blieb auf der hohen Schule zu Löwen zurück, weil er ihn unter dem Schutze der brabantischen Freiheiten und den Vorrechten der Akademie hinlänglich sicher glaubte; eine Unvorsichtigkeit, die, wenn sie wirklich nicht absichtlich war, mit dem richtigen Urtheile kaum zu vereinigen ist, das er in so viel andern Fällen von dem Gemüthscharakter seines Gegners gefällt hatte. In Breda wandten sich die Häupter der Calvinisten noch einmal mit der Frage an ihn, ob noch Hoffnung für sie wäre, oder ob alles unrettbar verloren sei? – »Er habe ihnen ehemals den Rath gegeben,« antwortete der Prinz, »und komme jetzt abermals darauf zurück, daß sie dem Augsburgischen Bekenntnisse beitreten sollten; dann wäre ihnen Hilfe aus Deutschland gewiß. Wollten sie sich aber dazu noch immer nicht verstehen, so sollten sie ihm sechsmalhunderttausend Gulden schaffen, oder auch mehr, wenn sie könnten.« – »Das Erste,« erwiderten sie, »streite mit ihrer Ueberzeugung und ihrem Gewissen; zu dem Gelde aber könne vielleicht Rath werden, wenn er sie nur wissen lassen wollte, wozu er solches gebrauchen würde.« – »Ja,« rief er mit Verdrusse, »wenn ich das wissen lassen muß, so ist es aus mit dem Gebrauche.« Sogleich brach er das ganze Gespräch ab und entließ bald darauf die Gesandten. Es wurde ihm vorgeworfen, daß er sein Vermögen verschwendet und seiner drückenden Schulden wegen Neuerungen begünstiget habe; aber er versicherte, daß er noch sechstausend Gulden jährlicher Renten genieße. Doch ließ er sich vor seiner Abreise von den Staaten von Holland noch zwanzigtausend Gulden vorschießen, wofür er ihnen einige Herrschaften verpfändete. Man konnte sich nicht überreden, daß er so ganz ohne Widerstand der Nothwendigkeit unterlegen und aller fernern Versuche sich begeben habe; aber was er im Stillen mit sich herumtrug, wußte Niemand; Niemand hatte in seiner Seele gelesen. Es fragten ihn Einige, wie er sich ins künftige gegen den König von Spanien zu verhalten gedächte. »Ruhig,« war seine Antwort, »es sei denn, daß er sich an meiner Ehre oder meinen Gütern vergreife.« Gleich darauf verließ er die Niederlande, um sich in seiner Geburtsstadt Dillenburg im Nassauischen zur Ruhe zu begeben; viele Hunderte, sowohl von seinen Dienern, als Freiwillige, begleiteten ihn nach Deutschland; bald folgten ihm die Grafen von Hoogstraten, von Kuilemburg, von Bergen, die lieber eine selbstgewählte Verbannung mit ihm theilen, als einem ungewissen Schicksal leichtsinnig entgegentreten wollten. Die Nation sah ihren guten Engel mit ihm weichen; Viele hatten ihn angebetet, Alle hatten ihn verehrt. Mit ihm sank der Protestanten letzte Stütze; dennoch hofften sie von diesem entflohenen Manne mehr, als von Allen miteinander, die zurückgeblieben waren. Die Katholiken selbst sahen ihn nicht ohne Schmerz entweichen. Auch für sie hatte er sich der Tyrannei entgegengestellt; nicht selten hatte er sie gegen ihre eigene Kirche in Schutz genommen; viele unter ihnen hatte er dem blutdürstigen Eifer der Sekten entrissen. Wenige arme Seelen unter den Calvinisten, denen die angetragene Verbindung mit den Augsburgischen Confessionsverwandten ein Aergerniß gegeben, feierten mit stillen Dankopfern den Tag, wo der Feind von ihnen gewichen warMeteren 100.  Meurs. Guil. Auriac. 34.  Reidan. 5.  Grot. 26. (1567).


 << zurück weiter >>