Friedrich Schiller
Geschichte des Abfalls der vereinigten Niederlande
Friedrich Schiller

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Einleitung.

Eine der merkwürdigsten Staatsbegebenheiten, die das sechzehnte Jahrhundert zum glänzendsten der Welt gemacht haben, dünkt mir die Gründung der niederländischen Freiheit. Wenn die schimmernden Thaten der Ruhmsucht und einer verderblichen Herrschbegierde auf unsere Bewunderung Anspruch machen, wie vielmehr eine Begebenheit, wo die bedrängte Menschheit um ihre edelsten Rechte ringt, wo mit der guten Sache ungewöhnliche Kräfte sich paaren und die Hilfsmittel entschlossener Verzweiflung über die furchtbaren Künste der Tyrannei in ungleichem Wettkampf siegen. Groß und beruhigend ist der Gedanke, daß gegen die trotzigen Anmaßungen der Fürstengewalt endlich noch eine Hilfe vorhanden ist, daß ihre berechnetsten Plane an der menschlichen Freiheit zu Schanden werden, daß ein herzhafter Widerstand auch den gestreckten Arm eines Despoten beugen, heldenmüthige Beharrung seine schrecklichen Hilfsquellen endlich erschöpfen kann. Nirgends durchdrang mich diese Wahrheit so lebhaft, als bei der Geschichte jenes denkwürdigen Aufruhrs, der die vereinigten Niederlande auf immer von der spanischen Krone trennte – und darum achtete ich es des Versuchs nicht unwerth, dieses schöne Denkmal bürgerlicher Stärke vor der Welt aufzustellen, in der Brust meines Lesers ein fröhliches Gefühl seiner selbst zu erwecken und ein neues unverwerfliches Beispiel zu geben, was Menschen wagen dürfen für die gute Sache und ausrichten mögen durch Vereinigung.

Es ist nicht das Außerordentliche oder Heroische dieser Begebenheit, was mich anreizt, sie zu beschreiben. Die Jahrbücher der Welt haben uns ähnliche Unternehmungen aufbewahrt, die in der Anlage noch kühner, in der Ausführung noch glänzender erscheinen. Manche Staaten stürzten mit einer prächtigern Erschütterung zusammen, mit erhabenerm Schwunge stiegen andere auf. Auch erwarte man hier keine hervorragenden, kolossalischen Menschen, keine der erstaunenswürdigen Thaten, die uns die Geschichte vergangener Zeiten in so reichlicher Fülle darbietet. Jene Zeiten sind vorbei, jene Menschen sind nicht mehr. Im weichlichen Schooß der Verfeinerung haben wir die Kräfte erschlaffen lassen, die jene Zeitalter übten und nothwendig machten. Mit niedergeschlagener Bewunderung staunen wir jetzt diese Riesenbilder an, wie ein entnervter Greis die mannhaften Spiele der Jugend. Nicht so bei vorliegender Geschichte. Das Volk, welches wir hier auftreten sehen, war das friedfertigste dieses Welttheils und weniger, als alle seine Nachbarn, jenes Heldengeists fähig, der auch der geringfügigsten Handlung einen höhern Schwung gibt. Der Drang der Umstände überraschte es mit seiner eigenen Kraft und nöthigte ihm eine vorübergehende Größe auf, die es nie haben sollte und vielleicht nie wieder haben wird. Es ist also gerade der Mangel an heroischer Größe, was diese Begebenheit eigenthümlich und unterrichtend macht, und wenn sich Andere zum Zweck setzen, die Ueberlegenheit des Genies über den Zufall zu zeigen, so stelle ich hier ein Gemälde auf, wo die Noth das Genie erschuf und die Zufälle Helden machten.

Wäre es irgend erlaubt, in menschliche Dinge eine höhere Vorsicht zu flechten, so wäre es bei dieser Geschichte, so widersprechend erscheint sie der Vernunft und allen Erfahrungen. Philipp der Zweite, der mächtigste Souverän seiner Zeit, dessen gefürchtete Uebermacht ganz Europa zu verschlingen droht, dessen Schätze die vereinigten Reichthümer aller christlichen Könige übersteigen, dessen Flotten in allen Meeren gebieten; ein Monarch, dessen gefährlichen Zwecken zahlreiche Heere dienen, Heere, die, durch lange blutige Kriege und eine römische Mannszucht gehärtet, durch einen trotzigen Nationalstolz begeistert und erhitzt durch das Andenken erfochtener Siege, nach Ehre und Beute dürsten und sich unter dem verwegenen Genie ihrer Führer als folgsame Glieder bewegen – dieser gefürchtete Mensch, Einem hartnäckigen Entwurf hingegeben, Ein Unternehmen die rastlose Arbeit seines langen Regentenlaufs, alle diese furchtbaren Hilfsmittel auf einen einzigen Zweck gerichtet, den er am Abend seiner Tage unerfüllt aufgeben muß – Philipp der Zweite, mit wenigen schwachen Nationen im Kampfe, den er nicht endigen kann!

Und gegen welche Nationen? Hier ein friedfertiges Fischer- und Hirtenvolk, in einem vergessenen Winkel Europens, den es noch mühsam der Meeresfluth abgewann; die See sein Gewerbe, sein Reichthum und seine Plage, eine freie Armuth sein höchstes Gut, sein Ruhm, seine Tugend. Dort ein gutartiges, gesittetes Handelsvolk, schwelgend von den üppigen Früchten eines gesegneten Fleißes, wachsam auf Gesetze, die seine Wohlthäter waren. In der glücklichen Muße des Wohlstands verläßt es der Bedürfnisse ängstlichen Kreis und lernt nach höherer Befriedigung dürsten. Die neue Wahrheit, deren erfreuender Morgen jetzt über Europa hervorbricht, wirft einen befruchtenden Strahl in diese günstige Zone, und freudig empfängt der freie Bürger das Licht, dem sich gedrückte traurige Sklaven verschließen. Ein fröhlicher Muthwille, der gerne den Ueberfluß und die Freiheit begleitet, reizt es an, das Ansehen verjährter Meinungen zu prüfen und eine schimpfliche Kette zu brechen. Die schwere Zuchtruthe des Despotismus hängt über ihm, eine willkürliche Gewalt droht die Grundpfeiler seinem Glücks einzureißen, der Bewahrer seiner Gesetze wird sein Tyrann. Einfach in seiner Staatsweisheit, wie in seinen Sitten, erkühnt es sich, einen veralteten Vertrag aufzuweisen und den Herrn beider Indien an das Naturrecht zu mahnen. Ein Name entscheidet den ganzen Ausgang der Dinge. Man nannte Rebellion in Madrid, was in Brüssel nur eine gesetzliche Handlung hieß; die Beschwerden Brabants forderten einen staatsklugen Mittler; Philipp der Zweite sandte ihm einen Henker, und die Losung des Krieges war gegeben. Eine Tyrannei ohne Beispiel greift Leben und Eigenthum an. Der verzweifelnde Bürger, dem zwischen einem zweifachen Tode die Wahl gelassen wird, erwählt den edlern auf dem Schlachtfeld. Ein wohlhabendes üppiges Volk liebt den Frieden, aber es wird kriegerisch, wenn es arm wird. Jetzt hört es auf, für ein Leben zu zittern, dem alles mangeln soll, warum es wünschenswürdig war. Die Wuth des Aufruhrs ergreift die entferntesten Provinzen; Handel und Wandel liegen darnieder; die Schiffe verschwinden aus den Häfen, der Künstler aus seiner Werkstätte, der Landmann aus den verwüsteten Feldern. Tausende fliehen in ferne Länder, tausend Opfer fallen auf dem Blutgerüste, und neue Tausende drängen sich hinzu; denn göttlich muß eine Lehre sein, für die so freudig gestorben werden kann. Noch fehlt die letzte vollendende Hand – der erleuchtete unternehmende Geist, der diesen großen politischen Augenblick haschte und die Geburt des Zufalls zum Plane der Weisheit erzöge.

Wilhelm der Stille weiht sich, ein zweiter Brutus, dem großen Anliegen der Freiheit. Ueber eine furchtsame Selbstsucht erhaben, kündigt er dem Throne strafbare Pflichten auf, entkleidet sich großmüthig seines fürstlichen Daseins, steigt zu einer freiwilligen Armuth herunter und ist nichts mehr als ein Bürger der Welt. Die gerechte Sache wird gewagt auf das Glücksspiel der Schlachten; aber zusammengeraffte Miethlinge und friedliches Landvolk können dem furchtbaren Andrang einer geübten Kriegsmacht nicht Stand halten. Zweimal führt er seine muthlosen Heere gegen den Tyrannen, zweimal verlassen sie ihn, aber nicht sein Muth. Philipp der Zweite sendet ihm so viele Verstärkungen zu, als seines Mittlers grausame Habsucht Bettler machte. Flüchtlinge, die das Vaterland auswarf, suchen sich ein neues auf dem Meere und auf den Schiffen ihres Feindes Sättigung ihrer Rache und ihres Hungers. Jetzt werden Seehelden aus Corsaren, aus Raubschiffen zieht sich eine Marine zusammen, und eine Republik steigt aus Morästen empor. Sieben Provinzen zerreißen zugleich ihre Bande; ein neuer jugendlicher Staat, mächtig durch Eintracht, seine Wasserfluth und Verzweiflung. Ein feierlicher Spruch der Nation entsetzt den Tyrannen des Thrones, der spanische Name verschwindet aus allen Gesetzen.

Jetzt ist eine That gethan, die keine Vergebung mehr findet; die Republik wird fürchterlich, weil sie nicht mehr zurückkann; Faktionen zerreißen ihren Bund; selbst ihr schreckliches Element, das Meer, mit ihrem Unterdrücker verschworen, droht ihrem zarten Anfang ein frühzeitiges Grab. Sie fühlt ihre Kräfte der überlegenen Macht des Feindes erliegen und wirft sich bittend vor Europens mächtigste Throne, eine Souveränetät wegzuschenken, die sie nicht mehr beschützen kann. Endlich und mühsam – so verächtlich begann dieser Staat, daß selbst die Habsucht fremder Könige seine junge Blüthe verschmähte – einem Fremdling endlich dringt sie ihre gefährliche Krone auf. Neue Hoffnungen erfrischen ihren sinkenden Muth, aber einen Verräther gab ihr in diesem neuen Landesvater das Schicksal, und in dem drangvollen Zeitpunkt, wo der unerbittliche Feind vor den Thoren schon stürmet, tastet Karl von Anjou die Freiheit an, zu deren Schutz er gerufen worden. Eines Meuchelmörders Hand reißt noch den Steuermann von dem Ruder, ihr Schicksal scheint vollendet, mit Wilhelm von Oranien alle ihre rettenden Engel geflohen – aber das Schiff fliegt im Sturme, und die wallenden Segel bedürfen des Ruderers Hilfe nicht mehr.

Philipp der Zweite sieht die Frucht einer That verloren, die ihm seine fürstliche Ehre, und wer weiß, ob nicht den heimlichen Stolz seines stillen Bewußtseins kostet. Hartnäckig und ungewiß ringt mit dem Despotismus die Freiheit; mörderische Schlachten werden gefochten; eine glänzende Heldenreihe wechselt auf dem Felde der Ehre; Flandern und Brabant war die Schule, die dem kommenden Jahrhundert Feldherren erzog. Ein langer verwüstender Krieg zertritt den Segen des offenen Landes, Sieger und Besiegte verbluten, während daß der werdende Wasserstaat den fliehenden Fleiß zu sich lockte und auf den Trümmern seines Nachbars den herrlichen Bau seiner Größe erhub. Vierzig Jahre dauerte ein Krieg, dessen glückliche Endigung Philipps sterbendes Auge nicht erfreute, – der ein Paradies in Europa vertilgte und ein neues aus seinen Ruinen erschuf, der die Blüthe der kriegerischen Jugend verschlang, einen ganzen Welttheil bereicherte und den Besitzer des goldreichen Peru zum armen Manne machte. Dieser Monarch, der, ohne sein Land zu drücken, neunmalhundert Tonnen Goldes jährlich verschwenden durfte, der noch weit mehr durch tyrannische Künste erzwang, häufte eine Schuld von hundert und vierzig Millionen Ducaten auf sein entvölkertes Land. Ein unversöhnlicher Haß der Freiheit verschlang alle diese Schätze und verzehrte fruchtlos sein königliches Leben, aber die Reformation gedeihte unter den Verwüstungen seines Schwerts, und die neue Republik hob aus Bürgerblut ihre siegende Fahne.

Diese unnatürliche Wendung der Dinge scheint an ein Wunder zu grenzen; aber Vieles vereinigte sich, die Gewalt dieses Königs zu brechen und die Fortschritte des jungen Staats zu begünstigen. Wäre das ganze Gewicht seiner Macht auf die vereinigten Provinzen gefallen, so war keine Rettung für ihre Religion, ihre Freiheit. Sein eigener Ehrgeiz kam ihrer Schwäche zu Hilfe, indem er ihn nöthigte, seine Macht zu theilen. Die kostbare Politik, in jedem Cabinet Europens Verräther zu besolden, die Unterstützungen der Ligue in Frankreich, der Aufstand der Mauren in Granada, Portugals Eroberung und der prächtige Bau vom Escurial erschöpften endlich seine so unermeßlich scheinenden Schätze und untersagten ihm, mit Lebhaftigkeit und Nachdruck im Felde zu handeln. Die deutschen und italienischen Treppen, die nur die Hoffnung der Beute unter seine Fahnen gelockt hatte, empörten sich jetzt, weil er sie nicht bezahlen konnte, und verließen treulos ihre Führer im entscheidenden Moment ihrer Wirksamkeit. Diese fürchterlichen Werkzeuge der Unterdrückung kehrten jetzt ihre gefährliche Macht gegen ihn selbst und wütheten feindlich in den Provinzen, die ihm treu geblieben waren. Jene unglückliche Ausrüstung gegen Britannien, an die er, gleich einem rasenden Spieler, die ganze Kraft seines Königreichs wagte, vollendete seine Entnervung; mit der Armada ging der Tribut beider Indien und der Kern der spanischen Heldenzucht unter.

Aber in eben dem Maße, wie sich die spanische Macht erschöpfte, gewann die Republik frisches Leben. Die Lücken, welche die neue Religion, die Tyrannei der Glaubensgerichte, die wüthende Raubsucht der Soldateska und die Verheerungen eines langwierigen Kriegs ohne Unterlaß in die Provinzen Brabant, Flandern und Hennegau rissen, die der Waffenplatz und die Vorratskammer dieses kostbaren Krieges waren, machten es natürlicherweise mit jedem Jahre schwerer, die Armee zu unterhalten und zu erneuern. Die katholischen Niederlande hatten schon eine Million Bürger verloren, und die zertretenen Felder nährten ihre Pflüger nicht mehr. Spanien selbst konnte wenig Volk mehr entrathen. Diese Länder, durch einen schnellen Wohlstand überrascht, der den Müßiggang herbeiführte, hatten sehr an Bevölkerung verloren und konnten diese Menschenversendungen nach der neuen Welt und den Niederlanden nicht lange aushalten. Wenige unter diesen sahen ihr Vaterland wieder; diese Wenigen hatten es als Jünglinge verlassen und kamen nun als entkräftete Greise zurück. Das gemeiner gewordene Gold machte den Soldaten immer theurer; der überhand nehmende Reiz der Weichlichkeit steigerte den Preis der entgegengesetzten Tugenden. Ganz anders verhielt es sich mit den Rebellen. Alle die Tausende, welche die Grausamkeit der königlichen Statthalter ans den südlichen Niederlanden, der Hugenottenkrieg aus Frankreich und der Gewissenszwang aus anderen Gegenden Europens verjagten, alle gehörten ihnen. Ihr Werbeplatz war die ganze christliche Welt. Für sie arbeitete der Fanatismus der Verfolger, wie der Verfolgten. Die frische Begeisterung einer neu verkündigten Lehre, Rachsucht, Hunger und hoffnungsloses Elend zogen aus allen Distrikten Europens Abenteurer unter ihre Fahnen. Alles, was für die neue Lehre gewonnen war, was von dem Despotismus gelitten, oder noch künftig von ihm zu fürchten hatte, machte das Schicksal dieser neuen Republik gleichsam zu seinem eigenen. Jede Kränkung, von einem Tyrannen erlitten, gab ein Bürgerrecht in Holland. Man drängte sich nach einem Lande, wo die Freiheit ihre erfreuende Fahne aufsteckte, wo der flüchtigen Religion Achtung und Sicherheit und Rache an ihren Unterdrückern gewiß war. Wenn wir den Zusammenfluß aller Völker in dem heutigen Holland betrachten, die beim Eintritt in sein Gebiet ihre Menschenrechte zurück empfangen, was muß es damals gewesen sein, wo noch das ganze übrige Europa unter einem traurigen Geistesdruck seufzte, wo Amsterdam beinahe der einzige Freihafen aller Meinungen war? Viele hundert Familien retteten ihren Reichthum in ein Land, das der Ocean und die Eintracht gleich mächtig beschirmten. Die republikanische Armee war vollzählig, ohne daß man nöthig gehabt hätte, den Pflug zu entblößen. Mitten unter dem Waffengeräusch blühten Gewerbe und Handel, und der ruhige Bürger genoß im Voraus alle Früchte der Freiheit, die mit fremdem Blut erst erstritten wurde. Zu eben der Zeit, wo die Republik Holland noch um ihr Dasein kämpfte, rückte sie die Grenzen ihres Gebiets über das Weltmeer hinaus und baute still an ihren ostindischen Thronen.

Noch mehr. Spanien führte diesen kostbaren Krieg mit todtem unfruchtbarem Golde, das nie in die Hand zurückkehrte, die es weggab, aber den Preis aller Bedürfnisse in Europa erhöhte. Die Schatzkammer der Republik waren Arbeitsamkeit und Handel. Jenes verminderte, diese vervielfältigte die Zeit. In eben dem Maße, wie sich die Hilfsquellen der Regierung bei der langen Fortdauer des Krieges erschöpften, fing die Republik eigentlich erst an, ihre Ernte zu halten. Es war eine gesparte dankbare Aussaat, die spät, aber hundertfältig wiedergab; der Baum, von welchem Philipp sich Früchte brach, war ein umgehauener Stamm und grünte nicht wieder.

Philipps widriges Schicksal wollte, daß alle Schätze, die er zum Untergang der Provinzen verschwendete, sie selbst noch bereichern halfen. Jene ununterbrochenen Ausflüsse des spanischen Goldes hatten Reichthum und Luxus durch ganz Europa verbreitet; Europa aber empfing seine vermehrten Bedürfnisse größtenteils aus den Händen der Niederländer, die den Handel der ganzen damaligen Welt beherrschten und den Preis aller Waaren bestimmten. Sogar während dieses Krieges konnte Philipp der Republik Holland den Handel mit seinen eigenen Unterthanen nicht wehren, ja, er konnte dieses nicht einmal wünschen. Er selbst bezahlte den Rebellen die Unkosten ihrer Vertheidigung; denn eben der Krieg, der sie aufreiben sollte, vermehrte den Absatz ihrer Waaren. Der ungeheure Aufwand für seine Flotten und Armeen floß größtentheils in die Schatzkammer der Republik, die mit den flämischen und brabantischen Handelsplätzen in Verbindung stand. Was Philipp gegen die Rebellen in Bewegung setzte, wirkte mittelbar für sie. Alle die unermeßlichen Summen, die ein vierzigjähriger Krieg verschlang, waren in die Fässer der Danaiden gegossen und zerrannen in einer bodenlosen Tiefe.

Der träge Gang dieses Krieges that dem Könige von Spanien eben so viel Schaden, als er den Rebellen Vortheile brachte. Seine Armee war größtenteils ans den Ueberresten jener siegreichen Trnppen zusammengeflossen, die unter Karl dem Fünften bereits ihre Lorbeern gesammelt hatten. Alter und lange Dienste berechtigten sie zur Ruhe; viele unter ihnen, die der Krieg bereichert hatte, wünschten sich ungeduldig nach ihrer Heimath zurück, ein mühevolles Leben gemächlich zu enden. Ihr vormaliger Eifer, ihr Heldenfeuer und ihre Mannszucht ließen in eben dem Grade nach, als sie ihre Ehre und Pflicht gelöst zu haben glaubten und die Früchte so vieler Feldzüge endlich zu ernten anfingen. Dazu kam, daß Truppen, die gewohnt waren, durch den Ungestüm ihres Angriffs jeden Widerstand zu besiegen, ein Krieg ermüden mußte, der weniger mit Menschen als mit Elementen geführt wurde, der mehr die Geduld übte, als die Ruhmbegierde vergnügte, wobei weniger Gefahr als Beschwerlichkeit und Mangel zu bekämpfen war. Weder ihr persönlicher Muth, noch ihre lange kriegerische Erfahrung konnten ihnen in einem Lande zu Statten kommen, dessen eigentümliche Beschaffenheit oft auch dem Feigsten der Eingebornen über sie Vortheile gab. Auf einem fremden Boden endlich schadete ihnen eine Niederlage mehr, als viele Siege über einen Feind, der hier zu Hause war, ihnen nützen konnten. Mit den Rebellen war es gerade der umgekehrte Fall. In einem so langwierigen Kriege, wo keine entscheidende Schlacht geschah, mußte der schwächere Feind zuletzt von dem stärkern lernen, kleine Niederlagen ihn an die Gefahr gewöhnen, kleine Siege seine Zuversicht befeuern. Bei Eröffnung des Bürgerkrieges hatte sich die republikanische Armee vor der spanischen im Felde kaum zeigen dürfen; seine lange Dauer übte und härtete sie. Wie die königlichen Heere des Schlagens überdrüssig wurden, war das Selbstvertrauen der Rebellen mit ihrer bessern Kriegszucht und Erfahrung gestiegen. Endlich, nach einem halben Jahrhundert, gingen Meister und Schüler, unüberwunden, als gleiche Kämpfer aufeinander.

Ferner wurde im ganzen Verlaufe dieses Krieges von Seiten der Rebellen mit mehr Zusammenhang und Einheit gehandelt, als von Seiten des Königs. Ehe jene ihr erstes Oberhaupt verloren, war die Verwaltung der Niederlande durch nicht weniger als fünf verschiedne Hände gegangen. Die Unentschlüssigkeit der Herzogin von Parma theilte sich dem Kabinet zu Madrid mit und ließ es in kurzer Zeit beinahe alle Staatsmaximen durchwandern. Herzog Albas unbeugsame Härte, die Gelindigkeit seines Nachfolgers Requesens, Don Johanns von Oesterreich Hinterlist und Tücke und der lebhafte cäsarische Geist des Prinzen von Parma gaben diesem Krieg eben so viel entgegengesetzte Richtungen, während daß der Plan der Rebellion in dem einzigen Kopfe, worin er klar und lebendig wohnte, immer derselbe blieb. Das größere Uebel war, daß die Maxime mehrentheils das Moment verfehlte, in welchem sie anzuwenden sein mochte. Im Anfang der Unruhen, wo das Uebergewicht augenscheinlich noch auf Seiten des Königs war, wo ein rascher Entschluß und männliche Stetigkeit die Rebellion noch in der Wiege erdrücken konnten, ließ man den Zügel der Regierung in den Händen eines Weibes schlaff hin und her schwanken. Nachdem die Empörung zum wirklichen Ausbruch gekommen war, die Kräfte der Faktion und des Königs schon mehr im Gleichgewichte standen und eine kluge Geschmeidigkeit allein dem nahen Bürgerkrieg wehren konnte, fiel die Statthalterschaft einem Manne zu, dem zu diesem Posten gerade diese einzige Tugend fehlte. Einem so wachsamen Aufseher, als Wilhelm der Verschwiegene war, entging keiner der Vortheile, die ihm die fehlerhafte Politik seines Gegners gab, und mit stillem Fleiß rückte er langsam sein großes Unternehmen zum Ziele.

Aber warum erschien Philipp der Zweite nicht selbst in den Niederlanden? Warum wollte er lieber die unnatürlichsten Mittel erschöpfen, um nur das einzige nicht zu versuchen, welches nicht fehlschlagen konnte? Die üppige Gewalt des Adels zu brechen, war kein Ausweg natürlicher, als die persönliche Gegenwart des Herrn. Neben der Majestät mußte jede Privatgröße versinken, jedes andere Ansehen erlöschen. Anstatt daß die Wahrheit durch so viele unreine Kanäle langsam und trübe nach dem entlegenen Throne floß, daß die verzögerte Gegenwehr dem Werke des Ohngefährs Zeit ließ, zu einem Werke des Verstandes zu reifen, hätte sein eigner durchdringender Blick Wahrheit von Irrthum geschieden; nicht seine Menschlichkeit, kalte Staatskunst allein hätte dem Lande eine Million Bürger gerettet. Je näher ihrer Quelle, desto nachdrücklicher wären die Edikte gewesen; je dichter an ihrem Ziele, desto unkräftiger und verzagter die Streiche des Aufruhrs gefallen. Es kostet unendlich mehr, das Böse, dessen man sich gegen einen abwesenden Feind wohl getrauen mag, ihm ins Angesicht zuzufügen. Die Rebellion schien anfangs selbst vor ihrem Namen zu zittern und schmückte sich lange Zeit mit dem künstlichen Vorwand, die Sache des Souveräns gegen die willkürlichen Anmaßungen seines Statthalters in Schutz zu nehmen. Philipps Erscheinung in Brüssel hätte dieses Gaukelspiel auf Einmal geendigt. Jetzt mußte sie ihre Vorspiegelung erfüllen, oder die Larve abwerfen und sich durch ihre wahre Gestalt verdammen. Und welche Erleichterung für die Niederlande, wenn seine Gegenwart ihnen auch nur diejenigen Uebel erspart hätte, die ohne sein Wissen und gegen seinen Willen auf sie gehäuft wurden! Welcher Gewinn für ihn selbst, wenn sie auch zu nichts weiter gedient hätte, als über die Anwendung der unermeßlichen Summen zu wachen, die, zu den Bedürfnissen des Kriegs widerrechtlich gehoben, in den räuberischen Händen seiner Verwalter verschwanden! Was seine Stellvertreter durch den unnatürlichen Behelf des Schreckens erzwingen mußten, hätte die Majestät in allen Gemüthern schon vorgefunden. Was jene zu Gegenständen des Abscheus machte, hätte ihm höchstens Furcht erworben; denn der Mißbrauch angeborner Gewalt drückt weniger schmerzhaft, als der Mißbrauch empfangener. Seine Gegenwart hätte Tausende gerettet, wenn er auch nichts als ein haushälterischer Despot war; wenn er auch nicht einmal der war, so würde das Schrecken seiner Person ihm eine Landschaft erhalten haben, die durch den Haß und die Geringschätzung seiner Maschinen verloren ging.

Gleichwie die Bedrückung des niederländischen Volks eine Angelegenheit aller Menschen wurde, die ihre Rechte fühlten, ebenso, möchte man denken, hätte der Ungehorsam und Abfall dieses Volks eine Aufforderung an alle Fürsten sein sollen, in der Gerechtsame ihres Nachbars ihre eigene zu schützen. Aber die Eifersucht über Spanien gewann es diesmal über diese politische Sympathie, und die ersten Mächte Europens traten, lauter oder stiller, auf die Seite der Freiheit. Kaiser Maximilian der Zweite, obgleich dem spanischen Hause durch Bande der Verwandtschaft verpflichtet, gab ihm gerechten Anlaß zu der Beschuldigung, die Partei der Rebellen ingeheim begünstigt zu haben. Durch das Anerbieten seiner Vermittlung gestand er ihren Beschwerden stillschweigend einen Grad von Gerechtigkeit zu, welches sie aufmuntern mußte, desto standhafter darauf zu beharren. Unter einem Kaiser, der dem spanischen Hof aufrichtig ergeben gewesen wäre, hätte Wilhelm von Oranien schwerlich so viele Trnppen und Gelder aus Deutschland gezogen. Frankreich, ohne den Frieden offenbar und förmlich zu brechen, stellte einen Prinzen vom Geblüt an die Spitze der niederländischen Rebellen; die Operationen der Letztern wurden größtenteils mit französischem Gelde und Truppen vollführt. Elisabeth von England übte nur eine gerechte Rache und Wiedervergeltung aus, da sie die Aufrührer gegen ihren rechtmäßigen Oberherrn in Schutz nahm, und wenn gleich ihr sparsamer Beistand höchstens nur hinreichte, den gänzlichen Ruin der Republik abzuwehren, so war dieses in einem Zeitpunkt schon unendlich viel, wo ihren erschöpften Muth Hoffnung allein noch hinhalten konnte. Mit diesen beiden Mächten stand Philipp damals noch im Bündniß des Friedens, und beide wurden zu Verräthern an ihm. Zwischen dem Starken und Schwachen ist Redlichkeit oft keine Tugend; Dem, der gefürchtet wird, kommen selten die feinern Bande zu gut, welche Gleiches mit Gleichem zusammenhalten. Philipp selbst hatte die Wahrheit aus dem politischen Umgange verwiesen, er selbst die Sittlichkeit zwischen Königen aufgelöst und die Hinterlist zur Gottheit des Kabinets gemacht. Ohne seiner Ueberlegenheit jemals ganz froh zu werden, mußte er sein ganzes Leben hindurch mit der Eifersucht ringen, die sie ihm bei Andern erweckte. Europa ließ ihn für den Mißbrauch einer Gewalt büßen, von der er in der That nie den ganzen Gebrauch gehabt hatte.

Bringt man gegen die Ungleichheit beider Kämpfer, die auf den ersten Anblick so sehr in Erstaunen setzt, alle Zufälle in Berechnung, welche jenen anfeindeten und diesen begünstigten, so verschwindet das Uebernatürliche dieser Begebenheit, aber das Außerordentliche bleibt – und man hat einen richtigen Maßstab gefunden, das eigene Verdienst dieser Republikaner um ihre Freiheit angeben zu können. Doch denke man nicht, daß dem Unternehmen selbst eine so genaue Berechnung der Kräfte vorangegangen sei, oder daß sie beim Eintritt in dieses ungewisse Meer schon das Ufer gewußt haben, an welchem sie nachher landeten. So reif, so kühn und so herrlich, als es zuletzt da stand in seiner Vollendung, erschien das Werk nicht in der Idee seiner Urheber, so wenig als vor Luthers Geiste die ewige Glaubenstrennung, da er gegen den Ablaßkram aufstand. Welcher Unterschied zwischen dem bescheidenen Aufzug jener Bettler in Brüssel, die um eine menschlichere Behandlung als um eine Gnade flehen, und der furchtbaren Majestät eines Freistaats, der mit Königen als seines Gleichen unterhandelt und in weniger als einem Jahrhundert den Thron seiner vormaligen Tyrannen verschenkt! Des Fatums unsichtbare Hand führte den abgedrückten Pfeil in einem höhern Bogen und nach einer ganz andern Richtung fort, als ihm von der Sehne gegeben war. Im Schooße des glücklichen Brabants wird die Freiheit geboren, die, noch ein neugebornes Kind, ihrer Mutter entrissen, das verachtete Holland beglücken soll. Aber das Unternehmen selbst darf uns darum nicht kleiner erscheinen, weil es anders ausschlug, als es gedacht worden war. Der Mensch verarbeitet, glättet und bildet den rohen Stein, den die Zeiten herbeitragen; ihm gehört der Augenblick und der Punkt, aber die Weltgeschichte rollt der Zufall. Wenn die Leidenschaften, welche sich bei dieser Begebenheit geschäftig erzeigten, des Werks nur nicht unwürdig waren, dem sie unbewußt dienten, – wenn die Kräfte, die sie ausführen halfen, und die einzelnen Handlungen, aus deren Verkettung sie wunderbar erwuchs, nur an sich edle Kräfte, schöne und große Handlungen waren – so ist die Begebenheit groß, interessant und sichtbar für uns, und es steht uns frei, über die kühne Geburt des Zufalls zu erstaunen, oder einem höhern Verstand unsere Bewunderung zuzutragen.

Die Geschichte der Welt ist sich selbst gleich, wie die Gesetze der Natur, und einfach, wie die Seele des Menschen. Dieselben Bedingungen bringen dieselben Erscheinungen zurück. Auf eben diesem Boden, wo jetzt die Niederländer ihrem spanischen Tyrannen die Spitze bieten, haben vor fünfzehnhundert Jahren ihre Stammväter, die Batavier und Belgen, mit ihrem römischen gerungen. Eben so, wie jene, einem hochmüthigen Beherrscher unwillig unterthan, eben so von habsüchtigen Satrapen mißhandelt, werfen sie mit ähnlichem Trotz ihre Ketten ab und versuchen das Glück in eben so ungleichem Kampfe. Derselbe Erobererstolz, derselbe Schwung der Nation in dem Spanier des sechzehnten Jahrhunderts und in dem Römer des ersten, dieselbe Tapferkeit und Mannszucht in beider Heeren, dasselbe Schrecken vor ihrem Schlachtenzuge. Dort, wie hier, sehen wir List gegen Uebermacht streiten und Standhaftigkeit, unterstützt durch Eintracht, eine ungeheure Macht ermüden, die sich durch Theilung entkräftet hat. Dort, wie hier, waffnet Privathaß die Nation; ein einziger Mensch, für seine Zeit geboren, deckt ihr das gefährliche Geheimniß ihrer Kräfte auf und bringt ihren stummen Gram zu einer blutigen Erklärung. »Gestehet, Batavier!« redet Claudius Civilis seine Mitbürger in dem heiligen Haine an, »wird uns von diesen Römern noch wie sonst, als Bundesgenossen und Freunden, oder nicht vielmehr als dienstbaren Knechten begegnet? Ihren Beamten und Statthaltern sind wir ausgeliefert, die, wenn unser Raub, unser Blut sie gesättigt hat, von andern abgelöst werden, welche dieselbe Gewalttätigkeit, nur unter andern Namen, erneuern. Geschieht es ja endlich einmal, daß uns Rom einen Oberaufseher sendet, so drückt er uns mit einem prahlerischen theuren Gefolge und noch unerträglicherm Stolz. Die Werbungen sind wieder nahe, welche Kinder von Eltern, Brüder von Brüdern auf ewig reißen und eure kraftvolle Jugend der römischen Unzucht überliefern. Jetzt, Batavier, ist der Augenblick unser. Nie lag Rom darnieder wie jetzt. Lasset euch diese Namen von Legionen nicht in Schrecken jagen; ihre Läger enthalten nichts als alte Männer und Beute. Wir haben Fußvolk und Reiterei, Germanien ist unser und Gallien lüstern, sein Joch abzuwerfen. Mag ihnen Syrien dienen, und Asien und der Aufgang, der Könige braucht! Es sind noch unter uns, die geboren wurden, ehe man den Römern Schatzung erlegte. Die Götter halten es mit dem Tapfersten.« Feierliche Sakramente weihen diese Verschwörung, wie den Geusenbund; wie dieser, hüllt sie sich hinterlistig in den Schleier der Unterwürfigkeit, in die Majestät eines großen Namens. Die Cohorten des Civilis schwören am Rheine dem Vespasian in Syrien, wie der Compromiß Philipp dem Zweiten. Derselbe Kampfplatz erzeugt denselben Plan der Vertheidigung, dieselbe Zuflucht der Verzweiflung. Beide vertrauen ihr wankendes Glück einem befreundeten Elemente; in ähnlichem Bedrängniß rettet Civilis seine Insel – wie fünfzehn Jahrhunderte nach ihm Wilhelm von Oranien die Stadt Leyden – durch eine künstliche Wasserfluth. Die batavische Tapferkeit deckt die Ohnmacht der Weltbeherrscher auf, wie der schöne Muth ihrer Enkel den Verfall der spanischen Macht zur Schau stellt. Dieselbe Fruchtbarkeit des Geistes in den Heerführern beider Zeiten läßt den Krieg eben so hartnäckig dauern und beinahe eben so zweifelhaft enden; aber einen Unterschied bemerken wir doch: die Römer und Batavier kriegen menschlich, denn sie kriegen nicht für die Religion.Tac. Histor. L. IV. V.


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