Friedrich Schiller
Geschichte des Abfalls der vereinigten Niederlande
Friedrich Schiller

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Zweites Buch.

Cardinal Granvella.

Anton Perenot, Bischof von Arras, nachheriger Erzbischof von Mecheln und Metropolitan der sämmtlichen Niederlande, den uns der Haß seiner Zeitgenossen unter dem Namen des Cardinals Granvella verewigt hat, wurde im Jahr 1516 zu Besançon in der Grafschaft Burgund geboren. Sein Vater, Nicolaus Perenot, eines Eisenschmieds Sohn, hatte sich durch eigenes Verdienst bis zum Geheimschreiber der Herzogin Margaretha von Savoyen, damaliger Regentin der Niederlande, emporgearbeitet; hier wurde er Karl dem Fünften als ein fähiger Geschäftsmann bekannt, der ihn in seine Dienste nahm und bei den wichtigsten Unterhandlungen gebrauchte. Zwanzig Jahre arbeitete er im Kabinet des Kaisers, bekleidete die Würde seines Geheimenraths und Siegelbewahrers, theilte alle Staatsgeheimnisse dieses Monarchen und erwarb sich ein großes Vermögen.Meteren 60. Strada 47. Seine Würden, seinen Einfluß und seine Staatskunst erbte Anton Perenot, sein Sohn, der schon in frühen Jahren Proben der großen Fähigkeit ablegte, die ihm nachher eine so glorreiche Laufbahn geöffnet hat. Anton hatte auf verschiedenen hohen Schulen die Talente ausgebildet, womit ihn die Natur so verschwenderisch ausgestattet hatte, und beides gab ihm einen Verzug vor seinem Vater. Bald zeigte er, daß er sich durch eigene Kraft auf dem Platze behaupten konnte, worauf ihn fremde Verdienste gestellt hatten. Er war vierundzwanzig Jahre alt, als ihn der Kaiser als seinen Bevollmächtigten auf die Kirchenversammlung zu Trident schickte, und hier ließ er die Erstlinge seiner Beredsamkeit hören, die ihm in der Folge eine so große Obergewalt über zwei Könige gab.Allg. Gesch. d. v. Niederlande. II. Bd. 526. Karl bediente sich seiner noch bei verschiedenen schweren Gesandtschaften, die er mit dem größten Beifall seines Monarchen beendigte, und als endlich dieser Kaiser seinem Sohne das Scepter überließ, machte er dieses kostbare Geschenk mit einem Minister vollkommen, der es ihm führen half.

Granvella eröffnete seine neue Laufbahn gleich mit dem größten Meisterstück seines politischen Genies, von der Gnade eines solchen Vaters in die Gunst eines solchen Sohnes so leicht hinüberzugleiten. Bald gelang es ihm, sie in der That zu verdienen. Bei der geheimen Unterhandlung, welche die Herzogin von Lothringen 1558 zwischen den französischen und spanischen Ministern in Peronne vermittelt hatte, entwarf er mit dem Cardinal von Lothringen die Verschwörung gegen die Protestanten, welche nachher zu Chateau-Cambresis, wo auch er an dem Friedensgeschäfte mitarbeitete, zur Reife gebracht, aber eben dort auch verrathen wurde.

Ein tiefdringender, vielumfassender Verstand, eine seltne Leichtigkeit in verwickelten großen Geschäften, die ausgebreitetste Gelehrsamkeit war mit lasttragendem Fleiße und nie ermüdender Geduld, das unternehmendste Genie mit dem bedächtlichsten Maschinengang in diesem Manne wunderbar vereinigt. Tage und Nächte, schlaflos und nüchtern, fand ihn der Staat; Wichtiges und Geringes wurde mit gleich gewissenhafter Sorgfalt von ihm gewogen. Nicht selten beschäftigte er fünf Sekretäre zugleich und in verschiedenen Sprachen, deren er sieben geredet haben soll. Was eine prüfende Vernunft langsam zur Reife gebracht hatte, gewann Kraft und Anmuth in seinem Munde, und die Wahrheit, von einer mächtigen Suade begleitet, riß gewaltsam alle Hörer dahin. Seine Treue war unbestechlich, weil keine der Leidenschaften, welche Menschen von Menschen abhängig machen, sein Gemüth versuchte. Mit bewundernswürdiger Schärfe des Geistes durchspähte er das Gemüth seines Herrn und erkannte oft in der Miene schon die ganze Gedankenreihe, wie in dem vorangeschickten Schatten die nahende Gestalt. Mit hilfreicher Kunst kam er diesem trägeren Geist entgegen, bildete die rohe Geburt noch auf seinen Lippen zum vollendeten Gedanken und gönnte ihm großmüthig den Ruhm der Erfindung. Die schwere und so nützliche Kunst, seinen eigenen Geist zu verkleinern, sein Genie einem andern leibeigen zu machen, verstand Granvella. So herrschte er, weil er seine Herrschaft verbarg, und nur so konnte Philipp der Zweite beherrscht werden. Zufrieden mit einer stillen, aber gründlichen Gewalt, haschte er nicht unersättlich nach neuen Zeichen derselben, die sonst immer das wünschenswürdigste Ziel kleiner Geister sind; aber jede neue Würde kleidete ihn, als wäre sie nie von ihm geschieden gewesen. Kein Wunder, daß so außerordentliche Eigenschaften ihm die Gunst seines Herrn gewannen; aber ein wichtiges Vermächtniß der politischen Geheimnisse und Erfahrungen, welche Karl der Fünfte in einem thatenvollen Leben gesammelt und in diesem Kopf niedergelegt hatte, machte ihn seinem Thronfolger zugleich unentbehrlich. So selbstzufrieden dieser Letztere auch seiner eigenen Vernunft zu vertrauen pflegte, so nothwendig war es seiner furchtsamen schleichenden Politik, sich an einen überlegenen Geist anzuschmiegen und ihrer eignen Unentschlossenheit durch Ansehen, fremdes Beispiel und Observanz nachzuhelfen. Keine politische Begebenheit und keine Angelegenheit des königlichen Hauses kam, so lange Philipp in den Niederlanden war, ohne Zuziehung Granvellas zu Stande, und als er die Reise nach Spanien antrat, machte er der neuen Statthalterin ein eben so wichtiges Geschenk mit diesem Minister, als ihm selbst von dem Kaiser, seinem Vater, in ihm hinterlassen worden war.

So gewöhnlich wir auch despotische Fürsten ihr Vertrauen in Kreaturen verschenken sehen, die sie aus dem Staube gezogen und deren Schöpfer sie gleichsam sind, so vorzügliche Gaben wurden erfordert, die verschlossene Selbstsucht eines Charakters, wie Philipp war, so weit zu überwinden, daß sie in Vertrauen, ja sogar Vertraulichkeit überging. Das leiseste Aufwallen des erlaubtesten Selbstgefühls, wodurch er sein Eigentumsrecht auf einen Gedanken zurückzufordern geschienen hätte, den der König einmal zu dem seinigen geadelt, hätte dem Minister seinen ganzen Einfluß gekostet. Es war ihm vergönnt, den niedrigen Leidenschaften der Wollust, der Habsucht, der Rachbegierde zu dienen, aber die einzige, die ihn wirklich beseelte, das süße Bewußtsein eigener Ueberlegenheit und Kraft, mußte er sorgfältig vor dem argwöhnischen Blick des Despoten verhüllen. Freiwillig begab er sich aller Vorzüge, die er eigenthümlich besaß, um sie von der Großmuth des Königs zum zweitenmal zu empfangen. Sein Glück durfte aus keiner andern Quelle als dieser fließen, kein anderer Mensch Anspruch auf seine Dankbarkeit haben. Den Purpur, der ihm von Rom aus gesendet war, legte er nicht eher an, als bis die königliche Bewilligung aus Spanien anlangte; indem er ihn an den Stufen des Throns niederlegte, schien er ihn gleichsam erst aus den Händen der Majestät zu erhalten.Strada 65. Weniger Staatsmann, als er, errichtete sich Herzog Alba eine Trophäe in Antwerpen und schrieb unter die Siege, die er als Werkzeug der Krone gewonnen, seinen eigenen Namen – aber Alba nahm die Ungnade seines Herrn mit ins Grab. Er hatte mit frevelnder Hand in das Regale der Krone gegriffen, da er unmittelbar an der Quelle der Unsterblichkeit schöpfte.

Dreimal wechselte Granvella seinen Herrn, und dreimal gelang es ihm, die höchste Gunst zu ersteigen. Mit eben der Leichtigkeit, womit er den gegründeten Stolz eines Selbstherrschers und den spröden Egoismus eines Despoten geleitet hatte, wußte er die zarte Eitelkeit eines Weibes zu handhaben. Seine Geschäfte mit der Regentin wurden mehrentheils, selbst wenn sie in einem Hause beisammen waren, durch Billets abgehandelt, ein Gebrauch, der sich noch aus den Zeiten Augusts und Tibers herschreiben soll. Wenn die Statthalterin ins Gedränge kam, wurden dergleichen Billets zwischen dem Minister und ihr oft von Stunde zu Stunde gewechselt. Wahrscheinlich erwählte er diesen Weg, um die wachsame Eifersucht des Adels zu betrügen, der seinen Einfluß auf die Regentin nicht ganz kennen sollte; vielleicht glaubte er auch, durch dieses Mittel seine Rathschläge für die Letztere dauerhafter zu machen und sich im Nothfall mit diesen schriftlichen Zeugnissen gegen Beschuldigung zu decken. Aber die Wachsamkeit des Adels machte diese Vorsicht umsonst, und bald war es in allen Provinzen bekannt, daß nichts ohne den Minister geschehe.

Granvella besaß alle Eigenschaften eines vollendeten Staatsmannes für Monarchien, die sich dem Despotismus nähern, aber durchaus keine für Republiken, die Könige haben. Zwischen dem Thron und dem Beichtstuhl erzogen, kannte er keine andern Verhältnisse unter Menschen, als Herrschaft und Unterwerfung, und das inwohnende Gefühl seiner eignen Ueberlegenheit gab ihm Menschenverachtung. Seiner Staatskunst fehlte Geschmeidigkeit, die einzige Tugend, die ihr hier unentbehrlich war. Er war hochfahrend und frech und bewaffnete mit der königlichen Vollmacht die natürliche Heftigkeit seiner Gemüthsart und die Leidenschaften seines geistlichen Standes. In das Interesse der Krone hüllte er seinen eigenen Ehrgeiz und machte die Trennung zwischen der Nation und dem König unheilbar, weil er selbst ihm dann unentbehrlich blieb. An dem Adel rächte er seine eigne niedrige Abkunft und würdigte, nach Art aller Derjenigen, die das Glück durch Verdienst gezwungen, die Vorzüge der Geburt unter diejenigen herunter, wodurch er gestiegen war. Die Protestanten kannten ihn als ihren unversöhnlichsten Feind; alle Lasten, welche das Land drückten, wurden ihm Schuld gegeben, und alle drückten desto unleidlicher, weil sie von ihm kamen. Ja, man beschuldigt ihn sogar, daß er die billigern Gesinnungen, die das dringende Anliegen der Staaten dem Monarchen endlich abgelockt hatte, zur Strenge zurückgeführt habe. Die Niederlande verfluchten ihn, als den schrecklichsten Feind ihrer Freiheit und den ersten Urheber alles Elends, welches nachher über sie gekommen ist.Strada Dec. I. L. II. 47. 48. 49. 50.  Thuan. L. VI. 301. Burgundius.

(1559) Offenbar hatte Philipp die Provinzen noch zu zeitig verlassen. Die neuen Maßregeln der Regierung waren diesem Volke noch zu fremd und konnten durch ihn allein Sanktion und Nachdruck erhalten; die neuen Maschinen, die er spielen ließ, mußten durch eine gefürchtete starke Hand in Gang gebracht, ihre ersten Bewegungen zuvor abgewartet und durch Observanz erst gesichert werden. Jetzt stellte er diesen Minister allen Leidenschaften bloß, die auf einmal die Fesseln der königlichen Gegenwart nicht mehr fühlten, und überließ dem schwachen Arm eines Unterthans, woran selbst die Majestät mit ihren mächtigsten Stützen unterliegen konnte.

Zwar blühete das Land, und ein allgemeiner Wohlstand schien von dem Glück des Friedens zu zeugen, dessen es kürzlich theilhaftig worden war. Die Ruhe des äußern Anblicks täuschte das Auge, aber sie war nur scheinbar, und in ihrem stillen Schooße loderte die gefährlichste Zwietracht. Wenn die Religion in einem Lande wankt, so wankt sie nicht allein; mit dem Heiligen hatte der Muthwille angefangen und endigte mit dem Profanen. Der gelungene Angriff auf die Hierarchie hatte eine Keckheit und Lüsternheit erweckt, Autorität überhaupt anzutasten und Gesetze wie Dogmen, Pflichten wie Meinungen zu prüfen. Dieser fanatische Muth, den man in Angelegenheiten der Ewigkeit üben gelernt, konnte seinen Gegenstand wechseln; diese Geringschätzung des Lebens und Eigenthums furchtsame Bürger in tollkühne Empörer verwandeln. Eine beinahe vierzig Jahre lange weibliche Regierung hatte der Nation Raum gegeben, ihre Freiheiten geltend zu machen; anhaltende Kriege, welche die Niederlande zu ihrem Schauplatz machten, hatten eine gewisse Licenz eingeführt und das Recht der Stärkern an die Stelle der bürgerlichen Ordnung gerufen. Die Provinzen waren von fremden Abenteurern und Flüchtlingen angefüllt, lauter Menschen, die kein Vaterland, keine Familie, kein Eigenthum mehr band, und die noch den Samen des Aufruhrs aus ihrer unglücklichen Heimath herüberbrachten. Die wiederholten Schauspiele der Marter und des Todes hatten die zarten Fäden der Sittlichkeit zerrissen und dem Charakter der Nation eine unnatürliche Härte gegeben.

Dennoch würde die Empörung nur schüchtern und still am Boden gekrochen sein, hätte sie an dem Adel nicht eine Stütze gefunden, woran sie furchtbar emporstieg. Karl der Fünfte hatte die niederländischen Großen verwöhnt, da er sie zu Teilhabern seines Ruhms machte, ihren Nationalstolz durch den parteiischen Vorzug nährte, den er ihnen vor dem castilianischen Adel gab, und ihrem Ehrgeize in allen Theilen seines Reichs einen Schauplatz aufschloß. Im letztern französischen Kriege hatten sie um seinen Sohn diesen Vorzug wirklich verdient; die Vortheile, die der König aus dem Frieden von Chateau-Cambresis erntete, waren größtenteils Werke ihrer Tapferkeit gewesen, und jetzt vermißten sie mit Empfindlichkeit den Dank, worauf sie so zuversichtlich gerechnet hatten. Es kam dazu, daß durch den Abgang des deutschen Kaisertums von der spanischen Monarchie und den minder kriegerischen Geist der neuen Regierung ihr Wirkungskreis überhaupt verkleinert und außer ihrem Vaterland wenig mehr für sie zu gewinnen war. Philipp stellte jetzt seine Spanier an, wo Karl der Fünfte Niederländer gebraucht hatte. Alle jene Leidenschaften, welche die vorhergehende Regierung bei ihnen erweckt und beschäftigt hatte, brachten sie jetzt in den Frieden mit; und diese zügellosen Triebe, denen ihr rechtmäßiger Gegenstand fehlte, fanden unglücklicherweise in den Beschwerden des Vaterlands einen andern. Jetzt zogen sie die Ansprüche wieder aus der Vergessenheit hervor, die auf eine Zeitlang von neueren Leidenschaften verdrängt worden waren. Bei der letzten Stellenbesetzung hatte der König beinahe lauter Mißvergnügte gemacht; denn auch Diejenigen, welche Aemter bekamen, waren nicht viel zufriedener, als Die, welche man ganz überging, weil sie auf bessere gerechnet hatten. Wilhelm von Oranien erhielt vier Statthalterschaften, andere kleinere nicht einmal gerechnet, die zusammengenommen den Werth einer fünften betrugen; aber Wilhelm hatte sich auf Brabant und Flandern Hoffnung gemacht. Er und Graf Egmont vergaßen, was ihnen wirklich zu Theil geworden, und erinnerten sich nur, daß die Regentschaft für sie verloren gegangen war. Der größte Theil des Adels hatte sich in Schulden gestürzt, oder von der Regierung dazu hinreißen lassen. Jetzt, da ihnen die Aussicht verschlossen wurde, sich in einträglichen Aemtern wieder zu erholen, sahen sie sich auf einmal dem Mangel bloßgestellt, der um so empfindlicher schmerzte, je mehr ihn die glänzende Lebensart des wohlhabenden Bürgers ins Licht stellte. In dem Extreme, wohin es mit ihnen gekommen war, hätten Viele zu einem Verbrechen selbst die Hände geboten; wie sollten sie also den verführerischen Anerbietungen der Calvinisten haben Trotz bieten können, die ihre Fürsprache und ihren Schutz mit schweren Summen bezahlten. Viele endlich, denen nicht mehr zu helfen war, fanden ihre letzte Zuflucht in der allgemeinen Verwüstung und stunden jeden Augenblick fertig, den Feuerbrand in die Republik zu werfen.Vita Vigl. T. II. vid. Recueil des Troubles des Pays-bas p. Hopper. 22.  Strada 47.

Diese gefährliche Stellung der Gemüther wurde noch mehr durch die unglückliche Nachbarschaft Frankreichs verschlimmert. Was Philipp für die Provinzen zu fürchten hatte, war dort bereits in Erfüllung gegangen. In dem Schicksale dieses Reichs konnte er das Schicksal seiner Niederlande vorbildlich angekündigt lesen, und der Geist des Aufruhrs konnte dort ein verführerisches Muster finden. Aehnliche Zufälle bauten unter Franz dem Ersten und Heinrich dem Andern den Samen der Neuerung in dieses Königreich gestreut; eine ähnliche Raserei der Verfolgung und ein ähnlicher Geist der Faktion hatte sein Wachsthum befördert. Jetzt rangen Hugenotten und Katholiken in gleich zweifelhaftem Kampf, wüthende Parteien trieben die ganze Monarchie aus ihren Fugen und führten diesen mächtigen Staat gewaltsam an den Rand seines Untergangs. Hier wie dort konnten sich Eigennutz, Herrschsucht und Parteigeist in Religion und Vaterland hüllen und die Leidenschaften weniger Bürger die vereinigte Nation bewaffnen. Die Grenze beider Länder zerfließt im wallonischen Flandern; der Aufruhr kann, wie ein gehobenes Meer, bis hieher seine Wellen werfen – wird ihm ein Land den Uebergang versagen, dessen Sprache, Sitten und Charakter zwischen Gallien und Belgien wanken? Noch hat die Regierung keine Musterung ihrer protestantischen Unterthanen in diesen Ländern gehalten – aber die neue Sekte, weiß sie, ist eine zusammenhängende ungeheure Republik, die durch alle Monarchien der Christenheit ihre Wurzeln breitet und die leiseste Erschütterung in allen Theilen gegenwärtig fühlt. Es sind drohende Vulkane, die, durch unterirdische Gänge verbunden, in furchtbarer Sympathie zu gleicher Zeit sich entzünden. Die Niederlande mußten allen Völkern geöffnet sein, weil sie von allen Völkern lebten. Konnte er einen handeltreibenden Staat so leicht wie sein Spanien schließen? Wenn er diese Provinzen von dem Irrglauben reinigen wollte, so mußte er damit anfangen, ihn in Frankreich zu vertilgen.Strada L. III. 71. 72. 73.

So fand Granvella die Niederlande beim Antritt seiner Verwaltung (1560).

Die Einförmigkeit des Papstthums in diese Länder zurückzuführen, die mitherrschende Gewalt des Adels und der Stände zu brechen und auf den Trümmern der republikanischen Freiheit die königliche Macht zu erheben, war die große Angelegenheit der spanischen Politik und der Auftrag des neuen Ministers. Aber diesem Unternehmen standen Hindernisse entgegen, welche zu besiegen neue Hilfsmittel erdacht, neue Maschinen in Bewegung gesetzt werden mußten. Zwar schienen die Inquisition und die Glaubensedikte hinreichend zu sein, der ketzerischen Ansteckung zu wehren; aber diesen fehlte es an Aufsehern und jener an hinlänglichen Werkzeugen ihrer ausgedehnten Gerichtsbarkeit. Noch bestand jene ursprüngliche Kirchenverfassung aus den früheren Zeiten, wo die Provinzen weniger volkreich waren, die Kirche noch einer allgemeinen Ruhe genoß und leichter übersehen werden konnte. Eine Reihe mehrerer Jahrhunderte, welche die ganze innere Gestalt der Provinzen verwandelte, hatte diese Form der Hierarchie unverändert gelassen, welche außerdem durch die besondern Privilegien der Provinzen vor der Willkür ihrer Beherrscher geschützt war. Alle siebenzehn Provinzen waren unter vier Bischöfe verteilt, welche zu Arras, Tournay, Cambray und Utrecht ihren Sitz hatten und den Erzstiftern von Rheims und Köln untergeben waren. Zwar hatte schon Philipp der Gütige, Herzog von Burgund, bei zunehmender Bevölkerung dieser Länder, auf eine Erweiterung der Hierarchie gedacht, diesen Entwurf aber im Rausch seines üppigen Lebens wieder verloren. Karln den Kühnen entzogen Ehrgeiz und Eroberungssucht den innern Angelegenheiten seiner Länder, und Maximilian hatte schon zu viele Kämpfe mit den Ständen, um auch noch diesen zu wagen. Eine stürmische Regierung untersagte Karln dem Fünften die Ausführung dieses weitläufigen Planes, welchen nunmehr Philipp der Zweite als ein Vermächtniß aller dieser Fürsten übernahm.Burgund 45.  Strada 22. Jetzt war der Zeitpunkt erschienen, wo die dringende Noth der Kirche diese Neuerung entschuldigen und die Muße des Friedens ihre Ausführung begünstigen konnte. Mit der ungeheuern Volksmenge, die sich aus allen Gegenden Europens in den niederländischen Städten zusammendrängte, war eine Verwirrung der Religionen und Meinungen entstanden, die von so wenigen Augen unmöglich mehr beleuchtet werden konnte. Weil die Zahl der Bischöfe so gering war, so mußten sich ihre Distrikte nothwendig viel zu weit erstrecken, und vier Menschen konnten der Glaubensreinigung durch ein so weites Gebiet nicht gewachsen sein.

Die Gerichtsbarkeit, welche die Erzbischöfe von Köln und Rheims in den Niederlanden ausübten, war schon längst ein Anstoß für die Regierung gewesen, die dieses Reich noch nicht als ihr Eigenthum ansehen konnte, so lange der wichtigste Zweig der Gewalt noch in fremden Händen war. Ihnen diesen zu entreißen, die Glaubensuntersuchungen durch neue thätige Werkzeuge zu beleben und zugleich die Zahl ihrer Anhänger auf dem Reichstage zu verstärken, war kein besseres Mittel, als die Bischöfe zu vermehren. Mit diesem Entwurf stieg Philipp der Zweite auf den Thron; aber eine Neuerung in der Hierarchie mußte den heftigsten Widerspruch bei den Staaten finden, ohne welche sie jedoch nicht vorgenommen werden durfte. Nimmermehr, konnte er voraussehen, würde der Adel eine Stiftung genehmigen, durch welche die königliche Partei einen so starken Zuwachs bekam und ihm selbst das Uebergewicht auf dem Reichstag genommen wurde. Die Einkünfte, wovon diese neuen Bischöfe leben sollten, mußten den Aebten und Mönchen entrissen werden, und diese machten einen ansehnlichen Theil der Reichsstände aus. Nicht zu rechnen, daß er alle Protestanten zu fürchten hatte, die nicht ermangelt haben würden, auf dem Reichstag verborgen gegen ihn zu wirken. Die ganze Angelegenheit wurde in Rom auf das heimlichste betrieben. Franz Sonnoi, ein Priester aus der Stadt Löwen, Granvellas unterrichtete Kreatur, tritt vor Paul den Vierten und berichtet ihm, wie ausgedehnt diese Lande seien, wie gesegnet und menschenreich, wie üppig in ihrer Glückseligkeit. Aber, fährt er fort, im unmäßigen Genuß der Freiheit wird der wahre Glaube vernachlässigt, und die Ketzer kommen auf. Diesem Uebel zu steuern, muß der römische Stuhl etwas Außerordentliches thun. Es fällt nicht schwer, den römischen Bischof zu einer Neuerung zu vermögen, die den Kreis seiner eigenen Gerichtsbarkeit erweitert. Paul der Vierte setzt ein Gericht von sieben Cardinälen nieder, die über diese wichtige Angelegenheit berathschlagen müssen; das Geschäft, wovon der Tod ihn abfordert, vollendet sein Nachfolger Pius der Vierte.Burgund. 46.  Meteren 57.  Vigl. Vit. T. I. 34. Die willkommene Botschaft erreicht den König noch in Seeland, ehe er nach Spanien unter Segel geht, und der Minister wird in der Stille mit der gefährlichen Vollstreckung belastet. Die neue Hierarchie wird bekannt gemacht (1560); zu den bisherigen vier Bisthümern sind dreizehn neue errichtet, nach den siebenzehn Provinzen des Landes, und viere derselben zu Erzstiften erhoben. Sechs solcher bischöflichen Sitze, in Antwerpen nämlich, Herzogenbusch, Gent, Brügge, Ypern und Rüremonde, stehen unter dem Erzstift zu Mecheln; fünf andere, Haarlem, Middelburg, Leeuwarden, Deventer und Gröningen, unter dem Erzstift von Utrecht; und die vier übrigen, Arras, Tournay, St. Omer und Namur, die Frankreich näher liegen, und Sprache, Charakter und Sitten mit diesem Lande gemein haben, unter dem Erzstifte Cambray. Mecheln in der Mitte Brabants und aller siebenzehn Provinzen gelegen, ist das Primat aller übrigen und nebst mehreren reichen Abteien, Granvellas Belohnung. Die Einkünfte der neuen Bisthümer werden aus den Schätzen der Klöster und Abteien genommen, welche fromme Wohlthätigkeit seit Jahrhunderten hier aufgehäuft hat. Einige aus den Aebten selbst erlangen die bischöfliche Würde, die mit dem Besitz ihrer Klöster und Prälaturen auch die Stimme auf dem Reichstag beibehalten, die an jene geheftet ist. Mit jedem Bisthum sind zugleich neun Präbenden verbunden, welche den geschicktesten Rechtsgelehrten und Theologen verliehen werden, um die Inquisition und den Bischof in ihrem geistlichen Amt zu unterstützen. Zwei aus diesen, die sich durch Kenntnisse, Erfahrung und unbescholtenen Wandel dieses Vorzugs am würdigsten gemacht, sind wirkliche Inquisitoren und haben die erste Stimme in den Versammlungen. Dem Erzbischof von Mecheln, als Metropolitan aller siebenzehn Provinzen, ist die Vollmacht gegeben, Erzbischöfe und Bischöfe nach Willkür ein- oder abzusetzen, und der römische Stuhl gibt nur die Genehmigung.Burg. 49. 50.  Dinoth. de Bello civil. Belg. L. I. 8.  Grot. 15.  Vit. Vigl. 34.  Strada 23.  Reid. 6.  Hopper Recueil des Troubles des Pays-bas in Vit. Vigl. T. II. 23. 28.

Zu jeder anderen Zeit würde die Nation eine solche Verbesserung des Kirchenwesens mit dankbarem Beifall ausgenommen haben, da sie hinreichend durch die Notwendigkeit entschuldigt, der Religion beförderlich und zur Sittenverbesserung der Mönche ganz unentbehrlich war. Jetzt gaben ihr die Verhältnisse der Zeit die verhaßteste Gestalt. Allgemein ist der Unwille, womit sie empfangen wird. Die Constitution, schreit man, ist unter die Füße getreten, die Rechte der Nation sind verletzt, die Inquisition ist vor den Thoren, die ihren blutigen Gerichtshof von jetzt an hier, wie in Spanien, eröffnen wird; mit Schaudern betrachtet das Volk diese neuen Diener der Willkür und der Verfolgung. Der Adel sieht die monarchische Gewalt in der Staatenversammlung durch vierzehn mächtige Stimmen verstärkt und die festeste Stütze der Nationalfreiheit, das Gleichgewicht der königlichen und bürgerlichen Macht, aufgehoben. Die alten Bischöfe beklagen sich über Verminderung ihrer Güter und Einschränkung ihrer Distrikte; die Aebte und Mönche haben Macht und Einkünfte zugleich verloren und dafür strenge Aufseher ihrer Sitten erhalten. Adel und Volk, Laien und Priester treten gegen diese gemeinschaftlichen Feinde zusammen, und indem alles für einen kleinen Eigennutz kämpft, scheint eine furchtbare Stimme des Patriotismus zu schallen.Grotius 15 sq.  Vita Vigl. T. II 28 sq.

Unter allen Provinzen widersetzt sich Brabant am lautesten. Die Unverletzlichkeit seiner Kirchenverfassung ist der wichtigen Vorrechte eines, die es sich in dem merkwürdigen Freiheitsbrief des fröhlichen Einzugs vorbehalten – Statuten, die der Souverän nicht verletzen kann, ohne die Nation ihres Gehorsams gegen ihn zu entbinden. Umsonst behauptete die hohe Schule zu Löwen selbst, daß in den stürmischen Zeiten der Kirche ein Privilegium seine Kraft verliere, das in ihren ruhigen Perioden verliehen worden sei. Durch Einführung der neuen Bisthümer ward das ganze Gebäude ihrer Freiheit erschüttert. Die Prälaturen, welche jetzt zu den Bischöfen übergingen, mußten von nun an einer andern Regel dienen, als dem Nutzen der Provinz, deren Stände sie waren. Aus freien patriotischen Bürgern wurden jetzt Werkzeuge des römischen Stuhls und folgsame Maschinen des Erzbischofs, der ihnen noch überdies als erster Prälat von Brabant besonders zu gebieten hatte.Abt von Afflighem. Die Freiheit der Stimmengebung war dahin, weil sich die Bischöfe, als dienstbare Auflaurer der Krone, Jedem fürchterlich machten. »Wer,« hieß es, »wird es künftighin wagen, vor solchen Aufsehern die Stimme im Parlament zu erheben, oder die Rechte der Nation in ihrem Beisein gegen die räuberischen Griffe der Regierung in Schutz zu nehmen? Sie werden die Hilfsquellen der Provinzen ausspüren und die Geheimnisse unsrer Freiheit und unsers Eigenthums an die Krone verrathen. Den Weg zu allen Ehrenämtern werden sie sperren; bald werden wir ihnen seine Höflinge folgen sehen; die Kinder der Ausländer werden künftig das Parlament besetzen, und der Eigennutz ihrer Gönner wird ihre gedungenen Stimmen leiten.« »Welche Gewalttätigkeit,« fuhren die Mönche fort, »die heiligen Stiftungen der Andacht umzukehren, den unverletzlichen Willen der Sterbenden zu verhöhnen und, was fromme Mildthätigkeit in diesen Archiven für die Unglücklichen niederlegte, der Ueppigkeit dieser Bischöfe dienen zu lassen und mit dem Raube der Armuth ihren stolzen Pomp zu verherrlichen?« Nicht die Aebte und Mönche allein, welche das Unglück wirklich traf, durch diese Schmälerung zu leiden, alle Familien, welche bis zu den entferntesten Generationen hinunter mit irgend einem Scheine von Hoffnung sich schmeicheln konnten, dasselbe Benefiz dereinst zu genießen, empfanden diesen Verlust ihrer Hoffnung, als wenn sie ihn wirklich erlitten hätten, und der Schmerz einiger Prälaten wurde die Angelegenheit ganzer Geschlechter.Burgundius 55. 56.  Vita Vigl. Tom. II. 24.  Strada 36.

In diesem allgemeinen Tumulte haben uns die Geschichtschreiber den leisen Gang Wilhelms von Oranien wahrnehmen lassen, der diese durcheinanderstürmenden Leidenschaften einem Ziele entgegenzuführen bemüht ist. Auf sein Anstiften geschah es, daß die Brabanter sich von der Regentin einen Wortführer und Beschützer erbaten, weil sie allein unter allen übrigen niederländischen Unterthanen das Unglück hätten, in einer und eben der Person ihren Sachwalter und ihren Herrn zu vereinigen. Ihre Wahl konnte auf keinen Andern als den Prinzen von Oranien fallen. Aber Granvella zerriß diese Schlinge durch seine Besonnenheit. »Wer dieses Amt erhält,« ließ er sich im Staatsrath verlauten, »wird hoffentlich einsehen, daß er Brabant mit dem König von Spanien theilt.«Strada III. 80. 81. Das lange Ausbleiben der päpstlichen Diplome, die eine Irrung zwischen dem römischen und spanischen Hof in Rom verzögerte, gab den Mißvergnügten Raum, sich zu einem Zweck zu vereinigen. Ganz ingeheim fertigten die Staaten von Brabant einen außerordentlichen Botschafter an Pius den Vierten ab, ihr Gesuch in Rom selbst zu betreiben. Der Gesandte wurde mit wichtigen Empfehlungsschreiben von dem Prinzen von Oranien versehen und bekam ansehnliche Summen mit, sich zu dem Vater der Kirche die Wege zu bahnen. Zugleich ging von der Stadt Antwerpen ein öffentlicher Brief an den König nach Spanien ab, worin ihm die dringendsten Vorstellungen geschahen, diese blühende Handelsstadt mit dieser Neuerung zu verschonen. Sie erkennen, hieß es darin, daß die Absicht des Monarchen die beste und die Einsetzung der neuen Bischöfe zu Aufrechthaltung der wahren Religion sehr ersprießlich sei; davon aber könne man die Ausländer nicht überzeugen, von denen doch der Flor ihrer Stadt abhinge. Hier seien die grundlosesten Gerüchte ebenso gefährlich, als die wahrhaftesten. Die erste Gesandtschaft wurde von der Regentin noch zeitig genug entdeckt und vereitelt; auf die zweite erhielt die Stadt Antwerpen so viel, daß sie bis zur persönlichen Ueberkunft des Königs, wie es hieß, mit ihrem Bischofe verschont bleiben sollte.Burgund. 60. 61.  Meteren 59.  Vita Vigl. T. II. 29. 30.  Strada III. 78. 79.  Thuan. II. 488.

Antwerpens Beispiel und Glück gab allen übrigen Städten, denen ein Bischof zugedacht war, die Losung zum Widerspruch. Es ist ein merkwürdiger Beweis, wie weit damals der Haß gegen die Inquisition und die Eintracht der niederländischen Städte gegangen ist, daß sie lieber auf alle Vortheile Verzicht thun wollten, die der Sitz eines Bischofs auf ihr inneres Gewerbe nothwendig verbreiten mußte, als jenes verhaßte Gericht durch ihre Beistimmung befördern und dem Vortheil des Ganzen zuwider handeln. Deventer, Rüremonde und Leeuwarden setzten sich standhaft entgegen und drangen (1561) auch glücklich durch; den übrigen Städten wurden die Bischöfe, alles Widerspruchs ungeachtet, mit Gewalt aufgedrungen. Utrecht, Haarlem, St. Omer und Middelburg sind von den ersten, welche ihnen die Thore öffneten; ihrem Beispiele folgten die übrigen Städte; aber in Mecheln und Herzogenbusch wird den Bischöfen mit sehr wenig Achtung begegnet. Als Granvella in ersterer Stadt seinen festlichen Einzug hielt, erschien auch nicht ein einziger Edler, und seinem Triumph mangelte alles, weil Diejenigen ausblieben, über die er gehalten wurde.Vita Vigl. T. II. Recueil des Troubles des Pays-bas p. Hopper 24.

Unterdessen war auch der bestimmte Termin verflossen, auf welchen die spanischen Truppen das Land räumen sollten, und noch war kein Anschein zu ihrer Entfernung. Mit Schrecken entdeckte man die wahre Ursache dieser Verzögerung, und der Argwohn brachte sie mit der Inquisition in eine unglückliche Verbindung. Der längere Aufenthalt dieser Truppen erschwerte dem Minister alle übrigen Neuerungen, weil er die Nation wachsam und mißtrauisch machte; und doch wollte er sich nicht gern dieses mächtigen Beistands berauben, der ihm in einem Lande, wo ihn alles haßte, und bei einem Auftrag, wo ihm alles widersprach, unentbehrlich schien. Endlich aber sah sich die Regentin durch das allgemeine Murren gezwungen, bei dem König ernstlich auf die Zurücknahme dieser Truppen zu dringen. Die Provinzen, schreibt sie nach Madrid, haben sich einmüthig erklärt, daß man sie nimmermehr dazu vermögen würde, der Regierung die verlangten außerordentlichen Steuern zu bewilligen, so lange man ihnen hierin nicht Wort hielte. Die Gefahr eines Aufstandes wäre bei weitem dringender als eines Ueberfalls der französischen Protestanten, und wenn in den Niederlanden eine Empörung entstünde, so wären diese Trnppen doch zu schwach, ihr Einhalt zu thun, und im Schatze nicht Geld genug, um neue zu werben. Noch suchte der König durch Verzögerung seiner Antwort wenigstens Zeit zu gewinnen, und die wiederholten Vorstellungen der Regentin würden noch fruchtlos geblieben sein, wenn nicht, zum Glück der Provinzen, ein Verlust, den er kürzlich von den Türken erlitten, ihn genöthigt hätte, diese Truppen im mittelländischen Meere zu brauchen. Er willigte also endlich in ihre Abreise; sie wurden in Seeland eingeschifft (1561), und das Jubelgeschrei aller Provinzen begleitete ihre Segel.Strada 61. 62. 63.

Unterdessen herrschte Granvella beinahe unumschränkt in dem Staatsrath. Alle Aemter, weltliche und geistliche, wurden durch ihn vergeben; sein Gutachten galt gegen die vereinigte Stimme der ganzen Versammlung. Die Statthalterin selbst stand unter seinen Gesetzen. Er hatte es einzurichten gewußt, daß ihre Bestallung nur auf zwei Jahre ausgefertigt wurde, durch welchen Kunstgriff er sie immer in seiner Gewalt behielt.Meteren 61.  Burgund. 37. Selten geschah es, daß man den übrigen Mitgliedern eine Angelegenheit von Belang zur Beratschlagung vorlegte, und wenn es ja einmal vorkam, so waren es längst schon beschlossene Dinge, wozu man höchstens nur die unnütze Formalität ihrer Genehmigung verlangte. Wurde ein königlicher Brief abgelesen, so hatte Viglius Befehl, diejenigen Stellen hinwegzulassen, welche ihm der Minister unterstrichen hatte. Es geschah nämlich öfters, daß diese Briefwechsel nach Spanien die Blöße des Staats oder die Besorgnisse der Statthalters sichtbar machten, wovon man Mitglieder nicht gern unterrichten wollte, in deren Treue ein Mißtrauen zu setzen war. Trug es sich zu, daß die Parteien dem Minister überlegen wurden und mit Nachdruck auf einem Artikel bestanden, den er nicht wohl mehr abweisen konnte, so schickte er ihn in das Ministerium zu Madrid zur Entscheidung, wodurch er wenigstens Zeit gewann und sicher war, Unterstützung zu finden.Meteren 61. Den Grafen Barlaimont, den Präsidenten Viglius und wenige Andere ausgenommen, waren alle übrigen Staatsräthe entbehrliche Figuranten im Senat, und sein Betragen gegen sie richtete sich nach dem geringen Werth, den er auf ihre Freundschaft und Ergebenheit legte. Kein Wunder, daß Menschen, deren Stolz durch die schmeichelhaftesten Aufmerksamkeiten souveräner Fürsten so äußerst verzärtelt war, und denen die ehrfurchtsvolle Ergebenheit ihrer Mitbürger als Göttern des Vaterlandes opferte, diesen Trotz eines Plebejers mit dem tiefsten Unwillen empfanden. Viele unter ihnen hatte Granvella persönlich beleidigt. Dem Prinzen von Oranien war es nicht unbekannt, daß er seine Heirath mit der Prinzessin von Lothringen hintertrieben und eine andere Verbindung mit der Prinzessin von Sachsen rückgängig zu machen gesucht hatte. Dem Grafen von Hoorn hatte er die Statthalterschaft über Gelder und Zütphen entzogen und eine Abtei, um die sich der Graf von Egmont für einen Verwandten bemühte, für sich behalten. Seiner Ueberlegenheit gewiß, hielt er es der Mühe nicht einmal werth, dem Adel die Geringschätzung zu verbergen, welche die Richtschnur seiner ganzen Verwaltung war; Wilhelm von Oranien war der Einzige, den er seiner Verstellung noch würdigte. Wenn er sich auch wirklich über alle Gesetze der Furcht und des Anstandes hinweggerückt glaubte, so hinterging ihn hier dennoch sein zuversichtlicher Stolz, und er fehlte gegen die Staatskunst nicht weniger, als er gegen die Bescheidenheit sündigte. Schwerlich konnte bei damaliger Stellung der Dinge eine schlimmere Maßregel von der Regierung beobachtet werden, als diejenige war, den Adel hintanzusetzen. Es stand bei ihr, seinen Neigungen zu schmeicheln, ihn hinterlistig und unwissend für ihren Plan zu gewinnen und die Freiheit der Nation durch ihn selbst unterdrücken zu lassen. Jetzt erinnerte sie ihn, sehr zur Unzeit, an seine Pflichten, seine Würde und seine Kraft, nöthigte ihn selbst, Patriot zu sein und einen Ehrgeiz, den sie unüberlegt abwies, auf die Seite der wahren Größe zu schlagen. Die Glaubensverordnungen durchzusetzen, hatte sie den thätigsten Beistand der Statthalter nöthig; kein Wunder aber, daß diese wenig Eifer bewiesen, ihr diesen Beistand zu leisten. Vielmehr ist es höchst wahrscheinlich, daß sie in der Stille daran arbeiteten, die Hindernisse des Ministers zu häufen und seine Maßregeln umzukehren, um durch sein schlimmes Glück das Vertrauen des Königs zu widerlegen und seine Verwaltung dem Spott preiszugeben. Offenbar sind der Lauigkeit ihres Eifers die schnellen Fortschritte zuzuschreiben, welche die Reformation, trotz jener schrecklichen Edikte, während seiner Regentschaft in den Niederlanden gemacht hat. Des Adels versichert, hätte er die Wuth des Pöbels verachtet, die sich kraftlos an den gefürchteten Schranken des Thrones bricht. Der Schmerz des Bürgers verweilte lange Zeit zwischen Thränen und stillen Seufzern, bis ihn die Künste und das Beispiel der Edeln hervorlockten.Grot. 8–14.  Strada 51.


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