Friedrich Schiller
Geschichte des Abfalls der vereinigten Niederlande
Friedrich Schiller

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Vorrede der ersten Ausgabe.

Als ich vor einigen Jahren die Geschichte der niederländischen Revolution unter Philipp II. in Watsons vortrefflicher Beschreibung las, fühlte ich mich dadurch in eine Begeisterung gesetzt, zu welcher Staatsaktionen nur selten erheben. Bei genauerer Prüfung glaubte ich zu finden, daß das, was mich in diese Begeisterung gesetzt hatte, nicht sowohl aus dem Buche in mich übergegangen, als vielmehr eine schnelle Wirkung meiner eigenen Vorstellungskraft gewesen war, die dem empfangenen Stoffe gerade die Gestalt gegeben, worin er mich so vorzüglich reizte. Diese Wirkung wünschte ich bleibend zu machen, zu vervielfältigen, zu verstärken; diese erhebenden Empfindungen wünschte ich weiter zu verbreiten und auch Andere Antheil daran nehmen zu lassen. Dies gab den ersten Anlaß zu dieser Geschichte, und dies ist auch mein ganzer Beruf, sie zu schreiben.

Die Ausführung dieses Vorhabens führte mich weiter, als ich anfangs dachte. Eine vertrautere Bekanntschaft mit meinem Stoffe ließ mich bald Blößen darin gewahr werden, die ich nicht vorausgesehen hatte, weite leere Strecken, die ich ausfüllen, anscheinende Widersprüche, die ich heben, isolirte Facta, die ich an die übrigen anknüpfen mußte. Weniger, um meine Geschichte mit vielen neuen Begebenheiten anzufüllen, als um zu denen, die ich bereits hatte, einen Schlüssel aufzusuchen, machte ich mich an die Quellen selbst, und so erweiterte sich zu einer ausgeführten Geschichte, was anfangs nur bestimmt war, ein allgemeiner Umriß zu werden.

Gegenwärtiger erster Theil, der sich mit dem Abzug der Herzogin von Parma aus den Niederlanden endigt, ist nur als die Einleitung zu der eigentlichen Revolution anzusehen, die erst unter dem Regiment ihres Nachfolgers zum Ausbruch kam. Ich glaubte, dieser vorbereitenden Epoche um so mehr Sorgfalt und Genauigkeit widmen zu müssen, je mehr ich diese Eigenschaften bei den meisten Scribenten vermißte, welche diese Epoche vor mir behandelt haben, und je mehr ich mich überzeugte, daß alle nachfolgenden auf ihr beruhen. Findet man daher diesen ersten Theil zu arm an wichtigen Begebenheiten, zu ausführlich in geringen oder geringe scheinenden, zu verschwenderisch in Wiederholungen, und überhaupt zu langsam im Fortschritt der Handlung, so erinnere man sich, daß eben aus diesen geringen Anfängen die ganze Revolution allmählich hervorging, daß alle nachherigen großen Resultate aus der Summe unzählig vieler kleinen sich ergeben haben. Eine Nation, wie diejenige war, die wir hier vor uns haben, thut die ersten Schritte immer langsam, zurückgezogen und ungewiß, aber die folgenden alsdann desto rascher; denselben Gang habe ich mir auch bei Darstellung dieser Rebellion vorgezeichnet. Je länger der Leser bei der Einleitung verweilt worden, je mehr er sich mit den handelnden Personen familiarisiert und in dem Schauplatz, auf welchem sie wirken, eingewohnt hat, mit desto raschern und sicherern Schritten kann ich ihn dann durch die folgenden Perioden führen, wo mir die Anhäufung des Stoffes diesen langsamen Gang und diese Ausführlichkeit verbieten wird.

Ueber Armuth an Quellen läßt sich bei dieser Geschichte nicht klagen, vielleicht eher über ihren Ueberfluß – weil man sie alle gelesen haben müßte, um die Klarheit wieder zu gewinnen, die durch das Lesen vieler in manchen Stücken leidet. Bei so ungleichen, relativen, oft ganz widersprechenden Darstellungen derselben Sache hält es überhaupt schon schwer, sich der Wahrheit zu bemächtigen, die in allen theilweise versteckt, in keiner aber ganz und in ihrer reinen Gestalt vorhanden ist. Bei diesem ersten Bande sind, außer de Thon, Strada, Reyd, Grotius, Meteren, Burgundius, Meursius, Bentivoglio und einigen Neuern, die Memoires des Staatsraths Hopperus, das Leben und der Briefwechsel seines Freundes Viglius, die Proceßakten der Grafen von Hoorn und von Egmont, die Apologie des Prinzen von Oranien, und wenige Andere meine Führer gewesen. Eine ausführliche, mit Fleiß und Kritik zusammengetragene und mit seltener Billigkeit und Treue verfaßte Compilation, die wirklich noch einen bessern Namen verdient, hat mir sehr wichtige Dienste dabei gethan, weil sie, außer vielen Aktenstücken, die nie in meine Hände kommen konnten, die schätzbaren Werke von Bor, Hooft, Brandt, le Clerc, und andere, die ich theils nicht zur Hand hatte, theils, da ich des Holländischen nicht mächtig bin, nicht benutzen konnte, in sich aufgenommen hat. Es ist dies die allgemeine Geschichte der vereinigten Niederlande, welche in diesem Jahrhundert in Holland erschienen ist. Ein übrigens mittelmäßiger Scribent, Richard Dinoth, ist mir durch Auszüge aus einigen Broschüren jener Zeit, die sich selbst längst verloren haben, nützlich geworden. Um den Briefwechsel des Cardinals Granvella, der unstreitig vieles Licht, auch über diese Epoche, würde verbreitet haben, habe ich mich vergeblich bemüht. Die erst kürzlich erschienene Schrift meines vortrefflichen Landsmanns, Herrn Professors Spittler in Göttingen, über die spanische Inquisition, kam mir zu spät zu Gesichte, als daß ich von ihrem scharfsinnigen und vollwichtigen Inhalt noch hätte Gebrauch machen können.

Daß es nicht in meiner Macht gestanden hat, diese reichhaltige Geschichte ganz, wie ich es wünschte, aus ihren ersten Quellen und gleichzeitigen Documenten zu studieren, sie unabhängig von der Form, in welcher sie mir von dem denkenden Theile meiner Vorgänger überliefert war, neu zu erschaffen und mich dadurch von der Gewalt frei zu machen, welche jeder geistvolle Schriftsteller mehr oder weniger gegen seine Leser ausübt, beklage ich immer mehr, je mehr ich mich von ihrem Gehalt überzeuge. So aber hätte aus einem Werke von etlichen Jahren das Werk eines Menschenalters werden müssen. Meine Absicht bei diesem Versuche ist mehr als erreicht, wenn er einen Theil des lesenden Publikums von der Möglichkeit überführt, daß eine Geschichte historisch treu geschrieben sein kann, ohne darum eine Geduldprobe für den Leser zu sein, und wenn er einem andern das Geständniß abgewinnt, daß die Geschichte von einer verwandten Kunst etwas borgen kann, ohne deßwegen nothwendig zum Roman zu werden.

Weimar, in der Michaelismesse 1788.


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