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Mathilde von Dänemark

Ihr himmlischen Mächte!
Ihr führt ins Leben uns hinein,
Ihr laßt den Armen schuldig werden:
Dann überlaßt ihr ihn der Pein …

Goethe.

1.

Am 5. August des Jahres 1737 wurde in der alten Saalestadt Halle dem strenggläubigen Pastor Struensee, welcher später als erster Prediger nach Altona und dann im Jahre 1760 als Generalsuperintendent von Schleswig-Holstein nach Rendsburg kam, ein Sohn geboren, dem er bei der Taufe die Namen Johann Friedrich gab. Am 29. Januar 1749 gebar die erste Gemahlin des Königs Friedrich V. von Dänemark einen Prinzen, der unter dem Namen Christian VII. der Nachfolger seines Vaters war. Am 22. Juli 1751 gebar Auguste von Sachsen-Gotha, die Witwe des kurz zuvor gestorbenen Prinzen Friedrich von Wales, ältesten Sohns Georgs II., eine Prinzessin, die den Namen Mathilde erhielt.

Wer hätte diesen drei Kindern an ihren Wiegen gesungen, wie unheilvoll ihre Schicksale sich verknüpfen sollten! Diese Verknüpfung ist ein vollständiger Roman; aber ein Roman mit tragischem Ausgang, also einer jener Romane, wie nicht die Phantasie, sondern die Muse der Geschichte sie zu dichten pflegt, einer jener wahrhaft und wirklich historischen Romane, deren Ausgang nicht der Hochzeitsjubel, sondern Mord und Entsetzen bezeichnet, und wo schließlich statt des Brautbetts das Schafott aufgeschlagen wird.

Unter den vielen durch den tollen Traum eines germanisch-römischen Kaisertums veranlaßten Unterlassungssünden unserer mittelalterlichen Kaiser ist das Versäumnis, Dänemark entschieden und nachhaltig zu germanisieren, eine der beklagenswertesten und in ihren Folgen bis auf den heutigen Tag herab schmerzlichsten gewesen. Dänemark war mit den deutschen Herzogtümern Schleswig-Holstein-Lauenburg zu groß zum Sterben, ohne sie zu klein zum Leben. Die dänische Eitelkeit, bekanntlich ein kolossales Ding und eine hervorragendste Eigenschaft des dänischen Nationalcharakters, wird es nicht zugeben wollen, es ist aber dennoch eine unbestreitbare Tatsache. Man betrachte die ganze Geschichte Dänemarks und überall wird sie sich als die eines auf lauter Zufälligkeiten begründeten, in sich kern- und haltlosen Staates darstellen. Dänemark hat viele tüchtige, sogar etliche geniale Männer hervorgebracht, keine Frage; aber selbst in den größten Ekstasen seiner Eitelkeit konnte es niemals mit Überzeugung von sich sagen, was jener alte Norweger zu dem brutalen Bekehrer Olaf sagte: »Ich glaube an mich!« Daher war Kopenhagen von jeher ein Lieblingsschauplatz diplomatischer Intrigenspiele. Nicht weniger aber auch die Stätte hastig und fahrig unternommener politischer Experimente, die den Staat zwischen ultradespotischen und ultraliberalen Extremen hin und her warfen.

Bis ins 19. Jahrhundert herab war in Dänemark das deutsche Kulturelement das herrschende, und alles, was dort an wirklicher Bildung vorhanden, ist deshalb deutsch in Wesen und Form. Die deutsche Geistesobmacht war auch bis zur neuesten Zeit unter den Dänen so anerkannt, daß die bedeutendsten Männer ihrer Literatur, die Baggesen, Oehlenschläger, Hauch und Andersen, ihren größten Stolz darein setzten. Deutsch zu schreiben und in der deutschen Literatur mitzuzählen. Wäre Deutschland früher schon eine politische Macht gewesen, statt nur eine »Nation von Denkern« zu sein, so hätte dieses für Dänemark sicherlich nur heilsame Verhältnis nie in Frage gestellt werden können. So aber zogen in Kopenhagen die deutschen Einflüsse, weil sie eben nur ideelle waren, gegenüber den materiellen der russischen, französischen und englischen Politik stets den kürzern, und wie Russen, Franzosen und Engländer, wenn es galt, Deutschland zu benachteiligen, in dänischen Dingen sich am Ende recht wohl zu vertragen wußten, hat das schandbare Londoner Protokoll von 1852 sattsam bewiesen. Freilich, auch zwei deutsche Großmächte haben sich nicht gescheut, ihre Namen unter dieses Aktenstück zu setzen, das tüchtigste deutsche Volksstämme mit gebundenen Händen der von Rußland, Frankreich und England inspirierten dänischen Gewaltherrschaft überlieferte.

Faul war an Dänemark mehr als etwas schon zur Zeit König Friedrichs V., welcher durch seine zweite Heirat mit Juliane von Braunschweig, die ihm den an Körper und Geist nur halbfertigen Prinzen Friedrich gebar, ein weiteres böses Verhängnis in sein Haus brachte. Denn das über die Maßen ehr- und herrschsüchtige Weib konnte von Anfang an den Gedanken nicht ertragen, daß dereinst nicht ihr Sohn, sondern der einer andern, ihrer Vorgängerin, den Thron einnehmen sollte. Und Juliane war zu fürchten, denn wennschon beschränkten Geistes, verstand sie doch zweierlei: die Kunst, zu hassen, und die noch schwerere, Zeit und Gelegenheit zur Befriedigung ihres Hasses abzuwarten. Sie haßte ihren Stiefsohn Christian, und es sollte eine Stunde kommen, wo dieser lange hinuntergewürgte Haß zu offenem Triumph ausschlug.

Es ist eine der bedeutsamsten, aber immer noch zu wenig betonten Tatsachen des 18. Jahrhunderts, daß vom Beginn desselben bis gegen die Epoche der großen Eruption von 1789 hin die Völker durch die Fürsten zum Revolutionsmachen recht eigentlich angeleitet wurden. Die ganze bezeichnete Periode erfüllte der Tumult des Wühlens und Umwälzens von oben herab. Die Reste der mittelalterlich-ständischen Verfassungen standen einem absoluten Monarchismus im Wege, wie ihn Ludwig XIV. zu einem verlockenden Muster und Vorbild gemacht hatte. Daher überall, selbst England nicht ausgenommen, das revolutionäre Streben der Herrscher, die ständischen Rechte auf leere Formen zurückzuführen oder auch ganz zu vernichten, um die souveräne Willkür der fürstlichen Persönlichkeit zum einzigen Motiv des Staatslebens zu machen. Jedermann weiß, daß diese monarchische Wühlerei mit sehr wenigen Ausnahmen vollständig gelang. Ebenso, daß ungefähr vom Jahre 1740 an der so begründete Despotisme brutal (rohe Despotismus) zum Despotisme éclairé (erleuchteten oder aufgeklärten Despotismus) sich umwandelte, dessen Helle freilich in vielen Fällen nur die eines Pfenniglichts war. Man hat überhaupt den sittlichen und politischen Gehalt des vielgepriesenen »aufgeklärten Despotismus«, selbst des von einem großen Fritz gehandhabten, nach seinem wahren Wert erst dann schätzen gelernt, als er, von 1792 bis 1806, von Valmy bis Jena, im Zusammenstoß mit der revolutionären Volkskraft so jämmerlich zuschanden geworden war.

Auch in Dänemark hatte eine Revolution von oben herab schon im 17. Jahrhundert stattgefunden (1660), welche die ständische Verfassung vernichtete, die Vorrechte des Adels nur noch dem Volke, nicht mehr der Krone gegenüber aufrechterhielt und den unbeschränkten Sultanismus herstellte. Indessen der neue Sultan, König Friedrich V., war mehr ein scheinbarer als wirklicher. Je nachdem die Vertreter der fremden Höfe zu Kopenhagen über mehr diplomatische Feinheit oder über mehr diplomatische Brutalität, über mehr Gewandtheit im Ränkespiel oder über mehr Geld zu verfügen hatten, war die Macht bald beim russischen, bald beim französischen Gesandten, mitunter auch beim englischen, welche abwechselnd die dänischen Minister und durch diese den König gängelten oder kommandierten. Wie da gewirtschaftet wurde, läßt schon der Umstand erraten, daß gegen eintausendvierhundert französische Abenteurer, meist von der niedrigsten Sorte, im dänischen Zivil- und Militärdienst angestellt waren. Der Gesandte Frankreichs hatte dem König unter anderen vortrefflichen Franzosen auch einen Künstler empfohlen, der eine Statue des Fürsten anfertigte, die nach und nach 700 000 Taler kostete, ohne fertig zu werden. Als Friedrich V. im Jahre 1766 starb, befand sich der Staat in trostloser Zerrüttung: Heer und Flotte verkommen, die Staatsschulden furchtbar angeschwollen, die Steuerkraft des Landes erschöpft, die Sitten der höheren Klassen verpestet, die unteren ausgesogen, verarmt und murrend. In dieses Chaos von Frivolität, Not und Unzufriedenheit sollte der erst siebzehnjährige neue König Ordnung bringen. Man hoffte auf ihn als einen Erneuerer Dänemarks.

2.

Die auf Kronprinzen gesetzten Hoffnungen unglücklicher Völker sind, wie das in der Natur der Sache liegt, gewöhnlich so verstiegen, daß sie schlechterdings nicht in Erfüllung gehen können. Christian VII. jedoch hatte als Kronprinz in der Tat zu ungewöhnlichen Erwartungen berechtigt. Er war unter strenger, vielleicht nur zu strenger Leitung zu einem wohlgestalteten, geistig aufgeweckten und gebildeten Jüngling herangewachsen. Wir legen nicht sehr großen Wert darauf, daß der Prinz zu Anfang des Jahres 1763 in Gegenwart des Königs und der höchsten Staatsbeamten in den wissenschaftlichen und literarischen Disziplinen »mit bestem Erfolg und großem Beifall« ein Examen bestand. Man weiß ja, wie es bei solchen Prüfungen herzugehen pflegt. Dagegen betonen wir, daß der englische Gesandte im März 1764 an seinen Hof über den Prinzen berichtete: »Er hat ein angenehmes und männliches Äußere, eine ausgezeichnete und einnehmende Gestalt, eine mit Würde verbundene Gewandtheit und Umgänglichkeit« – und daß der französische Gesandte wenige Tage vor dem Tode Friedrichs V. nach Paris schrieb: »Der Kronprinz ist sehr liebenswürdig und von einnehmendem Äußern. Er besitzt Feinheit, Geist und Klugheit. Man hat ihn sehr gut erzogen und mit Erfolg unterrichtet. Er versteht vollkommen Dänisch, Deutsch, Französisch und so ziemlich Lateinisch.«

Freilich ist das hier dem Prinzen gespendete Lob einer guten Erziehung sofort einzuschränken, denn man hatte dabei unabsichtlich oder absichtlich die Hauptsache vergessen, nämlich den jungen Menschen für seine künftige Bestimmung zu erziehen. Man hatte ihm keine Gelegenheit gegeben, sich über die Zustände des Landes zu unterrichten, das er künftig als absoluter Monarch regieren sollte: er hatte, bevor er König wurde, niemals mit öffentlichen Geschäften sich befaßt, ja sogar niemals einer Ratsversammlung beigewohnt. Man hatte auch unterlassen, ein lebhaftes Bewußtsein seiner Pflicht in ihm zu erwecken und zu befestigen. Es war viel natürliche Begabung in ihm, selbst ein Stück Genialität, er wußte auch etwas, manches sogar; aber er wußte gerade das nicht, was er am meisten hätte wissen sollen. Ihm mangelte die Kenntnis vom Ernste des Lebens, von der Bedeutung der Arbeit und der Pflicht und – er hatte das Unglück, mit siebzehn Jahren ein unumschränkter König zu werden. Ob als unreifer oder als überreifer Knabe auf den Thron gelangt, gleichviel, das allein schon mußte ausreichen, ihn zugrunde zu richten.

Im Vorgefühl des herannahenden Todes hatte Friedrich V. lebhaft gewünscht, den Kronprinzen verheiratet zu sehen, und die zu diesem Zweck begonnenen Unterhandlungen mit dem englischen Hofe waren im Jahre 1765 in lebhaftem Gange. Zur Braut Christians war nämlich die damals vierzehnjährige, schöne, anmutige und geistvolle Prinzessin Karoline Mathilde ausersehen worden, Schwester König Georgs III. Im Juli des genannten Jahres kam das Bildnis des jungen Mädchens von London herüber und wurde über dem Schreibtisch des dänischen Kronprinzen aufgehängt. Er betrachtete es »mit Vergnügen« und gab seinen Beifall und seine Zustimmung »in Ausdrücken des Entzückens« zu erkennen. Auch noch im Mai 1766, als er bereits König war, erwartete Christian, wie es schien, von dieser Verbindung sein Lebensglück. Der englische Gesandte schrieb damals: »In diesem Augenblick wünscht der König ungeduldig die Vollziehung seiner Heirat, und da er bis jetzt nicht in anderer Weise eingenommen ist, so hat man große Ursache zu glauben, er werde zufrieden sein, in dieser Verbindung sein Glück zu finden.«

Im Spätherbst 1766 kam die fünfzehnjährige Braut in Kopenhagen an. Ihr Auftreten war ein sehr gewinnendes, und höchst erfreut berichtete der englische Gesandte: »Die Prinzessin scheint überall, wo sie sich zeigt, Beifall und Liebe zu finden, und ihre näheren Umgebungen preisen einstimmig und aufs höchste ihre Gemütsart und ihr Benehmen.« Das englische Kabinett traute aber dieser Begeisterung nicht so ganz. Die Jugend der Prinzessin mußte um so mehr Besorgnis erwecken, als auch der König, ihr Gemahl, sozusagen noch ein Kind war. Es erging daher vom Hofe von St. James an den englischen Agenten in Kopenhagen als Antwort auf dessen obige Auslassung die warnende Äußerung: »Ihre Majestät tritt in den wichtigsten Abschnitt ihres Lebens. Sie ist in so zartem Alter fast einsam in einen fremden, weiten Ozean hinausgeschleudert, wo es nötig sein dürfte, die höchste Sorgfalt und Klugheit anzuwenden und mit besonnener Genauigkeit zu steuern, damit sie zugleich die Liebe ihres Hofes und Volkes gewinne und die Würde der hohen Stellung zu bewahren wisse, zu der die Vorsehung sie berufen hat.«

Die Warnung war nicht ohne Grund. Es drängt sich die Annahme auf, daß Christian in der Zeit zwischen seiner Verlobung und Vermählung doch »in anderer Weise eingenommen worden sei«. Wie wäre das auch anders möglich gewesen, da den aus der Schulstube plötzlich auf den Thron erhobenen jungen König die höfische Gemeinheit und Betriebsamkeit gewiß mit Versuchungen umgeben hat, denen ein bisher streng gehaltener und dann ohne Vorbereitung zum Vollgenuß der Macht gelangter Knabe von siebzehn Jahren unschwer erliegen mußte? Alles zusammengehalten, stehe ich nicht an, zu behaupten, daß gerade zur bezeichneten Zeit die schlimmsten Einflüsse auf die Sinne und den Geist des jungen Fürsten geübt worden sein müssen, und das Folgende bestätigt meine Behauptung. Am 8. November 1766 fand die Vermählung Christians VII. mit Mathilde statt, und schon am 25. November hatte der scharfblickende französische Gesandte Ogier Veranlassung, nach Paris zu berichten: »Die Prinzessin hat auf das Herz des Königs fast gar keinen Eindruck gemacht und würde auch bei noch größerer Liebenswürdigkeit dasselbe Schicksal gehabt haben. Denn wie könnte sie einem jungen Fürsten gefallen, der allen Ernstes glaubt, es gehöre nicht zum guten Ton ( n'est pas du bon air), seine Frau zu lieben?« Eine hübsche Probe fürwahr von den Wirkungen der im 18. Jahrhundert unbedingt gültigen Mätressenlehre. Man sieht, der arme Christian hatte binnen wenigen Monaten einen reißend schnellen Kursus in der Sittenverderbnis seiner Zeit mit Erfolg durchgemacht.

3.

Die junge Königin, lebhaften Geistes, gutmütig, harmlos, nur nach den ihrem Alter so natürlichen Fröhlichkeiten und Zerstreuungen dürstend, hätte sich begnügt, die Frau ihres Mannes zu sein, wenn eben Christian der Mann seiner Frau gewesen oder vielmehr geblieben wäre. Denn daß er sich wenigstens anfangs eine Weile lang bemühte, es zu sein, bewies die Geburt des Kronprinzen, den Mathilde am 22. Januar 1768 zur Welt brachte, und der nachmals als Friedrich VI. König von Dänemark wurde. Allein es steht dessenungeachtet fest, daß es der Königin niemals gelang, einen heilsamen Einfluß auf Christian zu gewinnen, und die arme junge Frau mußte sich bald tödlich langweilen an der Seite eines Gemahls, bei welchem wenige Jahre die seltsamste Umwandlung zuwege brachten.

Um es kurz zu sagen, aus dem geistreichen, ziemlich wissenschaftlich gebildeten, liebenswürdigen und vielversprechenden Prinzen wurde ein Simpel von König, ein Simpel in des Wortes simpelster Bedeutung.

Die Erklärung ist sehr leicht. Wenn ein siebzehnjähriger Junge sich in Ausschweifungen stürzt, wie sie allenfalls ein Mann in der Vollkraft seiner Jahre wenigstens eine Weile ohne allzu nachteilige Folgen auszuhalten vermag, so muß die Reaktion der beleidigten Natur furchtbar sein … Hatte Verführung stattgefunden? Ohne Zweifel. Wie jeden Thron, umkroch auch den des jungen Christian jenes Ungeziefer von vornehmen und geringen Lakaien, in deren Glücksrechnung die Sittenlosigkeit und Torheit der Fürsten die Hauptziffer ausmacht. Aber war die Verführung eine systematische? War sie eine politische, d. h. dynastische oder, ohne Umschweife zu sprechen, eine stiefmütterliche Spekulation gewesen? Die Frage drängt sich einem auf, ist aber nicht mit Bestimmtheit zu beantworten. Ich habe mir Mühe gegeben, eine Gewißheit darüber zu erlangen, allein ohne Erfolg. Es ist schlechterdings kein urkundlicher Beweis für die Schuld der Königinwitwe Juliane nach dieser Richtung hin beizubringen. Und doch würde ich als Mitglied einer Geschworenenbank, welche nach moralischer Überzeugung urteilen darf, keinen Augenblick anstehen, mit voller Gewissensruhe den Wahrspruch: Schuldig! zu geben. Denn es ist Tatsache, daß Juliane ihren Stiefsohn bitterlich haßte, ein Haß, den sie auch auf die junge Königin übertrug, seitdem diese einem Kronprinzen das Leben gegeben; und es ist ferner Tatsache, daß die Vorteile, welche aus der Unfähigkeit Christians entsprangen, sein Königsamt zu üben, über kurz oder lang seiner Stiefmutter und ihrem Sohne Friedrich zufallen mußten. Wenn Juliane so rechnete – und die Härte ihres Herzens, die Tücke ihrer Sinnesart bürgen uns dafür, daß sie so rechnete – übersah sie nur, daß sich eine kleine und anfangs gar nicht beachtete Ziffer in ihre Rechnung einschob und deren ganze Endsumme in Frage stellte, wenigstens eine Zeitlang.

Die traurige Veränderung, die mit dem Könige vorgegangen, verriet sich zunächst in zwei Anzeichen: in einem in aufgedunsener Starkgeisterei sich gefallenden, namentlich gegen religiöse Dinge frivol sich auslassenden Witz, der sich etwas darauf zugute tat, an etlichen verknöcherten Mitgliedern des Ministeriums oder an den Holzköpfen der Anstifter und Teilhaber seiner Orgien eine boshafte Schärfe zu üben; sodann in einem maßlosen Ekel an allen Geschäften, in einer unbesieglichen Teilnahmlosigkeit für alles Ernste, Rechte und Tüchtige. Die leibliche und geistige Krankheit war schon zum Stadium der Blasiertheit vorgeschritten, hinter dem der Blödsinn lauerte.

Wie es bei so bewandten Umständen am dänischen Hofe herging, wie Dänemark regiert wurde, kann sich ein Pessimist leicht vorstellen, ohne daß er der Schwarzseherei beschuldigt werden dürfte. Im Kabinett saßen allerdings zwei Männer, denen sich Tüchtigkeit und Redlichkeit nicht absprechen ließ: die Grafen Reventlow und Tott; aber neben ihnen auch der habsüchtige Ränkespinner Graf Moltke und der ewig zwischen kleinlichen Rücksichten und Bedenken unschlüssig zappelnde alte Baron Bernstorff. Es ist der Segen der Monarchie, daß eine auch nur halbwegs tüchtige Persönlichkeit auf dem Thron unendlich viel leichter als das gewählte Oberhaupt eines Volksstaats das Gute und Fördernde schaffen kann; es ist ihr Fluch, daß ein schlechter Fürst dem ganzen Staatsleben alsbald das Gepräge seiner Nichtswürdigkeit aufdrückt. Der jungen Königin, die statt auf Lebensgenuß so frühzeitig schon auf Beobachtung und Nachdenken angewiesen war, konnte es nicht entgehen, daß die Staatsgeschäfte in schlechten Händen lagen. Dank ihrer englischen Erziehung war sie nicht so unwissend und teilnahmlos in politischen Dingen, wie die Frauen des Kontinents damals es waren. Als Königin und Mutter mußte sie sich aufgefordert fühlen, die Hand an das Steuerruder zu legen, das die schlaffe Hand ihres Gatten mit Ekel von sich gestoßen hatte. Es fehlte der armen jungen Frau auch nicht an einiger Gabe zum Regieren, wohl aber fehlte ihr die Erfahrung, sowie die gehörige Dosis Menschenkenntnis und Menschenverachtung. Wäre letztere nicht ein unumgängliches Zubehör der Regierungskunst, wie erklärte es sich, daß die Menschen gerade von ihren größten Verächtern, den schamlosesten Despoten, am willigsten sich regieren lassen? Man werfe mir nicht ein: nur eine Weile. Diese »Weile« war und ist oft sehr lang, und alles Menschliche währt ja überhaupt nur eine kürzere oder längere Weile.

Da schon im Jahre 1768, während die Königinwitwe Juliane draußen im Schlosse Friedensburg schmollte und maulte und lauerte, einer bissigen Spinne gleich bereit, bei gegebener Veranlassung aus dem Winkel ihres eifrig gewobenen Intrigennetzes hervorzubrechen – ja, da schon im Jahre 1768 Mathilde sich versucht fühlte, ihre schönen kleinen Hände in Staatssachen zu mischen, so ist es zwar nicht ausgemacht, aber ziemlich wahrscheinlich, daß sie auch den Anstoß zu dem Versuche gab, den König mittels einer Reise in fremde Länder aus seiner physischen und moralischen Versunkenheit aufzustacheln. Wenigstens war dieser Reisegedanke ein echt englischer, obgleich gerade die Engländer neben den Franzosen mit dem wenigsten Nutzen reisen, weil sie, während die Franzosen in ihrer Eitelkeit überall bloß sich selber sehen, eingeeist in die Vorurteile ihres John-Bullismus häufig nur als zweibeinige Reisehandbücher durch die Welt stelzen. König Christian ging also auf Reisen. Er durchfuhr in den Jahren 1768 und 1769 Deutschland, Frankreich, Holland und England, wo ihn die Universität Oxford zum Doktor der Rechte promovierte, welche Doktorpromotion gleich vielen andern Oxforder Doktorpromotionen der Genius der Narrheit auf einer der lachendsten Seiten seiner Denkwürdigkeiten verzeichnet hat.

Die Reise tat wirklich einige Wirkung auf den beklagenswerten Monarchen. Er gab sich unmittelbar nach seiner Heimkehr mit mehr Anstand und Würde, bezeigte einiges Interesse an ernster Unterhaltung und schob wenigstens die Geschäfte nicht unbedingt beiseite. Schon glaubte die arme Mathilde an eine günstige Veränderung; allein dieser Glaube konnte kaum etliche Wochen bestehen. Die alten schlimmen Gesellen umgaben wieder den König, und mit ihnen kehrten auch die alten Torheiten und Laster, die albernen Spiele und Ausschweifungen zurück. Die Königin, welche bislang ihre Tugend und ihren Ruf so fleckenlos bewahrt hatte, daß selbst die Verleumdung, ja, was noch mehr sagen will, selbst Giftspinne Juliane ihn nicht anzutasten wagte, mußte mit bitterem Schmerze zusehen, wie Christian den letzten Rest seiner Geisteskräfte vergeudete in einem Kreise von zugleich knabenhaften und schamlosen Bacchanalien und Orgien, deren Zeremonienmeister der junge Graf Holk war.

In diesem Wüstlingstreiben wurde Christian der Blasierte Christian der Blödsinnige. Man mußte, um dem Volke den Anblick eines Königs dieser Art zu entziehen, schon jetzt Einrichtungen treffen, die nachmals unter der faktischen Regentschaft der Königin und ihres Günstlings, dann unter der Julianes und ihrer Kreaturen, endlich unter der des Kronprinzen lange Jahre bestanden haben. Adam Öhlenschläger hat aus bester Quelle in seinen Lebenserinnerungen folgende bezeichnende Züge aus der Krankheitsgeschichte des Königs überliefert. Mitunter hielt es ziemlich schwer, ihn zu der Königsarbeit des Unterschreibens zu bewegen. Wenn man ihm aber das Wort »Absetzung« drohend ins Ohr flüsterte, wurde dem armen Simpel angst und bange und er unterzeichnete alles mögliche. Störenden Ausbrüchen seiner Krankheit suchte man durch Vorsicht vorzubeugen. So waren die Pagen angewiesen, bei der Tafel seinen Stuhl festzuhalten, wenn er zuweilen aufstehen wollte, um die andern am Essen zu verhindern. Es war am Hofe verboten, mit ihm zu reden und ihm zu antworten, wenn er fragte, um alle unliebsamen Äußerungen königlicher Machtvollkommenheit zu hindern, welche Machtvollkommenheit dem Namen nach fortbestehen blieb. Mitunter kamen aber doch wunderliche Ansprüche an den König und wunderliche Proben seiner Macht zutage. So lockte ein mutwilliger Page den König eines Tages in einen Winkel und sagte da zu ihm: »Verrückter Rex, mach mich zum Kammerjunker!« Ein andermal schuf der König wirklich einen Kammerherrn. Er war nämlich genötigt worden, für einen Menschen, den er nicht leiden konnte, die Bestallung als Kammerherr zu unterschreiben. Den Augenblick darauf kam einer der Ofenheizer ins Zimmer, angetan mit seinem gelben Wams, die Mütze mit des Königs Namenszug auf dem Kopfe, eine Bürde Brennholz auf dem Rücken. »Hör' mal, du« – fragt der König – »willst du Kammerherr sein?« … »Hm, das wäre nicht so übel; aber wie soll ich's anstellen, es zu werden?« … »Oh, nichts leichter als das. Folg' mir.« Und der König nahm den Knecht, wie dieser stand und ging, bei der Hand und führte ihn aus seinem Kabinett in den Saal, wo gerade der ganze Hof versammelt war. Er trat mit seinem Klienten in die Mitte der Versammlung und rief mit lauter Stimme: »Ich ernenne diesen Mann zum Kammerherrn.« Weil die Fiktion, Christian VII. sei absoluter Landesherr, aufrechterhalten werden sollte, mußte man sich diese Ernennung, worin sich der Humor der Verrücktheit aussprach, schon gefallen lassen; aber man kaufte dem glücklichen Hausknecht seine Kammerherrnschaft um den Preis eines kleinen Bauerngutes ab.

Graf Holk, ein gedankenloser Lebemensch, hatte nicht immer Lust oder Zeit, den blödsinnigen König zu unterhalten. Er überließ ihn daher häufig der Gesellschaft eines Negerknaben und eines Negermädchens, die Christians liebste Spielgefährten waren. Kinder und Narren haben bekanntlich eine gleich heftige Neigung, Unfug zu treiben. Christian hatte also seine große Freude daran, unter Beihilfe der beiden Schwarzen im Schlosse Fensterscheiben und Porzellanzeug zu zerschlagen und im Garten die mythologischen Statuen zu köpfen. Zur Abwechslung zerrte, balgte und biß er sich mit dem kleinen Mohren und der kleinen Mohrin auf dem Boden herum. Von Zeit zu Zeit trat wohl auch etwas ein, was einem lichten Momente gleichsah. So trat der König eines Abends plötzlich in eine Galasoiree bei Hofe, winkte der rauschenden Gesellschaft mit der Hand und rief gebieterisch: »Stille!« Der ganze Schwarm staunte und starrte lautlos, und nun stellte sich der arme, ins Lächerliche übersetzte Hamlet hin und trug mit hohem Ernst und tiefem Gefühl die Mahn- und Strafode Klopstocks »An die Fürsten« vor. Dies getan, schlug er die Hände klatschend zusammen, lachte laut aus, drehte sich auf dem Absatz herum und ging weg …

Es liegt im Wesen des Absolutismus, daß man nicht recht wußte, wie diesem desperaten Dinge beizukommen wäre. Anderwärts, vorab in Rußland, wußte man sich in solchen Fällen zu helfen: man »verdünnte« den tollgewordenen Absolutismus durch vergifteten Burgunder oder auch durch Servietten und Schärpen. Der König von Dänemark war regierungsunfähig, kein Zweifel; aber seine Person, ob auch eine verrückte, präsentierte nicht nur, nein, war die Souveränität. So ging denn die Staatsmaschine ihren lottrigen und schlottrigen Gang. Wer gerade Mut oder List genug besaß, in diesem anarchischen, halb blödsinnigen Getriebe das Hauptrad vorzustellen, der konnte es für eine Weile, d. h. gerade so lange, bis ein Mutigerer oder Listigerer über ihn kam. Endlich kam einer, der das Aussehen eines zugleich Mutigsten und Listigsten hatte, und die Königin Mathilde, froh, eine ihrer Meinung nach verläßliche Stütze gefunden zu haben, eilte, ein Bündnis mit ihm zu schließen.

4.

Neben den Schemen von König trat nämlich die Gestalt eines Mannes, der den Mut hatte und das Zeug zu haben schien, das Königsspiel zu spielen – Johann Friedrich Struensee, im Jahre 1768 als Leibarzt in die Umgebung Christians gekommen und sein Begleiter auf der oben erwähnten Reise. Vor seiner Erhebung zu schwindelnder Höhe voll Klugheit, Geschmeidigkeit, Geduld und Selbstbeherrschung, hatte er seine vertraute Stellung zu dem unglücklichen Monarchen meisterlich zu benutzen verstanden. Er war bereits der Herr seines Herrn, als der leichtsinnige Graf Holk noch keine Ahnung davon hatte. Die Art und Weise, wie Struensee diesen offiziellen Günstling des geistesschwachen Königs auch in betreff der Königin überlistete und bei dieser einen großen Stand gewann, ist sehr bezeichnend für die damaligen dänischen Hofzustände.

Mathilde hatte vollwichtigen Grund, den Grafen als einen Hauptverderber ihres Gemahls zu verabscheuen, und da sie in Struensee nur ein Werkzeug Holks sah, so erstreckte sich ihr Abscheu auch auf den Leibarzt. Der übermütige Holk machte nun mit dem Hasse der Königin sozusagen Parade und fand ein knabenhaftes Vergnügen daran, der armen Fürstin die Gegenwart Struensees so oft wie möglich aufzudrängen, indem er den König bestimmte, den Leibarzt mitzunehmen, so oft er in die Zimmer seiner Gemahlin ging. Struensee zögerte nicht, die Gelegenheit auszunutzen. Er wußte durch ein ehrfurchtvolles, zartes, an Rührung streifendes Benehmen den in den Augen der Königin funkelnden Zorn bald zu beschwichtigen. Mathilde bemerkte mit wohlgefälliger Überraschung, daß ihr von seiten eines Mannes, den sie für einen Feind gehalten, die ehrerbietigste Huldigung entgegengebracht wurde. Im Jahre 1770 war es schon so weit, daß sie ihm vertraute, ja daß sie einen Freund in ihm sah. Gerade damals handelte es sich darum, dem kleinen Kronprinzen die Pocken einzuimpfen, welche Operation zu jener Zeit als eine unendlich viel schwierigere angesehen wurde denn heutzutage. Struensee vollzog sie mit bestem Erfolge, was ihm das Herz der Mutter gewann, nachdem ihm seine gewandten und glücklichen Bemühungen, Mathilden einen überwiegenden Einfluß auf ihren königlichen Gatten zu verschaffen, bereits das Vertrauen der Königin gewonnen hatte.

Auch die Neigung des Weibes sollte dem Glücklichen nicht entgehen. Nachdem er mit der Leitung der Erziehung des Kronprinzen beauftragt, mit dem Titel eines Konferenzrats ausgestattet und zum Vorleser der Königin ernannt worden war, hatte er in der letzteren Eigenschaft häufig Gelegenheit, mit Mathilde allein zu sein. » Solus cum sola non solent orare paternoster« (Wenn einer mit einer allein ist, so pflegen sie nicht Vaterunser zu beten). Die alte Kupplerin Gelegenheit tat auch hier ihr Werk. Ein Mann in der Blüte des Mannesalters stehend, fein, gebildet, kenntnisreich, gewandt und skrupellos, und eine schöne feurige Frau von neunzehn Jahren, einsam stehend, verlassen, der Form nach an einen entnervten Wüstling gekettet, der aus einem überreizten Knaben zum impotenten Greise geworden – ach, man weiß aus Dante, was daraus wird, wenn unter Umständen ein Mann und eine Frau allein sind und Lektüre treiben Jeder errät, daß ich auf die wunderbar schöne Episode von Paolo und Francesca im fünften Gesange des Danteschen Inferno hindeute, wo die unglückselige Heldin dem wandernden Dichter erzählt:
»Noi leggiavamo un giorno, per diletto,
Di Lancilotto, come amor lo strinse:
Soli eravamo e senza alcun sospetto.
Per più fiate gli occhi ci sospinse
Quella lettura, e scolorocci 'l viso
Ma solo un punto fu quel, che ci vinse.
Quando leggemmo il disiato riso,
Esser baciato da cotanto amante;
Questi, che mai da me non fia diviso,
La bocca mi baciò tutto tremante:
Galeotto fu il libro e chi lo scrisse –
Quel giorno più non vi legemmo avante.
«
(Wir lasen eines Tags der Kurzweil wegen,
Welch Liebesnetz den Lanzelot gebunden;
Allein wir zwei und ohne Arg zu hegen.
Oft hatten unsre Augen sich gefunden
Beim Lesen, und wir fühlten uns erbleichen.
Doch eine Stelle hat uns überwunden,
Als wir gelesen, wie vom Mund, dem weichen,
Ersehntes Lächeln küßt solch hoher Streiter –
Da trieb es, bebend mir den Mund zu reichen,
Auch den hier, der nun ewig mein Begleiter:
Galeotto war das Buch und der's gedichtet.
An diesem Tage lasen wir nicht weiter …).
.

Schon die Art, wie Struensee und Mathilde zusammengeführt wurden, hat etwas Poetisches, etwas die Phantasie wie das Mitgefühl Ansprechendes. Auch ist die Unglücksgeschichte der beiden ohne Frage eine der romantischsten Episoden ihres Jahrhunderts, und es bedürfte nur eines dänischen Walter Scott, um daraus einen historischen Roman ersten Ranges zu formen. Zu einem solchen reicht der Stoff vollauf aus. Aber gerade deshalb mußte es mißlingen, den Struensee zum Helden der Tragödie zu erheben. Viele Poeten, und darunter ganz hübsche Talente, haben sich mit dieser undankbaren Arbeit abgemüht, ohne einen nennenswerten Erfolg zu erzielen. Die Ursache liegt nahe. Struensee war kein Held, nicht einmal ein Original; er war kein Charakter, sondern bloß ein Typus seiner Zeit und, seiner unzweifelhaften Begabung ungeachtet, am Ende doch nur ein gewöhnlicher Glückspilz. Nicht allein das Unglück, sondern auch das Glück ist ein »Prüfstein der Gemüter«. Es unterwarf den Mann einer Probe, und er bestand sie schlecht. Übermütig und maßlos im Glücke, zeigte er sich im Mißgeschick verzagt, feig, niederträchtig sogar. Das Glück, anfangs von ihm nicht ungeschickt benutzt, spielte ihm ein Königszepter in die Hand: er ließ es sich von Leuten, die an Verstand weit unter ihm standen, schmählich wieder entwinden. Eine Königin, jung und schön wie ein Maimorgen, schenkte ihm ihre Liebeshuld: er verriet sie. Er hatte sich etwas damit gemeint, ein erklärter Freigeist zu sein, und er starb wie ein zerknirschter Pietist. Nein, das war kein tragischer Held. Selbst der Genius eines Schiller wäre daran erlahmt, ihn zu einem solchen zu machen.

Ein beachtenswerter Umstand ist, daß Struensee keineswegs die Eigenschaften besaß, die man der gewöhnlichen Voraussetzung zufolge besitzen muß, um den Frauen zu gefallen. Er war kein liebenswürdiger Mann im herkömmlichen Sinne des Wortes. Der englische Botschafter, der ihm nicht abgünstig war, äußerte in einer Depesche vom April 1771 ausdrücklich, daß Struensee »in seinen Gesprächen nichts von der Lebhaftigkeit und Anmut zeige, wodurch sich andere den Weg zur Gunst bahnten. Seine Art, sich zu gebaren und auszudrücken, ist trocken und sogar unangenehm, so daß es ein Gegenstand allgemeiner Verwunderung war, wie er es angefangen habe, einen so unbedingten Einfluß auf den König und die Königin zu gewinnen.« Ferner schreibt der Gesandte dem Günstling zwar »nicht unbeträchtliche Kenntnisse zu«, spricht ihm aber staatsmännische Befähigung und politischen Takt ab. Es mangelte ihm auch eine ausreichende Einsicht in die dänischen Verhältnisse. Von Eitelkeit sei er ziemlich frei, nicht aber von einem übermäßigen Selbstvertrauen, das nicht selten in »Unverschämtheit« ausarte. Der Gesandte gibt aber doch einen Schlüssel zu dem Rätsel von Struensees beispiellos schnellem Steigen, indem er betont, daß er »kühn und unternehmend« sei.

Das gefällt bekanntlich den Frauen und gefiel auch Mathilde. Sie merkte nicht, daß Struensees Mut kein probehaltiger sei. Oder müssen wir ihr Verhältnis zu ihm etwa auf die unliebsame Art der Frauen zurückführen, nur allzugern den Schein dem Wesen vorzuziehen? Nichts ist leider gewisser, als daß die Frauen nur zu sehr geneigt sind, das Ordinäre zu bevorzugen, was sich etwelchen Anstrich von Außergewöhnlichem zu geben weiß, und an dem wirklich Bedeutenden teilnahmlos vorüberzugehen, wenn dieses ihrer aus denkträger Phantastik entspringenden Laune nicht gefällig sich darstellen kann oder will. Ach, die weibliche Laune! Sie bestimmt die Neigungen der Frauen in der Liebe wie in der Literatur. Der große »Herzenskündiger«, ein weisester Dichter, hat uns die Elfenkönigin Titania vorgeführt, wie sie an einen Eselskopf, an einen Eselskopf im wörtlichen und figürlichen Sinn, ihre Zärtlichkeit verschwendet. Ich fürchte, es ist eine leidige Tatsache, daß nicht bloß in Sommernachtsträumen, sondern auch gar häufig in der Wirklichkeit schöne und schönste Hände Eselsköpfe liebkosen. Warum nahmen und nehmen die Clauren und Hackländer, was immer für Namen sie haben mögen, in der Lektüre der Frauen allzeit einen so breiten Raum ein? Weil die Clauren ihren schönen Leserinnen nicht zumuten, zu denken, und weil sie ihre Nichtigkeit, Hohlheit und Gemeinheit hinter einem mit gleißendem Flitter gestickten Flor zu verstecken wissen. Wehe dem Autor, der diesen Flor anzuwenden verschmäht oder vergißt, und wäre es auch nur der Schatten einer Idee von einem Flor. Die Frauen haben durchschnittlich keine Empfänglichkeit und kein Verständnis für die keusche Nacktheit der Schönheit, und die herbe Nacktheit der Wahrheit erschreckt sie. Um gerecht zu sein, sie können nichts dafür: es liegt das in ihrer Natur. Es hat wohl nie eine wunderbarere Versinnlichung des »Ewig-Weiblichen« gegeben als die Venus von Medici. Sie ist hüllenlos, allein sie bemüht sich, wenigstens ihre Hände zu einem Flor zu machen. Ein ungalanterer Mann als ich würde sagen: sie kokettiert mit der Schamhaftigkeit. Etwas Koketterie gehört allerdings zu den Elementen, aus denen das schönste Wesen der Schöpfung zusammengesetzt ist, genannt Weib. Darum lieben die Frauen Schminken, Schleier, Masken und Schönpflästerchen aller Art. Das Weib will durchaus mehr scheinen als sein und verlangt das auch von den Männern. Auf der weiten Erde gibt es vielleicht kaum drei Frauen, die den Shakespeare wirklich und wahrhaft kennen, ehren und lieben. Warum? Weil er die Dinge mit ihren Namen nennt, weil er natürlich ist wie die Natur, nackt, wahr bis in die innerste Fiber.

5.

Mit dem Vorstehenden sollte nicht etwa angedeutet werden, daß Struensee ein Dummkopf und Mathilde eine schamlos sich wegwerfende Frau gewesen sei, sondern nur, daß Liebe und Ehrgeiz Verbindungen eingehen können, die jeder Berechnung spotten. Daß auf seiten Struensees keine wahre Liebesleidenschaft im Spiele gewesen – er hatte nichts vom Schlage Romeos – scheint ausgemacht. Auch die Königin mag anfangs mehr für ihren Ehrgeiz als für ihr Herz von Struensee erwartet haben; denn die schöne Neunzehnjährige hatte sich's in den Kopf gesetzt, zu regieren. Aber nach Frauenart gewann sie das Werkzeug bald lieber als den Zweck, und es unterliegt keinem Zweifel, daß die arme Mathilde eine innige und glühende Neigung für ihren Vorleser hegte und diesem alles gewährte, was eine Frau zu gewähren hat.

Im Sommer 1770 haben sich die beiden gefunden und von da an, anderthalb Jahre lang, zusammen Dänemark regiert. Mit der Staatsweisheit eines Bekenners der alleinseligmachenden » Encyclopédie« Diderots und d'Alemberts Enzyklopädie (1751-72, 28 Bände) war im Geiste des Skeptizismus und des Materialismus gehalten. und mit der Leidenschaftlichkeit einer Frau. Der Beginn dieses Regiments ward markiert durch die plötzliche Entlassung des Grafen Holk, den Uneingeweihte noch immer für den allmächtigen Günstling angesehen hatten. An seine Stelle als erster Hüter und Zeitvertreibes des Königs setzte Struensee zunächst den Kammerjunker Warnstatt, dann den Herrn von Brandt, den er nicht zu fürchten hatte und auf den er sich verlassen konnte.

Man muß Struensee bei aller seiner Unzulänglichkeit und bei allen seinen Mißgriffen die Gerechtigkeit widerfahren lassen, daß er das Beste des Staates wollte. Er war eine leicht, aber nicht unedel angelegte Natur, die erst durch ein märchenhaftes Steigen und einen plötzlichen Sturz vergemeinert wurde. Aus viel weicherem und wertloserem Stoffe gebildet als aus dem Metall, woraus große oder auch nur mittelmäßige Staatsmänner geschmiedet sind, vermochte er weder Glück noch Unglück zu ertragen. Ein Idealist aus der Schule des aufgeklärten Despotismus, begriff er nur das Machen von oben herab, nicht das Pflanzen und Wachsen von unten herauf. Es lag das in der Zeit. Die Staatsräson eines zweiten Friedrich, eines zweiten Josef war im Grunde doch auch nur eine veredelte Schafzuchtpolitik. Wir haben alle Achtung vor diesen »erleuchteten« Despoten, die sich aus den Windeln byzantinisch-christlicher Vorstellungen vom »göttlichen Recht der Fürsten« soweit herausgewickelt hatten, daß sie sich nur als die »ersten Diener des Staats« angesehen wissen wollten; aber wir sagen doch mit dem alten Wieland: »Vor dem Glück, unter dem Zepter sive Stock solcher ersten Staatsdiener leben zu müssen, bewahre uns der Himmel!« Struensee wirtschaftete ganz in dieser Schablonenmanier, welche auf der Ansicht beruhte, es bedürfte, um die Völker vorwärts zu bringen, weiter nichts, als die Grundsätze der französischen »Philosophen« und der deutschen Aufklärer zu verwirklichen, nämlich durch Edikte. Nach Art vieler anderer Weltverbesserer wußte oder bedachte er nicht, daß das Gute den urteilslosen Massen unendlich viel schwerer zuzuführen ist als das Schlechte, daß die absurdesten Vorurteile des Volkes mehr, weit mehr geschont werden wollen als die edelsten Menschenrechte, daß die plumpe Diplomatik von Pintendemagogen ausreicht, die stumpfe Menge Diamanten der Wahrheit wegwerfen und gierig nach Glasperlen der Lüge und des Unsinns greifen zu machen, und daß endlich das Volk jeder Zeit höchst willig war, auf Begehren seiner Feinde seine Freunde zu hassen, zu verfolgen, zu steinigen und zu kreuzigen »Das Volk, das froh in die Hände schlägt
Und jauchzend den Irrtum begrüßt,
Hat keinem, welcher die Wahrheit trägt.
Auch nur eine Stunde versüßt.«
Schefer.
.

Möglich, wahrscheinlich sogar, daß Struensee, falls er länger im Besitze der Macht geblieben, es statt zu bloßen Anläufen zu wirklich ersprießlichem Schaffen und Tun gebracht hätte. Der Anfang seiner Machtübung nach innen und nach außen war so übel nicht. Dänemark hatte seit langem unter der brutalen Diktatur geseufzt, die die Gesandten Rußlands, ein Saldern, ein Filosoffow übten. Struensee zerbrach dieses Joch, und zwar so geschickt, daß die herrschsüchtige Zarin in Petersburg sich wohl oder übel darein finden mußte. Die Leitung der äußeren Politik durch Struensee läßt überhaupt am wenigsten Tadel zu, da sie auf dem verständigen Prinzip beruhte, daß Dänemark mit allen Staaten in Frieden und Freundschaft leben, aber keinem untertan sein sollte und wollte. Nicht das gleiche Lob kann man der von Struensee angestrebten Reform der inneren Verwaltung zollen. Die Tendenz war auch hier im ganzen gut und vernünftig, aber die Ausführung ließ vieles zu wünschen übrig. Überall ein hastiges Dreinfahren und doch nirgends ein rechtes Durchgreifen, ein despotisches Theoretisieren, dem keine Taten folgten, und an sich richtige Entwürfe durch die Einwirkung persönlicher Interessen, persönlicher Sympathien und Antipathien gestört, verwirrt, in ihr Gegenteil verkehrt. So erging es mit den versuchten Finanzreformen, mit dem Versuche der Aufhebung der bäuerlichen Leibeigenschaft, mit dem Versuche einer Umgestaltung des Heer- und Flottenwesens, mit dem Versuche der Einführung unbedingter Preßfreiheit.

Struensees Hauptfehler war, daß er nicht begriff, nicht begreifen wollte, in den staatsmännischen Berechnungen seien nicht abstrakte Begriffe, sondern vielmehr Menschen die Ziffern, womit man zu rechnen habe, Menschen mit allen ihren Schwächen, Torheiten, Vorurteilen und Leidenschaften. In Verkennung dieser großen Tatsache kam er dazu, alle Klassen der Nation gegen sich einzunehmen und zu erbittern. Er stieß den Adel vor den Kopf, ohne die Bauern für sich zu gewinnen, er machte die Offiziere, Soldaten und Matrosen zu seinen Feinden, ohne die Bürger zu seinen Freunden zu machen. Und das tat er unter einem Volke, mit dessen Bildung es nicht weit her war, und dem er demnach schon in seiner Eigenschaft als Fremder verhaßt sein mußte.

Zu alledem kamen leichtsinnige Mißgriffe in der Wahl der Personen, denen der Günstling die höchsten Staatsämter anvertraute. Mit der Einführung des neuen Systems – wenn ein ewiges Experimentieren diesen Namen verdiente – war der alte Bernstorff und die übrigen Minister entlassen und scheinbare oder laue Anhänger wie der Freiherr von Schack-Rathlow und der General Gheler in den Staatsrat berufen worden. Die verhängnisvollste Berufung war jedoch die des Grafen von Ranzau-Ascheberg, eines begabten, aber ränkesüchtigen und gewissenlosen, der hohen Aristokratie des Königreichs angehörigen, aber in seinem Vermögen gänzlich zerrütteten Mannes, der zur Zeit der Verschwörung gegen Zar Peter III. zu Petersburg im Umgange mit Katharina II. und den Orlows seine Schule gemacht hatte. Ranzau beherrschte den Staatsrat, eine Behörde, durch die der dänische Adel noch immer eine einflußreiche Stellung im Staate behauptet hatte. Man kann sich also denken, wie es auf den herrschsüchtigen Grafen und seine Standesgenossen wirken mußte, als Struensee kraft königlicher Kabinettsordre vom 27. Dezember 1770 den Staatsrat aufhob, »weil sich diese Einrichtung mit dem Prinzip einer absoluten Monarchie nicht vertrage«.

Diese tolle Unklugheit, wodurch Struensee das gewichtige Mittel verlor, durch eine aus Eingeborenen höchsten Ranges und Ansehens bestehende Versammlung seine Person und seine Maßregeln zu decken, wurde durch keinerlei verständige Vorkehrungen gutgemacht. Im Gegenteil, der Günstling taumelte von da ab, während er höher und immer höher zu steigen wähnte, abwärts auf seiner abschüssigen Bahn wie ein Berauschter. Denn ein solcher war er: der Wein der Macht war ihm zu Kopf gestiegen und hatte ihn förmlich benebelt. Es genügte ihm jetzt nicht mehr, das Wesen der Gewalt zu besitzen: er wollte auch den Schein derselben haben. Nach Titeln und Würden gierend, ließ er sich zum Grafen machen und zum Geheimen Kabinettsminister ernennen. Aber auch dieser in Dänemark ganz neue Titel war ihm noch nicht gut genug. Er wollte es geradezu ausgesprochen und öffentlich erklärt wissen, daß er und kein anderer unbeschränkter Gebieter von Dänemark sei. Daher mußte der unzurechnungsfähige und willenlose König im Juli 1771 das unerhörte Edikt ausgehen lassen, welches verkündete, »daß alle von dem Grafen und Geheimen Kabinettsminister Struensee unterzeichneten Anweisungen und Befehle dieselbe Kraft und Gültigkeit haben sollten, als wären sie vom König unterschrieben, und daß diese Anweisungen und Befehle augenblicklich befolgt werden müßten«. Damit war das Märchen von Christians VII. Regierung vernichtet und hatte der König seine Absetzung dekretiert.

6.

Aber König Struensee I. sollte nicht lange herrschen. Je blendender die Höhe war, zu der er sich emporgeschwindelt, um so rascher und tiefer war auch sein Sturz. Man kann ohne Übertreibung sagen, daß das wahnsinnige Aktenstück, worin er sich die ganze königliche Machtvollkommenheit mit prahlerischem Geräusch übertragen ließ, zugleich sein Todesurteil enthielt. Um so mehr, da gerade von jetzt an seine Wachsamkeit nachließ, seine frühere fieberhafte Tätigkeit auffallend erlahmte und mit halben Maßregeln der Willkür mutlose Unternehmungen und taktlose Zugeständnisse wechselten. Sein persönlicher Anhang war sehr gering. Er hatte, wenn man die Königin und seinen Bruder, den er nach Dänemark gezogen, ferner den Grafen Brandt, den jungen Obersten Falkenskiöld und den Leibarzt Berger ausnimmt, eigentlich keine Freunde. Die Zahl seiner Feinde dagegen war Legion. Schon im September 1771 schrieb ein englischer Beobachter der dänischen Hof- und Staatszustände: »Die Unzufriedenheit wächst hier täglich. Sollte das Volk wirklich so weit aufgereizt werden, um seinen Groll an dem verhaßten Grafen Struensee auszulassen, so wird die Rache des dänischen Pöbels grausam und blutig sein.« Der Engländer hätte dem Hauptwort Pöbel das Beiwort vornehm geben sollen, denn natürlich war es der vornehme und nicht der geringe Pöbel, der das nach wenigen Monaten beginnende Trauerspiel vorbereitete und in Szene setzte.

Schon machte sich die allgemeine Gärung in Soldaten- und Matrosenmeutereien Luft, die nur mit Mühe beschwichtigt werden konnten. Man fühlte das Bevorstehen einer gewaltsamen Veränderung, und man wünschte sie. Auch fand die sich bildende Verschwörung einen Mittelpunkt in der Königinwitwe Juliane, welche merkte, daß endlich ihre Zeit gekommen sei.

Sie wäre vielleicht trotz allem, was vorgegangen, noch nicht so entschieden gekommen gewesen, wenn Struensee und Mathilde in ihren persönlichen Beziehungen die nötige Zurückhaltung und Vorsicht beobachtet und dadurch die Hauptquelle der gegen sie gerichteten Agitation abgegraben hätten. Aber für Ehrgeizige und Liebende ist des gescheiten altrömischen Poeten »goldene Mittelstraße« bekanntlich nicht gebaut. Wie ihr Liebhaber von seinem Ehrgeiz, so war die Königin von ihrer Liebe berauscht. Sie war jetzt nicht mehr das schüchterne sittsame Mädchen von fünfzehn Jahren, sondern eine glühende Frau, schwelgend in den Genüssen ihrer Leidenschaft und ihre Tage in rauschenden Vergnügungen verbringend. Ihr Verhältnis zu dem Minister war gar kein Geheimnis mehr. Neugierige Hofdamen hatten nicht sehr züchtige Untersuchungen an den Bettstücken und der Leibwäsche der Königin angestellt und hatten die nächtlichen Gänge Struensees zu Mathilde dadurch festgestellt, daß sie Mehl oder Puder vor die Schlafzimmertüre derselben streuten, worin sich der Fuß des Günstlings abdrückte und wovon er die weiße Spur bis in sein Gemach mit zurücknahm. Diese Praktiken spielten nachmals in dem Prozesse der Königin keine geringe Rolle. Die Hofdamen, welche sich um Beibringung derartiger Beweismittel gegen ihre Gebieterin bemühten, wurden ausdrücklich als »unbescholtene Jungfrauen« aufgeführt. Das ist die Züchtigkeit der Höfe oder war es wenigstens zur Zeit, von der wir handeln.

Die Königin kam mit einer Tochter nieder, und Struensee beging die Albernheit, nur mit Beihilfe Bergers und unter Ausschluß anderer Ärzte und sonstiger Personen die Entbindung zu bewerkstelligen. Selbstverständlich unterschrieb der König die Vaterschaft des Kindes, wie er ohne Anstand sein Todesurteil unterschrieben hätte, hätte ihn Struensee oder Brandt darum angegangen. Auf Mathildes Bitte hatte die Königinwitwe mit scheinbar größter Bereitwilligkeit und Freundlichkeit die Neugeborene aus der Taufe gehoben. Sie hatte auch gute Ursache vergnügt auszusehen, denn die Geburt des Kindes kam ihr außerordentlich zupaß. Wenn bisher über das Verhältnis zwischen der Königin und dem Minister nur in Hofkreisen gezischelt und geflüstert worden war, so wurde jetzt auch außerhalb derselben offen davon geredet, ja laut geschrien. Aus den Schlössern des Adels, in den Kanzleien, in den Bürgerhäusern und Kramläden der Hauptstadt, in den Kasernen und auf den Werften, in Soldatenkneipen und Matrosenspelunken hieß die neugeborene Prinzessin nicht anders als Prinzessin Struensee.

Das Gerede kam auch der Königin zu Ohren, und das anzügliche Gezischel und Gekicher ihrer Hofdamen, ja ihrer Zofen sogar, ließ sie endlich ahnen, wie von ihr und Struensee in der Stadt und im Lande gesprochen werde. Jetzt erschrak sie. Es war, wie wenn ein Blitz den vor ihr liegenden Abgrund plötzlich erhellte. Wohl ihr, wenn sie den drohenden Blick, womit, wie Shakespeare sagt, das Schicksal die Menschen ansieht, wenn es ihnen wohltun will, beachtet, verstanden und recht befolgt hätte. Noch war es Zeit, aber nicht lange mehr; denn kurz darauf erwirkte Struensee das erwähnte berüchtigte Juli-Edikt zu seinen Gunsten, d. h. zugunsten seines Untergangs. Vergebens hatte Mathilde den Minister beschworen, vorsichtig zu sein, vorsichtig in den Staatsgeschäften, vorsichtig auch im Umgange mit ihr. Zwar eine Weile befolgte er wenigstens die letztere Warnung; allein die Warnerin selbst fand die Beschränkungen, die sie ihm und sich eine Zeitlang auferlegt hatte, bald zu lästig. Die widerwillig geübte Zurückhaltung verschwand wieder, und die beiden berauschten sich abermals in einem Glück, auf dessen Flüchtigkeit und schreckliches Ende recht eigentlich gedichtet zu sein scheint, was der erlauchte Bauer vom Ufer des Ayr in seinen berühmtesten Versen vom Unbestand aller Lust gesungen hat » Pleasures are like poppies spread,
You seize the flow'r, its bloom is shed!
O like the snowfall in the river,
A moment white, then melts for ever;
Or like the borealis race,
That flit ere you can point their place;
Or like the rainbow's lovely form,
Evanishing amid the storm.
«
Die Verse stammen von Robert Burns und lauten in deutscher Übersetzung etwa: Des Menschen Lust ist wie aufgeblühter Mohn: wenn du nach der Blüte greifst, zerfällt sie; oder wie Schnee, der in einen Fluß fällt: einen Augenblick ist er weiß, dann zerschmilzt er; oder wie der Nordwind, der dahinrast, ehe du seinen Ort bezeichnen kannst; oder wie des Regenbogens liebliche Form, die plötzlich im Sturm vergeht.
. Dann und wann freilich erwachten sie aus dem Taumel und sogen mit Schrecken die Witterung der Gefahr ein, die in der Luft hing Die ganze Sachlage, wie sie zu dieser Zeit war, hat gerade hundert Jahre später ein begabter dänischer Künstler, K. Zahrtmann, in einem historischen Gemälde scharf und lebensvoll charakterisiert. Das Gemälde stellt den König Christian VII. dar. auf einem Sofa zurückgelehnt, das eine Bein hoch in die Luft gestreckt, in kindischem Behagen damit sich ergötzend, einen über seinem Kopfe aufgehängten Papagei mit einem Stocke zu necken. Vor ihm unbeachtet sitzen Struensee und Mathilde, letztere in stark ausgeschnittenem Kleide, an einem Tische und spielen Schach. Das Spiel ist offenbar nur der Vorwand ihres zärtlichen Geplauders, wie ihre liebetrunkenen Blicke beweisen. Hinter ihnen aber hat sich unversehens eine Tür geöffnet, und in ihr erscheint, drohend wie das Verhängnis, die Königinwitwe Juliane. Der Künstler ließ sich durch höfische Machenschaften bestimmen, die ursprüngliche Form seines Werkes bedeutend abzuschwächen und zu verwässern, namentlich durch Ersetzung der Figur Julianes durch die einer beliebigen Hofdame. Vgl. A. Strodtmann: »Das geistige Leben in Dänemark« (1873), S. 56.. So versagte einmal, etwa im Herbst 1771, dem Günstling sein ganzer Mut und er bat fußfällig die Königin, ihm Urlaub zu geben, damit er ein Land verließe, wo er von Feinden umringt sei und ihm ein schlimmer Ausgang drohe. Zugleich gab er ihr zu bedenken, daß sein Bleiben ihre eigene Lage nur verschlimmern könnte. Allein Mathilde wollte von Struensees Entfernung nichts wissen, schlechterdings nichts. Sie sagte: »Wenn Sie gehen, so zwingen Sie mich durch Ihren Weggang zu einem Schritt, der mein Glück oder mein Verderben entscheiden wird.« Es bedarf keines großen Scharfsinns, zu erraten, daß die arme leidenschaftliche Frau damit andeuten wollte, sie könne nicht von ihm lassen; daß sie ihm zu verstehen gab, wenn er ginge, würde sie ihm folgen. Struensee kannte seine königliche Freundin hinlänglich, um zu wissen, daß sie die Frau war, Wort zu halten. Darauf aber wollte er es nicht ankommen lassen, und so blieb er.

7.

Er hatte wahr gesprochen: er war von Feinden umringt. Aber warum machte er keinen Versuch, sich einen Weg der Rettung zu bahnen? Er machte mehr als einen solchen Versuch, aus dem Labyrinth von Mißverhältnissen, in das er sich verrannt hatte, herauszukommen, geriet aber dadurch nur immer tiefer hinein. In Wahrheit, seine ganze Lage hatte schlagende Ähnlichkeit mit einem jener irischen Sümpfe, die jeden, der sich auf ihre trügerische Oberfläche wagt, unerbittlich verschlingen. Das arme Opfer müht sich mit Händen und Füßen ab, aus der zähen Masse herauszukommen; aber je mehr es zappelt und strampelt, um so schneller sinkt es, sinkt und sinkt, bis der schwarze mörderische Morast über seinem Kopfe zusammenschlägt.

Giftspinne Juliane vollendete ihr Netz. Es war plump gewoben und wurde brutal gehandhabt, aber es tat seinen Dienst. Scheinbar tat auch die Regierungsmaschinerie, wie Struensee sie eingerichtet, noch immer vortrefflich ihren Dienst. Es war zuletzt ein reines Polizeiregiment, eine Säbelherrschaft. Man war unzufrieden, man höhnte, schimpfte, haßte, meuterte auch mitunter; aber der revolutionären Stimmung fehlte die Organisation, bis diese von der auf Friedensburg ihre Zeit abpassenden Königinwitwe Juliane in die Hand genommen wurde. Es war auch gar keine Hexerei, die beabsichtigte Revolution zu organisieren, denn es sollte nur eine Palastrevolution à la Byzanz oder Petersburg sein. Von einer Staatsumwälzung war keine Rede, und es handelte sich nur darum, an die Stelle der Personen, welche die den Königsimpel regierenden Drähte regierten, andere zu setzen. Dem Volke machte man dabei himmelblaues Brimborium vor von Abstellung der Mißbräuche, Erleichterung der Steuerlast usw., wie das bei derartigen Anlässen gebräuchlich ist.

Juliane sah ein, daß alles darauf ankäme, sich einiger tüchtiger Helfershelfer im Militär zu versichern. Es gelang ihr, indem sie die beiden Obersten Eickstedt und Köller für ihre Pläne gewann. Der letztere wurde geradezu der Vertraute ihrer Anschläge und hat ihnen durch seine Energie hauptsächlich zum Siege verhelfen. Keiner von allen, die der übermütige Günstling absichtlich oder unabsichtlich gekränkt hatte, haßte ihn so unversöhnlich wie Koller, und der Instinkt des Hasses ließ ihn erraten, wie Juliane ihrer verstellten Freundlichkeit ungeachtet gegen die Königin und Struensee gesinnt sei. Er näherte sich ihr, und die beiden in Galle schwimmenden Seelen fanden sich. Es fehlte dem Komplott auch nicht an einem höchst schlauen Gelegenheitsmacher: ein solcher hatte sich in Guldberg, dem Geheimschreiber des Prinzen Friedrich, gefunden – so ein Mensch, wie sie in jeder Verschwörung vorkommen, ein Mensch mit dem Tritt einer Katze und mit Händen, die je nach Bedarf die Urkunden fälschende Feder oder die Giftphiole zu handhaben und unter allen Umständen kein Gewissen zu haben verstehen.

Die Königinwitwe wollte sich aber nicht nur der Gewalt bemächtigen, sondern sie auch dauernd behaupten. Das erste ließ sich mit Hilfe der Köller, Eickstedt und Guldberg allenfalls erreichen, das zweite jedoch erforderte noch andere Verbündete. Juliane warf ihre Blicke auf den Grafen Ranzau, der seinem Wüstlingsruf und seinen zerrütteten Vermögensverhältnissen zum Trotz doch noch immer für das Haupt der Aristokratie galt und durch Geburt, Talente und Verbindungen einen Einfluß genoß, der ihn jeder Regierung, an der er keinen hervorragenden Anteil hatte, gefährlich machen konnte. Die Königinwitwe horchte den Grafen aus, allein dieser gab Ansichten zu erkennen, welche ganz und gar nicht nach ihrem Geschmack waren. Juliane wollte die absolute Despotie in Dänemark aufrechterhalten wissen, zu ihrem eigenen und ihres Sohnes Gebrauch. Ranzau dagegen gab zwar deutlich zu erkennen, daß er bereit sei, den Günstling und die Königin Mathilde stürzen zu helfen; aber er deutete auch an, daß mit diesem Sturz eine Veränderung der Regierungsweise verbunden sein werde, dem Adel das, was ihm das Jahr 1660 geraubt hatte, zurückgegeben und Dänemark aus einer absoluten in eine durch die Aristokratie beschränkte Monarchie verwandelt werden sollte. Juliane fand es bei dieser Sachlage nicht für gut, sich weiter gegen Ranzau mit ihrem Anschlage herauszulassen. Sie brauchte jedoch nicht lange zu warten, bis der charakterlose Mann sich unbedingt zu ihrer Verfügung stellte.

Das ging so zu. Ranzau hegte bei aller seiner Zerfahrenheit ein lebhaftes Standesgefühl. Er grollte der jungen Königin, er grollte dem Günstling, weil diese mit ihren Neuerungen das Ansehen und Interesse des Adels empfindlich verletzt hatten. Aber er war nicht unversöhnlich. Im Gegenteil, er war zur Stunde noch bereit, mit der Königin und Struensee sich zu verbünden, unter der Bedingung, daß das Regierungssystem zum Vorteil des Adels geändert und ihm selbst gestattet würde, nicht nur einen Finger, sondern die ganze Hand in der Regierung zu haben. Herr von Sprengporten, der schwedische Gesandte, dem, wie auch dem englischen und französischen, alles daran gelegen war, Struensee am Ruder zu erhalten, weil dessen Politik Schweden, England und Frankreich gegenüber korrekt war – Sprengporten sah, was in Ranzau vorging, nahm Rücksprache mit ihm und machte ihm einleuchtend, daß es für den Grafen besser und lohnender wäre, den Günstling auf den richtigen Weg zurückzuführen, als sich selbst und den Staat den unberechenbaren Zufällen einer gewaltsamen Veränderung preiszugeben. Beweglich und sanguinisch, wie er war, ging Ranzau auf der Stelle zu Struensee, stellte ihm mit freundschaftlicher Lebhaftigkeit die ganze Lage vor, bat, warnte, zeigte, wie der schwarz und schwärzer heraufziehenden Gefahr zu begegnen wäre. Alles vergeblich! Der Günstling muß zu jener Stunde, die sein Schicksal noch hätte zum Bessern wenden können, mit völliger Blindheit geschlagen gewesen sein. Er dankte, die Lippen von einem hochmütigen Lächeln gekräuselt, dem Grafen für seine Teilnahme und ließ ihn stehen. Wütend und nur noch auf Rache sinnend, eilte Ranzau nach Friedensburg, der Königinwitwe zu sagen, daß er der Ihrige sei. Jetzt wurden unverweilt die einzelnen Fäden des Komplotts straff angezogen und wurde der Aktionsplan festgestellt.

Inzwischen war das Jahr 1771 zu Ende gegangen. Der Hof hatte den Sommer auf Hirschholm zugebracht und im Spätherbst das der Hauptstadt näher gelegene Lustschloß Friedrichsburg bezogen. Die junge Königin hegte Abscheu vor Kopenhagen und ließ sich nur mit äußerstem Widerwillen bestimmen, nach schon völlig eingebrochenem Winter die Verlegung der Hofhaltung in das Stadtschloß zuzugeben. Struensee beschwichtigte ihre Besorgnisse durch Aufzählung der von ihm getroffenen militärischen Sicherheitsmaßregeln. Er scheint trotz den Warnungen, die ihm der englische Gesandte zu dieser Zeit wiederholt zukommen ließ, keine Ahnung gehabt zu haben, daß alle diese Maßregeln aufs schmählichste versagen würden.

Am Abend des 16. Januars 1772 strahlte der Kopenhagener Königspalast von Kerzenlichtern und rauschten seine Säle von Musik. Es war großer Ball bei Hofe. Königin Mathilde, jetzt in ihrem einundzwanzigsten Jahr und im Vollglanz ihrer Schönheit stehend, war an diesem Abend, dem letzten, wo sie das Diadem trug, so heiter, wie sie seit langem nicht mehr gewesen. Sie tanzte die letzte Quadrille mit dem Prinzen Friedrich, ihrem und ihrer Kinder Todfeind. Eine Stunde nach Mitternacht ist das Fest zu Ende, die Herrschaften ziehen sich in ihre Gemächer zurück, und Stille breitet sich über die weiten Räume des Schlosses, dessen Wachtposten die Grenadiere vom Regiment des Obersten Köller innehaben. Gegen drei Uhr morgens brennt nur in dem Kabinett der Königinwitwe Juliane noch Licht.

Zu dieser Stunde erscheint der Oberst Köller in großer Uniform in dem Wachtzimmer des Schlosses, läßt die Offiziere der Wachtmannschaft wecken, versammelt sie um sich und erklärt ihnen mit soldatischer Strenge und Kürze, daß er vom Könige Befehl habe, die Königin, den Grafen Struensee und ihre Anhänger zu verhaften. Die Offiziere denken nicht daran, die Vorweisung einer vom König unterzeichneten Order zu verlangen, sondern erklären sich zum Gehorsam bereit. Draußen umstellt zur gleichen Zeit der Oberst Eickstedt das Schloß mit seinem Dragonerregiment, um jede Verbindung mit der Stadt zu hindern. Köller steigt mit seinen Offizieren zu der ängstlich harrenden Königinwitwe hinauf, bei der Prinz Friedrich, Graf Ranzau und Guldberg versammelt sind. Nach einer letzten kurzen Verabredung wird weiter vorgeschritten. Das Unheil ist im Gange.

Juliane, ihr Sohn, Ranzau und Guldberg machen sich zum König auf den Weg, und der Graf übertölpelt den bestürzten, aus dem Schlafe aufgeschreckten ersten Kammerdiener, ihnen die Tür des königlichen Schlafgemaches, dessen Schlüssel er in Verwahrung hat, aufzuschließen. Darauf wird an dem Bette des armen Königsimpels eine lärmende Überraschungs- und Angstszene aufgeführt. »Die Stadt ist in Aufruhr! Das Volk schreit nach Gerechtigkeit gegen die Königin und Struensee! Es will Opfer haben! Es droht mit Absetzung!« Dazu der König: »Ratet mir, helft mir! Wohin fliehen? Was soll ich tun?« – Worauf Ranzau, im voraus von Guldberg aufgesetzte Verhaftsbefehle vorbringend: »Diese Papiere unterzeichnen, und Ew. Majestät, das königliche Haus und Dänemark sind gerettet!« Das Unterschreiben macht Christian VII. wenig Sorge. Was hat er seit Jahren nicht alles unterschrieben! Aber wie er zur Feder greift, fällt sein wirrer Blick auf den Namen Mathilde, der auf dem ersten ihm vorgelegten Papiere steht. Er stutzt, zaudert, wirft die Feder weg. Ging ein Lichtblitz durch sein Gehirn? Rührte ein edles Gefühl den Sumpf seiner Seele auf? Die Verschworenen merken, daß alles auf dem Spiele stände, falls der König auch nur für fünf Minuten Herr seiner selbst wäre, und stürmen daher mit neuen Schreckbildern auf ihn ein, zwingen ihm die Feder in die Hand, und er unterschreibt.

Inzwischen ist der Oberst Köller in das Schlafzimmer des Günstlings gedrungen. »Was gibt es denn?« fragt der überraschte noch halb im Schlafe. »Sie werden es schon sehen. Stehen Sie nur auf!« erwidert der Oberst barsch, faßt den Minister brutal an der Kehle und schüttelt ihn. Struensee ist angedonnert, völlig fassungslos, wie Wachs unter den Händen Köllers. Ihm, der es in Dänemark zum Gesetze gemacht, daß kein Edikt, kein Befehl, welche nicht von dem König oder ihm selbst unterzeichnet waren, Gültigkeit hatte, ihm fiel es setzt gar nicht ein, nach einem schriftlichen Verhaftsbefehl zu fragen. Möglich immerhin, daß diese Frage ihm Rettung gebracht, denn Köllers Offiziere, die keineswegs in die Verschwörung eingeweiht waren, hätten dadurch erfahren, daß ihr Oberst ganz und gar nicht auf königlichen Befehl handle. Nie vielleicht hat ein Mann, der ein Land beherrschte, widerstandsloser sich fällen und fangen lassen. Kein Zucken von Mannhaftigkeit, keine Regung von Energie. Nichts als schmählichste Schlaffheit und Feigheit. Eine kleine Seele, die »in ihres Nichts durchbohrendem Gefühle« der Gefahr den Nacken beugt und die Hände den Fesseln darbietet. So läßt sich der Gebieter eines Königs und der Günstling einer Königin ins Gefängnis schleppen … Man ist doch wohl berechtigt, von einem Manne als von einem Glückspilz zu reden, der so ganz nach Pilzart vor dem ersten nachdrücklich gegen ihn geführten Schlage zusammenknickte. Man spreche nicht von dem überwältigenden Eindruck einer plötzlichen Gefahr. Sie war für den Günstling durchaus keine plötzliche. Nach der Unterredung mit Ranzau, nach allen den empfangenen Warnungen mußte er darauf gefaßt sein. Aber Gefahr ist wie Einsamkeit. Beide verengen kleine Seelen, während sie große weiten; beide erdrücken gemeine Geister, während sie edle erheben und stählen. Struensee war eine kleine Seele, ein gemeiner Geist. Die Romantik kann ihn bemitleiden; aber die Geschichte muß ihm das Urteil sprechen, daß er nur ein Schwindler gewesen sei, ganz und gar unwürdig, von einer Frau wie Mathilde geliebt zu werden.

Aus dem Schlafzimmer des Königs eilt Ranzau nach dem der Königin. Eickstedt und andere Offiziere begleiten ihn auf diesem Gange. Es hat aber im Schlosse schon Lärm genug gegeben, um die arme Mathilde zu wecken. So wurde sie wenigstens nicht im Schlafe überfallen, und sie hat bei der jetzt folgenden abscheulichen Szene einen Mut entfaltet, welcher Zeugnis gibt, daß in dieser Frau etwas von dem Stoffe gewesen, aus welchem Heldinnen gemacht sind. Aber sie war ja nicht in einer Epoche des Heroismus geboren, sondern in einer Epoche gewissenloser Intrige und erzstirniger Brutalität. Es hat auch die letztere in dieser ganzen Zeit sicherlich nie brutaler sich geoffenbart als zu der Stunde, wo der wüste Ranzau und seine Spießgesellen die unglückliche Königin gefangennahmen.

Wie sie Geräusch in ihrem Vorzimmer hört, ruft Mathilde nach ihren Kammerfrauen. Bleich, verstört, nur halb angezogen, drängen sich die Dienerinnen herbei. Die Königin springt aus dem Bette und fragt, was der nächtliche Lärm bedeute, was denn vorgehe. Man sagt ihr, daß Graf Ranzau sie im Namen des Königs sprechen wolle und mit einer Anzahl von Offizieren im Vorzimmer harre. »Graf Ranzau? Im Namen des Königs? Ruft eilends den Grafen Struensee!« – »Ach, Majestät, der Herr Minister ist verhaftet.« – Da schlägt die Königin in der bitteren Gewißheit ihres Untergangs die Hände vor das Gesicht und ruft aus: »Verraten und verloren! Auf ewig verloren!« Aber rasch wieder Meisterin ihrer selbst, wirft sie einen Pudermantel über ihr Schlafgewand und sagt: »Laßt sie eintreten, die Verräter. Ich bin auf alles gefaßt.«

Sie geht den Eintretenden entgegen. Ranzau verbeugt sich feierlich und liest der Königin den vom König vorhin unterzeichneten Verhaftsbefehl vor. »Geben Sie her, ich will es mit eigenen Augen lesen.« Der Graf reicht ihr das Papier. Sie liest es vom Anfang bis zum Ende durch, wirft es dann zu Boden, setzt den Fuß darauf und sagt, vor Verachtung zitternd: »Daran erkenne ich die Verräter und den König.« Darauf Ranzau: »Majestät, ich bitte Sie, die Befehle des Königs zu achten.« Mathilde wieder: »Die Befehle des Königs? Befehle vielmehr, wovon er nichts weiß und welche nur die infamste Verräterei seiner Torheit entrissen hat. Nein, solchen Befehlen gehorcht keine Königin!« … Man sieht, diese zwanzigjährige Frau benahm sich ebenso mannhaft, wie Struensee sich weibisch benommen hatte. Sie tat noch mehr: sie, die arme schwache verlassene Frau, versuchte sogar physische Gegenwehr gegen die Gewalt.

Ranzau erklärt ihr, daß er seinen Auftrag sofort vollziehen müsse. Worauf die Königin: »Ich verweigere Rede und Fügsamkeit, bevor ich den König gesehen und gesprochen habe. Und sie eilt der Türe zu. Der Graf vertritt ihr den Weg und stößt eine Drohung aus. »Sie sind ein Elender! Wie, ziemt dieser Ton einem Diener gegen seine Königin? Sie sind der verächtlichste der Menschen, ein Schmachbeladener, den ich niemals fürchten werde.« Ranzau murmelt: »Man muß ein Ende machen« und winkt einem der Offiziere mit den Augen. Ein Auftritt hebt an, von dessen Schmach alles Wasser der Ostsee die dänische Aristokratie nicht reinwaschen kann.

Der Offizier – ich kann den Namen des Buben nicht mit Bestimmtheit angeben; es muß aber entweder der Leutnant Beck oder der Leutnant Bay oder der Leutnant Oldenborg gewesen sein, denn diese drei hatte Ranzau bei sich – der Offizier packt mit roher Faust die Königin. Sie entreißt sich seinem Griff und stößt einen markdurchdringenden Hilferuf aus. Nun umringen alle die Memmen und Verräter die Unglückliche und werfen sich alle auf sie. Sie durchbricht die Kette, springt zum Fenster, reißt es auf und will sich hinausstürzen. Da faßt sie wieder einer der Schurken. Von grenzenloser Wut erfüllt, packt sie den Elenden bei den Haaren und schleudert ihn zu Boden, ebenso einen zweiten, bis sie endlich, von allen zugleich angefallen, nach einem schrecklichen Ringen atemlos, mit aufgelösten Haaren, halbnackt und ohnmächtig zu Boden sinkt … Die notdürftig wieder zu sich Gekommene zwingt Ranzau, sich anzukleiden, während er sie mit wüsten Schimpfreden überschüttet. Dann schleppt man sie in den Hof hinunter, verschließt sie in die Kutsche und führt sie nach der Festung Kronburg ins Gefängnis. Und doch war diese furchtbare Stunde noch nicht die bitterste ihrer Leidensgeschichte. Diese kam erst dann, als sie erfahren mußte, daß auch der sie verraten habe, dem sie vertraut, dem sie Ehre, Ruf und Krone geopfert hatte.

In der Morgendämmerung wurden auch Struensees Bruder, der Oberst Falkenskiöld, der Graf Brandt, der Leibarzt Berger und etliche andere Anhänger Struensees verhaftet. Dann setzte man ein ekelhaftes Revolutionsspektakel in Gang, indem man dem Pöbel die Häuser des gestürzten Ministers und seiner Kreaturen preisgab, betrunkene Matrosen in den Straßen johlen und Vivats auf den König, die Königinwitwe Juliane und den Prinzen Friedrich brüllen ließ. Die Geistlichen mußten die Kanzeln der Hauptstadt von Dankgebeten für die glücklich vollbrachte Umwälzung ertönen lassen. Ja, man scheute die kolossal lächerliche Lüge nicht, sie den Himmel dafür preisen zu lassen, daß er den König vor den frevelhaften Absichten des »Königsmörders« Struensee bewahrt habe. Christian der Simpel mußte im Galaaufzug eine Rundfahrt durch Kopenhagen machen, um sich »mit seinem Volke über die gemeinsame Rettung zu freuen«. Kurz, die ganze bodenlose Niederträchtigkeit, die verworfene Parteien, wenn sie siegreich sind, zu entfalten pflegen, trat auch hier schamlos zutage. Selbstverständlich war es eine erste Sorge der siegreichen Verschwörer, sich gegenseitig mit Belohnungen zu überhäufen. Sämtliche Häupter des Komplotts wurden auch Mitglieder des wiederhergestellten Staatsrats, an dessen Spitze zum unsäglichen Verdrusse Ranzaus Juliane nicht ihn, sondern ihren jämmerlichen Sohn Friedrich stellte. An die fremden Höfe ergingen Depeschen, worin gesagt war, die Palastrevolution sei nur eine »Familienangelegenheit«, die mit der Politik nichts zu tun habe. Die Höfe ließen sich die vollendete Tatsache gefallen, und der englische Gesandte begnügte sich, die siegreichen Verschwörer zu warnen, an der Person der Königin Mathilde, der Schwester seines Königs, sich zu vergreifen; denn in diesem Falle müßte und würde England vergeltend einschreiten.

8.

Nach dem Siege kam die Rache. Es läßt sich, so wie die Menschen nun einmal sind, wenig dagegen einwenden; denn es liegt leider in der menschlichen Natur, zu schreien: »Wehe den Besiegten!« Bei Palastrevolutionen pflegt es, wo möglich, noch unsauberer herzugehen als bei Volksrevolutionen, und wenn Struensee und seine Anhänger in der Nacht zum 17. Januar 1772 unter den Waffen der Verschwörer gefallen wären, so müßte sich ein Kenner der Menschen und der Geschichte begnügen, dies als eine der gewohnten Unsauberkeiten, wie sie Staatsstreiche zu begleiten pflegen, achselzuckend hinzunehmen. Dagegen muß es jedes menschliche Gefühl empören, wenn, wie hier der Fall war, statt in der Erhitzung des Kampfes nach diesem mit kaltem Blute Morde begangen werden und zwar unter den Formen der Rechtspflege. Die Prozessierung, Verurteilung und Hinrichtung des gestürzten Günstlings steht als einer der brennendsten Skandale, als eine der gröbsten Satiren auf die Justiz da, die die Weltgeschichte kennt. Denn die Wahrheit ist, nicht die Besiegten, sondern vielmehr die Sieger waren nach dem formalen Rechte, nach den Gesetzen Dänemarks die Schuldigen. Aber freilich, was ist in der Staatspraxis und, ach, in der Privatpraxis das formale Recht? Eine schöne Illusion. Was ist das wirkliche Recht? Die Macht und der Erfolg. Das müßte allerdings den Glauben an eine sittliche Weltordnung auch in Leichtgläubigen von Grund aus zerstören, wenn nicht die große Tatsache, daß die Weltgeschichte noch immer wieder als Weltgericht sich manifestiert, diesen Glauben aufrechterhielte. Über wie viele von ihrer Zeit als »Große« Umschmeichelte hat dieses unerbittliche Gericht nicht schon den Wahrspruch »klein« gefällt!

Es widerstrebt mir, die ganze Kloake der gegen die Besiegten angehobenen Prozedur aufzudecken. Der daraus aufsteigende Brodem ist zu abscheulich. Genug, schlechte Menschen, Juliane, Prinz Friedrich und ihr Anhang, fanden noch schlechtere, die sich dazu hergaben, die von jenen gewollten Morde in angebliche Rechtsformen zu kleiden. An Blutopfern waren Struensee und Brandt ausersehen. Der Hauptanklagepunkt gegen den letzteren war so absurd, daß er unglaublich sein würde, falls er nicht aktenmäßig verbürgt wäre. Der blödsinnige König zankte, schimpfte und balgte sich nämlich mitunter mit seinem Gesellschafter und Wächter Brandt herum. Bei einer solchen Gelegenheit hatte der König den Grafen Brandt einen »Kujon« geschimpft und gedroht, er wolle ihm tausend Stockprügel geben lassen. Im Fortgange der schönen Unterhaltung waren dann die beiden Herren handgemein geworden. Der König hatte dem Grafen nach der Zunge gegriffen und Brandt den König in die Finger gebissen. Aus dieser Katzbalgerei machten Brandts Ankläger und Richter ein Attentat auf das Leben des Monarchen!

Die in der Anklageakte gegen Struensee vorgebrachten Beschuldigungen waren, mit Ausnahme der dritten und sechsten, kaum weniger albern. Er wurde nämlich angeklagt: 1. eines entsetzlichen Anschlags gegen die Person des Königs; 2. des Vorhabens, den König zur Abdankung zu zwingen; 3. des verbotenen Umgangs mit der Königin; 4. der Art und Weise, wie er den Kronprinzen erzogen habe; 5. der großen Gewalt und des Ansehens, das er sich erworben; 6. der Art, wie er den Staat verwaltet habe. Der dritte Punkt war der weitaus bedenklichste. Er gab Struensees Feinden nicht nur den besten Vorwand, ihn physisch zu töten, sondern er brach ihm auch moralisch den Hals, indem er sich gerade in betreff dieses Kardinalpunktes als ein jämmerlicher Feigling und Verräter benahm.

Man sagt, und es ist bei der ganzen Art der Prozedur sehr glaublich, daß seine Richter oder vielmehr Henker den verlorenen Mann sowohl mit der Androhung der Folter schreckten als auch durch die Vorspiegelung kirre machten, es wäre ein Rettungsmittel, das einzige Rettungsmittel für ihn, wenn er die Königin Mathilde möglichst tief in seine Angelegenheit verstricke. Aber trotz alledem durfte ein Mann nie tun und konnte nur ein Schwächling und Schwindler tun, was er tat, indem er in seinem Verhör vom 21. Februar gestand, daß er der Liebhaber der Königin gewesen sei und ihre höchste Gunst genossen habe. Von jetzt an kann er nur noch das Gefühl der Verachtung für sich in Anspruch nehmen. Es würde ihn nicht einmal entschuldigen, wenn die Sage, man habe ihn mittels Vorlegung eines falschen Protokolls, worin Mathilde angeblich ihrerseits die Verschuldung bereits eingestanden hatte, zum Geständnis bewogen, mehr wäre als eine Sage.

Genau aber in demselben Maße, in welchem Struensee in der Achtung des unbefangenen Beobachters seiner Laufbahn fällt, steigt die arme schöne gefangene Königin, deren Stern schon in einem Alter, wo der anderer Frauen sich kaum erhebt, im trübstem Gewölks unterging. Ich wiederhole es, Mathilde wäre unter glücklicheren Umständen eine Zierde ihres Geschlechts, vielleicht der Geschichte geworden. Denn ihr ursprüngliches Wesen war gut und edel, und sie entfaltete in ihrem furchtbaren Mißgeschick einen Adel der Seele, der sie turmhoch über den Mann stellt, an den sie ihre Huld weggeworfen hatte.

Man wollte oder konnte der Schwester König Georgs III. von Großbritannien nicht ans Leben, wenn schon Julianes Haß sich am liebsten mit dem Blute der jungen Frau gesättigt hätte. Aber sie sollte wenigstens zugrunde gerichtet werden, und zwar für immer. Am 9. März begab sich zur Einvernehmung der Königin eine Kommission nach Kronburg. Deren Sprecher war der Freiherr von Schack-Rathlow, den man früher mit Grund für einen Ehrenmann gehalten hatte, der sich aber jetzt als der Niederträchtigste der Niederträchtigen benahm. So schnell findet die unbeschränkte Gewalt, selbst die schlechteste, sogar unter scheinbaren Ehrenmännern willigste Werkzeuge. Mathilde empfing ihre Inquisitoren mit ruhiger Würde und machte alle raffinierten Verhörkünste durch ihre Fassung und Geistesklarheit zuschanden. Die Herren schienen mit ihrem Witz zu Ende zu sein, wußten nicht wo aus und ein, stockten und beguckten angelegentlich die Schnallen ihrer Schuhe. Nur einer wußte Rat, der Freiherr von Schack, der »Ehrenmann«. Hier konnte nur die schmachvollste List zum Ziele führen, und er zögerte nicht, sich einer solchen zu bedienen.

Plötzlich sieht er die unglückliche Fürstin starr an und sagt: »Ihr Leugnen ist vergeblich. Graf Struensee hat seinen verbrecherischen Umgang mit Ihnen vollständig und umständlich eingestanden.« Mathilde sträubt sich gegen die Wirkung dieses Keulenschlages. »Nein«, ruft sie aus, »es ist unmöglich, unmöglich! Struensee kann das nicht getan haben! Nein, nein! … Und wenn, so stelle ich alles in Abrede, was er gesagt hat.« Schack bemerkt, wie das ganze Wesen der Unglücklichen unter dem Eindruck der furchtbaren Nachricht bebt und zittert, daß ihre Fassung schwindet, ihre Besinnung wankt, und mit satanischer, aber auf eine nicht gemeine Kenntnis des Frauenherzens gegründeter Tücke fährt er fort: »Struensee hat dieses sein Geständnis wiederholt, bestätigt und unterzeichnet. Dieweil nun aber Königliche Majestät die Sache so bestimmt in Abrede stellen, so liegt gegen den Elenden die Anklage auf ein neues Verbrechen vor, auf das Verbrechen frechster Verleumdung geheiligter Majestät, das nur die qualvollste Todesstrafe sühnen kann.«

Dieser Stoß ging ins Herz. Mathilde fiel, von einer Ohnmacht angewandelt, in ihren Stuhl zurück, und ein Lächeln der Befriedigung kräuselte die Mundwinkel des freiherrlichen Ehrenmannes. Was alles mußte in der Seele der armen jungen Frau wühlend und peinigend durcheinanderstürmen, während sie sich langsam wieder erholte! Der Mann, dem sie alles hingegeben, hatte sie schnöde verraten? Aber sie hatte ihn geliebt, sie vermochte ihn von einem qualvollen Tode zu retten, wenn sie gestand. Und warum nicht alles gestehen, was man haben wollte? Welchen Ruf hatte sie jetzt noch zu erhalten, welche Ehre zu wahren? Für wen? Wozu? Was war ihr jetzt noch die Welt und ihr Urteil? Jetzt, nachdem er sie verraten, er! Mußte sie ihn nicht hassen, aber konnte sie es? Nein! Sei es jene über Tod und Hölle triumphierende Frauenliebe, sei es ein himmlisches, nein, ein reinmenschliches Erbarmen, wovon die erlauchte Unglückliche bewegt war, sie wollte versuchen, um jeden Preis versuchen, den Schwerbedrohten zu retten.

Flüsternd fragt sie ihren Peiniger: »Und wenn ich nun eingestände, was Struensee ausgesagt hat, was dürfte dann der Unglückliche von der Gnade seines Königs hoffen?« Der Freiherrehrenmann blickt auf die Bebende und erwidert sanft und beruhigend: »Vieles, alles! Aber es ist zu diesem Zwecke nötig, daß Sie Ihr Geständnis unterzeichnen.« Und er schiebt ihr das inzwischen eiligst gefertigte Protokoll zur Unterschrift hin. An allen Gliedern bebend, ergreift mit einer gewaltsamen Anstrengung Mathilde die Feder, beugt sich über den Tisch und beginnt ihren Namen zu schreiben. Aber sie hat nur erst die Anfangsbuchstaben gemacht, als sie aufblickt und den tückischen Triumph in Schacks Zügen bemerkt. Da schleudert sie die Feder weg und stößt die Worte hervor: »Ihr betrügt mich schandbar! Struensee hat mich nicht angeklagt! Ich kenne ihn! Nein, er hat es nicht getan, er kann es nicht getan haben!« Sie will aufspringen, aber die Knie brechen ihr ein, es saust ihr in den Ohren, es dunkelt ihr vor den Augen und – der Freiherr-Ehrenmann hebt die weggeworfene Feder auf, steckt sie in die willenlose Hand Mathildes und läßt diese Hand, sie mit der seinigen führend, die angefangene Namensunterschrift vollenden. Dann überlassen die Herren die Königin, welche das zu sein durch diese Unterschrift aufhörte, ihren Schmerzen und ihrer Betäubung und eilen mit dem kostbaren Protokoll nach Kopenhagen zurück.

9.

Nachdem die Verhöre beendigt und die Akten zum Gebrauch von Richtern hergerichtet waren, welche nur Sprachrohre für das, was man ihnen zum voraus diktiert hatte, sein sollten und wollten, trug vor dem außerordentlich bestellten Gerichtshof am 24. März namens des Königs der Prokurator Bang die Anklage gegen die Königin vor. Man gewährte ihr in dem Advokaten Uldall einen Verteidiger, der seine Pflicht nicht gerade mit Begeisterung tat. Selbstverständlich ohne Erfolg. Am 6. April sprach der Gerichtshof das Ehescheidungsurteil gegen die Königin Mathilde aus. Juliane und ihre Vertrauten hatten gewünscht, auch die Prinzessin Luise, die kleine Tochter Mathildes, in das traurige Geschick der Mutter zu verwickeln und sie förmlich als im Ehebruch gezeugt brandmarken zu lassen. Allein die Sache hatte, auch abgesehen davon, daß sie sich schlechterdings nicht beweisen ließ, mancherlei Haken, und man ließ sie daher fallen. Dagegen war man grausam genug, zu bestimmen, daß die geschiedene Königin ihre Kinder nur noch einmal und dann nie wieder sehen sollte.

Am 21. April schritt der Gerichtshof zur Behandlung der Anklage gegen Struensee und Brandt. Der Generalfiskal Wivet brachte eine Anklageakte vor, die, aus absurden Lügen, gemeinen Schimpfereien und schlechten Späßen zusammengestoppelt, kaum ihresgleichen haben dürfte. Der Ton dieses Aktenstücks erhellt schon hinlänglich daraus, daß Struensee, »vormals ein Medikus, jetzt ein Graf«, darin genannt wird »ein so großer Spitzbube, als nur jemals in Deutschland auf der Messe ein und aus geläutet worden«, und daß ihm wiederholt vorgerückt wird, er habe »einen solchen fetten Wanst, als ob er Vitellins wäre«. Die gegen Brandt erhobene Anklage würde noch nichtssagender und frivoler gewesen sein, wäre das möglich gewesen. Im übrigen war ja gegen beide das Urteil gesprochen, bevor die Anklage vorgebracht wurde. Die am 25. April gefällte Blutsentenz lautete, »daß der Graf Johann Friedrich Struensee, sich selbst zur wohlverdienten Strafe und Gleichgesinnten zum Beispiel und Abscheu, Ehre, Leib und Gut verwirkt habe, seiner gräflichen und aller andern ihm verliehenen Würden entsetzt sein, sein gräfliches Wappen vom Henker zerbrochen und sodann Johann Friedrich Struensees rechte Hand und darauf sein Kopf ihm lebendig abgehauen, sein Körper gevierteilt und aufs Rad gelegt, der Kopf mit der Hand aber auf einen Pfahl gesteckt werden solle«. Ganz genau in denselben Ausdrücken war das gegen Brandt erlassene Urteil gehalten. Man sieht, die infamen, von Juliane und ihrem Anhang bestellten Justizmörder hielten es nicht einmal der Mühe wert, ihren Blutspruch mit etlichen wohlfeilen Motiven auszustaffieren. Weswegen Struensee Ehre, Leib und Gut verwirkt hätte, warum er geköpft und gevierteilt werden sollte, war gar nicht gesagt. Die ganze Prozedur ist eins der zynischsten Possenspiele gewesen, welche Parteiwut und Kabinettsjustiz jemals aufgeführt haben.

Am 26. April unterzeichnete Christian VII. die beiden Todesurteile. Es machte dem Königsimpel nicht mehr Skrupel, die Ermordung von zwei Männern zu bestätigen, die jahrelang seine vertrautesten Freunde und Genossen gewesen, als es ihm gemacht hätte, den Tod einer Fliege zuzulassen. Er ist nach der Struenseeschen Katastrophe noch sechsunddreißig Jahre lang so hingesimpelt, bis zu seinem im Jahre 1808 endlich erfolgten Tode dem Namen nach König, in Wahrheit ein verachteter und lästiger Sklave seiner Umgebung.

Die Hinrichtung Struensees und Brandts erfolgte am 27. April 1772. Brandt benahm sich auf dem Gange zum Schafott mannhafter als jemals in seinem Leben und auf der Henkerbühne wahrhaft heldisch. Struensee, der während seiner letzten Tage die Stimmung und das Gebaren eines flennenden Frömmlers und bußfertigen Sünders gezeigt hatte, erschien auch auf dem Schafott würdelos und schlottrig. Er hatte nicht zu leben gewußt und wußte nun auch nicht zu sterben. Der Scharfrichter behandelte den Unglücklichen so ungeschickt, daß seine Hinrichtung eine schauderhafte Metzelei war. In dem während und nach der ganzen barbarischen Szene von den anwesenden Volksmassen beobachteten Stillschweigen sprach sich eine so unverkennbare Mißbilligung der beiden Justizmorde aus, daß die Anstifter derselben allerlei Versuche machten, den Fanatismus der Bevölkerung von Kopenhagen aufs neue zu beleben. Es gelang aber nicht, und das dänische Volk hatte bald sattsame Veranlassung, die Betrachtung anzustellen, daß durch die Palastrevolution seine Lage keineswegs verbessert, sondern eher noch verschlimmert worden sei. Es liegt uns eine Depesche des englischen Gesandten vom 17. Oktober 1772 vor, worin mit dürren Worten gesagt ist, daß Dänemark durch die Struenseesche Katastrophe aus dem Regen unter die Traufe kam. Das Regiment Julianes, des Prinzen Friedrich und ihrer Sippschaft war despotisch und ganz unfähig zugleich. Die Tyrannei einer Oligarchie ist bekanntlich die schlimmste aller Tyranneien, und das erwies sich recht klärlich und kläglich schon durch die Art und Weise, wie die jetzt in Dänemark herrschende Oligarchie gegen einige der Anhänger des gemordeten Günstlings verfuhr. So wurde der General Gheler seines Ranges und Gehalts beraubt und aus dem Lande verwiesen, weil er, wie es in dem Urteil hieß, »weil er Anlaß gegeben, daß man ihn im Verdacht gehabt«; so wurde der junge Falkenskiöld, »weil er ein Freund Struensees gewesen«, auf Lebenszeit auf den öden Felsen Munkholm gesetzt.

In betreff der armen Mathilde war zuerst bestimmt worden, daß sie in Dänemark bleiben und in der jütischen Stadt Aalborg wohnen sollte. Da ihr aber der dänische Boden unter den Füßen brannte, so vermittelte ihr Bruder, Georg III., daß sie nach Deutschland gehen durfte, wo er ihr in Celle eine Zufluchtsstätte bereitete. Am 30. Mai 1772 schiffte sie sich zu Kronburg auf einer englischen Fregatte ein und verließ gebrochenen Herzens ein Land, wo ihre Kinder zurückblieben und wo ihre Jugend durch den grausamsten Schicksalssturm geknickt worden war. In Celle gewann sie die aufrichtige Bewunderung und Anhänglichkeit aller, die ihr nahekamen. Ohne Bitterkeit, doch mit inniger Reue blickte sie auf das zurück, was ihr Irrtum, ihre Verschuldung und ihr Verderben gewesen war. Schlicht, sanft und geduldig trug sie ihr Los. Sie hatte es nicht allzu lange zu tragen. Der Tod war milder gegen sie, als das Leben gewesen: schon am 10. Mai 1775 starb sie, noch nicht vierundzwanzig Jahre alt.

So verlief, so endigte diese dänische Hoftragödie, deren edelstes und beklagenswertestes Opfer eine Frau war, die gefehlt hatte, die sich aber von ihrem Fall zu der hochherzigsten Opferfreudigkeit erhob, um den zu retten, der sie verraten hatte. Ihr Fehltritt gehört ihrer Zeit, ihr Edelmut gehört ihr selbst an. Ihre wirkliche Schuld mußte in der Anschauungsweise ihrer Zeit als sehr unerheblich erscheinen. Denn die Epoche des aufgeklärten Despotismus ist zugleich eine Epoche der gänzlichen Verwirrung aller sittlichen Begriffe gewesen. Wie hätte es auch anders sein können zu einer Zeit, wo Dirnen von der Sorte der Pompadour, ja von der Sorte der Dubarry die Geschicke großer Staaten lenkten? In Wahrheit, es ist ein ebenso unleugbarer als tröstlicher Vorschritt, den die europäische Gesellschaft seit hundert Jahren gemacht hat, daß heute nicht mehr wie damals die Forderungen des Sittengesetzes nur – um in der Hofsprache des »philosophischen« Jahrhunderts zu sprechen – an die »Canaille« und »Roture« gestellt werden. Eine Grävenitz, eine Kosel, eine Lichtenau wären jetzt in Deutschland eine Unmöglichkeit. Kein deutscher Fürst könnte es heutzutage mehr wagen, den Thronfolger zu zwingen, seiner Mätresse angesichts des ganzen Hofes die Hand zu küssen, wozu bekanntlich Friedrich Wilhelm II. noch im Jahre 1797, also kurz vor seinem Tode, seinen Sohn, den nachmaligen Friedrich Wilhelm III., gezwungen hat. Ich gebe zu, daß die Besserung vornehmer Sitten vielfach noch nicht weiter vorgeschritten sein mag, als bis zur rücksichtsvolleren Wahrung des äußeren Anstands. Aber daneben ist es doch nur gerecht, zu sagen, daß in die höheren und höchsten Gesellschaftskreise die Einsicht gedrungen, bürgerliche Tugend und häusliche Sitte ziere auch Fürstenschlösser und Königspaläste und erfülle sie mit dem besten und dauerndsten Glücke, das das Leben überhaupt zu geben vermag.


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