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Hypatia

… Das Gemeine nur
stößt sich den Fuß nicht wund auf seinen Wegen
Und wird nicht aufgehalten. Welt und Zeit,
Euer Schoßkind ist die Mittelmäßigkeit!

Otto Ludwig.

1.

Die Sophisten der »Umkehr« brauchten uns nicht erst so feierlich-ausdrücklich zu versichern, wie sie taten, – wir wußten ja lange schon aus allen heidnischen, jüdischen, christlichen und islamischen Kirchengeschichten, daß Ausschließlichkeit, Unduldsamkeit und Verfolgungseifer Hauptmerkmale aller Religionen sind, sowie der Religion an und für sich. Das ist nicht etwa im Sinne des Vorwurfs oder der Bemakelung ausgesprochen. Die arme Religion kann nichts dafür: so wenig der Löwe etwas dafür kann, daß er auf Raub ausgehen und bei Befriedigung dieses seines Naturtriebes Blut vergießen muß. Es folgt auch die Religion nur ihrer Natur, wenn sie verfolgt.

Religion ist das Tasten aus dem Zeitlichen heraus und in das Ewige hinein, ein Pfadsuchen vom Endlichen zum Unendlichen, ein Brückenschlagen vom Sinnlichen ins Übersinnliche. Geht man – ich spreche selbstverständlich hier nur von Menschen und für Menschen, welche das Zeug und den Mut haben, folgerichtig zu denken – geht man diesem eiteln Mühen und Ringen bis zu seiner letzten Wurzelfaser nach, so findet man, daß dieselbe heißt: Angst vor dem Aufhörenmüssen, Horror Vacui, Todesfurcht. Der Mensch will über die seinem Dasein gesetzten Grenzen hinaus fortexistieren: der Glückliche, um seines diesseits genossenen Behagens auch im Jenseits irgendwo weiter zu genießen; der Unglückliche, um »drüben« all das Glück zu finden, um welches er »hüben« geprellt war; der Idealgläubige, um endlich doch in die »heiteren Regionen« zu gelangen, wo die »reinen Formen wohnen«, die Urbilder des Wahren, Guten und Schönen. Nur ganze Männer – von Frauen kann hierbei überhaupt nicht die Rede sein – nur »Nummer-Eins-Männer«, welche es nach des Lukretius schönem Ausdrucke soweit gebracht haben, gleichmütig auf alles blicken zu können (» pacata posse omnia mente tueri«), vermögen dem Gedanken der Vernichtung des »Ich« und »Selbst« ins unerbittliche Antlitz zu sehen und, wann die letzte Stunde gekommen, stoischresigniert zu sagen wie Manfred: » Earth, take these atoms!« Die übrigen Millionen und Hunderte von Millionen, sie wünschen alle ihr »Seelenheil« zu retten, d. h. über Tod und Grab hinaus fortzuleben, und da es Menschenart, zu glauben und zu hoffen, was man wünscht, so glauben und hoffen sie, daß ihr liebes Ich »unsterblich« und bestimmt sei, nach ihrem leiblichen Tode in eine höhere Klasse der ewigen Vervollkommnungsschule versetzt zu werden, oder, wie die Frommen im landläufigen Sinne es ausdrücken, »Gott zu schauen«.

Und die Frommen haben recht. Denn tatsächlich fällt die Vorstellung einer persönlichen Unsterblichkeit untrennbar mit der Vorstellung eines persönlichen Gottes zusammen, und diese identische Vorstellung macht das aus, was wir »Religion« nennen. Man kann also die Religion mit Fug und Recht eine Assekuranzanstalt für das Seelenheil heißen, eine Unsterblichkeitsversicherungsgesellschaft. Assekuranzanstalten setzen aber die Solidarität der Interessen ihrer Teilnehmer voraus, und ihr Gedeihen beruht auf einer möglichst zahlreichen Beteiligung. Je größer die Anzahl der Gesellschaftsmitglieder, desto größer das Assekuranzkapital und desto größer mithin auch die Sicherheit der Assekurierten, – wenigstens in der Einbildung derselben. Denn es untersteht ja keinem Zweifel, daß die Menschen stets bereit sind, alles, was sie von Tausenden, Hunderttausenden und Millionen geglaubt sehen und hören, ohne weiteres für wahr und richtig, für sicher und gewiß zu halten.

Hieraus ergibt sich, daß der Kredit und folglich auch die Heilswirkung eines religiösen Unternehmens um so bedeutender ist, je größer die Zahl derer, welche ihre »Seelen« bei demselben versichert haben. Deshalb muß es jedem Teilhaber und vorab den Geschäftsführern, Verwaltungsräten und Agenten ernstlich am Herzen liegen, immer mehr Mitglieder zu gewinnen und die Wirksamkeit der Anstalt immer weiter und weiter, womöglich über die ganze Erde auszudehnen. Es ist also für die Bekenner einer Religion heilige Pflicht und Schuldigkeit, für sie Propaganda zu machen, und zwar mit allen Mitteln, welche ja der Zweck stets unbedingt heiligt. Die lieben Mitmenschen, sie mögen wollen oder nicht, müssen zu diesem oder jenem alleinseligmachenden Assekuranzglauben bekehrt werden. Sie müssen in unseren Schafstall herein, auf daß ihre Seelen gerettet werden. Sträuben sie sich, desto schlimmer für sie. Prügelt, foltert, erwürgt, kreuzigt, verbrennt die Ketzer! Tut nichts, – »der Bien' muß

Es ist demnach nur eine der bekannten »Flachheiten« des Rationalismus, wenn er Fanatismus und Verfolgungssucht als Schattenseiten der Religion achselzuckend beklagt. Im Gegenteil, Ausschließlichkeit und Unduldsamkeit sind wesentlich religiöse Tugenden. Jede Religion, solange sie in rechtem Safte steht, d. h. solange sie an sich selber glaubt, ist fanatisch und verfolgungssüchtig. Sie muß es sein, sie kann gar nicht anders. Jeder rechte Gläubige ist ein Fanatiker, zu jeder Stunde bereit, seine Mitmenschen aus lauter Liebe zu fressen, d. h. aus ungeheurer Angst für sein und ihr Seelenheil sie zu martern und zu morden. Mit dem Verfolgungsgeist und der Verfolgungsgewalt einer Religion sinkt auch ihre Kraft und ihr Kredit. Sowie eine Religion »aufgeklärt« und duldsam wird, tritt sie in das Stadium des Marasmus senilis. Religiöse Toleranz ist ein ganz untrügliches Merkmal, daß die noch zu Recht bestehende Glaubensform von der Zivilisation überholt, von der Zeitbildung überflügelt worden sei und nur noch eine konventionelle Bedeutung habe. Der Bestand einer derartig abgelebten und ausgehöhlten Religion ist dann weiter nichts mehr als eine organisierte Heuchelei, welcher sich auch die denkenden Menschen – zu ihrer Schmach sei es gesagt! – unterwerfen, indem sie mit vornehmem Achselzucken das religiöse Institut fortgelten lassen als eine geistliche Sukkursale der weltlichen Polizei, »gut genug für den großen Haufen«.

Freilich ist es – alle die Gekreuzigten und Verbrannten haben es schmerzlich erfahren – gefährlich, »sein Gefühl und Schauen dem Pöbel zu offenbaren«; allein wenn man nicht den Maßstab der Konvenienz, sondern den der Sittlichkeit anlegt, so erscheint ein aufrichtiger Fanatiker und Verfolger unbedingt ehrenwerter als so ein heuchelnder Kühleborn, der nur mit Mühe das Hohngrinsen verhält, wenn er die Leute in die Kirche laufen und kommunizieren sieht, aber mitläuft und mitkommuniziert. Wer auf den mühsamen und gefährlichen Felsen- und Gletscherpfaden der Selbstbefreiung die Ätherhöhe der Freiheit wirklich erklommen hat, der soll auch den Mut haben, von dem gedankenlosen Schwarm in der Tiefe sich fernzuhalten und das » Odi profanum vulgus et arceo –« zu bekennen und zu befolgen. Jeder selbständige Denker ist ja ein einsamer Mensch, ein Einsiedler mitten im Gewühle des Lebens, und er muß sich daran gewöhnen, »ein Gespenst unter Menschen« zu sein wie der arme Shelley …

Und was soll diese ganze Gedankenentwicklung? Oh, weiter nichts als das »Thema« bilden für die nachstehende historische »Glosse«.

2.

Vielleicht der genialste Mensch des gesamten Altertums ist der mazedonische Alexander gewesen. Man begreift beim Anblick dieses wunderbaren Jünglings, daß die Völker sich zuflüsterten, seine Mutter Olympias habe mit dem Zeus sich vergangen und in der Umarmung des höchsten der Götter den göttlichen Sohn empfangen. Was jubelnde Mythen von den Eroberungszügen fabelten, welche ein anderer Jupitersproß, der Sohn Semeles, unternommen hätte, das machte der Mazedonier zur Wirklichkeit. Sein Heldenzug nach Asien hat etwas Bacchantisches: etwas wie das Thyrsusschwingen jauchzender Mänaden, etwas wie das Erzbeckenklingen lärmender Korybanten begleitet ihn, und zuletzt, ach, endigt alles in der tobenden Orgie des Allmachttaumels, des Weltherrschaftschwindels und des – Weinrausches. Ein Stück Romantik, phantastisch-kühn mitten in die Antike hineingestellt.

Aber Alexander war dennoch nicht etwa nur ein Heros im Homerischen oder ein Ritter im Ariostischen Sinne, sondern unendlich viel mehr: – ein Kulturheld. Ein durstiger Zecher, setzte er die mit dem Nektarwein der hellenischen Bildung gefüllte Schale an seine Lippen, um in vollen Zügen zu trinken. Dann schwenkte er den göttlichen Pokal asienwärts und afrikawärts, damit das befruchtende Naß bis zu den Gestaden des Indus und des Nils hinspritzte. Ohne Bild: die Erträgnisse der griechischen Kulturarbeit wurden auf den Spitzen der mazedonischen Lanzen hinausgetragen in die Welt. Der Eroberer Alexander vollzog zugleich die Mission eines Zivilisators, und hierin hat seine Genialität noch weit glänzender sich erwiesen als in der Schlachtenlenkung und Ländergewinnung. Die genialste seiner zivilisatorischen Taten war aber unstreitig die Gründung der Stadt, welche seinen Namen erhielt und bald auch seinen Leichnam, um ihn in dem Mausoleum zu bewahren, das im Mittelpunkte von Alexandria da sich erhob, wo die beiden Haupt- und Prachtstraßen – eine Meile die eine, drei Meilen die andere lang – rechtwinklig sich kreuzten.

Auf der Landzunge zwischen dem See Mareotis im Süden und dem Mittelmeer im Norden wurde die Stadt Alexanders erbaut, bestimmt, das Emporium des Welthandels, die kosmopolitische Hochschule des Hellenismus, die Kulturvermittlerin zwischen drei Erdteilen zu sein. Und das ward sie und blieb sie etliche Jahrhunderte lang. Die Dynastie der Ptolemäer, welche mit bewundernswerter Geschicklichkeit das Griechentum dem alten Ägypten aufzuimpfen verstanden hat, machte ihr Alexandria architektonisch zur ersten Stadt der letzten vorchristlichen Jahrhunderte, und sie behauptete, den vielfachen Einbußen und Verwüstungen zum Trotz, welche sie in den Zeiten des Überganges Ägyptens in römische Botmäßigkeit erlitt, diesen Rang auch noch im ersten Säkulum der christlichen Ära. Ja, bis zur Zeit Trajans konnte sie an Kolossalität, Mannigfaltigkeit und Pracht ihrer Bauten, an Bevölkerungsfülle, Belebtheit und Reichtum mit Rom wetteifern, während es noch zu Anfang des vierten christlichen Jahrhunderts scharfsichtigen Beobachtern und kompetenten Urteilern zweifelhaft erschien, ob Konstantinopel oder Alexandria die prächtigere Stadt sei.

Von ihrer Gründung an hatte Alexandria den Charakter der Weltbürgerlichkeit gehabt, und die Ptolemäer hatten diesen Charakter aus allen Kräften gestärkt und gesteigert, um daran einen Rückhalt zu gewinnen gegen die starre Abgeschlossenheit des Ägyptertums und dieses mittels Rassen-, Religionen- und Bildungsmischung allmählich zu zermürben und zu brechen. Alexandria war die glänzende Verkörperung dieses politischen Gedankens und zugleich ein geräuschvoller Hohn der Weltgeschichte auf die pfäffisch-pharaonische Abmauerung des Nillandes von ehedem. In den beiden Häfen und auf dem riesenhaften, die Pharusinsel mit dem Festlande verbindenden Hafendamm, auf dem Kanal, welcher die Hafenanlagen mit dem See Mareotis in Verbindung setzte, auf den Quais, auf den Plätzen und Straßen wogte und bewegte sich die bunteste Völkermischung. Drei Erdteile stellten ihr lärmendes Menschenkontingent. Die kaukasische, die malaiische und die äthiopische Rasse waren da vertreten. Alle Hautfarben und alle Trachten Asiens, Afrikas und Europas wimmelten durcheinander, die Töne unzähliger Sprachen und Mundarten durchkreuzten sich. Geschwader von Nilbarken führten die Erzeugnisse Abessiniens und Oberägyptens herab, Kamelkarawanen brachten von den Ufern des Roten Meeres die dort ausgeladenen Stoffe Chinas und die Gewürze Indiens, andere über die Landenge von Pelusium herüber den Überfluß Syriens und wieder andere die köstlichen Früchte der in die Wüsten Libyens gestreuten Oasen. Und was Asien und Afrika nach dem großen Stapelplatz lieferten, das wurde aus den ungeheuren Warenspeichern am mastenwimmelnden Hafen auf die Schiffe aller seefahrenden Nationen gebracht, um nach den Küsten Europas geführt zu werden. Im übrigen hatte Alexandria wie der Vorteile der ersten Welthandelsstadt zu genießen, so auch die Nachteile dieser Stellung zu tragen. Die Stadt war demzufolge der Hauptsammelplatz aller Schwindler und Gauner, Fälscher, Diebe und Mörder und der alexandrinische Pöbel seiner Anzahl, seiner Frechheit und Unbändigkeit wegen so verrufen wie zu unserer Zeit der Mob von London oder Neuyork. Überhaupt war die buntgemischte Bevölkerung Alexandrias schwer zu bemeistern und schwierig zu beherrschen. In der Barrikadologie durften die Alexandriner dreist den Ehrenplatz ansprechen, welcher in der modernen Welt den Parisern von Rechts wegen zukommt.

Aber die Stadt Alexanders war nicht nur die Lieblingsstätte des Völkerverkehrs, des Handels und der Empörungen, sondern auch der Wissenschaft. Welche Nachblüte hier die griechische Literatur erlebte, weiß jeder leidlich unterrichtete Schuljunge. Man muß es den Königen der ptolemäischen Dynastie lassen, daß sie die Kulturmission des Heros, dem ihr Stifter als General gedient hatte, mit Eifer fortsetzten. Zwar die schöpferische Kraft des hellenischen Genius in allen höheren und höchsten Sphären der Poesie und Philosophie war im alexandrinischen Zeitalter schon unwiederbringlich dahin, und die erquicklichsten dichterischen Töne, welche dazumal noch laut wurden, kamen aus der idyllischen Rohrflöte des Theokrit. Dagegen entwickelte sich in Alexandrien zum erstenmal in der antiken Welt eine vielseitige, methodische Gelehrsamkeit und eine eifrige, systematische Pflege der exakten Wissenschaften. Die Stadt war auch geradezu die Bibliothek des Altertums. Die von Ptolemäos Philadelphos zusammengebrachte unschätzbare Büchersammlung von 400 000 Bänden oder Rollen war freilich im Alexandrinischen Kriege des Julius Cäsar in Flammen und Rauch aufgegangen. Allein Ptolemäos Physkon sammelte eine zweite kostbare Bücherei, die dann in 200 000 Bänden der Bibliothek des Königs Eumenes von Pergamus, welche Markus Antonius seiner hochgeliebten Kleopatra zum Geschenke machte, einen stattlichen Zuwachs erhielt. Diese Büchersammlung, welche die geistigen Schätze, die Resultate der gesamten Kulturarbeit des Altertums in sich faßte, war in einem Flügel des Serapeion untergebracht, in jenem Riesen- und Prachtgebäude also, welches die grandioseste Tempelbaute der alten Welt und der Stolz Alexandrias gewesen ist. Das Serapeion, an und in welchem sich alles Schöne, was griechische Ornamentik, Skulptur und Malerei hervorzubringen vermochten, mit dem Kolossalen der ägyptischen Architektur zu einem majestätischen Ganzen verband, war dem Dienste des Serapis (Sar-Api, zusammengezogen aus Osiri-Hapi, Osiris der Richter) geweiht und also einem durch den ersten Ptolemäer zusammengestoppelten Gotte gewidmet. Eine wunderliche mythologische Bildung! Denn der König hat den hellenischen Zeus seinen ägyptischen Untertanen dadurch annehmlich zu machen gesucht und gewußt, daß er den griechischen Gott mit einem ägyptischen, dem Osiris, zu einem Idol verschmolz.

Das sinkende Heidentum bemühte sich überhaupt, mittels allerhand wunderlicher Kombinationen und Allianzen seine Existenz zu verlängern. Es war auch, bereits von dem Vorgefühl seines Untergangs angefröstelt, verträglich und duldsam. Besonders in Alexandria, wo schon die Handelsverhältnisse es gebieterisch forderten, daß die verschiedenen landwüchsigen und importierten Götter, d. h. ihre Anhänger, in leidlichem Frieden miteinander oder wenigstens nebeneinander lebten. Die heidnischen Gottheiten hatten sich da schon frühzeitig die Nachbarschaft des grimmigen Judengottes Jahwe gefallen lassen müssen; denn die Kinder Israel waren zu vielen Tausenden an einen Ort herbeigeströmt, welcher zum Geschäftemachen so geeignet war, hatten sich da niedergelassen und bildeten infolge der Fruchtbarkeit ihrer Lenden und Schöße bald einen sehr zahlreichen und gewichtigen Teil der Stadtbevölkerung. Das Aufkommen des Christentums brachte sodann in diese ein neues, höchst wirksames Ferment. Auf dem heißen Boden Ägyptens, welcher ja die christliche Möncherei ausgebrütet hat, fanatisierte sich der neue Glaube zu einer aggressiven Wut hinauf, welcher gegenüber Heidentum und Judentum nur mühsam ihre defensiven Stellungen behaupteten. Aus den ägyptischen Wüsteneien sind jene Scharen barfüßiger und schwarzkäppiger Mönche hervorgebrochen, welche im Namen des Gekreuzigten allem Schönen, was die heidnische Welt geschaffen hatte, einen Vertilgungskrieg ansagten und diesen Krieg unerbittlich führten.

Die antike Götterdämmerung hatte begonnen und war durch die Reaktion Julians nicht in ihrem Laufe aufgehalten worden. Die altersschwach gewordenen alten Götter wurden von den neuen Göttern – denn schon hatte sich ja auch das Christentum polytheistisch gestaltet – ihrer Altäre entsetzt und ins Exil getrieben, welches sie – merkwürdig zu sagen! – in der Brust der ganz Bildungslosen, der Bauern auf dem platten Lande, sowie der Höchstgebildeten fanden, welchen letzteren die Anschauungen und Lehren der griechischen Philosophie mehr religiöse Befriedigung gewährten als die vom Konzil zu Nikäa festgestellten christlichen Dogmen. Aber die Philosophie war nur noch ein schwacher Schild für die armen schönen Göttergestalten des Olympos. Sie vermochte sie gegen die Streitaxt in der derben Faust der christlichen Theologie nicht mehr lange zu decken. Es kam der Tag und die Stunde, wo der »Vater der Götter und Menschen«, Jupiter Optimus Maximus, förmlich und feierlich abgesetzt wurde.

Dieses Exempel ist an einem Gotte, zu welchem Millionen und wieder Millionen von Menschen fürchtend und hoffend, flehend und dankend, leidvoll und freudvoll gebetet hatten, statuiert worden auf Anordnung des Kaisers Theodosius, welcher, der Sohn eines hispanischen Landsknechts, des römischen Gesamt-Imperiums Majestät zum letztenmal in seiner Person vereinigte. Es war gewiß eine höchst eigentümliche Szene, als der Kaiser in voller Senatssitzung die Frage: »Soll der Dienst Jovis oder Christi die Religion der Römer sein?« zur Verhandlung und Abstimmung bringen ließ. Tote also sollten da einen Toten begraben. Denn der römische Senat war ja seit etlichen Jahrhunderten schon nur noch eine klägliche Spukgestalt, ein Gespenst der Republik, welches der Cäsarismus wie zum Spaß hatte herumwanken lassen, und auch der alte Jupiter war schon vor langer Zeit gestorben. Dennoch – wunderbar zu melden! – vermochte der allerhöchste Wink und Befehl in der senatorischen Mumiensammlung keine Stimmeneinhelligkeit zuungunsten des Liebhabers der Danae, der Europa und Semele zuwege zu bringen. Nur mit Stimmenmehrheit wurde dekretiert: Herrgott Jupiter ist abgesetzt und seine Religion verworfen und abgetan. Einer jener Skribenten, welche allzeit und überall in Versen und in Prosa dem Erfolge räuchern, der Zeitgenosse Aurelius Prudentius hat dann, über das » infame Jovis pulvinar« losziehend, dem abgetanen Gotte noch einen hexametrischen Eselstritt gegeben. Der ganze Staatsaktus aber macht einen unwillkürlich an einen ähnlichen denken, welcher gerade dreizehn Jahrhunderte später stattfand, an jenen auf Betreiben Robespierres gefaßten Konventsbeschluß, kraft dessen der Herrgott – unbestimmt freilich, ob der heidnische, jüdische oder christliche – wieder eingesetzt worden ist. Was sich doch die armen Götter unter Umständen alles gefallen lassen müssen!

Die Zerstörungsarbeit, welche der christliche Fanatismus in der ganzen Kraft und Wildheit seiner Flegeljahre gegen das altersschwache Heidentum begonnen hatte, war jedoch dem römischen Senatsbeschluß weit vorausgeeilt, insbesondere in den Provinzen des Ostens, wo sich die Bekenner des neuen Glaubens mit unbändiger Wut auf die Örtlichkeiten und Apparate des alten warfen, um alle die »heidnischen Greuel« vom Angesicht der Erde wegzutilgen. Vorragend an inbrünstigem Eifer in diesem Geschäfte war unter seinen Amtsbrüdern der Erzbischof von Alexandria, Theophilus, welchen uns die zeitgenössischen Quellenschriften in so schroff wechselnder Beleuchtung zeigen, daß man nicht recht weiß, ob er ein großer Heiliger oder ein vollendeter Schurke gewesen, – wie das ja auch mit anderen großen Kirchenlichtern damaliger und späterer Zeiten der Fall. Im übrigen muß man einräumen, diese alten Pfaffen waren in ihrer Art ganze Kerle. Keine »gebildeten« Philister, keine aufgeklärten Wendehälse, Zweiächseler und Simsenläufer, keine liberalen Eiertänzer und Balancierstängler, nein, wohl aber Durchgreifer, Durchfahrer und Drauflosgänger mit Hurra und Hussa, will sagen mit Kyrie-eleison und Tedeum-laudamus, mit Hosianna und Halleluja.

Der streitbare Theophilus lebte selbstverständlich mit der heidnischen und jüdischen Bevölkerung Alexandrias in fortwährender Fehde, die er zuweilen mit viel List, aber häufiger mit noch mehr Gewalt führte, immer nur in der heiligen Absicht, seinen dreieinigen Gott über Zeus oder Jahwe triumphieren zu lassen. Juden und Heiden – die letzteren unter Führung des Philosophen Olympios – zogen mitunter, durch die gemeinsame Gefahr vereint, an einem Strange gegen den Erzbischof, allein dieser, dem der Pöbel der Stadt und in der nahegelegenen Wüstenei Nitria ein allzeit kampffertiges Heer von Mönchen zu Diensten war, erwies sich in der Regel als der Stärkere. So gelang ihm denn auch sein Zerstörungsanschlag auf das Serapeion, welches ihm als die Hauptburg des Heidentums in Alexandria verhaßt war. Freilich haben heidnische Autoren behauptet, der heilige Mann sei bei seinem Anschlag auf den Tempel des Serapis von der » auri sacra fames« getrieben worden, d. h. er habe den ungeheuren Barschatz von Gold und Silber, welcher in Form von Kultgeräten und Weihegefäßen dort vorhanden, an sich bringen wollen. Wie dem sei, der Erzbischof gelangte an sein Ziel (389). Er wußte ein Edikt des Theodosius zu erwirken, welches ihn zur Zerstörung der »Götzen« in Alexandria ermächtigte, und welches die Heiden, die gar wohl wußten, daß der Kaiser nicht mit sich spaßen ließe, so entmutigte, daß sie den bislang mit den Waffen in der Hand zum Schutze ihres großen Heiligtums geführten Kampf aufgaben. Theophilus, als der echte und rechte Christ, der er war, begann sein Zerstörungswerk mit der Vernichtung der heidnischen Kulturschätze, welche im Serapeion aufbewahrt wurden: – die große Bibliothek ward vernichtet oder durch Plünderung zerstreut. Diese heidnischen Dichter, Philosophen, Geschichtschreiber, Mathematiker, Physiker und Astronomen, welche so vieles zu lehren wußten, sollten die heilige Unwissenheit und fromme Barbarei der Christen nicht länger belästigen und beeinträchtigen. Nachdem sodann der Erzbischof der goldenen und silbernen Tempelgefäße sich bemächtigt hatte, drang er mit seiner Bande bis ins innerste Heiligtum, bis zur Cella vor, wo die Kolossalstatue des Serapis stand. Auf des Prälaten Befehl tat ein Soldat die ersten Axthiebe auf das Bild des Gottes, dessen Haupt bald am Boden rollt. Wie der Rumpf zertrümmert wird, bricht eine Schar von Ratten aus dem hohlen Innern und macht sich mit grunzendem Protest gegen diesen Eingriff in wohlerworbene geistliche Rechte davon. Das umstehende Volk birst darob in schallendes Gelächter aus; aber nur getrost, o frommes Ungeziefer, die Menschen werden es nie und nirgends an Götzen fehlen lassen, in deren Bäuchen du wohlig dich bergen und betten kannst. Das Serapeion wurde mit Aufbietung aller Zerstörungsmittel mühselig in einen Trümmerhaufen verwandelt und auf der später teilweise abgeräumten Schuttstätte eine den christlichen Märtyrern gewidmete Kirche errichtet Hauptquelle für das Vorstehende wie für das Nachfolgende ist des im Jahre 390 zu Konstantinopel geborenen Sokrates Scholastikus Historia ecclesiae (welche die Zeit von 304 bis 439 in sieben Büchern umfaßt), lib. V, cap. 16; lib. VII, cap. 14, 15.. Die Ratten konnten wiederkommen.

3.

Die Kühnheit des Theophilus hatte dem Heidentum und Judentum in der Metropole Ägyptens schwere Niederlagen bereitet und das Christentum zur herrschenden Religion daselbst gemacht. Man erkannte das schon an dem selbstbewußten und prunkvollen Auftreten der Christen und Christinnen in den Straßen der Stadt. Die neue Religion war nämlich jetzt schon nicht mehr bloß der Glaube der Armen und Unterdrückten, sondern vielfach auch der von vornehmen Herren und modischen Damen. Letztere stolzierten auf Straßen und Plätzen in kostbaren Gewändern, bestickt mit Bildern aus der christlichen Mythologie, ein Exemplar der »heiligen« Schrift an einer Goldkette am Halse hängend, während Sklaven Sonnenschirme über sie hielten und ihnen Betkissen und Fächer nachtrugen. Dennoch war das geschlagene Heidentum noch lange nicht völlig besiegt, weil die Mehrzahl der Leute von gutem Ton und feiner Lebensart, wenn nicht den Glauben an die alten Götter, so doch den Geschmack für die antike Philosophie bewahrte. Da war es denn, dieser verdammlichen Ketzerei zu steuern und die Insassenschaft des rechtgläubigen Schafstalls zu mehren, sehr vonnöten, daß die energische Aggression des hochseligen Theophilus einen ebenbürtigen Fortsetzer fand in der Person seines Neffen Kyrillos, der zugleich des Oheims Nachfolger auf dem erzbischöflichen Throne von Alexandria war (412-44).

Sankt Kyrill – denn die Kirche nahm ihren trefflichen Kämpen mit Recht unter die Zahl ihrer Heiligen auf – hat sich bekanntlich als Gegner des Nestorius in der Dogmengeschichte einen bleibenden Namen gemacht, und wer aus Neugier oder von Berufs wegen in jenen Regionen des tieferen Blödsinns, wo die »συωάφεια καὶ ἐωοίκησις« und die »φυσικὴ ἑνωσις« als wutkreisende Fledermäuse einander zausen, sich umgetrieben hat, kennt den richtigen Klopffechter, welcher kein sanftes »Lämmerschwänzchen«, wohl aber ein kräftiger Ochsenziemer der ecclesia militans gewesen ist. Hierzu hatte ein mehrjähriger Aufenthalt unter den Mönchen von Nitria ihn herangeschult, und er brachte auf den erzbischöflichen Stuhl den festen Entschluß mit, so oder so mit dem Juden- und Heidentum in Alexandria ein Ende zu machen.

Der Erzbischof war der Mann, zu handeln wie er dachte. Er versicherte sich der Macht über den fanatischen, stets zum Spektakeln und Tumultieren geneigten und bereiten Pöbel und schuf sich in den sogenannten »Parabolani«, städtischen Missionären, welche eigentlich zur Armen- und Krankenpflege bestimmt waren, eine förmliche Leibwache. Dies getan, richtete er seinen heiligen Eifer zunächst gegen die Juden, welche ihrer durch zahllose Neckereien von seiten der Christen angeblasenen Wut nachgebend zuletzt im Theater und auf den Straßen der Stadt mit blanken Waffen über ihre Gegner herfielen. Sofort gab unser Heiliger das Signal zum Vertilgungskampf, welchem die Juden sicherlich erlegen wären, falls sich der kaiserliche Präfekt Orestes nicht eingemischt hätte, um den die Stadt durchtobenden Aufruhr mit Waffengewalt niederzuschlagen. Das ging freilich nicht so leicht; denn die Mönche von Nitria, welche zu Hunderten auf einen Wink Kyrills in die Stadt geströmt waren, und die Parabolani besannen sich nicht, die Pöbelhorden selbst gegen den mit der kaiserlichen Autorität bekleideten Präfekten aufzustacheln. Orestes bändigte nur mühsam den Aufstand, wobei ihn ein Mönch, Ammonius, mittels eines Steinwurfs ziemlich schwer verwundete. Der Fanatiker wurde ergriffen, prozessiert und hingerichtet; allein Sankt Kyrill ließ den Leichnam des »Märtyrers« im Käsareion zur Erbauung der Gläubigen öffentlich ausstellen und dann pomphaft bestatten. Der Präfekt sollte es büßen, daß er in die widerjüdischen Absichten des kyrillischen Eifers hemmend eingegriffen. Orestes stand dem Erzbischof überhaupt äußerst hinderlich im Wege. Erstens deshalb, weil der Stellvertreter des Kaisers seine Verachtung der christlichen Priesterschaft und seine Hinneigung zur heidnisch-hellenischen Philosophie nur schlecht verbarg; zweitens, weil er seiner Pflicht gemäß den Frieden unter der bunten Bevölkerung Alexandrias aufrechtzuerhalten suchte; drittens, weil Kyrill schlechterdings in der Stadt keine andere Macht und Gewalt dulden wollte als seine eigene, – natürlich nicht etwa aus pfäffischer Herrschsucht, sondern einzig und allein »zur größeren Ehre Gottes«.

Der Präfekt sollte demnach getroffen werden, und da sich zunächst keine günstige Gelegenheit bot, den Mann in eigener Person zu treffen, so sollte er in einer ihm nahestehenden getroffen werden. Die Umstände fügten es auch so glücklich, daß Sankt Kyrill da zwei Fliegen mit einem Schlag erreichen konnte. Nämlich: die Person, in welcher Orestes verwundet werden sollte, war die demselben befreundete Philosophin Hypatia, dermalen anerkannt die Hauptstütze des Heidentums in Alexandria, mit welcher unser vielgeplagter Heiliger auch persönlich ein Hühnchen zu pflücken hatte. Denn die jungfräuliche Philosophin, die Heidin und Ketzerin, war so unverschämt, dem Erzbischof Konkurrenz zu machen, d. h. zur gleichen Zeit, wo er in der Kirche seine Predigten hielt, in ihrem Hause ihre philosophischen Vorträge zu halten, zu welchen – leidige Tatsache! – die Auswahl der alexandrinischen Gesellschaft zu Wagen und auf Sänften strömte, während ein sehr gemischtes, mehr ruppiges als elegantes Publikum die Zuhörerschaft des heiligen Mannes bildete. Allerdings fehlte es den pastoralen Auslassungen desselben auf der Kanzel nicht an Händegeklatsch und Beifallsrufen; allein die Freude über diese wohlverdienten Erfolge wurde dem Prälaten schnöderweise durch heidnische Lästerzungen vergällt, welche behaupteten, die den erzbischöflichen Predigten gespendeten Beifallsrufe und Händeklatschlaute rührten von geschickt in der Versammlung verteilten und für ihre Mühe bezahlten Leuten her. Den Ruf und Ruhm eines notorischen Heiligen zum Ergebnis der Claque herabwürdigen, schon dieser Frevel verdiente die härteste Ahndung.

Die arme Hypatia wird furchtbar erfahren, daß es nicht guttut, gegen den Strom zu schwimmen und einer besiegten Sache zu dienen; sie wird furchtbar erfahren, daß die Pfaffen lange Zungen haben und das Volk lange Ohren hat und brutale Fäuste …

Sie war die Tochter des ausgezeichneten Mathematikers Theon, welcher den Euklid und Ptolemäus kommentierte und sein um das Jahr 380 – vielleicht etwas früher oder etwas später – geborenes mit großen Gaben ausgestattetes Kind frühzeitig mit Mathematik und Astronomie vertraut machte. In der Geometrie wurde das junge Mädchen so fest und sicher, daß es den Ehrennamen »ἡγεωμετρική« erhielt. Durch die strenge Vorschule der Mathematik ging sie in die Halle der Philosophie ein und wurde eine eifrige Adeptin des Neuplatonismus, für welchen gegen den Ausgang des 4. Jahrhunderts der christlichen Ära hin die alte Lieblingsstätte der hellenischen Philosophie, Athen, die letzte Hochschule geworden war. Diese Hochschule bezog auch Hypatia und hörte insbesondere den neuplatonischen Mystiker Plutarch den Jüngeren, in dessen Akademie seine Tochter Asklepigeneia die Honneurs machte. Frauen spielten überhaupt in damaliger Zeit vortretende Rollen; nicht allein in Museen und Künstlerwerkstätten, sondern auch in Feldlagern, in Ratssälen und auf Thronen. Man denke nur der Zenobien, Amalasunthen, Placidien, Honorien, Pulcherien und Eudokien.

Nach wohlbenützten Lehr- und Wanderjahren kehrte Hypatia nach Alexandria heim und trat daselbst als Lehrerin der Philosophie auf. Sie blieb Heidin und Jungfrau, sozusagen eine Spätlingsverkörperung des Begriffes der Pallas Athene. Schön von Antlitz und Gestalt, anmutigen Gebarens, geistvoll, hochgebildet, beredsam wie sie war, konnte es ihr an Bewerbern nicht fehlen; allein sie gab keinem derselben Gehör. Falls dem Lexikographen Suidas, welcher, obzwar ein Konfusionsrat, uns eine Fülle interessanter Notizen aus dem Altertum herüberrettete, Glauben zu schenken ist, hat Hypatia in der herben Sprödigkeit ihrer Jungferschaft sogar keinen Anstand genommen, in sie Verliebte durch Anwendung sehr drastischer, nach unserem Gefühle mit mädchenhafter Schamhaftigkeit freilich schwer zu reimender Mittel zu kurieren Als sich einer ihrer Zuhörer heftig in sie verliebt hatte, » pannos mensibus foedatos illi ostendisse dicitur et dixisse: Hoc quidem adamas, o adolescens! et sic animum ejus sanasse.« Suidas, art. Hypatia..

Wenn aber der Liebe unzugänglich, war die schöne und keusche Philosophin für Freundschaft um so empfänglicher, auch dadurch erweisend, daß sie nicht eine romantische, sondern eine antike Natur. Unter ihren Freunden ragen zwei hervor: der kaiserliche Präfekt Orestes, welcher fortwährend alle Hände voll zu tun hatte, die energischen Eingriffe des heiligen Kyrill in seine statthalterischen Rechte und Machtvollkommenheiten notdürftig zurückzuweisen, und – merkwürdigerweise – ein christlicher Prälat, Synesios von Kyrene, Bischof von Ptolemais, welcher ein Schüler Hypatias war. Der künftige Bischof als Zuhörer zu den Füßen der jungen Heidin sitzend, das ist auch so ein kontrastvolles Bild, wie sie eben nur in großen Übergangsepochen vorkommen. Synesios bildet bekanntlich mit Klemens von Alexandria, Gregor von Nazianz und Methodios von Patara eine Gruppe der ältesten christlichen Poeten. Die zum Preise der Götter und der Mysterien und des neuen Glaubens gesungenen Lieder und Hymnen dieser Griechen haben freilich einen sehr starken Beisatz von Heidentum und schöpfen ihre Inspiration mehr aus dem Platonismus und Neuplatonismus denn aus den Evangelien. Als Musterstück dieser Dichterei kann recht wohl der berühmte Hymnus des Klemens auf den Erlöser Christus gelten, allwo die Christen als »Säuglinge« erscheinen, welche »aus den süßen Brüsten der anmutigen Nymphe Weisheit himmlische Milch schlürfen«.

Auch der gute Bischof von Ptolemais war im Grunde weit mehr Neuplatoniker als Christ, und daraus erklärt sich die Innigkeit und Dauer seines freundschaftlichen Verhältnisses zur Hypatia. Zugleich aber sind die uns überlieferten Urkunden dieses Verhältnisses, d. h. sieben Briefe des Synesios an die Philosophin, ein wahres und unvergängliches Ehrenmal für diese. Der Bischof übersendet ihr seine Schriften zur Beurteilung und macht das Erscheinen oder Nichterscheinen derselben von ihrer zustimmenden oder mißbilligenden Kritik abhängig. Er schreibt der Freundin: »Meine Kinder, meine Freunde mangeln meinem Herzen, aber mehr noch mangelt ihm deine göttliche Seele, die mehr als alles andere die Herbigkeit meines Schicksals zu versüßen vermöchte.« Ein andermal entschüttet er seine Trauer also gegen Hypatia: »Oh, meine Mutter, meine Schwester, meine Lehrerin, meine Wohltäterin, meine Seele ist sehr betrübt! Die Erinnerung an meine Kinder, die ich verloren habe, tötet mich.« Ein drittesmal äußert er: »Wenn ich Nachrichten von dir erhalte, wenn ich vernehme, daß es dir, wie ich hoffe, besser ergeht als mir, so bin ich nur noch halb unglücklich.« Vom Christentum ist in den Briefen des guten Bischofs nicht mit einem einzigen Worte die Rede.

Und doch war das Christentum ein unhemmbar-siegend vorschreitendes Prinzip, das Heidentum nur noch ein abgünstig geduldetes. Jenes ein frohlockend um sich greifendes Feuer, dieses ein ängstlich zuckendes Flämmchen, durch die pietätvollen Hände von wenigen Auserwählten mühsam vor dem Erlöschen bewahrt. Man kann wohl sagen, daß die beiden Prinzipien zu Alexandria in den Personen des heiligen Kyrill und der keuschen Hypatia verkörpert einander gegenüberstanden. Ein Zusammenstoß konnte nicht ausbleiben, und wir dürfen, ohne der Philosophin ein Unrecht anzutun, wohl annehmen, daß sie immerhin noch Weib genug gewesen sei, um den Gegner mehr zu reizen und herauszufordern als zu begütigen und zu entwaffnen. Weibliche Eitelkeit, Rechthaberei und Streitsucht pflegen auch in Philosophinnen ein Plätzchen, mitunter sogar einen großen Platz zu finden, und Sankt Kyrill mochte richtig raten, wenn er die Akademie der schönen Jungfrau nicht nur als die letzte Burg des Heidentums in Alexandria ansah, sondern auch als den Ort, wo sein Widersacher Orestes wirksame Anregungen empfing und von wo die witzigen antikyrillischen Epigramme ausgingen, welche die alexandrinische Gesellschaft auf Kosten eines Heiligen mehr lachen machten, als einem Heiligen anständig scheinen konnte.

Derweil man also im heidnischen Prätorium viel Geist verausgabte und Witz verbrauchte, philosophierte und satirisierte, bereitete man im christlichen Tabernakel einen Schlag vor. Schöne Heidin Hypatia, hüte dich! Unter den mönchischen Horden Nitrias draußen, wie unter den Pöbelbanden drinnen geht ein Gemunkel und Gezischel um und birst auch wohl in wüste Schimpf- und Drohrufe aus, unsere liebenswürdige Philosophin sei eine verruchte Zauberin und ihre Akademie nur der Schauplatz teuflischer Mysterien und Orgien. Wußte Sankt Kyrill, was für Dämonen er heraufbeschwor, als er der heiligen Dummheit die arme Hypatia als Hexe signalisierte? Ohne Zweifel, aber er beschwor ja diese Dämonen nur »zur größeren Ehre Gottes«, und außerdem wollen wir in geziemender christlicher Liebe glauben, daß im entscheidenden Augenblick dem Beschwörer seine Macht über die Beschworenen versagte. Denn von einem notorischen Heiligen ist doch wohl nicht anzunehmen, er habe mit der Bosheit Belials die Grausamkeit Molochs verbunden; oder doch?

Das Zerwürfnis des Erzbischofs mit dem Präfekten war seit dem Judentumult immer klaffender geworden. Beide bestürmten den kaiserlichen Hof mit gegenseitigen Anklagen; allein es war kein erster Theodosius mehr da, um entscheidend einzugreifen, sondern nur ein zweiter, ein kläglicher Kaiserschemen und Weiberknecht, welcher die Dinge im Reiche lottern und schlottern ließ, wie sie konnten und mochten. Die beiden rivalisierenden Gewalthaber in Alexandria blieben daher sich selber überlassen, und das »geistliche Schwert« durfte sich sagen, daß es die öffentliche Meinung, welche ja mit dem Stärkeren zu gehen liebt, für sich haben würde, so es ihm gelänge, das »weltliche« unterzukriegen. Aber es steht geschrieben: »Seid klug wie die Schlangen!« und unser Heiliger war in der Heiligen Schrift zu beschlagen, um das nicht zu wissen. Demut und Milde ziemt dem christlichen Priester, und: »Liebet eure Feinde!« spricht der Herr. Aus diesen Gründen und nicht etwa, wie heidnische Lästerzungen behaupten wollten, aus Motiven einer Politik, welche sich den Anschein geben wollte, herausgefordert worden zu sein, begab sich Sankt Kyrill eines Tages unter Vortragung eines Exemplars der Evangelien zum Präfekten, um den schwebenden Zwist in Minne zu schlichten und den Friedensschluß sofort auf das heilige Buch zu beschwören.

Da hatte nun aber der Teufel ganz offenbarlich sein Spiel. Denn siehe, Orestes wies den Friedensantrag des heiligen Mannes zurück, ohne allen Zweifel auf die Einflüsterung der Hexe Hypatia hin. Sofort fiel der lange und wohlvorbereitete Schlag. Denn eilends ward in die Trompete des Zorns gestoßen und eifrigst das Bockshorn des Zeters geblasen, um die heilige Dummheit und die fromme Wut auf den Plan zu rufen. Sie kam. Eine Bande von Mönchen schwärmte von Nitria herein, die Matrosenkneipen am Hafen, die Gaunerherbergen der Rhakotis, die Bordelle am Kanopischen Kanal spien ihre Insassen auf die Straßen, damit sie »zur größeren Ehre Gottes« arbeiteten, und zwar unter Anleitung eines würdigen Führers, eines angehenden Priesters, welcher Peter hieß und den Berufsbeinamen der »Lektor« trug. Nachdem der Tumult im Gange, fand Sankt Kyrill als kluger Puppenspieler nicht geraten, seine Hände weiter dabei zu zeigen, sondern wusch sie vielmehr in Unschuld. Mit- und Nachwelt sind aber so profan gewesen, an die Wirksamkeit dieser Wäsche nicht recht zu glauben, und selbst der frommgläubige Sokrates Scholastikus konnte sich nicht enthalten, in seiner Kirchenhistorie mit dürren Worten zu sagen, der an Hypatia verübte Mord und die Art seiner Verübung habe »den heiligen Kyrill und die ganze Kirche von Alexandria mit Schmach bedeckt«.

Das Unheil war im Zug und der Greuel geschah. Eines Tages im März des Jahres 415 durchtobte eine Pfaffen- und Pöbelhorde tumultierend die Straßen der Stadt, deren Bewohner aber derartige Auftritte zu sehr gewohnt waren, als daß sie sich viel daraus gemacht hätten. In der Straße, wo unweit der »cäsarischen« Kirche Hypatias Haus gelegen war, staute sich der wüste Menschenkehricht. Der Wagen der schönen Philosophin wartete an der Hauspforte, denn, unwissend, daß der Pöbelauflauf ihr gelte, war sie im Begriffe, auszufahren.

Sie kam herab, bestieg den Wagen und hat, indem sie sich zurechtsetzte, wohl einen Blick philosophischer Verachtung auf die spektakelnde Rotte geworfen.

Da aber, wie die Pferde anziehen wollen, stößt Peter der Vorleser einen Signalschrei aus, und wütend werfen sich die Mönche und wirft sich die ganze »heilige Canaille« auf die »Hexe«. Hypatia wird vom Wagen gerissen, und im Nu und Hui werden ihr erbarmungslos-roh sämtliche Gewänder vom Leibe gezerrt. Das freche Tageslicht sieht die jungfräuliche Nacktheit der vor Überraschung und Entsetzen Versteinerten. Die also Geschändete wird unter wüsten Mißhandlungen in die nahe Kirche geschleppt und dort von den rasenden Satanassen buchstäblich in Stücke zerrissen. Die noch zuckenden Glieder der erlauchten Blutzeugin der Denkfreiheit werden unter kannibalischem Jubel durch die Straßen geschleift und schließlich auf dem Kinaron verbrannt … Das »Christentum« hatte gesiegt.

Diese Scheuseligkeit gemahnt in ihren Einzelheiten höchst auffallend an die gräßliche Ermordung der armen Prinzessin Lamballe im Gefängnisse La Force am schrecklichen 3. September 1792. Ja, der Fanatismus, ob so oder so gefärbt, bleibt immer und überall derselbe, und mächtig ist im Menschen die Bestie.


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