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Der weiße Teufel

Dieser Titel ist dem Trauerspiel entlehnt, das John Webster, ein Zeitgenosse Shakespeares, verfaßt hat und das zu London im Jahre 1612 gedruckt worden ist mit diesem Titelblatt: » The White Devil, or the Tragedy of Paolo Ursini, Duke of Brachiano, with the Life and Death of Vittoria Corombona« (Der Weiße Teufel oder die Tragödie des Paolo Ursini, Herzogs von Brachiano, mit Leben und Tod der Viktoria Corombona). Wie diese alten englischen Dramatiker mit der Geschichte umsprangen, geht schon aus dem Zusatz zum Namen Vittorias hervor: » The famous Venetian Curtizan« (Die berühmte venezianische Kurtisane). In Wahrheit war die Heldin von Websters Trauerspiel, Vittoria Accorombona, die schönste Italienerin ihrer Zeit, Tochter des Signor Accoromboni, eines umbrischen Edelmanns, und der Donna Tarquinia Paluzzi degli Albertoni, einer römischen Edelfrau, und sie war, wie wir genauer erfahren werden, in erster Ehe verheiratet an Francesco, einen Neffen des Kardinals Montalto, wie Felice Peretti hieß, bevor er Sixtus V. wurde.

Das Ewig-Weibliche …

Goethe.

1.

Vom Fra Felice.

Der bekannte Satz, durch den Katholizismus gehe ein demokratischer Zug, enthält eine Wahrheit, welche aber wie viele andere sogenannte Wahrheiten cum grano salis zu nehmen ist. Nimmt man sie so, wird man nicht anstehen, der katholischen Kirche einen gewissen Demokratismus zuzuerkennen und ihn namentlich in zwei Tatsachen ausgeprägt zu finden. Die erste ist, daß die Kirche sich allzeit davor gehütet hat, die Fühlung mit dem Volke, mit den Massen, zu verlieren. Die zweite, daß jeder Mönch die päpstliche Tiare in der Kapuze trug, obzwar nicht eben viele das glänzende Ding daraus hervorzulangen verstanden, – gerade so, wie auch nicht viele Napoleonische Soldaten den Marschallstab, den sie ja ebenfalls alle im Tornister trugen, aus diesem hervorzuziehen vermochten. Immerhin war es ein großer Gedanke, die Aristokratie des Geistes der feudalen Aristokratie der Geburt entgegenzustellen, und diesen Gedanken hat die katholische Kirche verkündigt, wenn sie auch, wie es eben in dieser unserer nicht ganz vollkommenen Welt zu gehen pflegt, nicht regelmäßig, sondern nur ausnahmsweise ihre Theorie zur Praxis zu machen wußte.

Der Mönch, von welchem hier die Rede sein soll, verstand es, die dreifache Krone aus seiner Kapuze zu langen und sie fest auf sein tonsuriertes Haupt zu setzen.

In Grottamare, einem südlich von Ancona auf einem Vorsprung der Apenninen gelegenen Bergstädtchen, wurde dem Kleinbauer Piergentile Peretti von seiner Ehefrau am 13. Dezember 1521 ein Knabe geboren, dem er in der Taufe den bedeutungsvollen Namen Felix geben ließ. Denn, so will die Sixtuslegende, der Vater hatte geträumt, er würde einen Papst zeugen, und im festen Glauben an die Verwirklichung dieses Traumes nannte er seinen Sohn den »Glücklichen«. Vorderhand ging der kleine Felice, sobald er überhaupt gehen konnte, bei Besorgung der Zitronen- und Orangenbäume im Hausgarten dem Vater an die Hand, trieb auch gemeinsam mit seinem Schwesterlein Kamilla die Schweine, die der väterlichen Kleinwirtschaft sehr gut zustatten kamen, zur Weide. Darum haben später die Feinde des Papstes über ihn gespottet, als über den gewesenen »Schweinehirten«; aber sie taten es nur flüsternd. Im Minoritenkloster Montalto, unfern von Grottamare auf hoher Bergkuppe gelegen, lebte dem Knaben ein Oheim von väterlicher Seite, Fra Salvatore, bekannt und geachtet in seinem Orden. Der nahm den neunjährigen Neffen zu sich, und zwölfjährig tat Felice als Novize die Kutte des heiligen Franziskus an. Noch jung an Jahren war Fra Felice, nach glanzvoll betriebenen Studien und nachdem er in Siena die Priesterweihe, in Ferrara den Doktorhut empfangen, schon ein berühmter Kanzelredner. Im Jahre 1552 hielt er in der Apostelkirche zu Rom die Fastenpredigten. Die Herren und Damen der römischen Aristokratie, die Botschafter bei der Kurie, Kardinäle und Inquisitoren waren seine Zuhörer. Aber der berühmteste unter ihnen war ohne Frage Don Inigo de Loyola, der Stifter der Gesellschaft Jesu.

Fra Felices Predigermund schleuderte Blitze und sprach Donnerschläge. Der Bauernsohn in der Kutte kannte keine Menschenfurcht. Mit äußerster Kühnheit strafte er die Laster der Vornehmen und Mächtigen, der Fürsten und Könige, und zwar mit Namensnennung. Denn in dem genialen Fra brannte und loderte jene Eifersglut, welche mehr oder weniger energisch alle die Träger der großen katholischen Gegenreformation des 16. Jahrhunderts beseelte und in der Organisation der » Societas Jesu« ihren wirksamsten Ausdruck fand. Auf den leichtfertigen und rauschenden Karneval, der das Rom der Renaissancepäpste durchlärmt hatte, folgte die Aschermittwochszeit der aus den Reihen der »Zelanti« genommenen Statthalter Christi, welche eine strengere Sittenzucht und die strammste Disziplin im ganzen Umfang der Hierarchie wieder einführten und das katholische Dogma auf die Konzilsbeschlüsse von Trient als auf eine unnahbare Grundlage von Granit stellten. So im Innern neu gekräftigt, straff einheitlich, begann der Katholizismus seinen großen, von seinem Generalstab, dem Jesuitenorden, ebenso geschickt geleiteten, wie unerbittlich durchgeführten Feldzug gegen den schon in gemeine Verpfaffung verfallenen, dabei zerklüfteten, in mancherlei Konfessionen und Sekten aufgelösten Protestantismus. Es war ein Krieg der organisierten, planmäßig und folgerichtig handelnden Autorität mit der zerfahrenen, eigensüchtig und kleinmeisterlich schwatzenden und zankenden Anarchie. Hielt sich doch jeder jammerselige Prädikant für einen unfehlbaren Papst. Der Ausgang des Kampfes konnte also nicht zweifelhaft sein. Der Protestantismus wurde auf dem Festland von Europa überall zurückgedrängt. Große Provinzen, ja ganze Länder, welche er erobert hatte und zu besitzen wähnte, wurden ihm wieder abgenommen, und er sah sich fortan auf die Verteidigung beschränkt. Seine Angriffskraft und Ausbreitungsstärke hatte er ja, genau angesehen, schon eingebüßt an dem Tage, wo Luther die Reformation aus einer großen Volkssache zu einer kleinen Fürstensache gemacht. Der Kalvinismus konnte sich wenigstens rühmen, den Keim weiterer weltgeschichtlicher Entwicklungen in sich getragen, den englisch-schottischen Puritanismus gezeugt zu haben, den Vater der angelsächsisch-transatlantischen Demokratie. Das Luthertum dagegen, noch heute, wie von jeher, ohne politischen Sinn und Verstand, noch heute, wie von jeher, demütig nach oben und hochmütig nach unten, war und blieb unfruchtbar und wurde innerlich zur dogmatischen Versteinerung, äußerlich zur Polizeikirche, der der fürstliche Absolutismus sich bediente wie seiner übrigen polizeilichen Apparate. Gegenüber einer solchen Kirche von Fürstengnaden durfte sich der restaurierte und siegreiche Katholizismus, seiner Selbstherrlichkeit froh, wohl eine Kirche von Gottesgnaden nennen. Das Geheimnis des »Zauberers von Rom« war von jeher und ist noch, daß er sich nicht an die Vernunft der Menschen, also an etwas, was in 99 Fällen von 100 gar nicht vorhanden, wandte und wendet, sondern vielmehr an die Phantasie und an das Gemüt, an den menschlichen Hunger nach Illusionen und Täuschungen, an die mächtigen Instinkte der Furcht und der Hoffnung. Das war und ist der wirkliche »Fels Petri« und, unentwegt auf diesem Felsen sitzend, war und ist die katholische Kirche eine selbstherrliche Macht, eine Großmacht, welche, des unbedingten Gehorsams von Millionen und wieder Millionen sklavisch ergebener Untertanen sicher, noch lange, lange ihr » Non possumus!« allen neuzeitlichen Lehren und Strebungen mit Erfolg entgegenstellen wird Das hat die preußische Regierung, das heißt Fürst Bismarck, in der Zeit von 1873 bis 1881 sattsam zu erfahren gehabt. Schließlich tröstete er sich darüber mit dem bekannten Sprichwort: »Der Klügere gibt nach« – und es erfolgte im Sommer von 1881 der Gang nach Kanossa, nicht doch! nur der Rückzug aus dem Kulturkampf. Einer der Vorgänger Bismarcks hätte da wiederum sein Sprüchlein: »Der Starke weicht mutig zurück« – anbringen können.. Das Luthertum dagegen hat es nicht weiter gebracht als zu seinem altherkömmlichen Polizeikirchentum. Läßt der Staat diese Kirche heute fallen, so wird schon morgen der längst begonnenen inneren Auflösung die äußere Zerbröcklung folgen. Die moderne Kultur ist ihr entschieden feindselig, den Wissenden also ist sie entweder gleichgültig oder widerwärtig, und der Phantasie, der sinnlichen Anschauungsweise, der Täuschungs- und Trostbedürftigkeit der Massen hat sie nichts zu bieten. Der »Fels Petri« wird also zweifelsohne die »Augsburger Konfession« lange überdauern. Aber auch er wird dereinst in den rastlos rollenden Strom von Werden und Vergehen versinken und der christliche Olymp wird dann gerade so leer und öde stehen wie jetzt der hellenische. Ob dann die Erinnerung an die christlichen Götter in Kunst und Poesie so lange vorhalten wird, wie die Erinnerung an die griechischen vorgehalten hat, wer weiß es? …

Von jenen römischen Fastenpredigten im Jahre 1552 an stand Fra Felice als ein weithin scheinendes Kirchenlicht auf dem Leuchter. Drei Kardinäle, Carpi, Caraffa (nachmals Papst Paul IV.) und Ghislieri (später Papst Pius V.) bewunderten und begünstigten den gelehrten und beredsamen Eiferer. Mit der Durchführung von Reformen in Klöstern seines Ordens betraut, tat er mit Strenge und ungeschreckt durch die mancherlei ihm bereiteten Hindernisse und Widerwärtigkeiten seine Schuldigkeit in Siena, Neapel und Venedig. Nach Rom zurückberufen, wurde er zum Professor an der Sapienza ernannt, dann zum Konsultor der Inquisition, zum Generalprokurator des »Heiligen Offiz«, zum Generalvikar seines Ordens. Eine Sendung nach Spanien im Gefolge des Kardinallegaten Buoncampagni, dem der Frate als »Theologe« beigegeben war, schlug nicht gut aus. Der Kardinal war hochmütig und herrisch, der Frate starr und herb. Das tat nicht gut. Der Kardinal wurde aber früher Papst als der Frate und ließ dann diesen die unliebsamen Erinnerungen an die spanische Reise entgelten. Vorerst jedoch hatte Fra Felice noch guten Grund, an die glückliche Vorbedeutung seines Namens zu glauben. Denn aus Spanien zurückgekommen, fand er seinen Freund und Gönner Ghislieri als fünften Pius auf dem päpstlichen Stuhl, und der neue Papst machte ihn unverweilt zum Bischof von Santa Agata, dann zum Bischof von Fermo. Vier Jahre darauf erhob er den Bischof zum Kardinal und sorgte auch für die wirtschaftliche Ausstattung des neuen Purpurträgers, obzwar keineswegs verschwenderisch.

Dem auf recht bescheiden-bürgerlichem Fuß in einem kleinen Hause der Via Papale eingerichteten und geführten Haushalt des Kardinals Montalto, welchen Namen Felice Peretti jetzt trug, stand seine Schwester Kamilla vor, eine gute und kluge, auch resolute Frau. Sie war daheim an einen Bauer, Mignucci geheißen, verheiratet gewesen, und nach dessen Ableben hatte ihr Bruder, noch bevor er zu hohen Kirchenwürden gelangt war, die Witwe mit ihren beiden Kindern Francesco und Maria nach Rom kommen lassen. Seine Nichte Maria hatte sich mit dem römischen Nobile Fabio Damasceni vermählt und diesem zwei Söhne und zwei Töchter geboren. Zur Zeit von Montaltos Kardinalat wohnte die ganze Familie, Bruder und Schwester, Neffe und Nichte, Großneffen und Großnichten, in den beschränkten Räumen des Hauses in der Via Papale friedlich beisammen.

Mit diesem Frieden war es aus und vorbei von dem Tage an, wo das Weib daselbst einzog, das der englische Dichter den weißen Teufel genannt hat, als wollte er damit sowohl die Schönheit wie auch das Dämonische der also Benamseten kennzeichnen.

2.

Von weißen Teufeleien, Verrat und Mord.

Der rote Hut schien die letzte Gabe gewesen zu sein, die das Glück dem Bauerssohn von Grottamare gewähren wollte. Denn mit dem Einzug des Kardinals Buoncampagni als Papst Gregor XIII. in den Vatikan (1572) hatten die Gunst und das Ansehen, welche Montalto bei der Kurie genossen, ein Ende. Sein alter Gegner von der spanischen Reise her schloß ihn von allen Geschäften aus, so daß sein Kardinalat jetzt nur noch eine zeremonielle Bedeutung hatte. Montalto fand sich mit philosophischer Resignation darein. Wenigstens gab er sich so. Was er über die neue »Heiligkeit« im Vatikan, über seine lieben Kollegen, die Purpurhüteträger, über die Zeit und die Menschen überhaupt dachte, ist unschwer zu erraten. Er zog sich auf sich selbst und in seine Familie zurück, lebte sehr ungesellig in seinem Haus in der Via Papale, umgab sich mit Büchern, studierte eifrig die Kirchenväter, trieb Kunststudien und ließ sich durch den Maurergesellen Domenico Fontana, aus dem nachmals ein berühmter Baumeister geworden ist, in der Talsenkung des Esquilin eine bescheidene Villa erbauen. In der Gartenanlage, die diese Villa umgab, grub er Beete um und pflanzte er Bäume.

Man hätte den in Ungnade gefallenen und vereinsamten Kardinal vielleicht vergessen, wenn nicht von Zeit zu Zeit kaustische Witzworte und beißende Sarkasmen, die er über den Papst, dessen Günstlinge und die ganze Wirtschaft im Vatikan losgelassen, von Mund zu Mund gegangen wären und die Leute nachdrücklich genug an ihn erinnert hätten. Daß der Verbitterte solche Bosheiten ausgehen ließ, würde beweisen, daß er dazumal jeder Hoffnung auf die Erfüllung ehrgeiziger Träume oder vielmehr des einen Traumes, des Tiaretraums, entsagt gehabt, wenn man nicht wüßte, daß ein rechter Witzbold und Spötter, und wäre er auch ein Kardinal, lieber seine Zungenspitze abbeißen als eine auf ihr prickelnde Bosheit nicht herausschnellen wollte. In der Achtung, ja sogar in der Furcht seiner Miteminenzen erhielt sich also Felice Peretti, aber von Zuneigung zu ihm war keine Rede, und so schien sein Schicksal besiegelt.

Das Pontifikat des dreizehnten Gregor war wieder einmal eine richtige Glanz-, d. h. Schmachperiode der weltbekannten päpstlichen Mißregierung. Das Banditenwesen, zu jeder Zeit ein Schandfleck Italiens im allgemeinen und des Kirchenstaats im besonderen, stand im üppigsten Flor, bot dem ungeschickten und schlaffen Priesterregiment offenen Trotz und Hohn, lähmte die ganze Verwaltung und machte die Rechtspflege zu einem Spott. Der römische Adel stand mit dem Räuberunwesen nicht nur auf du und du, sondern vielmehr geradezu an der Spitze desselben. Die Palazzi der Nobili in den Städten, ihre Türme und Kastelle in der Campagna, in den Provinzen waren die sichersten Zufluchtsorte für die Banditen, denen ja auch Kirchen und Klöster stets bereitwillig geöffnete und unantastbare Freistätten boten. Die Häupter der größten Familien der römischen Aristokratie, der Orsini, Colonna, Massimi, Savelli und anderer, hielten solche Banden von Räubern und Mördern in ihrem Schutz und Sold und waren demnach, bei Lichte betrachtet, selber Banditenhauptleute, denen gegenüber Recht und Gesetz nur Worte von leerem Schall waren. Bei so bewandten Umständen war der rechte Name des päpstlichen Regiments Anarchie, die man schließlich gewohnheitsmäßig hinnahm als etwas Unausweichliches. Man konnte auch das Übel, weil es sich bis in das Mark des Volkes eingefressen, für unausrottbar halten, bis einer kam, der das Gegenteil bewies und, wenigstens für die Dauer seiner Lebenszeit, das Unerhörte, man möchte fast sagen das Unmögliche zuwege brachte, das heißt Rom und den Kirchenstaat von Räubern und Mördern säuberte.

Während Montalto studierte, baute, grub und pflanzte, auch gelegentlich eine Witzrakete steigen ließ, zum Zeichen, daß er auch noch da wäre, war unweit vom Sankt Peter in einem auf der Piazza Rusticuci gelegenen Palazzetto dem Don Claudio Accoromboni und der Donna Tarquinia, seiner Frau, ihre Tochter Vittoria zu einer Jungfrau herangewachsen, welche in einem Körper von klassischer Formenschönheit einen hochgebildeten Geist trug. Man rühmte der jungen Dame nach, daß sie an Umfang und Fülle des Wissens mit einer anderen Vittoria, mit ihrer Landsmännin und älteren Zeitgenossin, der gefeiertsten Italienerin der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts, mit jener Vittoria Colonna sich messen könnte, welcher Ariost im 37. Canto seines großen Gedichts ein so herrliches Denkmal gesetzt hat. Auch Vittoria Accorombona wurde in ihrer Jugend von Poeten angesungen, als mit den seltensten Gaben überreich ausgestattet, als von einer Holdseligkeit der Gestalt, der Züge, der Sprache, des Gebarens, daß der von ihr ausgehende Zauber geradezu unwiderstehlich sei. Und das mußte so sein, nicht allein im Gedichte, sondern auch in der Wirklichkeit. Jeder, der sich ihr näherte, fühlte willig oder widerwillig die Magie ihrer wunderbaren Schönheit, ihres Blickes, ihrer Rede. Selbst der Greis im Kardinalpurpur, der strenge Zelante Montalto, hat sich diesem Zauber nicht zu entziehen vermocht. Wie schweres Leid auch die weiße Teufelin ihm angetan, er konnte der, wir wollen sagen, väterlichen Zuneigung, welche er für sie hegte, nie ganz sich entschlagen. Im übrigen wurde die junge Schöne nicht nur bedichtet, sondern sie dichtete auch selber, d. h. sie vermochte ihren Empfindungen oder auch Anempfindungen in den künstlichen Reimverschlingungen von Sonetten und Terzetten mehr oder weniger gelungenen Ausdruck zu geben Sie tat das unter dem Namen Virginia, der freilich viel weniger für sie paßte als ihr wirklicher. Über ihre Dichterei vgl. Quadrio, Storia d'ogni poesia, t. II. Quadrio hat Handschriften von Vittorias dichterischen Versuchen in der Ambrosiana zu Mailand aufgefunden..

Das Dämonische, das in der Seele des liebreizenden Geschöpfes schlummerte, mußte frühzeitig geweckt werden durch die törichte Eitelkeit einer Mutter, welche der Überzeugung war, für das Juwel von Tochter wäre die allerköstlichste Fassung gerade nur gut genug. Der hochmütige Ehrgeiz der Mutter wollte mit der »göttlichen« Vittoria so hoch hinaus oder hinauf als möglich, und sittliche Bedenken kannte Donna Tarquinia nicht. Sie hatte also gar nichts dagegen, im Gegenteil, es war ihr ganz genehm, daß aus dem dichten Schwarme von Anbetern und Bewerbern, der in dem Hause an der Piazza Rusticuci ein und aus strömte – auch ein Kardinal, Farnese, war darunter – mit wuchtigem Schritt einer hervortrat, der einer der größten Herren Roms war, ja vielleicht nach dem Papste der allergrößte, ein richtiger Gransignore nach italienischem Schnitt von dazumal, das Haupt des orsinischen Hauses, Don Paolo Giordano Orsini, Duca di Bracciano, Herr vieler Paläste und Burgen, ein Großgrundbesitzer, dessen Güter die für jene Zeit kolossale Jahresrente von 30 000 Talern lieferten, einflußreich an fürstlichen und königlichen Höfen durch Verwandtschaft und Verbindungen, mächtig und gefürchtet um seines Reichtums, um seiner zahlreichen Banditen, um seiner skrupellosen Entschlossenheit und Ruchlosigkeit willen.

Der Ruf des Herzogs war der schlechteste, und er hatte ihn vollauf verdient. Er galt für einen Bösewicht und war einer. Es war kein bloßes Gerücht, daß er seine erste Frau, die Prinzessin Isabella dei Medici, eine Schwester des Großherzogs von Toskana, umgebracht hätte. Er hatte es getan. In einem einsamen Waldschloß, das im Tale des Arno gelegen, war die Unglückliche gemordet worden (1576), von ihres Gatten eigenen Händen erwürgt, wie jetzt wohl zweifellos feststeht. Aber so groß war der Schein seiner Macht und so wesenhaft die Furcht, die er einflößte, daß die Brüder der ermordeten Isabella, der Großherzog und der Kardinal Medici, nicht nur keinen Versuch machten, dem Mörder ihrer Schwester Rechenschaft abzuverlangen, sondern nach wie vor in bestem Einvernehmen mit ihm standen. Die urteilslose Menge hegte wohl ein dunkles Gefühl der Angst vor dem großen Herrn, der gewohnt war, seine Leidenschaften und sein Belieben über göttliche und menschliche Gesetze zu stellen. Allein ein solches Treiben gehörte ja im damaligen Italien und insbesondere im Kirchenstaat zum guten Ton, wie Raub, Mord und Gewalttaten aller Art sozusagen zum täglichen Brot gehörten, und wenn der Gewalttäter so vornehm, so reich, so angesehen, dabei von so gewinnenden Manieren, so leutselig und freigebig war wie der Duca di Bracciano, so konnte es gar nicht fehlen, daß er eine ausgeprägte Volksbeliebtheit genoß. Volksgunst wendet sich ja immer und überall viel lieber dem prunkenden Laster als der bescheidenen Tugend zu.

Aus alledem erklärt es sich sattsam, daß die Huldigungen, welche Orsini der schönen jungen Vittoria darbrachte, nicht zurückgewiesen wurden, sondern eine gute Statt fanden. Unerklärlicher ist es schon, daß ein junges Mädchen von beispielloser Schönheit an dem Mann, wie er war, als an einem Manne Gefallen gefunden haben soll. Denn der Herzog war bei weitem nicht mehr jung und nichts weniger als ein Adonis oder Antinous. Nahezu ein Fünfziger, kahlköpfig, dickhalsig, von einer bis zur Unförmigkeit gedehnten Korpulenz, an einem seiner unmäßig dicken Beine mit einem offenen Schaden behaftet, das war doch wohl kein Galan, wie er im Canzoniere Petrarcas oder im Dekamerone Boccaccios stand. Aber man weiß, es gibt auch Galane, wie sie in keinem Lieder- oder Novellenbuch stehen. Es gab und gibt zu allen Zeiten häßliche Männer, welche von schönen und schönsten Mädchen und Frauen leidenschaftlich geliebt worden und werden. Wäre die Liebe so leicht zu erklären, daß sie etwas sei, was nur zwischen gleichen möglich, würde sie dann noch die Liebe sein? Zudem gibt es Männer – Frauen allerdings keine – welche vor lauter Häßlichkeit wieder schön werden. Ein solcher war z. B. Mirabeau. Wenigstens die schöne Sophie Lemonnier fand ihn sehr schön. Freilich, Donna Tarquinia hat gewiß sich bemüht, die Herzoginkrone von Bracciano im verlockendsten Brillantfeuer vor den Augen ihrer Tochter leuchten zu lassen, um die Eitelkeit Vittorias zu stacheln und auf ein großes Ziel zu lenken, und bekannt ist auch, daß, wie die Sinnlichkeit des Mannes, so die Eitelkeit des Weibes ein mächtig wirkendes Motiv in der menschlichen Tragikomödie abgibt. Die weibliche Eitelkeit allein wäre jedoch kaum imstande gewesen, alle die Proben zu bestehen, denen Vittorias Verhältnis zu Orsini unterworfen wurde, und alles in allem genommen, dürfte der Schluß gerechtfertigt sein, der Herzog müsse es verstanden haben, dem jungen Mädchen eine wirkliche, tiefe und ausdauernde Leidenschaft einzuflößen. Daß er selber von einer Leidenschaft dieser Art besessen war, unterliegt gar keinem Zweifel.

Vielleicht ist an dieser Stelle unserer Historie die Zwischenfrage gestattet, ob der englische Tragiker, wenn er seine Heldin den weißen Teufel nannte, nicht etwa nur auf ihre körperliche Schönheit habe hinweisen, sondern auch habe andeuten wollen, daß die Urgewalt der Leidenschaft, unter deren übermächtigem Antrieb Vittoria handelte, das heißt sündigte, ihr als eine Entschuldigung, ja als eine Art von Sühne für ihre Verfehlungen gutgeschrieben werden müsse? Ich bin geneigt, diese Frage zu bejahen im Hinblick darauf, daß Webster seinen »weißen Teufel« sterben läßt mit den Worten:

»Mein größter Fehl, er lag in meinem Blute,
Und also sühn' ich ihn mit meinem Blut« …

Wenn aber Orsini wähnte, leicht zum Ziele zu gelangen, so täuschte er sich sehr. Es war da einer, der die Einfädelung eines Liebeshandels zwischen dem Herzog und der jungen Accorombona ganz anders ansah als die Donna Tarquinia, und dieser Anderssehende war Don Claudio, der Vater Vittorias. Als der Ehrenmann, der er war, verabscheute er den Gedanken eines unehrenhaften Verhältnisses zwischen seiner Tochter und dem Herzog, wie ihm ein solches als sehr möglich erscheinen mußte, ja, er hätte wohl bei seiner Sinnesweise den verrufenen Mann nicht einmal zu seinem rechtmäßigen Schwiegersohn haben wollen. Um allen Ärgernissen ein Ende zu machen und der Gefahr – Accoromboni mochte Grund haben, eine Entführung seiner Tochter durch den gewalttätigen Duca zu befürchten – beizeiten vorzubeugen, schien es dem redlichen Vater das Rätlichste zu sein, Vittoria rasch zu verheiraten. Er mochte in seiner Ehrbarkeit glauben, eine rechtmäßige Ehe müßte seiner Tochter gegen zuchtlose Begehrnisse und Nachstellungen den besten Schutz gewähren; allein er bedachte dabei nicht, was für Ansichten unter seinen Landsleuten über die Heiligkeit, das heißt Nichtheiligkeit der Ehe im Schwange gingen, und noch weniger bedachte er, ob seine Tochter gegen die Begehrnisse und Nachstellungen von seiten des Herzogs auch wirklich beschützt sein wollte. Genug, er sah sich um unter den Freiern Vittorias, und seine Wahl fiel auf den sterblich in seine Tochter verliebten Francesco Mignucci-Peretti, den Neffen des Kardinals Montalto. Es war eine armselige Partie, wenigstens mit dem Maßstabe der hochfliegenden Hoffnungen gemessen, welche Donna Tarquinia für ihre Tochter und in dieser genährt hatte. Der Gärtnersenkel und Bauernsohn sollte ein Kleinod davontragen, um welches der stolzeste der römischen Fürsten, das Haupt der Orsini geworben hatte – abscheulich, unerträglich das! Aber Don Claudio setzte gegenüber von Frau und Tochter seinen Willen durch, und daß er ihn durchsetzte, erweist immerhin klärlich, daß der brave Mann Herr in seinem Hause war. Der Herzog seinerseits scheint keinen Versuch gemacht zu haben, die Verheiratung seiner Angebeteten zu hindern. Die Hochzeit fand demnach statt, das junge Paar wurde in der Kirche Santa Maria della Corte getraut, und Francesco führte seine Vittoria unter das gastliche Dach seines Ohms in der Via Papale.

Schon der Eintritt in das, wie bereits erwähnt, auf dem Fuß anständiger, aber schlichter Bürgerlichkeit eingerichtete und geführte Haus mußte auf das verwöhnte Schönheitswunder vom Palazzo der Piazza Rusticuci einen unliebsamen Eindruck machen, und die herzliche, aber ebenfalls schlichtbürgerlich geäußerte Freundlichkeit, womit ihre Schwiegermutter Kamilla und ihre Schwägerin Maria Damasceni sie empfingen, vermochte diesen Eindruck nicht zu verwischen. Auch die Wahrnehmung nicht, daß ihre bloße Gegenwart hinreichte, die strengen Züge des Kardinals zu mildern, und nicht die immer wieder bestätigte Erfahrung, daß er für die Frau seines Neffen ein wahrhaft väterliches Wohlwollen hegte. Sie, die vorher der in allen Weisen und Tonarten gehätschelte und beschmeichelte Mittelpunkt des glänzendsten Gesellschaftskreises gewesen war, sollte sich in dieser Enge, Eintönigkeit, Langweiligkeit behagen? Unmöglich! Aber vielleicht wäre dieses Unmöglich doch allmählich zu einem Möglich geworden, falls erstens der gute und verliebte Francesco etwas mehr, ach, bedeutend viel mehr gewesen als eben ein verliebter und guter Francesco, und falls zweitens Donna Tarquinia nicht dafür gesorgt hätte, daß der Dämon in der Seele ihrer Tochter ja nicht zu dauerndem Einschlummern käme. Die hochmütige Dame hatte sich zwar dem Willen ihres Gatten gefügt, fügen müssen, aber sie sah die Heirat Vittorias fortwährend für ein Unglück, ja für eine Schmach an, die so oder so beseitigt und gutgemacht werden müßte. Sie blieb darum mit dem Herzog von Bracciano fortwährend in regem Verkehr, sprach ihrer Tochter von ihm und fachte in der jungen, mit ihrem Lose bald mehr und mehr unzufriedenen Frau hochmütige Hoffnungen auf ein glänzendes Dasein an der Seite des Duca immer wieder an. Daß diese Hoffnungen verbrecherische waren, kümmerte die ehrsüchtige Mutter wenig und kümmerte auch bald die Tochter nicht mehr. Ob Donna Tarquinia sich nicht gescheut, die Gelegenheitsmacherin im schlimmsten Sinne zu spielen, das heißt heimliche Zusammenkünfte Vittorias mit dem Herzog zu veranstalten oder wenigstens zu begünstigen, ist nicht erwiesen, war aber diesem Weibe wohl zuzutrauen. Außerdem verfügte ja Orsini über die Dienste eines ebenso schlauen wie gewissenlosen Gelegenheitmachers. Das war einer der Brüder Vittorias, Marcello Accoromboni, den als einen dieser Ehre vollkommen würdigen Gesellen der Herzog in seine Banditen- und Brigantenklientel aufgenommen hatte. Diesen Menschen verwendete der Liebhaber Vittorias als Auskundschafter und Anschicksmann im Hause Montalto, und Marcello war zu diesem Dienste um so geeigneter, als er sich das blinde Vertrauen und die wahrhaft brüderliche Zuneigung seines allzu harmlosen Schwagers Francesco zu erschleichen gewußt hatte. Francesco verbarg den Schurken, der verschiedener Untaten wegen aus Rom verbannt war, im Hause seines Oheims, so oft dem Banditen in die Stadt zu kommen beliebte.

Inzwischen nahm die Spannung und die düstere Färbung der Verhältnisse im Haushalt des Kardinals in der Via Papale und später in der Villa Peretti am Fuß des Esquilin von Tag zu Tag zu. Keiner und keine der Beteiligten konnte sich's verhehlen, daß ein Wesen wie Vittoria nicht hierher paßte, obzwar Montalto lange Zeit nicht müde wurde, ein gewichtiges Vermittleramt zu üben. Das war wahrlich keine Kleinigkeit. Wenn es bekanntlich schon sehr schwierig ist, zwischen zwei Frauen unter einem Dache, gleichviel, in welchem Verhältnisse sie zueinander stehen mögen, einen leidlichen Friedenszustand zu erhalten, so kann man sich unschwer vorstellen, daß unter dem Dache, wo eine dämonisch-geniale Weltdame wie Vittoria einer Schwiegermutter und einer Schwägerin von der Sinnesweise und Gewöhnung der Donna Kamilla und der Donna Maria gegenüberstand, selbst ein Purpurträger genug zu tun hatte, wenigstens das Ausbersten des Skandals nach draußen möglichst hintanzuhalten.

Die Ergebnisse der mütterlichen Schulung und Unterweisung traten an Vittoria mehr und mehr hervor. Der weiße Teufel kehrte seine Natur immer zwangloser heraus. Die junge Frau hatte von Anfang an einen Aufwand getrieben, der über ihre Stellung weit hinausgegangen war und ihre Mitgift rasch aufgezehrt hatte. Nur die kostbarsten Kleidermoden, der reichste Gold- und Steinschmuck waren ihr recht. Sie gefiel sich in einer sorglosen Vergeudung, welche dem sonst so sparsamen und allem Luxus abholden Kardinal schweres Geld kostete, und verleitete auch ihren willenlosen Gatten dazu. Bald kam Schlimmeres. Vittoria tat sich nicht mehr den Zwang an, ihre Koketterie zu verbergen. Sie ließ sich ganz öffentlich hofieren und anbeten, fand es auch nicht mehr der Mühe wert, die entschiedene Abneigung, die sie gegen den armen Francesco empfand, zu maskieren, und lebte in erklärter Feindschaft mit ihrer Schwiegermutter und ihrer Schwägerin.

Wie giftgetränkt die ganze Sachlage schon dazumal gewesen sein muß, erhellt erschreckend daraus, daß, als Donna Maria später an einer Fieberkrankheit starb, innerhalb des Hauses geflüstert und außerhalb desselben mehr oder weniger laut gesagt wurde, Donna Vittoria hätte durch ihre Zofe Katerina aus Bologna, die eine Hexe wäre, ihrer Schwägerin die schleichend tödliche Krankheit anhexen lassen. Francescos Mutter wurde schon lange zuvor von einer dunkeln Angst um ihren Sohn gequält. Sie begann ihre Schwiegertochter zu hassen, aber sie fürchtete sie noch mehr. Donna Kamilla hatte das Vorgefühl einer Katastrophe. Kommendes Unheil warf auch diesmal, wie so oft, seinen schwarzen Schatten vor sich her, und daß die Mutter es war, die diesen Schatten deutlich sah oder fühlte, kann nicht wundernehmen.

So war der Abend vom 15. April des Jahres 1581 herangekommen. Ob Vittoria von dem, was an diesem Abend geschehen sollte, eine Ahnung hatte? Ob gar ein Wissen? Ob ihr eine Rolle in dem rasch sich abspielenden Mordstück zugeteilt war und welche? Auf keine dieser Fragen gibt es eine Antwort, welche auf Zuverlässigkeit Anspruch hätte. Möglich jedoch und wahrscheinlich sogar ist, daß die Tochter der Donna Tarquinia klar sich bewußt war, die Gattin des Francesco Peretti müßte Witwe sein, um Duchessa di Bracciano werden zu können.

Man wollte in der Villa Peretti gerade zur Ruhe gehen, als Vittorias Kammermagd Katerina dem Signor Francesco einen Brief brachte. Als dessen Schreiber stellte sich Marcello Accoromboni heraus, der, wie er berichtete, wieder einmal in großer Bedrängnis sich befände und seinen Schwager und brüderlichen Freund anflehte und beschwor, ihm sofort beizustehen in einer Sache, wobei es um Leben und Tod sich handelte. Um Mitternacht, so schloß das Schreiben, möge sich der Helfer beim Quirinal auf dem Monte Cavallo zu einem Stelldichein mit dem Hilfebedürftigen einstellen. Der gute und treue Francesco erklärte sich ohne Bedenken und Zaudern dazu bereit, obgleich er ja wissen mußte, daß ein nächtlicher Gang durch das Rom des Statthalters Christi allzeit ein lebensgefährliches Abenteuer wäre. Der Gedanke an diese Tatsache fiel aber mit seiner Vollgewalt auf die Mutter Kamilla und die Schwester Maria. Mit Bitten und Tränen, zuletzt kniefällig bestürmten die Frauen den Sohn und Bruder, den gefährlichen Gang zu unterlassen. Umsonst. Der sonst so weiche und bestimmbare Mann bestand, in Schicksalsschlingen gefangen, auf seinem Willen, nahm Hut, Mantel und Degen, befahl einem Diener, ihm mit einer Fackel voranzuleuchten, riß sich los und verließ das Haus.

Er kam nicht weit. Den Aufgang zum Quirinal hinansteigend, wurde er da, wo später Palazzo Barberini stand, von drei aus Arkebusen geschossenen Kugeln durchbohrt. Beim Knallen der aus einem Hinterhalt gefeuerten Schüsse ließ der Diener die Fackel fallen und rannte, Mord und Zeter schreiend, nach der Villa zurück. Die Mörder aber stürzten aus ihrem Versteck hervor, warfen sich auf den Verwundeten und gaben dem Röchelnden durch Dolchstöße den Rest.

3.

Von der Nemesis, die wie gewöhnlich zu spät kam und, wie sie zu tun pflegt, den Hauptschuldigen entschlüpfen ließ.

Während die Mutter und die Schwester des so schändlich verratenen und gemordeten Mannes in Klagen und Tränen sich erschöpften und selbst der strenge Kardinal in stummem Schmerze mühselig nach Behauptung seiner gewohnten Fassung rang, setzte die Witwe Vittoria sich hin und schrieb in Terzinen einen »Lamento« über den Tod ihres Gatten.

Das zeichnet die ganze Lage. Mordtaten waren zwar dazumal in Rom Allnächtlichkeiten, allein die Umstände, unter denen Francesco Peretti gemeuchelt worden, verschafften diesem Mord ein außergewöhnliches Aufsehen. »Donna Tarquinia hat es ausgeheckt, der Orsini hat es getan oder tun lassen« – so lautete die allgemeine Rede oder wenigstens der allgemeine Gedanke. Auf allen Lippen schwebte die Frage: »Was wird der Kardinal Montalto sagen und tun?«

Er sagte und tat wenig. Eingehüllt in den Stoizismus seines Mönchtums erschien er am Tage nach der Mordnacht in einem vom Papste gehaltenen Konsistorium und verblüffte seine Miteminenzen durch seine Ruhe und Gefaßtheit. Er sprach nur wenige, und zwar wohlabgemessene Worte über die Bluttat der Nacht, die ihm einen Neffen gekostet hatte. Als er dann mit Gregor XIII. allein war, ließ er allerdings seinen Schmerz deutlicher sehen; aber er erhob keine Anklage, gegen niemand. Er mochte denken, das wäre ja doch vergeblich, und – auch das zeichnet wieder die Sachlage – die Römer dankten ihm stillschweigend dafür, daß er nicht als Ankläger auftrat. Denn welche Bedrohungen und Schädigungen hätte man nicht von dem Orsini zu erwarten gehabt, wenn eine ernsthafte Anklage und Untersuchung gegen ihn erhoben und durchgeführt worden wäre! Der schlaffe Papst, der den Duca di Bracciano nicht weniger fürchtete als irgend ein Spießbürger von Rom, konnte zwar nicht umhin, seine Entrüstung über Francescos Ermordung zu äußern und auch zum Schein eine Untersuchung anzuordnen; aber diese kam über die ersten Anfänge nicht hinaus, und damit schien die Sache abgetan, wenigstens amtlich.

Sie war es aber nicht. Zugleich mit der Nachricht der feierlichen Bestattung, die der Kardinal Montalto seinem Neffen in der Kirche Santa Maria degli Angeli bereitet hatte, erfuhr man in der Stadt, daß Donna Vittoria aus der Villa Peretti und gleichzeitig Donna Tarquinia aus dem Palazzo Accoromboni verschwunden wären. Wohin? Die Volksstimme antwortete ohne Bedenken: »In einen der beiden Paläste Braccianos auf dem Campo dei Fiori oder auf der Piazza Navona« – und die Volksstimme hatte diesmal recht. Vittoria – sei es aus rasender Leidenschaft oder aus Furcht, in die Untersuchung des Mordes mitverwickelt zu werden, oder endlich dem Ratschlag ihrer Mutter folgend, welche das Gebäude ihrer unheimlichen Ränke möglichst bald unter Dach gebracht sehen wollte, oder aus allen diesen Motiven mitsammen – Vittoria hatte sich, alle Scham und Scheu abwerfend, zu ihrem Liebhaber geflüchtet, vom Sarg ihres von diesem gemordeten Gatten hinweg.

Selbst aus der greuelgewohnten Raub- und Mordhöhle, die das Rom jener Zeit gewesen ist, erhob sich ein Schrei des Entsetzens über solche Frechheit des Lasters.

Die päpstliche Regierung, soweit überhaupt von einer »Regierung« die Rede sein konnte, rührte sich nicht, und auch der »Statthalter Christi« selbst hätte sich nicht gerührt, wenn ihm nicht von einer Seite her zugesetzt worden wäre, wo er schandenhalber doch hinhören mußte. Nämlich, die Orsini und die Medici fürchteten mit allem Grund eine Heirat des Duca di Bracciano mit der gewaltsam zur Witwe gemachten Vittoria und legten sich gemeinsam dagegen ins Zeug. Dem Stolze der Orsini war eine Vermählung ihres Oberhauptes mit der Tochter des umbrischen Junkers Accoromboni und der Witwe des Bauernsohns Peretti zuwider, und der Kardinal Medici hielt die Rechte seines Neffen Virginio, den seine ermordete Schwester Isabella ihrem Gemahle geboren hatte, durch eine neue Heirat des Duca für beeinträchtigt oder für ganz gefährdet. Es ist ja menschliche Art, sich viel lieber und leichter durch gemeine als durch edle Beweggründe zum Handeln bestimmen zu lassen. Dieselben Leute, die noch soeben die schnödeste Verletzung des Sittengesetzes nicht hatte bewegen können, Hand oder Fuß zu rühren, rührten jetzt wetteifernd ihre und anderer Hände und Füße, um den Eingebungen des Vorurteils und der Habsucht gerecht zu werden.

Wie alle Schwächlinge von Menschen und von Völkern neigte Gregor XIII. stets dahin, wo augenblicklich die größte Kraftentwicklung statthatte, und darum ließ er sich durch die bezeichneten Einflüsse bestimmen, am 5. Mai 1581 ein »Monitorium« (Verfügung) zu erlassen, kraft dessen eine Ehe Braccianos mit Vittoria, welche ohne ausdrückliche päpstliche Bewilligung eingegangen würde, zum voraus für ungültig erklärt wurde. Gegen diesen reingeistlich-kirchlichen Angriff wußte sich der Duca nur mittels passiven Widerstands zu wehren. Er brachte seine Geliebte in eine kleine Villa, die er an der Via Magnanopoli besaß, damit sie dort versteckt bliebe, bis der Sturm vorübergebraust wäre. Allein das ging nicht so schnell, denn der Kardinal Medici und die orsinische Sippschaft hatten die Augen offen. Sie erwirkten ein neues Monitorium des Papstes, kraft dessen der Witwe Peretti befohlen wurde, in das Haus ihres Vaters zurückzukehren. Sie gehorchte, war aber bald wieder in der Villa ihres Liebhabers. Ein abermaliges Monitorium trieb sie in das väterliche Haus zurück, in welchem Don Claudio jetzt allerdings nicht mehr Herr zu sein schien; warum, weiß man nicht.

So ging das Hin und Her weiter bis zum Ausgang des Jahres, wo es gelang, den Papst zu einer ernstlichen Maßregel zu drängen. Eines Dezembertages drangen päpstliche Sbirren (Schergen) plötzlich in das Haus Accoromboni, ergriffen Vittoria und führten sie nach dem in Trastevere gelegenen Kloster Santa Cäcilia. Weil man aber die Gefangene dort vor den Machenschaften ihres Galans nicht sicher glaubte, wurde sie nach dem Kastell San Angelo gebracht und hier nahezu ein Jahr lang gefangen gehalten. Diese Haft war jedoch eine sehr gelinde, und die Gefangene durfte einen ununterbrochenen Briefwechsel mit ihrem Liebhaber unterhalten. Man wird dadurch in der Vermutung bestärkt, daß die Gefangensetzung des weißen Teufels nur eine zwischen der Regierung des Vatikans und dem Herzog von Bracciano redend oder schweigend abgekartete Komödie gewesen sein könnte. Die Haft Vittorias konnte für eine kirchliche Buße gelten, und während der Dauer dieser Büßung sollte über die Ermordung ihres Gatten Gras wachsen und die eingeleitete Untersuchung einschlafen.

An Anhaltspunkten zur Weiterführung dieser Untersuchung hätte es wahrlich nicht gefehlt. Der Bruder jener Katerina, der Zofe Vittorias, Domenico d'Aquaviva, der an jenem Aprilabend den schicksalsschweren Brief für Francesco Peretti gebracht hatte, war verhaftet worden und hatte im Februar 1582 das Geständnis abgelegt – ohne Folterzwang, wohlverstanden! – die Donna Tarquinia wäre am ganzen Unheil schuld. Seine Schwester Katerina wäre ihre Helfershelferin gewesen. Zu Vollstreckern des Mordplans hätten gedient ein gewisser Machioni aus Gubbio und ein gewisser Barca aus Bracciano, Banditen eines großen Herrn, dessen Namen er, Domenico, aus naheliegenden Gründen verschweige. Diese Enthüllung hätte müssen von Rechts wegen dem Duca Bracciano und der Donna Tarquinia teuer zu stehen kommen. Aber es war gar keine Rede davon. Im Gegenteil, die ganze Prozedur wurde niedergeschlagen, und bald daraus ließ man auch den Domenico laufen. Das war die Rechtspflege eines »Statthalters Christi«.

Mehr noch, schon zu Anfang des Jahres 1583 treffen wir den Herzog im Vatikan wieder in voller Gunst. Der Heilige Vater ließ sich von dem Bösewicht bewegen, alle gegen ihn und Vittoria erlassenen Moratorien zurückzunehmen, einzig das Eheverbot ausgenommen. Dieses Verbot, meinte Bracciano, wäre eigentlich ganz überflüssig, da er ja seinen Sippen, den Orsini, wie auch dem Kardinal Medici, die Erklärung gegeben hätte, er würde Vittoria niemals zu seiner Gemahlin machen.

Jawohl, er brauchte sie nicht mehr dazu zu machen: sie war es nach damaliger Anschauung schon in aller Form Rechtens, als der Duca diese schamlos verlogene Erklärung abgab. Wenige Wochen, vielleicht nur wenige Tage nach der Ermordung des armen Francesco hatte sich der Mörder – denn das war ja der Herzog mittels der Hände seiner Banditen – in Rom mit der Witwe des Ermordeten heimlich trauen lassen. Für einen solchen Gransignore war es eine Kleinigkeit, in der von Priestern und Mönchen wimmelnden Stadt einen Geistlichen aufzutreiben, der die Trauungsformel über ihn und seine Mitschuldige aussprach. Das genügte, zumal vor Erlassung des päpstlichen Monitoriums vom 5. Mai 1581, zum Abschluß einer rechtmäßigen Ehe vollkommen. Eine solche wollte aber Donna Tarquinia, welche zweifelsohne ihre Tochter angeleitet hatte, dem maßlos verliebten Orsini begreiflich zu machen, daß der Weg zu ihrem Schlafzimmer nur durch die Kirche ginge. Die beiden Damen scheinen aber der heimlichen Trauung in Rom doch nicht ganz getraut zu haben. Vittoria setzte es nämlich nach ihrer Entlassung aus der Engelsburg durch, daß sich der Duca am 10. Oktober 1583 in der Burgkapelle zu Bracciano zum zweitenmal und zwar öffentlich und feierlich mit ihr trauen ließ.

Diese Frechheit warf in Rom Staub auf. Das päpstliche Eheverbot bestand ja noch, und so schickte man sich denn an, einen neuen Prozeß gegen den Duca und die Duchessa di Bracciano einzuleiten. Der Orsini wußte wohl, daß das nur eine abermalige Komödie wäre, die bald ausgespielt sein würde. Er kam daher mit Vittoria ohne jede Scheu nach Rom und lebte mit ihr als mit seiner Frau öffentlich in seinem Palazzo. Das Paar schien glücklich, war es vielleicht auch; denn über die Mahnungen des Gewissens waren beide weit hinweg. Nicht erst die Materialisten und Nihilisten der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts haben den schönen Satz erfunden, das »sogenannte« Gewissen sei nur ein lächerliches Phantom, nur noch von »ganz zurückgebliebenen« Leuten geglaubt, anerkannt und geachtet. Die Wüstlinge und die unzüchtigen Weiber, die Frevler und die Verbrecherinnen des 16. Jahrhunderts waren auch schon so weit.

Die Herrlichkeit des glücklichen Lasters währte bis zum 10. April 1585, an welchem Tage Gregor XIII. starb. Zunächst zwar schien dieser Todesfall das Glück des Duca und der Duchessa di Bracciano nicht beeinträchtigen zu können. Im Gegenteil, das Interregnum, die zeitweilige Papstlosigkeit Roms begünstigte die Ausführung eines Planes, womit sich das Paar wohl schon lange getragen hatte. Daß den beiden an der Verwirklichung dieses Plans soviel gelegen war, scheint aber doch darauf hinzudeuten, das vorhin über ihre souveräne Gewissenlosigkeit Gesagte bedürfe einer Einschränkung. Oder war es nur ein unbestimmtes Furchtgefühl, das sie besorgen ließ, die zweimal vollzogene Trauung genüge noch immer nicht, ihre Ehe zu einer rechtmäßigen zu machen? Genug, unmittelbar nach dem Ableben Gregors XIII. berief der Orsini eine Versammlung der angesehensten Rechtsgelehrten und der geriebensten Advokaten in seinen Palast, um ihnen die Frage vorzulegen, ob das von dem verstorbenen Papst erlassene Monitorium, das dem Duca die Ehelichung Vittorias verboten hatte, jetzt noch zu Recht bestünde. Nach vielem Kalkulieren, Argumentieren und Debattieren gelangten die Herren zu diesem von dem Fragesteller gewünschten Schluß: Nein, das Verbot ist hinfällig geworden, da das Monitorium mit dem Tode seines Erlassers erlosch. Daraufhin feierten Don Paola Giovanni und Donna Vittoria zum drittenmal Hochzeit und ließen sich am 24. April 1585 abermals feierlich einsegnen, weihen und trauen.

Es war die höchste Zeit. Denn kaum eine Stunde nach dieser dritten Trauung, kraft welcher die Ehe des schuldigen Paares allerdings eine unanfechtbar gültige geworden, ging aus dem geöffneten Konklave der Kardinal Montalto als Papst Sixtus V. hervor.

Eine furchtbare Störung der dritten Hochzeit fürwahr! Wie ein Eishauch mußte das für sie, wie für ganz Rom so unerwartet Gekommene die beiden anwehen.

Der Heilige Geist, der bekanntlich die Papstwahlen macht, hatte auch diesmal wieder, wie sonst so manches Mal, gar wunderliche Zickzackwege im Konklave wandeln, gar seltsame Kreuz- und Quersprünge machen müssen, um zu seinem Ziele zu gelangen Eine sehr anschauliche, auf durchaus zuverlässiger Grundlage ruhende Schilderung dieser Zickzackwege und Kreuz- und Quersprünge, das heißt des Parteiengetriebes im Konklave und aller der diplomatischen Ränke und Schwänke, die zur Wahl Montaltos führten, gibt Hübner in seinem trefflichen Werke »Sixtus V.«, 2 Bde. 1871, I. 127 f., also ein Mann, dessen Katholizität keinem Zweifel unterliegt.. Kaum aber war er dazu gelangt, kaum war Sixtus V. ausgerufen, als sich etwas wie die Empfindung einer Erlösung in der Bevölkerung von Rom regte. Die ehrlichen Leute atmeten auf, die Schurken wandelte ein Zittern an. Man ahnte, daß wieder einmal ein Mann, ein Papstherrscher auf dem Stuhle Petri Platz genommen hatte. Und so war es. Schon die ersten Regierungshandlungen, die vom Vatikan ausgingen, taten urbi et orbi (der Stadt und dem Erdkreis) kund, daß der neue »Knecht der Knechte Gottes« ein Herr und Gebieter von eisernem Willen, unerbittlicher Strenge und unbeugsamer Tatkraft wäre. Sofort begann die mit furchtbarer Folgerichtigkeit durchgeführte Säuberung der römischen Raub- und Mordhöhle, die Ausräumung der kirchenstaatlichen Banditen- und Brigantenherberge. Wenige Tage nur, und Schrecken ging einher vor dem Namen Sixtus V.

Mit unter den ersten, die sich herzudrängten, um dem soeben proklamierten neuen Statthalter Christi den Fuß zu küssen, befand sich auch der Orsini. Er mochte gekommen sein, um in den Augen des Oheims seines Opfers nach seinem Schicksal zu forschen. Er wurde empfangen wie alle die andern, mit gnädiger Kühle. Doch meinte er einen seltsamen Blick aus dem Auge des Papstes auf sich herabzucken zu sehen. Dieser Blick ließ es ihm rätlich erscheinen, durch Vermittlung des Kardinals Medici den Papst um eine Privataudienz anzugehen. Sixtus gewährte sie, und da hat er dem Duca in einer Weise, die nicht mißzuverstehen war, gesagt, der Papst hätte vergessen, was der Herzog an dem Kardinal Montalto gesündigt; so aber in Zukunft der Duca die Gesetze mißachten, Banditen in seinem Bann und Sold halten und Briganten in seinen Palästen und Burgen Unterschlupf gewähren würde, so sollte er erfahren, daß der Arm des Statthalters Christi jetzt von Eisen sei.

Voll Schrecken kam der Orsini heim und traf da eine Erschrockene, seine Gemahlin, welche ihrerseits von einem Gange zurückgekehrt war, der auch kein günstiges Ergebnis gehabt hatte. Vittoria nämlich hatte unmittelbar, nachdem die Wahl Sixtus V. kundgeworden, keck den Versuch gemacht, die Fürsprache ihrer früheren, so tödlich gekränkten Schwiegermutter zu gewinnen. Sie hatte sich nach der Villa Peretti aufgemacht, die sie so schnöde verlassen, um in die Arme des Mörders ihres Gatten zu eilen, sie drang fast gewaltsam zur Donna Kamilla und erzwang sich eine Unterredung mit der Mutter Francescos, die den weißen Teufel mit Schluchzen empfing. Aber ein Versprechen der Verzeihung oder gar der Fürsprache vermochte Vittoria nicht zu erlangen. Das hieß denn doch einer Mutter und vollends einer italienischen Mutter zuviel zumuten.

Die Nemesis war endlich doch aufgestanden. Spät kam sie, aber sie kam.

Noch in derselben Nacht flohen, von unbesieglicher Angst getrieben, der Duca und die Duchessa aus Rom. Zunächst auf ihre Burg zu Bracciano. Hier hatte der Oberbandit des Herzogs, Marcello Accoromboni, der auf des Orsini Befehl die Ermordung seines Schwagers Francesco geleitet, eine große Schar von Briganten versammelt, unzweifelhaft in der Absicht, während der Dauer des Konklaves einen Raubstreich im größeren Stil auszuführen. Konnte man nun etwa an der Spitze dieser Gesellen der vermuteten Feindseligkeit des neuen Papstes Trotz bieten? Der Herzog, früher ein so entschlossener und verwegener Bösewicht, dachte nicht einmal daran. Der Blick des fünften Sixtus mußte ihn mit Entsetzen geschlagen haben. Der Boden des Kirchenstaates brannte ihm unter den Füßen. Er raffte sein Bargeld und was von kostbarem Besitz ihm sonst zur Hand, zusammen und floh mit Vittoria von Bracciano weiter nach Padua, auf venezianisches Gebiet.

Hier im Juni 1585 angelangt, fühlte er sich sicher. Er wußte, die Signoria der Republik von San Marco würde ihn nicht an den Papst ausliefern, und seine reichen Mittel erlaubten ihm, auch in der Fremde als großer Herr aufzutreten. Er mietete einen Palast in Venedig selbst und einen zweiten in Padua, den Palazzo Foscarini. Ebenso in Salò eine am Ufer des Gardasees wunderschön gelegene Villa. Dorthin zog er mit Vittoria, die sich in der ländlichen Umgebung sehr behagte. Sie war ja ein Stück von einer Poetin, und nach allen den Stürmen ihres Lebens konnte ihr die idyllische Stille an dem schönsten der oberitalienischen Seen nur willkommen sein. Das Idyll währte freilich nicht lange und schlug zur Tragödie um.

Die Erinnyen ruhten ja nicht. Eine Mutter darf die Ermordung ihres Sohnes nicht vergessen, sonst wäre sie keine Mutter. Darum ließ Donna Kamilla die Blutspur von jener Aprilnacht des Jahres 1581 nicht kalt werden. Sie bestürmte ihren Bruder um Rache. Wofür sonst trug er die dreifache Krone? Warum forderte er nicht von Venedig die Auslieferung des Mörders und seiner Schuldgenossin? Der Papst kam ungern auf die traurige Sache zurück, um so mehr, da er ein Gefühl zärtlichen Mitleids für Vittoria noch immer bewahrte. Im August 1585 sprach er mit dem venezianischen Botschafter bei der Kurie über die Auslieferungsfrage. Aber er nahm sie nicht an die Hand, sei es, daß er mit der Republik von San Marco in keine Verwicklung kommen wollte, sei es, daß er, wie er sagte, von der Sache genug und übergenug hätte und nichts mehr davon hören wollte. Soweit jedoch gab er den Bitten seiner Schwester nach, daß er an die Signoria das Begehren stellte, den ebenfalls auf venezianisches Gebiet geflüchteten Marcello Accoromboni auszuliefern. Dazu ließ sich Venedig nach etlichen Weigerungen herbei. Marcello wurde an die päpstlichen Behörden ausgeliefert und im folgenden Jahre zu Ancona gerichtet und hingerichtet.

Inzwischen war der Hauptschuldige unversehens der Gerechtigkeit entschlüpft, deren Brauch und Gewohnheit ja überhaupt ist, die kleinen Sünder zu fassen und zu strafen, die großen aber so oder so entschlüpfen zu lassen. Im Spätherbst erkrankte der Herzog von Bracciano zu Salò, gerade als er sich anschickte, zum Winteraufenthalt nach dem Palazzo Dandolo in Venedig überzusiedeln. Sein alter Schaden am Bein wurde brandig, und die Lebensgefahr nahm rasch zu. Es warf doch etwas wie einen versöhnenden Schimmer auf dieses Sterbebett, daß der Kranke bis zum letzten Atemzug mit heißer Liebe an seiner Schuldgenossin hing. Die Sorge, daß er sie freundlos und schutzlos zurückließe, war wohl die bitterste Pein seiner letzten Tage. Soweit er konnte, sorgte er für Vittoria. Am 10. November 1585 machte er sein Testament, kraft dessen nach seinem Ableben einer seiner Stadtpaläste und eine seiner Villen, ferner sein ganzer Reisehaushalt, alles Gerät, Pferde, Wagen, sowie eine Summe von 100 000 Piastern in Bargeld, Juwelen und Silberzeug seiner Witwe als Eigentum zufallen sollten. Um die Erbin gegenüber der mit Bestimmtheit vorauszusehenden Feindseligkeit der ganzen Sippschaft der Orsini im Besitze des Vermächtnisses zu schützen und zu sichern, bestellte Bracciano die Herzoge von Ferrara und Urbino, sowie die Kardinäle Farnese und Medici zu Testamentsvollstreckern, was sich freilich bald als ganz nutzlos herausstellen sollte. Drei Tage darauf, am 13. November, starb er.

Jetzt stand Vittoria allein, und schon kreiste ob ihrem Haupte die »geflügelte« Nemesis. Aber peinlich zu berichten ist die Tatsache, daß die »Göttin mit strengem Blick«, die »Verwalterin der Gerechtigkeit« zum Vollstrecker der Strafsentenz an dem »weißen Teufel« einen Menschen wählte, der mit Fug ein »schwarzer« Teufel heißen konnte.

Das war einer von der Sippe des verstorbenen Duca, ein Orsini, Lodovico genannt, zweifellos einer der ruchlosesten Gesellen, die damals der Boden Italiens trug. Er war ein notorischer Bandit und Brigant und ein Hauptmann von Banditen und Briganten, was ihn aber nicht hinderte, ein angesehener Edelmann zu sein, der in der orsinischen Verwandtschaft viel galt. Wegen einer ganz besonders frechen Mordtat aus Rom verwiesen, war er nach Venedig gegangen, und die Signoria hatte kein Bedenken getragen, ihm eine militärische Bestallung zu geben, ja sogar, da er für einen geschickten Offizier galt, ihn zum Befehliger ihrer Truppen auf der Insel Korfu zu ernennen. Bevor er aber zur Übernahme seines Kommandos dorthin ging, erfuhr er den Tod seines Vetters, des Herzogs von Bracciano, auf welches Ereignis er wohl schon lange gelauert haben mochte. Darauf deutet der Umstand hin, daß er sich zum voraus von seiten Virginio Orsinis, einzigen Sohnes des Orsini-Bracciano, eine Vollmacht verschafft hatte, eintretenden Falles für die Bestattung des Familienhauptes zu sorgen und die Rechte des legitimen Erben gegen die »maladetta puttana« (verfluchte Dirne) Vittoria wahrzunehmen Eine bizarre Schicksalsfügung wollte, daß später eine Tochter der bescheidenen und anspruchslosen Maria Damascena, also eine Großnichte des fünften Sixtus, Flavia geheißen, von Virginio Orsini, geehelicht und zur Duchessa die Bracciano gemacht wurde..

Diese ahnte so wenig, was sie von dem Banditenhauptmann zu gewärtigen haben würde, daß sie ihn selber von dem Ableben des Herzogs in Kenntnis setzte. Lodovico machte sich sofort von Venedig nach dem Festland auf und eilte spornstreichs nach Salo, wo er, auf seine Vollmacht pochend, als der rechtmäßige Herr auftrat, und zwar brutal wie ein Bandit und räuberisch wie ein Brigant. Er verweigerte die Anerkennung des herzoglichen Testaments, behandelte die Witwe, als ob sie wirklich nur eine » maladetta puttana« wäre, und zwang sie, ihm das Silbergeschirr und den größeren Teil ihres eigenen Schmuckes auszuliefern. Auch die Pferde und Wagen nahm er ihr weg. Was konnte sie gegen den gewalttätigen Schurken, der von einer ganzen Rotte seiner Spießgesellen begleitet war, tun? Nichts. Sie mußte, Schlimmstes fürchtend, froh sein, mit Hilfe ihres Bruders Flaminio Accoromboni, der bei ihr war, und etlicher treuer Diener aus Salò entfliehen und nach Padua in den Palazzo Foscarini gelangen zu können, welchen Zufluchtsort sie in ziemlich dürftigem An- und Aufzug erreichte. Also für den Augenblick in Sicherheit, suchte sie den Schutz der Signoria nach und wandte sich, Hilfe und Beistand suchend, auch an den Papst. Das verriet doch, milde gesagt, große Keckheit, lieferte aber auch den Beweis, daß die weiße Teufelin überzeugt sein mußte, der Zauber, den sie auf den Oheim ihres ermordeten Gatten geübt, wäre noch nicht gebrochen. Und wirklich, er war es nicht. Sixtus V., dessen bei seinem großen Aufräumungs- und Säuberungsgeschäft entwickelte Strenge gerade damals nicht selten zu erbarmungsloser Grausamkeit sich verhärtete, vernahm den Hilferuf Vittorias ohne Zorn und war geneigt, ihn zu erhören. Aber er hatte keine Zeit mehr dazu.

Die Orsini wollten ihre Rache und ihren Raub haben, voll und ganz. Darum sollte in Padua vollendet werden, was in Salò begonnen worden. Lodovico Orsini war der Mann dazu, das zu tun. Diese italienischen Banditen des 16. Jahrhunderts waren ganze Kerle, Menschen aus einem Gusse, das muß man ihnen lassen. Sie wußten ihren Verbrechen kühn ins Angesicht zu sehen, und der Anblick entsetzte sie keineswegs. Sengen und Brennen, Rauben und Morden war ihnen ein Geschäft, das sie mit derselben Gemütsruhe betrieben, womit etwa der Hufschmied den Pferdebeschlag oder der Fischer den Fischfang betrieb. Noch ein Zug vervollständigt das Bild dieser Männer mit Stirnen von Erz und mit Händen voll Blut. Sie waren nämlich sehr fromm. Fanden sie von Zeit zu Zeit, die Last der aufgehäuften Sünden und Frevel wäre nachgerade von unbequemer Schwere geworden, so versäumten sie nicht, diese Last im Beichtstuhl abzuschütteln, um Platz für eine neue zu gewinnen. Die Kirche hatte ja einen so guten Magen. Dieser verdaute nicht nur Land und Leute, sondern auch ganze Berge von Lastern und Freveln.

Lodovico Orsini ließ nicht ab von dem Wilde, das er zu jagen, totzujagen entschlossen war. Er folgte mit seiner Meute der Spur Vittorias von Salò nach Padua. In der Nacht vom 21. auf den 22. Dezember 1585 besetzte eine Schar von verlarvten Bewaffneten die Zugänge zu dem düsteren, unwohnlichen Palazzo, wo die Witwe des Duca di Bracciano hauste. Eine zweite Rotte von bewaffneten Verlarvten brach mit Gewalt in das Haus. Das erste Opfer der von Lodovico geführten Mordbande war Flaminio Accoromboni. Er wurde, in seinem Zimmer überfallen, mit Hakenbüchsenschüssen und Dolchstößen niedergemacht. Das Mordgetöse verkündete dem unseligen Weibe den Tod. Sie war in ihrem Schlafgemach. Die Türe desselben wird von den Banditen aufgesprengt. Der vermummte Hauptmann der Bande erscheint auf der Schwelle und schreit der Rettungslosen zu: »Du stirbst!« Sie macht keinen Versuch, das Verhängnis abzuwenden, und sagt nur: »Gebt mir nur einen Augenblick Frist, meine Seele Gott zu empfehlen.« »Nein!« Und auf den Wink des Orsini faßt einer der Briganten die Unglückliche, stößt ihr den Dolch in den schönen Busen, dreht das Eisen in der Wunde um und fragt höhnisch: »Hab' ich dein Herz getroffen?«

So endete ein Wesen, auf das die Natur eine Fülle ihrer schönsten Gaben ausgeschüttet und das davon doch nur zum Verderben anderer und zuletzt auch zum eigenen Gebrauch zu machen gewußt hatte. Vittorias Erscheinung, Charakter und Schicksal erinnern, wie jeder, der sich mit dieser Geschichte beschäftigt, unwillkürlich finden muß, gar vielfach an das Schicksal, den Charakter und die Erscheinung ihrer Zeitgenossin, einer noch berühmteren oder, wenn man will, noch berüchtigteren Frau des 16. Jahrhunderts, an Maria Stuart, an welcher vierzehn Monate nach der Ermordung der Herzogin von Bracciano zu Padua im Schlosse Fotheringay in England ein politischer Justizmord verübt wurde. Verdient hatten die beiden Sünderinnen redlich, was sie traf. Aber das innerste Geheimnis ihres Daseins haben beide unausgesprochen mitgenommen in ihre blutigen Gräber.

Auch den mörderischen Lodovico Orsini traf endlich, was er schon lange überreichlich verdient hatte. Die Signoria von Venedig trat als Rächerin Vittorias auf, mußte sich aber des kühnen Verbrechers, nachdem dessen Schuld, namentlich durch einen an Virginia Orsini gerichteten und aufgefangenen Brief festgestellt worden, sowie der ganzen Mordbande mittels eines förmlichen Kampfes bemächtigen, bei welchem sogar Feldschlangen in Anwendung kamen. Während der Prozedur bewahrte der Bandit unentwegt die stolze und trotzige Haltung eines Mannes, der getan, wie ihm zukam. Er wurde auf Befehl der Staatsinquisitoren am 27. Dezember im Kerker erdrosselt.

Das ist das würdige Nachspiel zu dem Sittendrama gewesen, das die Menschen von damals die Tragödie Accoromboni nannten.

Sixtus V. belobte die Signoria von San Marco dafür, daß sie die Ermordung Vittorias gerächt. Der gewaltige Mann auf dem Stuhle Petri hat bis zum 27. August 1590 gelebt, das heißt geherrscht. Er war, um ein Modestichwort unserer Tage zu gebrauchen, der letzte »stilvolle« Papst, eine Natur, ein Charakterkopf, eine Gestalt von Erz. Alle seine Nachfolger im Vatikan sind nur mehr oder weniger deutliche oder verwischte Abklatsche der vom Konzil zu Trient angefertigten Papstschablone gewesen. Er, der Bauerssohn von Grottamare, war die letzte pontifikale Persönlichkeit, die der Rede wert ist.


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