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Cromwell

Im Anfang war die Tat.

Fausts Monolog.

Nicht Regel ist es, sondern Ausnahme, seltene, seltenste, daß die Offenbarung des Göttlichen in der Menschheit auf den sogenannten »Höhen« der Gesellschaft vor sich geht. Wirkliche Helden, Helfer und Heilande unseres Geschlechts werden nur aus dem Volke geboren. In einem Viehstall läßt die Mythologie des Christentums ihren Gott zur Welt kommen. Not heißt die Amme, Arbeit die Lehrerin der wahrhaft großen und guten Menschen. Solche unter ihnen, denen es gegönnt ist, in Vaterhäusern, die von der Sorge ums tägliche Brot nicht bedrängt sind, eine sorglose Kindheit zu verleben, müssen schon zu den vom Glücke besonders Begünstigten gezählt werden. So der Wolfgang Goethe, den aber das genossene Jugendglück der deutsche Jammer grausam büßen ließ, indem dieser den größten Genius seines Landes mit der Lächerlichkeit einer deutsch-liliputischen Ministerschaft behängte und den Schöpfer des Faust, den Vater der Iphigenie und Dorothea vor deutsch-bettelhaften Fürstlichkeiten im untertänigst-ersterbenden Kurialstil geheimrätlich kratzfußen machte. Auch eine Erscheinungsform des weltberühmten deutschen »Idealismus«!

Scheherezade Poesie, rastlos sinnend, das alte Kind, den brummigen Sultan Publikum bei guter Laune zu erhalten, hat es zu einem Lieblingskapitel ihres Fabulierens gemacht, Zeugung, Geburt und Kindheit der Halb- und Ganzgötter mit mehr oder weniger sinnreichen oder auch blödsinnigen Mirakeln auszustaffieren. Das gibt dann der gewissenhaften Arbeiterin Geschichte, welche sich die riesige und undankbare Aufgabe stellte, den Weltaugiasstall des Köhlerglaubens mit dem eisernen Kehrbesen der Wahrheit reinzufegen, vollauf zu tun. Die Gute müht sich ab – zumeist vergeblich, versteht sich –, der lügenhungrigen und mythendurstigen Menge zu zeigen, daß die Gestalten der wirklichen und wahrhaften Helden, Helfer und Heilande durch Legendenarabesken und Pfaffenschnörkel nicht vergrößert und verschönert, sondern nur verkleinert, verunziert und verzerrt werden. Sie sagt: – Du schleuderst auf einem Waldgange die reif vom Baume gefallene Eichel als ein unscheinbar Ding mit deiner Fußspitze achtlos aus dem Wege. Komm nach etlichen Jahrhunderten wieder, und du wirst das unscheinbare Ding wiederfinden in Gestalt einer Rieseneiche … Nein, nicht unter Trompeten- und Paukenschall, nicht unter dem Gedröhn von 101 Kanonenschuß, nicht unter dem Hallelujaen von Engeln und anderen Fabeltieren, sondern still und schlicht, in scheinloser Form, ärmlich sogar oft und unschön tritt das Gute, das Große, das Menschen- und Völkergeschicke bestimmende Gewaltige in die Welt.

An einem Montag war es, am 9. November 1640, sechs Tage nach der Eröffnung des »Langen« Parlaments, als ein junger Gentleman, Sir Philipp Warwick, Mitglied für Radnor, zu Westminster in den Sitzungssaal der Gemeinen trat und einen Mann erblickte, der sich soeben zum Sprechen erhoben hatte und der ihm gänzlich unbekannt war. Sir Philipp, » a courtly young gentlman«, wie er sich selber nennt, ist von der Erscheinung des unbekannten Redners wenig erbaut gewesen, und als der Modeherr, der er war, hätte er nach kurzem verwundertem Anstarren der grobschlächtigen Gestalt den Kneifer achselzuckend fallen lassen, wenn Kneifer damals schon erfunden gewesen wären.

»Zum Henker, wie ordinär ist der Mensch angezogen ( very ordinarily apparelled)!« denkt und schreibt unser Dandy. »Sicherlich hat dieses Ding von einem Rock ein Dorfschneider zusammengestümpert. Grobe Leibwäsche, hm, und nicht eben sehr sauber ( not very clean)! Und das soll eine Halskrause vorstellen? Nicht einmal ein Hutband um den Hut! Die Gestalt nicht übel proportioniert, aber wer wird sein Schwert so fest auf der Hüfte sitzend tragen! ( His sword stuck close to his side). Das Gesicht gedunsen und gerötet, die Augen funkelnd, und woher nimmt so ein Mensch diesen gebieterisch-gestrengen Blick? Die Stimme schneidend und unangenehm, der Vortrag voll Heftigkeit (full of fervour) Sir Philipp Warwick, Memoirs (London 1701), S. 274.. Summa: Ein handfester bäurischer Kerl! … Wie heißt der Mann, Sir Soundso?« – »Oliver Cromwell, Sir.« – »Cromwell? Habe den Namen nie gehört. Woher?« – »Aus Huntingdon, dermalen wohnhaft in Ely.« – »Mitglied für?« – »Cambridge.« – »Was? die Universitätsstadt am Cam schickt einen Bauer ins Unterhaus?« – »Was wollt Ihr? Master Cromwell ist ein Vetter von Master Hampden, der ihn den Wählern von Cambridge empfahl.« – »Ah so!« sagt Sir Philipp spottlächelnd, seinen sprossenden Henriquatre mit der Linken streichelnd und die zärtlich gepflegte lange Buhllocke (»lovelock«), welche ihm hinter dem rechten Ohr auf den breiten Spitzenkragen herabfällt, zierlich um den Zeigefinger der Rechten wickelnd.

»Ein Vetter von Master Hampden.« Dies vorerst der einzige Nachhall des Namens Oliver Cromwell. Aber die unscheinbare Eichel wird zu einem Eichenkoloß werden, der mit seinen Zweigen rauscht, daß der Widerhall durch die Jahrhunderte und Jahrtausende der Weltgeschichte hinabdröhnt.

Laßt uns sehen, wie die Eiche wächst, und laßt uns hören, wie sie rauscht. Es ist augenerfrischend und herzstärkend, einen Tatmann zu betrachten, der dem Pfaffentum den Fuß stramm auf den Nacken setzt, das Junkertum an der übermütig-herausfordernden »Buhllocke« packt und zu Boden schmettert, dem meineidigen Königtum angesichts des Himmels und der Erde den Kopf abschlägt, die Schwätzer und Klätscher mit Fußtritten davonsagt und sein Land zur gebietenden Vormacht Europas erhebt Es sei aber gestattet, daran zu erinnern, daß sich das auszustellende Charakterbild Cromwells eben nur als eine »Studie« gibt..

1.

Hätte Schiller die Laufbahn der Maria Stuart genauer gekannt, der Dichter des sittlichen Idealismus würde sicherlich Anstand genommen haben, durch tragische Glorifizierung dieser Dame die Majestät der Geschichte zu beleidigen. Die königliche Sünderin unterlag in dem langen Kampfe mit ihrer Todfeindin Elisabeth, deren vielgepriesene »Jungfräulichkeit« auch nur eine Fabel ist. Aber mochte die tyrannische Tochter Heinrichs VIII. auch keineswegs das Recht haben, Maria zu töten, so viel ist gewiß, daß, als die Buhlin Bothwells am 8. Februar 1587 in der Burghalle von Fotheringay ihr Haupt auf den Richtblock legte, ein Sühnakt für schwere Verschuldung geschah. Der Schicksalszwang übrigens ließ auch die »jungfräuliche« Königin Beß nicht leer ausgehen, indem er sie mit jener Ironie, womit er sein herbes: »Du mußt!« den Menschen so häufig einpfeffert, nötigte, den Sohn der von ihr getöteten Maria zu ihrem Nachfolger zu bestellen.

Dieser Jakob Stuart, als König von Großbritannien und Irland genannt der Erste, kam im April 1603 aus seinem bettelhaften Königreich Schottland nach England herüber und zeigte den erstaunten Engländern leibhaftig, wie eine Fratze von Monarchen aussähe. Mit höchster Bestimmtheit ist zu vermuten, daß, als William der Große in demselben Jahre 1603 die letzte Hand an seinen Hamlet legte, Jakob I., diese Karikatur auf das Königtum, dieser gelehrte Simpel von Sodomiter, mit ekelhaftem Geifermund stammelnd und stotternd, auf dünnen Beinen kläglich watschelnd, furchtsam wie ein Kaninchen, feig wie ein Mops, grausam wie ein Pfaffe – dem großen Dichter die Hamletschen Ausrufe: » A vice of King!« (Ein Lasterkönig!) und » A King of shreds and patches!« (Ein geflickter Lumpenkönig!) eingegeben habe Mit welchem gramschweren Blicke Shakespeare später auf die elende Mißregierung Jakobs hinsah, bezeugt eindringlich sein 66. Sonett..

Damals stand am nördlichen Ende von Huntingdon inmitten eines stattlichen Obstgartens ein behäbiges Haus, aus dessen Fenstern man den wohlangebauten, am Ufer des Flüßchens Ouse sich hindehnenden Grundbesitz überblickte, der dazu gehörte. In diesem Hause wurde dem Besitzer, Robert Cromwell, von seiner Frau, Elisabeth Stuart, am 25. April 1599 ein Knabe geboren, der in der Taufe den Namen Oliver erhielt und eines Tages heißen wird » Lord Protector of the Commonwealth of England«. Wunderlich genug stammte, falls den Heraldikern zu trauen ist, der glorreiche Feind des Stuartismus mütterlicherseits aus einer Seitenlinie des schottischen Königshauses. Die väterliche Familie dagegen ist altsächsischen Stammes gewesen. Der berühmte Minister Heinrichs VIII., Cromwell, gesegnet und verflucht als »Zermalmer der Mönche ( malleus monachorum)«, hatte dem Familiennamen geschichtlich Glanz verliehen. Sein Neffe, Sir Richard Cromwell, hatte einen Sohn, Sir Heinrich, der seines Reichtums und seiner Prachtliebe wegen der »goldene Ritter« ( the golden knight) zubenannt war. Der älteste Sohn des goldenen Ritters, Sir Oliver, hauste auf seinem schönen, eine Viertelstunde von Huntingdon entfernten, am linken Ufer des Ouse gelegenen Herrensitz Hinchinbrook. Der jüngste Bruder Sir Olivers, Robert Cromwell, besaß, wie schon gesagt, zu Huntingdon Haus und Grundbesitz, welch letzterer dem »Squire« einen Jahresertrag von 300 Pfund abwarf, ein ganz behagliches Auskommen also, weil mit 300 Pfund jährlich ein englischer Landgentleman zu jener Zeit sorgloser und anständiger leben konnte, als es in unseren Tagen einer mit 1200 zu tun vermag.

Am 27. April 1603 waren die sonst so stillen Ufer des langsam fließenden Ouse ganz ungewöhnlich belebt und war das Herrenhaus von Hinchinbrook voll Regung und Bewegung. Dem Sir Oliver, der Prunk und Pracht ebenso liebte wie sein Vater, war großes Heil widerfahren. König Jakob I. hatte, von Belvoir-Castle gen London fahrend, das Haus des Ritters der Einkehr gewürdigt und verbrachte mit zahlreichem Gefolge zwei Tage und zwei Nächte unter dem gastlichen Dache. Daß der kleine Oliver bei dieser Gelegenheit über die Wiesen von Huntingdon herüberkam, um sich die höfische Herrlichkeit im Hause seines Oheims anzusehen, ist gewiß. Schade nur, daß wir nicht wissen, welchen Eindruck der Vierjährige empfangen, als er mit weit aufgerissenen Augen die »geflickte Lumpenmajestät« angaffte. Das alte Waschweib Fabuliersucht, das ja stets auf den Fußtapfen großer Männer einherhinkt, will wissen, der kleine Oliver sei an jenem 27. oder 28. Apriltag zu Hinchinbrook in eine knäbische Balgerei geraten mit dem kleinen Karl Stuart, Herzog von York, der seinem Vater Jakob im Jahre 1600 geboren worden und im Jahre 1612 infolge des Todes seines älteren Bruders Heinrich Prinz von Wales, sodann dreizehn Jahre später König von England wurde. Vorbildlicherweise habe damals zu Hinchinbrook der kleine Oliver den kleinen Prinzen ebenso entschieden wie respektwidrig niedergeboxt und untergekriegt, wie später der große Oliver den nichtgroßen König. Meisterin Historia lächelt vornehm-kritisch und sagt: Dummer, hinterher erfundener Schwatz! Dasselbe wird sie wohl auch von einem zweiten mythologischen Schnörkel sagen, den man der Jugendgeschichte unseres Helden angeklebt hat. Nämlich, Knabe Oliver sei Anwandlungen krankhafter Schwermut unterworfen gewesen und in einer Stunde solchen Angefaßtseins habe er am Ufer des Ouse eine Riesengestalt erblickt, die ihm weissagte, er sei bestimmt, der mächtigste Mann in England zu werden. Die Zeitgenossen des Protektors, darunter selbst Männer von unzweifelhafter Urteilskraft, haben fest an diese Legende geglaubt, und im übrigen ist es ja gar nicht unmöglich, daß die Ahnung seiner künftigen Größe dem jungen Oliver in der Erscheinungsform einer optischen Täuschung sich vergegenständlichte. War doch ein starker Zug religiöser An- und Aufspannung in sein Jugendleben eingegangen, da sein elterliches Haus eine Stätte jener strengprotestantisch-gläubigen Anschauung und Richtung gewesen ist, die sich gerade zu jener Zeit immer bestimmter zum religiös-politischen Puritanismus entwickelte, der dann im Independentismus seine stahlscharfe Spitze fand.

An demselben Tage, am 23. April 1616, wo der größte Literaturmann seines Landes, Shakespeare, zu Stratford starb, wurde der größte Geschichtsmann Englands zu Cambridge im Kollegium Sidney-Sussex als Student inskribiert: » Oliverius Cromwell Huntingdoniensis admissus ad commeatum sociorum, Aprilis vicesimo tertio« (Oliver Cromwell aus Huntingdon, zugelassen zum Verkehr mit den Studiengenossen, 23. April). Olivers akademische Laufbahn war aber nur kurz, und er hatte nicht das Zeug zu einem Gelehrten. Daß übrigens, von Fachgelehrsamkeit abgesehen, später seine Bildung mit der seiner gebildetsten Zeitgenossen auf gleicher Höhe stand, untersteht keinem Zweifel. Er sprach und schrieb, wenn er wollte, ein sehr verständliches Englisch, der energische Ausdruck des in ihm arbeitenden energischen Gedankens; er fand Schlagworte voll Blitzfeuer und Donnermacht; er vermochte zur Not mit einem fremden Gesandten über Staatssachen auch lateinisch zu verhandeln; er hatte mit Nutzen und Genuß das Buch der Geschichte gelesen, und später empfahl er seinem leichtfertigen Sohne Richard zu wiederholten Malen geschichtliche Studien als ein Mittel sittlicher Läuterung und edler Herzerfrischung. » Recreate yourself with Sir Walter Raleigh's History!« schrieb er im April 1650 aus dem Feldlager von Carrick in Irland an Richard, und ein andermal führte er brieflich aus, das Studium der Geschichte sei schon deshalb zu empfehlen, weil »es uns geschickt macht, dem Volke zu dienen, und dazu ist ja der Mensch geboren«.

Cromwell hat überhaupt – das sei gleich hier gesagt – den hohen Wert der Geisteskultur niemals unterschätzt, sondern immer sehr hoch angeschlagen. Seine Frömmigkeit – und er war ein frommer Mann im Hochsinn des Wortes – ist nicht der gewöhnlichen Quelle entflossen. (»Unwissenheit ist die Mutter der Frömmigkeit.«) Aus dem Granitfels seiner religiösen Überzeugung, die ihrerseits ein Produkt heftigen und schmerzlichen geistigen Ringens gewesen ist, sprang sie klar und mächtig hervor, die Besudelung durch das Schwarzwasser bornierten Fanatismus zurückweisend. Denn, soweit ein Puritaner über den Puritanismus sich erheben konnte, hat es der Lordprotektor getan, indem er als einer der tolerantesten Menschen seines Zeitalters handelte, wobei daran erinnert werden mag, daß der edle Grundsatz allgemeiner und unbedingter Duldsamkeit in religiösen Dingen eine ruhmreiche Errungenschaft erst des 18. Jahrhunderts gewesen und noch heute, im letzten Drittel des neunzehnten, von allen Bonzen in Messegewändern und Predigerkutten, von allen Despoten und Dunklern verworfen und verfolgt ist, ja, von diesem Menschenspülicht voraussichtlich noch im 20. und 30. Jahrhundert verworfen und verfolgt sein wird. Denn das Dumme ist und bleibt das Frumme und das Niederträchtige das Ewig-Mächtige »Übers Niederträchtige
Niemand sich beklage;
Denn es ist das Mächtige,
Was man dir auch sage.«
Goethe.
.

Durch Olivers eiserne Gestalt läuft eine Ader von Güte und Milde, deren Quillen und Pulsieren man insbesondere in seiner Privatkorrespondenz deutlich verfolgen kann. Der adleräugige Feldherr, der heldische Krieger, der unbeugsame Staatsmann ist sein Lebenlang die schlichtbürgerliche Natur geblieben, die er von Anfang an gewesen. Nur Schwachköpfe oder mit Absicht alberne Verleumder haben den Mann einen Heuchler nennen können, an dem so ganz und gar nichts gemacht und gekünstelt war. Wie er eines Tages in einem vertraulichen Briefe äußerte: »Ich liebe eine Ausdrucksweise, welche schlicht aus dem Herzen kommt und nichts Gezwungenes und Affektiertes hat – ( I like expressions when they come plainly from the heart, and are not strained nor affected Oliver Cromwell's Letters and Speeches. Ed. by Th. Carlyle. Leipzig, Tauchnitz. 1861. Vol. II, p. 284. Ich brauche kaum zu sagen, daß dieses kostbare Sammelwerk, durch dessen Herausgabe Carlyle dem Protektor ein weit edleres Denkmal errichtete, als das von der englischen Scheinheiligkeit und Servilität ihm verweigerte jemals hätte sein können, mir bei Niederschreibung des vorliegenden Aufsatzes als Hauptquelle diente. – so ist er selber gewesen.

Aber, wohlverstanden, er war bei alledem ein Puritaner des 17. Jahrhunderts und er war das Haupt des Puritanismus. Herrschende Häupter von Parteien müssen aber, um das zu sein und zu bleiben, sehr häufig die gehorsamen Diener derselben machen. Und nicht nur das! Die Strenge historischer Charakteristik gebietet, daß offen gesagt werde: Allerdings läßt sich das Wort: »Unwissenheit ist die Mutter der Frömmigkeit –« auch auf Cromwell beziehen. Denn sein Glaube war jener puritanische, der durch die vieljährigen und grausamen Verfolgungen, die er von seiten des Thrones und Altars, von seiten Elisabeths, Jakobs und der anglikanischen Pfaffheit erlitten, zur Vollhöhe seiner rachedurstigen Energie emporgesteigert worden. Der Gott, an welchem Olivers Heldenseele mit allen ihren Fibern hing, der Gott, als dessen erwähltes Rüst- und Werkzeug er sich betrachtete, mit felsenfestem Glauben betrachtete, war der alttestamentliche Adonai-Schaddai, der Gott des Eifers, des Zorns und der Rache, von den späteren jüdischen Propheten mühsam zum einigermaßen erträglichen Kulturgott Jahwe verdünnt und humanisiert, hinter dessen aufgezwungener Jahwemaske jedoch die grimmigen Züge des alten großen Semitengottes Bal-Moloch immer wieder schrecklich-deutlich hervortraten. Hieraus erklärt es sich, daß die Frömmigkeit Olivers nicht selten eine breite Spur von Blut und Feuer hinter sich herzog, gerade wie in den alttestamentlichen Schriften Adonai-Schaddai im Blute seiner Feinde schwelgt und Leichenhaufen hinter sich zurückläßt.

2.

Schon im Jahre 1617 wurde der junge Oliver nach zu Cambridge wohl oder übel gepflogenem Musendienst nach Hause zurückgerufen durch den Tod seines Vaters. Er übernahm die Verwaltung, beziehungsweise Bebauung des väterlichen Besitztums zu Huntingdon und zugleich die Sorge für seine Mutter und sechs Schwestern. Ab und zu, wie es seine landwirtlichen Geschäfte gestatteten, hielt er sich wochen- und monatelang in London auf, in der Absicht, Rechtskunde und Gesetzeskunde sich anzueignen, und die Hauptstadt Englands, schon damals, wie heute noch, eine der verpestetsten Stätten europäischer Sittenverderbnis, soll den kraftstrotzenden jungen Mann in den Wirbel der modischen Ausschweifung hineingerissen haben. Für dieses »soll« gibt es aber nur ein bestimmtes Zeugnis, eine herbe Selbstanklage, die Oliver viele Jahre später gegen sich erhoben hat, indem er in einem an seine Base Mistreß St. John am 13. Oktober 1638 geschriebenen Briefe erklärte, er sei in der Finsternis gewandelt und er habe diese geliebt, das Licht aber und die Gottseligkeit gehaßt; er sei ein Sünder, ja ein Oberster der Sünder gewesen.

Nun sieht freilich diese Selbstanklage einem aus puritanischer Zerknirschung hervorgegangenen Überschwang des Schuldbewußtseins sehr ähnlich; allein man wird unserm Helden doch kaum unrecht tun, wenn man als tatsächlich wenigstens so viel annimmt, daß er die Verderbtheit der Welt aus eigener Erfahrung gekannt habe, d. h. daß er in dem wilden Strome Londoner Lasterlebens eine Weile lustig mitgeschwommen sei. Später jedoch, nach seinem Eintritt ins Mannesalter, hat selbst die giftigste Bosheit der Verleumdung an der sittlichen Haltung und ehrenhaften Lebensführung Olivers nichts auszusetzen vermocht, und die royalistische Skandalsucht brachte es in dieser Richtung nie weiter als zu armseligen Späßen über »Nolls« Kupfernase, welche vom häufigen Genusse seines eigenhändig gebrauten Bieres herrühre. In Wahrheit ist der Protektor mäßig in allen Genüssen gewesen, unter guten Freunden einem harmlosen Scherze nicht abgeneigt, wohl aber dem lästerlichen Fluchen und garstigen Zotenreißen, wie es damals selbst in den »feinsten« Kreisen in England durchweg Mode war. Und ferner ist er auch auf der Höhe seiner Machtstellung ein sparsamer, schlichtbürgerlicher Haushalter, ein treuer Gatte, ein zärtlicher Vater, ein anhänglicher und hilfreicher Freund gewesen, ein braver Mensch durch und durch, um und um. Daß er der größte Patriot war, den sein Land hervorgebracht hat, können nur Mastschweine der verächtlichsten aller Kirchen, der englischen High-Church, bestreiten oder auch deutsche Hofprofessoren.

Mit Grund ist zu vermuten, daß Olivers Heirat mit Elisabeth, einer Tochter des Sir James Bourchier, welche Heirat am 22. Oktober 1620 zu London statthatte, einen bedeutsamen Wendepunkt im Leben unseres Mannes markiert habe. Er führte sein junges Weib unter das Dach des väterlichen Hauses in Huntingdon, welchen Wohnsitz er neun Jahre später mit St. Ives und dann mit Ely vertauschte. Sein Dasein war das eines echten und rechten Landsquires, der allerdings wohl auch den Bedarf seines Haushalts an Bier mit eigenen Händen gebraut hat. Übrigens gedieh der Haushalt des tüchtigen Bauers, dessen Ehrbarkeit, aufrichtige Religiosität und mannhaftes Wesen ihm unter seinen Nachbarn und Kirchspielgenossen Achtung und Ansehen verschafften. Unverkennbar wirksam war zu dieser Zeit weiblicher Einfluß auf das spröde Metall von Olivers Naturell. Dieser Einfluß wurde geübt durch seine treffliche Gattin Elisabeth und in noch höherem Maße durch seine Mutter, an der der Sohn mit liebevoller Ehrfurcht hing und hielt. Auch hier begegnen wir also der oft wiederkehrenden Tatsache, daß bedeutende Menschen sozusagen mehr die Söhne ihrer Mütter als die ihrer Väter sind.

Sie verliefen äußerlich recht still, diese Huntingdoner Jahre Cromwells. Aber in seinem Innern hat es gerade während dieser Zeit häufig genug recht gewaltsam gestürmt und getobt. Denn unter heftigen Seelenkämpfen, die den starken Mann mitunter so krampfhaft schüttelten, daß er stöhnend und händeringend an den Ufern seines Heimatflusses umherlief, kam während dieser Jahre der Puritanismus in Oliver zum Durchbruch – ein psychologischer Prozeß, der vorderhand nur eine von wenigen beachtete persönliche Bedeutung hatte, bald aber eine weltgeschichtliche gewinnen sollte. Denn mit Cromwell an der Spitze wurden die Puritaner aus einer verfolgten Sekte zu einer siegreichen, Prälatentum, Junkertum, Königtum zu Boden tretenden Partei.

Was aber war der Puritanismus? In seinen Ursprüngen und Anfängen nur der schüchterne Protest von etlichen wenigen aufrichtigen und tiefen Gemütern gegen das elende Halb- und Scheinding der englischen Reformation, die ihren schmutzigen Ursprung niemals verleugnen konnte. Hervorgegangen aus einer ehebrecherischen Laune des achten Heinrich, des wüsten Tyrannen und Weibermörders, ist das anglikanische Kirchentum durch Elisabeth ganz im despotisch-pfäffischen Sinne festgestellt und zugleich zu einem üppigen Spittel für die jüngeren Söhne des Adels gemacht worden. Kaum in dieser Weise groß gewachsen, hat dann der hochkirchliche Wechselbalg mit dem scharlachenen Weib auf den sieben Hügeln in Verübung aller Verfolgungsgreuel gewetteifert. Da aber der Hauptgegenstand der Verfolgung, der Puritanismus, das will sagen der bestimmt gefaßte, folgerichtig entwickelte, ehrlich aus- und durchgeführte Gedanke der Reformation, die enge Verbindung, ja die Dieselbigkeit geistlicher und weltlicher Tyrannei schwer zu fühlen hatte, da er erkannte, daß Kirche und Krone zu seinem Untergang sich verschwören hätten, da er in dem König von England nur noch einen schlechten Abklatsch des römischen Papstes sehen mußte, so geschah es mit Notwendigkeit, daß die Puritaner wie in der Hochkirche so auch im Königtum nur noch Veranstaltungen Satans erblickten, daß sie wie in Sachen der Religion so auch in Sachen des Staates Radikale und Demokraten wurden, daß sie sich entschieden dem Republikanismus zuwandten und die furchtbare, gegen das Königtum geschleuderte Verwerfungsrede des grimmigen Propheten Samuel (1. Buch Samuels, Kap. 8) zu ihrem politischen Glaubensbekenntnis machten.

Freilich, bei all seiner Größe – nur Toren können sie ihm bestreiten – haften dem Puritanismus tiefe Makel an, und sein Hauptmerkmal ist gewesen, daß er im Grunde doch auch nur eine theologische Borniertheit war. Allein das kann ihm, historisch angesehen, unmöglich als Verschuldung angerechnet werden; denn das 17. Jahrhundert kannte eben noch nicht den philosophischen Weg zur Freiheit, den das 18., oder den natur- und geschichtswissenschaftlichen, den das 19. auftat, und mußte daher wohl oder übel den theologischen einschlagen. Was sodann den oft wiederholten Vorwurf angeht, der Puritanismus habe mit der Kirche und dem Thron zugleich auch das lustige Leben von Altengland zerstört und sei ein blinder Verächter und Hasser von Poesie, Kunst und Wissenschaft gewesen, so ist zuvörderst allerdings wahr, daß der also Angeklagte ein sehr sauertöpfischer, steifleinener Geselle war, dessen Sucht, das ganze Dasein möglichst alttestamentlich zuzuschneiden, unendliche Lächerlichkeiten zutage förderte. Allein man darf nicht übersehen, daß das vielgerühmte »lustige Leben von Altengland«, das der Puritanismus mit dem grimmigen Lächeln befriedigter Rache zertrat, ein sehr liederliches gewesen und von dem schonungslos Verfolgten seit vielen Leidensjahren als ein Greuel Moabs und Amaleks verabscheut worden war. Denn diesem düsteren Fanatiker war es Ernst, furchtbarer Ernst mit den sittlichen Forderungen seiner Religion an ihn selbst wie an andere, und deshalb blickte er mit Verachtung und Ingrimm auf die zeitgenössische Literatur seines Landes, die unleugbar nur allzusehr die Anschauungen des lustigen Altenglands widerspiegelte. Man vergesse nicht, daß selbst die Dramen Shakespeares von Schmutzereien wimmelten. Die Aufführung derartiger Stücke mußte dem Puritanismus ein heidnischer Greuel sein, und deshalb zerstörte er das Theater. Und sollten sich endlich Puritaner vom reinsten Wasser nicht zur Verachtung der Wissenschaft getrieben fühlen, wenn sie im Hinblick auf den gefeiertsten Repräsentanten derselben in ihrem Lande und zu ihrer Zeit, im Hinblick auf Bacon von Verulam bedachten, daß dieser angeblich große und größte Gelehrte in Wahrheit einer der verächtlichsten Schurken war, die jemals mittels Beugung und Fälschung des Rechtes die Gunst der Mächtigen sich erbuhlt haben? Ach, es ist eine traurige Tatsache, daß die Historie der Wissenschaften voll ist von Baconen. Denn wie es keinem glücklichen Verbrechen in der Weltgeschichte an einem Tedeum brüllenden Pfaffen, so hat es auch keiner gelungenen Schändlichkeit an einem gelehrten Anwalt gefehlt. In den Akademien älterer und neuerer Zeiten müßte ein Diogenes Männerstolz, Freimut und Charakterwürde mit der Laterne, ja mit der Lupe suchen, und er würde sie selten genug finden. Im übrigen kann, auf unser Thema zurückzukommen, der Puritanismus mit gerechtfertigtem Stolz zu seinen Feinden und Anklägern sagen: Wenn ich so ganz, wie ihr behauptet, ein Barbar gewesen, wie kam es denn, daß ich den edelsten Gelehrten, einen reinsten Träger des Genius aus mir zu erzeugen vermochte! Den wissenschaftlichen Begründer des Preßfreiheitsrechtes, den wunderbar beredsamen Verfasser der Verteidigung des Volkes von England, den herrlichen Schöpfer des Verlorenen Paradieses Milton!

Einleuchtend ist demnach für Augen, welche sehen und sehen wollen, daß der Puritanismus auf der Entwicklungsbahn der europäischen Zivilisation ein Riesenvorschritt war. Er hat die reformatorische Idee aus dem lutherischen Nebelheim einer liebedienerischen Theologie in die staatliche Wirklichkeit herübergerückt; er hat der Sklaverei die Freiheit, dem despotischen Prinzip der Bevormundung das der demokratischen Selbstbestimmung entgegengestellt; er hat mit seiner Eisenfaust das pfäffische Lügenmärchen vom Gottesgnadentum der Könige zermalmt, hat mittels Gründung seiner Volksstaaten jenseits des Atlantischen Ozeans ein glorreichstes Blatt im Weltgeschichtsbuch aufgeschlagen und hat in dieses Blatt als furchtbare Mahnung und Warnung das Datum des 30. Januar 1649 für alle Ewigkeit eingegraben.

Unschwer begreiflich auch, daß ein ernstangelegtes, tiefes und energisches Cromwellgemüt mehr und mehr mit den Anschauungen des Puritanertums sich füllte. Die klägliche Mißregierung Jakobs I., England nach außen erniedrigend und nach innen der bübischen Willkür einer despotischen Günstlingsherrschaft preisgebend, konnte den ruhelosen Stachel in der Seele des werdenden Helden nur schärfen. Ob er zu dieser Zeit irgendeine Ahnung hatte, was ihm die nächste Zukunft bringen würde? Wir wissen es nicht. Wohl aber wissen wir, daß, als die Weltgeschichtsbühne sich ihm auftat, er sie als ein ganzer, in sich fertiger Mann beschritt, als ein echter Nummereinsmann, als ein rechter Tatmann, der geduldig die Wortmänner eine geraume Weile gestikulieren, debattieren, resolutionieren und haselieren ließ, dann aber vortrat, das Schwert zog, die Scheide wegwarf und sagte: »Ich werde es tun!« Denn zum höchsten Wagen, zum gewaltigsten Handeln, zur tatkräftigsten Erfassung und Erfüllung der Zeitforderungen hatte sich, wie sein kompetentester Beurteiler, Milton, schön bezeugt, unser Mann in der Zurückgezogenheit seines Hauses vorbereitet. In der Stille war er gewachsen, unerschütterlich im Vertrauen auf seinen Gott und in schweigsamer Brust den gewaltigen Geist nährend Milton, Defensio pro populo Anglicano secunda (1654)..

3.

Im März 1625 starb Jakob I., und mit der Thronbesteigung seines Sohnes, Karls I., begann der große Waffengang zwischen Despotismus und Freiheit in England, der von beiden Seiten her schon lange sich vorbereitet hatte. Daß dieser Kampf nicht allein eine britisch-insulare, sondern eine europäische, eine menschheitliche Bedeutung hatte, weiß jedermann.

Der neue König war ein sogenannter »ritterlicher Herr«, d. h. ein leidlich guter Reiter, Fechter, Schütze und Jäger. Seine mittelmäßigen Geistesgaben waren nicht ohne Sorgfalt entwickelt worden. Er machte eine gute Figur, hatte einen künstlerischen Zug in sich, konnte für einen Kunstkenner gelten und hätte ohne Frage einen recht wackeren Gemäldehändler abgegeben. Auch ein ehrbarer Mann ist er gewesen, ein treuer Gatte und zärtlicher Familienvater. Zu seinem und seines Landes Unglück war er jedoch ein König und hatte sich unter seiner nicht eben sehr weitgewölbten Schädeldecke die fixe Idee festgeklebt, ein König nach festländischem Muster sein zu wollen und sein zu müssen. Was das heißen wollte, ist klar, falls man erwägt, daß gerade damals auf dem europäischen Kontinent, vorab in Frankreich, das modern absolutistische Königtum zu fester Begründung und vollendeter Gestaltung gedieh.

Karl und seine Ratgeber waren freilich zu beschränkt, um einzusehen, daß der Hauptbildner des französischen Absolutismus, der Kardinal Richelieu, das schrankenlose Königtum als einen Hebel des sozialen Vorschritts handhabte. Der Stuart wollte den Despotismus um des Despotismus willen und legte bei seinen ungeschickten und brutalen Versuchen, ihn zu begründen, gar kein Gewicht auf die Grundverschiedenheit der historischen Entwicklung Englands und Frankreichs. Von Haus aus ein falscher Patron, doppelzüngig und wortbrüchig, hat er sich aus feierlichsten Versicherungen, Bürgschaften und Eiden gar nichts gemacht, wie das eben derartige »ritterliche Herren« zu halten pflegen. Steif und fest an die Narretei glaubend, er wäre das Ebenbild und der unverantwortliche Statthalter Gottes auf Erden, log er sich die Bestimmung vor, in Großbritannien mit Hilfe pfäffischer Volksverdummung die unumschränkte Despotie aufzurichten, und in diesem Vorhaben, wie in allem Verkehrten und Strafbaren, wurde er energisch gestärkt und gesteift von seiner Frau Henriette, die ihn tüchtig unter ihrem Pantoffel hielt. Die Königin, eine Tochter Heinrichs IV. von Frankreich, hatte von ihrem Vater nichts, dagegen von ihrer Mutter, der verrufenen Mediceerin, alles: die köhlergläubige Römelei, die gedankenlose Verschwendungslust, die frivol dareintappende Ehr- und Herrschsucht. Sie wollte ihren Mann zum Despoten von Großbritannien machen, sicher, daß sie die Oberdespotin sein würde. Zur Charakteristik Karls gehört auch noch, daß er, nicht obgleich, sondern weil er ein Pantoffelheld, nach Art von Pantoffelhelden seine Schwäche mitunter zu hartnäckigstem Eigensinn verknöchern ließ, besonders, wenn es galt, etwas recht Törichtes zu beginnen oder durchzuführen. Natürlich sprang dann die alberne Hartnäckigkeit sehr bald wieder in jammerseligen Kleinmut um. Summa: Der König hatte durchaus nicht das Zeug, seinen verkehrten Gedanken, die Verfassung Englands zu vernichten und sich zum absoluten König von Großbritannien zu machen, zur Verwirklichung zu bringen.

Schon der Erfolg, d. h. Nichterfolg der ersten in der angegebenen Richtung unternommenen Versuche hätte einen Mann von Verstand – vom Rechtsgefühl ganz zu schweigen – stutzig machen und dem Könige den eindrucksvollen Beweis liefern müssen, daß die Nation, d. h. die herrschenden Klassen, Nobility und Gentry, ihre Verfassung keineswegs gutwillig und widerstandslos sich entreißen lassen würden. Das dritte Parlament, das Karl seit seinem Regierungsantritt zu berufen sich genötigt sah, vereinbarte mit dem König jenen Vertrag zwischen Krone und Volk, der unter dem Namen der » Petition of right« berühmt ist und die große Urkunde der englischen Verfassung darstellt. Am 7. Juni 1628 gab der König, im Saale der Lords auf dem Throne sitzend, während die Commons sich an der Schranke drängten, diesem Vertrage förmlich und feierlich seine Sanktion, die altgebräuchliche Formel aussprechend: »Es geschehe Recht, wie (vom Parlament) begehrt ist.« In diesem Parlament von 1628, nicht in dem von 1625, wie man lange irrtümlich angenommen hat, ist Oliver Cromwell zum erstenmal erschienen, von seiner Heimatgemeinde Huntingdon ins Unterhaus abgeordnet. In der Sitzung vom folgenden Jahre, und zwar am 11. Februar, hat er zum erstenmal das Wort genommen und in einer Debatte über religiöse Angelegenheiten einen so barschen Ausfall auf die Papisterei getan, daß aus dem bäurischen Redner schon etwas vom späteren Cromwell hervorsah und achtsame Beobachter und Hörer unschwer ahnen konnten, er werde dereinst einer der Wurzel- und Zweigmänner (» root and branch men«) sein, wie man später die Puritaner im allgemeinen und die Independenten im besonderen nannte.

Das Parlament wurde jedoch vom König bald entlassen und aufgelöst. Denn der treulose Mann hatte mit der Rechtspetition nur ein Spiel getrieben, während der Sanktion derselben schon gewillt, sich nicht an ihre Bestimmungen zu halten, und entschlossen, keine verfassungsmäßigen Beschränkungen seiner Machtvollkommenheit anzuerkennen; ohne Bewilligung des Parlaments Steuern auszuschreiben und zu erheben; wenn immer möglich, ein stehendes Heer zu errichten und überhaupt den Rechten und Gesetzen des Landes zum Trotz zu regieren. Es folgten nun jene traurigen elf Jahre, während welcher es ganz den Anschein hatte, als würden sich auch die Engländer die Aufrichtung geistlicher und weltlicher Tyrannei ruhig gefallen lassen, wie solches die knechtischen Völker des Festlandes taten. Mit brutaler Hintansetzung von Verfassung und Recht wirtschaftete der »ritterliche« König ganz im Stile des gleichzeitigen kontinentalen Despotismus. Kein Parlament ward berufen, schwere Steuern wurden widergesetzlich ausgeschrieben und erpreßt, die Bürger mit soldatischer Einquartierung geplagt, alle Versuche, auch die schüchternsten und wohlgemeintesten, den Hof zu warnen, mit grausamen Strafen geahndet und die Engländer, Mann und Weib und bis zu den Kindern herab, in Glaubenssachen einer verdummenden Tyrannei unterworfen, deren Formen sehr stark nach denen der römischen und spanischen Inquisition schmeckten. Bei diesem ebenso törichten wie gewissenlosen und verbrecherischen Schalten und Walten hatte Karl zwei Haupthelfershelfer, einen geistlichen und einen weltlichen. Jener, der Erzbischofprimas von Canterbury, Laud, ist ein halbblödsinniger Zelot gewesen; dieser, der unter dem Namen Strafford gegrafte Thomas Wentworth war ein feiler Überläufer von der parlamentarischen Opposition zum König und nach Renegatenart ein wütender Verfolger der früher bekannten oder erheuchelten Grundsätze. Der Mann, wähnend, Übermut wäre Tatkraft, Gewissenlosigkeit Weisheit und Brutalität Staatsklugheit, bildete sich ein, einen englischen Richelieu vorstellen zu können, während er, näher angesehen, nur ein ganz ordinärer Junker und Säbelrasseler gewesen ist. Er tat sich nicht wenig darauf zu gut, das politisch-religiöse System »Durch« ( through) erfunden zu haben, d. h. das System gedanken- und skrupelloser Gewaltsamkeit, welches dann, sowie sich ernster Widerstand dagegen erhob, ebenso rasch wie schmählich zusammenbrach …

Während Henriette und Karl, Strafford und Laud also ritterlich und gottselig regierten, baute Oliver, scheinbar ganz in die Dunkelheit des Privatlebens zurückgesunken, auf seiner Farm zu St. Ives, dann zu Ely das Feld und gedieh dabei mehr und mehr zu einem wohlhabenden Squire, auf den der Puritanismus in der Stille hoffnungsvoll das Auge gerichtet hielt – der Puritanismus, der nur noch des Stichwortes harrte, um in der Gestalt von Cromwells »Eisenseiten« ( ironsides) auf die Bühne zu treten und, in ganz anderer Weise als Strafford, sein »Durch!« aufzuspielen. Das Haus unseres Squire hatte sich mählich auch mit reichem Kindersegen angefüllt: im Dezember 1638 wurde ihm sein letztes Kind geboren, das neunte. Sieben waren am Leben, drei Söhne und vier Töchter; unter den Söhnen der älteste Oliver, der in dem großen Kriege zwischen Parlament und König umkam; der Zweitälteste Richard, ein leichtsinnig-gutmütiger Schwächling und Genüßling und leider seines Vaters Nachfolger im Protektorat. Wäre Richards jüngerer Bruder Henry – » a brave man and true« – als Kriegs- und Staatsmann hochbegabt und tüchtig bewährt, dem Vater auf dem Herrscherstuhl nachgefolgt, leicht hätte der Gang der Geschichte Englands ein ganz anderer werden können, als er geworden ist. Denn wenn auch mit Entschiedenheit betont werden muß, daß im ganzen und großen der Verlauf des weltgeschichtlichen Prozesses sich nach Gesetzen vollzieht, so wird doch kein denkender Mann bestreiten wollen, daß im besonderen und einzelnen viel, sehr viel davon abhängt, mit was für Werkzeugen die Geschichte arbeitet, was für Menschen sie mit dem Vollzug ihrer Gesetze betraut. Unwiderstehlich, schweigend, mit majestätischer Ruhe trägt der Strom der Weltgeschicke die Völker, mögen sie darin schwimmen und ringen, wie sie wollen, mit sich fort in den Ozean der Ewigkeit. Jawohl! Aber es ist denn doch ein Unterschied, zu ringen und zu schwimmen wie Athener oder wie Szythen. Menschen sind keine Holzklötze, so hölzern und klotzig sie sich oft auch anstellen mögen, und die Prediger eines unbedingten Fatalismus sollten bedenken, daß die volle Hingebung an diese Lehre die Zoologie mit Notwendigkeit bald um die Spezies Mensch ärmer machen müßte.

4.

Wohlmeinende Gelehrte, die ihr Leben lang eifrigst studieren, ohne jemals etwas zu lernen, pflegen in tugendhafte Entrüstung zu geraten, wenn da und dort ein rücksichtsloser Mann das öffentliche Geheimnis verlautbart, in dieser unserer nicht ganz vollkommenen Welt sei das Recht – abgesehen natürlich von der Pflege des Privat- und Strafrechts in Notabene gewöhnlichen Zeiten – nur eine liebenswürdige Idee, die Gewalt aber eine brutale Tatsache, und selbstverständlich müsse jenes gläserne Ideeding bei jedem Zusammenstoß mit diesem eisernen Tatding kläglich in Stücke und Splitter zerbrechen. Zwar haben es die Herren Theoretiker in der Regel sehr eilig, vor der siegreichen Gewalt ihre wissenschaftlich-untertänigen Kniebeugungen zu machen; aber dafür halten sie sich schadlos, indem sie innerhalb der verschwiegenen Wände ihrer Studierzimmer des Horatius » Justum et tenacem propositi virum« (Den echten Mann, der seinen Vorsätzen treu bleibt) – mannhaft zitieren und darauf den Trumpf setzen: »Recht muß doch Recht bleiben!«

Leider ist dieses bis zur äußersten Fadenscheinigkeit abgegriffene Sprichwort gerade so leer und verlogen wie hundert andere Sprichwörter, die jedermann im Munde führt und an die niemand glaubt. So oft und wo immer die Gewalt eine recht gewalt tätige, sank das Recht vor ihr in den Staub. Die ganze Weltgeschichte ist nur eine fortgesetzte Durchlöcherung und Zertretung des papiernen Rechtsbodens. Der Sieg schrieb allzeit das Gesetz und wird es allzeit schreiben. Vae victis! (Wehe den Besiegten!) ist das furchtbare Schicksalsverdikt, gegen das schon unzählige Appellationen eingelegt wurden, aber noch keine gefruchtet hat. Denn was will es bedeuten, wenn gegenüber den vor den Altären des Götzen Erfolg knienden Millionen dann und wann ein einsamer Mann und Denker in seiner Dachstube oder im Kerker oder auf dem Schafott oder im Exil gegen diesen Götzendienst protestiert?

Karl Stuart handelte gewissenlos, verkehrt und verbrecherisch, als er, entgegen seinen beschworenen Königspflichten, auf die Vernichtung der Verfassung und Gesetze Englands ausging. Aber falls er der Mann gewesen wäre, sein Vorhaben durchzuführen, falls er Erfolg gehabt und über die Verfassungspartei den Sieg erlangt hätte, wie dann? Er würde ein Held, ein großer Mann, ein »Gesellschaftsretter« heißen. Hatte Friedrich II. das Recht für sich, als er seinen ersten Raubzug nach Schlesien unternahm? Nein, aber die Gewalt, und zwar die erfolgreiche Gewalt. Waren, als das Verbrechen der ersten Teilung von Polen geplant und vollbracht wurde, die polnischen Patrioten, die Konföderierten von Bar, nicht im Besitze des Rechtes, des himmelschreienden Rechtes? Ganz gewiß; aber Friedrich von Preußen und Katharina von Rußland waren im Besitze der Gewalt. Hatte Bonaparte einen Schatten von Recht, den 18. Brumaire zu machen? Nein, aber er hatte die Gewalt. War der 2. Dezember 1851 mit seinen Raub- und Mordtaten ein Rechtsakt oder aber ein Gewaltakt? Arme Rechtsideologen mit euren Protesten! Der Siegeslorbeer verhüllt alle Brandmarkungsmale auf den Stirnen gekrönter Räuberhauptleute. So war es immer und so wird es immer sein.

Und ist denn das »lange« Parlament seinerseits auf dem Rechtsboden stehen geblieben? Mitnichten! Die Versammlung, das Vorbild des französischen Konvents, begnügte sich keineswegs, seine verfassungsmäßigen Befugnisse zurückzuerobern und festzuhalten, sondern griff sofort in die Befugnisse der Krone hinüber. Die Umstände waren so, daß dies für das Parlament allerdings eine zwingende Notwendigkeit: – es mußte siegen oder untergehen, da mit dem bis ins Mark treulosen Stuart schlechterdings kein verläßliches Abkommen zu treffen war. Aber auch das Parlament setzte also an die Stelle des Rechts die Gewalt, obgleich es die Rechtsfiktion mit der ganzen Gravität parlamentarischer Taschenspielerei festhielt, mit einer Pedanterie, die dem Oliver Cromwell ein verachtungsvolles Lächeln entlockte. Die bekannte konstitutionelle Erzlüge von der genauen Abgrenzung und dem heilsamen Gleichgewicht der Rechte und Gewalten zwischen Krone und Volksvertretung kam bei dieser Gelegenheit in der ganzen Blöße ihrer Infamie zum Vorschein, wie das bei jeder wirklichen Erprobung des Konstitutionalismus stets der Fall war und stets der Fall sein wird und muß.

Sehr begreiflich, daß Tatmann Oliver, dessen Augen so wundersam scharf organisiert gewesen sind, daß er durch die ganze Dicke des theologischen Brettes hindurch, das er, seiner Zeit gemäß, vor der Stirne trug, Menschen und Dinge sah, wie sie wirklich waren, an dem konstitutionellen und parlamentarischen Wesen frühzeitig sich verekeln mußte und daß er, als die Zeit seines Rechtes, d. h. seiner Gewalt gekommen, den ganzen Plunder behandelte, wie er es verdiente. Allein er sollte dabei die leidige Erfahrung machen, daß die Völker, gerade wie die Individuen, von gewohnten und liebgewonnenen Fiktionen und Illusionen schlechterdings nicht lassen wollen und viel lieber zehn Wahrheiten preisgeben als eine Lüge. Männer jedoch, welche den Willen und den Mut haben, der Wahrheit ins strenge Angesicht zu sehen, sollten nachgerade zu der Erkenntnis gekommen sein, daß die künstliche Schaukelei der konstitutionellen Monarchie im besten Falle nur eine mehr oder weniger anständige Gaukelei ist. Es gibt nur zwei einigermaßen wahrhafte und ehrliche Staatsformen: die absolute Republik und die absolute Monarchie.

Gegen diese Tatsache pflegen die gedankenlos-orthodoxen wie die schlau-rechnenden Verehrer des betrogenen Betrügers Montesquieu, pflegen die aufrichtigen wie die heuchlerischen Bekenner des konstitutionellen Kredos mit dem Hinweis auf die Entwicklung des englischen Staatswesens zu argumentieren, das die Verwirklichung der Theorie des Konstitutionalismus sei. Jawohl die Verwirklichung! Die Inszenesetzung eines Humbugs! Denn im Vorschritt der englischen Verfassung zu ihrer heutigen Gestaltung ist das angebliche Gleichgewicht zwischen Krone und Volksvertretung – d. h. Vertretung der bevorrechteten Klassen, denn eine Volksvertretung gab und gibt es in England nicht – immer mehr Schaum und Traum geworden. So sehr, daß der König oder beziehungsweise die Königin von England gar nichts mehr ist und vorstellt als eine kostspielig logierte, gekleidete und genährte Staatspuppe, unbedingt gelenkt von dem Marionettendraht der englischen Oligarchie. Denn diese, zusammengesetzt aus Nobility und Gentry, also die Repräsentanz des Adels und des Kapitals, regiert England, und die konstitutionelle Monarchie ist dort, wie noch so vieles andere, nur eine freche Heuchelei.

Im übrigen kann das »lange« Parlament, dem wir uns auf Umwegen genähert haben, denkenden Politikern – es gibt auch Politiker, und zwar hinlänglich viele, deren Politik das Nichtdenken ist – noch eine weitere große Lehre geben. Die nämlich, daß der sogenannte gesetzliche Widerstand gegen Tyrannei mit seinem ganzen Apparat von Parlamentären, Debattieren und Protestieren Eitelkeit der Eitelkeiten ist. Törichte, steifnackige, wortbrüchige und gewalttätige Könige brachte und bringt der Parlamentarismus niemals zur Vernunft. All das Gerede in Westminster fleckte nicht, und König Karl hätte sich mit seinen Kavalieren noch jahrelang darüber lustig machen können. Aber die Sachen nahmen eine ganz andere Gestalt an, als die Herren zu Westminster vom passiven Widerstand zum aktiven Angriff übergingen, als sie der königlichen Armee ein Parlamentsheer entgegenstellten, als selbst John Hampden, der Haupthahn des Parlamentarismus, es geraten fand, statt länger im Unterhaus zu schwatzen, den Degen umzuschnallen und als Oberst an der Spitze seines Regiments auf die Königlichen einzuhauen. Mit anderen Worten, nicht die schwatzende Reform, sondern die handelnde Revolution hat den Ausschlag gegeben …

Im Frühjahr 1640 sah König Karl sich genötigt, in den sauren Apfel einer Wiederberufung des Parlaments zu beißen. Der übelberatene Monarch und sein verblendeter Ratgeber Laud hatten sich nämlich in »strafbarer Unkenntnis und in reiner Wollust der Tyrannei«, wie sich ein sehr gemäßigter englischer Historiker ausdrückt, zu dem verhängnisvollen Schritt hinreißen lassen, das anglikanische Kirchenwesen, die bischöfliche Despotie, den Laudschen Zeremoniendienst auch den Schotten aufzwingen zu wollen. Da stieß aber ein Fanatismus auf einen andern, daß es heiße Funken gab. Das presbyterianische und puritanische Schottland brach in offene Rebellion aus. Diese sollte mit Waffengewalt niedergeschlagen werden; aber es fehlte dem Könige der Nerv des Kriegführens, das Geld. Sein Kredit war gänzlich erschöpft, und es stellte sich als reine Unmöglichkeit heraus, ohne Mitwirkung des Parlaments die Mittel zur Kriegsrüstung zu beschaffen. So ergingen denn die Wahlausschreiben, und im April 1640 traten die beiden Häuser zusammen. Der König wollte nur Geld haben und verlangte die rasche und bedingungslose Bewilligung von Steuern und Subsidien. Das Parlament, vorab das Unterhaus, sprach von den großen Beschwerden der Nation, obzwar in maßvollem und sogar ehrerbietigem Ton. Besaß Karl einen Funken von gesundem Menschenverstand, so mußte er sich mit dieser Volksvertretung vertragen und vereinbaren, und er konnte das mittels sehr geringfügiger Konzessionen, weil die royalistische Stimmung in beiden Häusern ganz entschieden obenauf war. Aber der König, im Despotismus schon verhärtet und angeeifert von seiner Frau und dem stupiden Laud, sah in dem Vorhaben der Gemeinen, die Beschwernisse der Nation und deren Abstellung zur Sprache zu bringen, bevor von Geldbewilligungen die Rede sein könnte, ein Verbrechen, eine persönliche Kränkung, und so beging er die leichtfertige Dummheit, schon nach drei Wochen das Parlament wieder aufzulösen. Beim Weggehen der Mitglieder aus Westminster ging Edward Hyde, später unter dem Titel eines Earl of Clarendon als Staatsmann und Geschichtsschreiber berühmt geworden, eine Strecke weit mit seinem Bekannten, St. John, einem der Führer der parlamentarischen Opposition, und bemerkte, daß auf den sonst immer düstern Zügen des ernsten Mannes zur Stunde ein Schimmer von Heiterkeit lag. »Ihr seid fröhlich gestimmt, Sir?« fragte Hyde verwundert. – »Freilich, und Ihr?« – »Traurig genug.« – »Wie so? Was bekümmert Euch?« – »Was, wie ich denke, noch viele ehrliche Leute bekümmert, diese törichte Auflösung eines so gemäßigt gesinnten Parlaments.« – »Bah, bevor es besser werden kann in England, muß es zuvor noch weit schlechter werden. Ich sag' Euch, dieses Parlament da hätte ja doch nie getan, was getan werden muß.«

Die leichtsinnig-tyrannische Wirtschaft hatte dann noch eine Weile ihren Fortgang. Zwangsanleihen wurden gemacht, unbewilligte Steuern gewaltsam erhoben, widerspenstige, d. h. auf Recht und Gesetz bestehende Magistratspersonen verfolgt und eingekerkert, Soldaten »gepreßt«, und mit also gewonnenen Mitteln ward der Krieg gegen die Schotten angehoben, welche, von den Führern der englischen Opposition heimlich ermutigt, über den Tweed gegangen und bis Yorkshire vorgedrungen waren. Aber der Krieg konnte nicht fortgeführt werden. Vergeblich polterte der starrköpfige Strafford noch immerfort sein brutales »Durch!« heraus. Ihn selbst, den König, die Königin und den Erzbischofprimas ausgenommen, glaubte kein Mensch mehr daran. Alles lahmte und lotterte, alles ging aus Rand und Band: der Durchkarren blieb im zähen Lehm des passiven Widerstands stecken. Unter diesen Umständen mußte abermals ein Parlament berufen werden, und die Wahlen ins Unterhaus lieferten den Beweis, daß die untertänige Geduld der Gentry und der Freisassen ein großes Loch bekommen habe. Ja, sogar im Hause der Lords zeigte die Opposition eine beträchtliche Stärke.

Also kam im November 1640 das »lange« Parlament zusammen, in der damaligen Mehrheit seiner beiden Häuser vollständig geneigt, das konstitutionelle Dogma von der Unverantwortlichkeit und Unverletzbarkeit der Könige aufrechtzuerhalten; aber auch entschlossen, die konstitutionelle Theorie von der Verantwortlichkeit der Minister und Ratgeber des Monarchen praktisch zu illustrieren. Wie jedermann weiß, ging das Unterhaus zu diesem Zweck alsbald entschlossen gegen Strafford und Laud vor. Beide wurden um ihrer gegen die Verfassung, die Gesetze und das Volk von England begangenen Verbrechen willen peinlich angeklagt und eingetowert. Um die Möglichkeit, den Minister durch ein Verdikt seiner Peers freigesprochen zu sehen, abzuschneiden, ging das Unterhaus von der gewöhnlichen Form englischer Staatsprozeduren (Anklage durch das Unterhaus vor dem Oberhaus) ab und verdammte Strafford mittels einer sogenannten Bill of Attainder zum Tode. König Karl tat, was eben Könige in solchen Fällen zu tun pflegen: er opferte seinen Günstling, indem er die Bill sanktionierte. Als der Graf diese königliche Treue erfuhr, hob er die Hände zum Himmel auf und sprach: »Vertraut nicht auf Fürsten, denn es ist kein Heil bei ihnen ( nolite confidere princibus quia non est salus in illis)!« Das hätte er und hätten unzählige Werkzeuge der Tyrannei vor und nach ihm früher bedenken sollen. Am 12. Mai 1641 fiel Straffords Kopf unter dem Richtbeil, und später wurde der Erzbischof Laud seinem Freunde aufs Schafott nachgeschickt. Dieses ganze Verfahren gegen den Minister und den Primas zeigte klärlich, daß die Gemeinen die oberste Leitung des Staatswesens an sich genommen hatten und entschlossen waren, sie weiterzuführen. Das Unterhaus war fest, einig und energisch in Abstellung der Mißbräuche und Verfassungswidrigkeiten, und nach zehnmonatiger angestrengter Arbeit hatte es damit ziemlich reinen Tisch gemacht. Von besonderer Wichtigkeit ist gewesen, daß an demselben Tage, an welchem die Verdammungsbill über Lord Strafford erging, der König einem vom Parlament beschlossenen Gesetze feierlich seine Sanktion gab, dem Gesetze, das ihn, den König, verpflichtete, das gegenwärtige Parlament nicht ohne dessen Zustimmung aufzulösen oder auch nur zu vertagen. Damit war die parlamentarische Oberherrlichkeit über die Krone ausgesprochen.

Karl, nicht einen Augenblick gewillt, Wort und Treue zu halten, und von der Wiederaufnahme des so schmählich zu Boden gefallenen Straffordschen Durchsystems fortwährend träumend, ging im September 1641 nach Schottland, um seinen Frieden mit diesem Lande zu machen und in ihm eine Stütze und einen Anhaltspunkt gegen England zu gewinnen. Aber die Schotten waren zu schlau, ihm zu trauen, und statt sich von dem Könige benutzen zu lassen, benutzten sie ihn. Sie schrieben ihm die Friedensbedingungen vor; er mußte ausdrücklich seinem Plan, die schottische Kirche zu anglikanisieren, absagen, und man kann sich leicht denken, daß Karls Miene eine nicht sehr süße gewesen, als ihm die Schotten eine Urkunde abpreßten, kraft deren die bischöfliche Kirchenverfassung als dem Worte Gottes zuwider erklärt wurde. Während dieses Fehlgangs des Königs über den Tweed hatten die Parlamentshäuser sich vertagt. Im Oktober kamen sie wieder zusammen, und innerhalb wie außerhalb Westminsters war die Aufregung groß. Die Machenschaften Karls in Schottland hatten das Mißtrauen gegen ihn beträchtlich gesteigert, und bald wurde überdies eine Neuigkeit ruchbar, die den Brand der Erbitterung zu hellen Flammen anblies. Über den St. Georgskanal herüber kam die Nachricht, daß die katholischen Iren im Namen des Keltentums und der Religion gegen die englische Bejochung in Waffen sich erhoben und, unter Begehung von allerlei Greueln gegen die angelsächsisch-protestantischen Kolonisten der Smaragdinsel, einen Vernichtungskampf begonnen hätten.

Diese Tatsache tat in England um so größere Wirkung, als sich damit die Angabe verband, die Iren behaupteten, daß sie im Einverständnis mit König Karl und Königin Henriette, ja im ausdrücklichen Auftrage der Majestäten handelten. Ein Schrei der Wut und Rache ging über England hin. Karl beeilte sich, die irischen Rebellen zu verleugnen, jedes Einverständnis mit ihnen als eine Verleumdung abzuweisen und zu erklären, daß er bereit sei, in Gemeinschaft mit dem Parlament die wirksamsten Maßregeln gegen den Aufstand zu ergreifen. Trotzdem schien die Flut der öffentlichen Stimmung gegen das Königtum so hoch zu gehen, daß erwartet werden konnte, die oppositionelle Mehrheit im Unterhause, deren Hauptführer Hampden, Hazlerigh, Pym und Hollis, würde zu einschneidenden Maßnahmen im widermonarchischen oder wenigstens im widerkarlschen Sinne schreiten. Allein gerade diese Aussicht machte den ganzen Royalismus im Lande stutzig, rief die sogenannten konservativen Interessen d. h. hier die Vorurteile und die Vorteile des Adels und der Geistlichkeit in Harnisch, trieb in die bisherige Einigkeit des Unterhauses einen trennenden Keil und schuf binnen wenigen Wochen eine so entschiedene und kräftige königliche Partei, wie es seit dem Tode der Königin Beß in England keine mehr gegeben hatte. Das wurde sofort offenbar, als am 22. November die von Pym und seinen Mitleitern beantragte »große Remonstranz« ( a remonstrance of the state of the kingdom) – d. h. die umständliche Namhaftmachung und Erörterung aller Beschwerden und Klagen, zu denen die Regierung Karls seit seiner Thronbesteigung Veranlassung gegeben, zur Debatte kam. Es ging hart her, und mit nur 159 Stimmen gegen 148 wurde die Remonstranz durchgesetzt. »Wäre sie verworfen worden«, sagte Cromwell beim Herausgehen aus der Halle zum Lord Falkland, »so hätte ich morgen alles, was ich besitze, verkauft und England für immer verlassen. Auch kenn' ich viele redliche Leute, die das gleiche getan hätten.«

Ohne Zweifel wußte Oliver sehr gut, daß die »große Beschwerdeschrift« ein der kirchlichen und königlichen Tyrannei derb hingeworfener Fehdehandschuh wäre, und zweifelsohne hat er zur Fertigung dieses Fehdehandschuhs energisch mitgewirkt. Denn es ist nur das gedankenlose Nachbeten eines herkömmlichen Irrtums, wenn man glaubt, Cromwells Bedeutung im Parlament sei gleich Null gewesen. Es ist wahr, er machte da keine »Figur«. Er war weder ein glänzender Redner noch ein gewandter Debatter. Fashionable Mitglieder des Hauses blickten mit Verachtung auf den schlechtangezogenen »Bauer«, dem sie auch wohl noch herbere Benennungen gaben. Als er eines Tages in seiner nachdrucksam rauhen Weise an der Debatte sich beteiligte, neigte sich Lord Digby zu seinem Nachbar Hampden und fragte: »Wer ist der Schmutzhammel ( sloven)?« Worauf der Gefragte lächelnd: »Mylord, dieser Schmutzhammel ist kein Redner; aber so, wie Ihr ihn vor Euch seht, würde er, so uns das Unglück zustieße, mit dem Könige brechen zu müssen, der größte Mann in England werden.« Allein obgleich Cromwells parlamentarische Gaben von nur untergeordneter Bedeutung waren und er in keiner Weise mit den Hampden und Pym sich messen konnte, ist seine Tätigkeit im langen Parlament doch eine sehr bemerkbare gewesen. Er und vielleicht er allein hat von Anfang an mit vollem Bewußtsein auf einen vollständigen Bruch mit der Krone hingearbeitet, und während alle die anderen innerhalb der Schranken einer mehr oder weniger durchgreifenden Reform sich bewegten, war er bereits ein entschiedener Revolutionsmann. Die radikalsten Anträge sind von ihm ausgegangen. In Gemeinschaft mit Hazlerigh brachte er die Motion ein, welche eine gänzliche Beseitigung des Episkopalsystems forderte. Er stellte den Antrag, daß Lord Bristol aus dem Rate des Königs entfernt werden möge, und am 6. November 1641 schritt er dazu, dem Königtum eine seiner Hauptstützen wegzuschlagen, indem er beantragte, daß die Bestellung eines Oberbefehlshabers der Streitkräfte des Landes fürder nicht mehr dem König, sondern dem Parlament zukommen sollte. Im Vergleich mit Olivers späteren Taten waren das freilich nur harmlose Plänkeleien. Seine Zeit kam erst, als das Schwert gezogen wurde und aus dem »Sloven« von Bauer mit wundersamer Raschheit der große Schlachtenmeister sich entpuppte.

Und schon stand diese Zeit, die der Revolution und des Bürgerkriegs, vor der Tür. Wie bekannt, machte die konservative Partei, welche dem Könige dienen, aber zugleich die althergebrachten verfassungsmäßigen Rechte des Landes wahren wollte, den wohlgemeinten Versuch, den Zwiespalt zwischen Krone und Parlament auszugleichen, indem sie, Edward Hydes als ihres beredsamen Organs sich bedienend, bei Karl die Bildung eines Ministeriums durchsetzte, das im Einklang mit Verfassung und Gesetz regieren sollte und dessen vorragende Mitglieder Lord Falkland und Sir John Colepepper waren. Allein Karl wollte kein konstitutioneller König sein: – der Taumelwein des Despotismus hatte sein armes kleines Gehirn vollständig benebelt, und die verfassungstreuen Royalisten waren ihm daher nicht weniger zuwider als die Oppositionsmänner, die dem Parlament ein entschiedenes und bleibendes Übergewicht über die Krone verschaffen wollten. Willens, an die Gewalt zu appellieren, führte er seine Absicht in bezeichnend treuloser Manier aus. Wenige Tage, nachdem er seinen neuen Ministern und den übrigen Führern der konstitutionellen Royalisten sein Wort verpfändet hatte, daß nichts von irgendwelchem Belang ohne ihr Vorwissen getan werden sollte, beging er einen schmachvollen Wortbruch und zugleich die dümmste seiner Dummheiten, eine Brutalität, die seinen Feinden das Oberwasser der öffentlichen Stimmung, das ihnen die Bildung des Ministeriums Falkland für einen Augenblick entzogen hatte, wieder zurückbrachte. Mit kecker Verhöhnung der Privilegien des Parlaments machte sich Karl am 4. Januar 1642 mit etlichen Hunderten bewaffneter Kavaliere und Gardesoldaten von Whitehall nach Westminster auf, um die fünf Unterhausmitglieder Hampden, Pym, Hollis, Hazlerigh und Strode gewaltsam zu greifen. Diese Dummheit mißlang vollständig; denn die fünf Bedrohten hatten sich auf einen Beschluß des Hauses hin vor dem königlichen Einbruch aus der St. Stephanskapelle entfernt und in die City geflüchtet. Karl aber hatte sich schmählich blamiert und als der gezeigt, der er war. Ein weiterer Versuch des verblendeten Despoten, die fünf Unterhausmitglieder aus der City zu holen, schlug ebenfalls fehl, und als er aus der Guildhall nach Whitehall zurückkehrte, wurde ihm ein puritanisches Pamphlet, betitelt: »Zu deinen Zelten, Israel!« in den Wagen geworfen. Ja, die »Rundköpfe« rührten sich und hatten kein Hehl, daß sie sich gegen Karl zu erheben gesonnen wären, wie sich vor Zeiten Israel gegen Rehabeam erhoben hatte.

Am 11. Januar war ganz London auf den Beinen, um die Fünfe im Triumphzug aus der City nach Westminster zurückzuführen, jubelnd-demonstrativ an Whitehall vorbei. »Wo ist jetzt der König, und wo sind seine Kavaliere?« scholl es spottend und drohend zu den Fenstern des Palastes empor. Karl aber war nicht mehr dort. Tags zuvor hatte er, getrieben von der Königin, welche abwechselnd »zitterte und wütete«, mit seiner Familie London verlassen und war über Hamptoncourt nach Windsor gegangen. Dort wurde beschlossen, daß die Königin sich nach Holland begeben, mittels der mitgenommenen Kronjuwelen daselbst Waffen und Munition ankaufen und die festländischen Potentaten um Hilfe für ihren Herrn Bruder von England angehen sollte. Sie reiste ab, und es folgten nun Unterhandlungen zwischen König und Parlament, die, von keiner Seite ernst gemeint, sich bis in den Sommer hineinspannen. Der Krieg war tatsächlich schon erklärt, und auf beiden Seiten rüstete man. Das Parlament oder, genauer gesprochen, das Unterhaus – denn das Oberhaus verschrumpfte rasch zu einem Schatten – verfügte unbedingt über London und die der Hauptstadt zunächstgelegenen Grafschaften, weiterhin über die Mehrzahl der größeren Städte und Hafenplätze. Mittels der Flotte, die ebenfalls zu ihm hielt, beherrschte es die Seeküsten und die Themse. Die Hauptstärke, der zäheste Rückhalt der parlamentarischen Partei beruhte auf der Anhänglichkeit des Städtebürgertums und der puritanischen Freisassenschaft auf dem Lande. Jedoch hielt auch eine starke Minorität des Adels, und zwar sowohl der Nobility als der Gentry zu ihr, und ihre meisten Führer waren von Haus aus so vermögliche Leute, daß sie imstande waren, auf eigene Kosten Reiterschwadronen und Infanterieregimenter zu errichten. Die Finanzquellen des Parlaments flossen weit reichlicher, regelmäßiger und dauernder als die des Königs, der im Grunde hinsichtlich der Geldmittel auf die Freigebigkeit und Opferwilligkeit seiner reicheren Anhänger sich angewiesen sah und nur vorübergehend da und dort einen Bezirk zu besteuern oder vielmehr zu brandschatzen vermochte. Darum ist die königliche Armee in betreff des Geschützes und alles Feldgeräts der parlamentarischen allzeit nachgestanden. Dagegen überwog zu Anfang des Krieges das Menschenmaterial des königlichen Heeres physisch und moralisch das des parlamentarischen weit: denn unter dem Banner des Königs, für den die Mehrzahl des hohen und niederen Adels, sowie selbstverständlich die ganze Sippschaft der anglikanischen Pfaffheit enthusiastisch Partei genommen, fochten Gentlemen, unter der Fahne des Parlaments kämpfte zunächst nur ein auf den Werbeplätzen zusammengeraffter Menschenkehricht von Mietlingen.

In der sechsten Abendstunde des 22. Augusttags von 1642 pflanzte König Karl seine Standarte unter Trompetenschall auf der Turmzinne des Schlosses zu Nottingham auf, um also auf gut mittelalterlich-feudale Manier seine Vasallen zu den Waffen zu rufen. Während der Nacht warf der Wind die Fahne vom Turm herab in den Staub, welches Omen unter den älteren Kavalieren in der Umgebung des Königs ein bedenkliches Kopfschütteln verursachte. Nur wenige Stunden von Nottingham entfernt, zu Northampton, sammelte sich in denselben Tagen die Streitmacht des Parlaments, zu deren General die Leiter in Westminster den Earl von Essex bestellten. Eine sehr unglückliche Wahl; denn Mylord war ein methodischer Esel, ganz und gar von der Sorte jener Generale, die auf dem Festland gleichzeitig unter dem Titel »österreichische Heerverderber« bekannt gewesen sind, überhaupt war es mit den Offizieren der Parlamentsarmee im Anfange des Krieges durchschnittlich gerade so schlecht bestellt wie mit den Soldaten. Unter den königlichen Kriegsobersten ragte des Königs Schwestersohn hervor, Prinz Rupert von der Pfalz, ein brutaler Hussar, bildungslos, roh und rauh, ohne alles höhere militärische Talent, aber ein unverzagter Waghals und ungestümer Drauflosreiter. In einer bescheidenen Ecke der Musterrolle des Parlamentsheeres stand geschrieben: Oliver Cromwell, Captain. In der Tat, als Hauptmann einer Reiterschwadron eröffnete er seine Laufbahn.

Und in sehr charakteristischer Weise tat er es. Der gewohnten Zweizüngigkeit und Verlogenheit des Konstitutionalismus gemäß hatten es nämlich die Herren in Westminster für passend erachtet, in ihren auf den ausbrechenden Bürgerkrieg bezüglichen Debatten, Beschlüssen und Manifesten die kolossale Heuchelei auszutrumpfen, das Parlament führe eigentlich den Krieg nicht gegen, sondern für den König, der nur durch eine übelgesinnte Faktion zeitweilig aus seiner verfassungsmäßigen Stellung gerückt sei, und demzufolge war in den Bestallungen und Instruktionen der Offiziere des Parlamentsheers ausdrücklich gesagt, diese wären berufen und beauftragt, »für König und Parlament« zu fechten. Gegen diese diplomatisch-parlamentarische Lüge empörte sich, wie Clarendon, also ein Todfeind Cromwells, in seinem Geschichtsbuch bezeugt hat, das Wahrheitsgefühl in Olivers Seele. Als er seine Reiter, welche unter dem Ehrennamen » Cromwell's dragoons« bald zum Kern der widerköniglichen Streitmacht wurden, zum ersten Male musterte, sprach er sie also an: »Soldaten, ich will euch nicht überlisten noch durch die zweideutigen Ausdrücke meiner Instruktion betrügen, die mir befiehlt, für König und Parlament zu fechten. Ich sag' euch, wenn es sich fügen sollte, daß der König bei einer Schar sich befände, welche anzugreifen ich befehligt würde, so würde ich mein Pistol auf ihn losschießen gerade wie auf jeden andern. Wem von euch sein Gewissen nicht erlauben sollte, dasselbe zu tun, den kann ich in meiner Schwadron nicht gebrauchen.«

5.

Der Verlauf des englischen Bürgerkriegs ist allzu bekannt, als daß die Schlachten desselben auf vorliegendem Papier abermals geschlagen werden müßten. Außerdem gibt es unter den denkenden Menschen nachgerade nicht wenige, welche der Ansicht sind, die ganze Kriegshistorik, sowie das Interesse und die Freude daran, seien ganz entschieden den vielen Barbareien beizuzählen, welche inmitten unserer Kultur sich breitmachen. Also möglichst wenig Getrommel und Getrompete, Gehaue, Gesteche und Geschieße hier!

»Ich war ein Mann, der von seiner ersten Bestallung als Hauptmann einer Reiterschwadron an mit einmal hervorgezogen wurde und dem man immer größeres Vertrauen schenkte ( was suddenly preferred and lifted up from lesser trusts to greater), und ich arbeitete nach Kräften, meine Schuldigkeit zu tun, und Gott hat mich gesegnet nach seinem Wohlgefallen.« So Cromwell am 13. April 1657 in einer Staats- und Standrede an sein sogenanntes zweites Parlament. Diese Rede ist besonders merkwürdig deshalb, weil der Protektor darin auf die ersten Zeiten des Bürgerkriegs einen Rückblick tut und in seiner Weise der hochwichtigen, durch ihn bewerkstelligten Um- und Neubildung des Parlamentsheers erwähnt, wodurch die Niederlage des Königtums eingeleitet und entschieden und Cromwell selbst, erst unter dem Titel eines Obersten, dann eines Generalmajors und Generalleutnants, die Seele der im puritanisch-independentischen Geiste organisierten Armee und damit der Gebieter seines Landes wurde. »Als ich angefangen, mich an den kriegerischen Unternehmungen zu beteiligen«, erzählt er, »sah ich, daß unsere Leute überall von den königlichen geschlagen wurden. Da forderte ich meinen Freund John Hampden auf, er möchte zu Mylord Essex' Armee einige neue Regimenter hinzufügen, und sagte ihm, ich wollte ihm behilflich sein, Männer anzuwerben, welche, wie ich dächte, einen Geist hätten, der einiges wirken könnte in dem Werke ( men in as I thought had a spirit that would do something in the work).« Nachdem dann der Redner den Menschenkehricht, aus welchem, wie schon erwähnt, das Parlamentsheer anfänglich vorwiegend bestand, gekennzeichnet hat (» old decayed servingmen and tapsters and such kind of fellows«), zeigt er, daß mit solchen Truppen gegen die Kavaliere des Königs nicht aufzukommen wäre, und erklärt, es sei notwendig, die Reihen der widerköniglichen Armee mit Männern zu füllen, welche ebenfalls »Spirit« besäßen, d. h. Überzeugung, Hingebung und Begeisterung, und ich »ging hin, Männer aufzusuchen, die in der Furcht Gottes wandelten und mit Überzeugung taten, was sie taten, und fortan wurden wir nimmermehr geschlagen, und wo immer sie« – Cromwells Eisenreiter – »auf den Feind trafen, da schlugen sie ihn.«

So war's. Oliver organisierte in demselben Stil, in welchem er sein eigenes Dragonerregiment eingerichtet hatte, die ganze Volksarmee und stellte so jenes »Heer der Heiligen« ins Feld, wie ein solches die Welt nie und nirgends wieder gesehen hat. Walter Scott hat in seinem »Woodstock« diese puritanisch-republikanischen Kriegsleute, geworben in dem Kernvolk der englischen Freisassen- und Farmerschaft, diese finsterblickenden Psalmensänger und Predigthorcher, diese Jedediahs, Obadiahs und Zorobabels mit seiner ganzen Meisterschaft gezeichnet, aber freilich auch, als der Stocktory, der er war, mehr ins Dunkle als ins Helle gemalt. Sie hingen und hielten an Cromwell wie das Eisen am Magnet. Er war in ihren Augen das auserlesene Rüst- und Werkzeug Gottes, und was er wollte und tat, war gut und wohlgetan: es konnte anders gar nicht sein. Er hinwieder betete und psalmodierte mit ihnen und sorgte für sie wie ein echter und rechter Bruder. Seine Frömmigkeit war nichts weniger als pietistisch-quietistische Gefühlsschwelgerei, sondern Tatfreudigkeit höchster Potenz. Sein Lapidarwort: »Vertraut auf Gott und haltet euer Pulver trocken!« ist nur eine Cromwellsche Vorwegnahme des »Hilf dir selbst, und der Himmel wird dir helfen!« gewesen.

Leicht begreiflich, daß Cromwells Name gar bald zu einem Schrecklaut für die Ohren der Königlichen wurde. Mochte der Oberbefehlshaber der Parlamentsstreitkräfte so oder so heißen, Essex, Manchester oder Fairfax: Freund oder Feind wußte, daß der Oliver es war. »Ist Cromwell da?« fragte der sonst so unverzagte Prinz Rupert sorgenvoll, als am 2. Juli 1644 die beiden Heere auf dem Marstonmoor zum Kampf antraten. Und Cromwell war wirklich da und entschied mit seinen Eisenreitern den Sieg, den ersten großen Sieg der Parlamentsarmee über die königliche. »Gott machte sie zu Stoppeln unter unsern Schwertern ( God made them as stubble to our swords)«, schrieb er am 5. Juli aus dem Lager vor York an den Obersten Walton. Im Feldzuge des folgenden Jahres fiel bei Naseby die Entscheidung, am 14. Juni 1645. Wiederum gab Cromwell, der die Reserve der Parlamentsarmee befehligte, den Ausschlag. Es war ein heißer Tag, und von beiden Seiten wurde fast nur mit blanker Waffe und mit grimmiger Erbitterung gefochten. Die Wagschalen von Triumph und Niederlage schwankten lange und heftig, und es kam ein Augenblick, wo der ungestüme Anprall der königlichen Reiterei unter Rupert das ganze Parlamentsheer niederzustürmen drohte. Aber Held Oliver war da, das Schicksal des Tages zu wenden und die Schlacht von Naseby zur letzten Karls zu machen. Der fliehende König ließ auf der verlorenen Walstatt auch seine Brieftasche zurück, deren Untersuchung durch das Parlament die unwiderleglichen Beweise lieferte, daß Karl bei auswärtigen Potentaten um Beistand gegen das englische Volk betteln gegangen war. Er hielt sich noch kümmerlich in Oxford bis zum Frühjahr 1646. Dann entwich er heimlich von dort und begab sich nach mitleidswertem Umherirren in das Lager der Schotten bei Newark. Die Schotten aber – Schmach über sie! – begingen die Niederträchtigkeit, den hilflosen Flüchtling, der sich ihnen anvertraut hatte, dem englischen Parlament auszuliefern oder, wahrhaftiger gesprochen, um Geld, um den Judaspreis von 400 000 Pfund zu verkaufen.

Das Parlament hatte also vollständig gesiegt, und ganz England unterstand scheinbar der parlamentarischen Macht und Gewalt. Scheinbar! Denn die wirkliche Macht und Gewalt hatte, wer das Heer hatte, und das Heer hatte Cromwell. Der große Zwiespalt im Lager der Sieger brach alsbald aus. Hier der Presbyterianismus und das Parlament, dort der independentisch potenzierte Puritanismus und die Armee; hier republikanisch-utopisches Träumen, dort energisches Handeln; hier das Wort, dort die Tat; hier die Vane und Ludlow, dort Cromwell. Wem der Sieg zufallen mußte, konnte nicht zweifelhaft sein. Die presbyterianische Mehrheit des Unterhauses wollte das Königtum nicht abschaffen, sondern es nur dem Willen des Parlaments unterworfen wissen. Auf dieser Grundlage unterhandelte es mit dem gefangenen und tatsächlich entthronten Monarchen, und bei etlicher Nachgiebigkeit von beiden Seiten schien eine Vereinbarung möglich, ja nahe bevorstehend. Allein das Heer, von einem alttestamentlich-samuelisch gefärbten Republikanismus erfüllt, wollte von einem derartigen Übereinkommen nichts hören. Die independentischen Agitatoren in den Reihen der Armee verlangten, daß Karl Stuart um seiner an der Nation verübten Missetaten willen gerichtet und daß die Monarchie abgetan werde. Die Armee zerhieb dann den Knoten ihres Streites mit dem Parlament, indem sie sich der Person des gefangenen Königs bemächtigte, nach London marschierte und am 6. Dezember 1648 »Prides Purganz«, wie es der Wachtstubenwitz nannte, dem Unterhause verordnete, d. h. die royalistisch-presbyterianischen Mitglieder durch Soldaten unter Oberst Prides Befehlen aus der Stephanskapelle austreiben ließ. »Kraft welchen Rechtes tut ihr, was ihr tut?« fragte eins der durch Prides »Purge« aus der St. Stephanskapelle wegpurgierten Mitglieder. »Kraft des Rechts der Notwendigkeit«, lautete die Antwort, »und, fürwahr, kraft der Gewalt des Schwertes ( by the law of necessity; truly, by the power of the sword)!« Der in Westminster zurückgebliebene independentische »Rumpf« war nur ein Dekretierwerkzeug in der Hand des Heeres und dieses ein Werkzeug in der Hand Cromwells. Aber freilich ein zweischneidiges Werkzeug, das sehr behutsam gehandhabt sein wollte.

Häufig hat man die Frage aufgeworfen, aber, wie Wissenden wohlbekannt, nie mit überzeugender Sicherheit beantwortet, ob Cromwell zu dieser Zeit und früher schon mit Bewußtsein und Bedacht darauf ausgegangen sei, sich zum höchsten Machthaber oder wohl gar zum König Oliver I. zu machen. Zur Klärung dieses Problems ist vor allem zu beachten, was soeben über die Zweischneidigkeit des Werkzeugs gesagt worden, womit Cromwell hauptsächlich arbeitete. Er war der Abgott des Heeres, keine Frage. Allein derartige Abgötter vermögen viel öfter, als man glaubt, nur dienend zu herrschen. Die Häuptlinge von Parteien sind überhaupt gar häufig in der Lage der Fetische im Lande Kongo, allwo der Gott heute kniend verehrt und mit Menschenopfern beschmeichelt, morgen aber unter Umständen von seinen Verehrern vom Altar geworfen und durchgeprügelt wird. Tatsache ist, daß Oliver in der Armee und durch die Armee zur Macht gelangt war; er konnte demnach sein Geschick von dem des Heeres nicht trennen. Er fühlte, er wußte, daß er die in der Armee üblichen Anschauungen nicht selbstherrlich ändern, sondern im günstigsten Falle vorsichtig leiten könnte. Die religiöse Stimmung der »Heiligen in Waffen« teilte er ohnehin aufrichtig und entschieden. Schon darum war ihm Papismus, Prälatismus und monarchischer Despotismus zuwider wie Gift und Galle.

Ferner steht fest, daß Cromwell kein abstrakter Republikaner war wie die Ludlow und Vane, welche im Tacitus und Plutarch Politik studierten, und kein utopistischer Träumer wie James Harrington, der in seiner »Oceana« den Kommunismus predigte. Allerdings, auch er ist ein Prinzipmann gewesen, aber zugleich auch ein Tatmann, d. h. ein praktischer Politiker, der Menschen und Dinge sah, wie sie waren. Seine staunenswerten Erfolge mußten ihm das Gefühl seiner Kraft, mußten ihm die Überzeugung gegeben haben, daß er und er allein berufen sei, sein Vaterland zu retten, die revolutionäre Krisis zu einem gedeihlichen Abschluß zu bringen und England im Innern und nach außen auf die Bahn neuer Entwicklungen seiner Wohlfahrt und Machtentfaltung zu führen. Mit einem so durchaus gerechtfertigten Gefühl, mit einer so wohlbegründeten Überzeugung in der Brust will und kann man nicht der Zweite, sondern muß der Erste sein wollen. Und das wollte er sein, von dem Siege bei Naseby an sicherlich.

Es handelte sich also nur noch um die Form seiner künftigen Machtstellung. Aber gerade hierbei mußten sich dem Manne von praktischem Genie, der er war, gar mannigfache Bedenken und Erwägungen aufdrängen. Er wußte gar wohl, daß weder der alttestamentliche Republikanismus der Obadiah, Jedediah und Zorobabel, noch der angeblich griechisch-römische der Hutchinson, Sidney, Vane und Ludlow für England taugte. Er wußte ebenso, daß für die Mehrzahl der Bevölkerung Staat und Königtum ein und dasselbe seien. In erster Linie mußte ihm demnach die Erhaltung der Monarchie als das Wünschenswerteste erscheinen. Aber wie sollte das erreicht werden? Die Schwierigkeiten von Cromwells Stellung waren so erdrückend groß und schwer, daß eben nur seine Schultern sie zu tragen vermochten. Von der einen Seite her drohten die Kavaliere mit einer rachedurstigen Reaktion, von der andern her die »Gleichmacher ( leveller)« mit dem ganzen Unsinn ihrer anarchischen Träume vom »Tausendjährigen Reiche«. Die Iren befanden sich in offener Rebellion, und das Gebaren der Schotten war so zweideutig, daß man nie recht wußte, ob man sich mit ihnen im Krieg oder im Frieden befände. Religiös-militärische Fanatiker, wie Harrison und andere Offiziere, schlugen schon damals, wie auch später, die gewaltsamste Lösung der gespannten Situation vor: die allgemeine Niedermetzelung der königlichen Partei. Cromwell, von Haus aus kein Blutmann, verwarf jetzt und später diesen Vorschlag mit Abscheu. Sein Todfeind Clarendon hat dies bezeugt und das in Feindes Mund doppelt gewichtige Lob ausgesprochen, daß ohne Cromwells Umsicht, Feuer und Tatkraft England durch das revolutionäre Parteitreiben in Stücke gerissen und in vollständige Anarchie geworfen worden wäre.

Bevor die Dinge zum Äußersten gekommen waren, d. h. bevor das Parlament in der erwähnten Weise unter die Faust des Heeres gebeugt worden, hatte Cromwell einen ehrlichen Versuch gemacht, die Forderungen der Zeit und des Landes, sowie seine eigenen Ansprüche mit den monarchischen Traditionen, den Gefühlen und Sitten der Mehrzahl seiner Landsleute zu vermitteln. Während Karl Stuart zu Hamptoncourt gefangen gehalten wurde, waren Cromwell und sein Schwiegersohn Ireton in persönliche Beziehungen zu ihm getreten, was in den Reihen der Armee ein solches Mißtrauen erregte, daß über Cromwells »Verrat« geschrien wurde und unter überspannten Fanatikern sogar die Rede ging, man müßte sich des verräterischen Generals durch Mord entledigen. Oliver, von Verlegenheiten und Bedrohungen aller Art umringt, verfolgte seinen Plan, die Wiedereinsetzung des Königs zu bewerkstelligen und zugleich die Form seiner eigenen künftigen Machtstellung zu bestimmen. Er täuschte sich aber hierbei gröblich in dem entthronten Stuart, den er doch kennen mußte, und sollte bald bitter enttäuscht werden. Cromwell ging augenscheinlich von der Ansicht aus, das Parlament müßte seine demokratisch-hochgespannten Forderungen gegenüber dem Könige mäßigen, so daß dieser eine Vereinbarung mit dem Parlament treffen könnte, die ihm ohne Erniedrigung der Königswürde auf den Thron zurückzukehren gestattete. Er selbst aber, Cromwell, würde Bürge sein, daß von seiten Karls der Vertrag treulich und redlich gehalten werde, und um dieser Bürge sein zu können, müßte er bleiben, was er zur Stunde tatsächlich war, Befehlshaber über die sämtlichen Streitkräfte des Landes.

Es ist bekannt, daß Karl ein bereitwilliges Eingehen auf diesen Plan erheuchelt hat. Cromwell sollte Obergeneral sein und auch den Befehl über die königliche Leibgarde führen, ferner den Titel eines Earls, sowie den Hosenbandorden haben und sein Schwiegersohn Ireton die Statthalterschaft von Irland. Wäre er, meinte Oliver, des Königs sicher, so würde er imstande sein, ihn nötigenfalls auch dem Parlament zum Trotz auf den Thron zurückzuführen. Aber er war des Königs so wenig sicher, daß dieser im Gegenteil nur ein frivoles Spiel mit ihm trieb. Der General kam, wie glaubhaft erzählt wird, auf ziemlich romanhafte Art dahinter. Einer der Spione, die er zu Hamptoncourt hielt, ließ ihn wissen, daß aus dem Schlosse ein Geheimbrief Karls an seine Gemahlin in Frankreich abgehen werde, eingenäht in einen Sattel, den ein mit dem Geheimnis nicht vertrauter Diener in das Gasthaus »Zum blauen Eber« in Holborn bringen würde, von wo der Sattel nach Dover und weitergeschafft werden sollte. Cromwell und Ireton taten gemeine Dragonertracht an, ritten nach Holborn, faßten den ankommenden Boten mit dem Sattel ab, öffneten diesen und fanden richtig den Brief. Der König sagte darin, er sei jetzt der Mann der Lage und könnte seine Bedingungen machen, da er von allen Parteien gesucht werde. Daran war etwas Wahres. Schade nur, daß sich Karl in seiner ihm ganz und gar zur Natur gewordenen Falschheit der Illusion hingab, mit allen Parteien sein Spiel treiben und schließlich alle betrügen zu können. »Im übrigen«, fuhr der König fort, »sei über die Zugeständnisse, welche ich zu machen scheinen mag, ganz ohne Besorgnis! Ich werde, wenn die Zeit dazu gekommen sein wird, wohl wissen, wie man mit diesen Schuften umspringen muß: statt mit dem seidenen Hosenbande werde ich sie mit dem hänfenen Stricke schmücken

Der das geschrieben, hatte sein Todesurteil geschrieben. Cromwell wußte jetzt klar, wie er mit dem treulosen Stuart daran war, und handelte danach. Er gab den König förmlich auf mit den öffentlich gesprochenen Worten, er sei »ein Mann von nicht gemeinen Gaben, aber so falsch und verräterisch, daß ihm schlechterdings nicht getraut werden könne«. Ohne Zweifel war die Wahl des Generals jetzt endgültig getroffen: er wollte nicht allein dem Wesen, sondern auch dem Namen und Titel nach der Erste innerhalb Großbritanniens sein. Er wollte, da er nicht in Karls Namen herrschen konnte, in seinem eigenen herrschen. Darüber soll und darf man sich nicht täuschen: Oliver war keineswegs, wie ihn frömmelnde Pantscher und Mantscher, z. B. Monsieur Merle d'Aubigné, dargestellt haben, ein Betbruder, der geduldig wartete, bis ihn ein göttlicher Wundergriff aus den Wolken auf den Herrscherstuhl setzte. Im Gegenteil, er schritt selbsttätig und entschlossen auf diesen Stuhl zu. Dem Umfang und der Kühnheit seines Genies entsprach vollkommen der Umfang und die Kühnheit seines Ehrgeizes.

Allen Anzeichen nach war es jedoch nicht Cromwell, der, nach der im »Blauen Eber« in Holborn gemachten Entdeckung dem Wunsche der independentischen Agitatoren, den König vor Gericht zu stellen, beitrat und diesen Wunsch sogar noch mehr aneiferte, sondern es tat dies der heißblütigere Ireton, und zwar ganz auf eigene Faust, während Oliver in betreff der Frage, ob der König anzuklagen und zu richten wäre, noch eine Weile schwankte So versichert wenigstens Bischof Burnet ( Hist. of his own time, I, 63), welcher ja den Ereignissen nahe genug stand, die Wahrheit zu wissen, und ehrlich genug war, sie zu sagen.. Wahrscheinlich ging er inzwischen mit sich zu Rate, ob und wie Karl unschädlich zu machen wäre, ohne daß man zum äußersten schritte. Ein so scharf und tief denkender Mann, wie er war, konnte sich unmöglich der Einsicht verschließen, daß mit der Hinrichtung des Königs nicht zugleich auch das Königtum getötet würde, sondern daß vielmehr das letztere in der Person des Prinzen von Wales, der sofort Karl II. heißen würde, fortleben werde, sowie daß der schuldlose neue König ein gefährlicherer Gegner sein könnte und müßte als der schuldige alte. Alle diese und andere ähnliche Erwägungen mußten jedoch zuletzt der Tatsache weichen, daß in der Armee die widerkönigliche und antistuartische Strömung übermächtig war. Cromwell mußte erkennen, daß es eine Unmöglichkeit war, gegen das Heer anzugehen, ohne die eigene Sache und die der Revolution aufzugeben.

Das folgerichtige Ergebnis dieser Erkenntnis war der feste Entschluß, mit Karl Stuart ein Ende zu machen, und dieser Entschluß wurde sodann ins Werk gesetzt mit der eisernen Energie eines Mannes, der nicht gewohnt war, weichen Regungen Raum zu geben. Der Prozeß des entthronten Königs ward eingeleitet, der »Hohe Gerichtshof« unter dem Vorsitz von John Bradshaw konstituiert, die Anklage Karl Stuarts als eines Tyrannen, Verräters, Mörders und Feindes des öffentlichen Wesens formuliert. Es sollte ein großes Exempel aufgestellt, es sollte den Königen die furchtbare Lehre gegeben werden, daß das Verbrechen auch auf dem Thron erreichbar, daß die Fürsten keine Götter, sondern Menschen, daß das unverletzliche Gottesgnadentum purer Pfaffenschwindel und daß Despoten nicht etwa nur dem Herrgott, sondern auch ihren Völkern verantwortlich seien.

Das Exempel wurde aufgestellt, die Lehre wurde gegeben, in feierlicher Weise, angesichts der Welt. Freilich war der Todesspruch schon gefällt, bevor Karl vor die Schranken des Hohen Gerichtshofs trat; trotzdem muß die ganze Art und Weise, wie die Führer der englischen Revolution das Trauerspiel in Szene setzten, als ein sprechender Beweis für die unbezähmbare Kühnheit dieser Männer angesehen werden. Sie wagten das Unerhörte, das wie ein ungeheurer Donnerschlag durch die Welt dröhnte … Unter den neunundfünfzig Namen, die das Todesurteil des Königs und zugleich den Befehl zur Vollziehung desselben unterfertigten, steht als dritter der von Oliver Cromwell. Das Dokument selber ist von furchtbarem Lakonismus. Es könnte, in Erz gegraben und als Warnungstafel in Königspalästen aufgestellt, vielleicht doch einige Dienste tun. Am 30. Januar 1646 (n. St.) trat Karl Stuart durch ein Fenster des ehemaligen Bankettsaals von Whitehall aufs Schafott. Man müßte ein herzloser Mensch sein, wollte man nicht anerkennen, daß der entthronte Mann während der ganzen Dauer der Prozedur seinen Feinden herzhaft gegenübertrat. Er hatte nicht mit Würde zu leben gewußt, aber er wußte wenigstens mit Würde zu sterben. Einer Überlieferung zufolge betrachtete Cromwell den Leichnam des Hingerichteten im Sarge und bemerkte ruhig und einfach: »Das war ein kräftig gebauter Körper, der ein langes Leben versprach.« Das Haus der Gemeinen warf 500 Pfund zur feierlichen Bestattung Karls aus, welche in der Schloßkapelle von Windsor geschah. Am 6. Februar beschloß das Haus dann die Abschaffung der Lordskammer. Am Tage darauf kam es zu folgender Schlußnahme: »Es ist durch die Erfahrung erwiesen, und dieses Haus erklärt demnach, daß das Königtum ( kingship) in diesem Lande unnütz, lästig und für die Freiheit, Sicherheit und Wohlfahrt des Volkes gefährlich ist. Darum ist es von heute an abgetan.« England sollte ein freies Gemeinwesen (» commonwealth«) sein, das Unterhaus die höchste Gewalt haben und ein von ihm erwählter Staatsrat die Regierung führen. Die Statue Karls I. vor der Börse in der City ward umgestürzt, und auf das leere Piedestal schrieb man die Worte: » Exit tyrannus, regum ultimus« (Der Tyrann ist fort, der letzte der Könige). Der Könige letzter? Das hieß den Mund sehr voll nehmen.

6.

Ein Staatsrat, beherrscht von dem Parlamentsrumpf, der seinerseits nur das Sprachrohr der von Cromwell jetzt unumschränkter als je befehligten Armee war, regierte also die »Republik« England. Es war ein Regiment der Gewalt, und die Bevölkerung ließ es sich gefallen, wie denn die Völker überall und allzeit dies tun, solange die Gewalt mit Geist, Kraft und Glück gehandhabt wird. Populär war die »Commonwealth« keineswegs, und so ziemlich alle Klassen blickten mit derselben Mißachtung auf die in Westminster deklamierenden und gestikulierenden Politiker, die man die Girondisten des 17. Jahrhunderts nennen kann und deren Leiter höchst ehrenwerte, gebildete, durch und durch ehrliche, aber freilich mehr auf der Agora zu Athen und auf dem Forum von Rom als in der St. Stephanskapelle zu London oder in den Grafschaften von England heimische Männer waren. Man ließ sie reden und – fügte sich stillschweigend der wuchtigen Tatsache von Olivers Diktatur, nachdem der Mann neuestens royalistische sowie Levellersche Widerstandsregungen, die nach der Hinrichtung Karls versucht worden, niedergeblitzt hatte.

England gehorchte. Nun sollten aber auch Irland und Schottland, welche Karls I. ältesten Sohn als König Karl II. anerkannt und ausgerufen hatten, zum Gehorsam zurückgebracht werden, um die Commonwealth auch über diese beiden Königreiche auszudehnen, und selbstverständlich betraute der Staatsrat sein Mitglied Cromwell mit der Lösung dieser schwierigen Aufgabe. Er löste sie. Zunächst fiel er auf Irland, zermalmend »wie der Hammer des Thor« Nordischer Gewittergott.. Mit 12 000 seiner kriegerischen Heiligen, auserlesenen Veteranen, schiffte er nach der Insel hinüber, deren Smaragdgrün bald von breiten Blutstreifen durchzogen ward. Charakteristisch, daß vor der Abfahrt das Heer einen strengen Buß-, Bet- und Fasttag feierte, an welchem der General selber verschiedene Bibeltexte auslegte. Es steht zu vermuten, daß es solche gewesen, worin den Kindern Israel von ihrem Jahwe-Moloch befohlen wird, mit Eisen und Feuer Vernichtung über die Stämme von Moab, Edom und Amalek zu bringen. In diesem Stil ist dann auch der Krieg geführt worden, nachdem Oliver am 24. August 1649 von Dublin aus sein Kriegsmanifest erlassen hatte. Die irischen Katholiken und Royalisten waren in den Augen der Krieger Cromwells in der Tat Amalekiter und Moabiter, Empörer gegen Gott, Kinder fanatischer Finsternis, Heiden und Götzendiener, welche vertilgt werden mußten vom Angesicht der Erde. Die Erstürmung von Drogheda am 10. September könnte mit Ehren im bluttriefenden Buche Josua stehen. Es war eine echt alttestamentliche Schlacht- und Vernichtungsszene. In seinem Siegesbericht an den Sprecher des Parlaments sagte der General: »Ich bin überzeugt, es war ein gerechtes Gottesgericht ( a righteous judgement of God) über die Barbaren verhängt, weil sie ihre Hände in so viel unschuldiges Blut getaucht; und auch dessen bin ich überzeugt, daß es für die Zukunft mehr Blutvergießen verhindern wird. Das sind wohl ausreichende Gründe für ein derartiges Vorgehen, welches sonst nur Reue und Trauer erregen könnte ( which are the satisfactory grounds to such actions, which otherwise cannot but work and regret).«

Natürlich war Cromwell weit entfernt, den blindwütenden Berserkergrimm seiner Soldaten zu teilen. In diesem wunderbaren Menschen verband sich mit dem General stets der Organisator und Regent. Dasselbe Schwert, dessen zerschmetternde Schläge den irischen Aufstand rasch niederwarfen, wurde in Olivers Hand zur Pflugschar der Kultur. In Wahrheit, die unglückliche Insel hat nie einen furchtbareren Feind und nie einen werktätigeren Freund gehabt als Cromwell, dessen kraftvolle Maßregeln, die keltische Barbarei auszurotten und die irische Anarchie zu bändigen, Ackerbau, Gewerbe und Handel zu fördern, von erstaunlich günstigen Erfolgen begleitet waren. Denn das Land blühte unter der von Oliver eingesetzten Verwaltung so sichtbar auf, daß man ohne Übertreibung sagen kann, durch die Cromwellsche Eroberung sei Erin erst für die Zivilisation erobert worden.

Zu den denkwürdigsten Cromwellstaten gehört aber ein von ihm verfaßtes Schriftstück, eine »Deklaration«, die er im Januar 1650 von Younghal aus »zur Enttäuschung des betrogenen und verführten Volkes« an die römisch-katholischen Prälaten erließ, welche sich zu Clonmacnoise zusammengetan und eine neue große Verbindung aller Katholiken gegen den General zustande zu bringen versucht hatten. Die Herren Erzbischöfe und Bischöfe hatten in ihrem Manifest besonders eindringlich betont, daß Klerus und Laienvolk aufs engste gegen den Feind sich zusammenschließen sollten. An dieser widerchristlich-hierarchischen Unterscheidung zwischen Priestern und Laien faßte Oliver die Prälaten und hielt ihnen eine gutpuritanische Predigt, aus deren theologischem Gewölk helle Gedankensonnenstrahlen scharf und mächtig hervorschossen. »Ah, nachdem ihr eurer Gewohnheit gemäß zuerst an euch selbst gedacht und dann zweitens an ›Seine Majestät‹, wie ihr ihn nennt, geruht ihr auch das Volk in Betracht zu ziehen. Oh, über die armen ›Laien‹! Ihr und euer König möchtet sie reiten und schinden, wie eure Kirche und euer König es zu allen Zeiten getan. Doch ist es nicht schwer, zu prophezeien: das also gestachelte Roß wird hinten ausschlagen, denn dieser Zustand kann nicht ewig dauern. Die willkürliche Gewalt der Könige und Priester ist ein Ding, dessen die Menschen müde zu werden anfangen, und alle die Ränke und Schwänke, welche königliche und kirchliche Tyrannei zu gegenseitiger Aufrechterhaltung in Szene setzt, beginnen offenbar zu werden. Es gibt Männer, die dieses doppelte Joch bereits abgeworfen haben; andere sind gerade daran, es zu tun. Gar viele Gedanken darüber gären in den Gemütern der Menschen. Der Grundsatz, das Volk sei für Könige und Pfaffen da, fängt an, ausgepfiffen zu werden. Ich wundere mich daher gar nicht, daß eure heilige Fraternität so erbost ist; aber ich wünsche, das Volk möchte so weise sein, um euer Reden und Tun sich gar nicht zu kümmern.« Ach, jawohl, großer Oliver! Leider harrt dein wahrhaft frommer Wunsch noch immer der Erfüllung; denn die Dummheit der Völker ist, falls dies möglich, noch unergründlicher als die deutsche Geduld, der doch bekanntlich noch kein Sterblicher auf den Grund gekommen.

Nachdem der Lordgeneral den Iren also den Meister gezeigt hatte, zeigte er ihn auch den Schotten. Diese hatten den Vater verschachert, aber den Sohn des Verschacherten aus Holland geholt, um diesem zweiten Karl Gelegenheit zu geben, aus einem liederlichen Prinzen ein liederlichster König zu werden. Im armseligen Holyroodhouse zu Edinburg konnte er freilich vorerst nicht alle jene Eigenschaften, Talente und Gaben entfalten, die er in späterer Zeit unter günstigeren Umständen in Whitehall zu London entfaltete, Eigenschaften, Talente und Gaben, die ihn vollkommen befähigten, die Rolle eines Bordellwirts ersten Ranges mit Anstand und Beifall zu spielen. Im Gegenteil, er mußte heilig tun, mußte den »Covenant« beschwören, mußte mit dem Anschein christlicher Ergebung unendliche Predigten anhören, vormittags und nachmittags, Predigten, in denen von seinen eigenen Sünden sehr drastisch gehandelt wurde, und mußte sich überhaupt in allem und jedem unter die frommen Daumen der Essigblicker und Wermutsprecher von Covenantern ducken. Das hieß die bettelhafte Krone eines bettelhaften Landes fürwahr teuer erkaufen, so teuer, daß Cromwell Karl II. im Grunde einen Freundschaftsdienst erwies, als er ihm das beschwerliche Ding vom Kopfe schlug.

Oliver, zum Generalkapitän aller Streitkräfte der Republik ernannt ( Captain-General and Commander-in-Chief of all the Forces raised or to be raised by authority of Parliament within the Commonwealth), ging am 26. Juni 1650 von London nach dem Norden ab, wo er das beste Heer, das Schottland jemals ins Feld gestellt hatte, schlagen sollte. Zunächst machte er, insbesondere in einem Schreiben vom 14. August an den schottischen Obergeneral Lesley, den Versuch, mittels der Argumente einer verständigen Politik die Schotten von der Sache der »übelgesinnten ( malignants)« ab- und auf billigen Grundlagen den Frieden zwischen England und Schottland zustande zu bringen. Er wurde nicht gehört, und doch widerstrebte es ihm, gegen Glaubensgenossen die ganze Furie des Krieges zu entfesseln. Zudem war seine militärische Lage bei Eröffnung des Feldzuges sehr mißlich. Die Schotten waren den Engländern an Truppenzahl sehr überlegen, geradezu doppelt, und hatten bei Dunbar eine sehr vorteilhafte Stellung genommen. Sie standen auf einer Hügelkette verschanzt, an deren Fuß das aus den Bergen von Lammermoor kommende Flüßchen Broxburn hinfließt. Oliver fand es bedenklich, ja unmöglich, die feindliche Position zu erstürmen, und ebenso, die seinige länger zu behaupten. Am 2. September schrieb er an den Gouverneur von Newcastle, daß er sich fast nur durch ein Wunder aus der Klemme ziehen könne (» we cannot get without almost a miracle«). Am Tage darauf war alles verändert. Die Schotten begingen die Torheit, statt den Gegner noch länger in der Klemme zu halten, in der Nacht auf den 3. September von ihren Höhen herabzusteigen, um einen Angriff auf das englische Lager zu tun. Nichts konnte Cromwell willkommener sein. Mit gewohnter Raschheit und Bestimmtheit traf er seine Anordnungen, mit gewohnter Kraft führte er sie aus und durch, er selbst der erste beim Angriff. Im Morgengrauen wütete der Kampf. Er war mörderisch, aber kurz und noch vor Sonnenaufgang entschieden, vollständig zuungunsten der Schotten. Als sich das geschlagene Heer derselben in die wilde Flucht warf, hörte ein Ohrenzeuge den Sieger ausrufen: »Sie fliehen! Ich sage, sie fliehen ( they run! I profess they run)!« In diesem Augenblick erhob sich das Tagesgestirn aus dem deutschen Meere, seine roten Strahlen von St. Abbs Head herüber auf die rote Walstatt werfend, und frohlockend brach Oliver in die Worte des Psalmisten aus: »Aufstehe Gott, auf daß zerstreut werden seine Feinde!«

Die Unterwerfung Schottlands konnte jedoch, dem Siege bei Dunbar zum Trotz, nicht so rasch bewerkstelligt werden, wie die von Irland bewerkstelligt worden war. Die Schotten erwiesen die ganze Zähigkeit ihrer hagebüchenen Natur, und insbesondere machten die schottischen Pfaffen – anmaßlichere und herrschsüchtigere hat es nie gegeben, als diese echten Schüler des widerlichen Fanatikers Calvin gewesen sind – dem Lordgeneral viel zu schaffen. Er hatte in Edinburg Winterquartiere bezogen, konnte aber im Frühjahr 1651 den Feldzug nicht so zeitig eröffnen, als er wünschte, weil eine harte Krankheit ihn aufs Lager warf. Erst der Herbst brachte die Entscheidung. Unfähig, gegen Oliver in Schottland das Feld zu halten, hatten die Stuartisten den verzweifelten Entschluß gefaßt, in England einzufallen und in Eilmärschen gen London vorzudringen. Sie rechneten dabei auf den englischen Royalismus und hofften, alle Königlichgesinnten würden sich um die auf den Boden Englands getragene Fahne Karls II. sammeln. Anfangs schien das Abenteuer Erfolg haben zu wollen, obschon es einem Hauptantreiber, dem Herzog von Hamilton, von vornherein den Geständnisseufzer entpreßte: »Unser stärkstes Argument heißt Verzweiflung.« Die Hoffnung auf einen massenhaften Aufstand der englischen Royalisten zugunsten der stuartistischen Invasion schlug freilich fehl. Dennoch drang Karl bis Worcester vor, und die Bewohnerschaft von London geriet darob in einen haltlosen Schrecken. Aber hierfür war kein Grund vorhanden; denn schon hatte sich Cromwell mit seinem Heere zur Verfolgung des Feindes aufgemacht, und gerade am Jahrestage der Dunbarer Schlacht, am 3. September, fiel er bei und in Worcester auf die königliche Armee, wiederum »wie Thors Hammer«. Karl Stuart selbst entging für seine Person nur mit äußerster Not und Gefahr dem zerschmetternden Hammerschlag, seine Streitmacht aber wurde zu Staub zerschlagen. Am folgenden Tage berichtete Oliver an den Sprecher des Parlaments über das große Ereignis. Er bezeichnete mit Recht den Sieg als einen vollständigen (» an absolute victory«) und nannte ihn eine krönende Gnade (» a crowning mercy«).

Freitags, am 12. September 1651, zog der Sieger von Worcester triumphierend in London ein, empfangen von dem Parlament und dessen Sprecher, vom Staatsrat und dessen Lordpräsidenten, von den Behörden der Stadt und der Grafschaft Middlesex, und es mochte sich bei diesem Triumpheinzug des Gewaltigen, der soeben der Commonwealth England zwei Königreiche unterworfen hatte, manchem der Gedanke aufdrängen, den der independentische Prediger Hugh Peters vor sich hin geflüstert haben will: » Der Mann wird König von England sein!«

7.

Er brauchte das nicht erst zu werden: er war es bereits tatsächlich, und wenn »König« im Hochsinn des Wortes einen echten und rechten Volksregierer und Staatslenker bedeutet, so hat es einen wahrhaftigeren König niemals gegeben, als Cromwell einer gewesen ist, innerhalb wie außerhalb Großbritanniens nicht.

Aber wäre Oliver der Große nicht ein Größerer gewesen, so er, nachdem er glorreich die Machtstellung der englischen Republik nach innen und außen gesichert hatte, seinen Kommandostab schlicht-bürgerlich auf den Tisch des Parlaments niedergelegt und sich auf seine Farm in Ely zurückgezogen, also getan hätte, wie 132 Jahre später der erlauchteste Mann des modernen Weltalters, George Washington, drüben in Amerika tat? Ach ja, 132 Jahre später und drüben in Amerika! Diese beiden Tatsachen geben die Antwort auf die getane Frage. Ruhm und Preis für allezeit dem großen Bürger, der im Jahre 1783 einer Königskrone, einer Kaiserkrone das Bewußtsein vorzog, seinem Lande die Freiheit gegeben zu haben! Allein sehende Augen müssen erkennen, daß Cromwell im Jahre 1651 und hüben in England nicht also handeln, ja nicht einmal den Gedanken »schlichtbürgerlicher« Machtentsagung haben konnte. Schon deshalb nicht, weil der Begriff einer Bürgerlichkeit, wie ihn erst die Philosophie des 19. Jahrhunderts geschaffen hat, im 17. noch gar nicht existierte. Und dann, konnte es einem Manne vom Bau Olivers einfallen, das große Werk, das er mit so harter Arbeit aufgerichtet hatte, Unberufenen, Übelgesinnten und Toren, Faselern und Fanatikern des Tausendjährigen Reiches, komplottierenden Stuartisten und Prälatisten, steifnackigen Doktrinären, welche in Westminster die Wände der Stephanskapelle müde schwatzten, zur raschen Wiederzerstörung zu überliefern und zu überlassen? Das konnte ihm nicht einfallen und fiel ihm auch nicht ein.

Wohl, aber warum hat er sich dann nicht offen und ohne weiteres zum Könige gemacht? Weil das Heer, auf das er sich dem Rumpfparlament gegenüber stützen mußte, der Wiederaufrichtung des Königtums ganz entschieden abhold war. Diese bewaffneten Heiligen hingen an dem Worte Commonwealth: sie waren bereit, ihren geliebten General, das auserwählte Rüstzeug des Herrgotts Zebaoth, zum Diktator der Republik zu machen, aber sie hätten ohne Zweifel die Schneide ihrer frommen Schwerter sofort gegen den King Oliver gekehrt. Bevor an einen Wiederbau des Thrones zu denken war, mußte das Cromwellsche Heer erst in sich zersetzt, von seinen Führern verraten und seines großen Hauptes durch den Tod beraubt sein. Für jetzt nahm es die Ausschlag gebende Stellung im Staate ein.

Der feindselige Gegensatz zwischen der Armee und dem Parlament wurde bald ein klaffender. Das letztere wollte begreiflicherweise das Land möglichst rasch der Militärgewalt entziehen und die parlamentarische Gewalt, also zunächst die eigene, zur Allmacht erheben. Die in Westminster leitenden Leute übersahen nur, daß ein Cromwell an der Spitze eines siegreichen Heeres sich nicht durch eine Handvoll doktrinärer Schwätzer, welche überdies in den Augen der ungeheuren Mehrzahl der Bevölkerung des Landes gar kein Mandat mehr besaßen, werde maßregeln lassen. Es kam denn auch, was bei Lage der Sache kommen mußte. Die Lage war gegen den Frühling von 1653 zu so gespannt worden, daß nur noch vom Biegen oder Brechen die Rede sein konnte. Es brach. Denn während die Phantasten der Stephanskirche als echte Parlamentarier vom Debattieren und Resolutionieren alles erwarteten und abhängig wähnten, hatte Cromwell seinen Entschluß gefaßt und traf die zur Ausführung desselben nötigen Maßnahmen, nachdem er sich überzeugt hatte, daß nicht nur die Armee, sondern die gesamte öffentliche Stimmung verlangte, es möge und solle der Existenz des » Fag-end« oder » Rump« von Parlament ein Ende gemacht werden. Natürlich fehlte es nicht an feinen, gröberen und gröbsten Winken für die Herren in Westminster, daß es die höchste Zeit für sie wäre, sich wegzuheben. Aber ebenso natürlich war des Schwatzes süße Gewohnheit stärker als alle anderen Rücksichten und Beweggründe.

Am 20. April 1653 verließ Cromwell zu der Stunde, wo der Rumpf in der Stephanskapelle eine Bill beriet, welche die Verlängerung seiner – des Rumpfes – Autorität und Gewalt sichern sollte, Whitehall und ging, von einem Halbdutzend seiner Offiziere begleitet, nach Westminster. Unterwegs nahm er eine Kompagnie Musketiere mit, welche zu dem Zwecke bereitstand, Pforte und Vorhalle des Parlamentshauses zu besetzen. Dies getan, trat Cromwell in den Sitzungssaal und setzte sich auf seinen gewohnten Platz neben dem Generalmajor Harrison. Sir Henry Vane hatte das Wort und wies die Dringlichkeit der Verlängerungsbill nach. Oliver hielt an sich, bis die Abstimmung beantragt wurde. Da neigte er sich zum Ohre Harrisons, flüsterte ihm zu: »Jetzt ist es Zeit; ich muß es tun ( I must do it)!« stand auf, nahm den Hut ab und begann zu sprechen. Seine Rede war wie ein von Wolkenbrüchen geschwellter Waldstrom, erst fernher dumpf rauschend und dröhnend, dann näher herandrohend und endlich in donnernden Zornkatarakten sich ergießend. »Das sei keine parlamentarische Sprache, meint ihr? Wohl, ich weiß es, aber erwartet keine andere von mir.« Und mitten in den Saal tretend, stülpte er den Hut auf den Kopf, stampfte mit dem Fuß auf den Boden und runzelte die armen Doktrinäre und Schwatzleute an: »Ihr habt kein Herz für das Gemeinwohl und nur Sinn dafür, euch in beständigem Besitz der Macht zu erhalten. Eure Zeit ist um, der Herr ist fertig mit euch. Ich will eurem Gewäsch ein Ende machen ( I will put an end to your prating). Ruft sie herein, Harrison!« Die Tür tat sich auf, und Oberst Worsley kam mit 20 oder 30 Musketieren herein. »Ihr nennt euch ein Parlament!« rauschte der Zornstrom weiter. »Ich sag' euch, ihr seid kein Parlament. Säufer und Hurer sitzen unter euch. Ihr habt schon allzulange hier gesessen. Geht, macht ehrlicheren Leuten Platz! Fort mit euch! In Gottes Namen, packt euch!« Sir Henry Vane wagte einen Protest. »Oh, Sir Henry Vane«, rief Cromwell aus, »du mit deinen subtilen Kasuistenstücklein und abstrusen Haarspaltereien ( thou with thy subtle casuistries and abstruse hairsplittings)! Der Herr erlöse mich von Sir Henry Vane! … Holt den Sprecher von seinem Sitz herunter und werft ihn hinaus!« Harrison faßte den Sprecher am Talar und führte ihn hinaus, worauf die Mitglieder den Saal verließen. Der Lordgeneral trat an die Tafel, ergriff die darauf liegende Zepterkeule (» mace«) des Sprechers – so eine Art von parlamentarischer Monstranz – gab sie einem Musketier und sagte: »Was soll uns der Firlefanz ( bauble)? Fort damit!« Hierauf ließ er den geleerten Saal schließen und kehrte nach Whitehall zurück. Kein Finger hatte sich für die weggesäuberten Schwätzer gerührt. »Ihr Verschwinden machte keinen Hund bellen ( we did not hear a dog bark at theirgoing).«

Etliche Stunden später löste Oliver auch den vom weggewischten Parlament gewählten Staatsrat auf, ohne die geringste Schwierigkeit. Der idealste aller idealen Republikaner von damals, James Harrington, und der genialste und edelste Bekenner des republikanischen Kredo, John Milton, beide haben sie den Cromwellschen Hammerschlag vom 20. April als eine patriotische Tat anerkannt, durch welche England von der Herrschaft einer ebenso anmaßlichen wie unfähigen Oligarchie befreit wurde. Aber der Gewaltakt vom 20. April ließ doch einen schmerzenden Stachel in Cromwells Seele zurück. Einen schmerzenden und nie ganz zu beseitigenden Stachel: alle seine späteren Versuche, mit seiner Herrschaft die parlamentarischen Traditionen seines Landes zu versöhnen und Parlamente um sich zu versammeln, sind mißlungen und zum Teil ganz lächerlich ausgefallen. Man braucht, um hieran zu erinnern, nur das »Bareboneparlament« zu nennen.

Oliver hatte nach der Aprilkatastrophe von 1653 einen neuen Staatsrat von 13 Mitgliedern gebildet und unter dem Titel eines Lordpräsidenten desselben die Regierung von Großbritannien und Irland übernommen. Im Winter des nämlichen Jahres trat an Stelle dieses Provisoriums die Errichtung des Protektorats. Am 16. Dezember wurde Cromwell in der großen Festhalle von Westminster als Lordprotektor der Republik von England, Schottland und Irland feierlich proklamiert und auf den Staatssessel gesetzt. Es hat sich damals, wie auch später noch, darum gehandelt, ob nicht der General den Königstitel annehmen sollte, und ein Mann, dem selbst nörgelnde Pedanten einige Kompetenz und Autorität in Sachen der Staats- und Rechtsgeschichte von England einräumen werden, Macaulay, hat sicherlich mit Recht behauptet, daß die ungeheure Mehrzahl der Bevölkerung die Wiedererstehung der Monarchie in der Person Cromwells mit entschiedener Zustimmung begrüßt und die überwiegende Mehrheit der Nobility und Gentry sich beeilt hätte, dienstwillig die Hand König Olivers zu küssen. Noch mehr, Zeitgenosse Clarendon berichtet mit dürren Worten, daß guter Grund zu der Annahme vorhanden sei, ein großer Teil der königlichen Partei wäre Cromwell zugefallen, wenn dieser sich die Krone aufgesetzt hätte. Der Protektor, der selbstverständlich zu dieser Zeit nicht mehr der naive Enthusiast von 1628 war, sondern der unter großen Geschäften, schweren Sorgen, harten Anstrengungen, glänzenden Erfolgen und bitteren Erfahrungen zu seiner vollen Höhe herangereifte Staatsmann, erkannte gar wohl die Vorteile, die ihm der Königstitel verbürgen würde, allein es verwehrten ihm, wie weiter oben dargetan worden, schwerwiegende Gründe den ihm sonst so nahegelegten und scheinbar ganz leichten Griff nach der Krone.

Mit diesen zwingenden äußeren Motiven verbanden sich aber ohne Zweifel nicht minder zwingende innere. Es hieße diesem großen und guten Manne schreiendes Unrecht antun, wollte man glauben, seine wiederholte Weigerung, den Königstitel anzunehmen, wäre nur Heuchelei und Posse gewesen. Die Wahrhaftigkeit – dieses Hauptcharaktermerkmal der wahrhaft großen und guten Männer – ja, die Wahrhaftigkeit seiner Seele verbot es ihm. Er fühlte, daß die Annahme der Krone eine Verleugnung seiner eigenen Vergangenheit, daß ein gekrönter Cromwell ein greller Widerspruch in sich selber wäre. Der eine Krone mitsamt dem Kopfe, auf dem sie gesessen, abgeschlagen hatte, konnte nicht eine Krone aufsetzen wollen.

Eine schlichte Größe, eine schwermütige Treuherzigkeit, welche in dem Munde eines so eisernen Mannes wahrhaft rührend und erschütternd wirkt, spricht aus den Verhandlungen, welche der Protektor im April und Mai 1657 mit seinem sogenannten »zweiten« Parlament pflog, das eine neue Verfassung für Großbritannien entworfen hatte, kraft welcher die Monarchie hergestellt werden sollte und Cromwell in aller Form angegangen wurde, Amt und Titel eines Königs anzunehmen. Er zollte mit warmen Worten den Bestimmungen dieses Verfassungsentwurfs zur Sicherstellung der religiösen und bürgerlichen Freiheit seine Anerkennung; er gab auch offen zu, daß, obwohl für ihn persönlich das Aufsetzen oder Nichtaufsetzen der Krone nur die Bedeutung habe, ob »er auf seinen Hut eine Feder stecke oder keine«, vom Gesichtspunkt der praktischen Politik aus die Annahme des königlichen Titels sich empfehle: aber er könne sich nun einmal nicht damit befreunden, es gehe ihm gegen den Mann. Als am 13. April die große Parlamentskommission vor dem Protektor in Whitehall erschien und in feierlicher Audienz das wiederholte Anerbieten der Krone vorbrachte, begründete Cromwell in ausführlicher Rede seine Ablehnung. Besonders charakteristisch war in dieser Rede die Stelle: »Ich habe den Platz, auf welchem ich stehe, eingenommen nicht so sehr in der Hoffnung, Gutes zu tun, als vielmehr mit dem Wunsche, Schäden abzuwenden, von welchen ich die Nation bedroht sah. Ich sah, daß wir kopfüber in Verwirrung und Anarchie hineinrannten, und da entsprach ich, um weiteres Blutvergießen zu vermeiden, dem Wunsche, mich dahin zu stellen, wo ich jetzt stehe. Auf Titel und Namen kommt es dabei gar nicht an. Es handelt sich darum, den Frieden und die Freiheiten der Nation zu gründen und sicherzustellen, und da bin ich bereit, euch zu dienen, wie ich kann – nicht als ein König, aber als ein Konstabler, so 's euch gefällt. Denn, fürwahr, oft hab' ich vor Gott gedacht, daß ich mein Geschäft und meinen Platz nicht besser bezeichnen könnte, als wenn ich mich mit einem guten Konstabler vergliche, der dazu da ist, den Frieden in einer Gemeinde aufrechtzuerhalten. Und wahrlich, das gereichte und gereicht mir in allen Trudeln und Trübsalen, die ich durchzumachen hatte und habe, zur Beruhigung und Genugtuung, daß ihr jetzt Frieden habt.«

Mittels einer Zuschrift an den Sprecher des Parlaments vom 8. Mai 1657 lehnte Oliver endgültig den Königstitel ab und fuhr fort, Großbritannien als Lordprotektor zu regieren, royalistischen, doktrinär-republikanischen, papistischen, anglikanischen und Levellerschen Anfeindungen, Nörgeleien, Fanatismen, Verschwörungen und Mordkomplotten zum Trotz. Es war eine Gewaltherrschaft, keine Frage: mit dem Schwerte gewonnen und mit dem Schwerte behauptet, nur von den Riesenschultern Olivers getragen und voraussichtlich mit dem Leben des Riesen zusammenbrechend. Aber es war eine Regierung der Wohlfahrt und des Ruhmes, ja, und auch eine Regierung der Milde und Duldung, soweit die Leidenschaften der Feinde des Protektors diesem nur immer gestatteten, Milde und Duldung zu üben. Selbst der heftige Royalist und eingefleischte Stuartist Hume sieht sich, um doch den Tatsachen der Geschichte nicht allzu hart ins Gesicht zu schlagen, genötigt, des Protektors bürgerlicher Verwaltung, seiner Achtung vor dem Gesetze, seiner Gerechtigkeitsliebe, seiner Fürsorge für eine fleckenlose Rechtspflege Lob zu spenden Hume, Geschichte Englands, II, 2.. In Wahrheit, England ist nie besser regiert worden, als es von Cromwell regiert wurde, und das innere Gedeihen der Nation unter dieser Regierung war so augenscheinlich, daß nur ganz verbohrte Kavaliere und ganz verrückte Millenniarier es leugnen konnten.

Die glänzenden Erfolge des Protektors nach außen, den herrlichen Aufschwung, den er der Macht Englands gab, mochten selbst Kavaliere und Millenniarier nicht leugnen. Auch Stuartist Hume fühlte beim Rückblick auf das, was Cromwell für seines Landes Geltung und Ehre getan, sein Herz etwas höher schlagen. Er sagt: »Die große Seele dieses glücklichen Usurpators war auf die Ausbreitung der Ehre des englischen Namens gerichtet, und er pflegte sich zu rühmen, daß er den Namen eines Engländers ebenso gefürchtet und geehrt machen wollte, als jemals der Name eines Römers gewesen sei.« In Wahrheit, er durfte sich also rühmen, weil er vollbrachte, was er sich vorgesetzt hatte. Er besiegte alle Feinde seines Landes und schrieb ihnen Gesetze vor. Er ließ die englische Flagge triumphierend auf allen Meeren wehen, er war der geniale Impulsgeber und energische Wegzeiger seiner Nation auf ihrem Vorschritt zur Weltmachtstellung. Nach zwei Richtungen hin gebührt aber, wenn ich recht erwäge, dem Wesen und Walten des Protektors der höchste Preis. Erstlich hat die herzliche Förderung, welche er den jungen puritanischen Kolonien in Amerika angedeihen ließ, eine Zukunftssaat von unberechenbarer Ertragsfähigkeit mitstreuen geholfen. Zweitens war es Cromwells Politik, welche der reißenden römischen Reaktion im 17. Jahrhundert Halt gebot. Ja, nicht etwa der selbstsüchtige Eroberer Gustav Adolf von Schweden, sondern vielmehr der Protektor der Commonwealth von England ist der Fels gewesen, an welchem die Springflut jener verderbenschwangeren Reaktion sich gebrochen hat. Oliver Cromwell war der echte und rechte Held des Protestantismus – ich meine das, wie Denkende leicht erraten, nicht im konfessionellen Sinne – er war der glorreiche Schwerthalter germanischer Freiheit gegenüber romanischer Verdummung und Tyrannei …

Der große Glückstag seines Lebens, der 3. September, an welchem er seine besten Schicksalshammerschläge getan hatte, sollte auch des Mannes Todestag werden. Am 3. September 1658 starb der Gewaltige, und die Nachfolge seines Sohnes Richard im Protektorat ging scheinbar ganz ruhig und glatt vonstatten. In Wahrheit und Wirklichkeit aber begann schon am Tage nach Olivers Hingang der Todeskampf der Commonwealth. Sie ging zugrunde, und es folgte die schmachvolle Orgie der stuartischen Restauration, die mit einem namenlosen, jedoch vollkommen ihrer würdigen Akt der Barbarei und Gemeinheit eingeweiht wurde. Man riß den halbverwesten Leichnam Cromwells, man riß die Gebeine seiner hochehrwürdigen Mutter und seiner geliebten Tochter Bridget aus ihren Gräbern, schleifte sie nach dem Richtplatz zu Tyburn und hängte sie dort an den Galgen – im Namen der Gerechtigkeit und des Königs.

Also lohnte England dem größten seiner Männer. Aber die Weltgeschichte hat den Namen Oliver Cromwell mit ewigleuchtenden Zügen in ihr Pantheon geschrieben, und die Namen Karls II. und seiner Mitkujone für ewig an ihren Galgen genagelt.


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