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Zwei Königinnen

Die frouwen waren in groz ungemüete kommen.

Nibelungenlied, 16.

Les places que la postérité donne sont sujettes, comme les autres, aux caprices de la fortune (Die Plätze, die die Nachwelt anweist, sind, wie die andern, den Launen des Schicksals unterworfen).

Montesquieu, Größe und Verfall der Römer, Kap. 1.

1.

Wer mit Engländern verkehrt hat, weiß, daß über zwei Dinge, das heißt über eine Sache und über eine Person, sich nicht mit ihnen reden läßt, – nämlich nicht so reden läßt, wie es Leuten von Wissen und Unbefangenheit zukommt und ziemt. Die Sache ist die Bibel, die Person ist die Königin Elisabeth. Sobald diese zwei Gegenstände berührt werden, benimmt sich der richtige Englishman ungefähr so wie ein kollriges Pferd, vor dessen Nase man plötzlich eine Rakete abbrennt. Er setzt sich, sozusagen, auf die Hinterbeine, fängt zu prusten und zu bocken an, die bekannten britischen Starr- und Stieraugen werden grünglasig und mit Vernunft und Kritik, Wahrheitsgefühl und Gerechtigkeitssinn, item mit menschenwürdiger Diskussion ist's vorbei. Die Bibel ist das absolute » HoIy Book« (Heilige Buch), die Königin Elisabeth die absolut »jungfräuliche Queen Beß«, – jene wie diese ein unter die unantastbare Glasglocke des ehrfurchtsvollsten Rührmichnichtan gestelltes Idol, das einer Untersuchung, geschweige einer Anzweiflung, gar nicht unterzogen werden darf. Der richtige Engländer verbrennt noch immer alljährlich am Guy-Fawkestag den römischen Papst im Bilde, aber vor dem papierenen Bibelpapst liegt er anbetend auf den Knien. Sein Bibelsammelsurium ist ihm, gerade wie dem richtigen Muslem sein Koransammelsurium, das Buch schlechthin, und gerade so ist ihm die Königin seine »jungfräuliche Queen Beß« ohnegleichen, mit deren Jungfräulichkeit es doch schon in ihren Backfischjahren nur so la la bestellt war, wie Lord Seymour des näheren anzugeben vermocht hätte, so er gewollt.

Wenn kenntnis- und urteilslose Menschen, in deren Augen der große Cromwell nur ein »Rebell und Usurpator«, der von Genius' Gnaden erlauchte Byron noch immer nur das Haupt einer »satanischen Schule« und der edelherzige, liebevolle Shelley nichts als ein »ungläubiges Ungeheuer« ist, – wenn solche richtig-englische Durchschnittsleute mit der Königin Beß Idolatrie treiben, so ist darüber weiter nichts zu sagen. Es ist das eben ein nationaler Aberglaube, wie der Bibelfetischismus ein religiöser. Wenn aber Menschen, welche auf höhere Geisteskultur, sogar auf Wissenschaftlichkeit Anspruch erheben, die maßlose Überschätzung Elisabeths, den Queen-Beß-Götzendienst mitmachen, wie neuerdings wieder der Historiker Froude und der Essayist Dixon getan haben, so darf man billig sich verwundern und den Ursachen dieser englischen Krankheit nachfragen.

Ein allgemein menschlicher Grund dieser Überschätzung ist, daß Elisabeth Erfolg hatte, glänzenden Erfolg. Weil sie glücklich war, mußte sie ihren Zeitgenossen und muß sie der Nachwelt als groß erscheinen. Hätte sie Unglück gehabt, so würde man natürlich von der rothaarigen, geierschnabelnasigen Tochter Heinrichs VIII. ganz anders reden. Das Schicksal hatte sie auf einen Platz gestellt, wo sie, die ihr Leben lang innerlichst Katholikin geblieben und dem romanisch-despotischen System der Politik leidenschaftlich zugetan gewesen ist, für die Vorkämpferin des Protestantismus und Germanismus gelten konnte, gelten mußte. Es ist eine jener nicht seltenen tollen Ironien der Weltgeschichte, daß diese unerbittliche, hartherzige Tyrannin, die ihre Parlamente behandelte, wie sie es verdienten, das heißt wie die Insassen einer Bedientenstube, wie die Senate des Tiberius oder des ersten und dritten Napoleon, – diese grausame Kokette, welche eine wirkliche oder auch nur geargwohnte Verfehlung gegen ihre bis zur Narrheit gehende Eitelkeit nie verzieh, – diese männersüchtige Nichtjungfer, welche mit Seymour, Leicester, Hatton und Simier gebuhlt und noch in ihren alten Tagen mit Essex lüstern getändelt hat, – dieses herrschsüchtige Weib, das jeden Versuch, ihrer absoluten Machtvollkommenheit zu widerstreben, furienhaft ahndete, – diese blutige Verfolgerin der Nichtkonformisten, welche sich dem Papalismus der anglikanischen Päpstin Elisabeth nicht unterwerfen wollten, trotz alledem von der Mit- und Nachwelt als die weiseste der Königinnen, als ein Muster von Sitte und Takt, als eine, wie Shakespeare sie lobhudelte, ganz makellose Lilie (» a most unspotted lily«), als die Trägerin und Heldin des germanisch-protestantisch-parlamentarischen Prinzips der Bewegung gegenüber dem romanisch-katholisch-absolutistischen der Stabilität gepriesen werden konnte und kann, und zwar mit einem starken Anschein von Recht. Denn » le succès justifie tout« (der Erfolg rechtfertigt alles), und zu dem unberechenbar wichtigen Erfolge, welchen in dem großen, in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts entbrannten Kampfe das Prinzip der Bewegung über das der Stabilität davontrug, mußte Elisabeth, als Tochter der Anna Boleyn, mitwirken. Daß sie es infolge ihrer großen staatsmännischen Begabung auch konnte, das macht in den Augen unbefangener Urteiler ihren Anspruch auf Nachruhm aus. Sie war keine Initiatorin, keine Wegbahnerin; aber sie hatte etwas, viel sogar von dem Zeuge in sich, aus welchem die Weltgeschichte brauchbare Werkzeuge schneidet, um in verhängnisvollen Epochen den trägen Erdenkloß Mensch damit zu bearbeiten, einzujochen, an den Entwicklungspflug zu spannen und vorwärts zu treiben. So ein Treiberberuf hat eine erkleckliche Dosis von skrupelloser Despotie zur unumgänglichen Voraussetzung, weil besagter Erdenkloß bekanntlich nicht belehrt und überzeugt, sondern gezwungen und vergewaltigt sein will. Elisabeth war eine ebenso skrupellose wie glückliche Despotin. Des Nimbus ihrer geschichtlichen Stellung und ihres Glückes entkleidet und schlechtweg als Mensch angesehen, ist sie weder achtbar noch liebenswürdig gewesen.

Eine zweite Ursache, ja die Hauptursache der Abgötterei, welche vom richtigen Engländertum mit der Queen Beß getrieben wurde und wird, dürfte sein, daß Elisabeth so recht das Urbild der englischen Heuchelei und Scheinheiligkeit darstellt. Eine schlauere, kühnere, konsequentere Heuchlerin als sie hat niemals in einem Unterrock gesteckt. Sie war das Fleisch und Blut gewordene » Qui nescit dissimulare nescit regnare« (Wer nicht zu heucheln weiß, weiß nicht zu herrschen). Die Verstellung war der Sauerstoff ihrer Seele, und sie lebte in der Intrige wie der Fisch im Wasser. Sie verdiente zwei so vollendete Heuchler wie Cecil und Walsingham zu Ministern zu haben, denn sie wußte auch diese zu überheucheln. Wie die Nationaleitelkeit der Franzosen in einem vierzehnten Ludwig und in einem ersten Napoleon sich selber anbetet, so vergöttert die Nationalscheinheiligkeit der Engländer sich selber in der Person der Königin Elisabeth.

Ein dritter Grund der überstiegenen Schätzung derselben ist zweifelsohne dieser, daß ihre Geschicke so eng mit denen ihrer Base, der Königin Maria Stuart von Schottland, sich verflochten haben. Die Leidenschaftlichkeit, die Verschuldung und das Unglück der schottischen Königin bilden ja den dunkeln Hintergrund, von welchem sich die Scheinheiligkeit, die Schlauheit und das Glück Elisabeths um so glänzender abheben. Diese trug in jeder Beziehung den Sieg über ihre Nebenbuhlerin davon, der sie schließlich den Kopf abschlagen ließ, und folglich läßt sich anständigerweise an ihrem Rechte nicht zweifeln. Macht ist ja Recht.

2.

Seit dem Kampfe, den die beiden Frankenköniginnen Brunhild und Fredegund miteinander führten, hat es einen an dramatischem Interesse so reichen Weiberzank wie den zwischen Elisabeth und Maria entbrannten nicht wieder gegeben. An weltgeschichtlicher Bedeutung aber überragte dieser königliche Frauenkrieg des 16. Jahrhunderts jenen im sechsten gezeterten weit.

Denn auch Maria Stuart vertrat ein Prinzip, auch sie war so gut wie Elisabeth eine historische Charakterfigur. Es wäre ebenso oberflächlich wie ungerecht, in der schottischen Königin nur ein liebebedürftiges und liebedurstiges, sinnlichen Eindrücken hingegebenes Weib erblicken zu wollen. Gewiß, es hat sich mitunter in ihr die Sinnlichkeit stark geregt, aber nur die Verleumdung hat sie zu einem wollüstigen Weibe stempeln können. Sie war ganz entschieden viel weniger kokett als Elisabeth. Wenn diese durch die Verhältnisse zur Fahnenträgerin des Protestantismus und der modernen Staatsidee gemacht wurde, so drückten aus der Weltlage und aus persönlichen Beziehungen gleichmäßig entsprungene Motive der Maria das Banner des Katholizismus und der mittelalterlichen Romantik in die Hand. Als Nichte der Guisen, als Witwe des ältesten Sohns der Katharina Medici, als legitim berechtigte Erbin des von einer »ketzerischen« Nebenbuhlerin eingenommenen Thrones von England, mußte sie eine vorragende Stellung in der großen Kombination innehaben, welche im letzten Drittel des 16. Jahrhunderts von seiten der katholischen Reaktion zur Wiederherstellung des alten Glaubens im weitesten Umfange entworfen wurde und die päpstliche Tiara, den Jesuitenorden, die ganze Macht Philipps II. von Spanien und die der französischen Liguisten den Forderungen und Absichten eines und desselben Fanatismus dienstbar machte.

Trotzdem war Maria Stuart weit entfernt, eine religiöse Fanatikerin zu sein. Sie hielt an dem ihr angeborenen oder vielmehr anerzogenen alten Glauben fest und mochte sich um so weniger von den gewohnten Anschauungen und Bräuchen trennen, als ihr der Hinblick auf den Ursprung des englisch-anglikanischen Protestantismus nur Ekel und Verachtung erregen konnte. Denn fürwahr, einen verächtlicheren, schmutzigeren Ursprung hat wohl selten oder niemals ein menschlich Ding gehabt. Aus der Buhlschaft des Despotismus mit der Unzucht ist die zweischlächtige Bastardin von englischer Reformation entsprossen, wenigstens in ihrer Gestalt als anglikanische High Church (Hochkirche). Der blutgierige Tyrann, wüste Weibersüchtling und grausame Weibermörder Heinrich VIII. hat diesen seiner würdigen Wechselbalg gezeugt. Aber wie sehr dieser die Königin von Schottland anwiderte: eine fanatische Katholikin war sie so wenig, wie Elisabeth eine fanatische Protestantin gewesen ist. Gerade wie diese sich aus dem Protestantismus eine Politik zurechtmachte, so war für Maria Stuart der Katholizismus ganz wesentlich politischer Natur.

Weder sinnliche Begehrlichkeit also hat das Dichten und Trachten der Schottenkönigin bedingt und bestimmt, noch religiöser Eifer. Die treibende Kraft ihres Wesens, Denkens und Tuns war vielmehr der glühende Wunsch, etwas vorzustellen in der Welt, der rastlose, bis zuletzt aushaltende Ehrgeiz, eine große Königin zu sein.

Und dieser Ehrgeiz hatte zu seiner unausrottbaren Wurzel die energische Vorstellung, welche Maria Stuart von ihrer angestammten und angeborenen Gottesgnadentümlichkeit hegte. Sie war von ihrem dynastischen Recht bis zu ihrem letzten Atemzug überzeugt. Auch von ihrem dynastischen Recht auf die Krone, welche Elisabeth trug. Und sie durfte, sie mußte es sein. Denn stellt man sich, wie man ja bei Beurteilung dieses Verhältnisses tun muß, auf den Standpunkt des monarchischen Köhlerglaubens der sogenannten Legitimität, so kann gar nicht bestritten werden, daß Maria als die legitime Enkelin Heinrichs VII. Durch ihre Großmutter Margareta, Tochter Heinrichs VII., ältere Schwester Heinrichs VIII., Gemahlin Jakobs IV. von Schottland. einen weit besseren Anspruch auf die englische Krone besaß als Elisabeth, die nur eine Bastardenkelin des genannten Königs von England war, die Frucht eines zweifachen Ehebruchs, und noch dazu von ihrem eigenen Vater und auf dessen Befehl auch vom Parlament förmlich als Bankert erklärt.

Für Elisabeths wahrhaft ungeheuerlichen Stolz mußte es eine bittere Kränkung sein, daß sie sich des demütigenden Gefühls ihrer makelhaften Geburt nie ganz entschlagen konnte. Sie empfand scharf, welchen Vorteil dieser Makel der Schottenkönigin über sie gab. Daher der unstillbare Haß, den Elisabeth von Anfang an gegen Maria hegte. Diese ihrerseits war sich des Vorzugs ihrer legitimen Geburt, Stellung und Berechtigung wohlbewußt, und Schiller hat mit jenem historischen Instinkt und Takt, den nur Plattschädel von Schulfüchsen ihm bestreiten können, das Richtige getroffen, wenn er am Schlusse des vierten Auftritts vom dritten Aufzug seiner Tragödie die boshaft gereizte Maria Stuart zornglühend ihrer Todfeindin Elisabeth und den englischen Lords zurufen läßt:

»Der Thron von England ist durch einen Bastard
Entweiht, der Briten edelherzig Volk
Durch eine list'ge Gauklerin betrogen.
Regierte Recht, so läget ihr vor mir
Im Staube jetzt, denn ich bin euer König!«

3.

Der bornierte Protestantismus hat die Königin Elisabeth, der bornierte Katholizismus hat die Königin Maria heilig gesprochen. Die unbefangene Betrachtung findet den Wahrspruch: Weder die eine noch die andere war eine Heilige, nichts weniger sogar als eine Heilige. Maria Stuart ist zweifelsohne die ursprünglich edlere Natur gewesen, Elisabeth Tudor die klügere Politikerin. Maria war allzeit und überall, in der Liebe wie im Haß ein echtes und ganzes Weib mit glühenden Impulsen und vollschlagenden Pulsen; Elisabeth dagegen hatte etwas Zwitterhaftes und war, wenn auch keine Virgo (Jungfrau), doch eine Virago (Mannweib), im heroischen Sinne des Worts wie im vulgären.

Diese beiden, durch Blutsverwandtschaft einander so nahe gerückten Frauen wurden durch ihre Stellungen zu solchen Todfeindinnen gemacht, daß die britische Insel nicht Raum für beide hatte und ein viele Jahre hindurch rastlos zwischen ihnen geführter Streit nur mit dem Untergang der einen oder der andern enden konnte. Zwei Vettern auf den Thronen von England und Schottland konnten sich leidlich vertragen, zwei Basen nimmer. Es wäre ja das wider alle weibliche Kleiderordnung gewesen.

Elisabeth (geb. am 7. September 1533) war neun Jahre älter als Maria (geb. am 8. Dezember 1542). Beide hatten jene auf Sprachenfertigkeit und Literaturkenntnis gerichtete Erziehung und Bildung erhalten, die die Renaissancezeit großen Damen zu geben liebte. Beide verstanden und sprachen außer ihrer Muttersprache Latein, Französisch und Italienisch. Elisabeth wußte sogar etwas Griechisch und Deutsch. Sie liebte es, mit ihrer Gelehrsamkeit Staat zu machen, und ihre grenzenlose Eitelkeit nahm es als einen rechtmäßigen Tribut hin, wenn man glaubte oder zu glauben vorgab, sie hätte die schönsten Hände und sie sei die geschickteste Lautenspielerin wie die graziöseste Tänzerin von der Welt. Sie hatte sich eine würdevolle Haltung angewöhnt, sie wußte imponierend, sogar majestätisch aufzutreten; aber schön war sie in Wahrheit und Wirklichkeit keineswegs. Schmeichler haben ihr »goldfarbiges« Haar gepriesen; allein nicht durch die Schmeichlerbrille angesehen, war es rot, sogar stark ins Fuchsigrote streifend. Den wasserblauen Augen war der sanfte Schmelz fraulicher Güte und Milde fremd, und niemals hatten sie den bebenden Schimmer mädchenhafter Scham und Scheu gekannt. Die große Raubvogelschnabelnase, der grobsinnlich aufgeworfene Mund mit einem unverwischbaren Zug von Falschheit um die Lippenwinkel und das starkfleischige Kinn kennzeichneten die Virago, hatten aber durchaus nichts Anmutiges. Als richtige Kokette liebte es Elisabeth, sich auffallend zu kleiden und die herrschenden Moden bis ins Abgeschmackte zu übertreiben. Noch als altes Weib ist sie wie ein junges Mädchen angezogen gewesen. Die Grazien wußten und wollten nichts von ihr. Summa: ein unliebenswürdig mannweibischer Mischmasch von berechnender Heuchelei, herzloser Gefallsucht und luziferischem Hochmut; aber für die Welt, wie sie nun einmal ist, ganz gemacht, schlau, ausdauernd, nie um Mittel und Wege verlegen, Meisterin der Kunst, den Schein zu wahren, gänzlich ohne Gewissensskrupel, sobald ihr Ansehen, ihre Macht oder auch nur ihre Eitelkeit in Frage kamen. Aus der herben Schule ihrer Jugendtrübsale war sie als eine ausgelernte Staatsmännin hervorgegangen. Sie war eine Kennerin der Menschen und hatte die Wissenschaft, sie zu behandeln, vollständig inne. Sie besaß auch das Verständnis ihrer Zeit. Sie begriff, daß es mit der Feudalromantik unwiderruflich zu Ende ginge, daß die Grundlagen und Hilfsmittel mittelalterlicher Politik vernutzt seien und daß neue Lebensmächte wirksam geworden, denen man Beachtung nicht versagen dürfte. Sie herrschte absolut, aber so geschickt, daß ihre guten Untertanen glaubten, das ihnen von Zeit zu Zeit plump vorgegaukelte parlamentarische Märchen sei Wirklichkeit. Sie wollte Despotin sein und war es, allein ihr Despotismus war nicht wie der Philipps von Spanien ein zerstörender und ertötender, sondern ein schaffender und belebender.

In alledem lag eine ganz unleugbare und große Überlegenheit Elisabeths über ihre Nebenbuhlerin, obwohl diese von Haus aus genialer angelegt war. Marias Geist war feiner und beweglicher, ihr Gefühl kräftiger, ihre Phantasie reicher und schöpferischer. In der Verstellungskunst war sie eine wahre Zwergin gegenüber der Riesin Elisabeth, aber an Stärke des Ehrgeizes stand sie ihrer Feindin nicht nach, und an Mut und Ausdauer übertraf sie sie weit. Unter den ungünstigsten Umständen, eine arme Gefangene, krank, bewacht, umlauert, brutalisiert, hat sie mit den kärglichsten Mitteln den Kampf gegen ihre Besiegerin und Kerkermeisterin dennoch mit einer bewunderungswerten Tatkraft bis zur letzten Stunde fortgeführt und von ihrem Gefängnis aus die mächtige Königin von England auf ihrem Throne zittern gemacht. Dies gibt unwiderlegliches Zeugnis, daß Maria über das menschliche Durchschnittsmaß hoch emporragte. Und sie war wie in ihrer Mädchenblüte so noch in ihrer fraulichen Reife eine so schöne, so gewinnende, so anmutige Erscheinung! Während ihrer kurzen glücklichen Mädchenzeit in Frankreich haben Ronsard, Du Bellay und Brantôme all ihr Talent erschöpft, um in Versen und Prosa den Reiz von Marias Persönlichkeit darzustellen, und sie haben neben der Schönheit der jungen Königin auch die vielseitige Kultur ihres Geistes, ihre Bescheidenheit und jungfräuliche Würde, ihre Herzensgüte und Sanftmut hervorgehoben. Maria war hochschlank von Wuchs und von vollendet harmonischem Gliederbau. Ihre von der Natur gelockten Haare färbten sich mit den Jahren aus dem Goldblond ins dunkle Kastanienbraun um. Ihre Haut hatte jenen Sammetschimmer, der einen der seltensten und köstlichsten Frauenreize ausmacht. Unter ihrer hochgewölbten Stirn blickten große braune Augen hervor, sanft und geistvoll zugleich, Augen, deren zärtlichem Schmachten und fröhlichem Aufleuchten gleich schwer zu widerstehen war. Marias reizend geschnittener Mund entsendete eine klangvolle, tief zu Herzen gehende Bruststimme, und ihr ganzes Gebaren trug den zierlichen Stempel der Anmut. Ihr Lächeln entzückte, ihr Weinen riß hin. Sie verstand die keineswegs leichte oder allgemeine Kunst, sich zu kleiden, aus dem Grunde. Sie brauchte sich aber nicht anzustrengen, um zu gefallen; sie brauchte sich nur zu geben, wie sie war. Ihrer Koketterie war die Grazie der Natur eigen. Sie sprach sehr gut, sie schrieb einen Stil voll Nerv und Leben. Sie war Dichterin, Musikerin, Sängerin, eine wahre Künstlerin in weiblichen Handarbeiten; sie tanzte so schön, daß man ihrer Base und Hasserin Elisabeth kein lieber gehörtes Kompliment machen konnte, als wenn man ihr sagte, sie tanzte doch noch schöner als die Königin der Schotten. Maria hat es auch in den anstrengenderen körperlichen Übungen bis zur Meisterschaft gebracht: sie war eine kühne und unermüdliche Reiterin und verwegene Jägerin. Der Klang der Trompete erschreckte nicht ihre Ohren, er wirkte vielmehr auf sie wie auf das Schlachtroß im Buche Hiob. Sie liebte es, an der Spitze reisiger Geschwader zu reiten und ihr königlich Banner im Morgenwinde flattern zu sehen. Summa: Ein Weib, geschaffen, glücklich zu sein und glücklich zu machen, und doch bestimmt, sich selber und alle, die sie liebte und von denen sie geliebt wurde, ins Verderben zu stürzen. Eine über die Maßen liebenswürdige Frau, gut, im stillen Gemach mit ihr zu kosen oder auf rennenden Rossen mit ihr im Morgensonnenschein über das Feld zu fliegen hinter dem gehetzten Hirsche her oder sich mit ihr im Fackeltanz zu schwingen oder bei einem Turnier von ihr als der »Königin der Schönheit« den Siegespreis zu empfangen. Im alten Griechenland wäre sie eine Aspasia, zur Kreuzzügezeit eine Klorinda geworden; denn die Anlage zur Hetäre lag nicht weniger in ihr als die zur Heldin. In ihre eigene Zeit gestellt, war sie ein Anachronismus: eine mittelalterlich-romantische Königin paßte nicht in die Giftblütentage der »welschen Praktik«. Als sie selber das Netz dieser grauenhaft unsittlichen »Staatskunst« zu handhaben versuchte, verstrickte sie sich rettungslos in den Maschen desselben. Ihr, die von Natur gutherzig, mitleidsvoll, hochsinnig und großmütig gewesen ist, war es verhängt, die Bundesgenossin eines dreizehnten Gregor, der Jesuiten, Philipps II., des Herzogs von Alba, der Guisen, der Katharina von Medici und der Bartholomäusnachtmörder zu sein und demnach als Mitschuldige an allen den Greueln zu erscheinen, die die Partei der Vergangenheit verübte, um die Zukunft im Mutterleibe der Gegenwart zu töten.

Ihr erstes Unglück war, eine Guise zur Mutter gehabt zu haben; ihr zweites, am französischen Hofe erzogen worden zu sein. So kam sie nach ihrer ersten Verwitwung als eine Fremde in ihr Heimatland zurück, wo inzwischen der Adel den Katholizismus gestürzt hatte (1560), um für die Demütigungen, welche ihm die alte Allianz zwischen Krone und Klerus bereitet hatte, seine Rache zu nehmen und zugleich der Güter der Kirche sich zu bemächtigen. Fremd wie ihr wildes Geburtsland waren der jungen Königin auch die wirklichen Interessen der Zeit. Sie wußte daher nicht mit ihnen zu rechnen, obwohl unmittelbar nach ihrer Heimkehr nach Schottland wie ihr persönliches Gebaren durchaus schicklich und ziemlich so auch ihre politische Haltung verständig und geschickt gewesen ist. Aber die sie umringenden Schwierigkeiten überstiegen in die Länge die Kräfte einer jungen Frau von neunzehn Jahren, welche die in ihrer Lage unumgänglich notwendige Gabe der Menschenkenntnis nicht besaß. Sie hat sie sich auch später niemals angeeignet. Eine Romantikerin jeder Zoll, ließ sie sich allzugern durch augenblickliche Eindrücke bestimmen und gefiel sich in jener Fahrigkeit, welche überhaupt der Romantik eigen ist. Nur an einem hielt Maria alle die bunten Wechsel und abenteuerlichen Wandlungen ihrer Laufbahn hindurch unwankbar fest: an dem Vollbewußtsein ihrer Königschaft. Darum platzten in dem Streite zwischen Elisabeth und Maria nicht etwa nur zwei weibliche Eitelkeiten aufeinander – was übrigens auch schon ausgereicht hätte, Tod und Verderben zu erzeugen – sondern zwei gleich große, gleich leidenschaftliche, gleich brennende Ehrgeize. Aber die Trägerin des einen war eine Intrigenkünstlerin, die des andern eine Verskünstlerin: das Resultat des Zusammenstoßes konnte also nicht zweifelhaft sein.

4.

Es ist kein edles Bild und paßt auch nach keiner Seite hin so recht; allein man kann sich doch beim Anblick des Kampfes zwischen den beiden Königinnen nicht der Vorstellung entschlagen, als sähe man eine rothaarige Katze mörderisch mit einem tropisch-schöngefiederten Vogel spielen.

Der Vogel Maria wußte recht wohl, daß die Katze Elisabeth auf der Lauer lag, und was deren Windungen und Drehungen und Schweifringelungen zu bedeuten hätten. Aber leichtherzig nach Vogelart, flatterte, flog und zwitscherte der Vogel sorglos vor der verschmitzten Feindin herum, welche ihre Krallen abwechselnd zeigte und verbarg, bis sie endlich den rechten Moment, den Fangsprung zu tun, erlauert hatte. Oder vielmehr, so meisterlich katzenhaft hatte die Katze gespielt, daß sich der von Sperbern verfolgte und müdgejagte Vogel vertrauensvoll in die Katzentatzen warf, welche ihn erwürgten …

Es steht ganz unanfechtbar fest, daß sich Elisabeth von Anfang an ihrer schottischen Base feindselig gegenübergestellt hat, obwohl sie gelegentlich ihren Haß, falls das gerade in ihr Spiel paßte, manches Jahr hindurch geschickt zu maskieren verstand. Weil sie sich, während Maria in Frankreich sich befand, gewöhnt hatte, Schottland für eine englische Provinz anzusehen, und weil es wirklich für ihr politisches System von höchster Wichtigkeit war, daß Schottland bleibend von den katholischen Interessen, von der Allianz mit Frankreich oder Spanien abgezogen würde, sah Elisabeth es schon mit sehr mißgünstigen Augen an, daß ihre Base nach dem Tode Franz' II. in ihr Heimatland zurückkehrte. Sie hat diese Rückkehr sogar mittels List zu verhindern gesucht und mit Gewalt zu verhindern gedroht. Recht eigentlich ihr zum Trotz und Tort mußte die achtzehnjährige Witwe im August 1561 die Heimreise unternehmen und dabei Gefahr laufen, schon damals ihrer Feindin in die Hände zu fallen.

Es ist ferner unanzweifelbar, daß Maria in den ersten Jahren nach ihrer Ankunft in Schottland alles tat, was sie mit Ehren tun konnte, um mit ihrer Base von England in ein aufrichtiges Verständnis und freundschaftliches Verhältnis zu kommen. Sie befolgte keineswegs eine französische oder spanische oder überhaupt eine widerenglische Politik. Ließ sie sich doch ganz von den Ratschlägen ihres Halbbruders James leiten, der, ein Bankert Jakobs V. von der Margareta Erskine und durch seine königliche Halbschwester zum Grafen von Murray erhoben und mit Wohltaten überschüttet, hinter der Maske des religiösen Fanatismus ehrgeizige Anschläge verfolgte und der Söldling und gehorsame Diener Elisabeths war Murray war einer der verschlagensten Menschen seiner Zeit. An Heuchelei konnte er es sogar mit Elisabeth von England aufnehmen. Es untersteht kaum einem Zweifel, daß der geriebene Bastard, politisch und militärisch ungemein begabt, insgeheim selber nach der Krone von Schottland strebte. Jedenfalls wurde er zu solchem Streben gestachelt durch seine stolze Mutter, welche den Laird von Lochleven aus der Familie Douglas geheiratet hatte. Sie behauptete steif und fest, sie sei vordem nicht die Mätresse Jakobs V. gewesen, sondern seine rechtmäßige Frau, und demnach wäre ihr Sohn James der rechte Erbe der schottischen Krone.. Maria ging in ihren Bemühungen, ihrer Base zu Gefallen zu leben, sogar so weit, daß sie sich bereit erklärte, den ihr zum Gemahl vorgeschlagenen halbabgetragenen Liebhaber Elisabeths, den Lord Leicester, zu heiraten, unter der einzigen Bedingung, daß die Königin von England sie förmlich als ihre Erbin anerkennte. Also nicht verdrängen wollte die schottische Königin ihre Base, sondern nur von dieser ihr gutes Recht anerkannt wissen. Gewiß eine sehr gemäßigte Forderung, denn – es sei wiederholt – dem Legitimitätsrecht zufolge durfte nicht Elisabeth, sondern mußte Maria auf dem englischen Thron sitzen.

Die Königin von England mochte aber von ihrer Nachfolge um so weniger reden hören, als sie recht gut wußte, daß sie einen Platz einnahm, der ihr nicht von Rechts wegen zukam. Sie konnte das klare Erbfolgerecht der schottischen Königin nicht leugnen, aber sie suchte durch hundertfältige Ausflüchte der Anerkennung desselben zu entgehen. Um gerecht zu sein, muß man sagen, daß ihr Widerwille, diese Anerkennung auszusprechen, nicht allein aus ihrer Eitelkeit und Herrschsucht erfloß, sondern auch aus der nicht grundlosen Besorgnis, die katholische Maria Stuart, einmal als rechtmäßige Thronnachfolgerin proklamiert, könnte leicht eine von dem damals in England noch zahlreichen und mächtigen katholisch gesinnten Adel mit Freuden gegen das Regiment der Bastardtochter Heinrichs VIII. und der Anna Boleyn erhobene Standarte werden. Dieser Argwohn war es überhaupt, der das ganze Verhalten Elisabeths zu Maria vergiftete. Dazu kamen dann noch die Launen der herrschsüchtigen Despotin und die gehässigen Grillen des eifersüchtigen Weibes. Es nagte an dem stolzen und selbstsüchtigen Herzen der Königin von England, daß sie sich sagen mußte: Die Mary da droben in dem lumpigen Schottland ist doch schöner und liebenswürdiger als du.

Dieser Argwohn, dieser Neid und diese Eifersucht bestimmten nun die Politik, die Elisabeth gegenüber ihrer Base einhielt. Es war eine Politik raffinierter Gewissenlosigkeit und Bosheit. Daß das arme Schottland darob aus tausend Wunden bluten mußte, kümmerte die große Heuchlerin zu Whitehall nicht im geringsten. In Cecil-Burleigh und Walsingham fand sie ebenso gewandte wie skrupellose Ausführer ihrer tückischen Absichten und Pläne. Der Großschatzmeister und der Staatssekretär wären fürwahr befähigt, würdig und willig gewesen, jenem Principe (Fürsten), den Machiavellis satanisch-ironisches Genie geschaffen hat, als Minister zu dienen. Machiavelli (1469-1527) stellte in seinem Buche »Der Fürst« den Satz auf: »Ein Fürst soll sich und seinen Staat behaupten; die Mittel dazu sind gleichgültig.« Mit Hilfe solcher Handlanger hat Elisabeth ihre Base umlauert, umstrickt und bestrickt. Keine List war der großen Intrigantin zu gemein, keine Tücke zu boshaft, um nicht gegen Maria in Anwendung gebracht zu werden. Jede gegen die schottische Königin geplante Schurkerei war der Unterstützung von seiten der englischen sicher. Jeder an Maria begangene Verrat durfte von Elisabeth Belohnung fordern und erwarten. Jedes gegen die Schottenkönigin gesponnene Komplott lebte vom Gelde der englischen Staatskasse. Viele Jahre hindurch hat Elisabeth den Bürgerkrieg in Schottland zu einem chronischen Übel gemacht. Wollte diesem Kriege einmal aus Ermattung der Atem ausgehen, so blies die Königin von England ihm neues Leben ein; denn jeder Rebell gegen Maria konnte auf den Schutz und Beistand Elisabeths rechnen, wie jede gegen die Schottenkönigin geschleuderte Verleumdung im Palast der Herrscherin von England ein beifälliges Echo zu finden gewiß war.

So war, aller beschönigenden Hüllen entkleidet, das Verhalten der mächtigen Tochter Heinrichs VIII. gegen die machtlose Tochter Jakobs V. Rechnet man nun zu dieser elisabethischen Politik die Zustände Schottlands, in die die blutjunge, unerfahrene und lebenslustige Königin unversehens hineingeworfen wurde, so ergibt sich eine Summe von Schwierigkeiten, welche, wenn sie überhaupt zu überwinden waren, nur durch einen Genius und Charakter ersten Ranges bewältigt werden konnten und folglich durch Maria Stuart nicht zu besiegen waren.

Die ganze Macht in Schottland besaß der Adel, der vermöge des Klanwesens unbedingt über Gut und Blut, Leben und Tod seiner Hintersassen verfügte. Niemals haben Hunde ihren Herren treuer angehangen, als die schottischen Klans ihren Lords und Lairds anhingen, und kein Fürst der Assassinen fand willigeren Gehorsam, wenn er Mordbefehle ausgehen ließ, als die schottischen Häuptlinge. Sie waren der Staat, falls überhaupt im 16. Jahrhundert Schottland ein Staat heißen konnte. Indem sie, von den bereits berührten Motiven geleitet, die kirchliche Reform durchgesetzt, hatten sie zugleich mit der alten Kirche auch die Krone völlig unter ihre rohen Fäuste gebracht, so sehr, daß dem Königtum, wenn es überhaupt existieren wollte, gar nichts übrig blieb, als zwischen den adligen Parteien zu lavieren und bald mit dieser bald mit jener Pakt und Bündnis zu schließen. Etwas wie einen bürgerlichen Mittelstand, auf den sich anderwärts das Königtum in seinen Kämpfen gegen das Feudalbaronentum stützen konnte, gab es ja nur in der Form von schwachen Anfängen. Das Städtewesen konnte mit dem gleichzeitigen in England, Frankreich, Deutschland, Italien und Spanien nicht den entferntesten Vergleich aushalten. Schottland besaß eigentlich vor dem 18. Jahrhundert keine Stadt, welche unseren Vorstellungen von einer solchen entsprochen hätte; selbst Edinburg nicht ausgenommen, welches zwar am Ende des 16. Jahrhunderts an 30 000 Einwohner zählen mochte, aber zum weitaus größten Teil nur aus armseligen Hütten bestand. Perth, damals die zweite Stadt des Landes, hatte im Jahre 1685 noch nicht 9000 Bewohner. Aberdeen hatte im Jahre 1572 höchstens 2900. Die Städtebürger mußten notwendig arm, elend und unwissend sein; denn die ehrlichen bürgerlichen Hantierungen, die gewerbliche und kaufmännische Tätigkeit waren ja verachtet, und die Gewerke standen demzufolge auf einer so niedrigen Stufe, daß die Schotten nicht einmal die Waffen, womit sie sich gegenseitig unaufhörlich umbrachten, und nicht einmal die einfachsten und gangbarsten Ackerbaugeräte selber zu verfertigen verstanden. Eine bürgerliche, das heißt eine wirkliche Kultur begann in Schottland erst zu keimen und Schößlinge zu treiben, als die alles verschlingende Adelsmacht mit der schottisch-reformierten Kirche, mit dem Presbyterianismus in Konflikt und Kampf geriet.

Die schottische Reformation hatte anfänglich, wie bekannt, einen durchaus aristokratischen Charakter und mußte als Werk des Adels einen solchen haben. Aber das änderte sich vom letzten Fünftel des 16. Jahrhunderts an ebenso rasch wie bedeutsam. Warum? Die Edelleute wollten den der alten Kirche abgezwackten Raub für sich allein behalten, während der reformierte Klerus billigerweise einen Anteil an der Beute zu haben begehrte. Als die Aristokratie diesem Begehren widerstrebte und widerstand, bewies ihr die Kirche, daß die Kanzel schließlich doch mächtiger sei als das Schwert. Der Klerus verband sich mit dem Volke, und er war es, der es von der hündischen Anhänglichkeit an die Baronschaft allmählich befreite und den anfänglich aristokratischen Charakter der schottischen Reformation in einen entschieden demokratischen verwandelte. Weitergefördert und vollendet wurde dann der Ruin der schottischen Adelsherrschaft durch die Union mit England, durch das Mißlingen der jakobitischen Aufstände von 1715 und 1745, sowie durch den gleichzeitig machtvoll aufstrebenden schottischen Industrie- und Handelsgeist.

Doch das alles vollzog sich später. In der Zeit von 1560-1580, also gerade zur Zeit der Maria Stuart, war der Klerus noch mit der Aristokratie eng verbündet und stand demnach die Macht des schottischen Adels am höchsten.

5.

Und was war das für ein Adel? Wer sind diese Douglas und Hamiltons, diese Mar und Morton, diese Argyle, Angus und Athol, diese Lethington, Glenkairn, Ruthven, Lindsay, Hume, Rothes, Kirkaldy, Killigrew, Bothwell, Boyd, Gowrie, Tullibardine, Kerr, Huntley usw. mit höchst spärlichen, ja kaum wahrnehmbaren Ausnahmen für eine Sippschaft gewesen?

Eine ganz infame fürwahr, eine Horde von Meineidigen, Dieben und Banditen. Wischt man diesen Menschen den Firnis Walter-Scottscher Romantik ab, so bleiben nur Barbaren, aber Barbaren, welche mit der waldursprünglichen Wildheit von Neuseeländern die raffinierte Verderbtheit der Hofleute Ludwigs XV. verbanden. Für diese Aristokratie, welche dem Hochmut Satans die Habsucht Adramelechs und der Falschheit Belials die Grausamkeit Molochs gesellte, war Treu und Glauben ein Spott, Verrat ein Geschäft und Mord ein Zeitvertreib. Es ist wahr, die Herren waren arm; aber die Not, anderwärts die strenge Mutter edler Strebungen und großer Taten, ihnen war sie nur die Lehrerin von Frevelmut und Lastergier.

Und mit dieser Aristokratie hatte die junge Königin es zu tun; mit dieser Bande von abgefeimten Schuften und verhärteten Schurken sollte sie fertig werden, während zugleich die rastlose Hetzerin Elisabeth der besser berechtigten und darum doppelt gehaßten Base eine Falle nach der andern stellen ließ und noch dazu der reformierte schottische Klerus seiner katholischen Fürstin von Anfang an einen unerbittlichen Krieg ankündigte und bereitete. Kann es irgendeinen denkenden Menschen wundernehmen, daß eine so jugendliche Frau, in deren Adern das Blut leicht und rasch rollte, inmitten dieses chaotischen Wirrsals auf Abwege geriet, geraten mußte? Es hätte geradezu ein Wunder geschehen müssen, wenn es nicht der Fall gewesen wäre, und Wunder gibt es wohl in der theologischen Phantasiewelt, nicht aber in der geschichtlichen Wirklichkeit.

Marias Verirrungen ließen aber doch länger auf sich warten, als der zu Whitehall lauernden Katze recht war. Denn nur die Parteilüge kann leugnen, daß während der ersten Regierungsjahre der jungen Schottenkönigin ihr Privatwandel tadellos und ihre politische Führung verständig gewesen sei. Sie gab sich Mühe, alles zu vermeiden, was der Königin von England einen Vorwand zu feindseligen Handlungen schaffen konnte, und suchte durch versöhnliches Dazwischentreten dem adligen Fehdewesen, das das arme Schottland niemals zum Genusse des Friedens kommen ließ, ein Ende zu machen. Die Protestantisierung des weitaus größeren Teiles der Bevölkerung des Landes, die sie als eine vollendete Tatsache vorfand, nahm sie als solche hin. Sie war und regierte duldsam. Sie machte nicht den geringsten Versuch, den Katholizismus zurückzuführen, und bemühte sich sogar, mit dem herrischen Haupte der schottischen Reformation, mit John Knox, in ein leidlich gutes Verhältnis zu kommen, obwohl es keine geringe, sondern eine sehr große Dosis von Geduld und Selbstüberwindung erforderte, die lümmelhaft anmaßlichen Sermone dieses Rüpels von Zeloten sich gefallen zu lassen, der, ein echter Schüler des tyrannischen Pfaffen Calvin, mit einer hierarchischen Überhebung auftrat, als hätte er drei unfehlbare Päpste im Bauche. Des Schutzes von Murray und dessen Anhang gewiß, erfrechte sich der finstere Eiferer, die junge Königin zu wiederholten Malen in ihrem eigenen Palast wie eine grobe Sünderin herunterzumachen, weil sie, die Zwanzigjährige, dem harmlosen Frohsinn ihres Alters sich überließ, gern zur Hirschjagd und Reiherbeize ausritt, gern heitere Feste veranstaltete, um die düstere Eintönigkeit von Holyrood zu verscheuchen, gern musizierte und tanzte und lieber französische Madrigale und italienische Arien sang als schottische Psalmen. Trotz seiner Zudringlichkeit und Unverschämtheit fuhr aber die katholische Maria fort, den Reformator rücksichtsvoll zu behandeln, während die protestantische Elisabeth ihm einen so unverhehlten Haß entgegenbrachte, daß sein Name in ihrer Gegenwart nie genannt werden konnte, ohne ihr einen Wutanfall zu verursachen.

Maria ließ den Protestantismus in Schottland gewähren, obwohl er eines kaum weniger schmutzigen Ursprungs war als der englische. Sie verlangte nur, daß man sie innerhalb der Wände ihrer Kapelle in Holyroodhouse den Kultus ihres Glaubens üben ließe, – gewiß das billigste Verlangen der Welt. Allein Knox und Mitfanatiker zeterten mit Zungen, Armen und Beinen gegen diese »Abgötterei der Messe« und forderten gebieterisch, nur an ihrem ewigen Gepredige und mißtönigem Psalmengekrächz dürfte und müßte die Königin sich erbauen. Es wäre ganz natürlich zugegangen und sehr zu entschuldigen gewesen, wenn sich Maria durch solche kalvinische Bigotterie in eine katholische hätte hineinärgern lassen. Aber das geschah keineswegs. Die Königin fuhr jetzt und auch noch später fort, die protestantischen Predigten, welche von den rohesten Ausfällen auf ihre kirchliche Anschauung und auf ihre Person strotzten, geduldig anzuhören, und begnügte sich, zu sagen, die Beweisgründe der kalvinischen Polemik hätten sie nicht überzeugt, daß sie guttäte, ihren angetauften Glauben mit einem andern zu vertauschen.

Hieraus machte man ihr ein Verbrechen an der Majestät kalvinischer Unfehlbarkeit, und folglich identifizierte man sie mit dem »scharlachnen Weib, das auf den sieben Hügeln thront«. Die unausbleibliche weitere Konsequenz war, daß der protestantische Jesuitismus alle Mittel, der katholischen Königin zu schaden und ihr Verderben herbeizuführen, für erlaubt und gottgefällig ansah. Es ist ja noch niemals, seit es Religionen gibt, eine religiöse Partei oder Sekte angestanden, alle ihre eigenen Narrheiten, Leidenschaften und Gelüste ihrem Herrgott zuzuteilen, und zwar mit Recht; denn »wie der Mensch, so sein Gott«.

Die Königin von England hat alles und jedes zum Schaden ihrer Base von Schottland Angehobene mittelbar oder unmittelbar unterstützt. Zwar die Seele der reformierten Partei, Knox, war ihr wie Gift und Galle zuwider; allein das politische Haupt der Knoxisten, der Graf von Murray, stand in ihrem Solde. Sie kaufte überhaupt jeden Gegner Marias, obwohl ihr bekannter Geiz die Kaufsummen möglichst kärglich zuschnitt. Diese armen Teufel von schottischen Lords und Lairds fanden jedoch die karg bemessenen englischen Pfunde immer noch schwer genug, um ihre Vasallentreue, ihre Ritterehre und ihren Patriotismus aufzuwägen und zu überwägen. Der englisch-elisabethischen Partei in Schottland war aber von den englischen Ministern die Aufgabe gestellt, die Königin Maria fortwährend daheim so zu beschäftigen und in Atem zu halten, daß sie niemals Muße hätte, ihre Blicke über den Tweed hinüber nach England zu richten, und nicht entfernt daran denken könnte, ihre legitimen Ansprüche auf den englischen Thron der katholischen Nobility und Gentry, welche namentlich in Nordengland noch durch Zahl, Reichtum und feudale Traditionen mächtig war, in Erinnerung zu bringen.

Selbstverständlich hinderten die Erkaufung einer großen Fraktion des schottischen Adels für das englische Interesse und alle die übrigen schnöden gegen Maria ins Werk gesetzten elisabethischen Machenschaften die rothaarige Katze von »jungfräulicher« Königin durchaus nicht, an ihre Base in Edinburg fortwährend freundschaftliche Briefe zu schreiben, in denen sie den Ton der überlegenen Politikerin sehr geschickt mit dem einer strengen, aber wohlmeinenden Bemutterung zu verbinden wußte. Maria ist jahrelang des törichten Glaubens gewesen, sie besäße in Elisabeth eine Freundin, eine gern keifende und scheltende Freundin, aber doch immerhin eine Freundin. Diesen Aberglauben hat sie teuer bezahlen müssen. Er hat auch nicht wenig dazu beigetragen, die Schottenkönigin endlich unbedachtsam ihren Fuß in eine der vielen ihr gelegten Schlingen setzen zu lassen.

6.

Die glostenden Funken des großen Weiberzanks begannen zu hellem Brande aufzuschlagen, als die Frage der Wiederverheiratung Marias einer Lösung zudrängte. Daß eine in solcher Jugendfrische blühende Witwe sich wieder zu verehelichen wünschte, war natürlich; es war aber auch von der Politik geradezu geboten.

Hierbei kam nun die ganze Falschheit und die bis zur Narretei gehende Eifersucht Elisabeths zutage. Sie mochte ihrer Base überhaupt keinen Mann gönnen. Nicht allein aus politischen Gründen, sondern auch und noch viel mehr aus einer jener unbegreiflichen, unberechenbaren und unüberwindlichen Weiberlaunen, welche haben und hegen zu dürfen das schöne Geschlecht privilegiert ist. Die Königin von England verstand es übrigens vortrefflich, ihre persönlichen Marotten für tiefgeschöpfte Argumente der Staatskunst auszugeben. Maria sollte um jeden Preis verhindert werden, sich zu verheiraten und Kinder zu haben. Lieber wollte die Tochter Heinrichs VIII. nach ihrem Tode die englische Thronfolge dem Zufall preisgeben als ihre verhaßte Base in den Stand gesetzt wissen, England einen rechtmäßigen Thronerben zu geben. Elisabeth wollte nicht, daß Maria einem festländischen Fürsten sich vermählte; aber sie wollte auch nicht, daß ihre Base einen englischen oder schottischen Untertan heiratete. Das Projekt einer Heirat Marias mit dem österreichischen Erzherzog Karl war der Königin von England ein Ärgernis, das einer Heirat mit dem spanischen Infanten Don Karlos ein Greuel. Sie machte Miene, ihren Günstling Leicester ihrer Base als Gemahl aufzuhalsen, um durch ihn Maria um so mehr in ihrer Gewalt zu haben; allein sie konnte sich dann doch nicht überwinden, den geliebten Dudley fahren zu lassen. Endlich sollte es der Schottenkönigin auch verwehrt sein, irgendeinen Sproß des Hauses Tudor oder des Hauses Stuart zum Manne zu nehmen.

Gerade auf einen solchen Sprößling fiel aber schließlich die Wahl Marias, nachdem die ewigen Weiterungen Elisabeths ihre Geduld erschöpft hatten. In einer unglücklichen Stunde faßte sie den Entschluß, den Enkel ihrer Großmutter Margareta zu ehelichen, den jungen Lord Heinrich Darnley, ihren mit den beiden königlichen Häusern von England und Schottland nahe verwandten Vetter Margareta Tudor heiratete nach dem Tode ihres ersten Gemahls, Jakobs IV., den Grafen von Angus, von welchem sie eine Tochter hatte, Lady Margareta Douglas. Diese seine Nichte vermählte König Heinrich VIII. an seinen aus dem Hause Stuart stammenden schottischen Parteigänger, den Grafen von Lennox, der sich hatte nach England flüchten müssen, und dieser Ehe entsproß Lord Darnley.. Vergebens suchte Elisabeth auch diese Heirat ihrer Base, wie alle übrigen in Vorschlag gekommenen, zu hintertreiben. Diesmal scheiterten ihre Bemühungen, weil auch auf seiten Marias die weibliche Leidenschaft ins Spiel kam, und zwar mit aller Macht. Am 29. Juli 1565 vermählte sich die Königin von Schottland in der Schloßkapelle von Holyrood mit Darnley, welchen sie erst zum Herzog von Albany erhoben und dann, ohne das Parlament darum zu begrüßen, mit dem Königstitel beschenkt hatte.

Diese Heirat war die große, nicht wieder gutzumachende Dummheit Marias, – eine Dummheit, aus der sich alle Verfehlungen und Mißgeschicke der Königin mit logischer Notwendigkeit entwickelten. Darnley, drei oder vier Jahre jünger als seine Base und Frau, war so dumm wie lang, was viel sagen wollte, da er an sieben Fuß hoch in seinen Stiefeln stand. Die Königin Elisabeth war vollauf berechtigt, von dem jungen Menschen, der ja an ihrem Hofe aufgewachsen war, verachtungsvoll als von einer »hohlen Hopfenstange« zu sprechen.

Es untersteht keiner Frage: sinnliches Wohlgefallen hatte bei dieser Gattenwahl Maria geleitet und irregeleitet. Nachdem sie den jungen Lord zum erstenmal gesehen, hatte sie hocherregt ausgerufen: »Wie schön er ist! Ich habe niemals einen schöneren Mann erblickt.« Ein solches Entbrennen ist freilich begreiflich und – das weibliche Naturell in Rechnung gebracht – wohl auch verzeihlich. Man muß billig bedenken, daß Marias jugendliche Sinnlichkeit an einem so schrankenlos üppigen Hofe, wie der französische unter Katharina von Medici war, notwendig hatte geweckt werden müssen, ohne in der Ehe mit dem halbwüchsigen und kränklichen Knaben Franz Befriedigung zu finden. Ungerecht und unhistorisch wäre es jedoch, wollte man aus dieser ungestümen Aufwallung von Marias Blut – welche Aufwallung die unglückliche Heirat mit der »schönen hohlen Hopfenstange« von Darnley zur Folge hatte – den Schluß ziehen, die Königin sei überhaupt ein wollüstiges Weib gewesen und hätte sich durchweg von ihren sinnlichen Trieben bestimmen und leiten lassen. In Wahrheit, es gehört die verbreiterte Stirn konfessioneller Parteilichkeit dazu, Maria Stuart ohne Gnade in jenen Pfuhl zu werfen, wo sich die römischen Julien und Messalinen und die russischen Elisabethen und Katharinen herumwälzten.

Sehr bald aber mußte sich der Königin die bittere Einsicht aufdrängen, daß sie am 29. Juli 1565 einen ungeheuer dummen Streich gemacht habe. Darnley nämlich erwies sich ganz als der, welcher er war. Aufgeblasen von seinem ebenso unverdienten als plötzlichen Glücke, verlangte der bildungs- und urteilslose Junge, nicht nur König zu heißen, sondern auch zu sein. Ohne Verstand, ohne Erfahrung, ohne Kenntnis der Menschen und Dinge, glaubte er sich dennoch zum Herrschen berufen. Gegen die bettelstolzen schottischen Barone benahm er sich mit dem anmaßlichen Hochmut eines Emporkömmlings, gegen seine Gemahlin, sobald diese seinen törichten Ansprüchen entgegen war und entgegen sein mußte, mit dem kindischen Trotz eines verwöhnten Muttersöhnchens. Noch schlimmer für den ehelichen Frieden war es, daß Darnley bald auch in gemeinen Ausschweifungen sich gefiel, dem Trunk und dem Verkehr mit Dirnen sich ergab. Sein albernes Gebaren lieferte dem Grafen Murray und dessen Anhängern einen ersten Vorwand, die Waffen gegen ihre Königin zu erheben, weil durch den katholischen König – Darnley war Katholik – die protestantische Religion bedroht wäre. Maria schlug mit Geschicklichkeit und Kraft den Aufstand nieder und zwang die Rebellen, jenseits des Tweed bei ihrer Beschützerin eine Zuflucht zu suchen. Allein von jetzt an ist das ganze Dasein der Königin nur noch ein Wirrsal von Irrung, Kampf und Not, von Schuld und Buße gewesen, welches Wirrsal sich stets unlöslicher verknäuelte und verknotete.

Folgte zunächst die blutige Katastrophe Riccios, welche Marias übelgefügten Ehebund faktisch löste.

Der Piemontese David Riccio, Geheimschreiber Marias, war einer jener geriebenen und geschliffenen Abenteurer, welche Italien damals in alle europäischen Länder importierte. Meist literarisch oder künstlerisch begabt und gebildet, in Rede, Schrift und Umgangsformen den »nordischen Barbaren« weit überlegen, machten diese Menschen aus der Intrige einen Beruf. Sehr häufig besorgten sie neben den eigenen Geschäften und sogar mit noch mehr Gewandtheit und Eifer als diese die Geschäfte der »Kompagnie«, welche im » Al Gesu« am Fuße des Kapitols in Rom ihr Hauptkontor hatte. Ob Riccio ein Sendling des Jesuitenordens gewesen, ist mit Bestimmtheit weder zu bejahen noch zu verneinen; aber sicher ist, daß der gewandte, einschmeichelnde Lautenschläger, Sänger und Sekretär mit Erfolg daran arbeitete, seine Gebieterin von ihrer bislang dem Protestantismus gegenüber eingehaltenen Neutralität und Duldsamkeit abzubringen, sie mit dem Papste, mit Philipp II., mit den Guisen in enge politische Beziehungen zu setzen, kurz, sie zu einer mehr und mehr eifrigen Teilhaberin an der großen katholischen Kombination der Zeit zu machen. Ferner ist gewiß, daß der italienische Abenteurer sich des Vertrauens und der Gunst seiner Herrin allzusehr überhob, daß er viel zu deutlich sehen ließ, er sei der wirkliche Minister Marias, und daß er die hochmütigen schottischen Lords durch sein prunkvolles Auftreten ebensosehr vor den Kopf stieß wie er sie durch Geltendmachung der Überlegenheit seines Geistes und seiner Kenntnisse demütigte.

Dafür, daß er der Liebhaber der Königin gewesen, liegt kein Beweis vor. Darnley zwar redete sich ein oder ließ sich einreden, er sei gehörnt worden, und behauptete sogar, er selber hätte den »welschen Geiger« unter sehr verdächtigen Umständen im verriegelten Schlafzimmer seiner Gemahlin ertappt. Allein Darnley wußte notorisch oft nicht, was er schwatzte, namentlich, wenn er getrunken hatte. Sodann ist es psychologisch und sogar physiologisch höchst unwahrscheinlich, daß eine Frau, die keineswegs gemein dachte, sich einem so häßlichen Burschen, wie Riccio einer war, hingegeben habe, während sie ein Kind trug von dem schönen Mann, in den sie sich vor wenigen Monaten leidenschaftlich verliebt hatte. Jedoch der Vorwurf trifft Maria mit Recht, daß sie nicht nur als Königin fehlte, indem sie einen zweideutigen Fremden zu ihrem einflußreichen Berater machte, sondern auch als Frau unklug und taktlos handelte, indem sie nach ihrer leichtlebigen Art dem Geheimschreiber im Verkehr mit ihr eine Vertraulichkeit erwies und gestattete, die den schlimmsten Argwohn wachrufen konnte.

Der einfältige und schwache Darnley gab sich dazu her, mit den Freunden der nach England entflohenen Parteigänger Elisabeths, das will sagen mit seinen eigenen Feinden, sich zu verschwören, um den Riccio zu ermorden und dadurch seiner Gemahlin einen tödlichen Schimpf anzutun. Die Brutalität, womit der mörderische Anschlag vollzogen wurde, kennt jedermann. Am Abend vom 9. März 1566 drangen, von Darnley geführt, die Mordlords in das Kabinett der Königin, rissen den zu den Füßen seiner hochschwangeren Gebieterin hilfeflehend sich windenden Italiener hinweg und brachten ihm sechsundfünfzig Verwundungen bei, an denen er starb.

7.

Maria glühte von Rachelust, und sie verstand ihr Befriedigung zu verschaffen, indem sie bei Verfolgung der Mörder Riccios ebenso große Schlauheit wie Energie entwickelte. Meisterlich wußte sie ihren Gemahl dahin zu bringen, daß er seine Mitverschworenen verleugnete und verfolgen half. Dadurch verlor Darnley allen Halt und Anhang, und die Weise, womit die Königin ihren Mann in der öffentlichen Meinung zugrunde richtete und hilflos machte, war allerdings ganz geeignet, den Verdacht zu erwecken, ihre frühere törichte Liebe für den jungen Nichtsnutz sei in grimmigen Haß umgeschlagen. Sie war jedoch damals noch nicht soweit, diesem Haß offenen Ausdruck zu geben. Sie bemühte sich vielmehr, den dummen Jungen von Gemahl in ein richtiges Geleise zu bringen, wie sie denn überhaupt darauf aus war, nach betriebener Verfolgung der Mörder Riccios eine versöhnliche Stimmung und Richtung in ihrer Politik einzuhalten. Hatte sie doch auch ihren Halbbruder Murray aus der Verbannung zurückgerufen und dadurch freilich dem elisabethischen Ränkespiel in Schottland den stärksten Rückhalt gegeben.

Wie es zwischen ihr und Darnley eigentlich stand, wurde offenbar, als sie am 19. Juni 1566 im Bergschlosse von Edinburg ihren Sohn geboren hatte, welcher als Jakob VI. König von Schottland und später als Jakob I. König von Großbritannien geworden ist, – einer der jammerseligsten, nichtswürdigsten »Lumpenkönige«, welche jemals das alleinseligmachende Dogma von der Monarchie illustriert haben, und der seine Laufbahn würdig damit begann, daß er nicht allein seine unglückliche Mutter schmählich im Stiche ließ, sondern auch von deren Quälerin und Mörderin ein Almosen in Form einer Pension annahm. Er ließ sich den abgeschlagenen Kopf seiner Mutter mit englischem Gold aufwägen. Daneben hat er sich auch in den Annalen von Sodom verewigt.

Nach der glücklichen Entbindung Marias eilte Darnley herbei, um dem schottischen Brauche gemäß in Gegenwart des versammelten Adels seinen Sohn anzuerkennen, und nun spielte sich, wie uns Lord Herries, einer der treuesten Anhänger der Königin, in seinen Denkwürdigkeiten erzählt hat, folgende Szene ab. »Mein Lord« – sagte Maria, welche nicht sehr kluger Weise auch in diesem Augenblick sich der entrüstungsvollen Erinnerung, daß ihr Gemahl sie eines unerlaubten Umgangs mit Riccio bezichtigt hatte, nicht zu entschlagen vermochte – »mein Lord, Gott hat euch diesen Sohn so gut gegeben wie mir; er ist keines andern Sohn, sondern der Eurige, und ich wünsche, daß alle, die hier anwesend sind, Herren und Damen, dies bezeugen mögen.« Darnley wurde rot, vermochte nichts zu sagen, küßte aber das Kind. Die Wöchnerin kehrte sich zu William Standen und sagte: »Da ist nun der Prinz, der, wie ich hoffe, zuerst die Kronen von England und Schottland auf seinem Haupte vereinigen wird.« – »Wie, Madame,« entgegnete der Angeredete, »soll dies Kind die Krone von England erben vor Eurer Majestät und vor seinem Vater?« – »Wer weiß?« erwiderte Maria, »sein Vater hat mir das Herz gebrochen.« – »Ach, Madame,« sagte jetzt Darnley – »haltet Ihr so das Versprechen, zu verzeihen und zu vergessen?« – »Ich habe alles verziehen, aber ich kann nicht alles vergessen. Wenn das Pistol, welches Fawkonside auf mich richtete Bei der Ermordung Riccios., losgegangen wäre, was würde aus diesem Kinde, aus mir und aus Euch geworden sein? Nur Gott weiß es.« – »Madame, das sind lauter vergangene Dinge.« – »Wohl, mögen sie es sein.«

Man wird in diesem Zwiegespräch von Mann und Frau vergebens einen wirklichen Herzenslaut suchen. Da war ein Bruch vorhanden, der nicht wieder geleimt werden konnte. Aussöhnungsversuche fanden zwar später noch etliche statt, und man muß der Königin nachsagen, daß sie dabei dem schmollenden und maulenden Darnley gegenüber viele Geduld und Nachsicht erwies. Er aber war albern genug, seiner Frau einen neuen Schimpf anzutun, indem er in recht auffallend demonstrativer Weise von der im Dezember gefeierten Taufe seines Sohnes wegblieb. An einem ausreichenden Grunde fehlte es ihm allerdings nicht: der Graf von Bothwell nämlich spielte unter seinen Mitpeers bei dieser Gelegenheit eine vortretende Rolle, während er selbst, der doch »König« hieß und der Vater des Täuflings war, es allerdings dahin gebracht hatte, nur einen unbeachteten Statisten vorstellen zu können.

Im Schlosse zu Greenwich, wo die Königin von England zur Zeit von Marias Entbindung Hof hielt, spielte sechs Tage nach der charakteristischen Szene, die im Wochenbettzimmer auf dem Burgfelsen von Edinburg vorgefallen, eine nicht minder bezeichnende. Die Königin von Schottland hatte James Melvil mit der Botschaft, daß sie einen Sohn geboren, an ihre »gute Schwester« von England abgesandt. Es war Ball im Bankettsaal zu Greenwich, als der Bote anlangte, und Elisabeth ließ sich wie gewohnt als Tänzerin bewundern. Cecil neigte sich zu ihrem Ohre, um ihr die Neuigkeit zuzuflüstern. Es traf sie wie ein Schlag. Sie trat aus der Quadrille, ließ sich auf einen Stuhl fallen und bedeckte das Gesicht mit den Händen. Der Neidwurm nagte an ihr. Als ihre Damen sie verwundert umringten, brach sie aus: »Die Königin von Schottland ist Mutter eines hübschen Jungen und ich bin nur ein dürrer Strunk!« Am folgenden Morgen war jedoch die abends zuvor in einem Augenblick der Überraschung gefallene Maske schon wieder vorgesteckt und wohlbefestigt. »Die Freudenbotschaft, die Ihr mir gebracht«, sagte sie zu Melvil, »hat mich von einer heftigen Unpäßlichkeit kuriert, woran ich seit vierzehn Tagen gelitten. Sagt Eurer Gebieterin, daß sich über dies glückliche Ereignis niemand mehr freuen kann als ich.« Der Gesandte brachte hierauf im Namen Marias die Bitte vor, Elisabeth möchte die Patin des Neugeborenen sein. »Mit dem größten Vergnügen«, sagte die Königin. »Dies würde«, meinte Melvil, »eine gute Gelegenheit für Eure Majestät sein, meine Gebieterin zu sehen, wie Ihr ja schon mehrmals gewünscht habt.« – »Ja freilich; möchten nur meine Angelegenheiten es gestatten!« versetzte Elisabeth mit dem anmutigsten Lächeln, das sie aufzubringen vermochte.

8.

Wenn einem der Späher und Laurer, welche Elisabeth bald unter diesem oder jenem Vorwand und Titel in Schottland hielt, zu glauben ist, so hat Maria in den letzten Monaten ihrer Schwangerschaft einmal den Gedanken gehabt, sich von Darnley scheiden zu lassen. Es wäre gut für sie gewesen, wenn sie diesen Gedanken nicht nur gehegt, sondern auch verwirklicht hätte. Möglich, daß die kirchlichen Schwierigkeiten, welche die Sache hatte, sie sofort wieder davon abbrachten.

In diese letzten Monate und Wochen vor ihrer Niederkunft sollen nun auch, wie ihre Ankläger – insbesondere der gelehrte Buchanan, welcher Marias ihm vielfältig erzeigte Güte und Huld mit schnödem Undank vergalt – behauptet haben, die Anfänge der Leidenschaft gefallen sein, welche die Königin zu James Hepburn, Graf von Bothwell, hinriß. Die hierfür beigebrachten Beweise sind aber so schwach, daß sie schlechterdings kein bejahendes Verdikt zu tragen vermögen. Wahr ist, daß sich gerade in dieser Zeit nähere Beziehungen zwischen Maria und dem genannten Lord knüpften; allein man darf dieser Anknüpfung ohne Zwang zunächst rein politische Motive unterlegen. Bothwell war von Haus einer der mächtigsten Barone des Landes und außerdem als Statthalter der Grenzlande gegen England zu in einer sehr wichtigen Stellung; er legte auch großen Eifer und energische Beflissenheit für den Dienst seiner Königin dar. Diese, deren ganze Macht, wie man nicht vergessen darf, im Grunde darauf beruhte, daß sie ein gewisses Gleichgewicht zwischen den verschiedenen Adelsfraktionen zu erhalten vermochte, mag anfänglich in Bothwell nur einen Mann gesehen haben, der das Zeug hätte, gegenüber der Partei, welche in Murray und Morton ihre Häuptlinge anerkannte, der Führer einer ihrer königlichen Person mit Eifer ergebenen Partei zu werden und zu bleiben. Darin täuschte sie sich freilich gröblich, und es war die zweite der bösesten Stunden ihres Lebens, als sie sich entschloß, einem Menschen ihr Vertrauen zu schenken, der an Liederlichkeit mit den ausschweifendsten seiner Mitbarone wetteiferte, an Machtgier aber und an Ruchlosigkeit alle überbot und in seinem ganzen Wesen nur den einen erträglichen Zug hatte, daß er kein Heuchler war, das Böse frei und frank tat und es verschmähte, seine Frevel mit dem gleißenden Mäntelchen religiösen Eifers aufzuflittern, wie so mancher seiner Mitlords zu tun sich nicht entblödete. Wie diese, sah auch Bothwell die herkömmliche schottische Anarchie als einen ihm von Rechts wegen zustehenden Fischteich an, aber er warf und zog sein Netz am hellen Tage und mit einer Frechheit, welcher keine andere gleichkam.

Seltsam, hinsichtlich des Charakters dieses schließlich in einem dänischen Kerker zugrunde gegangenen Menschen gab es nie eine Meinungsverschiedenheit: er galt allen für einen steinhart gesottenen Wüstling und Banditen, während über seine persönliche Erscheinung Nachrichten auf uns herabgelangt sind, die einander geradezu widersprechen. Die einen dieser Berichte schildern ihn als jugendlich schön und mannhaft-stattlich von Gestalt, geschmeidig und einschmeichelnd von Gebaren, als in allen Künsten, den Frauen zu gefallen, wohlgeübt, kurz, als den unwiderstehlichen schottischen Don Juan. Die andern wollen, er sei ein häßlicher Kerl gewesen, einäugig, unansehnlich von Gestalt, ungehobelt, plump von Manieren. Die Wahrheit wird wohl sein, daß er weder ein Adonis noch ein Blaubart war, und jedenfalls muß er etwas Anziehendes und Fesselndes besessen haben. Sonst wäre es, abgesehen von der Anziehungskraft, welche er auf die feingebildete Maria Stuart übte, unbegreiflich, daß nach dem Einsturze seines Glückes so viele und auch solche, welche nicht seine Klanleute gewesen, bei dem verfemten und gehetzten Flüchtling ausgehalten haben.

Die Kriminalakten aller Länder tun sattsam dar, daß gerade wildeste Bösewichte auf ihre Umgebung einen faszinierenden Einfluß ausüben, und daß der rücksichtslos alle Schranken niederwerfende Frevelmut diabolische Blendungsgewalt besitzt. Anders könnten wir uns die souveräne Macht, welche Bothwell über Maria erlangte, nicht erklären. Diese Macht zu leugnen oder auch nur zu verkleinern, ist ganz lächerlich; das Moment der Schuld auf seiten der Königin in ihrem Verhältnisse zu dem Banditen bestreiten zu wollen, war, ist und wird sein ein Unterfangen, das unmöglich anders als mit einem Fiasko enden konnte, kann und können wird – es müßte denn sein, daß die wirklichen Originalhandschriften der Korrespondenz Marias mit Bothwell doch einmal zum Vorschein kämen, was aber höchst unwahrscheinlich Auch der umsichtige Erforscher und Darsteller der Geschichte Maria Stuarts, Jules Gauthier (» Histoire de Marie Stuart«, 3 vols. Paris 1869) hat den Schuldberg, welcher Bothwell heißt, nicht aus dem Leben seiner Heldin wegzuräumen vermocht, und es ist die schwache Seite seines Werkes, daß er auch da als Apologet aufzutreten versucht, wo eine Apologie nicht nur schlecht am Platze, sondern auch unmöglich ist. Mit überzeugender Klarheit hat Gauthier dagegen die Fäden des Spiels bloßgelegt, das Elisabeth in Gemeinschaft mit einem Teil des schottischen Adels gegen Maria spielte. Das Buch leidet leider da und dort an einem Anfluge katholisierender Tendenz, gereicht aber, als Ganzes betrachtet, der französischen Historik wahrhaft zur Ehre. Ich will noch anmerken, daß zur Zeit, als ich meinen Essay schrieb, die bezüglichen Bücher von Petrick (»Briefe der Maria Stuart an Bothwell und deren Unechtheit«, 1873), Gädeke (»Maria Stuart«, 1879), Opitz (»Maria Stuart«, 1880) und Bekker (»Maria Stuart, Darnley, Bothwell«, 1881) noch nicht erschienen waren. Nach pflichtgemäßer Kenntnisnahme von diesen Untersuchungen und Darstellungen muß ich erklären, daß ich dadurch in meiner Auffassung der Charaktere, der Handlungsweise und des Verhältnisses der beiden Königinnen nicht nur nicht erschüttert, sondern vielmehr noch bestärkt worden bin..

Wollte man den Feinden Marias glauben, so müßte man annehmen, sie hätte schon im Winter 1565 zu 1566 mit Bothwell geliebelt. Allein damals betrieb der gräfliche Bandit seine Heirat mit der Lady Jane Gordon, einer Schwester des Grafen Huntley, und die Königin bemühte sich um das Zustandekommen dieser Verbindung, welche Ende Februar 1566 geschlossen wurde. Ist es nun, muß man fragen, denkbar, daß eine verliebte Frau, und zwar eine frischverliebte Frau, nichts Eiligeres zu tun habe, als den Geliebten an eine andere zu verheiraten? Kein Weiberkenner dürfte diese Frage bejahend beantworten.

Allein wozu Fragen aufwerfen und Antworten versuchen über ein im Grunde ganz gleichgültiges Problem? Ob Maria etliche Monate früher oder später der unheilvollen Gewalt Bothwells sich anheimgab, ändert ja wenig oder nichts an der Sache. Denn diese Anheimgabe ist eine Tatsache, die keine Advokatenkunst der Erde wegzulügen vermag.

Es steht fest, daß die Königin, kaum von ihrem Wochenbett aufgestanden, zu Bothwell, den sie als Königin mit Gunstbezeigungen überschüttete, auch als Frau in vertrautere Beziehungen getreten ist. Ihr ganzes Gebaren dem Bösewicht gegenüber war zweifellos ein solches, daß er dadurch in seinen verwegenen Wünschen und frevelhaften Entschlüssen bestärkt werden mußte. Allerdings tat der kindischtrotzige Schmoller Darnley nach Kräften das Seinige, um seine Frau mehr und mehr bereuen zu machen, daß sie eine »hohle Hopfenstange« geheiratet hatte. Allein weder dieser Umstand noch die Zettelungen der elisabethisch gesinnten Adelsfraktion vermögen irgendwie das zu rechtfertigen, was Maria in den letzten Monaten von 1566 und in den ersten von 1567 teils zuließ, teils mittat.

Ihr Benehmen konnte gar nicht verdächtiger sein, als es war, und es hätte unmöglich so sein können, wie es war, wenn sie nicht der Bestrickung durch Bothwell zu Ausgang des Jahres 1566 bereits erlegen gewesen wäre. Wollte man sich in den Glaubenskreis von damals versetzen, so müßte man, um die Handlungsweise der Königin zu erklären, sagen, sie wäre behext worden. Denn wie alles Verstandes und Willens bar, folgte sie den Antrieben des Banditen, der nach der Krone von Schottland griff.

Es ist sehr wahrscheinlich, daß Bothwell, indem er Darnley mordete, diese Schandtat nicht auf seine alleinige Rechnung, sondern auch auf die der englisch gesinnten Adelspartei vollbrachte, und daß daher Morton, Lethington und viele andere Lords, Murray nicht ausgeschlossen, seine Mitschuldigen gewesen sind. Aber es steht fest, daß Maria es war, welche, scheinbar mit ihrem Gemahl ausgesöhnt, den von der Pockenkrankheit notdürftig genesenen Unglücklichen von Glasgow holte und in dem Hause Kirk of Field außerhalb der Ringmauer Edinburgs einquartierte, welches Haus für Bothwells mörderische Absichten wie gemacht war. Es steht ferner fest, daß die Königin am Abend des 9. Februar 1567 mehrere Stunden lang in Darnleys Krankenzimmer verweilte, während im Untergestock schon die Vorbereitungen zu der Mordtat getroffen wurden, die, während Maria in der Banketthalle von Holyrood tanzte, nach Mitternacht das Haus mitsamt Darnley in die Luft schleuderte.

Mit Vorbringung dieser Tatsachen will nicht etwa bewiesen werden, daß die Königin um Bothwells Mordplan gewußt, ihn gebilligt und wissentlich zur Ausführung des Greuels mitgewirkt hätte. Nein, sondern nur das soll und muß dadurch für bewiesen gelten, daß sie zur angegebenen Zeit ein willenloses Werkzeug in Bothwells Bubenhänden gewesen ist.

In Wahrheit, der Beweis für Marias Mitschuld an der Ermordung ihres Gatten ist nicht geführt und wird wohl niemals zu führen sein. Zwar haben, wie bekannt, nachmals, als die Königin eine Gefangene in England war, Murray und seine Parteigenossen diesen Beweis beibringen zu können erklärt und haben ihn in den Augen der Kommissäre der Königin Elisabeth wirklich beigebracht. Aber, wohlverstanden, nur in den Augen dieser Kommissäre, die nichts waren als die servilen Werkzeuge Burleighs und Walsinghams.

Und worin bestanden diese angeblichen Beweise? In dem Inhalt der sogenannten »silbernen« Kassette, welche Maria dem Bothwell geschenkt und worin dieser die von ihr an ihn gerichteten Briefe und Sonette verwahrt hätte. Als tatsächlich angenommen, der Bandit habe Briefe und Sonette von der Königin empfangen, waren es die echten Schriftstücke, die die silberne Kassette enthielt, als sie in England durch Murray eröffnet und geleert wurde? Kein Mensch kann das mit Grund behaupten. Denn nicht die Originale sind von Murray und seinen Helfershelfern vorgebracht worden, sondern nur Abschriften, und vergebens haben die Bevollmächtigten Marias die Vorlage der Originale verlangt, ja sie haben sogar vergebens gefordert, daß man wenigstens die Abschriften ihrer Gebieterin vorlege, damit diese darüber vernommen werden und angeben könnte, was an und in den Papieren echt oder falsch sei.

Kein Mensch, es wäre denn ein von allem Gerechtigkeitssinn verlassener, wird einen also geführten Schriftbeweis für einen wirklich erbrachten erklären wollen. Aber es gehörte, wie leicht begreiflich, mit zum elisabethischen System, die Königin von Schottland für des Mordes ihres Gemahls mitschuldig gelten zu lassen, und so wurden die Papiere des silbernen Kästchens für durchweg echt erklärt und als echt ausgetrompetet. Maria ihrerseits hat bis zu ihrem letzten Atemzug behauptet, daß sie nicht Mitwisserin von Bothwells mörderischer Absicht gewesen, sowie, daß die mehrerwähnten, als Schuldbeweise gegen sie gebrauchten Papiere, welche man sie schlechterdings nicht sehen ließ, ganz oder teilweise gefälscht seien. Wer die Skrupellosigkeit der Politik Burleighs und Walsinghams, sowie die Schurkerei der schottischen Spießgesellen dieser englischen Minister kennt, wird nicht anstehen, die starke Möglichkeit, die hohe Wahrscheinlichkeit, um nicht zu sagen die zweifellose Wirklichkeit einer veranstalteten und verübten Fälschung zuzugeben. Für einen Menschen wie Lethington zum Beispiel wäre so etwas nur ein Spaß gewesen, und einen Lethington dazu anzueifern, hätte sich ein Burleigh oder Walsingham keinen Augenblick besonnen.

9.

Wenn aber die Frage, ob Maria der Mitschuld an dem schrecklichen Mord von Kirk of Field zu zeihen sei, zu ihren Gunsten sich erledigen mag, so ist dies keineswegs der Fall mit der weiteren Frage: Hat sie die mittels dieses Mordes geschaffene Situation nicht leichtsinnig angenommen?

Sie fand und fügte sich so in diese Situation, daß sie notwendig als die Mitschuldige Bothwells erscheinen mußte. Das ist der furchtbare Makel, den kein Anwalt von der Gestalt der Königin wegwaschen und wegätzen kann.

Daß Maria es verschmähte, am 10. Februar 1567 die betrübte Witwe zu spielen, darf ihr keineswegs als Fehl angerechnet werden. Vor diesem verhäßlichenden Zug wenigstens blieb ihre Gestalt bewahrt. Elisabeth hätte, an die Stelle ihrer Base versetzt, zweifelsohne an Darnleys Leiche ebenso leicht dicke Krokodilstränen vergossen, wie solche Katharina II. an der Leiche Peters III. vergoß. Maria konnte oder wollte es nicht. Aber sie fehlte gegen die gewöhnlichsten Regeln des Anstands, als sie es geschehen ließ, daß ihr ermordeter Gatte in der schluderigsten Weise bestattet wurde. Mußte sich da nicht jedermann die Erinnerung aufdrängen, wie sorgsam sie darüber gewacht hatte, daß den Überresten Riccios die letzte Ehre erwiesen würde? Und noch weiter ging der schneidende Kontrast. Damals hatte sie ihre ganze Befähigung und Tatkraft aufgeboten, um den Mord des italienischen Geigers zu rächen, und hatte sie das energisch betriebene Strafgericht zu einem guten Teile durchgesetzt. Jetzt duldete sie, daß die in betreff der Ermordung ihres Gemahls langsam und lässig angehobene Untersuchung und die ihr folgende Prozedur wie ein augenscheinliches Possenspiel betrieben wurde. Sie scheute sich sogar vor Schlimmerem nicht: während sozusagen jedermann mit Fingern auf Bothwell als auf Darnleys Mörder hinwies, während öffentliche Maueranschläge ihn bestimmt als solchen bezeichneten, trug die Königin nicht einmal Sorge, die Gunst, in der der Bandit bei ihr stand, auch nur einigermaßen zu verbergen.

Das war denn doch ein Ärgernis sondergleichen. Aber dieses Ärgernis sollte sich noch beträchtlich steigern, sollte zu einer wahrhaft ungeheuerlichen Potenz des Schandbaren erhoben werden: – Maria heiratete den offenkundigen Mörder ihres Gatten.

Diese ganze Heiratsgeschichte ist ein Abgrund von Frevel und Schmach.

Allerdings war die Königin das Opfer von Bothwells frechen Ränken, aber war sie es nicht freiwillig? Kein Mensch von Wahrheitsgefühl kann diese Frage verneinen. Wie kann ein Apologet die Stirn haben, ernsthaften Männern den angeblich gewaltsamen Überfall Marias bei Foulbriggis durch Bothwell am 24. April 1567 und ihre Entführung nach Dunbar als etwas Ernsthaftes aufbinden zu wollen? Wie kann man lügen, die Königin hätte sich der Gewalt – wohlverstanden, der materiellen Gewalt des Banditen nicht zu entziehen vermocht? Hatte sie doch früher und hat sie doch später hinlänglich bewiesen, daß sie das Talent und die Kraft besaß, unter viel schwierigeren Verhältnissen ihren Willen durchzusetzen und sich durch ganz andere Hindernisse Bahn zu brechen. Sie, welche nach Riccios Ermordung aus Holyrood entkommen war, sie, welche nachmals sogar aus ihrer strengen Haft zu Lochleven zu entwischen wußte, sie hätte im April 1567 nicht aus Dunbar herauszukommen vermocht? Die Wahrheit ist, sie wollte nicht. Sie wollte vielmehr den elenden Schurken zum Manne haben, der ihren Geist völlig unterjocht hatte. Mit schamloser Hast wurde die Vollziehung des sündhaften Bündnisses betrieben, und nachdem eine formlose Scheidung Bothwells von seiner Frau erschlichen worden, reichte die Witwe Darnleys seinem Mörder am 15. Mai in Holyrood vor dem Altar die Hand.

Am folgenden Morgen fand man an das Schloßtor den Pentameter Ovids geschrieben:

» Mense malas maio nubere vulgus ait« Böse Weiber heiraten im Mai, also behauptet das Volk. …

Falls es überhaupt etwas gäbe, was die betörte Königin entschuldigen könnte, so wäre dies das Gebaren, das der schottische Adel bei Gelegenheit der Ermordung Darnleys und der Heirat Marias mit Bothwell eingehalten hat. Auch mit Aufbietung aller List und Macht, deren sie fähig und habhaft, hätten die Königin und der gräfliche Bandit die Prozessierung des letzteren nicht zu einer solchen wüsten Verhöhnung von Recht und Gerechtigkeit, wie sie war, zu machen vermocht, falls nicht die Aristokratie in ihrer überwiegenden Mehrzahl mittelbar und unmittelbar dazu mitgeholfen hätte. Seine mitschuftigen Mitpeers sprachen den Mörder frei, und diese Lumpe von Lords gingen noch weiter. Achtundzwanzig derselben, acht katholische und protestantische Prälaten und zwanzig protestantische und katholische Grafen, Barone, Lords und Lairds, schlossen, unterzeichneten und besiegelten am Abend des 19. April einen förmlichen »Bond« (Schein, Urkunde) zugunsten Bothwells. Im ersten Teile dieses charakteristischen Aktenstückes erklärten sie, »bei Edelmannswort und Edelmannstreue« den Grafen Bothwell für völlig unschuldig an Darnleys Ermordung; im zweiten gaben sie der Königin den Rat, sie möchte »in Betracht der vortrefflichen Eigenschaften und guten Dienste Bothwells« diesen zum Gemahl nehmen.

Daß dieser »Bond« die Königin in ihrer wahnsinnigen Betörung bestärken mußte, ist klar. Kaum weniger klar ist, daß diese Machenschaft, natürlich von Bothwell angezettelt, eifrig von der im englischen Solde stehenden Partei, die das Verderben Marias wollte, unterstützt wurde. Aber wunderlich muß es erscheinen, daß der Bond vom 19. April auch von dem Bischof von Roß und von Lord Herries unterzeichnet worden ist, welche beide sich später als unverbrüchlich treue Anhänger ihrer Königin erwiesen haben. Entweder waren diese Herren damals noch nicht von der Schuld Bothwells überzeugt, was sehr unwahrscheinlich ist, oder aber hatte sich dem schottischen Adel der Unterschied von Recht und Unrecht so völlig verwischt, daß selbst die besseren seiner Mitglieder gar kein Gefühl mehr dafür hatten, was sehr glaublich.

Kaum hatte sich nun Maria unwiderruflich kompromittiert und unlöslich verstrickt, als, von der Hand Burleighs geschürt, ein Aufstand gegen die »Kebse des mörderischen Bothwell« losbrach. Schon im Juni erhob sich eine große Anzahl von Baronen in Waffen. Treffend hat Scott bemerkt: »Sie hatten die unglückliche Königin in die Arme Bothwells gestoßen, sie hatten sie den Gelüsten dieses Schurken überlassen, ohne für sie eine Lanze zu erheben oder ein Schwert zu ziehen; erst dann, als Maria an den Bösewicht gekettet war, schlugen sie Alarm.« Die Rebellion war anfangs, wenn man den offiziellen Versicherungen der Rebellen glauben will, nur gegen den Gemahl der Königin gerichtet; allein es lag ja in den Verhältnissen, daß Maria kaum einen Monat nach ihrer unseligen Heirat ihre Sache nicht von der ihres Mannes trennen konnte. Die Folge war, daß das von ihr zusammengebrachte Heer auf den Höhen von Karberry auseinanderlief, Bothwell flüchtig werden und die Königin sich den aufständischen Lords als Gefangene ergeben mußte (15. Juni). Bothwell wurde hierauf aus einem Banditen ein Pirat, fiel an der Küste von Norwegen den Dänen in die Hände und endigte seine Frevelbahn in einer Kasematte von Malmö. Ihre besiegte Königin türmten die siegreichen Rebellen in der Inselburg Lochleven ein, wo sie der herben Aufsicht einer entschiedenen Hasserin unterstellt war, der Lady Douglas, weiland Margarete Erskine, Mätresse Jakobs V., Mutter Murrays. Dieser übernahm die Regentschaft im Namen seines Säuglings von Neffen. Die elisabethische Politik hatte demnach vollständig in Schottland triumphiert. Der Regent des Landes war tatsächlich nur der Statthalter der Königin von England. Murray und sein Anhang gingen noch weiter. Sie erklärten nämlich die Gefangene von Lochleven für des Thrones unwürdig und verlustig und ließen sie durch den brutalen Lindsay zwingen, ihre Abdankung zu unterzeichnen, worauf sie das Kind Jakob krönten und als Jakob VI. proklamierten. Alles Widerstreben der eingekerkerten Königin war umsonst. Sie konnte nur gegen ihre Thronentsagung als gegen eine gewaltsam erzwungene protestieren. Ihr bittweise und wiederholt gemachtes Anerbieten, vor einem rechtmäßigen Parlament gegen die auf sie gehäuften Beschuldigungen sich zu verteidigen, fand keine Beachtung. Die reformierten Kanzeln erdröhnten von den gegen die Gefangene geschleuderten Beschimpfungen und Flüchen. Knox und andere Prädikanten forderten in wutschäumenden Ergüssen den Tod Marias. Die »Religion der Liebe« führte sich wieder einmal sehr liebevoll auf.

Die Königin war beschimpft, geschlagen und gefangen, aber sie fühlte und gab sich nicht besiegt. Wohl mußte der Rückblick auf die unselige Bothwelliade sie zu Boden drücken, allein die Spannkraft ihres Geistes widerstand diesem Druck, und zum tödlichen Ärger der griesgrämigen Burgfrau von Lochleven trug die Gefangene das Haupt so hoch und stolz, wie nur jemals eine Königin es getragen hat.

Lady Douglas sollte aber noch mehr Grund zum Ärger und Kummer erhalten. Ihr eigen Fleisch und Blut empörte sich wider sie: ihr achtzehnjähriger Sohn George Douglas trat in Einverständnis mit der Gefangenen und arbeitete an der Befreiung derselben. Nicht aus romantischer Liebesleidenschaft, wie da und dort, besonders in Walter Scotts vortrefflichem Roman » The abbot« (Der Abt) rührend zu lesen ist. Der junge Mensch war so habsüchtig, wie nur jemals ein Schotte gewesen, und wollte mit der Befreiung Marias einfach ein Geldgeschäft machen. Mit Beihilfe des Pagen seiner Mutter, Willie Douglas, welcher vielleicht ein von der Bank gefallener Halbbruder von George war, gelang es ihm, die Entweichung der Königin aus Lochleven vorzubereiten und in der Abenddämmerung vom 2. Mai 1568 glücklich zu bewerkstelligen.

Kaum in Freiheit, hatte Maria ein Heer um sich, was immerhin beweist, daß sie keineswegs in den Augen aller Schotten oder auch nur der Mehrzahl derselben das »scharlachene Weib« gewesen ist, für welches fanatische Bonzen sie ausschrien. Allein die Barone, die ihre Vasallen der Königin zuführten, besaßen weit mehr Mut und Eifer als Geschicklichkeit. Sie überstürzten, die Warnungen der einsichtigeren unter ihnen in den Wind schlagend, die Entscheidung, indem sie die ihnen am 13. Mai bei Langside von seiten Murrays gebotene Schlacht annahmen, die für die Armee Marias zu einer entschiedenen Niederlage ausschlug. Nach einer jammervollen Flucht erreichte die Königin zwei Tage später die Abtei Dundrennan. Hier faßt sie den bösen Entschluß, ein Asyl in England zu suchen, das heißt ihrer Todfeindin sich in die Hände zu geben. Vergebens beschwor Lord Herries seine Gebieterin, Schottland nicht zu verlassen. Eine grausame Proklamation, welche Murray von der Walstatt von Langside aus gegen seine besiegte Schwester geschleudert hatte, gelangte nach Dundrennan und machte auf Maria einen Eindruck, als fühlte sie den Boden Schottlands unter ihren Füßen brennen. Sie schrieb an Elisabeth, daß sie nur noch auf Gott und ihre Base hoffe, und am 16. Mai fuhr sie in einem Fischerkahn von Dundrennan über den Solway nach Workington in Cumberland hinüber.

Im Schlosse zu Karlisle wurde sie zehn Tage später durch Lord Skrope und Sir Francis Knollys im Namen der Königin von England begrüßt: aber in so zurückhaltender Weise, daß Maria schon daraus entnehmen konnte, wie sehr sie sich getäuscht hatte, wenn sie wähnte, bei Elisabeth Beistand und Hilfe zu finden. Skrope und Knollys schrieben an ihre Herrin: »Nach den mit der Königin von Schottland geführten Gesprächen zu schließen, besitzt sie einen anschlägigen Kopf und eine beredsame Zunge; ebenso, wie uns scheint, ein hochsinniges Gemüt und eine große Energie.« Das klang in den Ohren Elisabeths sehr unliebsam. Aber die verhaßte Nebenbuhlerin war ja in ihrer Gewalt und sollte darin bleiben. Das stand sofort fest. Unter keiner Bedingung durfte Maria mehr nach Schottland zurückkehren, über welches Land man ja jetzt nach ihrer Entfernung mittels der Murray, Morton und Kompanie vollständig Herr war. Aber man mußte den Schein wahren, insbesondere Frankreich gegenüber, um jede Möglichkeit eines Einschreitens zu Marias Gunsten von dorther abzuschneiden. Die entthronte und gefangene Königin sollte demnach eines blassen Anscheins von Freiheit und Königschaft genießen, so daß man je nach den Umständen sie hervorziehen oder zurückschieben, mit ihr unterhandeln, sie den schottischen Baronen, falls diese sich etwa mausig machen wollten, als Schreckbild zeigen, kurz, als ein Werkzeug der elisabethischen Politik handhaben konnte.

In Wahrheit ist Maria Stuart von der Stunde an, wo sie den Fuß auf englischen Boden gesetzt hat, eine Gefangene gewesen, obwohl man ihr einen kleinen Hofhalt gestattete, dessen Kosten sie vorzugsweise mittels ihres französischen Wittums deckte. Es hätte härter ausgesehen, wäre aber viel weniger grausam gewesen, wenn Elisabeth ihre Base von Anfang an in strengem Gewahrsam halten ließ. Denn dadurch wären der Gefangenen die Mittel entzogen worden, gegen ihre Feindin jenen vieljährigen und fruchtlosen Verschwörungskampf zu unterhalten, der notwendig zu einer schrecklichen Katastrophe führen mußte. Daß Maria zu diesem Kampfe vollauf berechtigt war, kann gar keiner Frage unterstehen. Man mag dem eingekäfigten Falken hundertmal vorschwatzen, er möge sich in sein Schicksal ergeben und geduldig hinnehmen, was über ihn verhängt sei: der Falk wird darum doch nicht aufhören, den Versuch zu machen, ob sich der abscheuliche Käfig nicht so oder so zertrümmern ließe.

10.

Aber der Käfig war fest. Der Falk hat sich nur das Gefieder und schließlich das Leben an dem Gitterwerk zerstoßen und gebrochen.

Neunzehn Jahre lang hatte Maria das bittere Brot der Gefangenschaft zu essen. Je nach der Laune Elisabeths ist sie von einem Kerkerschloß ins andere, von dem dritten ins vierte, fünfte, sechste geschleppt worden, oft mitten im strengsten Winter, ohne Rücksicht auf die bald sehr leidend gewordene Gesundheit der Gefangenen, in unbequeme kalte und feuchte Gelasse. Fotheringay war die letzte Station auf diesem ihrem Lebenswege, der finstere Puritaner Amyas Paulet ihr letzter Kerkermeister.

Man muß der unglücklichen Frau nachrühmen, daß sie auch als widerrechtlich Gefangengehaltene den Streit mit ihrer Feindin lange Zeit hindurch mit großer Geduld und Ehrenhaftigkeit geführt hat. Immer wieder getäuscht, ergab sie sich doch immer wieder der Hoffnung, auf anständige Bedingungen hin mit Elisabeth zu einem Übereinkommen gelangen zu können. Später freilich ist ihr Herz in Galle geschwommen, und wie hätte es auch anders sein können? Sie sah alle ihre Entwürfe scheitern, sie mußte erfahren, daß ihre Freunde auf Schafotten verbluteten oder in Gefängnissen verkümmerten oder im Exil darbten. Ihre Phantasie war getrübt, ihr Gemüt verbittert, ihr Leib gebrochen. Sie war vor der Zeit gealtert, die Haare fielen ihr aus, ihr Magen versagte die Verdauungsarbeit, nur mühselig und nur wenige Schritte weit vermochte sie sich auf ihren geschwollenen Beinen zu bewegen. Den schmerzlichsten Stoß führte die Feindin auf sie, indem sie ihr den Sohn, das einzige Kind, entfremdete. Jakob VI. verkaufte sozusagen seine Mutter an die Königin von England um etliche tausend Pfund jährlich, das heißt er bezog eine Pension von Elisabeth unter der stillschweigenden Bedingung, nichts zugunsten der Eingekerkerten zu unternehmen. Der fischblütige junge Halunke kaufte sich von seiner Sohnespflicht mittels eines Zynismus los, indem er von seiner Mutter sagte: »Mag sie das Bier hinunterwürgen, das sie gebraut hat.«

Einmal ist dann auch der Groll und Zorn, wie er sich in der gequälten Frau jahrelang angesammelt und gestaut hatte, überschwellend ausgeborsten, und zwar in Form jenes berüchtigten Briefes, den Maria im November 1584 an Elisabeth schrieb. Sie riß darin der scheinheiligen Feindin die Maske der Jungfräulichkeit ab und rückte ihr in keineswegs sehr zarten Ausdrücken alle die Buhlereien und Unzüchtigkeiten vor, die Elisabeth nach der Aussage ihrer gewesenen Ehrendame, der Gräfin Shrewsbury, mit Leicester, Hatton, Simier und dem Duc d'Alençon getrieben hatte. Auch die grenzenlose Eitelkeit, sowie der brutale Jähzorn der Tochter Heinrichs VIII. erhielten in dieser Epistel ihr gehöriges Teil.

Wahrscheinlich ist dieser Brief niemals an Elisabeth gelangt, sondern von den Spähern und Kundschaftern, mit denen Burleigh und Walsingham die gefangene Königin umringt hielten, aufgefangen worden. Die englischen Minister mochten es für ganz überflüssig halten, den ohnehin regen Zorn ihrer Gebieterin durch eine Zuschrift dieser Art noch mehr anzufachen, und es war in der Tat überflüssig. Elisabeth haßte ihre Gefangene schon darum sattsam, weil sie der Ärmsten so viel Unheil bereitet und so schnödes Unrecht angetan hatte. Aber sie fürchtete die Gehaßte auch, und sie hatte Grund dazu. Maria war erst in der Gefangenschaft so recht die Hoffnung der englischen Katholiken wie die Bundesgenossin des Papstes, der Guisen und des Königs von Spanien geworden, die alle ohne Ausnahme der Königin von England nicht allein nach der Krone, sondern auch nach dem Leben strebten. Philipp II. hatte gegen Elisabeth gerichtete Mordanschläge zu wiederholten Malen mit seinem Staatsrat diskutiert, und daß der mordbrütende Geist des Jesuitismus, welcher im August 1572 den kolossalen Greuel der Bartholomäusnacht angestiftet und vollbracht hatte, noch in voller Giftblüte stand, das war neuerlich durch den 10. Juli 1584 erwiesen worden, an welchem Tage die Mordkugel des von den Jesuiten aufgehetzten Balthasar Gerard zu Delft die Brust Wilhelms von Oranien durchbohrte.

Es ist daher nur gerecht, anzunehmen, daß Elisabeth im Jahre 1586 nicht allein an die Wirklichkeit einer bevorstehenden spanischen Invasion und eines damit verbundenen Aufstandes der englischen Katholiken glaubte, sondern auch daran, daß wesentlich die Umtriebe Marias und ihrer Anhänger diese Gefahr herbeigeführt hätten. Nicht minder traute die Königin den Versicherungen ihrer Minister, daß die Gefangene von Fotheringay in das mit dem Projekt einer spanischen Landung in England aufs engste verbundene Mordkomplott, an dessen Spitze Babington stand, vollkommen eingeweiht wäre und demnach ihre, Elisabeths, von dem Genannten und seinen Mitverschworenen geplante Ermordung ausdrücklich gutgeheißen hätte.

Dieses Komplott bestand in der Tat; aber es war von Walsingham, wenn nicht angestiftet, so doch mittels gewissenloser, auf das Verderben Marias gerichteter Polizeikünste aufgepäppelt und großgezogen worden. Die ganze Machenschaft ähnelt auffallend den Komplottfindungen, wie sie der Bonapartismus zur Zeit des angeblichen Onkels wie zur Zeit des sogenannten Neffen als ein beliebtestes und wirksamstes Regierungsmittel handhabte, – Komplottfindungen, auf welche der alte Bauernspruch:

»Mattheis
Bricht 's Eis;
Find't er keins,
So macht er eins –«

wie angemessen paßt … Maria hatte ihrerseits nicht bestritten, daß sie um das spanische Invasionsprojekt wußte und es billigte. Warum auch hätte sie es nicht billigen sollen? Versprach es ihr doch Erlösung aus einer achtzehnjährigen Gefangenschaft, in der sie wider alles Völkerrecht gehalten wurde, von den Geboten der Menschlichkeit ganz zu schweigen. Wer sodann weiß, daß die Menschen nichts weniger als Engel sind und daß die christliche Phrase »Liebe deine Feinde und tu wohl deinen Hassern!« vor den tatsächlichen Leidenschaften und Interessen verschwindet wie Nebel vor dem Morgenwind, würde sich nicht sehr darüber verwundern, wenn Maria kein Bedenken getragen hätte, selbst das Leben ihrer Feindin als Preis für ihre Befreiung und Wiederherstellung zu bezahlen.

Allein die unglückliche Gefangene hat der Bezichtigung, um Babingtons Mordplan gewußt und ihn gebilligt zu haben, ein energisches Nein entgegengesetzt und es bis zuletzt aufrechterhalten, während sie ihr Einverständnis mit der großen katholischen Kombination ohne weiteres zugab. Man wollte sie mittels eines von Babington an sie geschriebenen Briefes und mittels ihrer Antwort überweisen: sie forderte die Vorlage der Originale, indem sie dem Staatssekretär Walsingham ins Gesicht sagte, er wäre ganz der Mann dazu, ihre durch seine Spione aufgefangene Korrespondenz gefälscht zu haben. Die Originale wurden aber der Angeklagten jetzt so wenig vorgelegt wie damals, als es sich um die Papiere des »silbernen Kästchens« gehandelt hatte.

11.

Überhaupt war die Prozedur, der Maria im Herbste 1586 unterworfen wurde, von A bis Z ein grober Spott auf alle Rechtspflege, eine ebenso schamlose Verhöhnung des Rechtes, wie der Prozeß Bothwells eine gewesen war.

An die Spitze der untersuchenden und richtenden Kommission, welche Elisabeth ernannte, wurden Marias Todfeinde Burleigh und Walsingham gestellt, die es als eine Hauptaufgabe ihrer Staatskunst betrachteten, der Angeklagten das Leben zu nehmen. Man scheute nicht vor der Roheit zurück, der kranken, gebeugten und verlassenen Frau keinen Rechtsbeistand und Anwalt zu gestatten. Man ging in einer Weise vor, welche es rein unmöglich machte, die Wahrheit zu finden. Sowie Maria erfuhr, daß man sie in das Mordkomplott Babingtons verwickeln wollte, verlangte sie mit diesem und seinen Mitschuldigen konfrontiert zu werden. Umsonst. Man beeilte sich vielmehr, Babington und seine Mitverschworenen hinzurichten, damit der angeklagten Königin jede Berufung auf diese Zeugen abgeschnitten wäre. Maria, welche in ihrem souveränen Königsbewußtsein es ganz gut hätte ablehnen können, ihren Anklägern Rede zu stehen und Antwort zu geben, tat alles ihr Mögliche, um die Falschheit der schwersten auf sie gehäuften Beschuldigungen zu erweisen; ihre Richter dagegen, welche nur ihre Henker gewesen sind, wandten gleichermaßen List und Brutalität auf, um diese Absicht der Unglücklichen zu vereiteln und das Opfer wehrlos zu machen.

Sogar ihre bittersten Feinde haben nicht zu bestreiten gewagt, daß, als Maria am 14. Oktober in der großen Halle von Fotheringay vor ihren Richtern erschien, ihre Haltung voll edelster Fassung und Würde war. Auf die von seiten Burleighs an sie ergangene Aufforderung, die gegen sie gerichtete Anklageakte anzuhören, gab sie diese Erklärung ab: »Ich bin nach England gekommen, um den Beistand nachzusuchen, der mir versprochen worden war. Jedermann weiß, daß ich allem Recht und allen Gesetzen zuwider als Gefangene in diesem Lande zurückgehalten worden bin. Was eure Kommission angeht, so hat niemand das Recht, eine solche zu bestellen, weil niemand über mir steht. Ich bin als freie und souveräne Fürstin geboren und nur Gott für meine Handlungen verantwortlich. Ich erkenne in euch weder meine Pairs noch meine Richter an, und wenn ich einwillige, euch Rede zu stehen, so geschieht das nur, weil ich will und um zu beweisen, daß die gegen mich gerichteten Anklagen falsch und verleumderisch sind.«

Im Verlaufe der Verhandlung bemerkte sie mit Bitterkeit, man habe Babington hingerichtet, um die von ihr begehrte Konfrontation mit ihm unmöglich zu machen, und fügte die Frage hinzu, warum man denn nicht wenigstens ihre beiden verhafteten Sekretäre Nau und Kurle herbeigebracht hätte, um sie ihr, wie sie verlangte, gegenüberzustellen. Es würde wohl geschehen sein, so man sicher wäre, daß diese Zeugen ihre angeblichen Geständnisse auch in ihrer, der Angeklagten, Gegenwart wiederholten. Daß sie, wie die Vorbringung dieser Zeugen, so auch die der Originale der ihr zugeschriebenen brieflichen Äußerungen gegenüber Babington vergeblich forderte, ist schon erwähnt worden. »Man gründet Beschuldigungen auf meine Briefe«, rief sie aus, »und man beraubt mich, indem man mir die Mitteilung der Originale verweigert und mir meine Papiere wegnahm, aller Mittel, die Falschheit dieser Beschuldigungen darzutun.« Schließlich sagte sie: »Meine einzigen Verbrechen sind meine Geburt, die Beschimpfungen und Leiden, die man mir angetan hat, und die Religion, die ich bekenne. Auf meine Geburt bin ich stolz; die mir widerfahrene Unbill weiß ich zu verzeihen, und was meine Religion betrifft, so ist sie mir Trost und Hoffnung in meiner Trübsal, und ich bin bereit, sie mit meinem Blute zu besiegeln. Allzeit habe ich das Leben der geringsten Kreatur Gottes geachtet. Es liegt viel mehr in meiner Natur, zu beten wie Esther, als das Schwert zu ergreifen wie Judith. Im übrigen wäre es töricht, es auf den Urteilsspruch von Menschen ankommen zu lassen, welche meine notorischen Feinde sind. Ich verlange, angeklagt zu werden und mich verteidigen zu dürfen vor dem Parlament von England, in Gegenwart der Königin und ihres Staatsrats.«

Eitle Berufung! Am 25. Oktober versammelte sich die Kommission statt zu Fotheringay in Westminster und sprach die Königin von Schottland, ohne sie noch einmal zu hören, nach dem ganzen Umfange der Anklage schuldig. Nur einer der Richter, Lord Zouch, trug Scham und Scheu, diesem Schand- und Spottverfahren durch sein Ja beizustimmen. Der gefällte Spruch, der selbstverständlich von den beiden Häusern des Parlaments bestätigt und von der Bevölkerung Londons mit tobender Freude begrüßt wurde – die Regierung hatte Sorge getragen, den »protestantischen Geist« gehörig zu kitzeln und die öffentliche Meinung mit einer ungeheuren Schüssel voll »papistischer« Schauergeschichten zu traktieren – der gefällte Spruch war ein Todesurteil, dessen Vollziehung nur von der Laune Elisabeths abhing.

Die Manier nun, wie sich die Königin als zwischen den Forderungen des Staatswohls und ihren Bedenklichkeiten schwankend darstellte; die infame Zumutung, welche sie mehr oder weniger offen ihrer Umgebung machte, man sollte sie von ihrer Base »befreien«, ohne daß eine Hinrichtung stattzufinden brauchte Elisabeth hatte schon im August 1586 in diesem Sinne einen wahrhaft diabolisch arglistigen Brief an Amyas Paulet geschrieben. Der rauhe, aber ehrliche Puritaner verstand nicht oder wollte nicht verstehen. Später schrieben Walsingham und Davison deutlicher an ihn und machten ihn darauf aufmerksam, daß er der Königin einen großen Dienst erwiese, so er sie im geheimen von Maria Stuart »befreite«. Paulet wies die schändliche Zumutung mit großer Entrüstung zurück. Als Davison die Königin davon in Kenntnis setzte, brach sie in Schelt- und Schimpfworte aus über den »affektierten Formenreiter«.; die Art und Weise, wie sie sich ihre Unterschrift zu Marias Todesurteil scheinbar ablisten oder abnötigen ließ; die schamlose Heuchelei, womit sie nachmals behauptete, die Hinrichtung sei ohne ihr Wissen und wider ihren Willen geschehen: – das alles hat etwas so Ekelhaftes, daß sich jeder gesunde Sinn davon angewidert fühlen muß.

12.

Die Minister Elisabeths wußten recht wohl, daß und wie sehr sie im Sinne ihrer Gebieterin handelten, wenn sie sie weiter nicht mehr mit der Sache behelligten, sondern die Vollziehung des von der Königin unterfertigten Todesurteils auf sich nahmen. Sie taten danach.

Am 6. Februar 1587 trafen demnach die Grafen von Shrewsbury und Kent und Master Beale in Fotheringay ein, und am folgenden Tage traten sie, begleitet von Paulet und dem Sheriff der Grafschaft Northampton, vor Maria, um ihr anzukündigen, daß sie sterben müßte. »Im Namen Gottes« – gab sie zur Antwort – »gesegnet sei diese Botschaft! Denn mich verlangt sehr, diese Welt zu verlassen.«

Dann erklärte sie ruhig, aber fest, daß sie das Opfer eines Justizmordes sei, verurteilt von einem Tribunal, dem nicht das geringste Recht über sie zustand, und eines Verbrechens halber, dessen sie schuldlos. »Ich rufe Gott als Zeugen an« – schloß sie, die Hand auf ein vor ihr liegendes Neues Testament legend – »daß ich den Tod der Königin von England niemals gewollt, gebilligt oder gesucht habe.« Und als der Graf von Kent Lümmel genug war, sie anzuschnarchen: »Das ist ein papistisches Testament und Euer Schwur hat also gar keinen Wert!« führte sie den dummen Fanatiker würdig ab mit der Entgegnung: »Das ist die von der katholischen Kirche anerkannte Übersetzung. Eure Herrlichkeit muß demnach folgerichtig meinen darauf getanen Schwur für heiliger anerkennen, als wenn ich auf eure Übersetzung geschworen hätte, an welche ich nicht glaube.«

Sie forderte hierauf die Zulassung eines katholischen Priesters, um sich zum Tode vorbereiten zu lassen. Die Kommissäre schlugen es ab, weil davon nichts in ihrer Instruktion stände. Der Graf von Kent wollte ihr dann einen protestantischen Tröster oder Bekehrer aufdrängen, den Dechanten von Peterborough. »Nein« – sagte Maria – »ich will in dem Glauben meiner Väter sterben.« Worauf Kent: »Ha, Madame, bei einer solchen Verstocktheit wäre Euer Leben der Ruin unserer Religion und wird Euer Tod sie retten.«

Dieser Ausruf ließ einen Strahl von Freude über das Antlitz der Königin gleiten, und als die Kommissäre abgetreten waren, wandte sie sich zu ihren Dienerinnen mit den Worten: »Nun wohl, habe ich es euch nicht gesagt? Ich wußte, daß sie mich töten würden: ich war ein zu großes Hindernis für ihren Glauben. Aber wie bin ich glücklich! Man hat behauptet, ich sei zum Tode verdammt, weil ich gegen das Leben der Königin von England konspiriert hätte, und nun ließ sich dieser Graf von Kent das Geständnis entwischen, daß es meines Glaubens wegen geschehen sei.«

Das Schafott war in der großen Halle des Schlosses aufgeschlagen. Mittwochs, den 8. Februar (a. St.), um acht Uhr morgens, bestieg Maria Stuart das Blutgerüst. Mit welcher Fassung und Würde, ist bekannt. Da ihr rauher Kerkermeister Paulet bemerkte, daß sie sich nur mühsam auf ihren kranken Beinen hielt, bot er, vom Mitleid angefaßt, ihr zum Hinaufsteigen den Arm. Sie nahm das Anerbieten an und sagte freundlich: »Habt Dank! Das ist die letzte Mühe, die ich Euch mache.« Als Maria Antoinette am 16. Oktober 1793 die Treppe zur Guillotine hinanstieg, trat sie unversehens dem Henker Sanson auf den Fuß und bat es ihm sofort ab mit den Worten: »Entschuldigen Sie, Monsieur; ich tat es nicht absichtlich.« Es liegt eine Poesie von rührender Gewalt darin, Worte voll Sanftmut und Güte von Lippen kommen zu hören, die die teuflische Grausamkeit der Menschen schon in der nächsten Minute für immer verschließt.

Ebenfalls sanft, obzwar entschieden, wies Maria die bonzenhafte Unverschämtheit des Bekehrungsversuchs zurück, womit der Dechant von Peterborough die schon neben dem Blocke Stehende belästigte.

Aber die Weltgeschichte liebt es, in die tragischen Schlagschatten großer Katastrophen hinein mitunter die Streiflichter einer gräßlichen Komik fallen zu lassen.

Ein solches Streiflicht, zuckte über das schwarzbehangene Blutgerüst hin, als der tödliche Beilstreich aus Marias Hals gefallen war. Der Henker faßte den abgeschlagenen Kopf bei den Haaren, aber diese blieben ihm in der Hand, während das glatzköpfige Haupt auf und über den Boden hinrollte.

Seine Verblüffung überwindend, raffte der Henker es auf, hob es empor und rief: »Gott erhalte die Königin Elisabeth!« Worauf der Dechant von Peterborough, um die Stimme der »Religion der Liebe« vernehmen zu lassen: »So mögen alle Feinde der Königin vernichtet werden!« Nur eine Stimme, die des Grafen von Kent, sagte »Amen« …

Die Siegerin Elisabeth überlebte ihr Opfer um sechzehn Jahre. Sie hat fünfundvierzig Jahre lang, wie der liebedienerische Ausdruck lautet, glorreich ( glorious) regiert. Ihrer bis zur Narrheit gehenden Gefallsucht ist sie immer treu geblieben. Noch als Greisin spielte sie das junge Mädchen. Noch in den Jahren 1601 und 1602 ließ die alte Kokette sich von ihrem sklavischen Hofe bewundern und beklatschen, wenn sie mit zahnlosem Munde zur Laute sang oder mit gichtbrüchigen Beinen die Gaillarde tanzte. Nur in unbewachten Augenblicken schuf sich inmitten äußerlicher Erfolge das Gefühl innerlicher Leere Bahn, und sie sagte dann, sie wäre des Lebens satt, weil nichts mehr ihren Geist anspräche oder ihr Vergnügen machte. Das Glück jedoch blieb ihr zugetan bis zuletzt: am 3. April 1603 ist sie eines sanften und schmerzlosen Todes gestorben.

Der altfränkische Montesquieu, der in der Geschichtswissenschaft noch nicht soweit war, zu glauben, daß die einzigen Maßstäbe des historischen Urteils Erfolg oder Nichterfolg hießen, hat gemeint, »die Stellen, welche die Nachwelt (geschichtlichen Personen) anweist, hängen wie die von der Mitwelt vergebenen von den Launen des Glückes ab« – und altfränkisch gesinnte Leute wie ich, die des Dafürhaltens sind, Montesquieu hätte mehr Geist, Menschen- und Weltkenntnis in einer seiner beiden kleinen Zehen gehabt als die sämtlichen berühmten »Geschichtswissenschaftler« unserer Tage unter ihren sämtlichen Hirndecken, nehmen sich die Freiheit, zu meinen, der Montesquieusche Satz ließe sich recht wohl auf Elisabeth Tudor und Maria Stuart anwenden.

Im übrigen, wenn man die Stellungen der beiden königlichen Basen, ihren Zank und Kampf, ihre Freuden und Leiden, ihre Triumphe und Niederlagen vom allerhöchsten, das heißt vom allerunbefangensten Standpunkt betrachtet, so wird man wieder einmal ganz verstehen, wie sehr der alte Lear recht hatte, als er sagte:

»Wenn wir geboren werden, weinen wir,
Daß wir die große Narrenbühne Welt
Betreten müssen.«


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