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Siebentes Kapitel.
Die Flucht.

Die Räuber auf der Bühne. – Ein Triumph. – Dichter und Regimentsmedicus. – Nur fort von hier! – Fiesco. – Die Anthologie. – Schiller als Lyriker. – Die Laura-Oden. – Zweite Fahrt nach Mannheim. – Das Gewitter bricht los. – Der Herzog. – Im Arrest. – Kabale und Liebe. – Ein Denunciant und eine letzte Audienz. – Der Entschluß zu Flucht. – Andreas Streicher. – Ein Abschiedsgang. – Der 17. September 1782. – »O, meine Mutter!«


Sonntags den 13. Januar 1782 klebten an den Brunnensäulen und Straßenecken der Stadt Mannheim Theaterzettel, welche einem werthen Publicum anzeigten, daß Abends »präcise 5 Uhr« auf der »hiesigen Nationalbühne« aufgeführt würden: »Die Räuber, – ein Trauerspiel in sieben Handlungen, für die Mannheimer Nationalbühne von dem Verfasser Herrn Schiller neu bearbeitet.« Am Ende des Personen- und Schauspielerverzeichnisses stand ein auf Dalberg's Wunsch vom Dichter verfaßtes »Avertissement«, welches die moralische und poetische Berechtigung des Stückes nachweisen sollte. Die Erwartung war hochgespannt und die ganze Woche her hatte man in der Umgegend darüber hin und her gesprochen, wie sich wohl das Trauerspiel auf der Bühne machen würde. Denn, wie literarische, so gab es damals in Deutschland auch noch theatralische Ereignisse. Aus den rheinischen Städten, aus Heidelberg, Darmstadt, Worms, Speyer, Frankfurt und Mainz waren die Leute zu Roß und Wagen gekommen, und wer sich einen Platz sichern wollte, mußte schon um 1 Uhr Mittags im Theater sich einfinden. Schiller selbst kam noch mit knapper Noth vor dem Aufziehen des Vorhangs auf den ihm reservirten Platz im Parterre und da stand er nun ungekannt unter der Menge, dem Wahrspruch entgegenharrend, welcher seine Zukunft bestimmen, sein Schicksal entscheiden sollte. Wie muß dem Jüngling das Herz in der Brust geschlagen haben, wenn er seine Blicke über das »vielköpfige Ungeheuer«, genannt Publicum, hinschweifen ließ, welchem jetzt die Anerkennung oder Verdammung dessen anheimgegeben war, was er in glühenden Stunden gesonnen und geschaffen. Aber der Vorhang hob sich und das Spiel begann.

Die Hauptrollen waren vortrefflich besetzt: Boek spielte den Karl, Iffland den Franz, Beil den Schweizer, Beck den Kosinsky, Frau Toskani die Amalia. Zwar die drei ersten »Handlungen« thaten keine bedeutende Wirkung, aber mit der vierten trat ein vollständiger Umschwung ein. Mit dem Feuer der Schauspieler steigerte sich auch das der Zuschauer und die wilde Großartigkeit der Dichtung riß Alle mit sich fort. Ein tiefes Schaudern bebte durch das Haus, als Iffland in seiner großen Szene, wo er sich anschickte, die furchtbare Vision Franz Moor's zu erzählen, mit geisterbleichem, vom irren Lampenlicht beleuchtetem Gesicht ohnmächtig zusammenbrach Streicher, 41. und als nach zehn Uhr der Vorhang fiel, machten die Zuschauer ihren stürmisch erregten Gefühlen durch ungestümen Beifall Luft. Stralend von Glück mag in diesem stolzen Augenblick Schiller seinen Petersen angesehen und zitternd vor Aufregung den beglückwünschenden Händedruck des Freundes erwidert haben. Nach beendigter Vorstellung speiste er in Gesellschaft sämmtlicher Rollenträger zu Nacht und es war wohl bei dieser Gelegenheit, daß er, noch ganz warm von der Bühnenwirkung seines Stückes, gegen Beil den Einfall aussprach, selber Schauspieler zu werden. Aber Beil entgegnete mit prophetischer Einsicht: »Nein, nicht als Schauspieler, sondern als Schauspieldichter werden Sie der Stolz der deutschen Bühne werden« Zunächst war freilich nicht gar zu viel Aussicht, diese Prophezeiung erfüllt zu sehen. In Mannheim war der Eindruck der Aufführung allerdings ein überwältigender gewesen, und wenn ein Referat aus dieser Stadt in Nr. 7 der Berliner Literatur- und Theaterzeitung f. 1782 äußerte: »Schwerlich hat je ein Stück mehr Wirkung in Deutschland auf dem Theater gemacht als die Räuber« – so war dies nur der Wahrheit gemäß gesprochen. Aber daneben ließen sich aus aristokratischen Kreisen bereits mißbilligende Stimmen vernehmen. Im September 1782 wurden die Räuber in Leipzig und Hamburg aufgeführt und am letztern Orte spielte Fleck den Karl und Unzelmann den Franz Moor, aber trotzdem meinte ein Berichterstatter, das Schauspiel werde »seines empörenden Inhalts wegen nie anhaltenden Beifall behaupten können.« Der Leipziger Magistrat gab es der Aufführung der Räuber schuld, daß dort während der Messe bedeutende Summen gestohlen wurden!!! In Berlin wurde das Stück zu Neujahr 1783 gegeben und sehr oft wiederholt. Hier war der Beifall außerordentlich. Die Bedenken, welche Anfangs von gewissen Seiten her gegen das Drama erregt und dadurch, daß es zu einer wüsten Flut von Banditenliteratur den Anstoß gab, noch gesteigert wurden, wichen im Verlaufe der Zeit allmälig der richtigeren Einsicht in die Natur des Gedichtes. Man fing an, zu begreifen, wie mächtig es die Jugend packen mußte, und setzte es auch nicht mehr dem Dichter auf Rechnung, daß in Baiern ein Schuljunge von der Aufführung der Räuber durch eine Wandertruppe zu dem Entschluß begeistert worden war, mit seinen Kameraden in die böhmischen Wälder zu ziehen. Im Jahre 1798 besorgte man keine derartigen Wirkungen mehr von den Räubern, denn sonst hätte man das Stück nicht von den Schülern des Gymnasiums in Koburg öffentlich aufführen lassen. Am längsten sträubte man sich gegen die Zulassung der Räuber in Wien. Hier ging das Stück erst 1814 auf dem Theater an der Wien in Szene und erregte mehr als dreißig Jahre nach der ersten Aufführung in Mannheim keine geringere Sensation als am 13. Januar 1782.. Am folgenden Tage, bevor der Dichter die Heimreise antrat, empfing ihn Schwan mit zuvorkommendster Artigkeit in seinem Hause, übergab ihm 4 Carolin als »Reisekostenvergütung« – welche das damals in Deutschland noch so ziemlich unbekannte Bühnenhonorar vertreten mußte – und stellte ihn seiner Tochter Margaretha vor. Das schöne Mädchen machte einen bedeutenden Eindruck auf Schiller und die Bekanntschaft mit ihr trug nicht wenig zu der gehobenen Stimmung bei, womit er nach Stuttgart zurückkehrte. Wie lebhaft der Dichter empfand, daß, was er in Mannheim erlebt, bestimmend auf sein Schicksal eingewirkt habe, bezeugt sein Brief vom 17. Januar 1782 an Dalberg, wo er sagt: »Beobachtet habe ich sehr Vieles, sehr Vieles gelernt; und ich glaube, wenn Deutschland einst einen dramatischen Dichter in mir findet, so muß ich die Epoche von der vorigen Woche zählen.«

Allein die Lage des Regimentsmedicus war so, daß seine gute Laune nicht lange vorhalten konnte. Zwar seine heimliche Fahrt nach Mannheim blieb verholen, denn Petersen und die übrigen etwas ins Geheimniß gezogenen Freunde hielten reinen Mund und so hatte der begangene Subordinationsfehler vor der Hand keine unangenehmen Folgen. Dagegen mußte der Dichter schon aus inneren Gründen mehr und mehr mit seiner Stellung zerfallen. Während des kurzen Ausflugs nach Mannheim hatte ihn ein Freiheitshauch angeweht und er hätte müssen viel älter sein, als er war, wenn der Beifallssturm, welcher am 13. Januar ihn umrauschte, nicht Illusionen in ihm erregt hätte, Träume von einer Zukunft voll freien Strebens, voll Ruhm und Glück. Da drunten in Mannheim war er der Dichter Schiller gewesen, dem Männer von Geist, Bildung und Stellung, Frauen voll Anmuth und Enthusiasmus anerkennend, lobend, huldigend sich genaht hatten. Hier oben in Stuttgart war er nur der Regimentsmedicus Schiller, im Rang etwa einem Feldwebel gleichstehend, zu widerwärtigen Verrichtungen verpflichtet, dem monotonen Garnisonsschlendrian unterworfen. Es bedarf eben keines großen Aufwandes von Phantasie, um sich die Gefühle zu vergegenwärtigen, womit der junge Mann nach seiner Zurückkunft aus Mannheim wieder in die verhaßte Feldscherermontur fuhr. Er empfand, daß er zum Dichter, zum Dramatiker bestimmt sei, aber auch, daß ihm die Heimat zur Entfaltung und Geltendmachung seines Genie's keinen Raum gewähre. Es ist nicht urkundlich bezeugt, aber doch psychologisch sehr wahrscheinlich, daß die innere Stimme, welche die höchste Instanz genialer und dabei redlicher Menschen ist, ihm schon damals zugerufen habe: Fort von hier! Nur fort von hier!

Aber Schiller ist selbst in leidenschaftlichsten Tagen seiner Jugend des schwäbischen Charakterzuges der Bedächtigkeit nie ganz ledig gewesen. Er fühlte, daß die Räuber wohl ein Anfang seien, draußen in der Welt Etwas vorzustellen, aber eben nur ein Anfang, und daß es daher gelte, auf der gewonnenen Basis eines ehrenhaften Rufes rüstig weiterzubauen. So sah er sich denn nach einem Stoffe zu einer zweiten Tragödie um und glaubte zunächst in der Geschichte des unglücklichen Konradin von Hohenstaufen einen glücklichen Fund gemacht zu haben. Allein nach reiflicherer Prüfung kam er davon zurück und wandte sich wieder der Geschichte des Fiesco zu, welche, wie wir sahen, schon in der Akademie seine Aufmerksamkeit erregt hatte. Er besuchte fleißig die Bibliothek, um des historischen Materials seiner Arbeit Herr zu werden Als die hauptsächlichen Quellen, woraus Schiller das Material zum Fiesco holte, gibt er in der Vorrede zu dieser Tragödie bekanntlich an: des Kardinals von Retz Conjuration du comte Jean Louis de Fiesque, die Histoire des conjurations, die Histoire de Gènes und Robertson's Geschichte Karl's V., entwarf den Plan, schrieb ein Schema des Inhalts und seiner Gruppirung nieder und begann dann die einzelnen Szenen und Acte auszuarbeiten. Es war ihm schon zur Gewohnheit geworden, gerne zu beobachten, wie die unter seiner Hand entstehenden dramatischen Gestalten und Ereignisse auf einen Dritten wirkten, und so ward denn Freund Streicher der Vertraute, welcher »die Verschwörung des Fiesco zu Genua« Schritt für Schritt vorschreiten sah Streicher, 43.. Neben den Anfängen der neuen Tragödie beschäftigte aber den Dichter um diese Zeit noch ein anderes literarisches Unternehmen. Es war damals die Periode der Musenalmanache. Wo nur immer in Deutschland ein Kreis von jungen Poeten sich zusammengefunden, kam ein solches Jahrbuch dichterischer Erzeugnisse heraus, nachdem einmal 1770 der Boie- und Gotter'sche Musenalmanach den Anstoß dazu gegeben hatte. Auch das alte Schwabenland wollte seine jährliche poetische Blumen- oder Aehrenlese haben und so veröffentlichte der Dichterling G. F. Stäudlin auf das Jahr 1781 eine »Schwäbische Blumenlese«, welche jedoch, wenn man die Beiträge von Schiller, Haug und Conz abrechnet, mehr wie eine Distelnlese aussah Schiller's Beitrag war »die Entzückung an Laura.«. Stäudlin gebärdete sich aber als ein so anmaßlicher Redactor, daß nicht mit ihm auszukommen war, und so kam Schiller auf die Idee, selber einen poetischen Almanach zu veröffentlichen. Er durchstöberte den Vorrath von Gedichten, welcher sich allmälig in seinem Schreibpult – vorausgesetzt, daß er ein solches besaß – angehäuft hatte, bot auch die Contingente seiner dichtenden oder reimenden Freunde auf und ließ die »Anthologie auf das Jahr 1782« drucken, wiederum auf eigene Rechnung, wodurch der Passivstand seiner Finanzen abermals nicht unbedeutend vermehrt wurde.

Diese, angeblich »in der Buchdruckerei zu Tobolsko«, in Wahrheit aber bei J. B. Metzler in Stuttgart gedruckte, von dem Herausgeber nicht sehr geschmackvoll »seinem Prinzipal, dem Tod« gewidmete und mit einer bis zu Lohenstein'schem Schwulst sich versteigenden Vorrede Man lese z. B. den Passus: »So geh' denn hin, Sibirische Anthologie – geh', du wirst manchen Süßling beseligen, wirst von ihm auf den Nachtisch seiner Herzeinzigen gelegt werden und zum Dank ihre alabasterne Lilienschneehand seinem zärtlichen Kuß verrathen.« ausgestattete Anthologie darf für die Sammlung der jugendlichen Lyrik Schiller's angesehen werden; denn es ist festgestellt Durch die Vorrede, womit die Metzler'sche Buchdruckerei 1798 die neue Titelausgabe der Anthologie begleitete. Die dortige Angabe, daß die mit den Chiffern M. – P. – Wd. – und Y. unterzeichneten Gedichte der Sammlung sämmtlich von Schiller seien, erfuhr keinen Widerspruch., daß weitaus die Mehrzahl dieser Gedichte von ihm herrührt, obgleich er später nur eine kleine Minderzahl derselben der Aufnahme in seine Gedichtsammlung würdigte. Dies konnte bei seinen geläuterten Schönheitsbegriffen nicht anders sein, da die Gedichte der Anthologie mit den Schlacken kraftgenialischen Ueberschwangs und kraftgenialischer Rohheit allzu stark behaftet waren Vielleicht gerade deshalb fand der Gefangene des Aspergs die Anthologie so sehr nach seinem Geschmack, daß er im Sommer 1782 an seine Frau nach Stuttgart schrieb: »Schiller ist ein großer Kerl – ich lieb' ihn heiß – grüß' ihn!« und in ein dithyrambisches Dankpoem an Schiller ausbrach, worin es heißt:
Auch ich schlang deinen Gesang,
Wie der Langdurstende
Mit wollüstig geschlossenem Auge
Schlürft aus des Baches Frische.
Sah nicht des eisernen Gitters Schatten,
Den die Sonne malt
Auf meines Kerkers Boden!
Hörte nicht Fesselgeklirr am wunden Arm;
Denn du sangst,
Schiller, du sangst!
Deiner Lieder Feuerstrom
Stürzte tönend nieder vor mir
Und ich horchte seinem Wogensturze;
Hoch empor stieg meine Seele
Mit dem Funkengestäube
Seiner Flut.
. Die Anthologie berührt nicht selten die Gränzlinie, wo die Poesie aufhört und die pathologische Rhetorik, ja der physiologische Cynismus anfängt. Es fehlt auch in den Gedichten der Anthologie nicht an echt Schiller'schen Wendungen, an Kraft des Ausdrucks, an einzelnen Silberblicken des Genius. Allein im Ganzen stoßen wir hier doch auf ausreichende Beweise, daß in Schiller's Seele die rein lyrische Saite fehlte. Es ist eigen, daß der Dichter, welcher in seinen Dramen den vollen lyrischen Brustton so oft, vielleicht nur zu oft gefunden hat, kein eigentliches Lied hervorbrachte. Freilich, die Erklärung ist leicht. Schiller's Dichtung ist wesentlich Gedankenpoesie. Der Gedanke vermittelt bei ihm stets den Ausdruck der Empfindung. Die Stimmung geht bei ihm nicht unmittelbar heraus, sondern, wenn ich mich richtig ausdrücke, durch das Medium der Idee hindurch. Nur in ganz wenigen seiner Gedichte strömt das Gefühl unmittelbar. Deßhalb ist er als Lyriker nur groß, – dann aber auch unerreicht groß, – in der philosophischen Rhapsodie. Hier erfüllt er auch lyrisch, was Bürger so bündig wie schön als die Aufgabe der Poesie bezeichnet hat Auch das Geistigste mit Tönen
Zu verwandeln in ein Bild.
.

Die merkwürdigsten Gedichte der Anthologie sind die Laura-Oden. Wenn man dieselben zum ersten Mal liest – nämlich mit jugendlichen Augen, so ist man geneigt, zu glauben, hier sei »geschöpft aus tiefer Brust des Liedes Flammenborn«. Die novellistische und dramatische Mythenbildnerei ist auch nicht angestanden, aus den zerstreuten Farbentönen der Lauragedichte eine Lauragestalt zusammenzumalen und dieselbe in leidenschaftliche Beziehung zu Schiller zu setzen. Die biographische Wahrheit muß aber dieses Nebelgebilde ohne Weiteres bei Seite schieben. Ebenso muß sie die Annahme, der Gegenstand der Laura-Oden sei Margaretha Schwan gewesen, nicht nur als willkürlich, sondern als geradezu anachronistisch verwerfen, denn die meisten der Oden an Laura, vielleicht alle, waren gedichtet, bevor Schiller das genannte Mädchen zum ersten Mal sah. Endlich ist auch der sonst so verläßliche Scharffenstein auf der unrichtigen Spur, wenn er angibt, die Hauptmännin Vischer sei Schiller's Laura gewesen. Es hat zwischen dieser Frau und dem Dichter ein freundschaftliches, nicht aber ein erotisches Verhältniß bestanden Den Beweis hat Boas (I, 258-62) überzeugend geführt. Was aber nach meinem Gefühl den Ausschlag gibt, ist, daß die Frau Vischer häufig in Schiller's elterliches Haus auf der Solitude kam und mit der Familie auch nach des Dichters Entfernung aus Stuttgart in freundschaftlichem Verkehr blieb. Nimmermehr würde der sittenstrenge Herr Johann Kaspar eine Person, die zu seinem Sohn in zweideutigen Beziehungen stand, über seine Schwelle gelassen haben.. Die Wahrheit ist, daß, wie schon Karoline von Wolzogen richtig angedeutet hat »Die Lauragedichte scheinen mehr das Erzeugniß eines ihm bis jetzt unbekannten exaltirten Gefühls, als wahrer Leidenschaft für einen bestimmten Gegenstand entsprungen.« I, 39., Laura nie etwas Anderes als eine Phantasiegestalt war. Conz, der damals viel mit Schiller verkehrte, hatte diese Ansicht schon früher des Bestimmtesten ausgesprochen und den Nagel auf den Kopf getroffen, indem er bemerkte, daß an den Lauragedichten die Phantasie bei Weitem mehr Antheil habe als die Empfindung Nr. 3 der Zeitung f. d. eleg. Welt f. 1823.. Das ist's. Die Laura-Oden sind ihrem Wesen und ihrer Form nach eine so phantastische Wolkenwanderung, wie es nur jemals eine gegeben hat. Trotz ihres starken Aufwands von sinnlichen Bildern sind sie ohne alle sinnliche Begreiflichkeit, – nicht Producte der Erfahrung, sondern vielmehr der Erwartung, der Erwartung eines Jünglings, dessen glühende Einbildungskraft nicht nur die »unbekannte Geliebte« vor Augen, sondern auch sich selber schon in ihren Armen sieht, trunken von Wonne, stammelnd vor Entzücken. Aber so eine gegenstandlose Schwärmerei hat immer etwas Hohles, innerlichst Kaltes und ich bekenne mich gerne zu der Ketzerei, daß mich die Laura-Oden an das gebackene Eis der Chinesen gemahnen, welches den Gaumen verbrennt und den Magen verkältet. Schiller hat sich später die Mühe genommen, an diesen Gedichten viel zu ändern, zu kürzen, zu feilen. Nicht zu ihrem Vortheil; denn nur in ihrer ursprünglichen Form geben sie ein authentisch psychologisches Document von dem jugendlichen Ueberschwang des Dichters ab.

Unterdessen war es Frühling geworden und die Maiherrlichkeit draußen ließ dem jungen Mann seine Lage noch enger und gedrückter erscheinen. Fühlen doch zur Zeit, wo Alles sproßt und grünt und blüht, alle jugendlichen Herzen ein wunderbares Drängen und Treiben, das mit dem der Natur in geheimnißvoller Beziehung steht. Schiller empfand das Bedürfniß, seine Seele wieder einmal zu lichten und zu lüften, und so unternahm er am 25. Mai eine zweite heimliche Reise nach Mannheim. Diesmal begleiteten ihn zwei Freundinnen, Frau von Wolzogen und Frau Vischer. Dalberg hatte der vorausgegangenen Bitte des Dichters gemäß eine Vorstellung der Räuber bewilligt und abermals ließ der Erfolg des Stückes den Verfasser nur um so widerwilliger auf seine Stellung in Stuttgart zurückblicken. Inmitten der Huldigungen, welche ihm in Mannheim zu Theil wurden, erschien ihm dieser Ort wie ein Paradies, dessen »glücklichere Sterne und griechisches Klima ihn zum wahren Dichter erwärmen würden.« Der Plan, als Theaterdichter zu der Mannheimer Bühne in ein stehendes Verhältniß zu treten, gewann festere Gestalt. Er eröffnete sich dem Freiherrn, ging ihn um Fürsprache und Unterstützung an und glaubte in dem theilnehmenden Blick und in dem stummen Händedruck Dalberg's die feste Gewährschaft des erbetenen Beistandes erhalten zu haben. In diesem Sinne schrieb er, unpäßlich nach Stuttgart zurückgekehrt, wiederholt an den Freiherrn und unterbreitete demselben einen Plan, vermittelst dessen es gelingen könnte, sein Dienstverhältniß zu dem Herzog von Würtemberg friedlich zu lösen. Dalberg sollte, mit Beimischung von Complimenten wie der Herzog sie liebte, an diesen schreiben und sich den Dichter förmlich von ihm erbitten, zunächst nur für einen bestimmten Termin. Allein Schiller mußte bald erfahren, daß er theilnehmenden Blicken und stummen Händedrücken eine viel zu große Bedeutung beigelegt habe. Dalberg war nicht der Helfer, welchen sich Schiller in ihm vorgestellt hatte. Das in den rührendsten Ausdrücken dargelegte Vertrauen des Dichters war dem Freiherrn unbequem. Er gab zwar eine »gnädige« Antwort, aber dabei blieb es. Auch auf einen zweiten, noch dringenderen Brief Schiller's scheint Dalberg entweder gar nicht oder doch nur ausweichend geantwortet zu haben« Der in Rede stehende Brief Schiller's (vom 15. Juli 1782) ist auch deshalb merkwürdig, weil darin die erste Hindeutung auf Don Carlos vorkommt. Es scheint, Dalberg habe den Dichter auf diesen tragischen Stoff aufmerksam gemacht, denn Schiller schrieb ihm: »Die Geschichte des Spaniers Don Carlos verdient allerdings den Pinsel eines Dramatikers und ist vielleicht eines von den nächsten Sujets, das ich bearbeiten werde.«.

Und doch wäre gerade jetzt die Dazwischenkunft eines so einflußreichen Mannes, wie der Reichsfreiherr war, höchst nöthig und erwünscht gewesen, um der ganz peinlich gewordenen Lage Schiller's eine bessere Wendung zu geben. Das Gewitter, welches sich schon seit längerer Zeit drohend über dem jungen Dichter angesammelt hatte, war losgebrochen. Alles drängte zu einer Entscheidung und Schiller konnte mehr und mehr sich überzeugen, daß er dieselbe selbst herbeiführen müsse.

Herzog Karl hatte, wie wir sahen, den Regimentsmedicus bisher gewähren lassen, aber dabei denselben keineswegs aus den Augen verloren. Jetzt bestimmte das Zusammentreffen verschiedener Umstände den Fürsten zu einem Eingreifen, welches erst in seinem Verlaufe aus der gelinderen Tonart in die gewaltsame umschlug. Es ist nur billig, dieses hervorzuheben und überhaupt das Benehmen des Fürsten nicht kurzweg zu verdammen. Karl war im Grunde seines Wesens ein Mann der alten Zeit und die Strebungen und Ausschreitungen einer kraftgenialen Dichterjugend mußten ihn um so widerwärtiger berühren, als er dafür kein Verständniß besaß. Dennoch hatte er, obgleich es von höfischer Seite her sicherlich nicht an Aufreizungen fehlte, unserem Dichter die Räuber hingehen lassen, ja es liegt sogar eine Andeutung vor Streicher, S. 59., welche vermuthen läßt, es habe den Herzog verdrossen, daß Schiller das Stück statt dem Mannheimer nicht lieber dem Stuttgarter Theater zur Aufführung angeboten hatte. Nun waren aber inzwischen von Schiller Gedichte veröffentlicht worden, wie das auf den Tod des Generals Rieger, ferner »der Venuswagen« und »die schlimmen Monarchen«, welche – so drückt sich Karoline von Wolzogen in ihrer discreten Weise aus – sammt und sonders »verschiedene Seiten der Existenz des Herzogs verletzten.« Nicht nur, fügen wir hinzu, die despotische, sondern auch, und vielleicht in noch höherem Grade, die pädagogische Seite dieser Existenz. Französischer Geschmack und Poesie waren dem Fürsten Ein- und Dasselbe. Von diesem Standpunkt aus betrachtet, mußte ihm Schiller's Dichten als ein höchst geschmackloses, ja monströses erscheinen und es konnte doch wohl, auch abgesehen von dem revolutionären Beigeschmack desselben, nicht geduldet werden, daß ein junges Talent, aus seiner Akademie hervorgegangen, in seinen Diensten stehend, auf diesem falschen Wege fortginge. Der verirrte junge Poet wurde daher zur Audienz bei dem Herzog commandirt und diesmal noch zeigte ihm Karl nicht das strenge Antlitz des unbeschränkten Gebieters, sondern nur das des wohlwollenden Pädagogen. Er verbot seinem Regimentsmedicus keineswegs das Dichten, aber er verwies ihm die Verstöße seiner Gedichte gegen den »guten Geschmack«, und um ihn künftig vor solchen zu bewahren, that er, was Czar Nikolaus im 19. Jahrhundert gegenüber von Puschkin that, d. h. er bot sich dem Dichter zum Censor an. Es geschah dies ganz in dem alten väterlich vertraulichen Tone von der Akademie her und Schiller wurde gerührt. Aber das Gewissen war schon damals seine Muse, er fühlte, daß dieser Censur sich unterwerfen der Poesie entsagen hieße, und so lehnte er den gnädigen Antrag ab, – eine Handlung des Muthes, welcher wir es mit zu verdanken haben, daß wir einen Schiller besitzen.

Der »Trotz« des Regimentsmedicus wurde natürlich ungnädig vermerkt. Doch hielt der Herzog, zu seiner Ehre sei es gesagt, noch an sich, bis er sich durch eine äußere Veranlassung bewogen fühlte, dem jungen Menschen den Meister zu zeigen. Die erste Reise Schiller's nach Mannheim war verheimlicht geblieben, bei der zweiten aber waren Damen mitgewesen und – kurz diese Damen hatten es sich nicht versagen können, das Vergnügen, welches ihnen die in des Dichters Gesellschaft genossene Aufführung der Räuber gemacht, ihren Stuttgarter Freunden und Freundinnen mitzutheilen, – unter dem Siegel des Geheimnisses, versteht sich. Dieses Siegel nahm allmälig so große Dimensionen an, daß nicht nur der General Augé, sondern auch der Herzog selbst erfuhr, der Regimentsmedicus Schiller habe nicht allein mehrere Tage lang seinen Lazarethdienst vernachlässigt, sondern sei auch ohne Urlaub aus seiner Garnison abwesend gewesen und noch dazu im »Ausland«; denn ein gemeinsames Deutschland existirte damals nicht einmal als »geographischer Begriff«, obgleich das Gespenst des deutschen Reiches noch offiziell umging. Abermals zum Landesfürsten befohlen, erkannte der Dichter, daß er es nicht mehr mit dem Pädagogarchen der Akademie, sondern mit dem »Karl Herzog« zu thun habe. Er wurde barsch angerunzelt. In seiner keinen Widerspruch duldenden Weise verwies der Fürst dem Regimentsmedicus dessen Benehmen, verbot ihm streng, sich jemals wieder mit dem »Ausland« in Beziehung zu setzen, und befahl ihm schließlich, sofort nach der Hauptwache zu gehen, seinen Degen abzugeben und sich beim Wachtcommandanten als Arrestant auf vierzehn Tage zu melden.

Dieser Arrest, welchen der Dichter spätestens in der ersten Hälfte Juli's bestanden haben muß Weil er in dem zuletzt erwähnten Brief an Dalberg diesem das widrige Erlebniß als abgethan meldete., war an und für sich eine mäßige Strafe. Der Herzog übersah nur, daß derartige Hausmittelchen des patriarchalischen Despotismus wohl auf Regimentsmedici, nicht aber auf Poeten wirken können, und vollends auf einen Poeten von Schiller's Schlag! Karl ahnte auch nicht, daß in der trüben Einsamkeit des Arrestlocals die Bitterkeit, wovon Schiller's Seele voll war, statt sich vor dem fürstlichen Machtwort zu demüthigen, vielmehr zu jener Begeisterung des Zornes sich erheben würde, aus welcher der Plan zu der Tragödie »Kabale und Liebe« entsprang, der Plan also zu einer Dichtung, welche den Ausschreitungen der Gewalt im 18. Jahrhundert das furchtbarste Brandmal aufdrücken sollte. Und neben dem dichterischen reifte während der vierzehn Hafttage noch ein anderer Plan im Gemüthe des Arrestanten: es ist Thatsache, daß er die Hauptwache mit dem Entschlusse verließ, einem ihm möglicher Weise drohenden Schubart'schen Schicksal durch die Flucht sich zu entziehen Schon unterm 15. Juli 1782 schrieb Schiller: »Ich muß eilen, daß ich hier wegkomme; man möchte mir am Ende auf Hohenasperg, wie dem ehrlichen Schubart, ein Logis anweisen. Man redet von besserer Ausbildung, die ich bedürfen soll. Es kann sein, daß man mich auf Hohenasperg anders ausbilden würde; allein man lasse mich bei meiner jetzigen Ausbildung, die ich gern in geringerem, aber mir wohlgefälligerem Grade besitzen will, denn so verdanke ich sie doch meinem freien Willen und der zwangverachtenden Freiheit. Ich denke, längst in den Angelegenheiten, wobei man mich jetzt unter eine den Geist fesselnde Kuratel setzen möchte, mündig geworden zu sein. Das Beste ist, daß man solchen plumpen Fesseln ausweichen kann. Mich wenigstens sollen sie nie drücken.«. Daß, so, wie er nun einmal mit dem Herzog stand, seine Befürchtungen keine leeren waren, daß der Fürst völlig entschlossen sei, den Willen seines Unterthans, zwischen welchen und ihn kein wohlwollender Vermittler trat, unbedingt unter den seinigen zu beugen, darüber konnte sich Schiller bald unmöglich mehr täuschen, auch wenn er es gewollt hätte. Eines Tages – – wohl nicht früher als in der zweiten Hälfte des August – erhielt der Regimentsmedicus von seinem Chef den Befehl, sich in Hohenheim zur Audienz bei Sr. Herzoglichen Durchlaucht zu melden. Ihm ahnte nichts Gutes, um so mehr, da sein Freund Zumsteeg, den sein Beruf als Musiklehrer mit den Kreisen der vornehmen Welt in Berührung brachte, deutliche Winke hatte fallen lassen, daß Etwas gegen ihn im Werke sei. War doch die höfische Welt längst feindselig gegen den kühnen Dichter gestimmt, welcher Gedanken zu sinnen und zu sagen wagte, vor denen diese Welt sich entsetzte.

Es ist wunderlich, wie die Dinge im menschlichen Leben zusammenhängen. In Hamburg lebte damals ein junger Gelehrter, Wredow geheißen, der einige Jahre in der Familie Salis in Graubünden als Hofmeister verbracht hatte. Er mochte sich dort wohl befunden haben und entrüstete sich daher höchlich über den nachmals vom Dichter getilgten Ausfall, welchen in der dritten Szene des zweiten Acts der Räuber Spiegelberg auf das Graubündnerland that, indem er dasselbe als ein »Spitzbubenklima« und als das »Athen der Gauner« bezeichnete. Natürlich hatte der Dichter keine absichtliche Beleidigung im Sinne gehabt und es ist wahrscheinlich, daß er nicht Graubünden selbst, sondern vielmehr das unter bündnerischer Herrschaft stehende und allerdings übelberufene italische Veltlin unter dem »Spitzbubenklima« verstanden habe; denn Razmann entgegnet an der bezeichneten Stelle dem Spiegelberg, man habe ihm überhaupt ganz Italien gerühmt, nämlich als ein Gauner-Athen. Wredow fühlte sich verpflichtet, als Kämpe für die Ehre Graubündens aufzutreten, und that dies in einem geharnischten, an den Verfasser der Räuber adressirten Artikel, welcher im Dezember 1781 in den Hamburgischen Adreß-Comtoir-Nachrichten erschien. Die betreffende Nummer dieses Blattes gelangte nach Chur und ein gewisser Doctor Amstein beeilte sich, Wredow's Aufsatz in der bündnerischen Wochenschrift »der Sammler« abdrucken zu lassen und mit Glossen zu begleiten, welche giftig sein sollten, aber bloß dumm waren. Der Herausgeber des Sammlers wandte sich außerdem brieflich an Schiller und forderte von demselben einen öffentlichen Widerruf der anstößigen Stelle. Der Dichter ließ die Zuschrift unbeantwortet, denn in seinen damaligen Bedrängnissen mochte ihm die Sache zu unwichtig vorkommen, um sich damit zu befassen. Darüber sich erbosend, schickte der patriotische Bündner Wredow's und Amstein's Aufsätze an einen Bekannten in Würtemberg, den Garteninspector Walter in Ludwigsburg, damit in Sachen weiter verfahren werde. Dieser Walter war gerade der Mann dazu, aus der Bagatelle ein Unheil zu machen. Warum er sich zum Denuncianten gegen Schiller hergab, hat die novellistische Mythenbildnerei verschiedenartig zu erklären versucht; aber alle diese Erklärungen sind unstichhaltig und so müssen wir einfach annehmen, der Herr Garteninspector sei einer jener Menschen gewesen, deren angeborene Gemeinheit durch ihre Stellung zu jener bedientenhaften Bosheit und Tücke ausgebildet wird, welche sich mit besonderer Vorliebe gegen die Träger nicht-patentirter Vorzüge kehrt. Walter legte also die Anklageschriften Wredow's und Amstein's dem Herzog vor und blies damit den schon von anderer Seite her gegen den Dichter gereizten Zorn des Fürsten zur hellen Flamme an.

Eines heißen Sommertags stieg der Regimentsmedicus die nach Hohenheim führende Straße hinauf, zu der Audienz bei seinem Landesherrn, welche seine letzte sein sollte. Es war ihm schwül und bang genug ums Herz, denn das kürzlich Erlebte ließ ihn errathen, was kommen würde. Er ging durch den Park, aber schwerlich hat ihm die damals hier bunt zusammengehäufte Herrlichkeit von römischen Häusern, gothischen Tempeln, ägyptischen Säulenhallen, türkischen Moscheen und künstlichen Burgruinen viel Interesse abgewonnen. Als er endlich vor dem Herzog stand, sagte ihm schon dessen Miene, daß Alles verloren sei. Wir besitzen leider keinen detaillirten urkundlichen Bericht über diese Audienz, aber die Phantasie kann sich die schmerzliche Demüthigung, welche Schiller zu dieser Stunde erfuhr, unschwer vorstellen. Er mußte den Sturm über sich ergehen lassen, widerstandslos, denn die Stimmung des Fürsten, welcher den ehemaligen Zögling seiner Akademie jetzt als einen ausgemachten Unruhstifter betrachtete, war eine unnahbare. Mit der ganzen Härte und Herbigkeit des Gebieters, welche ihm zu Gebote stand, trat Karl zu dem jungen Mann heran, rückte ihm alle angeblichen oder wirklichen Verfehlungen vor, überschüttete ihn mit Vorwürfen und schleuderte ihm endlich das drohende Wort zu: »Jetzt geh' Er, und ich sag' Ihm, Er läßt ins Künftige keine anderen, durchaus keine anderen Schriften mehr drucken als medizinische! Hat Er mich verstanden? Ich sag' Ihm, Er schreibt keine Komödie mehr, bei Cassation und Festungsstrafe!« So erzählt den Ausgang der Audienz Petersen, jedoch mit Weglassung des Drohwortes »Festungsstrafe«. Allein daß dasselbe hieher gehört, wissen wir von Schiller selbst, der in der »Ankündigung der Rheinischen Thalia« (a.a.O.) sagt: »Die Räuber kosteten mir Familie und Vaterland. In einer Epoche, wo noch der Ausspruch der Menge unser schwankendes Selbstgefühl lenken muß, wo das warme Blut eines Jünglings durch den freundlichen Sonnenblick des Beifalls munterer fließt, tausend einschmeichelnde Ahnungen künftiger Größe seine schwindelnde Seele umgeben und der göttliche Nachruhm in schöner Dämmerung vor ihm liegt, mitten im Genuß des ersten verführerischen Lobes, das unverdient und unverhofft aus entlegenen Provinzen mir entgegenkam, untersagte man mir in meinem Geburtsorte bei Strafe der Festung, zu schreiben.« – Der Denunciant Walter schrieb unterm 2. September 1782 an den Herausgeber des Sammlers in Chur: »Ich hatte nicht sobald ihre Apologie von Bünden gelesen, so machte ich sogleich Anstalt, daß es auch mein Souverain bekam. Dieser verabscheute das Betragen (Schiller's) sehr, ließ solchen vor sich ruffen, wäschte solchen über die Massen, bedeutete ihm bei der größten Ungnad, niemals mehr weder Comedien noch sonst so was zu schreiben! sondern allein bei seiner Medizin zu bleiben.« Armbruster's Schwäb. Museum für 1785, I, 255 fg. Boas (I, 260-83) theilt sämmtliche Acten dieses Graubündnerhandels mit, der allerdings tief in Schiller's Leben eingriff.

siehe Bildunterschrift

15. Schiller's letzte Audienz beim Herzog Karl in Hohenheim.
Originalzeichnung von Th. v. Oer. Geschnitten von H. Bürkner

Betäubt von diesem Keulenschlag, trat der arme Dichter den Rückweg an. Wie muß es, als er sich von dem ersten lähmenden Eindruck erholt hatte, in ihm gestürmt haben! Sollte er, konnte er, dem Befehl des Herzogs gemäß, der Poesie entsagen? Nein! Seine Bestimmung, seine Zukunft, sein Eigenstes und Bestes der Willkür opfern? Nein! Also fort von hier – es muß sein! Aber während ihm diese Nothwendigkeit in ihrer ganzen Klarheit und Schärfe vor die Seele trat, sah er auf seinem Wege, da, wo dieser von dem Degerlocher Plateau gegen Stuttgart zu abfällt, links ob den Wäldern die Kuppel der Solitude herüberdunkeln. Er wollte die Eltern verlassen, die Heimat fliehen? Wie würde der Vater stumm sich grämen, wie würden Mutter und Schwestern weinen! Und wußte er, was es hieße, heimatlos zu sein? Nein, denn, ach, das kann man nur erfahren, nicht ahnen. Aber was ragte dort rechts über der in der Abendsonne glänzenden Hochebene von Ludwigsburg für ein finsterer Schatten? … Hohenasperg! … War es nicht genug, daß schon ein Dichterherz dort hinter Eisengittern sich verzehrte? Wie, sollte auch er, gleich dem unglücklichen Schubart, dort »erzogen« werden bis zu jenem Grade von Selbstverlorenheit, wo das Opfer »mürbe« genug geworden, seinen Verderber in Prologen und sonstigen Festreimen anzuschmeicheln? Niemals! Mußte es doch selbst der zärtlichen Mutter tröstlicher sein, den geliebten Sohn als irrenden Wanderer denn als Gefangenen zu wissen. Sein Entschluß war gefaßt. Als ein Mann, der seine Partie ergriffen, schritt er die Weinsteige hinab, und als er beim Vorübergehen am Ochsen daselbst die Freunde vorfand, verbrachte er, wie uns Petersen berichtet, in heiterer Gelassenheit den Abend mit ihnen.

Unter dem Gesichtspunkt der staatsbürgerlichen Rechte von heute kann man die Frage aufwerfen, warum denn Schiller, statt zu einem gewaltsamen Schritte sich zu entschließen, nicht lieber einfach um seinen Abschied eingekommen sei. Allein dies hieße die Sachlage ganz verkennen. Herzog Karl war gewohnt, sich als den unbedingten Herrn seiner Unterthanen zu betrachten, und außerdem hatten sich ja Schiller's Eltern bei dessen Aufnahme in die Akademie förmlich verpflichten müssen (s. Kap. 5), daß ihr Sohn sich den Diensten des Fürsten widmen würde. Eine Bitte des Regimentsmedicus um Entlassung hätte daher schon an und für sich den Herzog sicherlich höchlich erzürnt, unter den jetzigen Umständen aber mußte sie bei dem Fürsten nur einen jener Ausbrüche seines Jähzorns hervorrufen, von denen die Rieger, Moser, Schubart und so viele Andere erzählen konnten. Dennoch versuchte der Dichter, wohl hauptsächlich aus Rücksicht auf seine Eltern, noch ein Mittel gütlicher Ausgleichung. Am 1. September setzte er sich hin und entwarf ein Schreiben an den Herzog, in welchem er in bescheidenster Weise um die »gnädigste Erlaubniß« bat, »ferner literarische Schriften bekannt machen zu dürfen«, ja sogar zu dem Zugeständniß sich herbeiließ, »alle künftigen Producte einer scharfen Censur unterwerfen zu wollen.« Vorschriftsgemäß ließ er dann durch seinen Chef bei dem Herzog um die Erlaubniß nachsuchen, diese Bittschrift einreichen zu dürfen. Aber nicht nur wurde diese Erlaubniß barsch verweigert, sondern auch ließ Karl dem Dichter »bei Strafe des Arrests« verbieten, irgend ein Schreiben an ihn zu richten. Die Lawine der Ungnade war also in unaufhaltsamem Rollen und Schiller hatte keine Lust, sich von ihr fassen und erdrücken zu lassen.

Er erkannte, daß nicht viel Zeit zu verlieren sei, die beschlossene Flucht ins Werk zu setzen. Nach einem Freunde, dem er sich ganz anvertrauen konnte, brauchte er nicht lange umzusehen. Da war ja der ehrliche, treue Streicher, der sich nicht nur herzlich erbot, die nöthigen Vorbereitungen treffen zu helfen, sondern auch, den Freund zu begleiten. Der junge Musiker hatte schon lange die Absicht gehegt, nach Hamburg zu gehen, um sich dort bei dem berühmten K. Ph. E. Bach, einem Sohne des großen Johann Sebastian, in seiner Kunst zu vervollkommnen. Jetzt wollte er die Ausführung dieses Vorhabens beschleunigen und so wollten die beiden Freunde Stuttgart mitsammen den Rücken kehren. Auch seine Schwester Christophine weihte der Dichter in den Fluchtplan ein und es mußte ihn freuen, daß das starkmuthige, leidenschaftlich an dem Bruder hängende Mädchen seine Beweggründe verstand und seine Absicht billigte. Einmal so weit, wandte sich der Dichter mit energischem Willen von seinen Sorgen und Kümmernissen ab und mit ganzer Kraft seiner Arbeit am Fiesco zu, welchen er fertig mitnehmen wollte, um in Mannheim, wohin die Flucht gehen sollte, sogleich durch eine neue dichterische Schöpfung sich legitimiren zu können.

Die Wahl eines günstigen Zeitpunkts zur Ausführung des unwiderruflich Beschlossenen war nicht schwer; denn ein glücklicher Zufall kam hiebei dem Dichter zu Hülfe. Der Hof erwartete hohen Besuch, den Bruder des Herzogs, Friedrich Eugen, nebst dessen Gemahlin und Tochter Maria, welche von ihrem Gemahl, dem russischen Großfürsten und nachmaligem Czaren Paul, begleitet war. Noch einmal erwachte im Herzog Karl die ganze Festlust seiner üppigen Vergangenheit. Er wollte dem Gemahl seiner Nichte zeigen, welche Gastfreundschaft ein Herzog von Würtemberg dem Sohn und Thronfolger Katharina's der »Großen« zu erweisen vermöge. Fürwahr, in diesen Tagen hatte Karl mehr zu thun, als auf einen Trotzkopf von armseligem Regimentsmedicus zu achten, und der Regimentsmedicus seinerseits zauderte nicht, bei Gelegenheit der Hoffeste ebenfalls ein Fest zu feiern, – das der Befreiung. Seine Zurüstungen waren freilich nicht so umständlich wie die des Herzogs, der Alles in Bewegung setzte, um die alte Glanzzeit noch einmal heraufzubeschwören. Stuttgart, dessen Häuser neu herausgeputzt, dessen Straßen gereinigt und theilweise neu gepflastert wurden, Ludwigsburg, die Solitude und Hohenheim sollten die Schauplätze der Feste sein. Am 15. September trafen der Prinz und der Großfürst mit ihren Damen ein und die herzoglichen Schlösser füllten sich mit vornehmen Gästen, denn 22 fürstliche, 59 gräfliche Personen und 351 einfache Von's hatten der Einladung des Herzogs entsprochen. Außer diesen hatte die Schaulust noch eine Menge von Fremden herbeigezogen. Die Reihenfolge der Bankette, Jagden, Concerte, Bälle, Opern, Feuerwerke und anderer Kurzweil begann und währte vom 15. bis zum 28. September.

Unter den eingetroffenen Fremden befanden sich auch zwei Mannheimer Bekannte Schiller's, der Freiherr von Dalberg und die Frau des Regisseurs Meyer, eine geborene Stuttgarterin. Der Dichter besuchte den Baron, ohne ihn jedoch von seinem Vorhaben Etwas merken zu lassen. Theils wollte er sich keiner Einrede gegen seinen Entschluß aussetzen, theils trug er sich trotz der mit Dalberg bereits gemachten Erfahrung noch immer mit der Illusion, wenn er nur erst in Mannheim wäre, würde ihm der Freiherr schon hülfreich entgegenkommen, und vielleicht insgeheim überzeugt, daß das nur eine Selbsttäuschung sei, mochte er sich jetzt um so weniger darin stören lassen. Auch durch die Frau Meyer nicht, die, offen, wahrhaftig und dem Dichter herzlich befreundet, wie sie war, Schiller's auf Dalberg gesetzte Hoffnungen leicht hätte als nichtige aufzeigen können; denn sie kannte die Charakterschwäche des Freiherrn und wußte, daß hinter den glatten und zuthunlichen Redensarten desselben nicht selten nur eine vornehme Herzenskälte sich barg. Aber der Dichter ging auch gegen Frau Meyer nicht offen mit der Sprache heraus, obgleich ein Gang nach der Solitude, wohin er mit Freund Andreas die Freundin begleitete, hiezu eine günstige Gelegenheit geboten hätte.

Der klare, milde Herbsttag, an welchem die Drei über den Rücken der Feuerbacher Haide, dann durch das reizende Thälchen von Bodnang und von da den Waldsteig zur Solitude hinauf gingen, war wohl einer der schmerzlichsten Tage in Schiller's Leben. Es galt, Abschied zu nehmen. Frau Elisabeth empfing die Gäste mit gewohnter Herzlichkeit, allein Streicher bemerkte, daß die Gute ihre Unruhe vergeblich zu bemeistern suchte und daß ihr das Wort versagte, so oft sie den Sohn ansah. Schwester Christophine hatte der Mutter nicht verschweigen dürfen, daß der Fritz fliehen wolle, müsse. Zum Glück kam bald der Herr Hauptmann herein und machte der peinlichen Situation dadurch ein Ende, daß er lebhaft von den außerordentlichen Vorbereitungen erzählte, welche zu einer großen, auf den 17. September angesetzten Festlichkeit gerade jetzt im Gange waren. Das Hauptstück des Festes sollte eine große Jagd abgeben. Aus vielen Revieren des Landes waren an 6000 Hirsche in die Wälder der Solitude zusammengetrieben worden und wurden hier durch eine Kette von Bauern am Durchbrechen verhindert. Diese ungeheure Menge edlen Wildes war bestimmt, am Tage der Festinjagd eine steile Anhöhe hinaufgescheucht und gezwungen zu werden, sich von der Hügelhalde hinab und in den Bärensee zu stürzen, um dort von einem eigens zu diesem Zwecke erbauten prächtigen Pavillon aus von den vornehmen Schützen mit Bequemlichkeit erlegt zu werden. Nach beendigter Jagd sollte dann in dem Kuppelsaal des Schlosses ein Bankett und nach Einbruch der Nacht eine glänzende Illumination der Gärten statthaben.

Während der Vater – welchem der Sohn, abgesehen von anderen Motiven, seinen Fluchtplan schon deshalb verhehlte, damit Herr Johann Kaspar nöthigen Falls dem Herzog sein Ehrenwort als Offizier geben könnte, daß er von der Sache Nichts gewußt hätte – in diesen Schilderungen sich erging, fand Frau Elisabeth Gelegenheit, mit ihrem Fritz unvermerkt sich zu entfernen. Nach Verlauf einer Stunde – ach, es muß eine herzzerreißende gewesen sein! kehrte der Dichter mit gerötheten Augen zur Gesellschaft zurück, aber ohne die Mutter, welche ihr verweintes Gesicht nicht sehen lassen wollte, um bei ihrem Gatten keinen Verdacht zu erregen. Auf dem Rückweg nach Stuttgart war Schiller ernst und traurig und nur allmälig vermochte ihn die zerstreuende Unterhaltung seiner Begleiter wieder zu einiger Munterkeit zu bringen.

Am Morgen des 17. Septembers, an dem zur Flucht des Dichters bestimmten Tage Petersen setzt die Flucht Schiller's in die Nacht vom 22. auf den 23. September. Es ist aber durchaus kein Grund vorhanden, die obige Angabe Streicher's zu bezweifeln., ging eine kleine Völkerwanderung aus den Thoren Stuttgarts den Hasenberg hinauf. Alles, was abkommen konnte, enteilte der Stadt, um die Herrlichkeiten auf der Solitude mitanzusehen. Der gute Andreas aber lief geschäftig zwischen der Wohnung seiner Mutter und dem Parterrezimmer auf dem Kleinen Graben hin und her, um die Habseligkeiten Schiller's nach der ersteren zu schaffen. Um 8 Uhr Morgens kam der Dichter von seinem letzten Gang ins Lazareth zurück und sollte nun ans Einpacken gehen; aber bei diesem Geschäfte fielen ihm Klopstock's Oden in die Hände und eine Lieblingsode fesselte sein Interesse so, daß er alles Andere darüber vergaß und sich daran machte, ein Seitenstück zu dichten. So traf Streicher den Freund und brachte ihn mit Mühe aus der Welt der Ideale in die der Wirklichkeit zurück. Endlich, gegen Abend zu, war Alles geordnet. Um 9 Uhr kam der Dichter in Streicher's Wohnung, wohin der Hauderer bestellt war, mit ein Paar alter Pistolen unter dem Rock. Die eine dieser Waffen hatte wirklich noch einen ganzen Hahn, daß aber, erzählt Streicher, »beide nur mit frommen Wünschen für Sicherheit und glückliches Fortkommen geladen waren, versteht sich von selbst.« Der Regimentsmedicus entpuppte sich, d. h. er zog die verhaßte Uniform aus und das bereitgehaltene bürgerliche Kleid an. Dann wurden die zwei bescheidenen Koffer der Freunde nebst dem kleinen Clavier Streicher's auf den vor dem Hause haltenden Wagen gepackt und endlich musterte man noch die Reisekasse. Ach, sie war dürftig genug bestellt. Schiller's Baarschaft betrug 23 und die des guten Andreas 28 Gulden. Von den Thränen und Segenswünschen der Mutter Streicher's begleitet, stiegen die Freunde in den Wagen und der Hauderer lenkte das Gefährt dem Eßlinger Thore zu, welches zum Austritt aus der Stadt gewählt worden war, weil es das »dunkelste« und weil ein bewährtester Freund Schiller's – wahrscheinlich Scharffenstein – heute dort die Wachtmannschaft commandirte. Als der Wagen unter der Thorwölbung angekommen war, rief der auf Posten stehende Soldat sein: »Halt! Wer da? Unteroffizier heraus!« Der Corporal kam und fragte in den Wagenschlag hinein: »Wer sind die Herren? Wohin?« – »Doctor Ritter und Doctor Wolf, nach Eßlingen reisend,« gab Streicher mit nicht ganz fester Stimme zur Antwort. – »Passirt!« Das Thor wurde geöffnet. Schiller suchte vergebens hinter dem offenstehenden, aber dunkeln Fenster der Offizierswachtstube die Gestalt des befreundeten Lieutenants zu erspähen, der, wenn es Scharffenstein war, dem fliehenden Freunde gewiß die herzlichsten Wünsche nachsandte.

Nachdem die Flüchtlinge das Thor hinter sich hatten, athmeten sie auf, hielten sich aber stille, bis sie in einem großen Bogen nach linkshin die Stadt umfahren hatten, um die Ludwigsburger Straße zu gewinnen. Langsam ging es die Galgensteige hinauf, auf deren Höhe 1738 der Jud Süß in einem eisernen Käfig ein schreckliches Ende genommen hatte. Jetzt erst kam zwischen den Freunden das Gespräch in Gang, aber der ruhige Verlauf desselben wurde bald durch einen heftigen Affect unterbrochen. Als der Wagen das Dorf Zuffenhausen passirt hatte, sahen die Reisenden den Himmel über dem Waldhang zur Linken in rother Glut stehen. Es war der Widerschein der festlichen Illumination auf der Solitude. Weiter auf der Straße vorgerückt, kamen sie in gleiche Linie mit dem Lustschloß, welches, wie in ein Feuermeer gebettet, auf die Ebene herableuchtete. Die Helle war so groß, die Nachtluft so rein, daß der Dichter, im Wagen sich aufrichtend, dem Gefährten mit dem Finger die elterliche Wohnung zeigen konnte. Aber da schnürte ihm der Gedanke, daß mitten in dem Festglanz da droben das treueste Mutterherz in einsamer Sorge um den Sohn sich härme, plötzlich die Brust zusammen und mit dem halbunterdrückten Schmerzensruf: »O, meine Mutter!« sank er in den Wagen zurück.


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