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Sechstes Kapitel.
Der Regimentsmedicus.

Auf dem Kleinen Graben. – Die Vischerin. – Eine Junggesellenwirthschaft. – Portrait des Dichters. – Tracht und Pracht eines herzogl. würtembergischen Feldscherers. – Der Most gährt. – Frau von Wolzogen. – Emetica und Aesthetica. – Die Räuber gedruckt. – Wirkung. – Anknüpfung mit Dalberg. – Ein Theatercoup auf dem Asperg. – Ein Freund. – Dramaturgische Leiden. – Heimliche Reise nach Mannheim.


Von der Königsstraße, heute der Hauptpulsader der Stadt und Residenz Stuttgart, führen mehrere enge Gassen nach dem Marktplatz hinunter. An der südöstlichen Ecke desselben läuft die schmale Marktstraße auf eine Brücke zu, welche hier über die Partie honteuse der Residenz, über den Nesenbach gelegt ist. Wenn du, statt die Brücke zu überschreiten, dich zur Rechten hinaufwendest, so befindest du dich in der Eberhardsstraße, welche zwischen dem an die Hirschgasse angelehnten Häusergewirre auf der einen und der Hauptstädterstraße auf der andern Seite mitten inneliegt. Hier, auf dem Kleinen Graben, denn so hieß die Eberhardsstraße damals, besaß der mehrerwähnte Professor Haug zwei Häuser. Das eine bewohnte er, im andern hatte er sich sein Auditorium eingerichtet und die hievon nicht in Anspruch genommenen Räume an die Frau Luise Dorothea Vischer, Wittwe eines Hauptmanns, vermiethet. Die Vischerin, wie sie auf gut schwäbisch hieß, war eine magere Blondine von dreißig oder doch »stark neunundzwanzig« Jahren, ohne körperliche Vorzüge, man hätte denn ihre schmachtenden blaßblauen Augen für einen solchen gelten lassen wollen. Aber sie war eine gutherzige Frau, ein »Bißle« musikalisch und mehr als ein »Bißle« schwärmerisch. Sie muß für Männer, namentlich für junge und unerfahrene, nicht ohne Anziehungskraft gewesen sein; denn noch 1783 hatte sie mit einem jungen Edelmann aus Wien, welcher auf der Karlsschule studirte, ein Abenteuer, das in eine förmliche Entführung auslief Vgl. Boas a. a. O. I, 258, 263. Die gegebenen Notizen über die Vischerin rühren von Schiller's Schwester Christophine her. Boas empfing sie durch Vermittlung von Schiller's Tochter Emilie, der Freifrau von Gleichen-Rußwurm.. Die Hauptmannswittwe, Mutter von zwei Kindern, befand sich in ökonomischen Verhältnissen, welche es räthlich machten, die entbehrlichen Räume ihrer Wohnung ihrerseits wieder zu vermiethen, und das geschah auch mit einem nicht sehr großen Parterrezimmer, welches zwei Kameraden von der Akademie her, der Lieutenant im Gablenz'schen Infanterieregiment Franz Joseph Kapf und der Regimentsmedicus Friedrich Schiller, gemeinschaftlich bezogen.

Es war da eine nichts weniger als elegante Junggesellenwirthschaft etablirt. Ein großer Tisch, zwei Bänke, ein Kleiderrechen an der Wand, in einem höhlenartigen Alkoven zwei Feldbetten, in einer Ecke ein Magazin von rohen Kartoffeln, nebst leeren Bouteillen, Tellern, Tabakspfeifen, – das war die Ausstattung des gewöhnlich von einer schweren Tabaksatmosphäre gedrückten Raumes. Der gute Scharffenstein – nach seinem Austritt aus der Akademie ebenfalls Lieutenant im Regiment Gablenz – als er sich später dieses Parterrezimmer ins Gedächtniß zurückrief, nahm keinen Anstand, auf dasselbe die respectswidrige Bezeichnung »Loch« anzuwenden Scharffenstein's Mittheilungen im Morgenblatt f. 1837, Nr. 57 fg., bilden, zusammengehalten mit den zerstreuten Erinnerungen von Petersen, Hoven, Abel, Conz, Streicher und Christophine Schiller, die Hauptanhaltspunkte für dieses und das folgende Kapitel.. Zu dieser Wohnung paßte dann recht gut die groteske Figur des in einer geflickten Uniform steckenden Fourierschützen Kronenbitter, welchen Schiller aus den Soldaten seines Regiments zu seinem »Kerl«, will sagen Aufwärter, ausgewählt hatte und welcher, ein echtschwäbischer »Latsche«, halb aus Dummheit halb aus Schelmerei allerlei Störung und Verwirrung in dem ärmlichen Haushalt anrichtete.

Aber die Erscheinung des Herrn Regimentsmedicus selbst spielte nicht wenig ins Groteske. Mit durchaus nicht schmeichelndem, aber markigem Pinsel hat Scharffenstein das Portrait des Dichters aus jener Zeit entworfen. Es zeigt uns, daß Schiller von »langer, gerader Statur war, gewölbter Brust, langgespalten, langarmig, sehr langhalsig. Seine Stirne war breit, die Nase dünn, knorplich, weiß von Farbe, in einem merklich scharfen Winkel hervorspringend, sehr gebogen und spitzig. Die rothen Augenbrauen über den tiefliegenden dunkelgrauen (blauen?) Augen inclinirten sich bei der Nasenwurzel mehr zusammen. Diese Partie hatte sehr viel Ausdruck und etwas Pathetisches. Der Mund war ebenfalls voll Ausdruck, die Lippen waren dünn, die untere ragte von Natur hervor, es schien aber, wenn Schiller mit Gefühl sprach, als wenn Begeisterung ihr diese Richtung gegeben hätte, und sie drückte sehr viel Energie aus; das Kinn war stark, die Wangen blaß, eher eingefallen als voll und ziemlich mit Sommerflecken besäet; die Augenlider waren meistens inflammirt, das buschige Haupthaar roth von der dunkeln Art. Der ganze Kopf, der eher geistermäßig als männlich war, hatte viel Bedeutendes, Energisches, auch in der Ruhe, und war ganz affectvolle Sprache, wenn Schiller declamirte.« Der Zeichner fügt hinzu, Schiller habe damals etwas Steifes und nicht die mindeste Eleganz in seiner Tournüre gehabt. Aber, gerechter Himmel, wie hätte sich auch irgend ein Mensch elegant gehaben können in dem reglementarischen Regimentsmedicusgehäuse, in welchem der arme Junge steckte? Scharffenstein sah den Freund, als sich dieser zuerst auf der Parade bei seinem Chef zu Dienst meldete, also zum ersten Mal in voller Tracht und Pracht seiner Charge aufmarschirte, – »eingepreßt in die Uniform nach altem preußischen Schnitt, die bei den Regimentsfeldscherern noch extra steif und abgeschmackt war; drei von Gips starrende Rollen, welche Locken vorstellten, an jeder Seite des Gesichts, während der kleine Militärhut kaum den Kopfwirbel bedeckte, in dessen Gegend ein langer und dicker Zopf gepflanzt war, und eine roßhaarene Binde den langen Hals einzwängte.« Das Merkwürdigste aber war das Fußwerk, denn vermöge des den Kamaschen unterlegten Filzes waren die Beine des Regimentsmedicus »wie zwei Cylinder und von einem größeren Diameter, als die in knappe Hosen eingepreßten Schenkel,« und da er in den schrecklichen, »ohnehin mit Schuhwichse sehr befleckten« – (o »Kerl« Kronenbitter!) – Kamaschen die Kniee nicht recht biegen konnte, so bewegte er sich »wie ein Storch.«

Das gewährte freilich kein so poetisches Bild wie Göthe, im idealen griechischen Gewand auf dem herzoglichen Liebhabertheater zu Weimar seinen Orest darstellend. Indessen haftete das Caricaturmäßige nur an dem Amtshabit Schiller's, nicht an seiner Persönlichkeit, deren Aeußeres sich noch dazu mit den Jahren vortheilhaft veränderte. Da er beim Austritt aus der Akademie die nicht gewöhnliche Höhe von sechs Fuß drei Zoll erreicht hatte, so ist anzunehmen, daß er schon damals völlig ausgewachsen war. In männlichen Jahren nahm dann seine Nase entschieden die adlermäßige Form an, sein Teint wurde rein und klar, die Entzündung wich von seinen Augenlidern, die Sommersprossen verschwanden von seinen Wangen, die Farbe der Haare milderte sich zum Goldblond. Bei aller Liebenswürdigkeit seines Benehmens, welches Alle, die ihm nähertraten, empfanden und anerkannten, muß in reiferen Jahren seine Haltung eine imponirende gewesen sein. Göthe bezeugt dies. Als am 18. Januar 1825 das Gespräch zwischen ihm, Eckermann und Riemer auf Schiller kam und Riemer bemerkte, der Bau seiner Glieder, sein Gang auf der Straße, jede seiner Bewegungen sei stolz, nur die Augen wären sanft gewesen, da sagte Göthe: »Ja, alles Uebrige an ihm war stolz und großartig, aber seine Augen waren sanft.«

Ein Kreis alter lieber Freunde schloß sich um den angehenden Regimentsmedicus. Da waren, wie schon erwähnt wurde, Kapf und Scharffenstein und da waren auch die Akademiegenossen Petersen und Reichenbach, beide an der herzoglichen Bibliothek angestellt. Von Ludwigsburg herein, wo er als Waisenhausarzt fungirte, kam Hoven, so oft es sich machen ließ, und von den Fildern herab Schiller's Jugendgespiel aus der Lorcher Zeit, Conz, welcher jetzt nach durchlaufener Studienbahn droben in Vaihingen Vicarius geworden. Das Parterrezimmer auf dem Kleinen Graben war oft der Schauplatz heiterster Symposien, deren materielle Hauptbestandtheile »Knackwurst« und selbstbereiteter Kartoffelsalat ausmachten. Denn diese jungen Leute besaßen viel Humor, einen vortrefflichen Appetit, desgleichen einen studentischen Durst und wenig Geld. Aber sie waren jung, lebenslustig und alle mehr oder weniger genialisch gestimmt, kraft-genialisch nämlich, und bei allen konnte der in der Akademie durch strenge Disciplin niedergehaltene jugendliche Muth und Uebermuth jetzt erst ausschlagen. Da schlug er denn wohl auch mitunter tüchtig über die Stränge. Es wurde gezecht, geraucht, gespielt und geliebelt. Drüben in der Hauptstädterstraße befand sich das Wirthshaus zum Ochsen, so ein echtschwäbisch-gemüthliches Wirthshaus, das sich vortrefflich zur »Geniesherberge« eignete. Da ging es, an Winterabenden bei der Manille, zur Sommerszeit auf der Kegelbahn, in Sprache und Gebahren kraftgenialisch her Unter Petersen's Papieren hat sich ein Zettel erhalten, welchen Schiller eines Abends im Ochsen zurückließ, als er die Freunde vergeblich dort gesucht hatte. Er lautet ganz kraftgenialisch: – »Seid mir schöne Kerls. Bin da gewesen, und kein Petersen, kein Reichenbach. Tausendsakerlot! Wo bleibt die Manille heute? Hol euch alle der Teufel! Bin zu Haus, wenn ihr mich haben wollt. Adies. Schiller.«. Man mußte doch auch einmal burschicos leben. Wenn der Petersen den Kameraden einen Abschnitt aus dem »stupend gelehrten« Buch »Ueber die Nationalneigung der Deutschen zum Trunke«, an welchem er damals schrieb, zum Besten gab, so wirkte das so sympathetisch, daß man es bei einem Schoppen nicht bewenden lassen konnte, sondern dem zweiten der dritte und diesem wohl auch ein vierter folgte Wie eine und zwar unquittirt in Petersen's Nachlaß vorgefundene, vom Ochsenwirth Geiger verfaßte » Nota über Hr. D. Schiller und Hrn. Bibliotarius Petersinn« beurkundet. Uebrigens ist schon hier, und zwar besonders auf das vollgültige Zeugniß des Professors Abel hin (Sch. L. von Hoffmeister und Viehoff, I, 98) des Bestimmtesten zu verneinen, daß Schiller, wie der Klatsch wissen wollte, jemals ein gewohnheitsmäßiger Trinker gewesen sei. Er war das schon als Regimentsmedicus nicht, obgleich er als solcher gelegentlich mal »einen Schoppen über Durst getrunken haben mag.«; und wenn der Kapf, der Don Juan der Tafelrunde, mit seinen neuesten Eroberungen pralte, so konnte man sich doch wohl nicht enthalten, das schlanke Kellermädchen zu haschen und die Frische seiner Wangen und Lippen küssend zu proben. Es geht nun einmal so zu in der jungen Welt. Zudem war Stuttgart zu Herzog Karl's Zeiten eine »gefährliche« Stadt. Die moralische Anschauung der Bevölkerung war eine so laxe, daß man nur zu geneigt sein mochte, zu den Ausschreitungen der Jugend ein Auge oder gar beide zuzudrücken. Es ist nicht zu verschweigen, daß diese unlautere Atmosphäre auch auf Schiller nicht ganz ohne Wirkung blieb. Einzelnheiten anzugeben vermögen wir freilich nicht, aber selbst eine so discrete und zartfühlende Lebensbeschreiberin, wie Karoline von Wolzogen war, hat sich nicht enthalten können, anzudeuten, daß »Sinnentaumel« und »jugendliche Thorheit« nach so lang entbehrter Freiheit auch auf den Regimentsmedicus ihre Macht geübt und »Finanzverlegenheiten« zur natürlichen Folge gehabt hätten. Ein heilsames Gegengewicht zu den residenzlichen Verlockungen bildete indessen die Nähe von Schiller's Familie. Wo das strenge Kopfschütteln des Vaters nicht wirkte, da wirkte eine »im weichen Liebeston« Seitens der Mutter angebrachte Warnung um so sicherer. Die Solitude blieb auch, so oft ein kurzer Urlaub zu erlangen war – ohne einen solchen durfte der Regimentsmedicus die Stadt nicht verlassen – das Lieblingsziel der Ausflüge Schiller's und seiner Freunde, wenn sie, wie Scharffenstein erzählt, »einen guten Tag haben wollten; denn was wurde dort für das liebe Wunderthier von Sohn und seine mitgebrachten Kameraden gebacken und gebraten!« Der General ging an dieser Stelle seiner Jugenderinnerungen nicht vorüber, ohne der guten Frau Elisabeth ein Ehrenmal aufzurichten. »Nie – sagt er – habe ich ein besseres Mutterherz, ein häuslicheres, weiblicheres Weib gekannt, als die Mutter Schiller's war.«

Zu dem sänftigenden Einfluß, welchen eine solche Mutter auf den brausenden Jüngling üben mußte, kam der einer mütterlichen Freundin, welche Schiller um diese Zeit in Frau Wilhelmine von Wolzogen gewann. Sie war die Gattin des Freiherrn Ernst Ludwig von Wolzogen, aber schon seit 1774 verwittwet. Der Freiherr hatte seiner Wittwe die Sorge für fünf Kinder und dazu nur die im Rhöngebirge gelegenen beiden kleinen Waldgüter Bauerbach und Oberharles hinterlassen Alfred v. Wolzogen im deutschen Museum von Prutz, Jahrg. 1857, Nr. 37.. Sie brachte 1775 ihren ältesten Sohn Wilhelm in die Militär-Akademie nach Stuttgart, in welcher dann auch die drei übrigen Söhne erzogen wurden. Die beiden älteren Brüder Wolzogen waren in dieser Anstalt Schiller's Commilitonen gewesen, aber, etwas jünger als er und einer andern Lehrabtheilung angehörend, wenig mit ihm in Berührung gekommen. Wilhelm von Wolzogen konnte damals noch nicht ahnen, daß er mit dem Dichter später in so nahe verwandtschaftliche Beziehungen treten würde; aber angezogen von dem steigenden Dichterruf Schiller's, welcher in der Akademie ein öffentliches Geheimniß war, empfahl er den aus der Anstalt getretenen Mitzögling an seine Mutter, welche von ihrem gewöhnlichen Aufenthaltsort Bauerbach häufig zu längerem Verweilen nach Stuttgart kam, um ihren Söhnen näher zu sein. Frau von Wolzogen bildet mit jenen Kreis auserwählter Frauen, welche unseren großen Geistern des vorigen Jahrhunderts in Freundschaft nahegetreten sind und wohlthätig auf sie eingewirkt haben. Für Schiller war die Bekanntschaft mit dieser Dame ein großer Gewinn. Denn er konnte im Umgang mit ihr, die eine lebhafte Theilnahme für das Gute und Schöne mit seltener Herzensgüte und geselliger Anmuth verband, edlere Sitten kennen lernen als in der Geniesherberge zum Ochsen im Schwange gingen. Der freundlich Empfangene schloß sich innig an die treffliche Frau an, brachte sie auch nach der Solitude hinauf und stiftete zwischen ihr und den Seinigen eine treue Freundschaft. Ebenso führte er die Hauptmännin Vischer bei Frau von Wolzogen ein, und daß die Letztere dies nicht nur geschehen ließ, sondern auch zu der Vischer in ein freundschaftliches Verhältniß trat, beweist, daß der Ruf der Hauptmännin damals noch ein unversehrter gewesen sein muß. Eine dritte Freundin gewann Schiller in Ludovike Reichenbach, einem hoch und rein gestimmten, künstlerisch begabten Mädchen, welches mit Schwester Christophine befreundet war und es dem Dichter für das ganze Leben wurde.

Im Umgange mit seinen Freunden und Freundinnen vergaß der Regimentsmedicus gerne die Widerwärtigkeiten seines Amtes. Dieses war keine Sinecure, denn, wie schon erwähnt worden, gehörten die 240 Augé'schen Grenadiere so ziemlich in die Classe der Invaliden. Da machte denn der Lazarethdienst unserem Dichter nicht wenig zu schaffen. Er scheint aber bei seinen Curen sehr kraftgenialisch zu Werke gegangen zu sein, denn sein medizinischer Vorgesetzter, der Leibmedicus Elwert, hatte wiederholte Veranlassung, gegen allzu drastische Experimente des jungen Heilkünstlers einzuschreiten. Das verräucherte Gebälke der Gaststube zum Ochsen hat gewiß manche tolle Schnurre mitangehört, welche der sarkastische Petersen im Kreise der Genossen über Schiller's ärztliches Gebahren losließ. Und der Regimentsmedicus selbst stand nicht an, die Sache vom Standpunkt des Humors anzusehen. In einer Selbstkritik der Räuber, welche er nach dem Erscheinen des Stückes anonym in das Würtembergische Repertorium einrücken ließ, spöttelte er: »Der Verfasser der Räuber soll ein Arzt bei einem Grenadierbataillon sein, und wenn das ist, macht es dem Scharfsinne seines Landesherrn Ehre. So gewiß ich sein Werk verstehe, so muß er starke Dosen in Emeticis ebenso lieben als in Aestheticis, und ich möchte ihm lieber zehn Pferde als meine Frau zur Cur übergeben.« Die Wahrheit ist, Schiller liebte seinen amtlichen Beruf nicht. Eine Zeit lang suchte er sich darüber zu täuschen, indem er meinte, nur der praktischen Seite der Arzneiwissenschaft vermöge er keinen Geschmack abzugewinnen, und so trug er sich jetzt und auch später noch mit dem Plane, die theoretische Seite der Heilkunst zu cultiviren, um als Dozent derselben aufzutreten. Aber jetzt wie später ist es bei dem Vorhaben geblieben. Das Schicksal hat nicht gewollt, daß Schiller etwas Anderes werde als eben er selbst, Schiller Jean Paul hat treffend bemerkt: »Herder und Schiller wollten Beide in der Jugend zu Wundärzten sich bilden. Aber das Schicksal sagte: Nein! Es gibt tiefere Wunden als die Wunden des Leibes – heilet die tiefern! und Beide schrieben.«.

Im Anfang zwar machte er gute Miene zum bösen Spiele, und wenn er vorschriftsmäßig Morgens zur Kaserne, dann von da nach dem Lazareth und von dort zur Wachtparade »storchte«, so tröstete ihn auf diesen Gängen die Aussicht auf einen mehr oder weniger burschicosen Abend im Ochsen. Allein auf die Länge konnte das Genügen an dem eintönigen Lauf eines zwischen Emeticaverschreiben, Rapportabstatten und »gemächlichem Kneipen« verstreichenden Lebens nicht vorhalten. Es ist nicht Jedem gegeben, sich zu bescheiden, in dem zur Abspielung trivialer Weisen construirten Drehorgelwerk des Lebens ein kleines, unbeachtetes Stiftchen vorzustellen. Das Licht will leuchten: das ist seine Natur und sein Recht. Außerdem waren 36 Kreuzer täglich auch kein Einkommen, auf dessen Vermehrung man nicht bedacht zu sein brauchte. Ach, jenes bittere Wort eines englischen Poeten auf einen armen Bruder in Apoll Um in Begeisterung ihn zu bringen,
Schlug ihm die Armuth ums Haupt die Schwingen.
paßt nur allzu gut auch auf Schiller. Auch er hätte nur allzu oft sagen können: Muse, dein Name ist Armuth! Freilich, der Einfall, zur Verbesserung seiner Finanzen ein Schriftsteller, ein deutscher Schriftsteller zu werden, wäre unverzeihlich, wenn nicht einem Jüngling von einundzwanzig Jahren, der noch dazu ein Dichter war, wunderlichste Einfälle zugute gehalten werden müßten.

Eines Abends – der Tag mochte für den Herrn Regimentsmedicus ein besonders verdrießlicher gewesen sein – flüchtete Schiller in die böhmischen Wälder, d. h. er nahm das Manuscript der Räuber wieder vor, um es noch einmal durchzuarbeiten. Denn das Stück sollte gedruckt werden, das war beschlossen und die Freunde billigten von Herzen diesen Beschluß. Abel und Petersen legten auf Spaziergängen dem Dichter freilich ans Herz, an dem Gedicht noch diese und jene einschneidendere Veränderung vorzunehmen, und nach seiner ihm schon damals zur Gewohnheit gewordenen Art, in Betreff seiner Arbeiten das Für und Wider gerne mit Freunden durchzusprechen, was so sehr gegen die Weise Göthe's war Vgl. dessen Gespräch mit Eckermann vom 14. November 1823., nahm er die gemachten Einwürfe wohlwollend auf; allein viel Beachtung hat er denselben doch nicht geschenkt und durfte das auch nicht, wenn die Originalität des Werkes nicht darunter leiden sollte. Endlich war es druckfertig und es fehlte nur noch ein Verleger – wahrlich keine Kleinigkeit! Hatte doch auch Göthe für seinen Götz keinen gefunden und dieses Drama auf eigene Kosten drucken lassen müssen. In Stuttgart wollte sich kein Buchhändler zu dem Wagniß verstehen und Schiller trug deßhalb seinem Freunde Petersen, welcher gerade auf einem Ausflug nach dem Rhein begriffen war, brieflich auf, dort herum anzuklopfen. »Höre, Kerl, – schloß der Brief – wenn's reüssirt! Ich will mir ein Paar Bouteillen Burgunder darauf schänken lassen.« Mit dem Burgunder hatte es aber gute Weile, denn Petersen fand auch auswärts keinen Verleger, obgleich Schiller erklärt hatte, mit einem Honorar von 50 Gulden sich begnügen zu wollen Die Honorarverhältnisse waren in Deutschland damals überhaupt noch ganz ärmlich. Das erste Werk, wofür Wieland pr. Bogen einen Dukaten bekam, war Araspes und Panthea. Seine Uebersetzung des Shakspeare wurde ihm mit 10 Carolin pr. Band honorirt. Selbst nach dem außerordentlichen Erfolg von Götz und Werther entschloß sich der Berliner Buchhändler Mylius nur nach langem Bedenken, Göthe's Stella mit 20 Thalern zu honoriren, und schrieb erschrocken an Merck, am Ende werde Göthe für seinen Faust gar 100 Louisd'or verlangen. Für Hermann und Dorothea forderte und bekam Göthe 1797 tausend Thaler. Was Schiller angeht, so gelangte er erst mit der Herausgabe der Horen zu einer anständigen Honorirung seiner Arbeiten.. Nun blieb dem Dichter nur übrig, sein Werk auf eigene Rechnung drucken zu lassen; aber der obscure Buchdrucker, an welchen sich Schiller zu diesem Behufe wandte, hatte die obscure Idee, die Druckkosten sofort baar in Händen haben zu wollen, und die Kasse des Regimentsmedicus befand sich natürlich in dem gewohnheitsmäßigen Zustande der Leere. Die Bürgschaft eines Freundes ermöglichte es dem Dichter, die nöthige Summe aufzunehmen, und die Räuber gingen unter die Presse.

Während des Druckes sandte Schiller die Aushängebogen an den Hofkammerrath und Buchhändler Schwan nach Mannheim, welcher sich als Freund und Förderer der Poesie, insbesondere der dramatischen, einen Namen gemacht hatte. Herr Schwan war gebildet genug, den Genius des Dichters sofort zu erkennen, und Schiller seinerseits fühlte so sehr das Richtige mancher Bemerkung und Ausstellung des Mannes, daß er mehr als eine grelle Stelle des Stückes noch geschwind änderte und namentlich die Vorrede ganz unterdrückte, indem er dieselbe durch eine neue ersetzte. Der briefliche Verkehr mit Schwan hatte aber noch eine wichtigere Folge. Der Hofkammerrath lief nämlich, wie er am 11. August 1781 dem Dichter schrieb, mit den Aushängebogen der Räuber sogleich zu dem Freiherrn Wolfgang Heribert von Dalberg, welcher das Mannheimer Theater als Intendant leitete, las demselben die dramatische Novität »brühwarm« vor und veranlaßte den Freiherrn, mit dem Dichter wegen Umarbeitung des Stückes Behufs der Darstellung auf der Mannheimer Bühne in Unterhandlung zu treten – ein Ereigniß von äußerster Wichtigkeit in Schiller's Leben, welches damit eine entscheidende Wendung nahm.

Inzwischen erschien im Hochsommer 1781 die erste Ausgabe der Räuber Die Räuber. Ein Schauspiel. Frankfurt und Leipzig. Die Originalausgabe, ziemlich gut ausgestattet, zählte 222 Seiten und war 800 Exemplare stark, die binnen Jahresfrist abgesetzt worden waren. Die Titelvignette, von einem Zögling der Akademie gratis radirt, stellte die Szene vor dem Kerkerthurm im Walde dar. Die nächstfolgenden Ausgaben waren: Die Räuber, ein Trauerspiel von Friedrich Schiller. Neue für die Mannheimer Bühne verbesserte Auflage. Mannheim, in der Schwanischen Buchhandlung, 1782. – Die Räuber. Ein Schauspiel in fünf Akten, herausgegeben von Friedrich Schiller. Zweite verbesserte Auflage. Frankfurt u. Leipzig, bei Tobias Löffler, 1782. – Die Räuber u. s. w. (ganz wie der vorige Titel, aber mit der berühmten Titelvignette: Löwe nach rechts aufsteigend mit dem Motto: In Tirannos!) – Die Räuber u.s.f. (abermals wie der zuletzt angegebene Titel, aber der Löwe auf der Titelvignette nach links aufsteigend). Es ist nicht mit Sicherheit festzustellen, welche von den drei letztgenannten, im Jahr 1782 erschienenen Ausgaben Original und welche Nachdrücke sind., und zwar ohne den Namen des Verfassers, welcher demnach das ganz bestimmte Bewußtsein hatte, daß die Veröffentlichung seiner Tragödie ihn mit seiner Stellung als Diener des Herzogs von Würtemberg in schroffen Widerspruch setzen mußte. Die Wirkung war die eines furchtbar prächtigen Meteors, dessen Erscheinung nur um so mehr überraschte, als es aus der seit einem Jahrzehent sehr still und eintönig gewordenen Stuttgarter Atmosphäre plötzlich emporstieg. Damals gab es in Deutschland noch literarische »Ereignisse« und die Räuber wurden sofort als ein solches anerkannt, in Liebe und Haß; denn während das Stück die Jugend elektrisirte, in den Brennstoff, welchen die Sturm- und Drangzeit in den jungen Herzen aufgehäuft, wie ein zündender Blitz einschlagend, verursachte es den Anhängern des Bestehenden, den Nutznießern der alten Ordnungen und Satzungen Grauen und Furcht. Wäre zu jener Zeit das »rothe Gespenst« schon erfunden gewesen, gewiß, man hätte es in den Räubern drohend spuken sehen. Und in Wahrheit, das Gedicht war eine Drohung. Wie ein Schrei bacchantischen Zerstörungsjubels scholl es in eine abgelebte Gesellschaft herein, welche sich widerstrebend zu einer weltgeschichtlichen Häutung anschickte. Der poetische Instinkt hatte die richtige Witterung der ungeheuren Erschütterungen, welche Europa bevorstanden; aber erst als sie da waren, anerkannte man die Richtigkeit der Vorahnung. Doch nein, man hütete sich wohl, so gerecht zu sein, und zog es vor, in den Symptomen, womit die Katastrophe sich angekündigt hatte, die Ursachen von dieser zu sehen und zu hassen. So jener Fürst, von dem Göthe, wie er Eckermann mittheilte, in Karlsbad das Wort vernahm: »Wäre ich Gott gewesen, im Begriffe, die Welt zu erschaffen, und ich hätte in diesem Augenblicke vorausgesehen, daß Schiller's Räuber darin würden geschrieben werden, – ich hätte die Welt nicht erschaffen!«

Natürlich konnte es nicht fehlen, daß auch beim Erscheinen des Stückes schon mißbilligende Stimmen laut wurden; zunächst jedoch nur von ästhetischer und moralischer Seite her. Allein die Mißbilligung vermochte gegen den Beifallssturm gar nicht aufzukommen. Freilich äußerte sich dieser mitunter kaum weniger unverständig als jene und überhaupt ist meines Wissens zu jener Zeit nur eine einzige Kritik der Räuber erschienen, welche diesen Namen verdiente. Ich meine die, welche in der Erfurtischen gelehrten Zeitung vom 24. Juli 1781 stand Mitgeth. bei Boas a.a.O. I, 10 fg.. Hier war Lob und Tadel mit Verstand und Sachkenntniß motivirt und die außerordentliche Bedeutung des Gedichtes namentlich dadurch anerkannt, daß von dem Verfasser gesagt wurde: »Haben wir je einen deutschen Shakspeare zu erwarten, so ist es dieser!« Ein solcher Ausspruch, noch dazu offenbar von einem competenten Richter abgegeben, mußte dem zweiundzwanzigjährigen Regimentsmedicus nicht wenig wohlthun und es steht zu vermuthen, daß er Sorge getragen, das Erfurter Blatt auch nach der Solitude hinaufgelangen zu lassen. Galt es doch, dort droben die residenzlichen Klatschbasereien zu paralysiren, wie sie von »guten Freunden« hinsichtlich des Eindrucks, welchen das »erschreckliche Theaterstück« in Stuttgart hervorgebracht, sicherlich den Eltern des Dichters zugetragen wurden. Der Name des Verfassers war natürlich in Aller Mund und es ist gar nicht zu bezweifeln, daß auch der Herzog frühzeitig von der Autorschaft seines Regimentsmedicus unterrichtet wurde. Sei es nun, daß der Fürst Anfangs die Sache leicht nahm, sei es gar, daß sich sein Stolz geschmeichelt fühlte, einen Dichter, der mit seinem ersten Wurf so großes Aufsehen erregte, aus der Karlsschule hervorgegangen zu sehen, – genug, es mußten noch anderweitige Umstände hinzukommen, bevor Karl sich bewogen fand, als gestrenger Censor einzuschreiten.

Vor der Hand mochte sich der Dichter unbehelligt in den Stralen seines jungen Ruhmes sonnen, welche ja kräftig genug waren, selbst ein so steinernes Herz zu erwärmen, wie es der General Rieger, Commandant auf Hohenasperg, in der Brust trug. Dieser Mann, dessen Schicksale Schiller später in seiner Novelle »Spiel des Schicksals« beschrieben hat, war aus dem Glanz der Günstlingsschaft plötzlich in das Dunkel eines unterirdischen Kerkers auf Hohentwiel hinabgeschleudert worden. Nach mehrjähriger, wohl am würtemberger Land, nicht aber an dessen Herzog verdienter Haft war er in die Verbannung gewandert, dann von Karl zurückgerufen und als Befehlshaber auf den Asperg gesetzt worden, wo er namentlich als Kerkermeister Schubart's eine traurige Berühmtheit erlangte. Die furchtbare Prüfung, welche er erfahren, hatte Rieger's Herzenshärte nicht gemildert, wohl aber seine Phantasie in die Irrgänge pietistischer Schwärmerei hineingelenkt und mit dieser amalgamirte sich wunderlichst die Laune, den Schöngeist zu spielen. Was damals, aus dieser Rieger'schen Laune resultirend, auf dem Asperg geschah, gehört, will mir scheinen, nicht zu den am wenigsten merkwürdigen Charakterzügen des Jahrhunderts. Rieger commandirte die Besatzung abwechselnd zum Exerciren, zum Gassenlaufen, zur Gottesfurcht, zum Komödienspiel und zum Ballet. Ja, die armen Teufel von Soldaten mußten auf Rieger's Kommando singen, springen, tanzen und schauspielen. Eine Bühne ward etablirt und Schubart commandirt, für das Repertoire zu sorgen. Selbst der Hof, den Herzog an der Spitze, beehrte die Vorstellungen dann und wann mit seiner Gegenwart. Hoven kam mehrmals von Ludwigsburg herauf, sich das Ding mitanzusehen, und was er da hörte, war seltsam genug. So wurde am Geburtsfest des Kommandanten ein Schauspiel aufgeführt, dessen von Schubart – gewiß unter heimlichem Zähneknirschen – gedichteter Prolog mit den Worten anhob: »Edler Rieger!« Der edle Rieger stand alsbald auf, klatschte entzückt und schrie: Da capo! worauf der Prolog abermals: »Edler Rieger!« Uebrigens that der frömmelnde und schöngeistelnde General nur nach, was sein herzoglicher Gebieter ihm vorthat. Auch diesen mußte der unglückliche Poet in befohlenen Prologen und Festgedichten überschwänglich loben und preisen, – zur nämlichen Zeit, wo der Grimm des Gefangenen in einem unsterblichen Fluche sich entlud, betitelt »die Fürstengruft«, Als Hoven erst über das Erstaunen hinaus war, den General von diesem selbst commandirte und ihm ins Gesicht abgeleierte Schmeicheleien beklatschen zu sehen, stach ihn der Schalk und er klatschte aus Leibeskräften mit. Dadurch wurde Rieger auf den jungen Mann »von so feinem Geschmack« aufmerksam und nach gemachter Bekanntschaft forderte er Hoven auf, doch auch einmal dessen Freund, den Verfasser der Räuber, mit auf den Asperg zu bringen. Als Hoven zugesagt, bereitete der Herr General einen Theatercoup vor. Schubart ward commandirt, eine Rezension über die Räuber zu schreiben, und als dann Hoven eines Tages mit Schiller heraufkam, stellte der Commandant den Letzteren unter dem Namen eines Dr. Fischer dem gefangenen Dichter vor und lenkte baldmöglichst das Gespräch auf die Räuber. Der angebliche Dr. Fischer bemerkte, er kenne den Verfasser der Tragödie genau, und wünschte Schubart's Urtheil über dieselbe zu hören. Das war das Stichwort für den General, welcher sofort seinen Gefangenen aufforderte, seine Kritik vorzulesen. Nachdem dieses geschehen, äußerte Schubart, er möchte wohl den Dichter der Räuber persönlich kennen lernen. Nun Rieger, dem Gefangenen auf die Schulter klopfend: »Ihr Wunsch ist erfüllt. Hier steht er vor Ihnen!« Ist's möglich? rief Schubart enthusiastisch, fiel dem Dichter um den Hals, küßte ihn und brach in Thränen aus Hoven's Selbstbiographie, S. 114 fg. Zum Glück für Schubart starb der »edle« Rieger bald darauf (im Mai 1782). Unter seinem Nachfolger, General von Scheler, athmete der Gefangene ordentlich neu auf. »Mein gegenwärtiger Commandant – schrieb er am 10. Oktober 1782 an seine Frau – läßt mich meine Fesseln wenig fühlen – das Gott ihm lohne!«.

Wenn die Bekanntschaft mit dem armen Gefangenen des Aspergs in dem Regimentsmedicus nur schmerzliche Gefühle erregen konnte, so mußte ihm dagegen eine andere, um dieselbe Zeit ihm nahegetretene Persönlichkeit freundlichste Eindrücke bereiten. Ein junger Musiker, Andreas Streicher, 1761 zu Stuttgart geboren, so ein echtes, gutes, treues Schwabenherz, hatte mit Begeisterung die Räuber gelesen und ein Freund erfüllte seinen Wunsch, ihn mit dem Dichter persönlich bekannt zu machen. Mit Ueberraschung erkannte er in diesem den Jüngling wieder, dessen Erscheinung etwa anderthalb Jahre früher bei Gelegenheit der Prüfungsfeierlichkeiten in der Akademie seine Aufmerksamkeit so sehr erregt hatten S. das vorige Kapitel des Textes.. Streicher hat diese erste Zusammenkunft mit Schiller treu im Gedächtniß bewahrt. Er hatte sich den Dichter der Räuber als einen heftigen jungen Mann vorgestellt, dessen Feuer in Sprache und Gebahren alle Augenblicke in Ungebundenheit ausschweifen müsse. Er fand sich angenehm enttäuscht. Das seelenvollste, anspruchloseste Gesicht lächelte dem Kommenden entgegen. Bescheiden ablehnend wurde die schmeichelhafte Anrede des jungen Künstlers erwidert. Im Gespräche nicht ein Wort, welches das zarteste Gefühl hätte beleidigen können. Die Ansichten über Alles, besonders aber Musik und Dichtkunst betreffend, ganz neu, ungewöhnlich, überzeugend und doch im höchsten Grade natürlich. Das anfänglich blasse Aussehen, welches im Verfolg des Gespräches in hohe Röthe überging, die kranken Augen, die kunstlos zurückgelegten Haare, der blendend weiße, entblößte Hals, gaben dem Dichter eine Bedeutung, die ebenso vortheilhaft gegen die Geziertheit der Gesellschaft abstach als seine Aussprüche über ihre Reden erhaben waren Streicher a.a.O. 66 fg.. Es war eine günstige Stunde, als der junge Dichter den jungen Musiker kennen lernte. Sie wurden Freunde und keine der idealen Freundschaften jener Zeit war idealeren Schwunges als die, welche Streicher seinem Schiller weihte. Der Dichter hatte hier ein Herz gefunden, in welches er alle seine Ansichten, Entwürfe, Sorgen und Kümmernisse niederlegen konnte, und der weiche, träumerische Musiker gewann in dem täglichen Umgange mit dem verehrten und geliebten Freund eine Kraft der Aufopferungsfähigkeit, welche zu bewähren er bald Gelegenheit erhalten sollte.

Unterdessen hatte die Unterhandlung des Dichters mit Dalberg ihren Fortgang. Der Freiherr, ein gebildeter, kunstsinniger, für edle Regungen empfänglicher, wenn auch nicht sehr charakterfester Mann, machte durch seine von dem Kurfürsten von Pfalz-Baiern ihm übertragene Direction des Mannheimer Theaters in der deutschen Theatergeschichte Epoche. Zwar übersiedelte 1778 der pfalzbairische Hof nach München, doch wurde für die Mannheimer Bühne eine jährliche Subvention ausgeworfen, welche es dem Freiherrn ermöglichte, eine tüchtige Anstalt zu gründen. Er ging mit Kenntniß, Geschmack und Eifer ans Werk und auch der aristokratische Anstand, der Ton vornehmer Weltbildung, womit Dalberg das Institut leitete, kam diesem nicht wenig zu gut. Der rohe Naturalismus oder auch die Gottsched'sche Unnatur, welche bisher, verbunden mit einem zuchtlosen Bandenleben, unter den deutschen Schauspielern gäng und gäbe gewesen, sie fanden hier keine Duldung und das im Herbst 1779 eröffnete Mannheimer Nationaltheater durfte, mit Schauspielern wie Iffland, Boek, Beil und Beck, den Schülern Eckhof's, wie Meyer und Zuckarini, und mit Schauspielerinnen wie die Seyler, Toskani, Meyer, Wallenstein und Kummerfeld besetzt, vor allen anderen deutschen Schaubühnen damaliger Zeit auf die Geltung einer Kunstanstalt Anspruch machen.

Schiller hatte natürlich die Aussicht, seine Tragödie auf einer solchen Bühne zur Darstellung zu bringen, mit lebhafter Freude begrüßt. Aber sofort begannen die dramaturgischen Leiden, welche an diese Aussicht sich knüpften. Denn es galt, das Stück »bühnengerecht« zu machen, und über Bühnengerechtigkeit gingen die Ansichten des Dichters und die des Intendanten himmelweit auseinander. Es half jedoch Nichts, sie mußten vermittelt werden. Wohl mag Schiller, während er sein Gedicht für das Theater »gerecht« machte, manchmal mit dem Helden desselben verzweifelnd ausgerufen haben: »Ich soll meinen Leib pressen in eine Schnürbrust?« Aber ohne Schnürbrust keine Aufführung! So kam endlich das Bühnenmanuscript, in welchem das Original vielfach verdreht und verstümmelt erscheint, zu Stande und ging am 6. October 1781 an Dalberg ab, welcher all der »eifrigen Fürsprache eines Vaters für sein Kind« gegenüber unerbittlich geblieben war. Gewiß, Dalberg hatte Rücksichten zu nehmen: schon als Edelmann und mehr noch als Director einer fürstlichen Bühne mußte ihm daran gelegen sein, den sturm- und drangvollen oder, wenn man will, den revolutionären Ton des Stückes möglichst zu dämpfen. Aber es war, ästhetisch angesehen, geradezu eine Monstrosität, den Sinn des Gedichts, welches, wie eine echte Ausgeburt des Jahrhunderts, so auch eine Kritik und eine Befehdung desselben war, dadurch zu fälschen, daß man die Handlung auf der Bühne willkürlich um Jahrhunderte zurückverlegte, in die Zeit, »wo Kaiser Maximilian den ewigen Landfrieden in Deutschland stiftete.« Dadurch sollte dem Werk sein Stachel genommen werden; allein in Wahrheit wurden durch ein solches Beginnen, welches noch dazu bloß ganz Blödsichtige täuschen konnte, nur »alle seine tiefer liegenden Motive gelähmt und die besten Lebensnerven der Charaktere durchschnitten« Devrient, Gesch. d. deutschen Schauspielkunst, III, 30.. Neben solcher Mißhandlung des Stückes im Großen und Ganzen, war es kaum noch von Belang, wenn im Einzelnen auf theilweise ganz absurden Veränderungen bestanden wurde. So z. B. meinte Dalberg, es sei doch gar zu gräßlich, daß Karl Moor seine Geliebte umbringe – ein Zug, der wesentlich zur Rolle des Räuberchefs gehört – und so mußte die arme Amalia auf der Bühne zur Selbstmörderin werden.

Daß, nachdem endlich alle Hindernisse, welche der Aufführung sich entgegenstellten, wohl oder übel beseitigt waren, Schiller den Gang seines Erstlings über die Bretter mitansehen wollte, verstand sich von selbst. Dem Dichter das verwehren wollen, wäre etwa, als wollte man einem zärtlichen Vater gebieten, abwesend zu sein, wenn seine geliebte, in Sorgen und Schmerzen erzogene Tochter unter dem Brautkranz geht. Aber es war Grund da, zu befürchten, daß ein zu erbittender Urlaub dem Dichter verweigert werden würde, der sich doch, wie er an Dalberg schrieb, auf die Aufführung freute wie ein Kind. Falls eine von Schwab beigebrachte Ueberlieferung Schiller's Leben, S. 96. begründet ist, mußte der Lärm, welchen die Räuber machten, zu dieser Zeit droben im Hohenheimer Schloß bereits Staub aufgeworfen haben. Ein früheres Urlaubsgesuch, vermuthlich von Schiller zu dem Zweck eingereicht, der Generalprobe seines Stückes in Mannheim anzuwohnen, war verweigert und mit einer herzoglichen Resolution begleitet worden, des Inhalts, der Regimentsmedicus möge sich ernster und eifriger als bisher seinen Amtsgeschäften und nur diesen widmen. Aber – schrieb Schiller an seinen Jugendfreund Moser – »welcher kräftige Jüngling würde nicht wünschen, das Kind seiner ersten Liebe zu sehen?« Dagegen half kein Bedenken, und weil der Dichter voraussah, daß er nicht öffentlich, d. h. mit Urlaub, nach Mannheim würde gehen können, beschloß er, heimlich zu gehen. Die Aufführung der Räuber war auf den 10. Januar 1782 festgesetzt worden, aber Dalberg verschob sie um ein paar Tage, weil Schiller an dem genannten in der ganzen Glorie seines Regimentsmedizinerthums die Gratulationscour sämmtlicher Militair- und Civilchargen zu Ehren des Geburtsfestes der Gräfin von Hohenheim mitmachen mußte. Dann aber war kein Halten mehr. Mit Freund Petersen machte sich der Dichter in aller Heimlichkeit auf den Weg, wäre aber, wie der Genannte bezeugt, beinahe zu spät in Mannheim eingetroffen, weil ihn das Wohlgefallen an einem schmucken Schenkmädchen ungebührlich lange in Schwetzingen festhielt. Glückliche Sorglosigkeit der Jugend, die selbst auf der Schwelle zu wichtigsten Entscheidungen von den hübschen Augen eines Schenkmädchens sich fesseln lassen kann.


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