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2.

Wie man auch immer über diese große Epoche urtheilen mag, gewiß ist, daß sie eine der außerordentlichsten, vielgestaltigsten, poesievollsten, ideen- und thatenreichsten der Weltgeschichte war. Welche Fülle von »Menschengeschick bestimmenden« Gedanken auf allen Gebieten menschlichen Wissens und Strebens! Welche unübersehbare Reihe von originellen Menschen, von edlen, großen, räthselhaften und schrecklichen Charakteren! Welches Gedränge von Helden, Dichtern, Denkern, Künstlern, von Originalen, Kraftgenies, Abenteurern und Courtisanen! Weichste Gefühlsamkeit und Thränenseligkeit wechselt mit prometheischem Trotz und der titanischen Kühnheit des Wollens gesellt sich die genialste Kraft des Vollbringens. Wildeste Skepsis, das schneidende Hohnlachen noch auf den Lippen, springt jach in mystische Verzücktheit um oder umgekehrt schwärmerische Zerknirschung in blasphemischen Atheismus. Neben dem unbändigen Gezisch und Gehöhne eines souverainen Spottes, der, trunken von Zerstörungslust, nichts Heiliges mehr anerkennt, jubeln die innigsten Herzenslaute erhabenster Begeisterung auf. Wunderbarstes wird gedacht, Unerwartetstes geschieht auf diesem Boden, welcher vulkanisch unter den Füßen der Menschen schwankt. An der Stelle, wo noch eben ein Heros unsere Bewunderung, ein Gesetzgeber unsere Dankbarkeit, ein Poet unser Entzücken erntete, bläht sich im nächsten Augenblick ein frecher Charlatan. Eine schwüle Atmosphäre von Puder, Schminke, Frivolität, Mysticismus, Intriguengeist und stahlhartem Egoismus umgibt uns; aber in dieser Luft des Verderbens blühen mit einmal, himmlischen Wunderblumen gleich, hochherzige Ideen auf und reifen zu epochemachenden Thatsachen der Vernunft und Humanität.

Es war die Bestimmung des 18. Jahrhunderts, die unvollendete Mission des 16. wieder aufzunehmen. In Weiterführung derselben hat es auf allen Gebieten, wenigstens theoretisch, die europäische Gesellschaft von der mittelalterlichen Befangenheit und Gebundenheit erlöst. Es hat das Vorurtheil der Kastenunterschiede spottlachend in die Luft geblasen, hat das Bürgerthum neu geschaffen, hat den leibeigenen Bauer in den Kreis der Menschen eingeführt; aber es hat auch das sittliche Fundament der Gesellschaft unterhöhlt und neben Schlechtestem auch Bestes entwürdigt und entwerthet. Ziemte es sich, von der ernsten Geschichte in leichten Bildern zu sprechen, so könnte man diese wunderbar bewegte Zeit ein wahres Carneval von schneidenden Gegensätzen nennen. Allein aus diesem gährenden Chaos von Blasirtheit und Enthusiasmus, von mondscheinzarter Empfindsamkeit und grober Sinnenlust, von frechem Unglauben und kindischer Wundersucht, von rohestem Materialismus und ätherischer Gedankenhoheit, von raffinirter Unnatur und überschwänglicher Naturfreude klingt als starker Grundton immer wieder der emanzipative Sturm- und Drangruf und über dem Wirrniß sittlicher Verkommenheit erhebt sich adlergleich der Glaube an das Ideal.

Zwei intellectuelle Mächte lösen sich in der Herrschaft über diese Welt von Contrasten ab. Erst schwingt ein weltgeschichtlicher Witz sein boshaft lachendes Szepter und schlägt damit an die Grundsäulen der Gesellschaft, um zu zeigen, wie hohl und morsch dieselben geworden. Dann gestaltet sich der Ueberdruß an dem altersschwachen Bestehenden zur leidenschaftlichen Sehnsucht nach neuen Zuständen und dieses weltgeschichtliche Pathos macht, vermittelst einer ungeheuren Umwälzung, die moderne Weltanschauung über die mittelalterliche triumphiren. Alles drängt und treibt auf dieses Ziel hin, bewußt und unbewußt. Alle macht das Jahrhundert seinem Geiste dienen, von dem einsamen Denker an, der unter Noth und Verfolgung erhabene Zukunftsgedanken sinnt, bis hinab zu der üppigen Courtisane, die in byzantinischen Orgien den Schweiß eines Volkes vergeudet. Und merkwürdig, gerade in diesem Zeitalter der Aufklärung, wo eine unerbittliche Kritik alle Illusionen der Romantik zu zersetzen, zu vernichten sich abarbeitet, nimmt die Weltgeschichte eine ganz abenteuerliche Gestalt an und diese Gesellschaft in Perücke und Haarbeutel, im Reifrock und Stelzschuh wird von phantastischen Träumen, Wünschen und Begierden verzehrt. Ja, durch das ganze Jahrhundert spannt sich eine Kette von bizarren Erscheinungen, grellbunten Schicksalswechseln und romanhaften Ereignissen im öffentlichen und privatlichen Leben.

Auf der Schwelle des Jahrhunderts steht im ganzen Pomp des vollendeten Absolutismus Ludwig der Vierzehnte, ein Erdengott, welcher zum Hofnarren einen Molière, zu Schmeichlern einen Corneille, Racine und Bossuet hat. Eingehüllt in eine Wolke von Weihrauch, braucht der Jupiter nur die Locken seiner Perücke zu schütteln, um einem Erdtheil Besorgniß und Furcht einzuflößen. Aber dieser Autokrat, welcher neben einem Louvois auch einen Colbert zum Minister hatte, d. h. dem Regierungsprinzip des modernen Militärstaats als ein zweites den modernen Industrialismus gesellte, – dieser souveraine Monarch, welcher, um sagen zu können: »Es gibt keine Pyrenäen mehr!« viele Jahre hindurch Europa mit einer verheerenden Flut von Bajonnetten bedeckte, er vergrämt seine letzten Lebensjahre, sich selbst und Allen verhaßt und zur Last, unter der eisernen Zuchtruthe einer Betschwester, der Wittwe eines Possenreißers, die er zu seiner Gemahlin gemacht. Ein deutscher Fürst, von der Natur zum Herkules gebildet, zieht wie ein irrender Paladin von König Artus' Tafelrunde nach einer Königskrone aus, – nur mit dem Unterschiede, daß Gold und Intrigue seine Waffen sind, und errichtet, nachdem er das Traumbild dieser polnischen Krone erjagt, mitten in einem Lande von strenglutherisch-frommer Zucht und Sitte ein orientalisches Sultanat, funkelnd und rauschend von märchenhafter Pracht und Schwelgerei. Dieses Sultans Todfeind, der zwölfte Karl von Schweden, wirft sich, ein nordischer Alexander, erobernd in die unermeßlichen Einöden Rußlands und erliegt nicht minder dem eigenen Starrsinn als dem Glück jenes energischen Civilisators, welcher, den Kantschu in der Faust, sein Volk aus dem Dunkel asiatischer Barbarei heraus und der Helle europäischer Bildung entgegentreibt, das »Mädchen von Marienburg« neben sich auf den Thron setzt, den eigenen Sohn seiner Staatsidee zum Opfer bringt und durch Gründung von Petersburg, sowie durch Annahme des kaiserlichen Titels der Welt verkündigt, daß im Osten des Erdtheils eine neue Ordnung der Dinge begonnen habe. Das Werk dieses Kraftmenschen, dessen Leben zwischen der Ausführung riesenhafter Pläne und rohesten Vergnügungen verfloß, wird von einer Frau fortgesetzt. Eine kleine deutsche Prinzessin besteigt, über den Leichnam ihres Gemahls hinwegschreitend, den Czarenthron und verwandelt, eine wunderbare Mischung von glühendem Temperament, Verstellungskunst und Herrschergeist, die vorzeitlichen Mythen von der babylonischen Semiramis droben am Newagestade in welthistorische Wirklichkeit, wirft einem Potemkin und anderen Corporalen die höchsten Ehren, Würden und Reichthümer des Reiches zum Spielzeug hin, sieht trockenen Auges ganze Völker unter dem Schwert ihrer Eroberungspolitik verbluten und zerfließt am Sterbebette des geliebten Lanskoi in Verzweiflungsthränen. Wie die zweite Katharina in ihrem Genie und in ihren Leidenschaften, so findet ihre Zeitgenossin Maria Theresia in dem standhaften Glauben an ihr göttliches Recht und in ihrer Mutterliebe die Quellen eines Muthes, welcher mit Manneskraft höchsten Gefahren trotzt. Aber, widerfahrene Unbill zu rächen, verbindet sich diese sittenstrenge Frau, diese keusche Gattin und treffliche Mutter mit einer Czarin Elisabeth und einer Marquise Pompadour und verschafft so ihrem Gegner, dem preußischen Friedrich, Gelegenheit zur Vorführung der Heldenrolle in einem »Schauspiel für Götter«, d. h. in dem Kampf eines großen Mannes mit dem Schicksal.

Neben diesen und anderen Staatsactionen des Jahrhunderts spielen sich zahllose Intriguendramen ab. Nicht allein politische »Mantel- und Degenstücke«, sondern auch erotische Boudoirspiele, wo seidenweiche, von den kostbarsten Spitzen bedeckte Händchen die Giftphiole handhaben oder dem willigen Bravo mit der Goldbörse zugleich den rächenden Dolch in die Faust drücken. Während deutsche Abenteurer, ein Ostermann, ein Münnich, auf russischem Boden, ungebeugt durch schroffeste Glückswechsel, die civilisirende Mission der germanischen Race erfüllen, durchzieht ein Schwarm von südländischen Singern und Springern, Buhlerinnen, Spielern und Industrierittern aller Art, meist zu Venedig, der damaligen Hochschule der Ausschweifung, in allen Künsten der Ueppigkeit, des Betrugs, der Infamie ausgebildet, beutelüstern die cisalpinischen Länder und lebt herrlich und in Freuden, wie vormals das päpstliche Rom, von den »Sünden der nordischen Barbaren.« Es war die Blüthenzeit einer fabelhaften Schwindelei. Die unerhörte Dreistigkeit derselben entsprach genau der Begierde, womit die blasirte, in Unsitte und Glaubenslosigkeit versunkene vornehme Welt neuen Reizungen entgegenschmachtete. Nachdem man kaum die Mysterien des Offenbarungsglaubens mit Voltaire'schem Gelächter in alle Winde gestreut, wollte man neue Mysterien haben und natürlich fehlte es nicht an Mystagogen, welche diesem Bedürfniß entgegenkamen. Der Hang zum Wunderbaren ist so alt wie die Menschheit und wird nur mit dieser sterben; aber niemals, ausgenommen im sinkenden Römerreich, hat sich der thörichtste Wunderglaube so hart neben den vollendeten Unglauben gestellt wie im 18. Jahrhundert. In demselben Paris, dessen Straßen noch so eben von den blasphemischen Cynismen der Gelage des Duc d'Orleans und seiner Roués widerhallten, erneuern die »Verzückten« ( Convulsionnaires) die mystisch-asketischen Schamlosigkeiten der Geißler und Tänzer des Mittelalters. Tollste Märchen verschaffen ihren kecken Erfindern die Mittel, im höchsten Styl von Grandseigneurs zu leben. Ein Casanova läßt sich von einer alten Thörin das Versprechen, sie vermittelst magischer Operationen, deren Lächerlichkeit nur von ihrer Ruchlosigkeit übertroffen wird, zu verjüngen, mit einer Million bezahlen; ein Cagliostro erbeutet ungeheure Summen, indem er die mysteriensüchtigen vornehmen Kreise Europa's jahrelang mittelst handgreiflichen Hokuspokus äfft, und noch immer dampfen die kostspieligen Rauchfänge der Goldtinktur- und Lebenselixirküchen des 17. Jahrhunderts. Fürwahr, wir empfangen den Eindruck von gedankenschnell wechselnden Bildern einer magischen Laterne, wenn wir uns vergegenwärtigen, daß in denselben Tagen ein Washington, der Typus höchster Menschenwürde und Bürgertugend, den befreienden und ein Suwarow, halb Heros, halb Tollhäusler, den unterjochenden Feldherrnstab führte, – oder, daß zur nämlichen Zeit, wo droben in Königsberg ein Kant seine »Kritik der reinen Vernunft« schuf, drunten in Berlin ein Bischofswerder die nächste Umgebung des Throns, auf welchem Friedrich der Große saß, in die Rauchpfannendünste plumpsten Gespensterspukes hüllte.

Auf der großen Bühne war inzwischen das Drama des Jahrhunderts seinen Höhepunkten und Katastrophen entgegengeschritten. Das Verkommen Polens und das Emporkommen Rußlands, die Erwerbung der königlichen Souverainetät von Seiten Preußens und die Berufung der hannoverschen Dynastie auf den Thron von Großbritannien, – alle diese Thatsachen begründeten neue Zustände, steckten neue Ziele auf, wiesen der staatlichen und sozialen Entwicklung neue Wege. Und mit den äußerlichen Staatsveränderungen ging ein mächtiger innerlicher Umwälzungsprozeß Hand in Hand. Neue Bedürfnisse drängten überall zur Findung und Schaffung neuer Mittel. Die Politik mußte sich mehr und mehr auf neue staatswirthschaftliche Grundlagen stellen. Neue nationalökonomische Theorieen befruchteten die Landwirthschaft, die Industrie, den Handel und schon lehrte die geniale Schwindelei eines Law die moderne Gesellschaft mit fictiven Werthen rechnen. In eben demselben Maße, in welchem eine revolutionäre Literatur – wir werden sie etwas näher ins Auge zu fassen haben – die bisherigen politischen, religiösen und sozialen Lebensmächte untergrub, kam eine neue, die bürgerliche Geldmacht, immer entschiedener empor. Die Gloriole, welche der vierzehnte Ludwig dem monarchischen Prinzip um die Stirne gelegt hatte, war in den Orgien der Regentschaft erblichen, die nicht nur das Königthum profanirte, sondern auch, indem sie den notorisch lasterhaftesten und glaubenslosesten Menschen, einen Dubois, zum Cardinal machte, die Kirche schwer compromittirte. Nachdem vollends in dem Hirschpark des fünfzehnten Ludwig's die königliche Würde von ihrem eigenen Träger rücksichtslos in den Staub getreten worden, war der Zauber der Monarchie so geschwächt, daß sich der Enthusiasmus leicht begreift, womit das große republikanische Experiment jenseits des atlantischen Ozeans in Europa begrüßt wurde. Diesem Prolog folgte die weltgeschichtliche Tragödie der französischen Revolution. Dem zu Anfang des Jahrhunderts gesprochenen Wort autokratischen Uebermuths: » L'état c'est moi!« antwortete am Ausgang als ein furchtbares Echo der Fallbeilschlag vom 21. Januar 1793. Aber der bis zum Wahnsinn gesteigerten Action trat die Reaction auf die Fersen und unter den ungeheuren Wehen einer vereitelten Wiedergeburt sank das gealterte Europa ermattet zu den Füßen eines glücklichen Soldaten nieder.


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