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Erstes Buch.
Schiller's Lehrjahre.

1759-1782.

Wie aus des Berges stillen Quellen
Ein Strom die Urne langsam füllt
Und jetzt mit königlichen Wellen
Die hohen Ufer überschwillt;
Es werfen Steine, Felsenlasten
Und Wälder sich in seine Bahn,
Er aber stürzt mit stolzen Masten
Sich rauschend in den Ocean!

So sprang, von kühnem Muth beflügelt,
Beglückt in seines Traumes Wahn,
Von keiner Sorge noch gezügelt,
Der Jüngling in des Lebens Bahn.
Bis an des Aethers bleichste Sterne
Erhob ihn der Entwürfe Flug;
Nichts war so hoch und Nichts so ferne,
Wohin ihr Flügel ihn nicht trug.

Die Ideale.

Erstes Kapitel.
Die Heimat.

Altwürtemberg. – Die Schwaben. – Zur Geschichte des Landes. – Der Herzog Karl Eugen. – Glanzvolle Hofhaltung. – Das »Schreiberparadies«. – Kirche, Schule und Gelehrsamkeit.


»In Deutschland dürfte sich kaum eine Gegend finden, welche schöner wäre als das Würtemberger Land. Der Boden ist vortrefflich, das Klima mild und gesund, Berge, Thäler, Wiesen, Quellen und Wälder, Alles höchst angenehm. Die Feldfrüchte gedeihen ungemein, der Wein ist wie das Land. Stuttgart selbst nennen die Schwaben das irdische Paradies; so anmuthig ist die Lage der Stadt.«

So schrieb im Mai 1519 Ulrich von Hutten aus dem bei Eßlingen aufgeschlagenen Feldlager des schwäbischen Bundesheeres, welches in Würtemberg eingerückt war, um die Wegnahme der Bundesstadt Reutlingen an dem übelberathenen Herzog Ulrich zu rächen. Der berühmte Ritter, welcher den wider Erwarten rasch beendigten Kriegszug im Sinne eines Bluträchers für seinen von Ulrich erschlagenen Vetter Hans mitmachte, war vollauf berechtigt, zwischen Würtemberg und anderen deutschen Landschaften Vergleichungen anzustellen; denn schon hatte er das Vaterland bis zu den Ostseegegenden hinauf, nach Olmütz hinüber und nach Wien hinab durchwandert und konnte daher aus eigener Anschauung reden. Er hat auch kaum zu viel gesagt, denn, in Wahrheit, Altwürtemberg ist ein schönes Stück Erde. Die Bergwälle des Schwarzwaldes im Süden und Westen, der schwäbischen oder rauhen Alp im Osten, des Welzheimer Waldes im Norden umgränzten das Herzogthum, welches aus den Umwälzungen der napoleonischen Zeit als ein Königreich hervorgegangen ist, so ziemlich mit Verdoppelung seines früheren Flächeninhalts. Der Neckar, aus dem tannendunkeln Schwarzwald hervorbrechend, zuerst in nordöstlicher Richtung am Fuß der kühngegipfelten Alp hinströmend, dann nach scharfer Abbeugung bei Plochingen in malerischen Windungen westnördlich ziehend, ist der Hauptfluß des Landes. Von der Neckarniederung laufen links und rechts in reizendem Wechsel Höhenzüge und Thaleinschnitte aus, jene auf ihren Scheiteln Laub- und Nadelgehölz tragend und zahlreiche Quellen von kleinen Flüssen in die Thäler niedersendend, diese in saftigem Wiesengrün oder im goldenen Aehrenschmuck prangend. Da und dort schon am oberen, überall aber am unteren Laufe des Neckars siehst du die anmuthig geschwungenen Hügelhalden mit Rebenpflanzungen bedeckt. Zahlreiche kleine Städte, im Obstbaumschatten ruhende Dörfer, Weiler und Höfe bieten das Bild eines wohlbesiedelten Landes, welchem in Gestalt häufig vorkommender Burgruinen auch die Erinnerungszeichen »romantischer« Vergangenheit nicht fehlen.

Von ihren Stammesbrüdern im »Oberland« lange durch politische und, seit der Reformation, noch einschneidender durch religiöse Verhältnisse getrennt, machen die Altwürtemberger oder »Unterländer« ohne Frage einen begabtesten und eigenthümlichsten deutschen Volksstamm aus. Acker- und Weinbau, bei der unter ihnen außerordentlich vorgeschrittenen Güterzerstückelung mit beispiellosem Fleiße betrieben, bilden noch heutzutage die breite Grundlage ihres Daseins. Es sind zähe, beharrliche, an Arbeit und Entbehrung von Kindesbeinen an gewöhnte Menschen. Mit einem Stücke Brot und einem Kruge Cider ausgerüstet, geht der »Wingärter« (Weingärtner) frühmorgens an sein mühseliges Tagwerk, von welchem erst der letzte Dämmerschein des Abends ihn abruft. Das Aeußere dieses arbeitsamen Geschlechtes stellt sich durchschnittlich nicht gerade vortheilhaft dar. Starker Knochenbau, mittelgroße, gedrungene, sehnige Leibesgestalt, flachsblondes Haar, blaßblaue Augen, – das ist altwürtembergischer Typus. Das Landvolk in der Regel frühzeitig allzusehr »zusammengeschafft«, um schön sein zu können, in den Städten jedoch und überhaupt bei behaglicherer Existenz männliche und mehr noch weibliche Schönheit nicht selten. Die Frauen schlank, vollbusig, frischer Hautfarbe, und wenn nicht immer regelmäßiger, so doch häufig anmuthiger Gesichtsbildung. Bei beiden Geschlechtern bemerkt man im Gang etwas Lässiges, in der Haltung etwas Unbeholfenes, im Gang das, was wir Schwaben »latschig« nennen. Aber auch da, wo diese Mängel nicht durch höhere Bildung aufgehoben oder wenigstens gemildert sind, in den Augen ein Ausdruck zutraulicher Gutmüthigkeit, auf der Stirne ein Stral von Intelligenz und um den Mund ein Zug halbversteckter Schalkheit und Schelmerei, ohne welchen namentlich ein hübsches »Schwobamädle« gar kein solches wäre. Summa: knorrige, bei der ersten Begegnung und besonders gegen Fremde zurückhaltende und verstockte, mitunter ganz »viereckig« sich anstellende, aber strebsame, ausdauernde, tiefinnerliche, auf das Ernste und Tüchtige gerichtete Menschen. Reich ausgestattet mit Phantasie und Abstractionskraft, sehr oft von einer starken Ader Humors durchzogen, zum Nachdenken wie zum Lebensgenuß geneigt, heute grüblerisch bis zur Hypochondrie, morgen lustig bis zum Exceß, gemüthliche »Kneipbrüder« und finstere »Stündler«, nicht selten dem kühnsten Idealismus leidenschaftlich zugewandt und doch auch wieder bedächtig, zaudernd, hochfliegendste Entwürfe mit unerbittlichster Kritik zersetzend, – so sind die Schwaben.

Altwürtemberg war, wie Jedermann weiß, aus kleinen und dunkeln Anfängen allmälig zu einem Herzogthum des deutschen Reiches erwachsen. Wenn der Reisende heutzutage im Stuttgarter Bahnhof den Dampfwagen besteigt, gelangt er auf dem südöstlichen Schienenweg längs des schönen Schloßparks binnen wenigen Minuten in einen Tunnel, welcher unter der königlichen Villa Rosenstein durch den Hügel gebohrt ist. Beim Hinausrollen aus dem finsteren Gewölbe auf die über den Strom gespannte Brücke geht ein Landschaftsbild von bezaubernder Anmuth vor seinen Blicken auf, das Neckarthal zwischen Cannstadt und Eßlingen. Mittelpunkt und Krone des ganzen Bildes ist der Rothe Berg, eine über dem Dorfe Untertürkheim aus dem reizenden Rebenhügelgelände vorspringende Kuppe, von welcher ein tempelförmiges Gebäude thalwärts schaut. Es ist das Mausoleum einer schönen, klugen und guten Frau, der Königin Katharina, deren Andenken in Würtemberg zu den gesegnetsten gehört. An der Stelle, wo König Wilhelm der betrauerten Gemahlin dieses Denkmal erbaut hat, stand früher die Stammburg des alten Dynastengeschlechts der Herren zu Würtemberg und Beutelspach. Im 12. und 13. Jahrhundert finden wir sie als Grafen und vortretende Anhänger der Hohenstaufen, von deren preisgegebener Hinterlassenschaft sie sich dann einen reichen Antheil zu erwerben wußten. Der Hohenstaufenberg selbst bildete bis zu den großen Veränderungen, welche zu Anfang des 19. Jahrhunderts eintraten, Altwürtembergs Gränzmarke gegen die reichsstädtischen und reichsritterschaftlichen Gebiete in den oberen Thalschaften der Rems und Fils. Nachdem am Ende des 15. Jahrhunderts durch den trefflichen Eberhard im Bart das Haus Würtemberg den Herzogshut überkommen hatte, wurde zur Reformationszeit das Land durch seinen im Exil nachdenklich gewordenen Herzog Ulrich zum Lutherthum hinübergeführt. Es blieb von da an ein Hauptsitz und eine Hauptstütze des lutherischen Bekenntnisses im südwestlichen Deutschland. Hier, wie überall, war dieses Bekenntniß im 17. Jahrhundert dogmatischer Erstarrung verfallen und so konnte es bei dem schwäbischen Bedürfniß gemüthlicher Anregung nicht fehlen, daß beim Aufkommen des Pietismus viele Gemüther von der Landeskirche sich abwandten und in allerlei Sektirerei religiöse Befriedigung suchten. Mochte diese jedoch in orthodoxer oder in pietistischer Form gesucht werden, immerhin trug das Leben Altwürtembergs eine vorschlagend religiöse Färbung und das theologische Studium blieb von allen gelehrten Disciplinen die am meisten gepflegte und geehrte.

Der verheerende Sturm des dreißigjährigen Krieges hat auch an Altwürtemberg seine volle Wuth ausgelassen. In diesen schrecklichen Drangsalen sanken 8 Städte, 45 Dörfer, 36,000 Häuser in Asche und verminderte sich die Bevölkerung von 400,000 Köpfen auf 48,000. Noch hatte sich das Land von den Nachwehen des ungeheuren Unglücks nicht erholt, als die Kriege Ludwig's XIV. neue Heimsuchungen brachten. Und das war noch nicht das Schlimmste. Denn mit dem 18. Jahrhundert begann auch für Würtemberg die unheilvolle Wirkung, welche die Regierungs- und Hofhaltungsweise des genannten französischen Autokraten auf Deutschland übte, die Periode, wo jeder deutsche Fürst sein Versailles und seine Montespan haben wollte, die Periode, welche unter der Ueberschrift »die schweren Zeiten der Grävenitz« ein düsterstes Kapitel der Geschichte von Altwürtemberg ausmacht. Damals fing die Französirung der vornehmen Kreise in Tracht, Sitte, Bildung und Sprache an. Zu dem bis dahin herrschend gewesenen, steiflutherischen, aber ehrbaren und patriarchalischen Ton des Lebens kam der ganze Wust französischer Etikette, französischer Geziertheit und – französischer Sittenlosigkeit. Widerhaarigstes stand da nebeneinander. Droben in den winkeligen Gassen der Universitätsstadt Tübingen stiegen, mittelalterlich bemäntelt, in steifster Gravität lutherische Scholastiker umher; drunten durch die breiten, schnurgeraden Straßen von Ludwigsburg tänzelten in Alongeperücken und Bandrosenschuhen Nachbilder der Versailler Hofherren, von Stickereien strotzend, von Bändern und Spitzen flatternd, bisamduftend, galante Arien aus italischen Opern trällernd.

siehe Bildunterschrift

7. Portrait: Herzog Karl von Würtemberg.
Originalzeichnung von A. Neumann. Geschnitten von A. Vogel

Nachdem die Gewaltsamkeiten der Regierung von Eberhard Ludwig's Nachfolger Karl Alexander durch den plötzlichen Tod dieses Fürsten – dem als tragisches Nachspiel die Hinrichtung seines verhaßten Ministers, des »Jud Süß« folgte – ein Ende gefunden, gelangte nach kurzem vormundschaftlichen Interregnum Karl Eugen im Jahre 1744 als Sechszehnjähriger zum Regiment und das glühende Temperament des jungen Herzogs durchbrach bald die Schranken der weisen Lehren über Regentenpflichten, welche er aus dem Munde Friedrich's des Großen zu vernehmen Gelegenheit gehabt hatte. Es war in dem jungen Fürsten Etwas von dem Stoffe zu einem großen Herrscher, ja vielleicht für Altwürtemberg nur zu viel; denn es mag billig angenommen werden, daß er an der Spitze eines großen Staates seine unzweifelhaft bedeutenden Gaben zu wohlthätiger Entfaltung gebracht hätte, während er als Herzog von Würtemberg die erste Hälfte seiner Regierungszeit an den Versuch verlor, wenigstens im Styl eines größten Monarchen von damals zu leben. Beseelt von einem Machtgefühl, wie es souverainer nicht die Brust des vierzehnten Ludwig's geschwellt hatte, wollte der Herzog gewiß nicht ein allbekanntes Wort des Bourbon parodiren, sondern nur seine innerste Ueberzeugung kundgeben, als er eines Tages dem Sprecher einer Bürgerdeputation von Tübingen, welcher bescheiden an die Noth des Vaterlandes erinnert hatte, zuherrschte: »Was Vaterland? Das Vaterland bin ich!« Daß dieses absolute Machtbewußtsein mit der altwürtembergischen Verfassung schlecht sich vertrug, versteht sich von selbst. Wenn aber gesagt werden muß, daß Karl in seinen Zerwürfnissen mit der aus den Prälaten (Generalsuperintendenten) und den Abgeordneten der Städte bestehenden Landesvertretung mit äußerster Willkür dreinfuhr, so darf auch nicht verschwiegen werden, daß diese »Landschaft« weit mehr nur eine oligarchische Familienkette als eine wirkliche Volksrepräsentation gewesen ist. Wie streng jedoch immer die Geschichte über Regiment und Lebensführung des Herzogs bis zum Jahre 1770 urtheilen mag und muß, gewiß ist, daß es selten einen populäreren Fürsten gegeben hat, als er war und noch ist. Ueberall, wohin man in Altwürtemberg den Fuß setzt, lebt das Andenken an Herzog Karl oder, landesmundartlich zu sprechen, an »Karl Herzich« im Volke fort. Er ist dem Altwürtemberger, was der alte Fritz dem Altpreußen ist, eine halbmythische Figur, der Held von hundert Anekdoten. Alle seine Irrthümer und Fehler, alles Gewaltsame und Verletzende, was er selbst beging oder Höflinge, Soldaten und Beamte mit Herzen von Stein und Stirnen von Bronce, wie Montmartin und Rieger, Wittleder und Gegel, begehen ließ, alle Folgen seines Soldatenluxus und seiner Jagdlust, seiner zügellosen Sinnlichkeit und seiner Sucht, um jeden Preis zu glänzen, kurz, alle seine Ausschreitungen sind vergessen; aber von seiner Leutseligkeit und Zugänglichkeit, von seiner ungemein geschickten Art, sich zu dem gemeinen Mann herabzulassen, von seinen Sentenzen und Scherzreden erzählt man sich noch immer in den Kunkelstuben. Zudem war er ein höchst stattlicher Mann, dessen feuriges Auge und männlich schönes Gesicht, dessen körperliche Rüstigkeit und frankes Auftreten der Menge imponirten, während seine Liebenswürdigkeit, wenn er liebenswürdig sein wollte, feinste Damen in Reifröcken und Stelzchenschuhen und barfüßige Bauernmädchen gleichermaßen bezauberte.

Zur Zeit, von welcher hier die Rede ist, war des Herzogs Hofhaltung die glänzendste in Deutschland und der herzogliche Bibliothekar Uriot hatte vermittelst im umständlichsten Curialstyl verfaßter Festbulletins (» Déscriptions«) dafür zu sorgen, daß Mit- und Nachwelt hierüber in keinem Zweifel sein könne. Alles, was zum Hofe gehörte, war reich, prächtig, üppig. Zahllos die höhere und niedere Dienerschaft: es wimmelte da von Marschällen, Kammerherren, Jagdjunkern, Pagen, Lakaien, Heiduken, Mohren und Läufern. In mit Goldstickerei bedeckten, mit kostbarem Rauchwerk besetzten Uniformen zogen die Leibjäger auf, paradirten die Leibhusaren, thaten die Leibtrabanten ihren Dienst. Von einer zahlreichen Stalldienerschaft wurden im herzoglichen Marstall an sechshundert Pferde edler Zucht verpflegt. Ein wohlgerüstetes Waidgefolge begleitete mit englischen und dänischen Meuten den Gebieter zu seinen Festinjagden, wobei Tausende von Hirschen, Wildschweinen und anderem Gewild erlegt wurden. Alles betrieb der Fürst in großem Maßstab. So seine Baulust, so sein Gefallen an Musik, Oper und Ballet. Er hatte zu Architekten einen Leger, Bilfinger, Retti und De la Guepière, er baute das neue Schloß zu Stuttgart, das Seehaus, die Solitude, Hohenheim. Guibal malte die Decken der Prachtschlösser, welche des Gebieters Wink plötzlich in Wald und Wildniß erstehen ließ, – Asyle ländlicher Zurückgezogenheit, wie er meinte, aber bald Sitze rauschender Feste. Eine Wolke vornehmer Gäste erschien dabei, Dutzende von Fürsten, Reichsgrafen und Edeldamen. Jagden, Bankette, hohes Spiel, »Wirthschaften«, venetianische Messen und Concerte füllten die Festtage aus. Die Abende brachten theatralische Augenweide, Bälle, Illuminationen und Feuerwerke, welche Veronese, der »erste Pyrotechniker Europa's«, anfertigte. Das Opernhaus zu Ludwigsburg, nach damaligem Geschmack im Innern mit Spiegelglas bekleidet, war das größte in Deutschland. Künstler von europäischem Rufe, mit Gewährung jeder Forderung aus Italien und Frankreich verschrieben, waren da thätig. Jomelli führte den Taktstock, Noverre leitete das Ballet, in welchem Vestris auftrat, gnädig seine Zeit zwischen Paris und Stuttgart theilend. Aprile war Primuomo, die Masi Primadonna, Nardini, Lolli und Teller spielten Geige, Rodolfi blies das Horn, Plas die Hoboe. Wenn in den Prunkopern Schlachtszenen vorkamen, erschienen vier- bis fünfhundert Figuranten und ganze Schwadronen mit beschuhten Pferden auf der Bühne.

Abseits von diesem höfischen Glanz, in Kreisen, welche mit den hauptstädtischen nicht in allzunaher Berührung standen, ging inzwischen die altwürtembergische Lebensführung ihren herkömmlich einfachen und genügsamen Gang. Frucht-, Obst- und Weinbau bildeten die Nahrungsquellen der Bevölkerung. Industrie und Handel befanden sich noch im Zustande schüchterner Anfänge und Versuche. Die Stände waren auch im geselligen Verkehre schroff getrennt, der durchschnittlich arme und auf Hofdienst angewiesene Adel vom Bürgerthum und dieses von der Bauerschaft. Das Beamtenthum – Altwürtemberg hieß das »Schreiberparadies«, über welchem sich ein sehr exclusiver »Verwandtschaftshimmel« wölbte – bildete eine Welt für sich. Der barsche »Er-Styl« und eine weitschweifige, mit barbarischen Latinismen gespickte Kanzleisprache bezeichneten die weite Kluft zwischen Regierenden und Regierten. Durchschnittlich gering besoldet, suchten sich die öffentlichen Diener nicht selten durch Erlangung unrechtmäßiger Vortheile zu helfen. Die Landeskirche hielt sich streng innerhalb der Schranken lutherischer Rechtgläubigkeit und war in ein pedantisches Tabellenwesen verstrickt. Das ging mitunter bis zum absolut Lächerlichen Der »würtembergische Fragenplan«, d. h. die Vorschrift, nach welcher sich die Speciale (Superintendenten) bei ihren Visitationen der Pfarren und Schulen zu achten hatten, umfaßte 38 Schreibbogen. Auf die darin stehend vorkommende Frage: »Ob mit denen Sectariis nach den fürstlichen Rescripten gehandelt werde?« gab einmal ein Pastor die treuherzige Antwort: »Mit denen Sectariis, deren jedoch keiner vorhanden, wird nach den herzoglichen Rescripten gehandelt.«. Unter dem Volke wucherte der Pietismus und verlieh seinem Dasein die Färbung düsterer Resignation. Für den Volksunterricht war übrigens seit der Reformation in Würtemberg wenigstens so viel geschehen, daß auch auf dem Lande den Kindern die Möglichkeit offenstand, etwas lesen, schreiben und rechnen zu lernen. Aber wie überall vor der großen Pestalozzi'schen Reform, war auch hier das Volksschulwesen ein todter Mechanismus Welchem Mechanismus der komische Beigeschmack nicht fehlte. So war z. B. in der 1729 erlassenen, 1782 erneuerten »Schulordnung« hinsichtlich der Schulgebete verordnet: »Die Art und Weise (des Betens) betreffend, so wird nicht vor nöthig erachtet, daß alle Kinder auf einmal laut zusammen schreien. Denn obwolen ein solch gemeinsames Geschrei in einer sonderbaren großen Noth kann gebraucht werden, so ist doch in einer Schule vornehmlich um das Lernen der Kinder zu thun.«. In philologischer und theologischer Gelehrsamkeit hatten seit den Tagen des Reuchlin und Brenz die Würtemberger einen guten Ruf. Das Gymnasium illustre in Stuttgart, die lutherischen Klosterschulen im Lande und die Universität Tübingen erzogen Schaaren jener wohlbekannten »schwäbischen Magister«, welche als Informatoren in alle Welt gingen. Aber dieses ganze altwürtembergisch-gelehrte Wesen hatte etwas klösterlich Enges, Befangenes, Gedrücktes, vermischt nicht selten mit einem Magisterdünkel, welcher neuen Ideen den Zutritt nur deßhalb wehrte, weil sie von auswärts kamen. Die aufstrebende vaterländische Literatur brach sich in Würtemberg nur schwer und langsam Bahn; denn in gelehrten Kreisen wurde sie lange als bloße Spielerei über die Achsel angesehen, während von den höfischen Kreisen aus die französische Bildung gegen sie reagirte. Allerdings gab es zu Herzog Karl's Zeiten auch in Würtemberg Gelehrte, welche sich nicht damit begnügten, auf herkömmlichen Standpunkten theologische und juristische Quartanten zu schreiben, sondern für die geistige Bewegung des Jahrhunderts ein offenes Auge und einen regen Sinn zeigten; allein wie sich zu dieser Bewegung die Entscheidung gebenden Kreise verhielten, erhellt klar genug aus dem Umstand, daß gerade die erleuchtetsten Geister, welche bis zum Ende des Jahrhunderts aus dem Lande hervorgingen, in der Heimat keine Stätte der Wirksamkeit finden konnten.

So war, in flüchtigen Umrissen gezeichnet, Altwürtemberg, als in einem unbedeutenden Landstädtchen, unter dem Dach eines bürgerlichen Hauses, das mehr den Namen einer Hütte verdiente, der größte Genius geboren wurde, welchen Schwaben dem Vaterlande gegeben hat.


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