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Zweites Kapitel.
Das Elternhaus.

Marbach. – Johann Kaspar Schiller und Elisabeth Dorothea Kodweiß. – Ein bürgerlicher Haushalt vom Jahre 1749. – Friedrich Schiller geboren. – Ein Gang am Ostermontag. – Lorch. – Erster Unterricht und erste Freunde. – Die Reichsstadt Schwäbisch-Gmünd. – Ludwigsburg. – Zwei Ludwigsburger Figuren: Schubart und Zilling. – Die Schule. – Das Landexamen. – Die Konfirmation.


Eine starke Wegstunde unterhalb des Einflusses der Rems in den Neckar liegt am rechten Ufer desselben auf ansteigendem Boden das Städtchen Marbach. Die Landschaft trägt ganz den früher berührten altwürtembergischen Charakter: sie ist weder großartig noch auch besonders malerisch, aber der stillgleitende Strom, das Wiesengrün der Thalsohle, die Rebenhügel mit den Obstbaumgruppen dazwischen verleihen ihr idyllische Anmuth. Marbach ist ein so echtes und gerechtes schwäbisches Landstädtchen, wie es nur eines geben kann. Die während des 15. Jahrhunderts im gothischen Styl schön erbaute Alexanderskirche, Ueberreste einer starken Ringmauer und ein wohlerhaltener mittelalterlicher Thorthurm bezeugen, daß die Marbacher Commune in früherer Zeit Anläufe genommen habe, wie sie seit den Kriegstrübsalen, welche im 17. Jahrhundert über den Ort ergingen, nicht mehr vorkamen. Was heutzutage die Städte zu Städten macht, die Theilnahme an der industriellen und commerciellen Bewegung, fehlt dem durch die modernen Verkehrsmittel zur Seite geschobenen Marbach. Es ist ein sogenanntes Bauernstädtchen, d. h. die Mehrzahl seiner Bewohner beschäftigt sich mit Landwirthschaft. Dem Fremden mag zunächst die Menge der Wirthshausschilder das Auffallendste sein. In der That, es ist dafür gesorgt, daß ein guter Theil des in der Umgebung gebauten Weines und Ciders in der Stadt selbst ausgeschenkt werde.

Aber der Reisende, welchen eine fromme Absicht hergeführt, wird die langgestreckte Hauptgasse – sie macht eigentlich das ganze Städtchen aus – rasch durchmessen. Er beugt in südöstlicher Richtung in eine gegen die Kirche hinführende Nebengasse aus und gelangt auf einen freien Platz, wo ein Rohrbrunnen steht. Hier sieht er sich einem kleinen Hause mit Riegelwänden gegenüber, unter dessen linker Dachecke ein plumpes Bäckerschild vorspringt. Es stellt sich recht arm und niedrig dar, dieses Bäckerhäuschen, außen und innen. Ein kleiner verrauchter Vorplatz führt dich von der Hausthüre zu einigen hölzernen Stufen, über welche hinweg du in die Stube gelangst. Bänke laufen längs der Wände hin, ein großer Kachelofen und ein plumper Tisch verengen den ohnehin knappen Raum. Die Stube sieht ganz bäurisch und gewöhnlich aus. Eine kleine schwarze Gipsbüste in der Wandecke und ein kleiner Schrank mit etlichen Bänden, deren Titelschild ein erlauchter Name ziert, erinnern dich nur schwach daran, daß du auf geweihtem Boden stehest. Aber alledem zum Trotz und selbst der widerwärtigen Störniß durch eine Unzahl summender Fliegen ungeachtet fühlst du in dir eine Regung vom Cultus des Göttlichen im Menschenleben.

siehe Bildunterschrift

8. Schiller's Geburtshaus in Marbach.
Geschnitten von C. Laufer

Denn in diesem Raume wurde am 10. November 1759 Friedrich Schiller geboren Ich halte, gegenüber von Schwab, welcher nach einer Notiz im Marbacher Kirchenregister den 11. Novbr. 1759 als Schillerns Geburtstag angibt, das obige Datum fest. Schiller kannte jene Notiz recht wohl, aber dessenungeachtet hat er zu wiederholten Malen (Brief an Wieland aus Rudolstadt im September 1788, Brief an die Schwestern Lengefeld aus Jena vom 10. November 1789, Brief an Körner aus Jena vom 10. November 1789) des Bestimmtesten den 10. November als seinen Geburtstag angegeben. Sodann hat Boas (»Schiller's Jugendjahre«, I, 47) mit Recht darauf hingewiesen, daß, als Schiller 1793 sein Geburtsfest in der Heimat inmitten seiner Familie beging, dies am 10. November geschah und daß, wenn er früher hinsichtlich des Tages in einem Irrthum befangen gewesen wäre, derselbe bei dieser Gelegenheit sicherlich von den Eltern berichtigt worden wäre. Hoffmeister hat in seinem größeren biographischen Werke über Schiller (I, 5) ebenfalls den 10. November, wogegen in dem kleineren, von Viehoff herausgegebenen, Schwab's Angabe adoptirt ist, welche doch den angezogenen Zeugnissen gegenüber nur beweisen kann, daß der Dichter am 11. November getauft wurde.. Dort in der Ofenecke, wo jetzt eine große Bäckermulde steht, stand einst die Wiege des Dichters.

An den Umstand, daß in Schiller's Geburtshaus noch jetzt das Bäckerhandwerk betrieben wird, knüpft sich zwanglos die Bemerkung, daß der Dichter auf väterlicher und mütterlicher Seite Bäcker zu Vorfahren hatte. Sein Vater, Johann Kaspar Schiller, geboren am 27. October 1723, war der Sohn des Bäckers und Schultheißen Johannes Schiller, welcher in dem großen, zwei Stunden nordwärts von dem alten Hohenstaufenstädtchen Waiblingen gelegenen Dorfe Bittenfeld wohnte, wohin des Dichters Urgroßvater von Großheppach im Remsthal gezogen war. Wenn auch nicht mit voller, so doch mit einiger Sicherheit läßt sich Schiller's väterlicher Stammbaum bis in die Zeiten des Bauernkriegs hinauf verfolgen. In dem schönen, weinreichen Heimatthal mögen die Altvorderen des Dichters schon in den Tagen, wo der »arme Konrad« gegen unerträglichen Feudaldruck die Fahne bäuerlicher Empörung erhob, schlichte und fleißige Winzer gewesen sein. Johann Kaspar Schiller verlor im Alter von zehn Jahren seinen Vater. Er wurde zu einem Chirurgen in die Lehre gethan, nahm, ein zweiundzwanzigjähriger Jüngling, als Feldscherer Dienste in einem baierischen Husarenregiment, mit welchem er in den Niederlanden den östreichischen Erbfolgekrieg mitmachte, neben seinen wundärztlichen Pflichten gelegentlich auch die eines Unteroffiziers erfüllend. Nach dem Abschluß des Friedens von Aachen 1748 in die Heimat zurückgekehrt, ließ er sich in Marbach als Wundarzt nieder. Hier lernte er im Hause des Bäckers und Gastwirths zum Löwen, Georg Friedrich Kodweiß, dessen Tochter Elisabeth Dorothea kennen. Die Bekanntschaft gedieh zu gegenseitiger Neigung und im Jahre 1749 wurde das Paar Mann und Weib.

Des Sohnes Ruhm hat auch auf die Eltern einen verklärenden Schimmer zurückgeworfen; aber die poetische Ausstaffirung, welche man ihnen anthat, hält vor einer näheren Untersuchung nicht Stand. Johann Kaspar und Elisabeth Dorothea Schiller waren redliche, brave, gute Menschen und auch nicht ohne geistige Strebsamkeit; allein das Bemühen, Andeutungen von Genialität in ihnen aufzuzeigen, ist ein eitles. Der Chirurgus Schiller war ein Mann von kleiner Statur, aber wohlproportionirt, rüstig und lebhaft, verständigen Gesichtsausdruckes, etwas steifmilitärischer Haltung und nicht ohne einen Zug von Pedanterie um den Mund. Redlich bemüht, auch in späteren Jahren noch die Lücken seiner Bildung möglichst auszufüllen, entzog er sich den Einwirkungen der aufklärerischen Tendenzen jener Zeit nicht, ohne darum im Wesentlichen den religiösen Ueberzeugungen seiner Jugend untreu zu werden. Er hielt sein Lebenlang mit Entschiedenheit die Bräuche lutherischer Hausandacht fest, aber er war auch einsichtsvoll genug, dem großen Sohne nicht mit engherzigen Bekehrungsversuchen zur Last zu fallen. Ein Mann strenger Ordnung und Pflichterfüllung, gewann er sich das Vertrauen seiner Vorgesetzten und die Achtung seiner Untergebenen im hohen Grade. Es muß bei all der Festigkeit, womit er auf sein hausväterliches Ansehen hielt, in seinem Gebahren etwas Tiefgemüthliches gewesen sein; denn Gattin und Kinder bezeugten ihm bis zuletzt nicht allein tiefe Ehrerbietung, sondern auch innigste Liebe. Zuweilen scheint sein vorwiegend praktisches Naturell eines höheren Aufschwungs fähig gewesen zu sein und es wäre möglich, daß er in einer solchen Stunde wirklich jenen Morgenpsalm in Reimen verfaßt hätte, welchen man später unter den Papieren seiner Gattin fand Mit der Bemerkung von ihrer Hand: »Dieses Gebet hat Papa selbst gemacht und alle Morgen gebetet.«. Frau Elisabeth Dorothea war bei ihrer Verheiratung ein schlankes Mädchen mit hochblonden, ins Röthliche spielenden Haaren. Ohne schön zu sein, besaß sie eine edelgebildete Stirne, gewinnend milde Züge und seelenvolle Augen, deren Blick zu der lauteren Herzensgüte stimmte, welche in jungen und alten Tagen ihre Physionomie wohlthuend auszeichnete. Sanft und demüthig, hing sie mit Zärtlichkeit an den Ihrigen, ertrug stillgefaßt die Prüfungen des Lebens und wartete ihrer Pflichten mit geräuschlosem Fleiß. Sie war keine Empfindlerin oder Schwärmerin, auch keine Musikerin oder gar Dichterin, zu was Allem eine übelberathene Pietät sie hat machen wollen Insbesondere nach dem Vorgang von K. W. Oemler, welcher 1805 »Szenen und Charakterzüge aus Schiller's späterem Leben« und 1806 »Schiller, der Jüngling« herausgegeben hat. Die Jugend des Dichters ist da zu einer Art empfindsamen Romans gemacht. Der ins Blaue hineinfaselnde Ton desselben kennzeichnet sich schon genugsam durch die Stelle, wo über Schiller's Mutter ausgesagt wird: »Wenn ihre jugendlichen Freunde sich im Concert, auf Bällen und Assembleen versammelten« – (in dem altwürtembergischen Bauernstädtchen Marbach!) – »dann saß das empfindsame und schwärmerische holde Mädchen oft am einsamen murmelnden Quell des nahen Wiesengrundes und lauschte dem Lied der Nachtigall.« Oemler hat der Frau Elisabeth auch ein paar sentimentale Versstrophen angelogen, welche sie 1757 für ihren Gatten gedichtet haben soll. Merkwürdig ist, daß ein Gustav Schwab in seinem Leben Schiller's Vieles von dem Oemler'schen Nonsens gläubig nachschrieb. Die Ausschreiber Schwab's nahmen dann natürlich keinen Anstand, die schlechten Erdichtungen Oemler's ihren Lesern ebenfalls aufzutischen. Boas hat das Verdienst, in der Einleitung zu seiner oben citirten Schrift unter den Mythen, womit eine ungeschickte Phantasie Schiller's Jugendgeschichte umgab, tüchtig aufgeräumt zu haben.. Aber ihr religiöses Gefühl war tief, und wenn ihre Bildung über das Maß der Kenntnisse eines altwürtembergischen Bürgermädchens im Ganzen nicht hinwegragte, so wohnte ihr doch ein reger Sinn für die Natur, wie für das Schöne und Große in der Geschichte inne. In ihren knappzugemessenen Mußestunden las sie gerne, neben der Bibel die Gedichte von Gellert und Uz, auch Naturgeschichtliches und mit besonderer Vorliebe die Lebensbeschreibungen großer Männer.

siehe Bildunterschrift

9. Portrait: Schiller's Mutter.
Originalzeichnung von G. Hartmann. Geschnitten von W. Aarland

In Betracht der genügsamen bürgerlichen Verhältnisse von damals begann der Hausstand der Neuvermählten unter nicht ungünstigen Umständen. Der Bräutigam hatte als Junggesell sparsam gelebt und der Marbacher Löwenwirth, welcher später verarmte, war zu jener Zeit noch ein Mann, der seiner Tochter Etwas mitgeben konnte. So brachten die jungen Eheleute ein Vermögen von siebenhundert Gulden zusammen Das Stadtarchiv von Marbach verwahrt das »Beibringens-Inventar« der Eheleute Schiller. Herr Johann Kaspar brachte in baarem Gelde 215 fl. in die Haushaltung, ferner »an einzunehmenden Schulden eher mehr denn weniger 10 fl.;« weiterhin etliche chirurgische Instrumente, wie auch Medicamente, bestehend »in gebrannten Wassern, Tincturen, Spiritibus, Kräutern und andern Speciebus;« an Garderobe »einen guten und einen alten bordirten Hut, ein ganz neues Kleid von stahlfarbenem Tuch, ein ditto nebst Kamisol, ein mittelmäßiges Paar Lederhosen, einen kalamankenen Cassaquin« und außer dem nöthigsten Weißzeug »zwei feine Manschettenhemden und zwei seidene Taschentücher;« endlich einen »silberbeschlagenen Stock, ein silbern Halsschloß, ein silbern Petschaft, einen ungarischen Sattel mit völligem Reitzeug und für 10 fl. medizinische Bücher.« Der Kleiderstaat von Frau Elisabeth Dorothea bestand aus einem »schwarzdaffeten Küttelein, einem seidenzeugenen Rocke, einem feinen Flortüchle, einer schwarzdamastenen Haube mit Goldspitzen, sammetledernen Schuhen, einem Perlen- und Granaten-Nuster und einem goldenen Ringe, vom Marito verehret.« Sie brachte ihrem Gatten auch ein Stück Acker- und Gartenland zu, auf 188 fl. geschätzt. Der Hausrath des Paares war einfach genug. Dem Inventar zufolge bestand derselbe aus »einer guten gehimmelten Bettlade, einem doppelten Kleiderkasten, einem Drissur (Tresur), einem guten Tisch von hartem Holz, zwei dergleichen Stühl', einer Hangwiegen und zwei ungelehnten Sesseln.«. Allein obgleich ihr Bund acht Jahre lang kinderlos blieb, mußte der Gatte bald bemerken, daß die Erträgnisse seiner Barbierstube und seiner wundärztlichen Praxis doch nur ein kümmerliches Auskommen boten. Gerade zur Zeit, als der siebenjährige Krieg ausbrach, scheint er sich verlangender als bisher nach einer Aenderung und Besserung seiner Lage umgesehen zu haben. Vielleicht auch ermunterte ihn das Beispiel seines Herzogs, den Krieg, wie dieser in Form eines Subsidienvertrags mit Frankreich im Großen, so für seine Person und mit Einsetzen seiner Person im Kleinen zu einer Erwerbsquelle zu machen. Wahrscheinlicher jedoch ist, daß er es satt hatte, den Marbachern ihre Wochenbärte abzunehmen und den Marbacherinnen zur Ader zu lassen. Genug, er nahm wieder Militärdienste und erhielt ein Patent als Fähnrich und Adjutant im würtembergischen Regiment Prinz Louis. Während er sich anschickte, mit demselben nach Böhmen zu rücken, gab Frau Elisabeth Dorothea ihrem Eheherrn im September 1757 das erste Kind, ein Töchterlein, welches den Namen Christophine erhielt. Bekanntlich haben sich der Herzog von Würtemberg und seine Soldaten im Kampfe gegen den alten Fritz, wie der große Preußenkönig an den Beiwachtfeuern schon damals hieß, nicht eben hervorgethan, außer etwa in dem, was in der neueren und neuesten Kriegssprache euphemistisch »Rückwärtsconcentriren« genannt wird. Der Fähnrich Schiller indessen hatte Gelegenheit, seine vielfachen Gaben für seine Kameraden nutzbar zu machen, indem er neben dem Degen gelegentlich auch das chirurgische Besteck führte und außerdem, wo es noththat, den Dienst eines Feldkaplans versah.

Es war im Spätherbst 1759, als Schiller, zum Lieutenant im Romann'schen Infanterieregiment avancirt, in dem Uebungslager stand, welches, so lange die Soldatenlust des Herzogs währte, zu dieser Jahreszeit jedesmal auf dem Neckarplateau zwischen Ludwigsburg und Cannstadt aufgeschlagen war. Zufolge einer Ueberlieferung, welche anzuzweifeln kein Grund vorliegt, stattete Frau Elisabeth von ihrem elterlichen Hause in Marbach aus ihrem Gatten einen Besuch im Lager ab und wurde unter dem Dach seines Zeltes von den Vorwehen ihrer zweiten Niederkunft überfallen. Mit Noth konnte sie noch die kurze Strecke ins Elternhaus zurücklegen und wurde hier am 10. November von einem Knaben entbunden Auch Karoline von Wolzogen, die Schwägerin des Dichters, welche, wie sie ausdrücklich bemerkt, ihr »Leben Schiller's« nach »Erinnerungen der Familie« verfaßte, gibt dieses Datum. Die Gefühle, welche den würdigen Vater bei der Geburt seines Sohnes bewegten, bezeugt schön dieser Schluß eines Aufsatzes von ihm: »Und du, Wesen aller Wesen, dich hab' ich nach der Geburt meines einzigen Sohnes gebeten, daß du demselben an Geistesstärke zulegen möchtest, was ich aus Mangel an Unterricht nicht erreichen konnte, und du hast mich erhört. Dank dir!«. Vielleicht dachte die Mutter lebhaft an jenen Lagerbesuch zurück, als sie später »Wallenstein's Lager« las.

Am 11. November 1759 wurde der Knabe getauft und zwar auf die Namen Johann Christoph Friedrich. Er war ein zartes Kind, welches von den Kinderkrankheiten viel zu leiden hatte. Besonders hart setzten ihm die Kinderkrämpfe zu, welche man in Schwaben mit dem Namen »Gichter« bezeichnet. Wie gemüthlich, war der Junge auch körperlich mehr nach der Mutter als nach dem Vater geartet. Von Frau Elisabeth hatte er den schlanken Körperbau, das röthlichblonde Haar, die breite Stirne und die sanftblickenden Blauaugen, welche, in jungen Jahren oft krankhaft afficirt, ein gutmüthig-schelmisches Blinzeln sich angewöhnten. Die robuste Gesundheit, das rüstige Wesen des Vaters fehlte dem Kinde; aber es hatte von demselben andere treffliche Anlagen überkommen, die sich später zu schönsten Charaktereigenschaften entwickelten.

Der kleine Fritz blieb mit der Mutter und Schwester im großväterlichen Hause zu Marbach, bis nach Abschluß des Hubertsburger Friedens (1763) der Vater nach Würtemberg zurückkam. Eine bleibende Stätte war aber der Familie Schiller noch nicht bereitet. Frau Elisabeth mußte ihrem Gatten nach Cannstadt folgen, wo er in Garnison stand, und von da bei der Verlegung seines Regiments nach Ludwigsburg. Jetzt begann auch die väterliche Einwirkung auf den Knaben und zwar war dieselbe nach der Sinnesweise des Vaters hauptsächlich eine religiöse. Schwester Christophine, in schwäbischer Abkürzung Phinele, welche mit gränzenloser Liebe an dem Bruder hing, hat, hochbetagt, aus dem Schacht ihres außerordentlich treuen Gedächtnisses Erinnerungen heraufgeholt, wie sich der kleine Fritz bei dem patriarchalischen Hausgottesdienst der Familie benahm. Wenn der Vater, erzählt sie, aus der Bibel verlas oder die Morgen- und Abendgebete sprach, »da war es ein rührender Anblick, den Ausdruck der Andacht auf dem lieblichen Kindergesicht zu sehen. Die frommen blauen Augen gen Himmel gerichtet, das lichtgelbe Haar, das die helle Stirne umwallte, und die kleinen mit Inbrunst gefalteten Hände gaben ihm das Ansehn eines Engelsköpfchens.« Christophine hat uns auch einen weiteren charakteristischen Zug aus ihren und ihres Bruders Kindertagen überliefert. Frau Elisabeth pflegte die sonntägliche Muße zu benutzen, um mit ihren Kindern von Ludwigsburg aus ins großväterliche Haus nach Marbach zu wandern. Auf einem solchen Gang an einem frühlingsmilden Ostermontag erzählte die Mutter den Kindern die evangelische Geschichte, wie sich auf dem Wege der zwei Jünger nach Emmaus Jesus zu ihnen gesellte. Während der Erzählung waren die Dreie auf den Gipfel der Anhöhe gelangt, wo der Weg ins Neckarthal abfällt, und, hingerissen von dem Zauber feiertäglicher Ruhe ringsher und wie inspirirt von dem Hauche der Andacht, welcher aus dem evangelischen Berichte sie anwehte, knieten Mutter und Kinder auf den Rasen nieder und beteten still.

Im Jahre 1765 ward Herr Johann Kaspar unter Verleihung des Hauptmannscharakters mit einer Mission betraut, welche gewiß seinen Wünschen nicht sehr entsprach. Er wurde commandirt, als Werboffizier nach der Reichsstadt Schwäbisch-Gmünd zu gehen, mit der Erlaubniß, in dem würtembergischen Gränzflecken Lorch zu wohnen. Der Hauptmann nahm seine Familie mit und schlug zu Lorch in der Herberge zur Sonne sein Quartier auf. Das langgestreckte Dorf liegt anderthalb Stunden unterhalb der genannten Stadt an der Rems. Durch tiefgrünen Wiesengrund schlängelt sich der Fluß. Tannenbewaldete Höhen schließen das Thal ein. Ostwärts vor dem Dorfe windet sich die Rems um den Fuß eines steilvorspringenden Hügels, der auf seinem breiten Rücken das alte Kloster Lorch trägt, welches mit vielem Anderen aus der hohenstaufischen Verlassenschaft an das Haus Würtemberg gekommen. Zur Zeit der Römerherrschaft im südlichen Deutschland stand hier ein Castell, welches die Römerstraße durch den Welzheimer Wald deckte. Die Hohenstaufen begabten das Kloster reichlich und machten die Klosterkirche zu ihrer Familiengruft. Doch ruht keiner der großen Kaiser und Könige des Hauses in derselben, wohl aber neben vielen Gliedern der Familie jene byzantinische Prinzessin Irene, Gemahlin des durch Otto von Wittelsbach ermordeten Königs Philipp, welcher der Schrecken und Gram über die Unthat das Herz brach. Auf der Nordseite des im Bauernkrieg halbzerstörten Klosters breitet eine ungeheure, vielhundertjährige Linde ihre Aeste aus. Von der südlichen Ringmauer herab genießt man eines prächtigen Ausblickes auf das Remsthal und auf die kühngeformte Bergreihe des Albuch. Von dieser zweigen sich drei isolirte Kalksteinpyramiden ab, der Hohenstuifen, der Hohenrechberg und der Hohenstaufen, welche sich auf der Hochebene zwischen Rems- und Filsthal wie die Winkelpunkte eines unregelmäßigen Dreiecks gegenüberstehen. Es ist ein zugleich heimelig und romantisch gelegener Ort, dieses Lorch, und mit seiner Natur, seinen sagenhaften Ueberlieferungen und geschichtlichen Erinnerungen wohlgeeignet, in jungen begabten Menschen dichterische Stimmungen zu erregen. Wohl möglich daher, sogar wahrscheinlich, daß während seines Aufenthalts in Lorch den kleinen Fritz zum ersten Mal jene ebenso vage als süße Träumerei und Traumbildnerei überkam, jener gaukelnde Instinkt des Schaffens und Gestaltens, welcher zu Dichtern Geborene schon mit Knabenaugen die Welt anders ansehen lehrt, als gewöhnliche Menschenkinder sie sehen.

In Lorch erhielt der Knabe den ersten regelmäßigen Unterricht und zwar durch den Pfarrer des Ortes, Philipp Ulrich Moser, welcher der Hausfreund der Schiller'schen Familie wurde. Er hatte zum Mitschüler den Sohn des Pfarrherrn, Christoph Ferdinand Moser, mit welchem und der Schwester Christophine er gemeinsam lesen, schreiben und die übrigen Anfangsgründe des Wissens lernte. Bald wurde auch zum Latein vorgeschritten. Der Lehrer war eifrig und streng, gewann sich aber doch die Zuneigung seines von Haus aus an ernste Zucht gewöhnten Zöglings. Was Fritzens Vorschritte im Lernen betrifft, so waren es keine ungewöhnlichen. Er ist überhaupt keines jener frühreifen Wunderkinder gewesen, deren ungesunde Treibhausentwicklung nur in seltensten Fällen die erregten Erwartungen erfüllt. Man weiß auch von keinen pikanten Einfällen und vorzeitigen Genieblitzen aus seinen Kinderjahren oder, wo solche ein Biograph kritiklos dem andern nacherzählte, lassen sie sich unschwer auf die trübe Quelle Oemler'scher Phantasie zurückführen. Unzweifelhaft wahr dagegen ist die bekannte Erzählung Christophine's, daß ihr kleiner Bruder schon frühzeitig das Bedürfniß fühlte, den Vorstellungen, welche ihn bewegten, Worte zu verleihen, und bei der vorherrschenden Richtung, welche die schwäbische Bildung damals zur Theologie hatte und zum Theil noch jetzt hat, ging es ganz natürlich zu, daß Fritzle von der Mutter oder Schwester sich eine schwarze Schürze umbinden und ein Käppchen aufsetzen ließ, auf einen Stuhl stieg und von dieser Kanzel herab eine Predigt hielt. Wie Kinder zu thun pflegen, nahm er die Sache sehr ernst und wurde unwillig, wenn Jemand über seine Vorträge lachte. »Tiefer Sinn liegt oft im kind'schen Spiele.« Allerdings, nur darf man dabei Zweierlei nicht vergessen: erstlich, daß Schiller vermöge seiner ganzen Geistesanlage weit mehr dazu berufen war, ein Prediger für die Menschheit als für die Kirche zu werden, und zweitens, daß die Symptome theologischer Neigungen in dem Knaben sicherlich von der Mutter und wohl auch vom Vater genährt wurden, theils aus frommem Sinn theils in Berücksichtigung des Umstandes, daß die im protestantischen Würtemberg bestehenden Klosterschulen die Mittel boten, den Sohn ohne bedeutende Kosten zu einem geachteten Berufe heranzubilden.

Fritz hielt sich fleißig zur Schule und Kirche und seine unbegränzte Herzensgüte gewann ihm die Liebe Aller, mit welchen er in Berührung kam. Das Leben im elterlichen Hause oder vielmehr Quartiere war einfach, sparsam, selbst dürftig, denn der Sold des Vaters blieb aus und die Familie mußte von den kleinen Ersparnissen früherer Jahre zehren. Doch herrschte Friede und Eintracht in diesem genügsamen Kreise. Kam der Vater von seinen Geschäftsgängen heim, so beschäftigte er sich viel mit den Kindern, erklärte ihnen die geschichtlichen Denkmäler der Gegend, erzählte ihnen vom großen Friedrich und schilderte, was er selbst vom Kriege und Lagerleben gesehen. In ihren Freistunden tummelten sich die Geschwister mit dem jungen Moser in Feld und Wald und machten weite Gänge in die Berge. Zu den drei Spielgenossen hatte sich noch ein vierter gesellt, der einige Jahre jüngere Karl Philipp Conz aus Lorch, welcher sich später in seinem Heimatland als Philolog und Poet bekannt machte und ein treuer Freund Schiller's blieb. Waren die Kinder spielmüde, so saßen sie wohl mitsammen droben unter der uralten Klosterlinde, sahen in die schöne Landschaft hinaus, erzählten sich Geschichten und vertrauten einander, was sie Alles im Leben werden und thun wollten Stäudlin's schwäbischer Musenalmanach für 1782 enthält S. 169 eine vom März 1781 datirte, an S(chiller) gerichtete Ode von Conz, worin dieser den Freund an ihre im Thale von Lorch gemeinsam verlebten Kinderjahre erinnert und die Landschaft höchst anschaulich schildert: –
Sieh, hier auf den Auen der Heimat,
Jetzt unter dem Schirm der alten Linde,
Ach! der Pflegerin meiner Kindheit –
Jetzt am rieselnden Quell,
Der patriarchalisch sein schwarzblaues Wasser
Geußt aus der hölzernen Urn'
In das Becken, gewölbt von der Künstlerhand der Natur;
Jetzt an den Krümmungen des Waldes,
Der widertönt vom Gesang der Vögel,
An schattigen Tannen
Und hochragenden Eichen,
Wo mir kläglich herabtönt der Holztaube Gegirr;
Dort vor mir der hochdrohende Rechberg
Und weiter hinten, wo unten die Flur
Vom Weidenbach umschlängelt,
Halb umkränzet der Wald,
Majestätisch emporhebend den Riesenrücken,
Dein Stolz, Suevia,
Der mächtige Staufenberg! …
Ach, wie sie mir vorübergaukeln vor'm Phantasieblick
Die Freuden der Kindheit!
Wie mir jeder Fußtritt, jede Stätt' ist ein Blatt,
Worauf lebendig mich ansprüht
Mein Knabengefühl!
Und o, wie du schon da
Manche kindische Freuden mit mir theiltest,
Da noch schlummernd in uns
Ruhte der Funke, der jetzt
Aufzulodern begann und bald
Ausschlagen wird zur Flamme!
.

Eindrücke und Anregungen ganz neuer Art mußte Fritz in der nahen Stadt Gmünd empfangen, wohin er mit Vater und Mutter nicht selten kam Ich habe in meinen Schuljahren einen Gmünder Greis gekannt, welcher, sobald in seiner Gegenwart von Schiller die Rede war, aus der hypochondrischen Verdüsterung seines Alters aufglühte und dann schimmernden Auges erzählte, daß er manches liebe Mal vor dem Gasthaus zum Ritter St. Jörg am Marktplatz mit dem Fritzle Schiller Marbel gespielt habe, während der Herr Hauptmann Schiller, ein »merkwürdig serieuser Mann«, drinnen im Hause seine Geschäfte abmachte.. Es gab hier für einen streng im lutherischen Lehrbegriff erzogenen Knaben viel Ueberraschendes zu sehen und zu hören. Die alte Reichsstadt, sowie die an ihr kleines Gebiet angränzende Grafschaft Rechberg waren im Gegensatz zum würtemberger Land der alten Confession zugethan geblieben. Die Gmünder galten sogar weitum für ganz besonders eifrige Katholiken. Die Stadt zählte nicht weniger als vier Mönchsklöster und zwei Nonnenklöster. Aber ihre Einwohner, durch eine blühende Gold- und Silberindustrie und eine ausgebreiteten Handel in behaglichen Umständen, waren nicht nur sehr katholisch, sondern auch sehr lebenslustig. Daher begleitete ein ebenso glänzender als heiterer Pomp die zahlreichen religiösen Feste. Auf dem freien Platz bei der schönen gothischen Kathedralkirche war zu Ostern die weitläufige Mysterienbühne aufgeschlagen, auf welcher nach mittelalterlichem Brauche die Passionsgeschichte Christi tragirt wurde. Es ist aber kaum anzunehmen, daß bei Anschauung dieses Mysterienspiels der junge Schiller die ersten theatralischen Eindrücke erhalten habe, und zwar darum nicht, weil dem strengen Vater solches Spiel wie eine Profanirung von Heiligstem vorkommen und er deßhalb die Seinigen davon fernhalten mochte. Dagegen ist ausgemacht, daß Fritzle und Phinele häufig nach dem sogenannten Salvator oder Kalvarienberg bei Gmünd gingen, einem aus der katholischen Umgegend außerordentlich stark besuchten Wallfahrtsort. Eine Reihe von halboffenen Kapellen, in welchen die Leidenshistorie Jesu in lebensgroßen, bemalten Figuren und Gruppen aus Holz und Stein dargestellt ist, zieht sich die Anhöhe hinauf. Oben steht eine weitschichtige, zum Theil in den lebendigen Fels gehauene Kirche. An gewissen Festtagen war der Salvator, dessen Höhe eine reizende Fernsicht gewährt, das Ziel stattlicher Prozessionen, welche sich mit wehenden Fahnen, tönenden Hymnen und klingender Musik den Berg hinaufbewegten. Droben wurde im Freien gepredigt und hierauf in einer offenen Halle, wo die am Altar dienende Priesterschaft der versammelten Volksmasse sichtbar war, ein solennes Hochamt celebrirt. Weihrauchwolken wirbelten empor, Orgelklänge antworteten dem Meßgesang des Priesters und die dichtgedrängte Menge sank vor der erhobenen Monstranz auf die Kniee. Ich glaube keiner Willkürlichkeit mich schuldig zu machen, wenn ich annehme, daß auf den Anblick dieses Schauspiels, dessen der junge Schiller zu wiederholten Malen genossen haben mag, die Keime jenes ästhetischen Interesses für das Poetische im katholischen Cult, von welchem im Gang nach dem Eisenhammer, in der Maria Stuart und in der Jungfrau von Orleans so beredte Beweise gegeben sind, zurückzuführen sein dürften.

Den Hauptmann drängte es inzwischen um so mehr, von seinem unergiebigen Posten wegzukommen, als sich seine Familie zu Anfang des Jahres 1766 wieder um ein Töchterlein, Luise, vermehrt hatte. Er war außerdem vielleicht der ganzen Soldaterei und jedenfalls des Werbgeschäftes müde. Seine Herzensneigung ging auf die Landwirthschaft und zwar speziell auf die Obstzucht, deren theoretische und praktische Seite er eifrigst cultivirte. Hiezu erhielt er Gelegenheit, als ihn auf eine nachdrückliche Vorstellung hin der Herzog 1768 endlich von Lorch abrief und zur Garnison von Ludwigsburg commandirte. Der einförmige Garnisonsdienst genügte dem Thätigkeitstrieb des Mannes nicht. Er miethete in der Umgebung der Stadt ein Stück Land und legte auf demselben eine Baumschule an, deren treffliches Gedeihen bald auch die Aufmerksamkeit des Herzogs erregte, welcher bei allen seinen Fehlern doch schon damals ein Auge für Tüchtigkeit und Strebsamkeit hatte. Was den jungen Fritz angeht, so mochte er sich nur schwer und ungern von dem ihm liebgewordenen Lorch trennen. Wenigstens hat er in späterer Zeit gern und oft an das vom Hohenstaufen überragte Remsthal zurückgedacht. Auch seines dortigen Lehrers Moser erinnerte er sich mit dankbarer Pietät, wie das edle dem würdigen Pastor in den Räubern aufgerichtete Denkmal bezeugt.

Zunächst freilich mag das rauschende Leben, welches sich damals auf den breiten Straßen von Ludwigsburg entfaltete, die Erinnerung an das idyllische Lorch in dem Knaben zurückgedrängt haben. Die Stadt war zu dieser Zeit herzogliche Residenz, denn Karl hatte seine ewigen Händel mit der »Landschaft«, die in Stuttgart tagte, diese Hauptstadt des Landes dadurch entgelten lassen wollen, daß er seinen glänzenden Hof nach Ludwigsburg verlegte. Wir haben diesen Glanz schon früher berührt und ist also hier nur zu sagen, daß die Szenen des Luxus und Prunkes, namentlich die phantastischen Aufzüge zur Carnevalszeit, die venetianischen Messen und dergleichen Schaustellungen mehr, auf Fritzens lebhafte Phantasie bedeutend gewirkt haben müssen. Er sah auch – bei welcher Gelegenheit, ist nicht anzugeben – zum ersten Mal eine theatralische Darstellung, eine jener italischen Prunkopern, welche mit der höchsten Verschwendung von Decorations- und Maschineriekünsten über die Bretter des prächtigen Opernhauses gingen. Die Folgen blieben nicht aus. Der künftige Dramatiker regte sich in dem heranwachsenden Knaben. Pläne zu Trauerspielen gingen ihm durch den Kopf und auch zu Versuchen zur Ausführung derselben kam es, aber die Hauptsache blieb doch vorerst eine spielende Nachahmung des Gesehenen. Mit Beihülfe der treuen Christophine, welche ein hübsches Talent zum Zeichnen und Malen besaß, wurde ein Theaterchen zusammengepappt, wurden Figuren ausgeschnitten und so ward ein leidliches Puppenspiel zuwegegebracht, welches die Geschwister mitsammen agirten, vor einem Kreise von leeren Stühlen, welche die Zuschauerschaft vorstellen sollten.

Damals muß Fritz auf den Straßen von Ludwigsburg oft einem Manne begegnet sein, aus dessen schwelgerisch aufgedunsenem Gesicht unter einer prachtvollen Stirne hervor geistvolle Augen keck in die Welt blickten und der seinen modischen Anzug mit genialer Nachlässigkeit trug. Das war Christian Friedrich Daniel Schubart, der Poet und Musiker, welcher, nachdem er in dem Bergstädtchen Geißlingen den Schulmeisterbakel geführt und ein ehrsames Bürgermädchen geheiratet hatte, als Stadtorganist nach Ludwigsburg berufen worden war. Nicht zu seinem Glücke, denn das heiße Temperament des Mannes fand in der üppigen Residenz, wo ihn sein Witz und seine poetischen und musikalischen Gaben in den Kreisen vornehmer und niedriger Lebemänner beliebt machten, Gelegenheit zu zügelloser Entwicklung. Ludwigsburg war in jenen Tagen eine Stätte sittlicher Verdorbenheit und die überwiegende Mehrzahl der dortigen Gesellschaft illustrirte recht klärlich das goldene Dichterwort von den schlimmen Einflüssen fürstlicher Ausschreitungen Noch weniger als Andere sollten Fürsten
Vom Weg des Rechten und der Tugend weichen;
Ihr Leben sollte Sonnenuhren gleichen;
So mächtig ist ihr Beispiel, und ihr Irren
Verursacht, daß die Zeiten sich verwirren.
Webster (Bodenstedt, Sh. Z. I, 219).
. Schubart schwamm lustig mit dem Strome. Nicht genug, daß er das Trinken bis zum Exceß trieb, er hielt sich auch eine Art von Maitresse. Einen schroffen Gegensatz zu dem leichtsinnigen Organisten bildete aber sein Vorgesetzter, der Special Zilling, seines Zelotismus halber vom Volke nur »der lutherische Pfaff« genannt. Dieser Zilling ist eine recht typische Figur eines altwürtembergischen Hierarchen. Orthodox bis zur Bornirtheit, hielt er, wenigstens nach unten, mit solcher Gravität auf seine geistliche Würde, daß ihm sogar sein leiblicher Bruder, welchen der Zufall zu seinem Küster gemacht, den Kirchenrock nicht ohne tiefe Verbeugungen umhängen durfte. Zwischen ihm und Schubart mußte es natürlich bald zu heftigen Reibungen kommen. Der leichtfertige Lebenswandel des Organisten bot dem Special begierig ergriffene Gelegenheit zu Denunciationen; allein er drang entscheidenden Ortes erst dann damit durch, als Schubart's unbezähmbarer Hang zu Spott und Satire über die Zilling'sche Region hinaufgriff. Jetzt erhielt der Poet im Mai 1773 jenen Laufpaß, welcher eine so köstliche Probe altwürtembergischen Kanzleistyls abgibt Abgedruckt bei Strauß, »Schubart's Leben«, I, 290, und in meiner »deutschen Kultur- und Sittengeschichte«, 2. Aufl. S. 559., und begann sofort seine publizistische Odyssee, welche vier Jahre später in der Kerkerhöhle auf Hohenasperg ein schreckliches Ende nehmen sollte.

Bei der Uebersiedelung der Eltern nach Ludwigsburg wurde Fritz ein Zögling der lateinischen Schule der Stadt, wo, da dieselbe wesentlich eine Vorbereitungsanstalt für die theologischen Klosterschulen war, hauptsächlich Latein, sowie die Anfangsgründe des Griechischen und Hebräischen gelehrt wurden. Der Magister Johann Friedrich Jahn, unter dessen Obhut Fritz hier kam, war weder mehr noch weniger Pedant als andere Magister von damals, und wenn er gerne vermittelst des Stockes seinen Schülern »der großen Römer Weisheit auf den Rücken malte« Ich merke an, daß das bekannte Gedicht, aus welchem diese Worte genommen sind, von Schiller weder, wie behauptet wurde, in seinem 16. Jahre noch überhaupt verfaßt wurde. Der Verfasser ist vielmehr J. M. Armbruster, ein Jugendbekannter unseres Dichters., so that er damit weder mehr noch weniger als andere Präceptoren auch. Gegen Ostern 1769 mußte Fritz nach Stuttgart wandern, um dort das Landexamen zu bestehen. »Landexamen«! furchtbares Wort, dessen Furchtbarkeit in ihrem ganzen Umfang nur ein altwürtembergisches Knabenherz ermessen kann. Die Einrichtung besteht meines Wissens noch heute. Alljährlich müssen die Zöglinge der niederen lateinischen Schulen, welche sich der Theologie widmen wollen, nach Stuttgart kommen, um sich von den Lehrern des dortigen Gymnasiums prüfen zu lassen, ob sie der Aufnahme in die klösterlichen »Seminarien« würdig seien. Viermal, von 1769-72, hat der junge Schiller diese Prüfungen mit gutem Erfolg bestanden. Er war ein fleißiger Schüler, schon um dem strengen Vater genugzuthun. Nur mit der Religion haperte es, d. h. der mürrische Präceptor konnte es gar nicht begreifen, daß, während er in der Schule mit der ganzen trostlosen Trockenheit damaliger Katechetik dogmatische Langeweile trieb, der Fritz lieber unter der Bank heimlich geistliche Lieder von Luther und Gerhard las. Da wurde denn der Stock in Thätigkeit gesetzt und ohne Weiteres der Schluß gezogen, es habe »der Knabe noch gar keinen Sinn für Religion«. Charakteristisch genug las Fritz zur nämlichen Zeit, wo dieser Ausspruch geschah, gerade mit besonderem Eifer die Psalmen und die Visionen und Orakel der Propheten. Von dem Genius, welcher in dem Knaben schlummerte, hat keiner seiner Ludwigsburger Lehrer auch nur die entfernteste Ahnung gehabt und man kann es ihnen auch kaum verdenken, eben weil dieser Genius noch ein schlummernder war. Fritz gehörte zwar zu den besten Zöglingen der Schule und that sich in den oberen Classen, wo Ovid, Virgil und Horaz »tractirt« wurden, namentlich im Latein hervor. Aber es muß gesagt werden, daß die lateinischen Distichen, welche er da verfertigte, den übriggebliebenen Proben nach zu urtheilen, den künftigen Dichter nicht errathen ließen. Sie erheben sich, sowohl Inhalt als Form betreffend, durchaus nicht über das Niveau derartiger Schulexercitien. Lebhaft erhielt sich unter seinen Schulkameraden die Erinnerung an seine Seelengüte und Liebenswürdigkeit. Die schwächeren seiner Mitschüler appellirten nie vergeblich an seine Gutmüthigkeit, den stärkeren imponirte sein furchtloser Sinn.

Das Jahr 1770 entzog dem Knaben das Glück des Familienlebens. Herzog Karl glaubte nämlich mit Grund, in dem Hauptmann Schiller den rechten Mann gefunden zu haben, die Aufsicht über die umfangreichen Gärten und Baumpflanzungen zu führen, welche um das prächtige, in den Jahren 1763-67 erbaute Lustschloß, die »Solitude«, her angelegt worden. Dorthin wurde Herr Johann Kaspar versetzt, bezog in einem der zahlreichen Nebengebäude des Schlosses eine Amtswohnung und verbrachte, später zum Rang eines Majors erhoben, in dieser neuen Stellung seine ganze übrige Lebenszeit. Frau Elisabeth gebar auf der Solitude 1777 ihr letztes Kind, Nanette oder, wie sie in den Briefen der Familie heißt, Nane. Der Vater soll bis zu seinem Tode nicht weniger als 60,000 Baumstämme gepflanzt haben. Auch trat er in seinem Fache als Schriftsteller auf, indem er 1795 das geschätzte Buch »die Baumzucht im Großen« herausgab. Fritz blieb, seinen Schulcursus zu beendigen, in Ludwigsburg zurück und wurde beim Präceptor Jahn in Wohnung und Kost gegeben. Das war ein schlimmer Tausch und unter der Zuchtruthe des wohlmeinenden und in seiner Art tüchtigen, aber griesgrämigen und nachsichtslosen Mannes verdüsterte sich das muntere Wesen des Knaben. Es konnte nicht an »Collisionen« zwischen ihm und dem Präceptor fehlen. Zum Glück hatte er unter seinen Schulkameraden zwei Herzensfreunde gefunden, Friedrich Wilhelm von Hoven und Immanuel Gottlieb Elwert, bei denen er, wie sie seine Knabenfreuden getheilt hatten, jetzt in seinen Knabenleiden Trost fand. Aber noch tröstlicher war es doch, wenn er sich der geliebten Mutter mittheilen konnte, und wie sehnsüchtig mag er stets dem Sonntag entgegengeharrt haben, wo er die schnurgerade, fast drei Stunden lange Allee, welche von der Stadt zur Solitude führte, hinaufeilen durfte, um droben die Liebe zu finden, wie nur eine Mutter sie geben kann.

Die gedrückte Stimmung, die sich während seiner zwei letzten Ludwigsburger Schuljahre bei dem Knaben bemerklich machte, wurde gewiß eher vermehrt als gemindert durch den Umstand, daß er bei dem leidigen Zionswächter Zilling den Vorbereitungsunterricht zur Confirmation ausstehen mußte. Der Special hat ihn auch am 1. Maisonntag 1772 eingesegnet. Es wird uns erzählt, daß am Vorabend dieses religiösen Actes Schiller's erstes Gedicht in deutschen Reimen entstanden sei. Denn die Mutter sei von der Solitude herabgekommen und habe ihren Fritz müßig auf der Straße schlendernd getroffen, statt daß er daheim auf den morgigen Tag andächtig sich gesammelt hätte. Sie warf ihm diese Gleichgültigkeit vor und, den Vorwurf zu entkräften, habe der Knabe seine Confirmandengefühle noch an demselben Abend in einem lyrischen Erguß ausgesprochen. Die gute Frau Elisabeth wurde dadurch sicherlich besänftigt, als aber der Sohn am folgenden Tage sein Gedicht auch dem Vater zeigte, fragte ihn dieser nur mit Lächeln: »Bist du närrisch geworden, Fritz?« Nach dem Zeugnis von Petersen, dem Akademie-Genossen des Dichters, welchem dieser das väterliche Wort selber mitgetheilt hatte. S. Hoffmeister's Nachlese zu Sch. Werken, I, 3. Im Herbst sollte er in eine der niederen Klosterschulen eintreten, um daselbst in mönchischer Tracht und Zucht einen mehrjährigen Vorbereitungscursus zum theologischen Universitätsstudium durchzumachen. Bei Annäherung des entscheidenden Zeitpunktes verdoppelte Fritz seinen Fleiß. Ein strenger Examinator gab ihm das Zeugniß, »er übersetze die in den Trivialschulen eingeführte collectionem autorum latinorum, nicht weniger das griechische neue Testament, mit ziemlicher Fertigkeit; er habe auch einen guten Anfang in der lateinischen Poesie, doch seine Handschrift sei sehr mittelmäßig.« Der Knabe sollte aber das zunächst gesteckte Ziel seines Eifers nicht erreichen. Es war anders beschlossen.

Wie sehr haben wir es zu beklagen, daß Schiller nie die nöthige Muße gefunden, uns mit eigener Hand den Entwicklungsgang seines Geistes zu zeichnen. Welch ein ganz anderes Bild würde uns dann schon seine Knabenzeit gewähren, über welche jetzt nur dürftige und abgerissene Notizen auf uns gekommen sind. Der Dichter scheint in der That einmal mit dem Gedanken sich getragen zu haben, seine Jugendgeschichte selber zu schreiben. Es war in der Zeit stiller Befriedigung in den ersten Tagen seiner Ehe, als er seinen Vater bat, ihm Alles zu senden, was sich unter dessen Papieren von seinen frühesten Arbeiten etwa noch vorfinden möchte, weil ihn »diese Dinge jetzt interessirten und er sie zur Geschichte seines Geistes brauche.« Der Vater interessirte sich höchlich für den in diesen Worten angedeuteten Vorsatz, welcher leider unausgeführt blieb« Die vom 6. März 1790 datirte Antwort des Hauptmanns (zum ersten Mal nach dem Original abgedr. bei Boas a. a. O. I, 61) brachte dem Sohne manchen Vorgang aus dessen Knabenzeit in Erinnerung. Der alte Herr schrieb: »Die Geschichte Seines Geistes kann interessant werden und ich bin begierig darauf. Kommen zarte Entwicklungen der ersten Begriffe mit hinein, so wäre nicht zu vergessen, daß Er einmal den Neckarfluß gesehen und sonach, im Diminutivo, jedes kleine Bächgen ein Neckerle geheißen; wiederum hat Er einen Galgen bei Schorndorf, als Mama mit Ihm nach Schwäbisch-Gmünd gefahren, einer Mausfalle verglichen, weil Er vor diesem Mäusefallen gesehen, die einem Galgen glichen. Sein Predigen in unserem Quartier zur Sonne in Lorch, da man Ihm statt Mantels einen schwarzen Schurz und statt Ueberschlags ein Predigt-Lümpgen anthun müssen. Und dann die äußeren Umstände Seiner Eltern, da Er lernen, vornehmen und thun mußte, gerade das und so viel, als diese Umstände erlaubten. Wie Er Sein erstes Trauerspiel: »Die Christen«, in Seinem dreizehnten Jahre geschrieben; was für lateinische Distichen, Carmina, Epistolae etc. Er verfertiget; wie Er mit Hrn. Professor Jahn in Collision gekommen; – doch das gehört mehr zu einer Lebens-Beschreibung und jetzo abstrahire ich.« – Wichtig ist in diesem Schreiben die Erwähnung des Trauerspiels. Man ersieht daraus, daß Schiller wirklich schon im Knabenalter an die Gestaltung tragischer Entwürfe gegangen, wie ich oben erwähnte. Auch zeigt der Brief, daß der Herr Hauptmann dem Sohne gegenüber entschieden an seiner väterlichen Autorität festhielt. Er hat seinen Fritz, als dieser schon ein berühmter Mann war, und bis zuletzt nie anders als mit »Er« angeredet. Er war ein kernhafter Altwürtemberger im besten Sinne des Wortes, dieser Soldat, welcher seinen Degen in das nützlichere Instrument eines Oculirmessers umgewandelt hatte.. Ein reizendes reichsstädtisches Idyll, liegt die Jugendgeschichte Göthe's in »Wahrheit und Dichtung« vor uns. Schillern sollte es nicht so gut werden, eine solche Kinderzeit zu durchleben und sie später in behaglicher Rückerinnerung mit künstlerischer Anmuth zu beschreiben. Doch hier ist noch nicht der Ort, hervorzuheben, wie sehr seinem großen Freunde und Mitstrebenden gegenüber Göthe ein Glücklicher genannt werden muß.


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